Urteil des BVerwG vom 02.10.2014

Zustand, Eugh, Auflage, Überwachung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 A 14.12
Verkündet
am 2. Oktober 2014
Ende
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung am 15., 16., 17., 22. und 23. Juli 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß,
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und Schipper
und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt
beschlossen:
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs
der Europäischen Union in der Rechtssache C-461/13
ausgesetzt.
Es wird darauf hingewiesen, dass gegen die Rechtmäßig-
keit der Planfeststellungsbeschlüsse für die Fahrrinnenan-
passung von Unter- und Außenelbe vom 23. April 2012 in
der Gestalt der 1. Ergänzungsbeschlüsse vom 1. Oktober
2013 und der Protokollerklärungen in der mündlichen Ver-
handlung Bedenken bestehen.
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G r ü n d e :
Im vorliegenden Rechtsstreit kann derzeit noch kein abschließendes Urteil er-
gehen. Der Senat hat im Anschluss an die mündliche Verhandlung über den
gesamten Streitstoff beraten. Danach kommt es entscheidungserheblich u.a.
auf die Fragen zur Auslegung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) an, die der
Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Beschluss vom
11. Juli 2013 - BVerwG 7 A 20.11 - im Verfahren über den Ausbau der Weser
vorgelegt hat. Von einer erneuten Vorlage dieser Fragen sieht der Senat ab,
weil der EuGH in der Rechtssache C-461/13 am 8. Juli 2014 bereits mündlich
verhandelt hat. Die von den Klägern in der mündlichen Verhandlung zusätzlich
aufgeworfenen Vorlagefragen sind entweder nicht entscheidungserheblich oder
lassen sich eindeutig beantworten, so dass es einer Vorlage nach Art. 267
AEUV nicht bedarf. Das Verfahren wird daher in entsprechender Anwendung
von § 94 VwGO bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-461/13
ausgesetzt (I.). Im Übrigen leiden die Planfeststellungsbeschlüsse (in der Ge-
stalt der 1. Ergänzungsbeschlüsse und der in der mündlichen Verhandlung ab-
gegebenen Protokollerklärungen) nach der vorläufigen Einschätzung des Se-
nats an Mängeln, die weder einzeln noch in ihrer Summe zur Aufhebung der
Beschlüsse führen würden, aber die Feststellung der Rechtswidrigkeit und
Nichtvollziehbarkeit zur Folge hätten (II.).
I. Die Beklagten haben das Vorhaben im Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit
dem Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot des § 27 i.V.m. § 44
Wasserhaushaltsgesetz (WHG) einer zweifachen Prüfung unterzogen. Die in
den Planfeststellungsbeschlüssen vom 23. April 2012 (S. 2029 ff.) vorgenom-
mene Prüfung gelangt zu dem Ergebnis, dass es ausbaubedingt weder zu er-
heblichen Verschlechterungen des Zustands/Potenzials von Qualitätskompo-
nenten oder Oberflächenwasserkörpern der Tideelbe noch zu einem Wechsel in
eine niedrigere Zustandsklasse kommt (PFB S. 2040), und legt damit Rechts-
maßstäbe an (Erheblichkeit, Zustandsklassenwechsel), die Gegenstand des
Vorlagebeschlusses vom 11. Juli 2013 sind. Im Hinblick darauf hat der Senat
den Beteiligten Anfang August 2013 angekündigt, im vorliegenden Verfahren
ebenfalls eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen.
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Die Vorhabenträger reichten bei den Beklagten daraufhin weitere Unterlagen,
u.a. eine Ergänzung des Fachbeitrags zur Wasserrahmenrichtlinie vom
9. August 2013, ein. Auf dieser Grundlage nahmen die Beklagten ausweislich
der 1. Ergänzungsbeschlüsse vom 1. Oktober 2013 in einem ergänzenden Ver-
fahren „hilfsweise“ eine weitere wasserrechtliche Prüfung vor, die der sog.
„strengen“ Status-quo-Theorie folgt. Danach werden alle Vorhabenwirkungen,
die geeignet sein können, den Zustand von Qualitätskomponenten der WRRL
theoretisch (nicht mess- und beobachtbar) oder tatsächlich (mess- und beob-
achtbar) nachteilig zu verändern, als Zustandsverschlechterung bewertet
(1. PEB S. 5). Als Ergebnis der „Hilfsprüfung“ werden „äußerst hilfsweise und
vorsorglich“ sehr geringe bis mäßige Verschlechterungen der fünf Oberflä-
chenwasserkörper (OWK) Elbe (Ost), Hafen, Elbe (West), Übergangsgewässer
und Küstengewässer sowie ein Verstoß gegen das Verbesserungsgebot ange-
nommen und vorsorglich eine Ausnahme nach § 31 Abs. 2 WHG erteilt.
Die in den Ergänzungsbeschlüssen angestellte „Hilfsprüfung“ ist nicht tragfähig,
weil es dem zugrunde gelegten Bewertungssystem an der erforderlichen fachli-
chen Untersetzung fehlt.
Der Senat verkennt nicht, dass der Vollzug der Wasserrahmenrichtlinie bzw.
der diese umsetzenden Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes die Rechts-
anwender vor erhebliche Probleme stellt. Im Zuge der Gemeinsamen Umset-
zungsstrategie (Common Implementation Strategy - CIS) sind zwar eine Reihe
von Leitfäden, Positionspapieren etc. herausgegeben worden. Nicht zuletzt
wegen der noch ungeklärten Rechtsmaßstäbe fehlt es aber an anerkannten
Standardmethoden und Fachkonventionen. An diesem Befund wird auch die
anstehende Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-461/13 kurzfristig
nichts ändern, denn die vom EuGH als richtig erkannten Rechtsmaßstäbe wer-
den in der Praxis ebenfalls noch konkretisiert werden müssen.
Der Umstand, dass es derzeit noch keine anerkannte Standardmethode gibt,
erweitert den Spielraum der Behörden bei der Entwicklung einer eigenen, fall-
bezogenen Methode. Er befreit aber nicht davon, diese Methode transparent,
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funktionsgerecht und in sich schlüssig auszugestalten. Das erfordert weder ein
„rechnerisches Baukastensystem“ noch ein bis in alle Verästelungen ausdiffe-
renziertes Bewertungsraster. Unverzichtbar ist aber, dass die angewandten
Bewertungskriterien im Planfeststellungsbeschluss definiert werden und ihr
fachlich untersetzter Sinngehalt nachvollziehbar dargelegt wird. Dies übersehen
die Beklagten, wenn sie in den Ergänzungsbeschlüssen (S. 27) darauf hinwei-
sen, dass für die Ergänzung des Fachbeitrags gutachterliche Setzungen heran-
gezogen worden seien und eine Methodenkritik mangels Leitfaden oder behörd-
licher Empfehlung nicht angemessen sei.
Der Notwendigkeit, die Bewertungskriterien fachlich zu „unterfüttern“, waren die
Beklagten nicht deshalb enthoben, weil sie alle vorhabenbedingten Auswirkun-
gen auf die Qualitätskomponenten bzw. Oberflächenwasserkörper als Ver-
schlechterungen im Sinne des § 27 WHG qualifiziert haben und damit „auf der
sicheren Seite liegen“. Die Ausnahmeprüfung nach § 31 Abs. 2 WHG setzt
ebenso wie die Abweichungsprüfung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG voraus, dass
das Gewicht, mit dem das Integritätsinteresse der Oberflächenwasserkörper in
die Prüfung einzustellen ist, fehlerfrei ermittelt worden ist. Die dafür notwendige
Bewertung der Schwere der Verschlechterung kann unabhängig davon, auf
welcher Stufe sie vorgenommen wird, nicht losgelöst von fachlichen Unterset-
zungen erfolgen. Welche fachlichen Erwägungen dem Bewertungssystem der
Ergänzungsbeschlüsse zugrunde liegen, bleibt indessen unklar.
Die Ergänzungsbeschlüsse bewerten die Auswirkungen auf den Zustand der
Oberflächenwasserkörper in zwei Schritten: Zunächst werden die möglichen
nachteiligen Auswirkungen auf die Qualitätskomponenten mithilfe der Katego-
rien „Grad der nachteiligen Auswirkung“ (deutlich, schwach, nicht mess- und
beobachtbar), „Dauer“ (langfristig = > 3 Jahre, mittelfristig = 3 Monate bis
3 Jahre, kurzfristig = < 3 Monate) sowie „räumliche Ausdehnung“ (großräumig
= > 20 % der Fläche des OWK, mittelräumig = 10 bis 20 % der Fläche des
OWK, kleinräumig < 10 % der Fläche des OWK) bewertet. Im Anschluss wird
die Schwere der Verschlechterung mittels Aggregation dieser drei Kategorien
als „sehr gering“, „gering“, „mäßig“, „stark“ und „sehr stark“ eingestuft. Alle nicht
mess- und beobachtbaren nachteiligen Veränderungen führen unabhängig von
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ihrer Dauer und räumlichen Ausdehnung zu einer „sehr geringen“ Schwere der
Verschlechterung. Die Schwere der Verschlechterung des Oberflächenwasser-
körpers richtet sich nach derjenigen Qualitätskomponente mit der deutlichsten
Verschlechterung.
Nähere Ausführungen zu den Kriterien, die den Grad der Auswirkung erfassen
sollen, finden sich nur hinsichtlich des Kriteriums „nicht mess- und beobacht-
bar“. Dieses umfasst nach den Erläuterungen auf Seite 30 der Ergänzungsbe-
schlüsse auch solche Auswirkungen auf den Wasserhaushalt, die Hydromor-
phologie und das Tidegeschehen, die von der Bundesanstalt für Wasserbau
(BAW) mithilfe eines hydronumerischen Rechenmodells prognostiziert worden
sind, in der Natur aber wegen der Komplexität und Variabilität des Tideästuars
nicht unmittelbar beobachtbar sind. Solche Auswirkungen werden, obwohl sie
nach den Prognosen der BAW tatsächlich zu erwarten sind, ungeachtet ihrer
Dauer und räumlichen Ausdehnung als nur rechnerische Veränderungen unter-
schiedslos der Kategorie „sehr gering“ zugeordnet. Das ist mit dem Anspruch
eines höchst vorsorglichen Maßstabs umso weniger vereinbar, als diese Zuord-
nung unabhängig vom Ist-Zustand erfolgt, also auch für solche Auswirkungen
gelten soll, die auf eine schon kritische Vorbelastung treffen.
Die Kriterien „schwach“ und „deutlich“ werden in den Ergänzungsbeschlüssen
in keiner Weise erläutert, geschweige denn fachlich untersetzt. Damit bleibt die
Einstufung der Vorhabenwirkungen aber vor allem im Grenzbereich von
„schwach“ zu „deutlich“ nicht nachvollziehbar. Soweit die Beklagten in der
mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, sie hätten sich an der UVU-Wert-
stufenskala orientiert und bei Wertstufenänderungen „deutliche“ und ohne Wert-
stufenänderung „schwache“ Auswirkungen angenommen, ist dies weder in den
Ergänzungsbeschlüssen selbst noch in der zugrunde liegenden Ergänzung des
Fachbeitrags dokumentiert. Vielmehr fehlt es an Ausführungen dazu, wie die
schutzgutbezogenen Wertstufen auf die Wasserkörper bzw. Qualitätskompo-
nenten übertragen wurden. In den Planergänzungsbeschlüssen ist lediglich
ausgeführt, dass die Sachinformationen zu den für die Qualitätskomponenten in
den Oberflächenwasserkörpern zu erwartenden Vorhabenwirkungen aus der
Umweltverträglichkeitsuntersuchung entnommen wurden. Die Bewertung im
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ergänzenden Fachbeitrag sei anhand dieser Sachinformationen erfolgt, folge
aber einem anderen Bewertungsmaßstab und lasse daher die Bewertung der
Vorhabenwirkungen, die in der Umweltverträglichkeitsuntersuchung vorge-
nommen worden sei, unberücksichtigt (S. 23). Auch die - mit wenigen Ausnah-
men - pauschalen Hinweise auf Gutachten der BAW bzw. sonstige UVU-Teil-
gutachten in der Ergänzung des Fachbeitrags reichen nicht aus. Der Senat hat
bereits in seinem Hinweisbeschluss im Weser-Verfahren vom 11. Juli 2013
- BVerwG 7 A 20.11 - (Rn. 67) betont, dass die Übertragung von schutzgutbe-
zogenen Erkenntnissen aus der UVU auf die Qualitätskomponenten der WRRL
eine von den Planfeststellungsbehörden zu erbringende Transferleistung dar-
stellt und die dafür erforderlichen Zwischenschritte im Planfeststellungsbe-
schluss nachvollziehbar darzulegen sind. Das erfordert hier wie auch sonst,
dass bei Bezugnahmen und Querverweisungen innerhalb der Planunterlagen
und im Planfeststellungsbeschluss grundsätzlich seitengenau zu zitieren ist.
Die Kriterien, die die Auswirkungen des Vorhabens in ihrer zeitlichen und räum-
lichen Dimension erfassen sollen, sind zwar im Ansatz verlässlich und nachvoll-
ziehbar, weil sie an objektiv messbare Umstände anknüpfen. Die gesetzten
raumbezogenen Schwellenwerte sind jedenfalls nicht unvertretbar. Bedenken
begegnet allerdings, dass die Beklagten bei den räumlichen Auswirkungen
durchgängig einen flächenbezogenen Maßstab gewählt haben. Ob ein flächen-
oder ein volumenbezogener Maßstab sachangemessen ist, hängt von der je-
weiligen Qualitätskomponente ab. Wird - wie hier - ein einheitlicher Maßstab
verwendet, muss dargelegt werden, welche Sachgründe für ein einheitliches,
rein flächenbezogenes System sprechen und warum eine nach Qualitätskom-
ponenten differenzierende Bezugsgröße (Fläche, Volumen) nicht sachgerechter
und vorsorglicher wäre. Dazu kann den Ausführungen auf Seite 26 der Ergän-
zungsbeschlüsse nichts Substantielles entnommen werden.
Um die Auswirkungen sachgerecht bewerten zu können, hätte zudem der Ist-
Zustand der Qualitätskomponenten ordnungsgemäß erfasst werden müssen.
Auch daran fehlt es teilweise. In der Ergänzung des Fachbeitrags und in den
Ergänzungsbeschlüssen findet sich bei den hydromorphologischen, den chemi-
schen sowie den physikalisch-chemischen Qualitätskomponenten in der Spalte
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„Einstufung der QK im Ist-Zustand für den OWK“ die Eintragung „relevant aber
ohne Bewertung im Ist-Zustand“. Die Einstufung des ökologischen Zustands/
Potenzials eines Oberflächenwasserkörpers erfolgt nach § 5 Abs. 4 Satz 1
Oberflächengewässerverordnung (OGewV) zwar vorrangig unter Betrachtung
der biologischen Qualitätskomponenten. Bei deren Bewertung sind die hydro-
morphologischen und die allgemeinen physikalisch-chemischen Qualitätskom-
ponenten aber zur Einstufung unterstützend heranzuziehen (§ 5 Abs. 4 Satz 3
OGewV).
Ausweislich der Ergänzungsbeschlüsse sind die Auswirkungen auf die hydro-
morphologischen Qualitätskomponenten Morphologie und Tideregime sowie die
chemisch-physikalischen Qualitätskomponenten Sauerstoff und Salzgehalte
untersucht worden (S. 22). Wie diese Untersuchung und namentlich die Bewer-
tung der Ergebnisse ohne Erfassung des Ist-Zustands bewerkstelligt werden
konnte, ist nicht dargelegt. Anhaltspunkte dafür, dass die fehlenden Daten zum
Ist-Zustand nicht verfügbar waren, sind nicht ersichtlich. Nach Darstellung der
Beklagten in der mündlichen Verhandlung fehlte es nicht an hinreichendem
Datenmaterial, sondern nur an dessen Einstufung durch die Flussgebietsge-
meinschaft (FGG) Elbe. Dann hätte diese Einstufung durch den Vorhabenträger
bzw. die Planfeststellungsbehörden nachgeholt werden müssen. Der Einwand
der Beklagten, die Einstufung des Ist-Zustands sei unerheblich gewesen, weil
jede Änderung als Verschlechterung bewertet worden sei, greift nicht durch.
Diese Argumentation übersieht, dass es für die Ausnahmeprüfung auf das Maß
der Verschlechterung ankommt und eine Verschlechterung bei mäßigem Ist-
Zustand regelmäßig gravierender sein dürfte als bei einem guten. Überdies
kann der Ist-Zustand unter Umständen bei der Prüfung des Verbesserungsge-
bots relevant werden.
Ob die „Hilfsprüfung“ auch deshalb Bedenken begegnet, weil bei gleichzeitiger
Verschlechterung verschiedener Qualitätskomponenten nur auf die am
stärksten beeinträchtigte Qualitätskomponente abgestellt wird und dies mit dem
höchstvorsorglichen Maßstab unvereinbar ist, kann angesichts der vorgenann-
ten Mängel dahinstehen.
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Mangels Tragfähigkeit der „Hilfsprüfung“ kommt es entscheidungserheblich da-
her (wieder) darauf an, ob die ursprüngliche wasserrechtliche Prüfung rechtmä-
ßig erfolgt ist. Für die Beantwortung dieser Frage ist die Entscheidung des
EuGH in der Rechtssache C-461/13 vorgreiflich.
II. Die Umweltverträglichkeitsprüfung und die FFH-Verträglichkeitsprüfung wei-
sen - im ergänzenden Verfahren voraussichtlich behebbare - Mängel auf.
1. UVU/UVP
1.1 Gefährdete Pflanzenarten
In der UVU/UVP (PFB S. 459/460 und 680) werden vorhabenbedingte er-
hebliche Auswirkungen auf die terrestrischen Biotoptypen über die Wirkpfade
„Tidewasserstände“, „Strömungsgeschwindigkeiten“, „Schwebstoffregime und
Geschiebetransport“ und „Salinität“ verneint. Hinsichtlich der gefährdeten Pflan-
zenarten fehlt es dafür an der erforderlichen Tatsachengrundlage.
Keinen Bedenken begegnet es, im Rahmen der Auswirkungsprognose zu-
nächst die relevanten Wirkfaktoren zu identifizieren und festzustellen, womit
wann, wo und in welcher Intensität gerechnet werden muss. Scheiden danach
- was nachvollziehbar darzulegen ist - Beeinträchtigungen auf bestimmten
Wirkpfaden von vornherein aus, sind nähere artenbezogene Untersuchungen
nicht erforderlich. Anders verhält es sich aber dann, wenn eine negative Betrof-
fenheit von Arten nicht schon aufgrund des Wirkpfads ausgeschlossen werden
kann. In diesem Fall ist zu prüfen, welche Arten im Untersuchungsgebiet direkt
oder indirekt betroffen sein können. Das kann Feststellungen zu deren örtlichen
Vorkommen erfordern. Besonderes Augenmerk ist dabei - auch im Hinblick auf
das Schutzgut der Artenvielfalt - auf die gefährdeten Arten zu richten. Unter
diesen sind wiederum vorrangig solche Arten zu behandeln, für die unter bio-
geografischen Aspekten eine besondere Schutzverantwortung besteht.
Diesen Anforderungen genügt die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht. Von den
in der Liste der gefährdeten Arten im UVU-Teilgutachten H.4a zur terrestrischen
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Flora (S. 105 ff.) aufgeführten 131 gefährdeten Arten ist lediglich der an der
Elbe endemische Schierlings-Wasserfenchel einer näheren Betrachtung unter-
zogen worden. Für die dort weiter genannte, an der Elbe ebenfalls endemische
Wiebelschmiele sind erhebliche Beeinträchtigungen in der mündlichen Ver-
handlung verbal-argumentativ ausgeschlossen worden, in den Planfeststel-
lungsbeschlüssen sind diese Erwägungen allerdings nicht dokumentiert. Auch
zu den anderen in der Liste aufgeführten gefährdeten Arten kann weder der
UVU noch der UVP Näheres entnommen werden. Die Auflistung der gefährde-
ten Arten im Untersuchungsgebiet bleibt aber ohne Wert, wenn im Rahmen der
Auswirkungsprognose nicht geprüft wird, ob bzw. welchen der gelisteten Arten
vorhabenbedingte Beeinträchtigungen drohen. Diese Prüfung setzt weder eine
flächendeckende artenbezogene Kartierung des gesamten Untersuchungsge-
biets voraus noch muss jede einzelne der 131 aufgeführten gefährdeten Arten
einer detaillierten Bestandserfassung unterzogen werden. Erforderlich ist aber,
dass die Liste - nachvollziehbar - daraufhin gesichtet wird, welche Arten unter
den Gesichtspunkten Schutzverantwortung, Gefährdung (auf verschiedenen
Bezugsraumebenen), Verbreitung/Seltenheit und Sensitivität ggf. einer näheren
Betrachtung auch im Hinblick auf ihre örtliche Verbreitung unterzogen werden
müssen. Daran fehlt es.
1.2 Artenvielfalt
Die Umweltverträglichkeitsprüfung begegnet zudem im Hinblick auf das
Schutzgut der biologischen Vielfalt (Artenvielfalt) Bedenken. In den Planfeststel-
lungsbeschlüssen (S. 462 und 697) werden Auswirkungen auf die Artenvielfalt
mit der Begründung verneint, dass ein Totalverlust oder ein relevanter Rück-
gang von Populationen auszuschließen seien, weil die Verluste nur lokal
und/oder zeitweise aufträten und in der Regel weit verbreitete Arten beträfen.
Die an der Tideelbe vorkommenden endemischen Pflanzenarten Wiebelschmie-
le und Schierlings-Wasserfenchel seien vorhabenbedingt ebenfalls nicht ge-
fährdet, da direkte Wirkungen auf die Standorte dieser Arten nicht aufträten und
die indirekten Wirkungen, z.B. durch die Veränderung der Salinität, der Strö-
mungsgeschwindigkeiten, des Sedimenttransports und des Wellenschlags,
zwar negative Einflüsse auf die Habitateignung hätten, jedoch nicht zu einem
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Totalverlust der Standorte in dem schon im Ist-Zustand suboptimalen Lebens-
raum führten.
Dieser Bewertungsmaßstab greift zu kurz. Das Schutzgut der biologischen Viel-
falt ist nicht erst bei einem Totalverlust von Standorten oder der relevanten Ab-
nahme von Populationen betroffen, sondern kann auch durch eine erhebliche
Verschlechterung der Habitateignung für eine einzelne Art beeinträchtigt wer-
den. Allerdings dürfte die bloße Verschlechterung der Habitateignung einzelner
Standorte für eine Beeinträchtigung der Artenvielfalt in der Regel nicht genü-
gen. Bei der Artenvielfalt kommt es auf den konkreten Bezug zu Naturraum und
Lebensraumtyp an. Zu berücksichtigen ist daher immer die Abhängigkeit von
der Flächengröße sowie der standörtlichen und vor diesem Hintergrund mögli-
chen strukturellen Ausstattung. Dies gilt vor allem dann, wenn limitierende
Standortfaktoren vorhanden sind, die keinem anthropogenen Einfluss unterlie-
gen bzw. nicht auf einen solchen zurückzuführen sind (vgl. Trautner, UVP-
report 17, 2003, S. 155). Welche Bedeutung danach ein einzelner Standort für
eine Art bzw. die Artenvielfalt im Untersuchungsgebiet hat, hängt von den Um-
ständen des Einzelfalls ab. Ohne nähere Erkenntnisse zu den gefährdeten Ar-
ten, für die vorhabenbedingte Beeinträchtigungen nicht von vornherein ausge-
schlossen werden können, sowie zu deren Verbreitung im Untersuchungsgebiet
und den jeweiligen Habitatanforderungen ist eine solche Prüfung nicht möglich.
2. FFH
2.1 Überwachung der Schiffsgeschwindigkeiten
Die Auflage A.II.5.3.3 (PFB S. 65) ist ergänzungsbedürftig. Gemäß A.II.5.3.1
müssen die Vorhabenträger durch geeignete Regelungen sicherstellen, dass
die von der BAW für die verschiedenen Streckenabschnitte als unkritisch einge-
schätzten Geschwindigkeiten durchs Wasser nicht überschritten werden. Zur
Überwachung der tatsächlichen Geschwindigkeiten durchs Wasser haben die
Vorhabenträger umgehend geeignete Maßnahmen zu entwickeln (A.II.5.3.3).
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Mithilfe der Geschwindigkeitsbegrenzung sollen Beeinträchtigungen durch sog.
schiffserzeugte Belastungen (Schiffswellen) reduziert bzw. ausgeschlossen
werden. Von der Wirksamkeit dieser Maßnahme und der Möglichkeit, ihre Ein-
haltung effektiv zu überwachen, sind die Planfeststellungsbehörden im Rahmen
der FFH-Verträglichkeitsprüfung ausdrücklich ausgegangen (vgl. PFB S. 917
und 932). Wegen der Schutz- und Vermeidungswirkung, die von der Geschwin-
digkeitsbegrenzung ausgehen soll, stellt die Überwachung ihrer Einhaltung
keine nachrangige Frage des Planvollzugs, sondern einen grundsätzlich im
Planfeststellungsbeschluss regelungsbedürftigen Aspekt dar.
Die Beklagten konnten zwar davon absehen, die Überwachungsmaßnahmen
schon in den Planfeststellungsbeschlüssen vom 23. April 2012 zu regeln, weil
ein geeignetes Überwachungsverfahren noch nicht zur Verfügung stand, sie
jedoch im Erlasszeitpunkt davon ausgehen durften, dass die zeitnahe Entwick-
lung eines solchen Verfahrens durch die Vorhabenträger ohne Weiteres mög-
lich sein würde. Anderenfalls hätte auch die FFH-Verträglichkeitsprüfung hin-
sichtlich des Wirkpfads „Schiffswellen“ nicht mit einem positiven Ergebnis abge-
schlossen werden dürfen. Um dem Erfordernis gerecht zu werden, das Über-
wachungsproblem im Wege der Planfeststellung zu bewältigen, hätte die Aufla-
ge A.II.5.3.3 aber mit dem Vorbehalt versehen werden müssen, dass die Über-
wachungsmaßnahmen durch Planergänzung festgelegt werden.
2.2 Finte
2.2.1 Sauerstoffmangel
In den Planfeststellungsbeschlüssen werden erhebliche Beeinträchtigungen der
Finte durch eine vorhabenbedingte Verschlechterung der Sauerstoffsituation im
Hauptlaichgebiet verneint (S. 1043, 1100/1101 und 1708). Nach Auswertung
der aktuellen wissenschaftlichen Literatur durch Bioconsult im „Gutachten zur
FFH-Erheblichkeit bei der FFH-Verträglichkeitsprüfung zur Fahrrinnenanpas-
sung Unter- und Außenelbe“ vom 5. Mai 2010 sei im Ergebnis kein Zusammen-
hang sicher nachweisbar, dass Sauerstoffmangelsituationen den Rekrutie-
rungserfolg tatsächlich reduzierten (S. 1766).
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Diese Bewertung geht von einem fehlerhaften rechtlichen Ansatz aus. Nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf die Verträg-
lichkeitsprüfung nur dann mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen werden,
wenn keine vernünftigen Zweifel daran bestehen, dass erhebliche Beeinträchti-
gungen vermieden werden (Urteil vom 14. Juli 2011 - BVerwG 9 A 12.10 -
BVerwGE 140, 149 Rn. 59 = Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 13).
Ist der Erhaltungszustand geschützter Arten in einem FFH-Gebiet schlecht, sind
hinzutretende Beeinträchtigungen eher als erheblich einzustufen als bei einem
guten Erhaltungszustand. Davon ausgehend bestehen zumindest vernünftige
Zweifel daran, dass erhebliche Beeinträchtigungen der Finte durch eine Ver-
schlechterung der ohnehin kritischen Sauerstoffsituation in ihrem Hauptlaichge-
biet ausgeschlossen werden können:
Nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten in der mündlichen Ver-
handlung ist der Erhaltungszustand der Finte in den FFH-Gebieten „Schleswig-
Holsteinisches Elbästuar und angrenzende Flächen“ und „Unterelbe“ einheitlich
mit „C“ zu bewerten. Zudem ist unstreitig, dass es in Teilen des Hauptlaichge-
biets der Finte unterhalb des Hamburger Hafens (Schwingemündung bis zum
Mühlenberger Loch) in den Sommermonaten zu Sauerstoffmangelsituationen
kommt, in denen der Sauerstoffgehalt unter den Wert von 3 mg/l sinkt. Der
(Mindest-)Sauerstoffbedarf der Finte liegt nach den Feststellungen in den Plan-
feststellungsbeschlüssen bei ca. 3 bis 4 mg/l (vgl. S. 1043), nach dem von den
Planfeststellungsbehörden eingeholten Gutachten von Bioconsult (2010,
S. 100) liegt der Optimalwert mit > 7 mg/l jedoch deutlich höher. Die frühen
Entwicklungsstadien der Finte gelten laut Integriertem Bewirtschaftungsplan für
das Elbeästuar (IBP 2012) als besonders empfindlich gegenüber Sauerstoff-
mangel (S. 62). Nach Einschätzung des IBP gefährdet die Lage des Laichge-
biets im Sauerstofftal der Tideelbe die Reproduktion der Finte (S. 21 und 64).
Bioconsult (2010) verweist darauf, dass keine konkreten Daten darüber vorlä-
gen, ob und in welchem Ausmaß der Faktor „Sauerstoffdefizit“ den Reproduk-
tionserfolg der Finte tatsächlich reduziere. Es sei nicht auszuschließen, dass
die Sauerstoffdefizite die Reproduktion beeinträchtigen könnten, deutliche
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Effekte seien bisher jedoch nicht beschrieben worden (S. 101). Die Auswirkun-
gen des geplanten Vorhabens auf den Rekrutierungserfolg der Finte seien ins-
gesamt auf der verfügbaren Daten- und Erkenntnislage nicht sicher zu beurtei-
len. Ein Zusammenhang sei nicht sicher auszuschließen; es erscheine aller-
dings plausibel, dass eine mögliche vorhabenbedingte Beeinträchtigung der
Finte über diesen Wirkpfad nur schwach sei. Es bestehe Untersuchungsbedarf
(S. 107).
Die Erkenntnislage zum Einfluss von Sauerstoffmangel auf die Reproduktion
der Finte war danach bei Erlass der Planfeststellungsbeschlüsse zu dürftig, um
vernünftige Zweifel auszuschließen. Die spezifische Wasseroberfläche ist im
Abschnitt von km 635 bis km 639 schon im Ist-Zustand besonders ungünstig
und wird durch die Anlage der Begegnungsstrecke (km 636 bis km 644) zusätz-
lich negativ beeinflusst. Selbst wenn dies nur zu einer geringen Zunahme der
Zahl und Intensität von Sauerstoffmangelsituationen führt (vgl. Bioconsult 2010,
S. 104), können diese Auswirkungen angesichts der dargestellten Erkenntnis-
defizite zur Beeinflussung des Rekrutierungserfolgs durch Sauerstoffmangel
und des ungünstigen Erhaltungszustands der Art nicht ohne Weiteres als un-
erhebliche Bagatelle gewertet werden.
Der Wirkpfad „Sauerstoff“ bedarf daher genauerer Betrachtung. Soweit die
Beklagten in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht haben, aufgrund
neuerer Erkenntnisse aus dem dreijährigen Monitoring von Bioconsult könne
ein Einfluss von Sauerstoffmangelsituationen auf die Reproduktion der Finte
nunmehr ausgeschlossen werden, mögen sie diese Erkenntnisse in das ergän-
zende Verfahren einbringen.
2.2.2 Feststellung von Laichaktivität
Die Auflage unter A.II.4.2.4 (PFB S. 62) zum Schutz des Fintenlaichs vor Un-
terhaltungsbaggerungen mit Hopperbaggern begegnet auch in der Neufassung,
die sie durch Protokollerklärung in der mündlichen Verhandlung erhalten hat,
durchgreifenden Bedenken. Die Neufassung sieht vor, dass die Methodik zur
Ermittlung von Laichaktivitäten in Abstimmung mit den zuständigen Natur-
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schutzbehörden der Länder festzulegen ist und der Zustimmung der Planfest-
stellungsbehörden bedarf. Bis zu dieser Zustimmung dürfen im Zeitraum vom
15. April bis 30. Juni im Hauptlaichgebiet der Finte keine Unterhaltungsbagge-
rungen mit Hopperbaggern stattfinden.
Die Festsetzung der Methode zur Ermittlung von Laichaktivität durch Planer-
gänzung ist nicht vorgesehen. Diese Verfahrensweise ist unabhängig davon, ob
die Auflage unter A.II.4.2.4 rein vorsorglich wirken oder erhebliche Beeinträchti-
gungen mindern bzw. ausschließen soll, zu beanstanden.
Die Auflage A.II.4.2.4 trägt dem Umstand Rechnung, dass es bei Erlass der
Planfeststellungsbeschlüsse noch keine anerkannte Methode zur Ermittlung
von Laichaktivität der Finte in der Elbe gab; nach Darstellung der Beteiligten in
der mündlichen Verhandlung hat sich daran bis heute nichts geändert. Ebenso
wie für die Maßnahmen zur Überwachung der Geschwindigkeitsbegrenzung gilt
auch hier, dass sie anderenfalls schon in den Planfeststellungsbeschlüssen
hätte geregelt werden müssen. Die Verschiebung der Konfliktbewältigung auf
einen späteren Zeitpunkt darf nicht dazu führen, dass die durch ein Planergän-
zungsverfahren vermittelten Beteiligungsrechte und die an einen Planergän-
zungsbeschluss anknüpfenden Klagerechte abgeschnitten werden. Die Auflage
ist daher entsprechend zu ändern.
2.3 Brutvögel
Die FFH-Verträglichkeitsprüfung ist zudem hinsichtlich möglicher Beeinträchti-
gungen von Brutvögeln in den VS-Gebieten „Unterelbe bis Wedel“ und
„Unterelbe“ durch einen vorhabenbedingten Anstieg der Überflutungshäufigkeit
auf den Vorländern defizitär.
In den Planfeststellungsbeschlüssen werden Beeinträchtigungen der Habitatbe-
dingungen für Brutvögel durch vorhabenbedingte Wasserstandsänderungen mit
der Begründung ausgeschlossen, dass die geringen hydrodynamischen
Veränderungen nicht in die Schutzgebiete hineinwirkten bzw. von ihrer Intensi-
tät her zu gering seien, um die natürlich ablaufenden Prozesse zu prägen und
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zu überlagern (S. 1467 und 1578). Diese nicht näher begründeten Feststellun-
gen haben die Kläger unter Vorlage einer gutachterlichen Stellungnahme subs-
tantiiert angegriffen. Danach ist auf der Grundlage der von der BAW prognosti-
zierten Wasserstandsänderungen z.B. im April auf tiefliegendem Grünland mit
einer Erhöhung der Überflutungswahrscheinlichkeit um 6,2 %, auf normalem
Grünland im Juni um 6,7 % sowie im Juli um 7,9 % zu rechnen (Cimiotti/Hötker/
Behrends, Tab. 10, S. 22). Diese Änderungen und die daraus folgende relative
Abnahme der Überlebenschancen (a.a.O., Tab. 12, S. 25) sind keine Bagatel-
len.
Es mag sein, dass der Anstieg des MThw - wie die Beklagten in der mündlichen
Verhandlung geltend gemacht haben - durch Aufsedimentation ausgeglichen
wird und die Überflutungshäufigkeit daher faktisch nicht zunimmt. Eine solche
saldierende Betrachtung scheitert nicht von vornherein an der zeitlichen Lücke
zwischen dem Anstieg des MThw und der Aufsedimentation. Abgesehen davon,
dass Sedimentation und Erosion in der Natur ständig ablaufende Vorgänge
darstellen, wird auch das Ausbauvorhaben zeitlich gestreckt umgesetzt.
Für die Behauptung der Beklagten, dass den Brutgebieten trotz Anstiegs des
MThw aufgrund der Aufsedimentation der Vorländer keine Gefahr droht, fehlt es
aber bisher an der fachlichen Untersetzung. Aus dem UVU-Teilgutachten H.3
zum Schutzgut Boden ergibt sich zwar, dass die Sedimentationsrate größen-
ordnungsmäßig ausreicht, um den natürlichen säkularen Anstieg wie auch den
anthropogen durch Flussausbaumaßnahmen hervorgerufenen Anstieg des
Wasserspiegels zu kompensieren, so dass von einer „Überflutung“ ufernaher
Bereiche nicht ausgegangen werden könne (S. 141). Für die FFH-Verträglich-
keitsprüfung reicht eine generalisierende Betrachtung der Entwicklung der Vor-
deichflächen aber nicht aus. Vielmehr muss für die von den Klägern als betrof-
fen bezeichneten Vordeichflächen in den VS-Gebieten „Unterelbe bis Wedel“
und „Unterelbe“ jeweils konkret nachvollziehbar dargelegt werden, warum ein
(relevanter) Anstieg der Überflutungswahrscheinlichkeit während der Brutperio-
de ausgeschlossen werden kann.
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2.4 Schierlings-Wasserfenchel
Die FFH-Verträglichkeitsprüfung setzt sich nicht mit der von Bioconsult 2010
(S. 83) angesprochenen langfristigen Verschlechterung der Standorteigenschaf-
ten für den Schierlings-Wasserfenchel stromab von Hamburg durch verstärkte
Sedimentation auseinander. Nach dem Vorbringen der Kläger begünstigt diese
vor allem in den Nebenelben Konkurrenzpflanzen und befördert die Entstehung
von Fließschlick, in dem die Wurzeln des Schierlings-Wasserfenchels keinen
Halt mehr finden. Die Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung einge-
räumt, dass die Sedimentation zwar grundsätzlich einen möglichen Wirkpfad
darstelle und bei den zurückliegenden Fahrrinnenanpassungen auch so behan-
delt worden sei, vorliegend könnten relevante Beeinträchtigungen aber in der
Summe der Zu- und Abnahmen ausgeschlossen werden.
In den Planfeststellungsbeschlüssen sind entsprechende Erwägungen bei der
FFH-Verträglichkeitsprüfung für die FFH-Gebiete „Schleswig-Holsteinisches
Elbästuar und angrenzende Flächen“, „Unterelbe“ und „Neßsand und Mühlen-
berger Loch“ nicht dokumentiert. Insbesondere fehlt es an konkreten Darlegun-
gen dazu, in welchen Bereichen mit aktuellen oder potenziellen Standorten des
Schierlings-Wasserfenchels mit einer Zu- bzw. Abnahme der Sedimentation zu
rechnen ist und warum mögliche Veränderungen ohne Relevanz für die Stand-
ortbedingungen des Schierlings-Wasserfenchels sind. Nach dem UVU-Teilgut-
achten H.3 (S. 142) ist die räumliche Verteilung von Röhricht (der den Schier-
lings-Wasserfenchel verdrängt) in stromexponierten Bereichen tendenziell rück-
läufig, in geschützten Bereichen (Nebenelben) breitet sich das Röhricht da-
gegen aus. Gerade vor diesem Hintergrund bedarf es nachvollziehbarer Aus-
führungen dazu, warum die Änderungen der Schwebstoffkonzentration und der
Sedimentationstendenzen weder die Konkurrenzpflanzen noch die Entstehung
von Fließschlick begünstigen.
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2.5 Kohärenz
2.5.1 „Sowieso“-Maßnahmen
Die Planfeststellungsbeschlüsse (S. 1865) nehmen zu Recht an, dass Maß-
nahmen zur Kohärenzsicherung auch im betroffenen oder einem anderen FFH-
Gebiet vorgesehen werden dürfen (EuGH, Urteil vom 15. Mai 2014
- Rs. C-521/12 - NVwZ 2014, Rn. 38). Sie müssen aber über die Standardmaß-
nahmen zur Erhaltung (Art. 6 Abs. 1 FFH-RL) und zur Vermeidung von Ver-
schlechterungen und Störungen (Art. 6 Abs. 2 FFH-RL) im Rahmen des Ge-
bietsmanagements hinausgehen (Urteil vom 12. März 2008 - BVerwG 9 A
3.06 - BVerwGE 130, 299, Rn. 203 = Buchholz 451.91 Europ UmweltR Nr. 30).
Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, haben die Planfeststellungsbehörden zu prü-
fen und im Planfeststellungsbeschluss nachvollziehbar darzulegen. Daran fehlt
es.
Die Leitlinien und Ziele der Gebietsentwicklung für die Natura 2000-Gebiete im
Elbeästuar sind im IBP festgelegt, der im Februar 2012 und damit noch vor Er-
lass der Planfeststellungsbeschlüsse vorgelegt wurde. Der IBP stellt eine Viel-
zahl von Maßnahmen dar, die geeignet sind, den Erhaltungszustand von Le-
bensraumtypen und Arten zu erhalten oder zu verbessern. Ein Teil dieser Maß-
nahmen kann laut IBP unter bestimmten Voraussetzungen auch als Kohärenz-
sicherungsmaßnahmen anerkannt werden. Maßnahmen, die aus Sicht der
Fachbehörden Hamburgs und Schleswig-Holsteins als Maßnahmen zur Kohä-
renzsicherung in Frage kommen, sind in den Maßnahmenblättern des IBP-
Beitrags beider Länder entsprechend gekennzeichnet (vgl. Teil C, Material-
band). Maßnahmentypen des niedersächsischen IBP-Beitrags, die sich poten-
ziell zur Kohärenzsicherung eignen, sind in Tabelle A22 aufgelistet. Der Hinweis
auf eine Eignung als Kohärenzsicherungsmaßnahme bedeutet nicht, dass diese
Maßnahmen ausschließlich auf diesem Weg umgesetzt werden sollen. Es soll
lediglich deutlich gemacht werden, dass die Maßnahme auch auf diesem Weg
umgesetzt werden kann (IBP S. 78 f.).
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Bezeichnet ein Bewirtschaftungsplan - wie hier - bestimmte Maßnahmen als
kohärenzgeeignet, darf diese Einstufung in der Regel zugrunde gelegt werden.
Abweichendes gilt dann, wenn der Plan bei der Abgrenzung von Standard- und
Kohärenzmaßnahmen von einem unzutreffenden Maßstab ausgeht oder
„Etikettenschwindel“ betreibt. Anhaltspunkte dafür sind vorliegend nicht ersicht-
lich. Den Planfeststellungsbeschlüssen kann aber nicht entnommen werden,
dass und warum die festgelegten Kohärenzsicherungsmaßnahmen über die
nach Maßgabe des Bewirtschaftungsplans (S. 79) durch die zuständige Behör-
de festzulegenden Standardmaßnahmen hinausgehen. Eine Auseinanderset-
zung mit dem IBP Elbeästuar ist nicht erfolgt, sie ist jedenfalls nicht dokumen-
tiert. Daran ändert auch die im Schriftsatz der Beklagten zu 2 vom 11. April
2014 nachträglich vorgenommene Zuordnung der Maßnahmen zu den Maß-
nahmenblättern des IBP-Beitrags SH/HH und zu der Tabelle A22 auf Seite 79
des IBP nichts. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, ob und wenn ja, welche
Standardmaßnahmen für den Schierlings-Wasserfenchel und den Lebensraum-
typ Ästuar in den für die Kohärenzsicherungsmaßnahmen ausgewählten FFH-
Gebieten vorgesehen sind und worin das „Überschießende“ der Kohärenzsiche-
rungsmaßnahmen liegt.
2.5.2 Schierlings-Wasserfenchel
Bei der Entscheidung über Kohärenzsicherungsmaßnahmen verfügen die Plan-
feststellungsbehörden namentlich dann, wenn naturschutzfachlich allgemein
anerkannte standardisierte Maßstäbe und rechenhaft handhabbare Verfahren
fehlen, über eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative. Die gerichtli-
che Überprüfung ist auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt. Diese setzt
voraus, dass die Eingriffs- und Kompensationsbilanz im Planfeststellungsbe-
schluss nachvollziehbar offengelegt wird. Dafür genügt eine verbal-argumen-
tative Darstellung, sofern sie rational nachvollziehbar ist und erkennen lässt, ob
der Bilanzierung naturschutzfachlich begründbare Erwägungen zugrunde liegen
(Urteil vom 12. März 2008 a.a.O. Rn. 202).
Davon ausgehend begegnen die Kohärenzsicherungsmaßnahmen für den
Schierlings-Wasserfenchel nicht schon deshalb Bedenken, weil die Beklagten
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keinen rein flächenbezogenen Maßstab zugrunde gelegt haben. Auch die ge-
wählte Kombination von Individuen- und Flächenbezug ist vertretbar. Maßgeb-
lich ist allein, ob die bei der Ausfüllung des jeweiligen Maßstabs zugrunde ge-
legten Annahmen hinreichend vorsorglich sind. Dies lässt sich derzeit nicht
feststellen.
Die Beklagten haben nicht dargelegt, dass der zur Quantifizierung des Kohä-
renzbedarfs von IBL/BfBB (S. 1) zugrunde gelegte Ansatz von fünf Exemplaren
je potenziellem Standort vorsorglich ist. Ausweislich der Kartierung von Obst,
Köhler & Kurz (Anhang 4 zum UVU-Teilgutachten H.4a) finden sich stromab
von Hamburg potenzielle Standorte (z.B. in der Haseldorfer Binnenelbe, auf
Neßsand und Hanskalbsand, in der Hahnöfer Nebenelbe und im Fährmanns-
ander Watt) in der Nähe von aktuellen Standorten, die teilweise deutlich mehr
als fünf Pflanzen aufweisen. Dies könnte dafür sprechen, dass dort an den
potenziellen Standorten ebenfalls mit mehr als fünf Pflanzen zu rechnen ist.
Abgesehen davon ist die Skalierung in der Kartierung relativ grob, so dass sich
allein daraus keine belastbaren Schlüsse auf die potenzielle Besiedlungsdichte
ziehen lassen.
Wie die auf Seite 1377 der Planfeststellungsbeschlüsse bei der Darstellung des
flächenbezogenen Ansatzes angegebenen 9 ha aktueller und potenzieller
Standorte im Wirkraum des Vorhabens sowie 28,7 ha aktueller und potenzieller
Standorte im gesamten Verbreitungsgebiet zustande gekommen sind,
erschließt sich ebenfalls nicht. Die Beklagten haben in der mündlichen Ver-
handlung eingeräumt, dass diese Zahlen sich nicht aus den Planunterlagen her-
leiten lassen, sondern bei Obst, Köhler & Kurz telefonisch abgefragt wurden.
Unklar geblieben ist auch, warum der angenommene Faktor für die Besied-
lungsdichte von 13:1 und der Faktor von 0,2 für Beeinträchtigungen unter dem
Totalverlust (S. 1378) vorsorglich sind.
Die Eingriffs- und Ausgleichsbilanz ist weiterhin deshalb unzulänglich, weil nicht
nachvollziehbar dargelegt ist, welche Flächen in den Maßnahmengebieten
Zollenspieker und Spadenlander Busch/Kreetsand für eine Besiedlung durch
den Schierlings-Wasserfenchel geeignet sind. Die Beklagten konnten nicht
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schlüssig erläutern, wie sich die in den Planfeststellungsbeschlüssen (S. 1377
und 1868) angegebenen 13,65 ha zusätzlicher Standorte bzw. neuer Wuchsort-
fläche für den Schierlings-Wasserfenchel in den beiden Maßnahmengebieten
errechnen. Im Schreiben vom 7. Dezember 2010 an die EU-Kommission ist auf
Seite 41 abweichend von den Zahlenangaben in den Planfeststellungsbe-
schlüssen von rund 8,89 ha Wuchsortfläche die Rede, die sich offensichtlich
aus der Addition von 1,67 ha neuer Ansiedlungsfläche im Zollenspieker und
7,22 ha im Gebiet Spadenlander Busch/Kreeetsand ergeben.
Die Lücken und Mängel der Eingriffs- und Ausgleichsbilanzierung sind nicht
dadurch hinfällig geworden, dass die Beklagten in der mündlichen Verhandlung
die Größenangaben zu den Kohärenzflächen korrigiert und für die gesondert
planfestgestellte Maßnahme Spadenlander Busch/Kreetsand eine aktualisierte
Karte aus der Ausführungsplanung vorgelegt haben.
Nach der Begründung, die der durch Protokollerklärung in der mündlichen Ver-
handlung erfolgten Änderung der Nebenbestimmungen unter A.II.3.6,
A.II.3.14.2 und A.II.3.14.4 beigefügt ist, gehen die Beklagten nunmehr von ins-
gesamt 14 190 m² „Optimalfläche“ im Bereich von - 0,2 bis - 1,1 m unter MThw
für den Schierlings-Wasserfenchel in den Maßnahmengebieten Zollenspieker
(5 790 m²) und Spadenlander Busch/Kreetsand (8 400 m²) aus. Auch diese
Zahlen sind - abgesehen davon, dass sie mangels Änderung der Begründung
der Planfeststellungsbeschlüsse nicht zu den darin genannten Flächenangaben
passen - nicht schlüssig untersetzt. So stimmen die Höhenangaben zu den Op-
timalflächen in der Begründung zur Protokollerklärung nicht mit den Angaben in
der Legende der Karte aus der Ausführungsplanung überein. Überdies bleiben
Unklarheiten hinsichtlich der Böschungsgradienten. Für das Maßnahmengebiet
Zollenspieker ist keine aktualisierte Karte vorgelegt worden.
Daneben fehlt es nach wie vor an substantiierten Darlegungen dazu, warum ein
Aufwuchsschlüssel von 0,1 Individuen/m² realistisch und hinreichend vorsorg-
lich ist. Die in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, welche Samen-
menge für die Aussaat benötigt wird und ob diese verfügbar ist, stellt zwar kei-
nen zwingenden Bestandteil der Eingriffs- und Ausgleichsbilanz dar. Hierzu
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konnten die Beklagten aber ebenfalls keine zufriedenstellenden Angaben ma-
chen.
Im Rahmen der notwendigen Überarbeitung der Eingriffs- und Ausgleichsbilanz
werden sich die Beklagten mit den von den Klägern in der mündlichen Verhand-
lung schriftlich formulierten Einwänden zu den neuen Flächenangaben etc. im
Einzelnen auseinandersetzen müssen.
Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass die Beklagten sich der Aufga-
be, auch die dem flächenbezogenen Ansatz zugrunde gelegten Annahmen und
Setzungen nachvollziehbar darzulegen, nicht mit dem Hinweis entziehen kön-
nen, der flächenbezogene Ansatz sei nur hilfsweise angewandt worden. Dass
die Eingriffs-Ausgleichs-Bilanzierung „hilfsweise“ auf der Grundlage eines rein
flächenbezogenen Ansatzes vorgenommen wurde, geht auf eine Anregung der
EU-Kommission zurück (PFB S. 1377). Diese ist bei ihrer Zustimmung vom
6. Dezember 2011 (abgedruckt im PFB S. 1935 ff.) davon ausgegangen, dass
der Umfang der für den Schierlings-Wasserfenchel vorgeschlagenen Aus-
gleichsmaßnahmen mindestens dem Dreifachen der potenziell beeinträchtigten
Flächen und der Stückzahl der betroffenen Art entspricht (S. 1940). Für die
Kommission war demnach auch der flächenbezogene Ansatz relevant.
Sollte sich die Eingriffs-/Ausgleichsbilanz in ihren der Kommission unterbreite-
ten wesentlichen Annahmen nicht plausibel unterlegen lassen, werden die Be-
klagten ggf. deren erneute Beteiligung in Erwägung ziehen müssen.
Die Änderung der Nebenbestimmung in A.II.3.14.2 Satz 5 durch Protokollerklä-
rung in der mündlichen Verhandlung begegnet keinen Bedenken. Der Senat
versteht sie dahingehend, dass die Überwachung nunmehr mindestens über
einen Zeitraum von 16 Jahren erfolgt. Die Beklagten werden allerdings prüfen
müssen, ob weitere Folgeänderungen erforderlich sind, weil die Auflagen in
A.II.3.14.2 Satz 5 und A.II.3.14.4 auf ein zehnjähriges Mittel abstellen, dies aber
möglicherweise mit den in A.II.3.14.1 Satz 2 genannten Zeiträumen „kollidiert“.
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Im Übrigen bestehen nach vorläufiger Einschätzung des Senats keine beachtli-
chen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Planfeststellungsbeschlüsse.
Dr. Nolte Krauß Dr. Philipp
Schipper Brandt
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