Urteil des BVerwG vom 18.11.2013

Aufschiebende Wirkung, Verfügung, Vollziehung, Verein

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 VR 1.13
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. November 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller und Hahn
beschlossen:
Die Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung der Klagen der Antragsteller gegen den Bescheid
des Bundesministeriums des Innern vom 25. Februar
2013 werden abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller je zur
Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30 000 € fest-
gesetzt.
G r ü n d e :
I
Das für die Antragsgegnerin handelnde Bundesministerium des Innern stellte
mit Verfügung vom 25. Februar 2013 fest, dass sich die Vereinigung DawaFFM,
die Antragstellerin zu 1, einschließlich des Internationalen Jugendvereins Dar al
Schabab, des Antragstellers zu 2, als ihrer Teilorganisation gegen die verfas-
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sungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richte.
DawaFFM und Dar al Schabab seien verboten und würden aufgelöst. Ferner
wurden die Bildung von Ersatzorganisationen, die Fortführung bestehender Or-
ganisationen als Ersatzorganisationen und die Verwendung von Kennzeichen
von DawaFFM oder Dar al Schabab für die Dauer der Vollziehbarkeit des Ver-
bots untersagt. Das Vermögen der verbotenen Organisationen sowie näher be-
zeichnete Forderungen und Sachen Dritter wurden beschlagnahmt und einge-
zogen. Mit Ausnahme der Einziehungsanordnungen wurde die Verfügung für
sofort vollziehbar erklärt.
Die Antragsteller haben Anfechtungsklagen gegen die Verbotsverfügung erho-
ben (Az.: BVerwG 6 A 3.13). Sie beantragen die Wiederherstellung der auf-
schiebenden Wirkung der Klagen. Die Antragsgegnerin tritt dem Begehren ent-
gegen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und
Behördenakten Bezug genommen.
II
Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO statthaften und
auch sonst zulässigen Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wir-
kung der Klagen sind unbegründet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung
der angefochtenen Verfügung ist in formeller (1.) und materieller (2.) Hinsicht
nicht zu beanstanden.
1. Die Antragsgegnerin hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollzie-
hung der Verbotsverfügung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO schriftlich hinrei-
chend begründet. Sie hat zum einen auf das besondere Gewicht der Rechtsgü-
ter abgestellt, die bei einer zu erwartenden Fortsetzung der als Vereinstätigkeit
erfassten Aktivitäten bedroht seien. Zum anderen hat sie auf die Gefahr verwie-
sen, dass Vermögensgegenstände, nicht veröffentlichte Unterlagen und Propa-
gandamaterial, die Grundlage dieser Aktivitäten seien, beiseite geschafft und
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später zur Fortsetzung derselben verfassungswidrigen Tätigkeit im Sinne des
Art. 9 Abs. 2 GG verwendet werden würden.
2. Die Anträge haben in der Sache keinen Erfolg, weil bei der im Rahmen der
Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung
dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verbotsverfügung
der Vorrang vor dem Interesse der Antragsteller am Aufschub der Vollziehung
gebührt. Diese Bewertung kann sich bereits unabhängig von der Frage der Er-
folgsaussicht der erhobenen Klagen auf Teile des Vortrags der Antragsteller im
gerichtlichen Verfahren stützen (a) und ist jedenfalls deshalb gerechtfertigt, weil
nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand Überwiegendes dafür spricht,
dass die angefochtene Verfügung rechtmäßig ist und die Antragsteller deshalb
im Hauptsacheverfahren voraussichtlich unterliegen werden (b).
a) Ein wesentlicher Einwand, mit dem die Antragstellerin zu 1 die Rechtmäßig-
keit der Verbotsverfügung im gerichtlichen Verfahren bestritten hat, geht dahin,
die DawaFFM stelle keinen Verein im Sinne des Vereinsgesetzes dar. Es gebe
vielmehr lediglich eine Internetplattform mit dieser Bezeichnung, die von dem
Vorsitzenden des Antragstellers zu 2 betrieben werde. Gesetzt den Fall, dieser
abschließend erst im Hauptsacheverfahren zu beurteilende Vortrag entspräche
den Tatsachen, würde sich zwar bereits aus diesem formellen Grund die Ver-
botsverfügung, soweit sie gegen die Antragstellerin zu 1 gerichtet ist, als
rechtswidrig erweisen. Gleichwohl kann im Rahmen des Eilverfahrens vorläufig
darauf abgestellt werden, dass die die Antragstellerin zu 1 repräsentierenden
Personen, sofern sie sich tatsächlich nicht zu einem Verein im Sinne des § 2
Abs. 1 VereinsG zusammengeschlossen haben sollten, durch das dann mate-
riell ins Leere gehende Vereinsverbot in ihren Tätigkeiten nicht derart beein-
trächtigt werden, dass eine Außervollzugsetzung der Verbotsverfügung geboten
ist.
Hinsichtlich des Antragstellers zu 2 besteht ungeachtet der Frage seiner Eigen-
schaft als Teilorganisation eines verfassungswidrigen Vereins schon deshalb
keine Notwendigkeit, die aufschiebende Wirkung der erhobenen Anfechtungs-
klage im Wege einer Eilentscheidung vorläufig wiederherzustellen, weil er vor-
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tragen lässt, er habe bereits seit langem - genauer, seit es sich als unmöglich
erwiesen habe, den Bau einer Moschee in Frankfurt am Main zu realisieren -
keine Tätigkeit mehr entfaltet.
b) Für die Aufrechterhaltung des angeordneten Sofortvollzugs der angefochte-
nen Verbotsverfügung spricht zudem, dass sich diese nach dem für das Verfah-
ren des vorläufigen Rechtsschutzes maßgeblichen Erkenntnisstand des Senats
aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen wird.
Die Antragsgegnerin hat eine dichte Kette von Indizien für einen Vereinscharak-
ter der Antragstellerin zu 1 und für die Eigenschaft des Antragstellers zu 2 als
Teilorganisation dieses Vereins beigebracht. Sie hat ferner das Eingreifen der
Vereinsverbotsgründe des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2
Alt. 2 GG und des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 3
GG nach summarischer Prüfung in sich schlüssig begründet. Demgegenüber
haben die Antragsteller im gerichtlichen Verfahren bisher eine Grundlage für
durchgreifende Bedenken gegen die materielle Rechtmäßigkeit der Verbotsver-
fügung nicht aufzuzeigen vermocht.
Es spricht insbesondere wenig dafür, dass sich die für die Entscheidung des
vorliegenden Falles relevanten Umstände im Sinne der Argumentation der An-
tragsteller auf - vor dem Hintergrund des Grundrechtes aus Art. 4 Abs. 1 und 2
GG zu würdigende - theologische Bekundungen zum Islam reduzieren lassen.
Vielmehr hat die Antragsgegnerin mit von den Antragstellern nicht ansatzweise
erschütterter Nachvollziehbarkeit dargelegt, dass die Äußerungen und Bestre-
bungen, die nach derzeitigem Erkenntnisstand zu Recht der DawaFFM als Ver-
ein zugeschrieben werden, jedenfalls in zweierlei Hinsicht den Bereich des rein
Religiösen verlassen haben und in Befürwortungen von Gewalt übergegangen
sind, die auch unter Berücksichtigung der Gewährleistung des Art. 4 Abs. 1 und
2 GG die in Rede stehenden Vereinsverbotsgründe erfüllen (vgl. zu dem Ver-
hältnis dieser Normen allgemein: Urteile vom 27. November 2002 - BVerwG 6 A
4.02 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 35 S. 37 ff. und - BVerwG 6 A 1.02 -
Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 36 S. 49 f. sowie vom 25. Januar 2006
- BVerwG 6 A 6.05 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 44 Rn. 9 ff.).
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Dabei handelt es sich zum einen um die Rechtfertigung der schweren gewalt-
samen Ausschreitungen, die Teilnehmer einer Demonstration gegen das Zei-
gen der sog. Mohammed-Karrikaturen durch andere Demonstranten Anfang
Mai 2012 in Solingen und Bonn begangen haben, und die mit dieser Billigung
verbundenen Drohungen auch gegenüber staatlichen Stellen. Die Äußerungen,
die die Antragsteller hierzu bisher im gerichtlichen Verfahren abgegeben haben,
haben einen bagatellisierenden Charakter und werden der Gewichtigkeit der in
Rede stehenden Vorwürfe nicht gerecht. Zum anderen gehört in diesen Zu-
sammenhang die Verherrlichung von Gewaltanwendung gegen Juden, Schiiten,
Christen und Angehörige westlicher Staaten in sog. Nashids und Bittgebeten.
Auch hiervon haben sich die Antragsteller bisher jedenfalls nicht in überzeu-
gender Weise distanziert.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO
i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes
beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
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