Urteil des BVerwG vom 21.07.2010

Verfassungsschutz, Recht auf Bildung, Bundesamt, Politische Tätigkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 6 C 22.09
OVG 16 A 845/08
Verkündet
am 21. Juli 2010
Jesert
Hauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 21. Juli 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge, Dr. Graulich, Vormeier
und Dr. Möller
für Recht erkannt:
Die Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 2009 und des Ver-
waltungsgerichts Köln vom 13. Dezember 2007 werden
aufgehoben.
Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
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G r ü n d e :
I
Der Kläger, Mitglied der Partei DIE LINKE, wendet sich gegen die Sammlung
personenbezogener Informationen über ihn durch das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz.
Die Partei DIE LINKE entstand im Juni 2007 aus der Verschmelzung der Partei
Die Linkspartei.PDS (Die Linke.PDS) mit der Partei Arbeit & soziale Gerechtig-
keit - Die Wahlalternative (WASG). Die Partei Die Linkspartei.PDS (Die Lin-
ke.PDS) ist ihrerseits aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands
(SED) hervorgegangen. Diese benannte sich im Dezember 1989 in Sozialisti-
sche Einheitspartei Deutschlands - Partei des Demokratischen Sozialismus
(SED-PDS) und im Februar 1990 in Partei des Demokratischen Sozialismus
(PDS) um. Ab Juli 2005 führte sie die Bezeichnung Die Linkspartei.PDS (Die
Linke.PDS).
Der 1956 geborene Kläger war von 1981 bis 1990 Gewerkschaftssekretär in
Mittelhessen. 1990 ging er nach Thüringen und war dort bis 1999 Landesvorsit-
zender der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen. Im April 1999
trat er der PDS bei. Von Oktober 1999 bis Oktober 2005 war er Abgeordneter
im Thüringer Landtag, zunächst als stellvertretender Vorsitzender und ab 2001
als Vorsitzender der Landtagsfraktion. Zudem war er deren gewerkschafts- und
wirtschaftspolitischer Sprecher. Im Oktober 2005 wurde der Kläger in den Bun-
destag und dort zum stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion gewählt. Im
August 2009 wurde er erneut in den Thüringer Landtag gewählt und ist dort
Vorsitzender der Fraktion der Partei DIE LINKE.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz führt über den Kläger eine Personenak-
te, in der Unterlagen über seine politischen Aktivitäten zusammengestellt sind.
Die Informationen reichen bis in die 1980er Jahre zurück. Sie wurden zunächst
bei der Beobachtung der DKP und ihres Umfelds gewonnen, seit 1999 bei der
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Beobachtung der PDS bzw. der Linkspartei.PDS sowie gegenwärtig der Partei
DIE LINKE. Das Bundesamt erhebt Informationen über die Tätigkeit des Klä-
gers in der und für die Partei sowie über seine Abgeordnetentätigkeit, jedoch
ohne sein Abstimmungsverhalten und seine Äußerungen im Parlament sowie in
den Ausschüssen. Anfang 2003 erfuhr der Kläger, dass das Bundesamt über
ihn Informationen sammelt.
Der Kläger hat daraufhin beim Verwaltungsgericht Klage mit dem Antrag erho-
ben, festzustellen, dass die Sammlung personenbezogener Informationen über
ihn durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig ist, soweit es sich
um Informationen handelt, die (1.) bis zur Aufnahme des Landtagsmandats im
Oktober 1999, (2.) während der Zeit des Landtagsmandats und (3.) während
der Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter erhoben worden sind. Das Verwal-
tungsgericht hat das Verfahren abgetrennt, soweit es die Sammlung von Infor-
mationen über den Kläger bis zur Aufnahme des Landtagsmandats im Oktober
1999 betroffen hat. Im Übrigen, soweit die Klage die Zeit als Abgeordneter des
Thüringer Landtags und des Bundestags betrifft, hat das Verwaltungsgericht
festgestellt, dass die Sammlung personenbezogener Informationen über den
Kläger durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig ist.
Mit ihrer Berufung hat die Beklagte die Abweisung der Klage beantragt. Der
Kläger hat im Berufungsverfahren seinen erstinstanzlichen Antrag dahin klar-
gestellt, festzustellen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtswidrig
Informationen über ihn in der Zeit seines Landtagsmandats sowie seit der
Übernahme seines Bundestagsmandats bis zur mündlichen Verhandlung erho-
ben hat, und die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, über ihn künftig
personenbezogene Daten zu erheben.
Das Oberverwaltungsgericht hat durch Vernehmung eines Zeugen Beweis dar-
über erhoben, ob seit Oktober 1999 im Bundesamt für Verfassungsschutz die
Anordnung getroffen wurde, personenbezogene Daten über den Kläger mit Mit-
teln der heimlichen Informationsbeschaffung zu erheben. Es hat sodann durch
das angefochtene Urteil festgestellt, dass das Bundesamt für Verfassungs-
schutz rechtswidrig Informationen über den Kläger in der Zeit seines Land-
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tagsmandats (von Oktober 1999 bis Oktober 2005) sowie in der Zeit von der
Übernahme seines Bundestagsmandats im Oktober 2005 bis zum 13. Februar
2009 aus allgemein zugänglichen Quellen erhoben hat. Das Oberverwaltungs-
gericht hat die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, über den Kläger künftig
personenbezogene Daten aus allgemein zugänglichen Quellen zu erheben. Im
Übrigen hat es die Klage abgewiesen, nämlich insoweit, als der Kläger mit sei-
nem Antrag auch begehrt hat, festzustellen, dass das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz Informationen über ihn rechtswidrig mit den Mitteln der heimlichen
Informationsbeschaffung erhoben hat, und die Beklagte zu verurteilen, zukünftig
den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel der heimlichen Informationsbe-
schaffung zu unterlassen. Insoweit hat das Oberverwaltungsgericht angenom-
men, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe das Bundesamt Informa-
tionen über den Kläger seit Oktober 1999 nicht heimlich, sondern allein aus all-
gemein zugänglichen Quellen beschafft.
Soweit das Oberverwaltungsgericht der Klage stattgegeben hat, hat es im Kern
zur Begründung ausgeführt: Die Gesamtschau aller vorhandenen tatsächlichen
Anhaltspunkte deute darauf hin, dass die Parteien PDS, Linkspartei.PDS und
heute DIE LINKE Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grund-
ordnung verfolgten, die darauf gerichtet seien, die im Grundgesetz konkretisier-
ten Menschenrechte, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentari-
schen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit
gegenüber der Volksvertretung sowie das Recht des Volkes, die Volksvertre-
tung in allgemeiner und gleicher Wahl zu wählen, zu beseitigen oder außer Gel-
tung zu setzen. Eine weitere Aufklärung durch das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz erscheine deshalb erforderlich. Die Voraussetzungen für eine Be-
schaffung von Informationen über den Kläger aus allgemein zugänglichen
Quellen (offene Beobachtung) seien allein schon wegen seiner politischen Be-
tätigung in der Partei DIE LINKE (früher: PDS/Linkspartei.PDS) gegeben, auch
wenn keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der
Kläger selbst durch seine Parteiarbeit politisch bestimmte, ziel- und zweck-
gerichtete Verhaltensweisen gegen die freiheitliche demokratische Grundord-
nung verfolge. Die offene Beobachtung von Abgeordneten durch das Bundes-
amt für Verfassungsschutz bedürfe auch keiner besonderen Ermächtigungs-
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grundlage. Im Einzelfall des Klägers stehe aber das freie Mandat seiner offenen
Beobachtung entgegen. Die offene Beobachtung greife jedenfalls deshalb in
das freie Mandat ein, weil sie zumindest mit faktischen Nachteilen für die po-
litische Tätigkeit eines Abgeordneten verbunden sein könne. Mit der Beobach-
tung durch den Verfassungsschutz sei eine „Stigmatisierung“ verbunden, die
den Zugang zu dem Teil der Bevölkerung erschweren könne, der sich als ver-
fassungstreu betrachte. Wenn die offene Beobachtung des Klägers durch Ver-
fassungsschutzbehörden allgemein bekannt werde, könne es für ihn schwieri-
ger werden, Anhänger und Wähler für sich und seine Partei zu gewinnen sowie
mit der Bevölkerung in Kontakt zu kommen. Demgegenüber sei eine unmittel-
bar drohende Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht
gegeben. Die Partei DIE LINKE habe in ihrer parlamentarischen Arbeit und bei
Regierungsbeteiligungen bislang keine Aktivitäten unternommen, die Ansätze
für eine Überwindung der herrschenden Staats- und Gesellschaftsordnung er-
kennen ließen. Den Gruppierungen innerhalb der Partei, bei denen Anhalts-
punkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung
bestünden, komme innerhalb der Partei zwar nennenswerter, bislang aber kein
bestimmender Einfluss zu. Dass das Bundesamt für Verfassungsschutz ohne
eine Beobachtung des Klägers bei der gebotenen Gewinnung von Informatio-
nen über die Partei DIE LINKE in nicht hinzunehmender Weise an der Erfüllung
seiner Aufgaben gehindert oder dabei zumindest beeinträchtigt würde, habe
weder die Beklagte substantiiert vorgetragen noch sei dies sonst ersichtlich.
Das Bundesamt könne die relevanten Informationen in erster Linie durch die
Beobachtung der Partei als solcher, einzelner in ihr bestehender Gruppierungen
sowie anderer führender Parteimitglieder gewinnen. Diese geringe Bedeutung
einer Beobachtung des Klägers könne einen Eingriff in das freie Mandat nicht
rechtfertigen. Insoweit sei maßgeblich, dass der Kläger zwar Spitzenfunktionär
der Partei sei, jedoch keiner Gruppierung innerhalb der Partei angehöre, bei der
der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen bestehe, wenn er auch die
Kräfte innerhalb der Partei nicht aktiv bekämpfe, die solcher Bestrebungen
verdächtig seien.
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Soweit das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen hat, hat der Senat
die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision zurückge-
wiesen.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag
weiter, die Klage in vollem Umfang abzuweisen: Die Erhebung von Informatio-
nen über den Kläger sei auch mit Rücksicht auf dessen Status als Abgeordne-
ter rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig. Die gegenteilige Wertung des
Oberverwaltungsgerichts sei nicht nachvollziehbar, beruhe auf einer Verletzung
des Überzeugungsgrundsatzes und stehe namentlich im Widerspruch zu den
Feststellungen, die das Oberverwaltungsgericht an anderer Stelle zu Recht
über die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Partei DIE LINKE, der Stel-
lung des Klägers als eines Spitzenfunktionärs dieser Partei und die deshalb
begründete Erforderlichkeit gerade seiner Beobachtung getroffen habe. Das
Oberverwaltungsgericht leite die faktischen Nachteile für die politische Betäti-
gung des Klägers daraus her, dass dessen Beobachtung durch den Verfas-
sungsschutz allgemein bekannt werde. Der Kläger habe aber seine Beobach-
tung durch den Verfassungsschutz selbst publik gemacht. Er könne nicht unter
Hinweis auf die dadurch angeblich ausgelöste Erschwernis seiner Arbeit die
Rechtswidrigkeit seiner Beobachtung geltend machen.
Der Kläger hält das Berufungsurteil zwar im Ergebnis, nicht aber in den Grün-
den für zutreffend: Das Oberverwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus,
dass die Partei DIE LINKE vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet
werden dürfe. Die Partei verfolge keine Bestrebungen, die gegen die freiheitli-
che demokratische Grundordnung gerichtet seien. Bei seiner gegenteiligen
Einschätzung sei das Oberverwaltungsgericht von unzutreffenden rechtlichen
Maßstäben ausgegangen. Seine tatsächliche Würdigung beruhe auf einer Ver-
letzung des Überzeugungsgrundsatzes und der Pflicht zur Aufklärung des
Sachverhalts.
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II
Die Revision der beklagten Bundesrepublik Deutschland ist begründet. Das
angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) und stellt sich
nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Bei zutreffender Anwendung des § 8 des Gesetzes über die Zusammenarbeit
des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und
über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz
- BVerfSchG) hätte das Oberverwaltungsgericht die Klage in vollem Umfang ab-
weisen müssen. Die Erhebung von Informationen über den Kläger durch das
Bundesamt für Verfassungsschutz war in der hier in Rede stehenden Zeit
rechtmäßig, verstieß insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Verhältnis-
mäßigkeit (§ 8 Abs. 5 BVerfSchG). Deshalb kann der Kläger auch nicht bean-
spruchen, dass das Bundesamt eine Erhebung von Informationen über ihn
künftig unterlässt. Diese Beurteilung kann der Senat auf der Grundlage der tat-
sächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts selbst abschließend
treffen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Die Revisionsgründe, die der Kläger
im Wege der Gegenrüge gegen diese Feststellungen vorgebracht hat, sind
entweder unzulässig oder unbegründet (§ 137 Abs. 2 VwGO), so dass die
Feststellungen für den Senat bindend sind.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz erhob und erhebt Informationen über
den Kläger mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung (1. a)); auch
der Einsatz solcher Mittel zur Informationsbeschaffung stellt einen Eingriff in die
Rechte des Betroffenen dar, der deshalb einer Ermächtigungsgrundlage bedarf
(1. b)). Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung von Informationen mit den
Mitteln der offenen Informationsbeschaffung ist § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG
(2.). Diese Vorschrift deckt die Erhebung von Informationen über den Kläger,
weil die Partei DIE LINKE verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt (3.) und
die deshalb erforderliche Erhebung von Informationen durch den Verfassungs-
schutz auf den Kläger als eines ihrer herausgehobenen Mitglieder erstreckt
werden darf (4.).
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1. a) Nach den Feststellungen im Berufungsurteil hat das Bundesamt für Ver-
fassungsschutz Informationen über den Kläger in der Zeit von Oktober 1999 bis
zur mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht mit den Mitteln
der offenen Informationsbeschaffung erhoben.
Bei dieser Art der Informationsbeschaffung werden Informationen aus offenen
Quellen gesammelt und ausgewertet. Offene Quellen sind Informationsträger,
die für jedermann, wenn auch nur unter gewissen Umständen, zugänglich sind.
Dazu zählen Zeitungen und Zeitschriften, Rundfunk- und Fernsehsendungen
sowie Internetangebote. Weiter rechnen dazu die sonstigen offen zugänglichen
Verlautbarungen der beobachteten Organisationen (Presseerklärungen, Flug-
blätter, Programme, Aufrufe), der Besuch öffentlicher Veranstaltungen sowie
Erkundigungen aus öffentlich zugänglichen Karteien und Registern.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz führt über den Kläger eine Personenak-
te, in der aus solchen allgemein zugänglichen Quellen Unterlagen über seine
politischen Aktivitäten zusammengestellt sind. Die Erhebung von Informationen
über den Kläger umfasste dessen gesamte Tätigkeit im linken politischen
Spektrum, seine Aktivitäten in der und für die Partei DIE LINKE sowie zuvor in
und für die Parteien PDS und Linkspartei.PDS, Teile seiner Abgeordnetentätig-
keit im Bundestag und im Thüringer Landtag sowie seine sonstigen politischen
Betätigungen. Bei der Erhebung von Informationen über die Abgeordnetentä-
tigkeit des Klägers sind allein sein Abstimmungsverhalten und seine Äußerun-
gen im Parlament sowie in dessen Ausschüssen außer Betracht geblieben. Die
Informationen über seine Arbeit als Abgeordneter betreffen nach den Feststel-
lungen des Oberverwaltungsgerichts andere Aspekte dieser Tätigkeit: Das
Bundesamt für Verfassungsschutz hat allein dokumentiert, wenn dem Kläger in
den Fraktionen, denen er angehörte, besondere Funktionen (beispielsweise als
Vorsitzender, stellvertretender Vorsitzender oder Sprecher für bestimmte Poli-
tikbereiche) übertragen wurden (Berufungsurteil Seite 42).
b) Bei der Erhebung von Informationen mit den Mitteln der offenen Informati-
onsbeschaffung handelt es sich um einen Eingriff, wenn die gewonnenen In-
formationen einzelnen Personen oder Personenmehrheiten zugeordnet werden.
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Unter „Erhebung“ ist die aktive Informationsbeschaffung zu verstehen, nicht die
zufällige Erlangung von Informationen beispielsweise durch unverlangte
Mitteilungen. Erhebung ist nur die intendierte, auf den Betroffenen gezielte
Informationsbeschaffung (Borgs, in: Borgs/Ebert, Das Recht der Geheimdiens-
te, BVerfSchG § 3 Rn. 13). Wer am öffentlichen Leben in Wort, Schrift oder
Aktion teilnimmt, willigt damit nicht notwendig in die gezielte, auf Vollständigkeit
angelegte Erhebung oder gar Speicherung aller seiner öffentlichen Äußerungen
ein. Die zielgerichtete Sammlung öffentlicher Verhaltensweisen oder Äußerun-
gen einer bestimmten Person ist daher als „Erhebung“ im datenschutzrechtli-
chen Sinne anzusehen (Borgs a.a.O. Rn. 13), die an gesetzliche Vorausset-
zungen gebunden ist. Dem steht nicht entgegen, dass es dem Staat nicht ver-
wehrt ist, von jedermann zugänglichen Informationsquellen unter denselben
Bedingungen wie jeder Dritte Gebrauch zu machen. Ein Eingriff in das Grund-
recht auf informationelle Selbstbestimmung ist jedoch anzunehmen, wenn - wie
hier - die aus öffentlich zugänglichen Quellen stammenden Daten durch ihre
systematische Erhebung, Sammlung und Erfassung einen zusätzlichen Aussa-
gewert erhalten (vgl. BVerfG, Urteil vom 11. März 2008 - 1 BvR 2074/05 und
1 BvR 1254/07 - BVerfGE 120, 378 <398 f.>).
2. Ermächtigungsgrundlage (Befugnisnorm) für die Erhebung von Informationen
mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung ist § 8 Abs. 1 Satz 1
BVerfSchG. Nach dieser Vorschrift darf das Bundesamt für Verfassungsschutz
die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich
personenbezogener Daten erheben, verarbeiten und nutzen. Aufgabe des
Bundesamts ist nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG unter anderem die Sammlung
und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbe-
zogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über Bestrebungen, die ge-
gen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. In diesem
Sinne sind Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung
solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in
einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, ei-
nen der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze zu besei-
tigen oder außer Geltung zu setzen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG).
Zu diesen Verfassungsgrundsätzen gehören das Recht des Volkes, die Volks-
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vertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu
wählen, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposi-
tion, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der
Volksvertretung sowie die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (§ 4
Abs. 2 Buchst. a, c, d und g BVerfSchG).
3. Der Kläger war bzw. ist in den Parteien PDS, Linkspartei.PDS und
DIE LINKE tätig. Bei diesen Parteien handelte und handelt es sich um Perso-
nenzusammenschlüsse im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG
(a)), weil nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwal-
tungsgerichts bei ihnen im streitigen Zeitraum tatsächliche Anhaltspunkte für
Bestrebungen im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung vorlagen (b)).
a) Unter die Personenzusammenschlüsse im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1
Buchst. c BVerfSchG fallen auch Parteien. Der Anwendung der Vorschrift auf
sie stehen weder das Parteienprivileg aus Art. 21 Abs. 2 GG (aa)) noch das
Selbstbestimmungsrecht der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG (bb)) entgegen.
aa) Nach Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG entscheidet zwar ausschließlich das Bun-
desverfassungsgericht über die Frage der Verfassungswidrigkeit politischer
Parteien. Vor Ergehen einer solchen Entscheidung ist ein administratives Ein-
schreiten gegen den Bestand einer politischen Partei ausgeschlossen. Gegen
die Partei, ihre Funktionäre, Mitglieder und Anhänger dürfen wegen ihrer mit
allgemein erlaubten Mitteln arbeitenden parteioffiziellen Tätigkeiten keine recht-
lichen Sanktionen angedroht oder verhängt werden. Die Beobachtung durch ein
Amt für Verfassungsschutz ist aber keine solche Maßnahme, sondern dient der
Aufklärung des Verdachts, dass die Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.
Die Zulässigkeit einer solchen Aufklärung wird von der Verfassung vorausge-
setzt. Auch ohne die Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit darf die Überzeu-
gung gewonnen und vertreten werden, eine Partei verfolge verfassungsfeindli-
che Ziele (Urteil vom 7. Dezember 1999 - BVerwG 1 C 30.97 - BVerwGE 110,
126 <130 f.>).
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bb) Soweit § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1
Satz 1 Buchst. c BVerfSchG das Bundesamt für Verfassungsschutz ermächtigt,
bei Anhaltspunkten verfassungsfeindlicher Bestrebungen eine politische Partei
zu beobachten, steht die Vorschrift mit Art. 21 Abs. 1 GG in Einklang.
Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG wirken die Parteien bei der politischen
Willensbildung des Volkes mit; ihre Gründung ist frei. Das Grundgesetz setzt
die Staatsfreiheit der Parteien als frei gegründeter, im gesellschaftlich-
politischen Bereich wurzelnder Gruppen voraus und gewährleistet ihre Unab-
hängigkeit vom Staat. Ihnen steht das Recht auf Selbstbestimmung zu. Zu des-
sen Kernbereich gehört das Recht der Parteien, selbst und ohne staatliche Ein-
flussnahme oder Überwachung über ihre Ziele, Organisation und Tätigkeiten zu
entscheiden. Sowohl die Freiheit der inneren Willensbildung als auch die freie
Entfaltung der Tätigkeiten als Partei sind gewährleistet.
Das Selbstbestimmungsrecht der Parteien findet seine Schranke in der Ent-
scheidung des Grundgesetzes für eine „streitbare Demokratie“. Diese Grund-
entscheidung ist im Wesentlichen aus Art. 9 Abs. 2, Art. 18, Art. 20 Abs. 4,
Art. 21 Abs. 2 und Art. 28 Abs. 3 GG herzuleiten. Sie wird in den Zuständig-
keitsvorschriften der Art. 73 Nr. 10 Buchst. b und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG be-
stätigt. Das Grundgesetz vertraut aufgrund geschichtlicher Erfahrung nicht al-
lein darauf, die freiheitliche Demokratie werde sich im Prozess der öffentlichen
Meinungsbildung ohne Weiteres behaupten. Es hat darüber hinaus dem Staat
die Aufgabe übertragen, die zentralen Grundwerte der Verfassung durch (re-
pressive) Schutzvorkehrungen zu sichern und zu gewährleisten. Die Beobach-
tung einer politischen Partei auf verfassungsfeindliche Bestrebungen hin zielt
dabei nicht ausschließlich darauf ab, die Entscheidung über repressive staatli-
che Maßnahmen vorzubereiten. Sie bezweckt vielmehr auch, Informationen
über die aktuelle Entwicklung verfassungsfeindlicher Kräfte, Gruppen und Par-
teien im Vorfeld einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Verfas-
sungsordnung zu gewinnen und zu sammeln und damit die Regierung und die
Öffentlichkeit in die Lage zu versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu
erkennen und diesen in angemessener Weise, namentlich mit politischen Mit-
teln entgegenzuwirken. Um die Überschreitung der Linie feststellen zu können,
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von der an verfassungsfeindliche Betätigungen zu einer Gefahr für die freiheit-
lich demokratische Grundordnung werden, der nicht mehr mit politischen Mit-
teln, sondern nurmehr mit juristischen Mitteln begegnet werden kann, muss
dieses Vorfeld notwendig beobachtet werden (so unter Zusammenfassung der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Urteil vom 7. Dezember 1999
- BVerwG 1 C 30.97 - BVerwGE 110, 126 <131 ff.>).
Der Gesetzgeber hat die Aufgaben und Befugnisse des Bundesamts für Ver-
fassungsschutz so bestimmt, dass Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der
Parteien auf das zur Selbstverteidigung der freiheitlichen Demokratie zwingend
Gebotene beschränkt bleiben. Die widerstreitenden Prinzipien der Parteienfrei-
heit und der streitbaren Demokratie sind namentlich in § 8 Abs. 5 BVerfSchG
und § 9 BVerfSchG mit Hilfe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einem
angemessenen Ausgleich zugeführt. Die Beachtung des Grundsatzes der Ver-
hältnismäßigkeit im Einzelfall genügt zur Wahrung der Rechte und schützens-
werten Belange Betroffener. Dies gilt auch für politische Parteien (Urteil vom
7. Dezember 1999 - BVerwG 1 C 30.97 - BVerwGE 110, 126 <134 f.>).
Werden die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung von Parteien
durch den Verfassungsschutz eingehalten und wird dabei insbesondere der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt, greift diese Beobachtung nicht
stärker in den offenen Wettbewerb der Parteien um die Möglichkeit politischer
Gestaltung ein, als dies mit Rücksicht auf die Verteidigung der verfassungs-
rechtlichen Grundlagen der Demokratie erforderlich ist. Das Bundesverfas-
sungsschutzgesetz lässt es nicht zu, den Verfassungsschutz darüber hinaus
einseitig parteipolitisch, namentlich im Interesse der Regierungsparteien zu in-
strumentalisieren. Missbräuchlich, und deshalb von den eingeschränkten Er-
mächtigungsgrundlagen des Bundesverfassungsschutzgesetzes nicht gedeckt,
wäre eine einseitige und gezielte, zudem verdeckte Weitergabe von gewonne-
nen Erkenntnissen an einzelne Parteien oder Politiker, namentlich zur Verwen-
dung im Wahlkampf. Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes, Munition
für den Wahlkampf bereitzustellen. Welche Folgerungen daraus für die Anfor-
derungen zu stellen sind, unter denen in einem Verfassungsschutzbericht (§ 16
Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG) politische Parteien oder einzelne Personen als ext-
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remistisch oder verfassungsfeindlich bewertet werden dürfen, bedarf hier keiner
Entscheidung.
b) In dem hier streitigen Zeitraum von Oktober 1999 bis Februar 2009 lagen
nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts tatsächliche Anhalts-
punkte (aa)) für Bestrebungen in den Parteien PDS, Linkspartei.PDS und DIE
LINKE vor, die im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet waren. Das dazu entwickel-
te Rechtsverständnis des Oberverwaltungsgerichts entspricht der Rechtslage
(bb)). Das Oberverwaltungsgericht hat außerdem festgestellt, dass die verfas-
sungsfeindlichen Bestrebungen in politisch ziel- und zweckgerichtete Verhal-
tensweisen im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG eingemündet
sind (cc)). Die dazu jeweils getroffenen tatsächlichen Feststellungen binden
mangels darauf gerichteter, zulässiger und begründeter Rügen das Revisions-
gericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO.
aa) Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG reichen für das
Tätigwerden des Bundesamts für Verfassungsschutz „tatsächliche Anhalts-
punkte“ für verfassungsfeindliche Bestrebungen, konkret für Gefährdungen der
gesetzlich näher beschriebenen Verfassungsrechtsgüter aus. Die Regelung
verlangt keine Gewissheit darüber, dass Bestrebungen vorliegen, die gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind.
Allerdings hat das Oberverwaltungsgericht eingangs seiner Würdigung (auch)
von tatsächlichen Anhaltspunkten „für den Verdacht“ von Bestrebungen der
Parteien PDS, Linkspartei.PDS und DIE LINKE gegen die freiheitliche demo-
kratische Grundordnung gesprochen. Entgegen der Auffassung des Klägers hat
das Oberverwaltungsgericht damit aber nicht die Schwelle für die Beobachtung
der Parteien entgegen dem maßgeblichen Recht herabgesetzt, mit der weiteren
Folge, dass seine tatsächliche Würdigung, weil von einem falschen rechtlichen
Maßstab ausgehend, revisionsgerichtlich zu beanstanden wäre. Liegen An-
haltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundord-
nung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen. Die Anhaltspunkte müs-
sen mithin geeignet sein, einen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen
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zu begründen. Die dann einsetzende Beobachtung dient der Klärung dieses
Verdachts. Nichts anderes hat das Oberverwaltungsgericht gemeint, wenn es
von Anhaltspunkten für einen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen
spricht.
Das Tatbestandsmerkmal „tatsächlicher Anhaltspunkt“ verlangt allerdings mehr
als bloße Vermutungen. Es müssen konkrete und in gewissem Umfang verdich-
tete Umstände als Tatsachenbasis für den Verdacht vorliegen (vgl. hierzu auch:
Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 14. Juli 1999 - 1 BvR 2226/94 -
BVerfGE 100, 313 <395>). Zur Annahme eines Verdachts kann ferner die Ge-
samtschau aller vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte führen, wenn jeder
für sich genommen einen solchen Verdacht noch nicht zu begründen vermag
(Urteil vom 17. Oktober 1990 - BVerwG 1 C 12.88 - BVerwGE 87, 23 <28>).
Diese Anforderungen an die tatsächlichen Anhaltspunkte genügen den verfas-
sungsrechtlichen Vorgaben auch unter Berücksichtigung der grundgesetzlich
garantierten freien Betätigung der Parteien. Weitere Eingrenzungen für die zu-
lässige Beobachtung einer Partei lassen sich nicht der Entscheidung entneh-
men, die der Kläger in diesem Zusammenhang anführt (BVerfG, Beschluss vom
24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 - BVerfGE 113, 63). Sie befasst sich mit Blick auf
die grundrechtlich garantierte Pressefreiheit mit der Aufnahme einer
Wochenzeitung in den Verfassungsschutzbericht und dem dort enthaltenen
Hinweis auf den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Das Bundes-
verfassungsgericht arbeitet zunächst im Anschluss an frühere Rechtsprechung
heraus, wann das Informationshandeln der Regierung als Eingriff in ein Grund-
recht zu werten ist und unter welchen Voraussetzungen ein solcher Eingriff ge-
rechtfertigt sein kann. Es hebt dabei insbesondere (und insoweit auch mit Be-
deutung für die bloße Beobachtung einer Partei) hervor, es seien keine verfas-
sungsrechtlichen Bedenken dagegen zu erheben, dass das Vorliegen tatsächli-
cher Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen für
die Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht ausreicht. Das Bundesverfas-
sungsgericht betont im Anschluss daran vor allem den Grundsatz der Verhält-
nismäßigkeit: Die tatsächlichen Anhaltspunkte müssten hinreichend gewichtig
sein. Rechtfertigten sie nur den Schluss, dass möglicherweise ein Verdacht
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begründet sei, reichten sie als Grundlage einer Grundrechtsbeeinträchtigung
nicht aus. Stünden die Bestrebungen noch nicht fest, begründeten tatsächliche
Anhaltspunkte aber einen entsprechenden Verdacht, müsse dessen Intensität
hinreichen, um die Veröffentlichung in Verfassungsschutzberichten auch ange-
sichts der nachteiligen Auswirkungen auf die Betroffenen zu rechtfertigen
(BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 - BVerfGE 113, 63
<81>). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt auch die Möglichkeit,
Parteien wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu beobachten. Die Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich aber insoweit nicht ohne
Weiteres übertragen. Das Gewicht des Eingriffs in die freie Betätigung der Par-
teien ist ein anderes, je nachdem ob sie (nur) beobachtet werden oder ob als
Ergebnis einer solchen Beobachtung die Öffentlichkeit über Gefährdungen der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung unterrichtet werden soll, die von
der Partei ausgehen. Die Beobachtung dient gerade der Aufklärung, ob Bestre-
bungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gegeben sind, die,
ohne schon zum Mittel des Verbotsantrags zu greifen, doch die politische Aus-
einandersetzung mit dieser Partei erforderlich machen und ob zu diesem Zweck
auch das Mittel einer Warnung der Öffentlichkeit über den Verfassungs-
schutzbericht eingesetzt werden soll. Diese Abstufung der Reaktion auf mögli-
che Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung
gerichtet sind, schließt es aus, jeweils das gleiche Gewicht für tatsächliche An-
haltspunkte für solche Bestrebungen zu verlangen.
bb) Nach den den Senat bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsge-
richts gab bzw. gibt es in den Parteien PDS, Linkspartei.PDS und heute DIE
LINKE tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche
demokratische Grundordnung gerichtet sind, nämlich gegen das Recht des
Volkes, die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und
geheimer Wahl zu wählen, gegen das Recht auf Bildung und Ausübung einer
parlamentarischen Opposition, gegen die Ablösbarkeit der Regierung und ihre
Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung sowie gegen die im Grund-
gesetz konkretisierten Menschenrechte.
32
- 17 -
Mit diesen zentralen Verfassungswerten nicht vereinbar sind eine sozialistische
Revolution und die Diktatur des Proletariats im klassisch marxistisch-
leninistischen Sinne einer sozialistisch- kommunistischen Gesellschaftsord-
nung. In einer solchen Gesellschaft sind - vor allem in der Phase der Diktatur
des Proletariats - die Wahrung der im Grundgesetz konkretisierten Menschen-
rechte, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposi-
tion, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der
Volksvertretung sowie allgemeine und gleiche Wahlen nicht gewährleistet. Nach
marxistisch-leninistischer Lehre ist die Diktatur des Proletariats eine notwendige
Vorstufe zur Erreichung des Sozialismus. In dieser Phase wandelt das
Proletariat, das durch eine Revolution die Macht ergriffen hat, in fortgesetzten
revolutionären Kämpfen die kapitalistische Gesellschaft in eine sozialistisch-
kommunistische um. Hierzu bedarf es einer Unterdrückung des Widerstands
der durch die Revolution entmachteten Klasse. Die Staatsgewalt ist bei der
Staatspartei - der Kommunistischen Partei - konzentriert, die Trägerin des
Klassenkampfes ist. Die so verstandene Diktatur des Proletariats ist mit der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes unvereinbar.
Es wäre nicht denkbar, den Wesenskern des Grundgesetzes aufrechtzuerhal-
ten, wenn eine Staatsordnung errichtet würde, die die kennzeichnenden Merk-
male der Diktatur des Proletariats trüge. In einem derartigen Gemeinwesen sind
die Menschenrechte nicht gewährleistet. Für die Angehörigen der unterdrückten
Klasse ist das selbstverständlich. Da alles staatliche Handeln der Aufgabe der
grundlegenden Neugestaltung der staatlichen Ordnung und der Erreichung des
Sozialismus untergeordnet ist, stehen auch den Mitgliedern der herrschenden
Klasse Grundrechte nur insoweit zu, als sie der Festigung der Diktatur des
Proletariats zumindest nicht entgegenstehen. Angesichts der Allmacht der
Kommunistischen Partei und ihrer alleinigen Einsicht in die politischen
Notwendigkeiten scheiden eine Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der
Volksvertretung und erst recht Bildung und Ausübung einer parlamentarischen
Opposition aus. Die Erörterung von Methoden und Einzelmaßnahmen ist
ausgeschlossen, sobald sie einmal von der herrschenden Partei autoritativ
verkündet worden sind. Angesichts dessen bestehen auch für eine Ablösbarkeit
der Regierung sowie allgemeine und gleiche Wahlen kein Raum und kein Be-
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- 18 -
dürfnis (BVerfG, Urteil vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51 - BVerfGE 5, 85
<147 ff.> KPD-Verbot).
Das Oberverwaltungsgericht hat die ihm vorliegenden Unterlagen dahin gewür-
digt, aus ihnen ergäben sich tatsächliche Anhaltspunkte von hinreichendem
Gewicht und in ausreichender Zahl dafür, dass durchaus namhafte Teile der
Partei eine politische Umgestaltung der Bundesrepublik Deutschland verfolgten,
nämlich durch eine sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats im
klassisch marxistisch-leninistischen Sinne eine sozialistisch-kommunistische
Gesellschaftsordnung anstrebten.
Diese Würdigung kann revisionsgerichtlich nicht beanstandet werden. Das Bun-
desverwaltungsgericht ist deshalb an sie als Revisionsgericht gebunden und hat
sie seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Indem § 137 Abs. 2 VwGO das
Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz bindet,
entzieht die Vorschrift insbesondere die Beweiswürdigung des Tatrichters einer
umfassenden revisionsgerichtlichen Nachprüfung. Dem Tatsachengericht ist die
Aufgabe übertragen, sich im Wege der freien Beweiswürdigung unter Ab-
wägung verschiedener Möglichkeiten seine Überzeugung über den zu ent-
scheidenden Sachverhalt zu bilden. Dieser Vorgang ist revisionsgerichtlich nur
eingeschränkt nachprüfbar (Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG
9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 20). Eine Grenze der freien
Beweiswürdigung bildet nach der einen Seite hin das anzuwendende Recht und
dessen Auslegung. Nach der anderen Seite hin ergibt sich die Grenze daraus,
dass der Überzeugungsgrundsatz nicht für eine Würdigung in Anspruch ge-
nommen werden kann, die im Vorgang der Überzeugungsbildung an einem
Fehler leidet, etwa weil das Gericht gesetzliche Beweisregeln, allgemeine Er-
fahrungssätze, unumstrittene Geschichtstatsachen oder gar die Denkgesetze
missachtet oder Tatsachen berücksichtigt hat, die sich weder auf ein Beweiser-
gebnis noch sonst auf den Akteninhalt stützen lassen (Urteil vom 25. Mai 1984
- BVerwG 8 C 108.82 - Buchholz 448.0 § 11 WPflG Nr. 35 S. 16; Urteil vom
14. Januar 1998 - BVerwG 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <123>). Das Ge-
richt verstößt gegen das Gebot, seiner Überzeugungsbildung das Gesamter-
gebnis des Verfahrens zugrunde zu legen, wenn es von einem unrichtigen oder
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unvollständigen Sachverhalt ausgeht, insbesondere Umstände übergeht, deren
Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen (Urteil vom
23. September 2004 - BVerwG 7 C 23.03 - BVerwGE 122, 85 <92>).
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ist hingegen nicht schon dann in
einer revisionsgerichtlich beachtlichen Weise verletzt, wenn auch eine inhaltlich
andere Überzeugung möglich gewesen wäre. Der Überzeugungsgrundsatz
setzt geradezu voraus, dass auch eine andere Überzeugung hätte gewonnen
werden können. Er findet seine Grenze insoweit erst da, wo eine andere Über-
zeugungsbildung zwingend gewesen wäre, die Beweiswürdigung des Tatsa-
chengerichts also die Denkgesetze verletzt. Daraus folgt zugleich, dass eine
Überzeugung, die als solche fehlerfrei gewonnen wurde, grundsätzlich nicht
schon durch die Darlegung von Tatsachen erschüttert werden kann, die ledig-
lich belegen, dass auch eine inhaltlich andere Überzeugung möglich gewesen
wäre (Urteil vom 25. Mai 1984 - BVerwG 8 C 108.82 - Buchholz 448.0 § 11
WPflG Nr. 35 S. 16).
Das Oberverwaltungsgericht hat die Grenzen, die seiner freien Beweiswürdi-
gung gesetzt sind, weder in die eine noch in die andere Richtung überschritten.
Der Senat hat nicht feststellen können, dass das Oberverwaltungsgericht bei
der Bewertung der Umstände, die für die Feststellung verfassungsfeindlicher
Bestrebungen in der Partei DIE LINKE maßgeblich waren, die gesetzlichen
Tatbestandsmerkmale rechtlich fehlerhaft ausgelegt und angewandt hat, auf die
hin der Sachverhalt zu würdigen war.
Das Oberverwaltungsgericht hat nicht verkannt, dass Bestrebungen gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1
Buchst. c und Abs. 2 BVerfSchG nicht allein deshalb vorliegen, weil eine auch
grundlegende Umgestaltung der wirtschaftspolitischen Verhältnisse als politi-
sches Ziel verfolgt wird. Entgegen auch in der mündlichen Verhandlung ange-
klungener Kritik hat das Oberverwaltungsgericht beispielsweise die Forderung
nach einer Verstaatlichung von Banken nicht für sich als Ausweis verfassungs-
feindlicher Bestrebungen gewertet. Das Oberverwaltungsgericht hat vielmehr
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- 20 -
ausdrücklich hervorgehoben (Seite 54 f. des Urteilsabdrucks), es widerspräche
vernünftiger Betrachtung, Anhaltspunkte für Verfassungsfeindlichkeit schon
deshalb zu bejahen, weil eine Partei das Ziel ihrer Arbeit am gesellschaftlichen
Umbau mit „Sozialismus“, „demokratischer Sozialismus“, „sozialistische Gesell-
schaft“ oder ähnlichen Formulierungen umschreibt. Der Begriff „Sozialismus“
werde im politischen Sprachgebrauch nicht nur im klassischen marxistisch-
leninistischen Sinne benutzt, sondern könne auch eine als sozial verstandene,
grundlegende Umgestaltung der wirtschaftspolitischen Verhältnisse meinen, die
den Rahmen des Grundgesetzes nicht überschreite. Auch die Begriffe „Revolu-
tion“, „Kapitalismus“, „Demokratie“ und „Menschenrechte“ würden nicht einheit-
lich verwandt. „Revolution“ bedeute nicht notwendig einen gewaltsamen Um-
sturz der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes, sondern könne
auch eine radikale, sich aber noch im Rahmen des Grundgesetzes haltende
Umgestaltung der Gesellschaft sein. Der Begriff des „Kapitalismus“ könne auf
die Wirtschaftsordnung beschränkt sein, aber auch die ihn ermöglichende poli-
tische Ordnung erfassen.
Von diesem zutreffenden rechtlichen Verständnis der Bestrebungen gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehend hat das Oberverwal-
tungsgericht programmatische Aussagen und Forderungen festgestellt, die wei-
tergehend auf eine Umgestaltung der Staats- und Gesellschaftsordnung im
klassisch marxistisch-leninistischen Sinne einer sozialistisch- kommunistischen
Gesellschaftsordnung zielen.
Derartige Forderungen hat das Oberverwaltungsgericht zum einen bei der
Kommunistischen Plattform ausgemacht (Seite 55 f. des Urteilsabdrucks). Es
hat deren programmatische Äußerungen unter Hinweis auf die insoweit ausge-
werteten Dokumente dahin ausgelegt, dass die Mitglieder dieses parteiinternen
Zusammenschlusses sich der Sache nach ausdrücklich zu einer sozialistischen
Revolution und der Diktatur des Proletariats bekennten: Ihre Forderungen nach
einem „Sozialismus im Marx'schen Sinne“, einem „wissenschaftlichen Sozialis-
mus von Marx und Engels“, einer Partei, die „im Geiste von Marx, Engels und
Lenin gegen das Kapital, für den Sozialismus“ wirke, und einer Gesellschafts-
ordnung, „in welcher die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ab-
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- 21 -
geschafft und der Mensch nicht länger ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein
verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“, ließen verständigerweise keine an-
dere Interpretation zu. Die Aussage, die angestrebte Gesellschaft werde „natür-
lich in ihrer Anfangsphase alles andere als perfekt“ sein, und der Hinweis auf
die Notwendigkeit, „unlogische, nicht objektive, ungerechte, einfache Macht“
einzusetzen, seien vor diesem ideologischen Hintergrund nur als kaum verhoh-
lene Bekenntnisse zur Diktatur des Proletariats und zur Gewaltanwendung
während dieser Vorphase des Sozialismus zu verstehen. Wenn nach anderen
Ausführungen gegenwärtig keine revolutionäre Situation bestehe, der Kapita-
lismus aber „von immer mehr Menschen als asozial, nicht friedfertig und als
immer weniger demokratisch empfunden“ werde, woran „zur Zeit des Zustan-
dekommens von ‚Deutschland einig Vaterland’ nicht zu denken gewesen“ sei,
werde damit nicht bloß die politische Lage beschrieben, sondern der Hoffnung
auf das Entstehen einer revolutionären Stimmung in Deutschland Ausdruck
verliehen.
Das Oberverwaltungsgericht hat zum anderen ebenfalls an Hand ausgewerteter
und im Einzelnen bezeichneter Dokumente festgestellt (Seite 56 f. des Ur-
teilsabdrucks), auch das Marxistische Forum bekenne sich offen zu Zielen, die
mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar seien: Es
fordere nicht nur, „den Herrschenden ihre ökonomischen Machtgrundlagen zu
entreißen“, sondern wolle ihnen auch ihre „politische Macht (...) nehmen“. Damit
stelle es - so die Wertung des Oberverwaltungsgerichts - unmissverständlich
klar, dass es sich nicht darauf beschränke, für wirtschaftspolitische Verän-
derungen einzutreten, die im Rahmen des Grundgesetzes zulässig seien. Dass
das Marxistische Forum vielmehr anstrebt, die bestehende staatliche Ordnung
durch ein gänzlich anderes Gemeinwesen zu ersetzen, hat das Oberverwal-
tungsgericht beispielhaft Aussagen entnommen, in denen das Grundgesetz als
eine Verfassung beschrieben wird, die „nach marxistischem Verständnis Resul-
tat von Klassenkämpfen“ und „Waffenstillstandslinie bzw. Grenzmarke der
kämpfenden Klassen“ sei, die „auch nach ihrer Annahme immer wieder um-
kämpft“ sei. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Aussagen dahin ausgelegt,
die angestrebte Umgestaltung der Staats- und Gesellschaftsordnung solle auch
durch eine sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats im klas-
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sisch marxistisch-leninistischen Sinne erreicht werden: Ein anderes Verständnis
ließen die Bekenntnisse zu „Verbreitung marxistischen Wissens und dialek-
tischen Herangehens“ und „marxistischer Verfassungsbetrachtung“ sowie die
Auffassung nicht zu, die „marxistische Linke“ benötige „eine revolutionäre Partei
(...), die den Kampf um Gesellschaftsveränderung - letztlich um sozialistische
Neuorganisierung der Gesellschaft - begreife und führe“.
Schließlich hat das Oberverwaltungsgericht die Linksjugend ['solid], die als Ju-
gendorganisation der Partei DIE LINKE anerkannt ist, zu den Gruppierungen
gezählt, die der Partei zuzurechnen seien und die tragende Prinzipien der frei-
heitlichen demokratischen Grundordnung offen ablehnten (Seite 57 des Ur-
teilsabdrucks). Es hat diese Einschätzung beispielhaft auf eine Veröffentlichung
gestützt, in der die Linksjugend ['solid] den Parlamentarismus als „Kasperlethe-
ater zur Legitimation kapitalistischer Verhältnisse“ verunglimpft. Das Oberver-
waltungsgericht hat daraus und aus weiteren Äußerungen dieser Gruppierung
die Folgerung gezogen, die Linksjugend ['solid] spreche dem Parlament seine in
der Staatsordnung des Grundgesetzes zentrale Rolle bei der politischen Wil-
lensbildung ab: Sie wolle das Parlament lediglich für ihre Zwecke instrumentali-
sieren, indem sie es als „Bühne (...) für den Kampf um eine gerechtere Welt“
nutze, der „schwerpunktmäßig außerhalb der Parlamente“ stattfinden solle.
Die Sichtung des umfangreichen Materials und die daran anknüpfende Bewer-
tung, welche Aussagen und welches Verhalten nach ihrem Gewicht für die von
der Partei verfolgten Ziele tatsächlich von Bedeutung sind, bildet danach eben-
so wie die Würdigung mehrdeutiger Aussagen den Kern der freien Beweiswür-
digung, die dem Tatsachengericht, nicht aber dem Bundesverwaltungsgericht
als Revisionsgericht obliegt. Dass der Kläger die vom Oberverwaltungsgericht
herangezogenen Dokumente anders bewertet, ergibt noch keinen Verstoß ge-
gen den Überzeugungsgrundsatz, der die Bindung des Senats an die Schluss-
folgerungen tatsächlicher Art beseitigen könnte, die das Oberverwaltungsge-
richt in freier Beweiswürdigung aus den von ihm ausgewerteten Dokumenten
gezogen hat.
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Zwar hat das Oberverwaltungsgericht bei seiner Würdigung verfassungsfeindli-
che Bestrebungen nur bei einzelnen Gruppierungen innerhalb der Partei DIE
LINKE festgestellt. Damit hat es aber ebenfalls nicht den rechtlichen Rahmen
verlassen, der ihm bei der Würdigung des Sachverhalts durch die Tatbestands-
voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG gezogen war.
Anhaltspunkte für Bestrebungen einer Partei, die gegen die freiheitliche demo-
kratische Grundordnung gerichtet sind, sind nicht nur dann gegeben, wenn die
Partei in ihrer Gesamtheit solche Bestrebungen entfaltet. Das Oberverwal-
tungsgericht verweist zutreffend darauf (Seite 52 des Urteilsabdrucks), dass
gerade die innere Zerrissenheit einer Partei, Flügelkämpfe und eine Annähe-
rung an extremistische Gruppierungen oder Parteien eine Beobachtung durch
Verfassungsschutzbehörden erfordern können. Nur so ist festzustellen, in wel-
che Richtung sich die Partei letztlich bewegt. Allein durch die Beobachtung
können die Regierung, das Parlament und die Öffentlichkeit über den Fortgang
der weiteren, noch nicht abgeschlossenen Entwicklung der Partei sachkundig
und angemessen unterrichtet werden. So können eindeutige verfassungsfeind-
liche Bestrebungen einzelner Gruppierungen innerhalb einer Partei Anhalts-
punkte dafür liefern, in welche Richtung die Partei sich entwickeln kann. Das
erfordert die Beobachtung der Partei insgesamt, nicht nur der einzelnen Grup-
pierung, mag auch diese für sich einen Personenzusammenschluss im Sinne
des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG darstellen. Das Oberverwaltungs-
gericht hat bei seiner Würdigung die Gesamtpartei als Bezugspunkt nicht aus
den Augen verloren, sondern stets danach gefragt, inwieweit die von ihm fest-
gestellten verfassungsfeindlichen Bestrebungen einzelner Gruppierungen für
die künftige Entwicklung der Gesamtpartei von Bedeutung sein können.
Zu den Gruppierungen Kommunistische Plattform, Marxistisches Forum und
Linksjugend ['solid] hat das Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang
festgestellt, sie seien keine innerhalb der Partei unbedeutenden Splittergrup-
pen, sondern besäßen nach ihrer satzungsmäßigen Stellung, der Zahl ihrer
Mitglieder, ihrem Rückhalt bei der Gesamtheit der Parteimitglieder und dem
sich hieraus ergebenden Einfluss nennenswertes Gewicht innerhalb der Partei
(Seite 57 ff. des Urteilsabdrucks).
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Das Oberverwaltungsgericht leitet dies zum einen aus programmatischen Äu-
ßerungen der Partei her, in denen die Partei sich als plural bzw. pluralistisch
bezeichne und das Ziel verfolge, unterschiedliche Kräfte des linken politischen
Spektrums zu binden. Hierbei beziehe sie ausdrücklich auch radikale Kräfte
(Bundesgeschäftsführer Dr. Dietmar Bartsch) und solche Kräfte mit ein, „die die
gegebenen Verhältnisse fundamental ablehnen“ (Parteiprogramm der Linkspar-
tei.PDS). Das Oberverwaltungsgericht verweist zum anderen auf die Satzung
der Partei, die in ihrem § 7 innerparteilichen Zusammenschlüssen eine beson-
dere Stellung einräume: Sie seien entsprechend ihren Schwerpunktthemen ak-
tiv in die Arbeit von Parteivorstand, Kommissionen und Arbeitsgruppen aller
Ebenen einzubeziehen, könnten Delegierte zum Parteitag entsenden und er-
hielten im Rahmen des Finanzplanes finanzielle Mittel für ihre Arbeit. Das
Oberverwaltungsgericht knüpft seine Wertung aber nicht allein an die zahlen-
mäßige Stärke der von ihm als verfassungsfeindlich gekennzeichneten Grup-
pierungen und die Zahl der ihnen satzungsgemäß vorbehaltenen Sitze in den
Gremien der Partei an, sondern auch an den Rückhalt ihrer Arbeit in der Ge-
samtpartei. Der Senat ist wiederum an die auf diese Umstände zusammenge-
nommen gestützte tatsächliche Wertung gebunden, die vom Oberverwaltungs-
gericht als verfassungsfeindlich angesehenen Gruppierungen innerhalb der
Partei besäßen einen Einfluss von nennenswertem Gewicht. Was der Kläger
gegen den Einfluss der Gruppierungen Kommunistische Plattform, Marxisti-
sches Forum und Linksjugend ['solid] in der Partei anführt, stellt nur eine ab-
weichende Würdigung des Sachverhalts dar, die trotz des wiederholten Hinwei-
ses auf den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) und die Verletzung
der Denkgesetze die Voraussetzungen einer erfolgreichen Verfahrensrüge nicht
erfüllt und die Bindungswirkung der gegenteiligen Feststellungen des Ober-
verwaltungsgerichts nicht entfallen lässt.
Das Oberverwaltungsgericht hat umgekehrt gerade nicht feststellen können,
dass diesen Gruppierungen ein nennenswertes Gewicht mit dem Argument
abgesprochen werden könne, die von ihnen initiierten und unterstützten Strö-
mungen in der Partei könnten sich angesichts einer Übermacht grundgesetz-
konformer Meinungen und Aktivitäten niemals durchsetzen. Das Oberverwal-
tungsgericht benennt insoweit zahlreiche gewichtige Hinweise, die aus seiner
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Sicht Zweifel daran begründen, dass sich die Partei als solche vorbehaltlos zum
zentralen Wertesystem des Grundgesetzes bekennt (Seite 59 ff. des Ur-
teilsabdrucks). Es spricht in diesem Zusammenhang von einem „Nährboden“ für
verfassungsfeindliche Bestrebungen, der es derzeit nicht ausgeschlossen
erscheinen lasse, dass es den Zusammenschlüssen Kommunistische Plattform,
Marxistisches Forum und Linksjugend ['solid] insbesondere auch im Zu-
sammenwirken gelinge, ihre gegen die freiheitliche demokratische Grundord-
nung gerichteten Bestrebungen innerhalb der Partei DIE LINKE durchzusetzen.
Für diese Aussage verwertet das Oberverwaltungsgericht Aussagen im Partei-
programm, die nach seiner Ansicht deutlich machten, dass die von der Partei
angestrebten Veränderungen nicht auf die Wirtschaftspolitik beschränkt seien,
sondern die bestehenden Gesellschafts- und Machtverhältnisse insgesamt
betreffen sollten (Seite 60 f. des Urteilsabdrucks): In diesen Formulierungen
könnten sich die Kräfte in der Partei wiederfinden, die den Übergang zu einer
sozialistischen Gesellschaft im marxistisch-leninistischen Sinne anstrebten. Das
Oberverwaltungsgericht verweist beispielhaft auf das Parteiprogramm
Linkspartei.PDS. In ihm heiße es unter anderem, es bedürfe „alternativer Ge-
sellschaftsstrukturen, die von der Verwirklichung gemeinschaftlicher Interessen
geprägt sind und die Dominanz privatkapitalistischen Eigentums überwunden
haben“. An anderer Stelle werde dort ausgeführt, sozialistische Politik ziele
„heute auf die Veränderung der Kräfteverhältnisse, die Schaffung der notwen-
digen Voraussetzungen für einen Richtungswechsel der Politik und die damit
verbundene Umgestaltung von Eigentums- und Machtstrukturen“. Das Ober-
verwaltungsgericht sieht darin Belege dafür, dass die von der Partei angestreb-
ten Veränderungen nicht auf die Wirtschaftspolitik beschränkt seien, sondern
die bestehenden Gesellschafts- und Machtverhältnisse insgesamt betreffen
sollten, hält jedenfalls eine dahingehende Auslegung des Parteiprogramms der
Linkspartei.PDS nicht für völlig ausgeschlossen, zumal in den programmati-
schen Eckpunkten der Partei DIE LINKE unter Berufung auf Karl Marx die
„Überwindung aller Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse, in denen der
Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches
Wesen ist“, gefordert und das Ziel formuliert werde, „Bürgerinnen und Bürger
gegen Machtbestrebungen der herrschenden Klasse“ zu „mobilisieren“. Das
Oberverwaltungsgericht räumt zwar ein, eine an die Sprache von Marx, Engels
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und Lenin anknüpfende Ausdrucksweise müsse nicht auf einen verfassungs-
widrigen Inhalt führen, hält der Partei aber vor, ohne eine deutliche Abkehr da-
von bleibe jedenfalls ein tatsächlicher Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche
Bestrebungen.
Wie dem Kläger einzuräumen ist, hat das Oberverwaltungsgericht nicht ange-
nommen, die Partei strebe schon nach ihrem aktuellen Programm eine revolu-
tionäre Umgestaltung der Gesellschaftsordnung an. Zu Recht ist das Oberver-
waltungsgericht aber davon ausgegangen (Seite 50 des Urteilsabdrucks), aus-
reichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen
könnten bereits dann gegeben sein, wenn aussagekräftiges Tatsachenmaterial
lediglich einen Teilbereich der Zielsetzungen, Verlautbarungen und Aktivitäten
des Personenzusammenschlusses widerspiegele. Deren Aussagekraft wird
nicht allein dadurch in Frage gestellt, dass daneben eine Vielzahl von Äuße-
rungen existiert, denen sich keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche
Ausrichtung entnehmen lassen. Der Hinweis auf die Aussagen im Parteipro-
gramm hat in dem hier interessierenden Zusammenhang für das Oberverwal-
tungsgericht zudem nur die Funktion, zu belegen, dass die verfassungsfeindlich
ausgerichteten Gruppen sich mit ihren Bestrebungen auf jedenfalls mehrdeutige
und unklare Aussagen in dem Programm der Gesamtpartei berufen können, mit
der Folge, dass sie nicht als Außenseiter angesehen werden können, die für die
Ausrichtung der Partei gänzlich vernachlässigt werden müssen.
Soweit der Kläger im Weiteren die Auslegung programmatischer Aussagen im
Parteiprogramm durch das Oberverwaltungsgericht angreift und dieser Ausle-
gung seine eigene Deutung entgegensetzt, handelt es sich um einen Angriff auf
die Sachverhaltswürdigung des Tatsachengerichts, der nicht die Voraussetzun-
gen einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge erfüllt.
Diese Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen werden nach den
tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts verstärkt und bestä-
tigt durch Verlautbarungen der Partei insgesamt sowie der Zusammenschlüsse
in ihr, die für eine Solidarisierung mit der DDR und der Republik Kuba stritten
(Seite 61 ff. des Urteilsabdrucks). Das Oberverwaltungsgericht verweist auf die
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totalitären Züge, die die Staatsgewalt in der DDR und in Kuba getragen habe
bzw. trage. Die fehlende Distanz zu und die ausdrückliche Solidarität mit diesen
Staatsgewalten trotz der gravierenden Verletzungen der Menschenrechte dort
verstärkten die Zweifel, ob die Partei die Werte des Grundgesetzes teile, die für
die freiheitliche demokratische Grundordnung grundlegend seien. Das Ober-
verwaltungsgericht räumt zwar ein, dass es in der Partei, beispielsweise in der
Präambel des Parteiprogramms, deutliche Distanzierungen von den Verhältnis-
sen in der DDR gebe. Dem stünden aber ebenso deutliche Versuche gegen-
über, das begangene Unrecht zu relativieren, mit der Folge, dass die PDS, die
Linkspartei.PDS sowie DIE LINKE bei der Würdigung des Unrechts in der DDR
ein unverständliches, uneinheitliches Bild böten.
Das Oberverwaltungsgericht konnte Verlautbarungen aus der Partei zur DDR
heranziehen, ohne damit die rechtlichen Grenzen zu überschreiten, die durch
das Erfordernis von Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische
Grundordnung gezogen sind.
Entgegen in der mündlichen Verhandlung anklingender Kritik hat das Oberver-
waltungsgericht zum einen nicht etwa jede Zustimmung zu wirtschaftlichen und
sozialen Einrichtungen der DDR, wie etwa Polikliniken, pauschal als mangelnde
Distanzierung von der DDR und als Ausweis fehlender Verbundenheit mit den
Grundwerten der Demokratie angesehen. Das Oberverwaltungsgericht hat viel-
mehr Aussagen verwertet, die sich auf Erscheinungen beziehen, die in heraus-
gehobener Weise die der Demokratie und den Menschenrechten feindlichen
Seiten des politischen Systems der DDR kennzeichnen. So hat das Oberver-
waltungsgericht beispielsweise auf eine Äußerung verwiesen, in der der Bau
der Mauer gerechtfertigt wird, weil er berechtigten ökonomischen Interessen
des Staates gedient habe (Seite 62 des Urteilsabdrucks). Die vom Oberverwal-
tungsgericht angeführte Äußerung des zeitweiligen stellvertretenden Bundes-
vorsitzenden der PDS Diether Dehm warnt davor, eine allzu gedankenlose Dis-
tanzierung vom Mauerbau könnte in Zukunft das Verständnis dahin dogmatisch
versperren, wo eine ökonomisch unterentwickelte Region - um mehr Demokra-
tie, mehr Ökologie, mehr Kulturausgaben, mehr Sozialausgaben zu wagen -
sich abschotte oder etwa wegen der Abwerbung der vom Monopolkapital be-
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vorzugten Kräftigen, Jungen, teuer Ausgebildeten verhindern wolle. Andere
Äußerungen, die das Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang ange-
führt hat, betreffen die Verharmlosung, wenn nicht gar Rechtfertigung der
Staatssicherheit der DDR (Seite 63 des Urteilsabdrucks).
Das Oberverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang nicht verkannt,
dass eine verfassungsfeindliche Abkehr von der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung nicht schon bei „Entgleisungen“ einzelner Mitglieder oder An-
hänger angenommen werden kann (Urteil vom 18. Mai 2001 - BVerwG 2 WD
42.00, 43.00 - BVerwGE 114, 258 <265>). Die von ihm angeführten Äußerun-
gen stammen aber beispielsweise von einem ehemaligen stellvertretenden
Bundesvorsitzenden und späteren Vorsitzenden eines Landesverbandes sowie
von dem Ältestenrat der Partei und damit von Persönlichkeiten und Einrichtun-
gen, von denen angenommen werden darf, dass sie zumindest Teile der Partei
repräsentieren und Mitglieder und Wähler an die Partei binden sollen, die mit
ihren Auffassungen übereinstimmen.
Zum anderen hat das Oberverwaltungsgericht die Verlautbarungen aus der
Partei zur DDR nicht isoliert als Belege verfassungsfeindlicher Bestrebungen
gewertet, sondern sie in einen Zusammenhang gestellt mit den von ihm festge-
stellten Bestrebungen einzelner Gruppierungen in der Partei, die auf eine sozia-
listische Revolution und die Diktatur des Proletariats im klassisch marxistisch-
leninistischen Sinne einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung
gerichtet sind. Wenn über diese Gruppierungen hinaus Tendenzen in der Partei
feststellbar sind, die Verhältnisse in der DDR schön zu reden, erlaubt dies wie-
derum den Schluss, dass diese Bestrebungen nicht isoliert in der Partei daste-
hen, sondern - wie das Oberverwaltungsgericht sich ausdrückt - dort einen
Nährboden finden. Die Rechtfertigung der DDR oder die Zurückweisung von
Kritik an ihr kann Anhaltspunkte dafür liefern, was unter dem für sich vieldeuti-
gen Begriff Sozialismus oder sozialistische Gesellschaftsordnung verstanden
oder doch als mit diesen Begriffen vereinbar angesehen wird. In einer politi-
schen Partei handelt es sich bei Aussagen zur DDR nicht um bloße Meinungs-
bekundungen zu einer interessanten zeitgeschichtlichen Frage, sondern um
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einen auf die Gegenwart bezogenen Beitrag zu den politischen Vorstellungen,
die für die Partei erstrebenswert, jedenfalls tolerabel sind.
Unterlagen über die praktische Arbeit der Partei hat das Oberverwaltungsge-
richt zudem Hinweise für eine Annäherung der Partei an extremistische Organi-
sationen im In- und Ausland und deren politische Unterstützung entnommen. Zu
den extremistischen Organisationen im Inland zählt das Oberverwaltungsgericht
die DKP, zu der die Partei DIE LINKE langjährige intensive Kontakte gepflegt
habe und pflege (Seite 63 f. des Urteilsabdrucks). Nach der Wende in der DDR
habe die PDS bei ihren Bemühungen, im politischen System der Bun-
desrepublik akzeptiert zu werden, zunächst auf die Hilfe der DKP gesetzt. In der
Folgezeit habe sich die Zusammenarbeit intensiviert, bis hin zur Aufnahme von
Mitgliedern der DKP in Wahlvorschläge der Partei DIE LINKE. Der auf dem
Parteitag im Mai 2008 gefasste Beschluss, auf den Listen der Partei DIE LINKE
für Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen zukünftig keine Personen mehr
aufzunehmen, die Mitglied in anderen Parteien sind, sei nicht als Abkehr von
dieser Zusammenarbeit zu verstehen. Vielmehr habe sogar der Kläger betont,
der Beschluss sei nicht gegen die DKP gerichtet, sondern solle nur der Gefahr
von Wahlanfechtungen begegnen. Zu den extremistischen Organisationen im
Ausland zählt das Oberverwaltungsgericht ausländische Guerillaorganisationen
wie die kolumbianische FARC, die auf der Terrorliste der EU geführt wird, und
die auch in Deutschland verbotene PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen
KADEK und KONGRA GEL, die die Partei politisch unterstütze, ohne dies von
einer Beendigung terroristischer Aktionen abhängig zu machen.
Auch diese Hinweise haben in der Würdigung des Sachverhalts für das Ober-
verwaltungsgericht die Funktion, die Nähe von Teilen der Partei zu revolutionä-
rer Gewalt und deren Rechtfertigung zu belegen (Seite 64 des Urteilsabdrucks).
Der Kläger unternimmt demgegenüber weithin den Versuch, nachzuweisen,
dass jeder einzelne vom Oberverwaltungsgericht verwertete Umstand für sich
nicht geeignet ist, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu belegen. Das geht
schon deshalb an der Würdigung des Sachverhalts durch das Oberverwal-
tungsgericht vorbei, weil das Oberverwaltungsgericht zutreffend eine Gesamt-
betrachtung anstellt, bei der die Bedeutung einzelner Umstände erst im Lichte
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anderer hervortritt. An das rechtsfehlerfrei zustande gekommene Ergebnis die-
ser Gesamtbetrachtung, nämlich der Feststellung tatsächlicher Anhaltspunkte
verfassungsfeindlicher Bestrebungen, ist der Senat gebunden.
cc) Das Oberverwaltungsgericht hat darüber hinaus festgestellt, dass die ver-
fassungsfeindlichen Bestrebungen in politisch bestimmte, ziel- und zweckge-
richtete Verhaltensweisen im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG
eingemündet sind.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG sind „Bestrebungen gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung“ nur die in diesem Sinne verfolgten
politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen. Das Tatbe-
standsmerkmal einer „politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhal-
tensweise“ erfordert damit über das bloße Vorhandensein bestimmter Bestre-
bungen hinaus ein aktives, nicht jedoch notwendig kämpferisch-aggressives
Vorgehen zu deren Realisierung. Dementsprechend umschreibt das Gesetz
verfassungsschutzrelevante Bestrebungen nicht als politisch motiviert, sondern
als politisch bestimmt. Bestrebungen müssen also zum einen politisch determi-
niert, folglich objektiv geeignet sein, - über kurz oder lang - politische Wirkungen
zu entfalten (Droste, Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 165). Kein
Bestandteil des Merkmals „Bestrebung“ ist ausweislich des Wortlauts der Norm
ein „aktiv kämpferisches“ Verhalten. Zudem definiert das Gesetz den Begriff der
Bestrebung nicht anhand der Merkmale legal/illegal. Es kommt nicht darauf an,
ob bestimmte Verhaltensweisen erlaubt sind oder nicht (Droste, Handbuch des
Verfassungsschutzrechts, S. 168).
§ 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG erfasst Verhaltensweisen, die über rein
politische Meinungen hinausgehen und auf Durchsetzung eines Ziels ausge-
richtet sind. Neben der Durchsetzung des politischen Hauptziels müssen die
Aktivitäten auf die Beeinträchtigung eines der vom Gesetz geschützten Rechts-
güter abzielen und somit ein maßgeblicher Zweck der Bestrebung sein. Die
bloße Inkaufnahme einer entsprechenden Gefährdung ist nicht ausreichend.
Die verantwortlich Handelnden müssen auf den Erfolg der Rechtsgüterbeein-
trächtigung hinarbeiten. Die bloße Übereinstimmung oder Sympathie mit den
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Zielen einer verfassungsfeindlichen Organisation reicht ebenso wie die wissen-
schaftliche Beschäftigung mit einer extremistischen Theorie nicht aus (Droste,
Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 167 ff.). Die eindeutig bestimmbare
Grenze zwischen wissenschaftlicher Theorie und politischem Ziel liegt dort, wo
die betrachtend gewonnenen Erkenntnisse von einer politischen Partei, also
einer ihrem Wesen nach zu aktivem Handeln im staatlichen Leben entschlos-
senen Gruppe, in ihren Willen aufgenommen, zu Bestimmungsgründen ihres
politischen Handelns gemacht werden (BVerfG, Urteil vom 17. August 1956
- 1 BvB 2/51 - BVerfGE 5, 85 <147>).
Diese rechtlichen Vorgaben hat das Oberverwaltungsgericht bei seiner Würdi-
gung des Sachverhalts beachtet. Es hat insoweit zutreffend berücksichtigt, dass
die bloße Kritik an Verfassungswerten und Verfassungsgrundsätzen nicht als
Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzuschätzen ist,
wohl aber darüber hinausgehende Aktivitäten zu deren Beseitigung (BVerfG,
Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 - BVerfGE 113, 63 <81>). Dabei
ist zu berücksichtigen, dass Kritik an der Verfassung und ihren wesentlichen
Elementen ebenso erlaubt ist wie die Äußerung der Forderung, tragende Be-
standteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu ändern. Es ist
allerdings verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Verfassungsschutzbe-
hörde insoweit an die Inhalte von Meinungsäußerungen knüpft, als diese Aus-
druck eines Bestrebens sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu
beseitigen. Es ist dem Staat grundsätzlich nicht verwehrt, aus Meinungsäuße-
rungen Schlüsse zu ziehen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Rechtsgüter-
schutz zu ergreifen. Lassen sich Bestrebungen zur Beseitigung der freiheitli-
chen demokratischen Grundordnung aus Meinungsäußerungen ableiten, dürfen
Maßnahmen zur Verteidigung dieser Grundordnung ergriffen werden. (BVerfG,
Beschluss vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 - BVerfGE 113, 63 <82>). Kritik
an einem Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss
danach nur als „bloße” Kritik unberücksichtigt bleiben, nicht jedoch, wenn sie
verbunden ist mit der Ankündigung konkreter Aktivitäten zur Beseitigung dieses
Verfassungsgrundsatzes oder mit der Aufforderung zu solchen Aktivitäten.
Politische Parteien sind auf politische Aktivität und auf Änderung der politischen
Verhältnisse ausgerichtete Organisationen. Bei Meinungsäußerungen, die von
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oder innerhalb einer politischen Partei abgegeben werden, liegt zumindest
nahe, dass sie mit der Intention einer entsprechenden Änderung der realen
Verhältnisse abgegeben werden (vgl. hierzu Murswiek, NVwZ 2006, 121 <125
und 127>).
Hiervon ausgehend hat das Oberverwaltungsgericht innerhalb der Partei aktive
Verhaltensweisen, insbesondere der Kommunistischen Plattform, des Marxisti-
schen Forums und der Linksjugend ['solid], festgestellt, die darauf gerichtet
sind, mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbare Ziele
zunächst innerhalb der Partei und sodann über diese hinaus allgemein durch-
zusetzen (Seite 66 ff. des Urteilsabdrucks): So bemühten sich die extremisti-
schen Kräfte, ihren Einfluss innerhalb der Partei zu vergrößern, indem sie bei
den Parteimitgliedern massiv um Unterstützung für ihre Positionen würben.
Derartige Bemühungen, parteiintern Unterstützung für ihre eigenen Positionen
zu gewinnen, entfalteten die gegen die freiheitliche demokratische Grundord-
nung gerichteten Kräfte insbesondere zu Zeiten, in denen wesentliche pro-
grammatische Grundentscheidungen anstünden. Die Bemühungen der ge-
nannten Gruppierungen um Einfluss innerhalb und außerhalb der Partei würden
zudem durch ihr Streben nach parteiinternen Ämtern und Parlamentsmandaten
deutlich. Bei sich bietendem Anlass würden gezielt Parteimitglieder und
-anhänger mobilisiert, um den Bundesvorstand und den Parteirat zu Äußerun-
gen zu veranlassen, die geeignet seien, Zweifel daran zu begründen, dass die
Partei die für die freiheitliche demokratische Grundordnung grundlegenden
Werte des Grundgesetzes teile. Anhaltspunkte für über die Partei hinaus wir-
kende Aktivitäten zur Durchsetzung von Zielen, die gegen die freiheitliche de-
mokratische Grundordnung gerichtet seien, ergäben sich insbesondere aus der
Unterstützung, die die Partei linksextremistischen Organisationen, wie insbe-
sondere der DKP, gewähre.
Es kann schließlich von Rechts wegen nicht beanstandet werden, dass das
Oberverwaltungsgericht den von ihm festgestellten tatsächlichen Anhaltspunk-
ten für verfassungsfeindliche Bestrebungen ein hinreichendes Gewicht beige-
messen hat, um nach wie vor eine Beobachtung der Partei DIE LINKE für ge-
rechtfertigt zu halten. Das Oberverwaltungsgericht entnimmt diese tatsächlichen
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Anhaltspunkte im Wesentlichen den programmatischen Verlautbarungen und
sonstigen Äußerungen der Kommunistischen Plattform, des Marxistischen
Forums und der Linksjugend ['solid] sowie deren Mitglieder. Diese Gruppierun-
gen bestehen zwar schon seit langem, ohne dass es ihnen nach den Feststel-
lungen des Oberverwaltungsgerichts gelungen wäre, die Partei DIE LINKE zu
dominieren und in die von ihnen gewünschte Richtung zu drängen. Dass der
Einfluss der offen verfassungsfeindlichen Gruppierungen nicht merklich ge-
wachsen ist, rechtfertigt allein noch nicht die Annahme, diese Gruppierungen
und ihre Ziele hätten nach so langer Zeit jetzt nicht mehr das notwendige Ge-
wicht, um Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Partei
insgesamt zu liefern. Bestehen über die Jahre unverändert tatsächliche An-
haltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen, weil sich diese Anhalts-
punkte trotz mehrjähriger Beobachtung nicht haben ausräumen lassen, recht-
fertigen sie nach wie vor die Beobachtung der Partei durch das Bundesamt für
Verfassungsschutz. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Einschätzung auf
Quellen gestützt, die auch aus jüngerer Zeit stammen. Zudem hat der Zusam-
menschluss der Linkspartei.PDS mit der WASG zur Partei DIE LINKE im Jahre
2007 zu einem beträchtlichen Mitgliederzuwachs geführt und der Partei neue
Wählerschichten eröffnet. Es besteht ein berechtigtes öffentliches Interesse
daran, die Entwicklung der neu zusammengesetzten Partei und ihrer maßgebli-
chen Funktionäre zu beobachten. Insbesondere bedarf der Aufklärung, ob es
den extremistischen Kräften innerhalb der Partei gelingt, die verbreiterte Basis
der Partei innerhalb der Gesellschaft für ihre Zwecke zu nutzen.
4. Die Tätigkeit des Klägers als eines herausgehobenen Mitglieds der Parteien
PDS, Linkspartei.PDS und heute DIE LINKE rechtfertigt es, dass das Bundes-
amt für Verfassungsschutz gemäß § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Abs. 1
Satz 1 Buchst. c BVerfSchG Informationen über ihn mit den Mitteln der offenen
Informationsbeschaffung erhebt (a)). Diese Maßnahme ist verhältnismäßig (b)).
a) § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG verlangt keine Voraussetzungen, die
über die Mitgliedschaft in dem Personenzusammenschluss hinausgehen (aa)).
Einer Beobachtung des Klägers steht nicht entgegen, dass er nach den Fest-
stellungen des Oberverwaltungsgerichts in eigener Person keine verfassungs-
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feindlichen Bestrebungen verfolgt (bb)). Schließlich ist eine Beobachtung des
Klägers nicht deshalb ausgeschlossen, weil § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c
BVerfSchG auf Abgeordnete des Bundestages oder eines Landesparlaments
aus Gründen höherrangigen Rechts nicht anwendbar wäre (cc)).
aa) Über die bisher erörterten Voraussetzungen hinaus, die bei dem Personen-
zusammenschluss im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG vorlie-
gen müssen, hängt die Zulässigkeit der Erhebung von Informationen über den
Kläger nicht von individuellen und subjektiven Beiträgen des Klägers oder sei-
ner intentionalen Beteiligung an Handlungen zur Beseitigung der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung ab. § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG ver-
langt keine Voraussetzungen, die über die Mitgliedschaft in dem Personenzu-
sammenschluss hinausgehen. § 4 Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG gilt mit dem zu-
sätzlichen Erfordernis einer nachdrücklichen Unterstützung nur für Personen,
die nicht in dem Personenzusammenschluss, sondern ausschließlich für diesen
handeln. Die noch weiter reichenden Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 4
BVerfSchG gelten nur für Personen, die weder in noch für den Personenzu-
sammenschluss handeln.
bb) Die Beobachtung des Klägers ist nicht ausgeschlossen, weil er nach den
Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (Seite 68 f. des Urteilsabdrucks) in
eigener Person keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen verfolgt.
Allerdings bindet diese Feststellung das Revisionsgericht (§ 137 Abs. 2 VwGO).
Die insoweit erhobene Verfahrensrüge der Beklagten ist unbegründet. Die An-
nahme des Oberverwaltungsgerichts verstößt nicht gegen die Denkgesetze und
kann deshalb nicht unter diesem Gesichtspunkt den Überzeugungsgrundsatz
des § 108 Abs. 1 VwGO verletzen. Das Oberverwaltungsgericht hat zwar ange-
nommen, dass über die Gruppierungen Kommunistische Plattform, Marxisti-
sches Forum und Linksjugend ['solid] hinaus sich auch in der Gesamtpartei
Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen finden. Mit diesen hat
das Oberverwaltungsgericht den Kläger persönlich aber nicht in Verbindung
gebracht. Auch wenn der Kläger eine führende Rolle in der Partei spielt, ist es
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nicht aus Gründen der Logik ausgeschlossen, dass er selbst keine verfas-
sungsfeindlichen Bestrebungen verfolgt, sondern eine andere Politik will.
§ 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG verlangt jedoch nach seinem Wortlaut
nur, dass die verfassungsfeindlichen Bestrebungen von dem Personenzusam-
menschluss verfolgt werden. Die Beobachtung einzelner Personen, die in ei-
nem solchen Personenzusammenschluss tätig sind, ist nach dieser Vorschrift
auch dann gerechtfertigt, wenn das Mitglied eines solchen Personenzusam-
menschlusses nicht selbst subjektiv das Ziel verfolgt, durch seine Tätigkeit in
dem Personenzusammenschluss die freiheitliche demokratische Grundordnung
ganz oder teilweise zu beseitigen. Vielmehr reicht es aus, dass seine Tätigkeit
objektiv geeignet ist, solche Bestrebungen zu unterstützen. Das Bundesverfas-
sungsschutzgesetz will nach seinem Zweck helfen, objektiv bestehende Gefah-
ren für die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuwehren. Solche Ge-
fahren gehen nicht nur von Personen aus, die der freiheitlichen demokratischen
Grundordnung feindlich gegenüberstehen und sie ganz oder teilweise beseiti-
gen wollen. Ebenso gefährlich können Personen sein, die selbst auf dem Boden
der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen, jedoch bei objektiver
Betrachtung durch ihre Tätigkeit verfassungsfeindliche Bestrebungen fördern,
ohne dies zu erkennen oder als hinreichenden Grund anzusehen, einen aus
anderen Beweggründen unterstützten Personenzusammenschluss zu ver-
lassen. Eine derartige Person, die nicht merkt, wofür sie missbraucht wird, kann
für den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung genauso ge-
fährlich sein wie der Überzeugungstäter (vgl. hierzu auch Urteil vom
11. November 2004 - BVerwG 3 C 8.04 - BVerwGE 122, 182 <191>).
cc) Eine Erhebung von Informationen über den Kläger mit den Mitteln der offe-
nen Informationsbeschaffung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil § 8 Abs. 1
Satz 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG auf Abgeordnete des Bundes-
tages oder eines Landesparlaments nicht angewandt werden dürfte. Die Vor-
schriften beschränken zulässigerweise den Grundsatz des freien Mandats aus
Art. 38 Abs. 1 GG (aaa)). Für eine solche Beschränkung bedarf es keiner be-
sonderen Ermächtigungsgrundlage, die eine Erhebung von Informationen mit
den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung speziell gegenüber Abgeord-
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neten zulässt. Eine solche Notwendigkeit ergibt sich weder aus dem Vorbehalt
des Gesetzes noch besteht ein allgemeiner verfassungsrechtlicher Grundsatz,
wonach Maßnahmen gegen Abgeordnete nur mit Zustimmung des Parlaments
zulässig seien (bbb)). Schließlich steht der Anwendung der § 8 Abs. 1 Satz 1,
§ 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG auf Abgeordnete das Parteienprivileg
nicht entgegen (ccc)).
aaa) Grundlage des freien Mandats ist Art. 38 Abs. 1 GG. Die Abgeordneten
des Deutschen Bundestages sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge
und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen (Art. 38
Abs. 1 Satz 2 GG). Diese Norm schützt nicht nur den Bestand, sondern auch
die tatsächliche Ausübung des Mandats (BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1989
- 2 BvE 1/88 - BVerfGE 80, 188 <218>; Urteil vom 20. Juli 1998 - 2 BvE 2/98 -
BVerfGE 99, 19 <32>). Der Abgeordnete ist - vom Vertrauen der Wähler beru-
fen - Inhaber eines öffentlichen Amtes, Träger eines freien Mandats und, ge-
meinsam mit der Gesamtheit der Mitglieder des Parlaments (BVerfG, Beschluss
vom 24. März 1981 - 2 BvR 215/81 - BVerfGE 56, 396 <405>), Vertreter des
ganzen Volkes (BVerfG, Urteil vom 8. Dezember 2004 - 2 BvE 3/02 -
BVerfGE 112, 118 <134>). Er hat einen repräsentativen Status inne, übt sein
Mandat in Unabhängigkeit, frei von jeder Bindung an Aufträge und Weisungen,
aus und ist nur seinem Gewissen unterworfen (BVerfG, Urteil vom 5. November
1975 - 2 BvR 193/74 - BVerfGE 40, 296 <314, 316>; Beschluss vom
30. September 1987 - 2 BvR 933/82 - BVerfGE 76, 256 <341>).
Die Freiheit des Mandats ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Sie
kann durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang begrenzt werden
(BVerfG, Urteil vom 4. Juli 2007 - 2 BvE 1/06 - BVerfGE 118, 277 <324>). Zu
diesen Grundsätzen gehört, wie erwähnt, das Prinzip der streitbaren Demokra-
tie. Die Tätigkeit des Bundesamts für Verfassungsschutz hat verfassungsrecht-
lichen Rang, insofern es institutionell (Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG) und mit seinen
Aufgaben (Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b GG) im Grundgesetz erwähnt wird.
§ 8 BVerfSchG konkretisiert einfachrechtlich dieses Prinzip der streitbaren De-
mokratie.
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bbb) Soweit Abgeordnete von der Tätigkeit des Bundesamts für Verfassungs-
schutz betroffen sind, bedarf diese Konkretisierung keines Gesetzes, das ein
Tätigwerden gerade gegenüber Abgeordneten erlaubt.
Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt, dass staatliches Handeln in bestimmten
grundlegenden Bereichen durch förmliches Gesetz legitimiert wird. Der Gesetz-
geber ist verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, und
darf sie nicht anderen Normgebern (oder gar der Verwaltung) überlassen.
Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber
bedarf, lässt sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Ei-
genart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungs-
rechtlichen Wertungskriterien sind dabei den tragenden Prinzipien des Grund-
gesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen.
Danach bedeutet wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel
„wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“ (BVerfG, Urteil vom 14. Juli
1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 <251>) und in dem hier in Rede ste-
henden Bereich „wesentlich für die Verwirklichung des freien Mandats“, dessen
verfassungsrechtlich immanente Schranken bestimmt und konkretisiert werden
müssen.
Die danach wesentlichen Entscheidungen hat der Gesetzgeber aber mit § 3
Nr. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c, § 8 BVerfSchG getroffen. Gegenstand dieser
Regelungen sind Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grund-
ordnung und damit politisch motivierte Betätigungen. Dem Gesetzgeber war
aufgrund der Geschichte, auch derjenigen der Bundesrepublik Deutschland,
bewusst, dass Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundord-
nung auch von Parteien ausgehen können, die bei Bundes- oder Landtagswah-
len Mandate errungen haben. Dass die Abgeordneten solcher Parteien in ihnen
zumeist eine herausragende Funktion einnehmen werden und deshalb zuvör-
derst Träger der verfassungsfeindlichen Bestrebungen sein können, lag für ihn
auf der Hand. Dem Gesetzgeber war das Problem einer Anwendung der von
ihm zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung geschaf-
fenen Normen auf Abgeordnete mithin durchaus gegenwärtig. Er konnte ande-
rerseits nicht übersehen, dass die nachrichtendienstliche Beobachtung von Ab-
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geordneten erhebliche Gefahren im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit (Art. 38
Abs. 1 Satz 2 GG) und auf die Mitwirkung der betroffenen Parteien bei der poli-
tischen Willensbildung (Art. 21 GG) und damit für den Prozess demokratischer
Willensbildung insgesamt birgt (BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 2009
- 2 BvE 5/06 - NVwZ 2009, 1092 <1095>). Den deshalb notwendigen Ausgleich
der widerstreitenden Verfassungsprinzipien hat er nicht nur durch die einge-
hend normierten Eingriffsvoraussetzungen selbst, sondern insbesondere auch
mit § 8 Abs. 5, § 9 BVerfSchG geschaffen, die die Tätigkeit des Bundesamts für
Verfassungsschutz einem strikten Gebot der Verhältnismäßigkeit unterwerfen.
Mit diesen Regelungen hat der Gesetzgeber selbst die wesentlichen Ent-
scheidungen für die Auflösung des Spannungsverhältnisses von freiem Mandat
und streitbarer Demokratie getroffen.
Der Gesetzgeber war dabei nicht von Verfassungs wegen gezwungen, die Er-
hebung von Informationen über Abgeordnete durch das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz von der vorherigen Genehmigung des Parlaments abhängig zu
machen.
Dem Grundgesetz lässt sich kein allgemeiner Grundsatz des Inhalts entneh-
men, Maßnahmen anderer staatlicher Gewalten gegen Parlamentarier seien
nur zulässig, wenn sie zuvor vom Parlament genehmigt wurden. Art. 46 Abs. 2
und Abs. 3 GG sehen eine Genehmigung des Bundestages nur vor für die Ein-
leitung eines Strafverfahrens gegen Abgeordnete und für deren Verhaftung, für
sonstige freiheitsbeschränkende Maßnahmen und für die Einleitung eines Ver-
fahrens auf Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG. Diese punktuellen
Regelungen sind nicht verallgemeinerungsfähig.
Die Existenz eines allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsatzes lässt sich
erst recht nicht anhand lediglich einfachrechtlicher Regelungen nachweisen, die
das Verhältnis Verfassungsschutz/Abgeordnete (zudem zumeist nur am Rande)
berühren. Nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 des Gesetzes über die Voraussetzungen und
das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheits-
überprüfungsgesetz - SÜG) gilt das Sicherheitsüberprüfungsgesetz nicht für
Mitglieder der Verfassungsorgane des Bundes. Es ist damit insbesondere auf
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Bundestagsabgeordnete nicht anwendbar. Nach § 3 Abs. 1 SÜG liegt die Zu-
ständigkeit für Sicherheitsüberprüfungen grundsätzlich nicht beim Bundesamt
für Verfassungsschutz. Dieses führt Sicherheitsüberprüfungen nur selbst durch,
wenn Bewerber und Mitarbeiter des eigenen Dienstes betroffen sind (§ 3 Abs. 3
SÜG). Im Übrigen wirkt das Bundesamt für Verfassungsschutz bei Überprüfun-
gen, die andere Behörden durchzuführen haben, lediglich mit (§ 3 Abs. 2 SÜG).
§ 44c Abgeordnetengesetz (AbgG) ermöglicht eine Überprüfung von Bundes-
tagsabgeordneten auf eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der
DDR. Die Vorschrift dient nicht dazu, Abgeordnete aufgrund ihrer besonderen
Stellung in der Ordnung des Grundgesetzes anders als Bürger, die diesen ver-
fassungsrechtlichen Schutz nicht genießen, vor staatlichen Maßnahmen zu
schützen. § 44c AbgG schafft vielmehr staatliche Eingriffsmöglichkeiten, die nur
gegenüber Abgeordneten gelten. Umgekehrt verbietet § 3 Abs. 2 Satz 4 des
Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Ar-
tikel 10-Gesetz) die Einbeziehung von Abgeordnetenpost nur in Maßnahmen,
die sich gegen Dritte richten. Abgeordnetenpost darf danach Gegenstand von
Maßnahmen sein, die gegen den Abgeordneten selbst gerichtet sind. Das Ge-
setz geht damit von der Zulässigkeit solcher Maßnahmen der Verfassungs-
schutzbehörden gegen Abgeordnete aus, obwohl das Artikel 10-Gesetz keine
Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe enthält, die speziell diesen Personenkreis
betreffen.
ccc) Die Tätigkeit des Klägers in der Partei zum Anknüpfungspunkt für Maß-
nahmen des Bundesamts für Verfassungsschutz zu machen, ist schließlich mit
dem Parteienprivileg vereinbar. Zwar schützt das Privileg des Art. 21 Abs. 2 GG
in erster Linie die Parteiorganisation, erstreckt sich jedoch auch auf die mit all-
gemein erlaubten Mitteln arbeitende parteioffizielle oder parteiverbundene Tä-
tigkeit der Funktionäre und Anhänger einer Partei. Es stellt den Bürger bei sol-
chen Tätigkeiten von Sanktionen frei, um ein ungestörtes und unbehindertes
Funktionieren der Partei zu gewährleisten (Urteil vom 17. September 2003
- BVerwG 6 C 4.03 - Buchholz 448.0 § 48 WPflG Nr. 4 S. 9). Aus dem Schutz-
zweck des Art. 21 Abs. 2 GG folgt jedoch, dass der Kläger als Parteimitglied
nicht im Hinblick auf seine Mitgliedschaft in der Partei gegen staatliche Maß-
nahmen geschützt sein kann, die die Partei selbst hinzunehmen hat.
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b) Die Erhebung von Informationen über den Kläger mit den Mitteln der offenen
Informationsbeschaffung wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Von
mehreren geeigneten Maßnahmen hat das Bundesamt für Verfassungsschutz
gemäß § 8 Abs. 5 Satz 1 BVerfSchG diejenige zu wählen, die den Betroffenen
voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf gem. § 8
Abs. 5 Satz 2 BVerfSchG keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer
Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Die Erhebung von Informationen
über den Kläger verfolgt einen legitimen Zweck (aa)), war geeignet (bb)), erfor-
derlich (cc)) und verhältnismäßig im engeren Sinne (dd)).
aa) Bei den Parteien PDS, Linkspartei.PDS und DIE LINKE bestanden und be-
stehen nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwal-
tungsgerichts tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die frei-
heitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Hiervon ausgehend ge-
hörte und gehört die Gewinnung von Informationen über diese Parteien zu den
legitimen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden. Die Beobachtung des
Klägers bezweckt dabei, die bestehenden tatsächlichen Anhaltspunkte für das
Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen weiter aufzuklären und mit den
gewonnenen Informationen die Regierung und die Öffentlichkeit in die Lage zu
versetzen, Art und Ausmaß möglicher Gefahren zu erkennen und diesen in an-
gemessener Weise zu begegnen. Solche Aufklärungsmaßnahmen entspringen
dem bundesrechtlichen Prinzip der streitbaren Demokratie und gehören in die-
sem Zusammenhang zu den Aufgaben, die den Ämtern für Verfassungsschutz
übertragen sind (vgl. Urteil vom 7. Dezember 1999 - BVerwG 1 C 30.97 -
BVerwGE 110, 126 <134 f.>).
bb) Die Erhebung von Informationen über den Kläger mit den Mitteln der offe-
nen Informationsbeschaffung ist geeignet, diesen Zweck zu fördern.
Ein Mittel ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert
werden kann. Das Verwaltungshandeln darf keine zur Erreichung des Ziels ob-
jektiv untaugliche, rechtlich oder tatsächlich unmögliche Maßnahme darstellen.
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Der Kläger hat bereits in der PDS und in der Linkspartei.PDS herausgehobene
Funktionen wahrgenommen und tut dies weiterhin in der Partei DIE LINKE. Er
war und ist Spitzenfunktionär der Partei. Nach den Feststellungen des Ober-
verwaltungsgerichts wurde der Kläger im Oktober 2004 in den Parteivorstand
gewählt und gehört ihm bis heute an. Ab Oktober 2005 nahm er in der Links-
partei.PDS die Aufgabe eines Fusionsbeauftragten wahr, d.h. eines Beauftrag-
ten für die Parteineubildung durch Zusammenschluss mit der WASG. Er hat
weitere hervorgehobene Funktionen innerhalb seiner Partei inne. Die Erhebung
von Informationen über den Kläger zeigt einen Ausschnitt der etwaigen verfas-
sungsfeindlichen Betätigung der Partei DIE LINKE oder von Mitgliedern oder
Gruppierungen innerhalb dieser Partei. Den Äußerungen und dem Verhalten
der Spitzenfunktionäre einer Partei kommt erhebliche Bedeutung zu, wenn die
von einer Partei ausgehenden Gefahren zu beurteilen sind. Diese Personen
beeinflussen die politische Richtung der Partei, ihr Erscheinungsbild in der Öf-
fentlichkeit und die innerparteiliche Diskussion maßgeblich. Die Art und Weise
der politischen Betätigung des Klägers hat innerhalb der Partei Gewicht und
kann aussagekräftig für die verfassungsschutzrechtliche Bewertung dieser
Gruppierung sein.
Die Erhebung von (weiteren) Informationen über den Kläger ist nicht deshalb
ungeeignet, weil sie sich über zehn Jahre erstreckt und fortdauert, ohne beim
Kläger selbst verfassungsfeindliche Bestrebungen aufgedeckt zu haben. Eine
Dauerbeobachtung, die mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ver-
einbar sein kann, liegt vor, wenn sich nach umfassender Aufklärung durch eine
mehrjährige Beobachtung der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen
nicht bestätigt hat und die für die Beobachtung maßgeblichen tatsächlichen
Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben si
-<137 f.>). Der
Kläger betätigt sich nach wie vor politisch in einer Partei, bei der auch aktuell
tatsächliche Anhaltspunkte für gegen die freiheitliche demokratische Grundord-
nung gerichtete Bestrebungen vorliegen. Wie insoweit schon ausgeführt, stützt
das Oberverwaltungsgericht zum einen seine Einschätzung der Partei auf Quel-
len, die auch aus jüngerer Zeit stammen, und es besteht zum anderen mit Blick
auf den Zusammenschluss der Linkspartei.PDS mit der WASG zur Partei
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DIE LINKE ein berechtigtes öffentliches Interesse daran, die Entwicklung der
neu zusammengesetzten Partei und ihrer maßgeblichen Funktionäre zu beo-
bachten.
cc) Die Beobachtung des Klägers war und ist erforderlich. Zwar verfolgt der
Kläger nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts in ei-
gener Person keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Das Oberverwal-
tungsgericht hat aber auch - den Senat ebenfalls bindend - festgestellt, dass
sich das Ziel, verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Partei
DIE LINKE aufzuklären, ohne eine Beobachtung des Klägers als einer ihrer
Spitzenfunktionäre nicht ebenso effektiv erreichen ließe.
Eine Gefahrenabschätzung wäre nicht in gleicher Weise möglich, wenn neben
der Partei in ihrer Gesamtheit nur solche Mitglieder beobachtet würden, von
denen verfassungsfeindliche Äußerungen bekannt geworden sind oder die einer
der parteiinternen Gruppierungen angehören, bei denen Anhaltspunkte dafür
bestehen, dass sie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung
gerichtete Ziele verfolgen. Aufgrund der Bedeutung, die Spitzenfunktionären für
die politische Richtung der Partei, ihr Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit und
die innerparteiliche Diskussion zukommt, sind Erkenntnisse über deren Ver-
hältnis zu den radikalen Kräften innerhalb der Partei für eine zuverlässige Ab-
schätzung der von der Partei ausgehenden Gefahren von wesentlicher Bedeu-
tung. Spitzenfunktionäre sind maßgebliche Repräsentanten der Partei und
bringen aufgrund dessen für Außenstehende zum Ausdruck, dass sie das Pro-
gramm und die Politik der Partei umfassend unterstützen. Sie haben Einblick
auch in die Zielsetzungen verfassungsfeindlich ausgerichteter Zusammen-
schlüsse und Organisationen in der Partei. Sie sind an maßgebender Stelle
mitverantwortlich für Äußerungen und Erklärungen der Partei, selbst wenn sie
sich diese subjektiv nicht zu eigen machen. Sie engagieren sich maßgeblich für
die Partei in der Öffentlichkeit, um Unterstützer, Wähler und Mitglieder zu ge-
winnen und so die Position der Partei im politischen Wettbewerb zu verbessern.
Damit unterstützen sie objektiv letztlich auch die Kräfte in der Partei, die gegen
die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Wächst die Partei
in ihrer politischen Bedeutung und Durchsetzungsfähigkeit, erschließen sich
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auch für die verfassungsfeindlichen, weiterhin nicht parteiintern angegriffenen
Kräfte neue Wege und Kreise, Unterstützung zu finden.
Um ein umfassendes Bild über die Partei zu gewinnen, ist deshalb nicht nur die
Beobachtung solcher Spitzenfunktionäre erforderlich, bei denen Anhaltspunkte
für eigene Aktivitäten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung be-
kannt geworden sind. Auch die Beobachtung von Spitzenfunktionären, die - wie
der Kläger - selbst zwar keine eigenen verfassungsfeindlichen Aktivitäten ent-
falten, aber die radikalen, offen gegen die freiheitliche demokratische Grund-
ordnung eintretenden Kräfte innerhalb der Partei - wie das Oberverwaltungsge-
richt bezogen auf den Kläger ebenfalls festgestellt hat - genauso wenig aktiv
bekämpfen, verspricht - wenn auch vergleichsweise geringfügige - zusätzliche
Erkenntnisse. Sie ermöglicht eine unmittelbare und deshalb zuverlässigere Ein-
schätzung des Verhältnisses dieser Spitzenfunktionäre zu den radikalen Kräften
innerhalb der Partei, als sie aufgrund einer Beobachtung möglich wäre, die sich
auf die Partei als solche oder die in ihr aktiven radikalen Kräfte beschränkt.
Welche Entfaltungsmöglichkeiten für verdächtige Parteimitglieder bestehen,
hängt entscheidend davon ab, wie sich die Spitzenfunktionäre positionieren und
welche Freiräume sie anderen Strömungen geben.
dd) Die Erhebung von Informationen über den Kläger mit den Mitteln der offe-
nen Informationsbeschaffung wahrt die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne.
Sie beachtet das Gebot des geringsten Mittels aus § 8 Abs. 5 Satz 1
BVerfSchG (aaa)) und verstößt nicht gegen das Übermaßverbot aus § 8 Abs. 5
Satz 2 BVerfSchG (bbb)).
aaa) Nach § 8 Abs. 5 Satz 1 BVerfSchG hat das Bundesamt für Verfassungs-
schutz von mehreren geeigneten Maßnahmen diejenige zu wählen, die den
Betroffenen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat sich dafür entschieden, Informatio-
nen über den Kläger nur mit den Mitteln der offenen Informationsbeschaffung
zu erheben. Das Bundesamt verzichtet hingegen auf den Einsatz der Metho-
den, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung im
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Sinne des § 8 Abs. 2 BVerfSchG, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und
Gewährspersonen, Observationen, Bild- und Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere
und Tarnkennzeichen. Das Bundesamt erhebt in der hier in Rede stehenden
Zeit Informationen über den Kläger allein aus allgemein zugänglichen Quellen,
wie parlamentarische Drucksachen, Berichten in den Medien und Pressemittei-
lungen des Klägers oder seiner Partei. Dies hat das Oberverwaltungsgericht
nach einer Beweisaufnahme festgestellt und gestützt hierauf die Klage insoweit
rechtskräftig abgewiesen, als sie die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines
Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel im Sinne des § 8 Abs. 2 BVerfSchG
zum Gegenstand hatte.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat nach den bindenden tatsächlichen
Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts darüber hinaus den Kernbereich
der parlamentarischen Tätigkeit des Klägers, nämlich sein Abstimmungsverhal-
ten sowie seine Äußerungen im Parlament und in dessen Ausschüssen, von
der Beobachtung ausgenommen.
bbb) Eine Maßnahme darf ferner keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar
außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht (§ 8 Abs. 5 Satz 2
BVerfSchG). Die Vorteile, die eine Erhebung von Informationen über den Kläger
für die wirksame Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische
Grundordnung bietet, überwiegen unter den hier obwaltenden Umständen die
Nachteile, die der Kläger durch die Erhebung von Informationen über ihn erlei-
det. Das Oberverwaltungsgericht ist zu seiner abweichenden Abwägung der
konkret betroffenen Vor- und Nachteile deshalb gelangt, weil es die zuvor ge-
troffenen tatsächlichen Wertungen rechtlich fehlerhaft, insbesondere in sich
widersprüchlich gewichtet hat.
Auf der einen Seite erleidet der Kläger durch die Erhebung von Informationen
über ihn Nachteile bei seiner Tätigkeit als Abgeordneter. Diese Nachteile für die
Ausübung des freien Mandats haben Gewicht. Die nachrichtendienstliche Beo-
bachtung von Abgeordneten birgt - wie schon erwähnt - erhebliche Gefahren im
Hinblick auf ihre Unabhängigkeit (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) und auf die Mit-
wirkung der betroffenen Parteien bei der politischen Willensbildung (Art. 21 GG)
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und damit für den Prozess demokratischer Willensbildung insgesamt (BVerfG,
Beschluss vom 1. Juli 2009 - 2 BvE 5/06 - BVerfGE 124, 161 <195>).
Für die Ausübung des freien Mandats ergeben sich nach den tatsächlichen
Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts faktische Nachteile daraus, dass
die Erhebung von Informationen über den Kläger für ihn mit einer „Stigmatisie-
rung“ verbunden ist, die ihm den Zugang zu dem überwiegenden Teil der Be-
völkerung erschweren kann, der sich als verfassungstreu betrachtet. Wenn die
offene Informationsbeschaffung über den Kläger durch Verfassungsschutzbe-
hörden allgemein bekannt wird, kann es für ihn schwieriger werden, Anhänger
und Wähler für sich und seine Partei zu gewinnen sowie mit der Bevölkerung in
Kontakt zu kommen. Letzteres hat auch deshalb negative Auswirkungen auf
seine politische Arbeit, weil er für diese darauf angewiesen ist, Meinungen und
Stimmungen der Wählerschaft zu kennen, sowie Informationen aus der Bevöl-
kerung zu erhalten. Wenn dem einzelnen Abgeordneten als faktische Folge
einer Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz der Zugang
zur Bevölkerung erschwert wird, bedeutet dies aber nicht nur eine Beeinträchti-
gung der Arbeit dieses Abgeordneten. Zugleich gehen Erkenntnisse verloren,
die für den Willensbildungsprozess des Parlaments in seiner Gesamtheit von
Bedeutung sind. Im Parlament kann sich ein den Willen des Volkes widerspie-
gelnder, überindividueller Gesamtwille nur durch das ungehinderte Zusam-
menwirken aller Abgeordneten bilden. Er ist Ergebnis einer Diskussion, in die
jedes Parlamentsmitglied sein Wissen und seine persönlichen Überzeugungen
einbringt. Der Beitrag, den der einzelne Abgeordnete zu diesem Willensbil-
dungsprozess leistet, beruht nicht nur auf seiner Ausbildung, seinem persönli-
chen Werdegang und den Erfahrungen in seinem privaten Umfeld, sondern
ganz wesentlich auch auf Erkenntnissen, die er durch Kontakte mit der Bevöl-
kerung gewinnt.
Entgegen der Auffassung der Beklagten sind diese faktischen Nachteile für die
Ausübung des freien Mandats zu berücksichtigen. Die Beklagte sieht einen Wi-
derspruch darin, dass das Oberverwaltungsgericht den Eintritt faktischer
Nachteile für den Kläger einerseits mit dem allgemeinen Bekanntwerden einer
Informationsbeschaffung über ihn durch das Bundesamt für Verfassungsschutz
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verknüpft, aber andererseits die Rechtswidrigkeit der Erhebung von Informatio-
nen für den gesamten streitigen Zeitraum seit 1999 festgestellt hat, obwohl frü-
hestens im Jahre 2003 allgemein bekanntgeworden sei, dass das Bundesamt
Informationen über den Kläger erhebt. Die Beklagte missversteht in diesem
Punkt das angefochtene Urteil. Das Oberverwaltungsgericht sieht die faktischen
Nachteile zu Recht nicht erst in dem Bekanntwerden der Informations-
beschaffung, sondern in der Erhebung von Informationen selbst, weil sie mit der
Gefahr des Bekanntwerdens verbunden ist. Das ist folgerichtig, weil faktische
Nachteile der Informationsbeschaffung mit ihrem Bekanntwerden unwiderruflich
eintreten und deshalb nicht erst ihr Bekanntwerden nur ihre Fortsetzung
rechtswidrig machen kann.
Unerheblich ist ferner, dass nach den tatsächlichen Feststellungen des Ober-
verwaltungsgerichts der Kläger im konkreten Fall selbst die Erhebung von In-
formationen über ihn durch das Bundesamt für Verfassungsschutz publik ge-
macht hat (Seite 79 des Urteilsabdrucks). Die Beklagte möchte wohl geltend
machen, der Kläger (oder ein anderer Abgeordneter in vergleichbarer Lage)
verhalte sich treuwidrig, wenn er die (sonst geheim bleibende) Beschaffung von
Informationen über ihn durch den Verfassungsschutz selbst an die Öffentlichkeit
bringt, um dann unter Berufung auf die damit ausgelösten faktischen Er-
schwernisse seiner Arbeit einen unverhältnismäßigen Eingriff in das freie Man-
dat geltend zu machen. Der Kläger ist jedoch nicht gehindert, publik zu machen,
dass der Verfassungsschutz über ihn Informationen erhebt. Dies hat zwar
einerseits die geschilderten faktischen Nachteile, kann aber gleichzeitig ande-
rerseits bei den ohnehin von seiner Arbeit Überzeugten eine Solidarisierung ge-
gen seine „Bespitzelung“ auslösen und ihm in diesem Kreis der Bevölkerung
nützlich sein. Darauf darf der Kläger hinarbeiten.
Unabhängig von ihren Auswirkungen auf das freie Mandat kann sich eine (auch
offene) Informationsbeschaffung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz
nachteilig auf die politische Betätigung in Parlament und Partei auswirken. Wer
sich beobachtet weiß und damit rechnen muss, dass seine Worte gesammelt
und ausgewertet werden, verhält sich beispielsweise bei politischen Äußerun-
gen oder der Unterschrift unter Aufrufe möglicherweise zögerlich oder ängstlich,
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kann sich jedenfalls in seiner politischen Arbeit gehemmt fühlen (vgl. hierzu
wenn auch in etwas anderem Zusammenhang: BVerfG, Urteil vom
15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u.a. - BVerfGE 65, 1 <43>).
Nicht berücksichtigt werden können hingegen hier (wie auch schon in anderem
Zusammenhang) die vom Kläger beklagten Nachteile, die ihm daraus erwach-
sen sind, dass der Verfassungsschutz oder einzelne seiner Mitarbeiter den poli-
tischen Gegner gezielt mit Informationen versorgen, insbesondere zu einer
Verwendung gegen den Kläger im Wahlkampf. Ein solches Verhalten wäre, weil
von keiner Ermächtigungsgrundlage gedeckt, rechtswidrig und hat daher zu
unterbleiben.
Diese Nachteile für die Ausübung des freien Mandats werden aber dadurch er-
heblich gemildert, dass sich das Bundesamt für Verfassungsschutz auf die
offene Informationsbeschaffung beschränkt. Die Freiheit des Mandates wäre im
Kern betroffen, wenn der Abgeordnete in seiner Arbeit mit den Menschen sei-
nes Vertrauens oder mit Menschen, die sich ihm anvertrauen, heimlich be-
obachtet würde. Dasselbe gälte für eine heimliche Beobachtung in seiner par-
lamentarischen Arbeit, soweit diese sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit
vollzieht. Gegenstand der offenen Informationsbeschaffung sind jedoch nur
öffentlich wahrnehmbare Tätigkeiten, die regelmäßig ohnehin auf eine mög-
lichst weitreichende Wirkung und Kenntnisnahme gerichtet sind. Insoweit zielt
der einzelne öffentlichkeitswirksame Beitrag eines Abgeordneten ohnehin über
seine Person hinaus. Zudem bleibt der Kernbereich der parlamentarischen Ar-
beit von der Informationsbeschaffung ausgenommen.
Ferner hat das Oberverwaltungsgericht keine Anhaltspunkte dafür feststellen
können, dass der Kläger sich durch die offene Informationsbeschaffung inhalt-
lich in seiner politischen Arbeit beeinflussen lassen könnte. Das Oberverwal-
tungsgericht verweist insoweit auf eine Erklärung des Klägers in der mündlichen
Verhandlung, nach der er eine solche Beeinflussung ausdrücklich verneint hat.
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Nachteilig betroffen ist ferner - wie bereits aufgezeigt - das allgemeine Persön-
lichkeitsrecht des Klägers insoweit, als sich die Informationsbeschaffung auf
Tätigkeiten erstreckt, die er in anderen Funktionen als in seiner Eigenschaft als
Abgeordneter wahrnimmt. Durch die auf Vollständigkeit angelegte Sammlung
aller Äußerungen und die Zusammenfassung der zusammengetragenen Unter-
lagen in einer Personenakte entsteht ein Informationsgehalt, der als Gesamtbild
der politischen Persönlichkeit über das hinausgeht, was als Eindruck aus
öffentlichen Äußerungen haften bleibt, die bei Gelegenheit wahrgenommen
werden.
Jedoch wirkt sich die Informationsbeschaffung über den Kläger nur geringfügig
auf sein Persönlichkeitsrecht aus. Das Bundesamt für Verfassungsschutz er-
hebt nur Informationen, die durch die Veröffentlichung in allgemein zugängli-
chen Quellen einem unbestimmt großen Personenkreis bekannt geworden sind.
Sie betreffen nicht den persönlichen Lebensbereich des Klägers, sondern
ausschließlich dessen politische Tätigkeit in der Öffentlichkeit. Das umfassende
Bild der Aktivitäten und Ansichten des Klägers bleibt auf dessen politische Tä-
tigkeit beschränkt, die sich ohnehin zu einem großen Teil öffentlich abspielt und
von den Medien und den politischen Gegnern genau beobachtet wird. Es betrifft
den Kläger nicht in seiner persönlichen Lebensführung.
Auf der anderen Seite ist der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grund-
ordnung für den Bestand des Grundgesetzes und der in ihm verkörperten Wer-
teordnung von existentieller Bedeutung.
Diesem Schutz dient zwar vor allem die Erhebung von Informationen über die
Partei als solcher und der in ihr aktiven radikalen Kräfte. Die offene Informati-
onsbeschaffung über den Kläger, deren Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen in
tatsächlicher Hinsicht vom Oberverwaltungsgericht bindend festgestellt wurden,
mag im Vergleich dazu nur einen begrenzten zusätzlichen Erkenntnisgewinn
bieten. Jedoch ist auch dieser Gewinn an Erkenntnissen nicht zu vernachlässi-
gen, wie schon ausführlich dargelegt. Spitzenfunktionäre einer Partei sind für
deren Entwicklung und Ausrichtung von erheblicher Bedeutung. Erst Erkennt-
nisse über ihr Verhalten runden das Bild ab. Gerade die führenden Persönlich-
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keiten einer Partei werden, wenn diese den Stimmenanteil für einen Einzug in
das Parlament erreicht, regelmäßig zu den Abgeordneten ihrer Partei gehören.
Müssten sie deshalb von einer Beobachtung ausgenommen werden, obwohl
tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ihrer Partei
vorliegen, wäre die Sammlung von Informationen über Aktivitäten gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung wesentlich eingeschränkt. Im konkre-
ten Fall würde dies beispielsweise auch für führende Repräsentanten der offen
verfassungsfeindlichen Gruppierungen in der Partei DIE LINKE gelten, die auf-
grund der vom Oberverwaltungsgericht dargelegten Stellung dieser Gruppie-
rungen in der Partei einen günstigen Listenplatz für die Parlamentswahl und als
Folge davon ein Abgeordnetenmandat erhalten haben.
Danach überwiegen die Vorteile einer Beschaffung von Informationen über den
Kläger die diesem dadurch erwachsenden Nachteile. Diese verbleibenden
Nachteile hinzunehmen, ist dem Kläger zuzumuten.
Der Kläger hat durch seine herausgehobene politische Betätigung in einer Par-
tei, bei der Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokrati-
sche Grundordnung bestehen, einen ihm zurechenbaren Anlass für die Erhe-
bung von Informationen über ihn durch das Bundesamt für Verfassungsschutz
geschaffen. Die Arbeit für und in der Partei lässt sich nicht säuberlich von der
Wahrnehmung des Mandats trennen. Die politische Einbindung des Abgeord-
neten in Partei und Fraktion ist verfassungsrechtlich erlaubt und gewollt. Das
Grundgesetz weist den Parteien eine besondere Rolle im Prozess der politi-
schen Willensbildung zu (Art. 21 Abs. 1 GG), weil ohne die Formung des politi-
schen Prozesses durch geeignete freie Organisationen eine stabile Demokratie
in großen Gemeinschaften nicht gelingen kann. Die Fraktionen nehmen im par-
lamentarischen Raum unabdingbare Koordinierungsaufgaben wahr, bündeln die
Vielfalt der Meinungen zur politischen Stimme und spitzen Themen auf poli-
tische Entscheidbarkeit hin zu. Wenn der einzelne Abgeordnete im Parlament
politischen Einfluss von Gewicht ausüben, wenn er gestalten will, bedarf er der
abgestimmten Unterstützung (BVerfG, Urteil vom 4. Juli 2007 - 2 BvE 1/06 -
BVerfGE 118, 277 <328>). Kehrseite dieser Vorteile, die der Abgeordnete bei
der Wahrnehmung seines Mandats aus seiner Einbindung in eine Partei zieht,
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ist aber, dass er die Nachteile für seine Arbeit hinzunehmen hat, die sich an
zulässige Maßnahmen des Verfassungsschutzes gegen die Partei knüpfen, für
die er als Abgeordneter wirken will.
5. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil er unterlegen ist
(§ 154 Abs. 1 VwGO).
Neumann
Büge
Graulich
Vormeier
Möller
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 10 000 €
festgesetzt.
Neumann
Büge
Graulich
Vormeier
Möller
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Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Recht der Nachrichtendienste
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 21, 38
BVerfSchG §§ 3, 4, 8
Stichworte:
Nachrichtendienst; Bundesamt für Verfassungsschutz; Befugnis; Erhebung von
Daten; offene Erkenntnis; Aufgaben; Sammlung von Informationen; Bestrebun-
gen; freiheitliche demokratische Grundordnung; ziel- und zweckgerichtet; Per-
sonenzusammenschluss; Partei; PDS; Die Linkspartei.PDS; DIE LINKE; tat-
sächliche Anhaltspunkte; Parlament; Abgeordneter; freies Mandat; Verhältnis-
mäßigkeit; Geeignetheit; Erforderlichkeit; Übermaßverbot.
Leitsätze:
1. Die Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVerfSchG ver-
langt für das Tätigwerden des Bundesamts für Verfassungsschutz keine Ge-
wissheit darüber, dass Bestrebungen vorliegen, die gegen die freiheitliche de-
mokratische Grundordnung gerichtet sind, sondern lediglich tatsächliche An-
haltspunkte für entsprechende Bestrebungen.
2. Anhaltspunkte für Bestrebungen einer Partei, die gegen die freiheitliche de-
mokratische Grundordnung gerichtet sind, sind nicht nur dann gegeben, wenn
die Partei in ihrer Gesamtheit solche Bestrebungen entfaltet; die Voraussetzun-
gen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG sind auch dann erfüllt, wenn
solche Bestrebungen nur von einzelnen Gruppierungen innerhalb der Partei
ausgehen.
3. Das Tatbestandsmerkmal einer „politisch bestimmten, ziel- und zweckgerich-
teten Verhaltensweise“ im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG
erfordert über das bloße Vorhandensein bestimmter Bestrebungen hinaus ein
aktives, nicht jedoch notwendig kämpferisch-aggressives Vorgehen zu deren
Realisierung.
4. Die Zulässigkeit der Erhebung von Informationen mit den Mitteln der offenen
Informationsbeschaffung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz über
eine Person, die Mitglied eines Personenzusammenschlusses im Sinne von § 4
Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG ist, hängt nicht von ihren individuellen und
subjektiven Beiträgen oder ihrer intentionalen Beteiligung an Handlungen zur
Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab. § 4 Abs. 1
Satz 1 Buchst. c BVerfSchG verlangt keine Voraussetzungen, die über die Mit-
gliedschaft in dem Personenzusammenschluss hinausgehen.
Urteil des 6. Senats vom 21. Juli 2010 - BVerwG 6 C 22.09
I. VG Köln
vom 13.12.2007 - Az.: VG 20 K 3077/06 -
II. OVG Münster vom 13.02.2009 - Az.: OVG 16 A 845/08 -