Urteil des BVerwG vom 05.05.2014

Kollokation, Billigkeit, Klagebefugnis, Zugang

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 46.13
VG 21 K 2516/10
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Mai 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hahn und Prof. Dr. Hecker
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin zu 2 gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts
Köln vom 15. Mai 2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin zu 2 trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 50 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
(1.) und des Verfahrensmangels (2.) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung im
Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur, wenn in dem angestrebten
Revisionsverfahren die Klärung einer höchstrichterlich bisher noch nicht geklär-
ten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall
hinausgehenden entscheidungserheblichen und klärungsbedürftigen Rechtsfra-
ge des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Diese Voraus-
setzungen liegen hier nicht vor.
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a) Die Klägerin zu 2 wirft zunächst die Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig
auf, ob „der Begriff des ‚Beibehaltens’ in § 13 Abs. 1 Satz 1 TKG (bedeutet),
dass die Regulierungsverfügung, welche die in einer vorangegangenen Regu-
lierungsverfügung auferlegte Verpflichtung beibehält, diese Verpflichtung un-
verändert oder nur in dem Umfang fortschreibt, wie er sich der neuen Regulie-
rungsverfügung durch Auslegung entnehmen lässt".
Diese Frage ist nicht entscheidungserheblich und ihre Klärung im Revisionsver-
fahren daher nicht zu erwarten. Dies gilt auch, soweit die Klägerin zu 2 mit dem
Klageantrag zu 1.a) die Aufhebung des Beschlusses der Bundesnetzagentur
vom 25. Januar 2010 insoweit begehrt, als in Ziffer 1.1 des Beschlusstenors
angeordnet worden ist, dass Kollokation im Multifunktionsgehäuse einschließ-
lich der virtuellen Kollokation auch für solche Multifunktionsgehäuse gewährt
werden muss, die bis einschließlich 27. Juni 2007 errichtet worden sind. Das
Verwaltungsgericht hat die Klage insoweit in der Annahme, die für die bean-
standete Kollokationsanordnung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 TKG erforderlichen
Voraussetzungen für eine Verpflichtung zur Zugangsgewährung lägen vor, für
unbegründet gehalten. Dabei ist es davon ausgegangen, dass sich die durch
die Regulierungsverfügung der Bundesnetzagentur vom 27. Juni 2007 geregel-
te Pflicht zur Zugangsgewährung auch auf solche Kabelverzweiger erstreckt,
die in vor dem 27. Juni 2007 errichteten Multifunktionsgehäusen untergebracht
sind. Diese Annahme ist das Ergebnis der - für das Revisionsgericht nach § 137
Abs. 2 VwGO grundsätzlich bindenden - tatrichterlichen Auslegung und Fest-
stellung des Regelungsgehalts der genannten Regulierungsverfügung. In die-
sem Zusammenhang ist die Vorinstanz zwar der von der Klägerin zu 2 befür-
worteten Einschränkung der in Rede stehenden Kollokationsverpflichtung mit
der Erwägung entgegengetreten, Ziffer 1. der Regulierungsverfügung vom
27. Juni 2007, die die besagte Kollokationsverpflichtung beinhalte (Ziffer 1.1.3),
sei dahin gefasst, dass die bereits durch die vorangegangene Regulierungsver-
fügung vom 20. April 2005 auferlegte Verpflichtung zur Gewährung des Zu-
gangs zum Teilnehmeranschluss (u.a.) am Kabelverzweiger „beibehalten" wird.
Dem liegt erkennbar die Annahme zugrunde, der in der Ermächtigungsgrundla-
ge des § 13 Abs. 1 Satz 1 TKG verwendete Begriff des „Beibehaltens“ bedeute,
dass die in einer vorangegangenen Regulierungsverfügung auferlegte Ver-
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pflichtung inhaltlich unverändert fortgeschrieben wird. Selbst wenn das Verwal-
tungsgericht hierbei zu Unrecht von einem Verständnis des Begriffs des „Bei-
behaltens“ ausgegangen sein sollte, der es ausschließt, dass die Bundesnetz-
agentur eine früher auferlegte Verpflichtung „im Rahmen ihrer Abwägung kon-
kretisiert“, wäre dies jedoch für das Ergebnis der Auslegung der Regulierungs-
verfügung vom 27. Juni 2007 nicht erheblich. Denn das Verwaltungsgericht hat
sich in erster Linie auf den „klaren Wortlaut“ der hier einschlägigen Ziffer 1.1.3
des Tenors der Regulierungsverfügung gestützt, der gegen die Annahme spre-
che, dass eine Verpflichtung zur Kollokation in den bis zum Zeitpunkt der Regu-
lierungsverfügung vom 27. Juni 2007 bereits errichtet gewesenen Multifunk-
tionsgehäusen nicht bestehe, weil erstmals durch diese Regulierungsverfügung
eine solche Zugangsverpflichtung auferlegt worden sei.
b) Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache weiter
in der Frage, ob „die Bundesnetzagentur bei der Festlegung der Bedingungen
der Zugangsanordnung nach § 25 Abs. 5 Satz 1 und 2 TKG über Regulierungs-
ermessen“ verfügt. Ferner will die Beschwerde in diesem Zusammenhang ge-
klärt wissen, ob „an die Ausübung des Regulierungsermessens nach § 25
Abs. 5 Satz 1 und 2 TKG, d.h. an die Ermittlung der zu beachtenden Belange,
an die Gewichtung der Belange und an den Ausgleich zwischen den Belangen,
geringere Anforderungen zu stellen (sind) als bei der Ausübung des Regulie-
rungsermessens bei der Auferlegung einer Verpflichtung nach § 13 Abs. 1
Satz 1 TKG“.
Beide Fragen beziehen sich auf die Erwägungen, mit denen die Vorinstanz den
Klageantrag zu 1.c) für unbegründet gehalten hat. Dieser Antrag ist auf die Auf-
hebung des Beschlusses der Bundesnetzagentur vom 25. Januar 2010 insoweit
gerichtet, als in Ziffer 1.1 des Beschlusstenors i.V.m. Ziffer 1.1.1 Satz 2 der An-
lage 1 des Vertrages über den Zugang zum Multifunktionsgehäuse die Ver-
pflichtung der Klägerin zu 2 zu platzschaffenden Maßnahmen im Multifunk-
tionsgehäuse sowie in Ziffer 2 der Anlage 1 des Vertrages über den Zugang
zum Multifunktionsgehäuse die Verpflichtung der Klägerin zu 2 zur virtuellen
Kollokation angeordnet worden ist. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zu-
sammenhang angenommen, dass der Bundesnetzagentur bei der inhaltlichen
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Ausgestaltung von Zugangsanordnungen nach § 25 TKG ein weiter Gestal-
tungsspielraum zustehe, der im Hinblick auf die vertragsersetzende Funktion
einer solchen Anordnung zum einen auf einen fairen Ausgleich der berechtigten
Interessen beider an der Zugangsgewährung beteiligten Parteien gerichtet sein
müsse, der andererseits aber auch die öffentlichen Belange zu berücksichtigen
habe, die durch § 2 Abs. 2 TKG sowie die einschlägigen unionsrechtlichen Be-
stimmungen vorgegeben seien. Ob die Bundesnetzagentur den ihr zustehen-
den Gestaltungsspielraum rechtmäßig ausgefüllt hat, sei nach denselben
Grundsätzen zu beurteilen, die insoweit für die Überprüfung des Regulierungs-
ermessens anerkannt seien. Danach sei eine Anordnung zu beanstanden,
wenn ihr eine Abwägung überhaupt nicht zugrunde gelegen habe (Abwägungs-
ausfall), in die Abwägung nicht an Belangen eingestellt worden sei, was nach
Lage der Dinge in sie habe eingestellt werden müssen (Abwägungsdefizit), die
Bedeutung der betroffenen Belange verkannt worden sei (Abwägungsfehlein-
schätzung) oder der Ausgleich zwischen ihnen zur objektiven Gewichtigkeit ein-
zelner Belange außer Verhältnis stehe (Abwägungsdisproportionalität). Nach
diesem Maßstab erweise sich die hier streitige Anordnung platzschaffender
Maßnahmen als rechtmäßig.
Den von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen fehlt die für eine Zulas-
sung der Revision erforderliche Klärungsfähigkeit in einem Revisionsverfahren.
Die erste Frage, die sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung
allerdings ohne Weiteres verneinen lässt (aa), ist nicht entscheidungserheblich
(bb). Damit entfällt offensichtlich auch die Grundlage für die zweite Frage, die
an die Annahme eines Regulierungsermessens der Bundesnetzagentur an-
knüpft.
aa) Dass dem Ansatz der Vorinstanz, die Entscheidung der Bundesnetzagentur
über die Festlegung der Bedingungen der Zugangsanordnung nach § 25 Abs. 5
Satz 1 und 2 TKG nach den Grundsätzen des Regulierungsermessens zu
überprüfen, nicht zu folgen ist, kann der Senat ohne Durchführung eines Revi-
sionsverfahrens auf der Grundlage seiner bisherigen Rechtsprechung entschei-
den. Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 TKG können Gegenstand einer Anordnung alle
Bedingungen einer Zugangsvereinbarung sowie die Entgelte sein; die Bundes-
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netzagentur darf die Anordnungen mit Bedingungen in Bezug auf Chancen-
gleichheit, Billigkeit und Rechtzeitigkeit verknüpfen (Satz 2). Aus der Verwen-
dung der Formulierungen „können“ und „darf“ ergibt sich, dass diese Rechts-
norm eine Ermessensermächtigung enthält. Die Bundesnetzagentur kann da-
nach zwischen mehreren rechtlich zulässigen Handlungsmöglichkeiten wählen.
Ihr steht zwar kein Entschließungsermessen (vgl. § 25 Abs. 1 Satz 1 TKG),
aber ein Auswahlermessen dahingehend zu, welche von mehreren Maßnah-
men ergriffen wird. Hierbei handelt es sich um den typischen Fall eines auf den
Rechtsfolgenausspruch bezogenen sogenannten allgemeinen Ermessens, das
vor allem der Einzelfallgerechtigkeit dient. Der Bundesnetzagentur soll ermög-
licht werden, unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks einerseits und der
konkreten Umstände andererseits eine dem Einzelfall angemessene und sach-
gerechte Entscheidung zu treffen, in die insbesondere auch Zweckmäßigkeits-
und Billigkeitserwägungen einfließen können. Die rechtlichen Bindungen, denen
die Ausübung dieses Ermessens unterliegt, ergeben sich aus § 40 VwVfG. Da-
nach hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächti-
gung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Art
und Umfang der gerichtlichen Kontrolle werden in § 114 Satz 1 VwGO geregelt.
Danach prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder
Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Gren-
zen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem
Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
Mit der Entwicklung der Kategorie des Regulierungsermessens hat die Recht-
sprechung auf den Umstand reagiert, dass das Telekommunikationsgesetz ne-
ben klassischen Ermessensermächtigungen und der Einräumung von Beurtei-
lungsspielräumen auf der Tatbestandsseite (vgl. z.B. § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG)
Normen enthält, die der Regulierungsbehörde Entscheidungsspielräume ein-
räumen, die sich keiner dieser Kategorien eindeutig zuordnen lassen. Von dem
allgemeinen Ermessen unterscheiden sich diese Entscheidungsspielräume da-
durch, dass der Behörde ein umfassender Auswahl- und Ausgestaltungsspiel-
raum auf der Rechtsfolgenseite zusteht, der untrennbar mit einer durch zahlrei-
che unbestimmte Rechtsbegriffe gesteuerten Abwägung verbunden ist. Die zu
konkretisierenden unbestimmten Rechtsbegriffe weisen in hohem Maße wer-
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tende und prognostische Elemente auf. Im Rahmen der Abwägung sind eine
Vielzahl zum Teil gegenläufiger Regulierungsziele sowie sonstiger öffentlicher
und privater Belange zu gewichten und auszugleichen. Der Senat hat diese Ka-
tegorie komplexer behördlicher Entscheidungsspielräume bei der Auferlegung
von Regulierungsverpflichtungen nach § 13 TKG mit dem Begriff des Regulie-
rungsermessens gekennzeichnet und in Anlehnung an das Planungsermessen
behandelt. Das Regulierungsermessen wird dem entsprechend fehlerhaft aus-
geübt, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hat - Abwägungs-
ausfall -, in die Abwägung nicht an Belangen eingestellt worden ist, was nach
Lage der Dinge in sie eingestellt werden musste - Abwägungsdefizit -, die Be-
deutung der betroffenen Belange verkannt worden ist - Abwägungsfehlein-
schätzung - oder der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen
worden ist, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis
steht - Abwägungsdisproportionalität -. Die gerichtliche Kontrolle der Ausübung
des Regulierungsermessens hat sich dabei grundsätzlich auf diejenigen Erwä-
gungen zu beschränken, die die Behörde zur Begründung ihrer Entscheidung
dargelegt hat (vgl. grundlegend Urteil vom 2. April 2008 - BVerwG 6 C 15.07 -
BVerwGE 131, 41 Rn. 47, sowie zuletzt Urteil vom 11. Dezember 2013
- BVerwG 6 C 23.12 - juris Rn. 24).
Während die Bundesnetzagentur bei der Auferlegung von Regulierungsver-
pflichtungen nach § 13 TKG über einen umfassenden Auswahl- und Ausgestal-
tungsspielraum verfügt, der untrennbar mit einer durch zahlreiche unbestimmte
Rechtsbegriffe gesteuerten Abwägung verbunden ist und bei dessen Ausübung
sie sich - anders als im Fall „gewöhnlicher“ Ermessensermächtigungen - nicht
an einem durch Auslegung zu ermittelnden Normzweck, sondern an einer Viel-
zahl solcher Zwecke, nämlich den in § 2 Abs. 2 TKG vorgegebenen Regulie-
rungszielen auszurichten hat, weist die Ermächtigungsgrundlage für Zugangs-
anordnungen nach § 25 Abs. 5 Satz 1 und 2 TKG derartige Besonderheiten
nicht auf. Als bei der Ermessensentscheidung zu beachtende Vorgaben werden
in der Vorschrift lediglich Chancengleichheit, Billigkeit und Rechtzeitigkeit ge-
nannt. Eine Abwägung am Maßstab der Regulierungsziele des § 2 Abs. 2 TKG
findet auf dieser Ebene nicht mehr statt, da die Konfliktbewältigung bereits auf
der vorgelagerten Stufe der zu vollziehenden Regulierungsverfügung stattzufin-
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den hat (vgl. Urteil vom 11. Dezember 2013 a.a.O. Rn. 38 ff.). Aus diesem
Grund besteht kein Anlass, für die verwaltungsgerichtliche Kontrolle der Aus-
übung des der Bundesnetzagentur bei der Entscheidung nach § 25 Abs. 5
Satz 1 und 2 TKG eingeräumten Ermessens diejenigen Maßstäbe heranzuzie-
hen, die die Rechtsprechung für die Abwägungskontrolle im Rahmen von Pla-
nungsentscheidungen entwickelt hat. Vielmehr verbleibt es bei den Maßstäben,
die für allgemeine Ermessensentscheidungen gelten.
bb) Wenn die aufgeworfene Rechtsfrage aus Sicht des Revisionsgerichts klar
und eindeutig zu beantworten ist, von der Vorinstanz aber gerade anders be-
antwortet wurde, ist zwar die Klärungsbedürftigkeit grundsätzlich zu bejahen
(vgl. Pietzner/Buchheister, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: April
2013, § 132 Rn. 37a). Im vorliegenden Fall ist die Revision aber deshalb nicht
zuzulassen, weil auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Ver-
waltungsgerichts und der Darlegungen in der Beschwerdebegründung ausge-
schlossen werden kann, dass der Klageantrag zu 1.c) Erfolg gehabt hätte,
wenn das Verwaltungsgericht die Entscheidung der Bundesnetzagentur bezüg-
lich der Verpflichtung der Klägerin zu 2 zu platzschaffenden Maßnahmen im
Multifunktionsgehäuse nicht nach den Grundsätzen des Regulierungsermes-
sens, sondern nach den Maßstäben überprüft hätte, die für allgemeine Ermes-
sensentscheidungen gelten. Auch unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist
nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts den ihr eröffneten Gestal-
tungsspielraum erkannt und unter Darlegung und Abwägung die aus ihrer Sicht
betroffenen gegenläufigen Belange im Einzelnen begründet hat, welche Maß-
nahmen sie für den Fall einer bestimmten Aufnahmekapazität im Multifunk-
tionsgehäuse als angemessen erachtet, liegt kein Fall einer Ermessensunter-
.
gegenständlichen Anordnung platzschaffender Maßnahmen über die in der Er-
mächtigungsnorm vorgesehene Rechtsfolge hinausgegangen sein könnte (Er-
messensüberschreitung), ist nicht erkennbar und wird auch von der Klägerin
zu 2 selbst nicht behauptet. Für einen Ermessensfehlgebrauch bestehen eben-
falls keine Anhaltspunkte. Das Verwaltungsgericht hat unter dem Gesichtspunkt
einer Abwägungsfehleinschätzung bzw. einer Abwägungsdisproportionalität
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eingehend und nachvollziehbar ausgeführt, dass die Bundesnetzagentur die
wesentlichen Interessen, die bei den hier erörterten Maßnahmen betroffen sind,
zutreffend erkannt habe und sich der gefundene Ausgleich zwischen den konfli-
gierenden Belangen mit Blick auf das ihnen jeweils zukommende objektive Ge-
wicht auch nicht als unverhältnismäßig erweise. Dies schließt die Annahme
sachwidriger Erwägungen oder der Nichtbeachtung maßgeblicher Zielvorstel-
lungen des ermächtigenden Gesetzes aus. Schließlich ist auf der Grundlage
der Ausführungen des Verwaltungsgerichts auch nicht erkennbar, dass die
Bundesnetzagentur bei ihrer Entscheidung sonstige Ermessensgrenzen, insbe-
sondere verfassungsrechtliche Vorgaben wie die Grundrechte, das Gleichheits-
gebot oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, aber auch Normen des ein-
fachen Rechts und des Unionsrechts missachtet haben könnte.
2. Die Revision ist ferner nicht deshalb zuzulassen, weil ein Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann
(§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
a) Die von der Beschwerde mit Blick auf den Klageantrag zu 1.a) geltend ge-
machte Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes liegt nicht vor. Nach § 108
Abs. 1 VwGO hat das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergeb-
nis des Verfahrens zugrunde zu legen. Ob das Tatsachengericht auf einer aus-
reichend breiten oder einer zu schmalen tatsächlichen Grundlage entschieden
hat, ist grundsätzlich eine dem materiellen Recht zuzuordnende Frage der Tat-
sachen- und Beweiswürdigung, auf die eine Verfahrensrüge nicht gestützt wer-
den kann. Soweit hiervon Ausnahmen zuzulassen sind, verlangt die Rüge eines
Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz die Darlegung, dass das Gericht
einen Schluss gezogen hat, den es ohne Willkür, insbesondere ohne Verlet-
zung von Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, schlechterdings
nicht ziehen konnte (Beschluss vom 19. Februar 2013 - BVerwG 6 B 37.12 -
Buchholz 442.066 § 42 TKG Nr. 4 Rn. 13 m.w.N.).
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die Klägerin zu 2 wendet sich zum
einen gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die ihr durch den an-
gefochtenen Beschluss der Bundesnetzagentur vom 25. Januar 2010 auferlegte
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Verpflichtung, Kollokation auch in solchen Multifunktionsgehäusen zu gewäh-
ren, die vor dem 27. Juni 2007 errichtet worden sind, auf Ziffer 1.1.3 des Tenors
der Regulierungsverfügung vom 27. Juni 2007 gestützt werden könne. Zum
anderen sieht sie den Überzeugungsgrundsatz durch die Annahme des Verwal-
tungsgerichts verletzt, dass die ihr durch den angefochtenen Beschluss der
Bundesnetzagentur vom 25. Januar 2010 auferlegte Verpflichtung, die soge-
nannte virtuelle Kollokation für den Fall zu ermöglichen, dass die Kapazitäten in
vor dem 27. Juni 2007 errichteten Multifunktionsgehäusen erschöpft sind, auf
die Regulierungsverfügung vom 27. Juni 2007 gestützt werden könne. Dass
das Verwaltungsgericht mit diesen Annahmen in Bezug auf die Reichweite der
genannten Regulierungsverfügung von einem falschen Sachverhalt ausgegan-
gen sei, begründet die Klägerin zu 2 unter Hinweis auf die ihrer Auffassung
nach einschränkenden Aussagen des Senats in seinem Urteil vom 27. Januar
2010 - BVerwG 6 C 22.08 - (Buchholz 442.066 § 21 TKG Nr. 1) zur Tragweite
der Verpflichtung in Ziffer 1.1.3 des Tenors der Regulierungsverfügung vom
27. Juni 2007. Selbst wenn den Entscheidungsgründen des genannten Urteils
(vgl. Urteil vom 27. Januar 2010 a.a.O. Rn. 21, 24 und Rn. 26) erkennbar die
von der Klägerin zu 2 unterstellte Rechtsauffassung zugrunde liegen sollte, hät-
te das Verwaltungsgericht die verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sach-
verhalts- und Beweiswürdigung nicht überschritten. Denn es hat die entspre-
chenden Ausführungen des Senats nicht etwa - wie die Klägerin zu 2 unter-
stellt - aus seiner Würdigung ausgeblendet, sondern sich mit ihnen vielmehr
eingehend auseinander gesetzt und im Einzelnen dargelegt, weshalb seiner
Auffassung nach aus diesen Ausführungen nicht hergeleitet werden könne,
dass die streitige Anordnung, soweit sie sich auf eine Kollokation auch in sol-
chen Multifunktionsgehäusen erstreckt, die bereits bis zum 27. Juni 2007 errich-
tet worden waren, und zudem die Gewährung virtueller Kollokation umfasst,
nicht von der in der Regulierungsverfügung vom 27. Juni 2007 geregelten Kol-
lokationsverpflichtung gedeckt sei.
b) Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensfehler einer Entschei-
dung durch Prozessurteil statt durch Sachurteil rechtfertigt ebenfalls nicht die
Zulassung der Revision.
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In einer Entscheidung durch Prozessurteil statt durch Sachurteil liegt nach stän-
diger Rechtsprechung des Senats ein Verfahrensfehler, wenn diese Entschei-
dung auf einer fehlerhaften Anwendung der prozessualen Vorschriften beruht
(Beschluss vom 26. Februar 2014 - BVerwG 6 C 3.13 - juris Rn. 15 m.w.N.). In
Bezug auf den Klageantrag zu 1.b) hat das Verwaltungsgericht die Klage als
unzulässig abgewiesen. Dieser Antrag ist auf die Aufhebung des Beschlusses
der Bundesnetzagentur vom 25. Januar 2010 insoweit gerichtet, als in Ziffer 1.1
des Beschlusstenors i.V.m. Ziffer 3.2.2 der Anlage 1 des angeordneten Vertra-
ges über den Zugang zum Multifunktionsgehäuse bei Kapazitätsengpässen ei-
ne Zugangsgewährung nach dem zeitlichen Prioritätsprinzip angeordnet worden
ist und als diese Regelung untrennbar verknüpft ist mit den sonstigen Regelun-
gen zum Bestellprozess in Ziffer 3 der Anlage 1 des angeordneten Vertrages.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, es fehle an der Klagebefugnis (§ 42
Abs. 2 VwGO), weil nicht erkennbar sei und von der Klägerin zu 2 auch nicht
dargelegt werde, dass und in welcher Hinsicht sie durch die Regelungen zum
Kollokations-Bestellprozess nach Ziffer 3 der Anlage 1 zum angeordneten Ver-
trag über die Kollokation im Multifunktionsgehäuse und namentlich durch die
Beachtung des aus 3.2.2 dieses Regelwerks folgenden Prinzips, Kollokations-
nachfragen nach der zeitlichen Reihenfolge des Eingangs zu bearbeiten und
- bei Vorliegen der Voraussetzungen - zu erfüllen, im Sinne einer Beeinträchti-
gung in eigenen Rechten belastet werde. Nach Auffassung der Beschwerde hat
das Verwaltungsgericht, indem es in Bezug auf den Klageantrag zu 1.b) nicht in
der Sache entschieden hat, verkannt, dass schon die privatrechtsgestaltende
Wirkung der Zugangsanordnung die Klagebefugnis der Klägerin zu 2 als Adres-
satin begründe.
Zwar dürfte der Klägerin zu 2 darin zu folgen sein, dass das Verwaltungsgericht
zu weit gehende Anforderungen an die Klagebefugnis gestellt hat. Weil der Ad-
ressat eines belastenden Verwaltungsakts stets einem staatlichen Freiheitsein-
griff unterliegt, folgt nach der sogenannten Adressatentheorie allein hieraus ein
Klagerecht nach § 42 Abs. 2 VwGO (vgl. nur Beschluss vom 19. Juli 2010
- BVerwG 6 B 20.10 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 54 Rn. 16). Selbst wenn
aus diesem Grund der Klage in Bezug auf den Klageantrag zu 1.b) nicht bereits
die Klagebefugnis abgesprochen werden durfte, ist sie insoweit jedenfalls des-
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halb unzulässig, weil für die Anfechtungsklage das erforderliche Rechtsschutz-
bedürfnis fehlt. Durch einen Erfolg der Anfechtungsklage könnte die Klägerin
zu 2 ihr Rechtsschutzziel einer besonderen Regelung für den Fall des Auftre-
tens einer Knappheitssituation offensichtlich nicht erreichen. Denn entgegen der
Darstellung der Klägerin zu 2 hat die Bundesnetzagentur in dem angefochtenen
Beschluss vom 25. Januar 2010 in Verbindung mit dem Vertrag über den Zu-
gang zum Multifunktionsgehäuse nicht angeordnet, dass bei Kapazitätsengpäs-
sen eine Zugangsgewährung nach dem zeitlichen Prioritätsprinzip erfolgt, son-
dern vielmehr von einer gesonderten Regelung zur Verwaltung knapper Kollo-
kationsmöglichkeiten ausdrücklich abgesehen. Zwar ist die Regulierungsbehör-
de in diesem Zusammenhang - wie sich aus den Ausführungen auf S. 35 ff. des
Beschlusses ergibt - davon ausgegangen, dass die bereits aus den allgemeinen
Bestellregelungen folgende Vergabe der Kollokationsmöglichkeiten nach dem
Zeitpunkt der Bestelleingänge die Anforderungen der Chancengleichheit, Billig-
keit und Rechtzeitigkeit in befriedigender Weise erfüllt. Dies ändert jedoch
nichts daran, dass sich die Geltung des Prioritätsprinzips hier gerade aus dem
Fehlen einer Regelung ergibt. Die Klägerin zu 2 hätte deshalb eine Verpflich-
tungsklage mit dem Ziel der Festlegung eines besonderen Verteilungsverfah-
rens für den Fall einer Knappheitssituation erheben müssen. Die vom Verwal-
tungsgericht ausgesprochene Klageabweisung aus prozessualen Gründen stellt
sich damit im Sinne des § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als richtig
dar. Diese Folge ist schon im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu
beachten.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Da die
Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit keinem eigenen Kostenrisiko
ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es nicht der Billigkeit, ihre au-
ßergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2 aufzuerlegen. Die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Neumann
Hahn
Prof. Dr. Hecker
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Telekommunikationsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
TKG
§ 25 Abs. 1, Abs. 5
Stichworte:
Telekommunikation; Zugangsgewährung; Kollokation im Multifunktionsgehäuse;
Anordnung durch Bundesnetzagentur; Regulierungsermessen; allgemeines
Ermessen; Regulierungsverfügung; Rechtsschutzbedürfnis.
Leitsatz:
Bei der Entscheidung über die Festlegung der Bedingungen einer Zugangsan-
ordnung nach § 25 Abs. 5 Satz 1 und 2 TKG ist der Bundesnetzagentur kein
Regulierungsermessen, sondern ein allgemeines (Rechtsfolge-)Ermessen ein-
geräumt.
Beschluss des 6. Senats vom 5. Mai 2014 - BVerwG 6 B 46.13
I. VG Köln vom 15.05.2013 - Az.: VG 21 K 2516/10 -