Urteil des BVerwG vom 18.06.2015

Vorprüfung, Betriebliche Einrichtung, Umweltverträglichkeitsprüfung, Kumulation

BVerwGE: ja
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Bau- und Bodenrecht, einschließlich der
immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen für
Windkraftanlagen, sofern der Schwerpunkt der Sache im Bau-
und Bodenrecht liegt
Rechtsquelle/n:
BauGB § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
UVPG § 3b Abs. 2, 3; § 3c
Stichworte:
Außenbereich; Schweinemaststall; Vorprüfungspflicht (UVP); kumulierende
Vorhaben; Kumulation; nachträgliche -; Nachbarklage.
Leitsätze:
Auf den Fall einer nachträglichen Kumulation von Vorhaben, die für sich allein
nicht UVP-pflichtig oder vorprüfungspflichtig sind, die zusammen aber die
maßgeblichen Größen- oder Leistungswerte überschreiten, findet § 3b Abs. 2, 3
UVPG analog (ggf. i.V.m. § 3c Satz 5 UVPG) Anwendung.
Mehrere Vorhaben liegen auf demselben Betriebsgelände im Sinne des § 3b
Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 UVPG, wenn zwischen ihnen ein räumlich-betrieblicher
Zusammenhang besteht. Er ist gegeben, wenn sich die Umweltauswirkungen der
Vorhaben überschneiden und die Vorhaben funktional und wirtschaftlich
aufeinander bezogen sind.
Urteil des 4. Senats vom 18. Juni 2015 - BVerwG 4 C 4.14
I. VG Schleswig vom 1. Dezember 2011
Az: VG 2 A 108/10
II. OVG Schleswig vom 8. März 2013
Az: OVG 1 LB 5/12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 4 C 4.14
OVG 1 LB 5/12
Verkündet
am 18. Juni 2015
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz, Petz, Dr. Decker und
Dr. Külpmann
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Schleswig-
Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. März
2013 aufgehoben, soweit es das Urteil des Schleswig-
Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 1. Dezember
2011 geändert und die Klage gegen die der Beigeladenen
erteilte Baugenehmigung vom 24. Juli 2009 abgewiesen
hat. Insoweit wird die Sache zur anderweitigen Verhand-
lung und Entscheidung an das Schleswig-Holsteinische
Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
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G r ü n d e :
I
Die Kläger wenden sich gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung
für einen Schweinemaststall.
Die Kläger sind Eigentümer des Wohngrundstücks A. 6 in S., die Beigeladene
ist Eigentümerin des Flurstücks 27/1 der Flur 2 in der Gemarkung H. Beide
Grundstücke liegen im Außenbereich der Gemeinde S.. Mit Bescheid vom
24. Juli 2009 erteilte der Beklagte der Beigeladenen die Genehmigung zur Er-
richtung eines Schweinemaststalls mit 1 480 Tierplätzen auf ihrem Grundstück
und mit Bescheid vom 6. Januar 2010 die Genehmigung zur Errichtung eines
dazu gehörigen Güllebehälters. Die Entfernung zwischen dem Wohnhaus der
Kläger und dem südwestlich gelegenen Schweinemaststall beträgt ca. 430 m.
In einer Entfernung von ca. 490 m westlich vom Wohnhaus der Kläger befindet
sich die Hofstelle A. 5 der Beigeladenen mit Schweinehaltung, insbesondere
einer Ferkelaufzucht. Das Vorhaben A. 5 und der Schweinemaststall liegen,
durch den A., eine Kreisstraße, getrennt, etwa 140 m auseinander. Ca. 730 m
vom Wohnhaus der Kläger entfernt, etwa 220 m westlich des Schweinemast-
stalls und ca. 230 m südwestlich des Ferkelstalls (A. 5) ist die Hofstelle A. 4 des
Ehemanns der Beigeladenen angesiedelt. Dort werden Rinder gehalten und
Ferkel erzeugt.
Die gegen beide Baugenehmigungen erhobene, erstinstanzlich erfolgreiche
Klage hat das Oberverwaltungsgericht im Berufungsrechtszug abgewiesen. Die
Baugenehmigung für den Schweinemaststall sei formell rechtmäßig. Der Stall
unterliege weder für sich allein noch - mangels engen räumlichen Zusammen-
hangs - als Erweiterungs- bzw. nachträglich kumulierendes Vorhaben mit den
Hofstellen A. 4 und/oder 5 einer Pflicht zur Vorprüfung auf seine Umweltverträg-
lichkeit. Die Kläger hätten daher keinen Anspruch nach § 4 Abs. 1 und 3
UmwRG auf Aufhebung der Genehmigung. Einen Aufhebungsanspruch hätten
sie ferner nicht wegen einer unterlassenen FFH-Verträglichkeitsprüfung. So-
wohl nach Unionsrecht als auch nach innerstaatlichem Recht könnten Individu-
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alkläger eine Verletzung von FFH-Recht nicht rügen. Die Baugenehmigungen
seien auch materiell rechtmäßig. Sie stünden mit der insoweit allein einschlägi-
gen Vorschrift des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB und dem darin verankerten,
nachbarschützenden Gebot der Rücksichtnahme im Einklang.
Die Kläger haben gegen das Berufungsurteil die vom Senat zugelassene Revi-
sion eingelegt, soweit das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungs-
gerichts geändert und die Klage gegen die Baugenehmigung für den Schwei-
nemaststall abgewiesen hat. Sie erstreben insoweit die Wiederherstellung der
erstinstanzlichen Entscheidung.
Der Beklagte und die Beigeladene verteidigen das Berufungsurteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren.
II
Die Revision der Kläger ist begründet. Das Berufungsurteil verstößt im ange-
fochtenen Umfang gegen Bundesrecht. Da die notwendigen tatrichterlichen
Feststellungen fehlen, um den Rechtsstreit in der Revisionsinstanz abschlie-
ßend entscheiden zu können, ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
VwGO an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
1. Der Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Schweinemaststall unterlie-
ge keiner Pflicht zur Vorprüfung seiner Umweltverträglichkeit, liegt ein fehlerhaf-
tes Verständnis des Bundesrechts zugrunde. Dies können die Kläger rügen (§ 4
Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes vom 8. April 2013
, zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. August 2013
S. 3154> - UmwRG).
a) Nicht zu beanstanden ist allerdings die vorinstanzliche Auffassung, dass der
Schweinemaststall allein keiner Vorprüfung zu unterziehen ist. Gemäß § 3c
Satz 1 und 2 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Fas-
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sung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I S. 94 mit späteren
Änderungen) - UVPG - i.V.m. Nr. 7.7.2 und 7.7.3 der Anlage 1 besteht eine
Pflicht zur allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls für die Errichtung und den
Betrieb einer Anlage zur Intensivhaltung oder -aufzucht von Mastschweinen
(Schweine von 30 kg Lebendgewicht oder mehr) mit 2 000 bis weniger als
3 000 Plätzen und eine Pflicht zur standortbezogenen Vorprüfung bei einem
Betrieb von 1 500 bis weniger als 2 000 Plätzen. Mit 1 480 Plätzen liegt der
Schweinemaststall unterhalb dieser Schwellenwerte.
Gegen die Freistellung von Schweinemastställen mit weniger als 1 500 Plätzen
von der Vorprüfungspflicht ist unionsrechtlich nichts zu erinnern. Nach Art. 4
Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung
bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012 Nr. L 26 S. 1)
- UVP-RL - bestimmen die Mitgliedstaaten bei Projekten des Anhangs II - und
damit u.a. bei Anlagen zur Intensivhaltung oder -aufzucht von Schweinen mit
bis zu 3 000 Plätzen für Mastschweine (Schweine über 30 kg) - anhand einer
Einzelfalluntersuchung oder der von den Mitgliedstaaten festgelegten Schwel-
lenwerten bzw. Kriterien, ob das Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung
unterzogen werden muss. Die Vorschrift zwingt nicht dazu, unabhängig von
Bestimmungen, Kriterien und Schwellenwerten bei jedem Projekt gemäß Art. 2
Abs. 1 UVP-RL konkret zu prüfen, ob bei ihm aufgrund seiner Art, seiner Größe
oder seines Standorts mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rech-
nen ist. Eine entsprechende Auslegung würde der Vorschrift jede Bedeutung
nehmen, weil ein Mitgliedstaat kein Interesse an der Festlegung von Bestim-
mungen, Schwellenwerten und Kriterien hätte, wenn jedes Projekt unabhängig
davon dennoch einer individuellen Prüfung im Hinblick auf die in Art. 2 Abs. 1
UVP-RL genannten Kriterien unterzogen werden müsste (EuGH, Urteil vom
24. Oktober 1996 - C-72/95 [ECLI:EU:C:1996:404] - Rn. 49 zur Richtlinie
85/337/EWG). Art. 4 Abs. 2 UVP-RL erlaubt es stattdessen, alle Arten von Pro-
jekten von der Pflicht zur Untersuchung ihrer Auswirkungen auszunehmen, bei
denen aufgrund einer pauschalen Beurteilung davon auszugehen ist, dass bei
ihnen nicht mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist
(EuGH, Urteil vom 21. März 2013 - C-244/12 [ECLI:EU:C:2013:203] - Rn. 31).
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Für die Festsetzung der Schwellenwerte hat der Gesetzgeber eine Einschät-
zungsprärogative. Der Senat hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetz-
geber mit der Freistellung von Schweinemastställen mit weniger als 1 500 Plät-
zen von der Vorprüfungspflicht seinen Spielraum überschritten hätte. Art. 4
Abs. 1 UVP-RL i.V.m. Anhang I Nr. 17b) fordert eine Umweltverträglichkeitsprü-
fung für Anlagen zur Intensivhaltung oder -aufzucht von Schweinen mit mehr
als 3 000 Plätzen für Mastschweine. Vor diesem Schwellenwert erscheint es
nicht sachwidrig, Schweinemastställe von der Vorprüfungspflicht zu befreien,
die allenfalls halb so groß sind wie die nach Unionsrecht zwingend UVP-pflich-
tigen Ställe. Dies wird nicht durch die Behauptung der Kläger in Zweifel gezo-
gen, dass Masthähnchenanlagen mit mehr als 85 000 Tierplätzen, die Art. 4
Abs. 1 UVP-RL i.V.m. Anhang I Nr. 17a) der UVP-Pflicht unterwirft, weniger
Ammoniak und Gerüche emittierten als ein Schweinemaststall mit 1 499 Tier-
plätzen. Der nationale Gesetzgeber ist nicht zu einer Gleichbehandlung von
Anlagen verpflichtet, die der Unionsgesetzgeber selbst nicht für geboten hält.
Außerdem führt der Vergleich einzelner Schwellenwerte nicht weiter, weil es
Sinn und Zweck der Umweltverträglichkeitsprüfung ist, die Auswirkungen auf
die Umwelt umfassend zu ermitteln.
b) Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, der Schweinemaststall unter-
liege auch deshalb keiner Vorprüfungspflicht, weil seine Tierplatzzahlen nicht
mit den Tierplatzzahlen einer benachbarten Hofstelle zusammenzuzählen sei-
en, ist dagegen nicht mit Bundesrecht vereinbar.
aa) Die Pflicht zur Durchführung einer Vorprüfung nach § 3c Satz 1 oder 2
UVPG wegen der Notwendigkeit einer Addition von Tierplatzzahlen ergibt sich
vorliegend allerdings nicht unmittelbar aus dem Gesetz über die Umweltverträg-
lichkeitsprüfung. Gemäß § 3c Satz 5 UVPG gilt für das erstmalige Erreichen
oder Überschreiten und jede weitere Überschreitung der Prüfwerte § 3b Abs. 2
Satz 1 und 2 und Abs. 3 UVPG entsprechend.
(1) Nach § 3c Satz 5 i.V.m. § 3b Abs. 2 Satz 1 UVPG besteht die Verpflichtung
zur Durchführung einer Vorprüfung, wenn mehrere Vorhaben derselben Art, die
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gleichzeitig von demselben oder mehreren Trägern verwirklicht werden sollen
und in einem engen Zusammenhang stehen (kumulierende Vorhaben), zu-
sammen die maßgeblichen Größen- oder Leistungswerte erreichen oder über-
schreiten. Den vorliegenden Fall einer nachträglichen Kumulation, also eines
Hinzutretens eines Vorhabens zu einem bereits vorhandenen Vorhaben, erfasst
§ 3b Abs. 2 Satz 1 UVPG nicht.
(2) Nach § 3c Satz 5 i.V.m. § 3b Abs. 3 Satz 1 UVPG ist für die Änderung oder
Erweiterung eines bestehenden, bisher nicht vorprüfungspflichtigen Vorhabens
eine Vorprüfung unter Berücksichtigung der Umweltauswirkungen des beste-
henden, bisher nicht vorprüfungspflichtigen Vorhabens durchzuführen, wenn
der maßgebende Größen- oder Leistungswert durch die Änderung oder Erwei-
terung erstmals erreicht oder überschritten wird. Die Frage, ob ein bestehendes
Vorhaben geändert oder erweitert wird, beurteilt sich nicht nach der Definition
des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UVPG, sondern nach dem materiellen Recht (BVerwG,
Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 36.13 - juris Rn. 23). Weder nach den Vor-
schriften des Baurechts noch nach den Bestimmungen des Immissionsschutz-
rechts ändert oder erweitert der umstrittene Schweinemaststall ein vorhandenes
Vorhaben. Baurecht ist nicht einschlägig, weil mit der Errichtung des Stalls kei-
ne bestehende bauliche Anlage umgestaltet worden ist, und immissionsschutz-
rechtlich wird kein Vorhaben geändert oder erweitert, weil der Stall und die be-
nachbarten Ställe nicht, wie nach § 1 Abs. 1 Satz 4 der Vierten Verordnung zur
Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - Verordnung über ge-
nehmigungsbedürftige Anlagen - 4. BImSchV erforderlich, von demselben Be-
treiber geführt werden.
bb) Der Fall der nachträglichen Kumulation von Vorhaben hat im Gesetz über
die Umweltverträglichkeitsprüfung keine Regelung erfahren. Die Gesetzeslücke
ist durch eine Gesamtanalogie zu § 3b Abs. 2 und 3 UVPG zu schließen.
Die Gesetzeslücke ist planwidrig. Dem Gesetzgeber ging es darum, mit § 3b
UVPG die Vorgaben des Unionsrechts und die Rechtsprechung des Europäi-
schen Gerichtshofs vollständig umzusetzen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung, BR-Drs. 674/00 S. 88, Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stel-
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lungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 14/5204 S. 7). Dies hat der Vertreter des
Bundesinteresses in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bekräftigt.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist nationalrechtlich
sicherzustellen, dass der Regelungszweck des Art. 2 Abs. 1 UVP-RL - die Ge-
währleistung der Prüfung von Projekten mit voraussichtlich erheblichen Auswir-
kungen auf die Umwelt auf ihre Verträglichkeit - nicht durch eine Aufsplitterung
von Projekten umgangen wird (EuGH, Urteile vom 21. September 1999
- C-392/96 [ECLI:EU:C:1999:431] - Rn. 76 und vom 25. Juli 2008 - C-142/07
[ECLI:EU:C:2008:445] - Rn. 44). Wie sich aus dem Urteil vom 21. September
1999 - C-392/96 - a.a.O. Rn. 78) ergibt, will der Europäische Gerichtshof auch
die zeitlich versetzte Verwirklichung von Teilprojekten vom innerstaatlichen
Recht erfasst wissen. Hätte der Gesetzgeber erkannt, dass er dieser Recht-
sprechung nicht Rechnung getragen hat, hätte er § 3b Abs. 2 oder Abs. 3
UVPG um die fehlende Regelung ergänzt.
Aus § 3b Abs. 2 Satz 1 UVPG und dem dort genannten Tatbestandsmerkmal
der Gleichzeitigkeit der Verwirklichung mehrerer Vorhaben derselben Art ergibt
sich kein Analogieverbot. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung war das Er-
fordernis einer gleichzeitigen Verwirklichung von Vorhaben nicht enthalten
(BR-Drs. 674/00). Es kam erst im Laufe der Beratungen hinzu (Beschlussemp-
fehlung und Bericht des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, BT-Drs. 14/5750 S. 127). Die Ergänzung des Gesetzeswort-
lauts hatte nicht zum Ziel, die Fälle nachträglicher Kumulation aus dem Gel-
tungsbereich des § 3b UVPG herauszunehmen, sondern den Zweck der Klar-
stellung und Abgrenzung zu dem in § 3b Abs. 3 UVPG geregelten Tatbestand
der Erweiterung, um in den Fällen des § 3b Abs. 3 Satz 3 bis 5 UVPG, also bei
fehlender oder eingeschränkter Anrechenbarkeit bestehender Vorhaben, einen
Rückgriff auf Absatz 2 auszuschließen (Sangenstedt, in: Landmann/Rohmer,
Umweltrecht, Stand 15. Januar 2015, § 3b UVPG Rn. 4; Dienes, in: Hop-
pe/Beckmann, UVPG, 4. Aufl. 2012, § 3b Rn. 10).
cc) Der Senat kann sich auf die Prüfung beschränken, ob die Tierplatzzahlen
des Ferkelstalls A. 5 und des Schweinemaststalls mit der Folge eines "Hinein-
wachsens" des Schweinemaststalls in die Vorprüfungspflicht zu addieren sind.
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Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorbringen der Kläger dahingehend ge-
würdigt, dass sie eine Kumulation des Schweinemaststalls mit der Hofstelle A. 4
selbst nicht behaupten wollen (UA Rn. 53). Die Kläger haben dies im Revisi-
onsverfahren nicht beanstandet.
Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts ist es nicht ausgeschlos-
sen, dass es sich bei dem Ferkelstall A. 5 und dem Schweinemaststall um ku-
mulierende Vorhaben handelt und der Schweinemaststall daher einer Pflicht zur
Vorprüfung auf seine Umweltverträglichkeit unterliegt.
(1) Die Ställe sind Vorhaben derselben Art, die zusammen jedenfalls den maß-
geblichen Wert für eine standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls erreichen.
Unter der Voraussetzung, dass es sich bei der Hofstelle A. 5 allein um eine An-
lage zur getrennten Intensivaufzucht von Ferkeln (Ferkel von 10 bis weniger als
30 kg Lebendgewicht) handelt, ergibt sich dies aus Nr. 7.11.3 der Anlage 1 zum
UVPG. Die danach maßgeblichen Werte von 700 zu 4 500 Tierplätzen für den
Ferkelstall und 1 480 zu 1 500 Tierplätzen für den Schweinemaststall ergeben
in der Addition den vom-Hundert-Wert 114,23 und überschreiten damit den
maßgeblichen Wert 100.
(2) Zwischen den Vorhaben besteht der analog § 3b Abs. 2 Satz 1 UVPG erfor-
derliche enge Zusammenhang. Nach der Legaldefinition des § 3b Abs. 2 Satz 2
Nr. 1 UVPG ist ein enger Zusammenhang gegeben, wenn die Vorhaben auf
demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betriebli-
chen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind.
Das Oberverwaltungsgericht hat einen engen Zusammenhang zwischen der
Hofstelle A. 5 und dem Schweinemaststall verneint: Was unter der Konkretisie-
rung "auf demselben Betriebsgelände" zu verstehen sei, bedürfe einer Gesamt-
beurteilung nach der Verkehrsanschauung durch eine objektive Betrachtung der
örtlichen Gegebenheiten. Ausschlaggebend bleibe dabei der enge räumliche
Zusammenhang (UA Rn. 54). An einem solchen fehle es hier. Nach dem äuße-
ren Erscheinungsbild seien die Vorhaben voneinander getrennt, weil zwischen
ihnen der A. verlaufe und wegen des vorhandenen üppigen Bewuchses, eines
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Knicks mit hohem Baum- und Strauchwerk am Schweinemaststall und hoher
Bäume beidseitig des Zufahrtsweges zu dem Ferkelstall, eine Durchsicht von
der einen zur anderen Stallung selbst im Winter kaum möglich sei (UA Rn. 59).
Dieses Verständnis vom Begriff des engen Zusammenhangs steht mit Bundes-
recht nicht im Einklang. Zwar hat der Begriff eine räumliche Komponente, weil
die Vorhaben auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen müssen. Maß-
geblich sind aber nicht optisch wahrnehmbare Umstände, die dafür oder dage-
gen sprechen, dass die Vorhaben einen wenigstens in Ansätzen erkennbaren
Bebauungszusammenhang bilden. Der räumliche Zusammenhang ist nach dem
Sinn und Zweck der Kumulationsregelung, Vorhaben mit einem gemeinsamen
Einwirkungsbereich zu erfassen (BR-Drs. 674/00 S. 89), vielmehr danach zu
bestimmen, ob damit zu rechnen ist, dass sich die Umweltauswirkungen über-
lagern. Das ist zwar umso weniger der Fall, je weiter die Vorhaben voneinander
Abstand halten, hängt aber nicht von den optisch wahrnehmbaren Kriterien ab,
die das Oberverwaltungsgericht für entscheidend hält.
Allein dass es zu Wirkungsüberschneidungen kommen wird - wovon vorliegend
angesichts der geringen Entfernung zwischen der Stallung A. 5 und dem
Schweinemaststall ausgegangen werden kann -, reicht entgegen der Ansicht
der Kläger aber für die Anwendbarkeit der Kumulationsregelung nicht aus. Vor-
haben, die beziehungslos und gleichsam zufällig nebeneinander verwirklicht
werden, unterliegen nicht schon wegen ihrer sich überlagernden Umweltauswir-
kungen der Vorprüfungspflicht. § 3b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 UVPG verlangt eine
Ausführung auf demselben Betriebs- oder Baugelände und eine Verbindung mit
gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen. Zu Unrecht sehen
die Kläger darin einen Verstoß gegen Unionsrecht. Nach Art. 4 Abs. 3 UVP-RL
sind bei der Festlegung von Schwellenwerten die relevanten Auswahlkriterien
des Anhangs III zu berücksichtigen. Zu den Auswahlkriterien gehört nach des-
sen Nummer 1 Buchstabe b Kumulierung mit anderen Projekten. Die Pflicht zur
Berücksichtigung bedeutet die Verpflichtung, diesen Punkt als Abwägungspos-
ten in Rechnung zu stellen. Er darf mithin nicht ausgeblendet werden, kann je-
doch auch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen und ist einer Relati-
vierung - auch im Hinblick auf den Projektbezug der Richtlinie - zugänglich. Die
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Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urteile vom 25. Juli 2008
- C 142/07 - und vom 21. März 2013 - C-244/12 [ECLI:EU:C:2013:203] - NVwZ
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Die tatrichterlichen Feststellungen reichen für den Befund aus, dass das Vorha-
ben A. 5 und der Schweinemaststall auf demselben Betriebsgelände liegen.
Zwischen beiden Vorhaben besteht ein räumlich-betrieblicher Zusammenhang.
Die Vorhaben sind funktional und wirtschaftlich aufeinander bezogen, weil der
Stall A. 5 der Aufzucht von Ferkeln dient, die später in den Maststall umgesetzt
werden (UA Rn. 58). Gemeinsame betriebliche Einrichtung ist eine Trinkwas-
serleitung, die an einen Eigenbrunnen auf dem Gelände der Hofstelle A. 4 an-
geschlossen ist und über die sowohl das Vorhaben A. 5 als auch das umstritte-
ne Vorhaben versorgt werden (Protokoll der berufungsgerichtlichen Ortsbesich-
tigung am 27. Februar 2013).
(3) Die Tierplatzzahlen im Stall A. 5 sind allerdings nur insoweit der Zahl der
Plätze im Schweinemaststall hinzuzurechnen, als sie über den Bestand hinaus-
gehen, der nach § 3b Abs. 3 Satz 3 UVPG unbeachtlich bleibt. Nach dieser
Vorschrift bleibt der in den jeweiligen Anwendungsbereich der Richtlinien
85/337/EWG und 97/11/EG fallende, aber vor Ablauf der jeweiligen Umset-
zungsfristen erreichte Bestand hinsichtlich des Erreichens oder Überschreitens
der Größen- oder Leistungswerte unberücksichtigt. Das Berufungsurteil enthält
keine Feststellungen zu den erreichten Beständen an den maßgeblichen Stich-
tagen, dem 5. Juli 1988 und dem 14. März 1999. Zur Nachholung der notwen-
digen Ermittlungen ist die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückzuver-
weisen.
2. Der Frage, ob die Baugenehmigung mit FFH-Recht im Einklang steht und die
Kläger einen eventuellen Rechtsverstoß geltend machen können, braucht der
Senat nicht nachzugehen. Das Berufungsurteil enthält keine Feststellungen, die
dem Senat eine Entscheidung zur Vereinbarkeit der Baugenehmigung mit FFH-
Recht ermöglichen. Mehr als die - ohnehin gebotene - Zurückverweisung der
Sache an das Oberverwaltungsgericht könnte der Senat deshalb nicht ausspre-
chen.
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3. Die planungsrechtliche Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung hat das Ober-
verwaltungsgericht an § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB gemessen. Einen Ver-
stoß gegen die Vorschrift hat es verneint, weil das Wohngrundstück der Kläger
schädlichen Umwelteinwirkungen nicht ausgesetzt werde. Seinem rechtlichen
Ansatz, für die Bewertung der Zumutbarkeit der Geruchsimmissionen sei die
Geruchsimmissionsrichtlinie des Landes Schleswig-Holstein - GIRL - als Orien-
tierungshilfe heranzuziehen (UA Rn. 71), treten die Kläger nicht entgegen. Sie
beschränken sich auf Verfahrensrügen. Ob sie durchgreifen, braucht der Senat
nicht zu entscheiden, weil sie im Erfolgsfall nur zur Zurückverweisung der Sa-
che an das Oberverwaltungsgericht führten.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Petz
Dr. Decker
Dr. Külpmann
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 15 000 €
festgesetzt.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Petz
Dr. Decker
Dr. Külpmann
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