Urteil des BVerwG vom 19.04.2006

Entschädigung, Durchgangsverkehr, Grundeigentum, Mieter

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 11.06
OVG 8 C 11367/05
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. April 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und die Richterin am Bundes-
verwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:
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Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsge-
richts Rheinland-Pfalz vom 30. Januar 2006 wird zurück-
gewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Er-
folg. Die Rechtssache hat weder die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der An-
tragsteller beimisst, noch weicht das Normenkontrollurteil von einer divergenz-
fähigen Entscheidung ab.
Die Frage, ob es dem Gebot der Problembewältigung genügt, zum Mittel der
Entschädigung für passive Schallschutzmaßnahmen zu greifen, wenn sich die
Umsetzung eines für erforderlich angesehenen, weitergehenden, verkehrspla-
nerischen Konzeptes aus planerischen und finanziellen Gründen nicht hinrei-
chend sicher voraussehen lässt, führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sie
sich nicht verallgemeinernd beantworten lässt. Es hängt von den Umständen
des jeweiligen Falles ab, namentlich von dem Ausmaß der nachteiligen Betrof-
fenheit, die eine Bauleitplanung auslöst, und dem Gewicht der für die Planung
sprechenden Belange, was der Nachbarschaft an Belastungen zugemutet wer-
den darf. An diesen rechtlichen Maßstab hat sich das Normenkontrollgericht
gehalten. Es hat nicht verkannt, dass es zur angestrebten Entlastung des
Stadtteils Kürenz vom Durchgangsverkehr innerhalb eines zumutbaren Zeit-
raums möglicherweise nicht kommen wird und sich die betroffenen Straßenan-
lieger notfalls langfristig mit passivem Schallschutz begnügen müssen. Es hält
diese Folge aber für gerechtfertigt, weil der Konversionsmaßnahme auf dem
Petrisberg, der mit den umstrittenen Bebauungsplänen der Weg bereitet wer-
den soll, eine herausragende städtebauliche Bedeutung zukomme und die
planbedingt ausgelöste Zunahme des Verkehrslärms in den Durchgangsstraßen
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von Kürenz mit 0,3 bis 0,5 dB(A) verhältnismäßig gering ausfalle (UA S. 11). An
diese tatrichterliche Würdigung ist der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO
gebunden. Sie ist daher einer revisionsgerichtlichen Kontrolle nicht zugänglich.
Die angegriffene Entscheidung weicht nicht von der Entscheidung des Senats
vom 25. August 1997 - BVerwG 4 BN 4.97 - (BRS 59 Nr. 7) ab. Das Normen-
kontrollgericht hat dem höchstrichterlichen Rechtssatz, die Gemeinde müsse
die mit der Durchführung eines Bebauungsplans verbundenen Folgeprobleme
nicht bereits im Bebauungsplan selbst oder in unmittelbarem zeitlichen Zu-
sammenhang mit diesem verbindlich und abschließend regeln, sondern dürfe
Maßnahmen zur Milderung oder zum Ausgleich von Härten einem späteren
Verwaltungsverfahren überlassen, wenn sie im Rahmen der Abwägung realisti-
scherweise davon ausgehen könne, dass die Probleme in diesem Zusammen-
hang gelöst werden können, weder ausdrücklich noch sinngemäß die Gefolg-
schaft verweigert. Es trifft nicht zu, dass das Normenkontrollgericht geringere
Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Problembewältigung
gestellt und das Abwägungsgebot schon dann als gewahrt angesehen hat,
wenn spätere Problemlösungen nicht ausgeschlossen erscheinen. Die Vorin-
stanz bezweifelt nämlich nicht, dass der Stadtteil Kürenz zu gegebener Zeit
dauerhaft vom Durchgangsverkehr entlastet werden wird. Ausgeschlossen er-
scheint ihr mit der Antragsgegnerin nur die hinreichend sichere Prognose, dass
die Verkehrsprobleme in Kürenz „innerhalb eines für die Betroffenen zumutba-
ren Zeitraums“ endgültig gelöst werden (UA S. 11). Damit stimmt überein, dass
sie die Entschädigung für passive Schallschutzmaßnahmen als Mittel zur „vo-
rübergehenden“ Problembewältigung ansieht (UA S. 10).
Mit der sich an die Divergenzrüge anschließenden Frage, ob das Gebot der
Problembewältigung umso mehr zurücktritt, je höhere Bedeutung der Sat-
zungsgeber seiner Planmaßnahme beimisst, möchte die Beschwerde offenbar
rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, ob zum Mittel der vorübergehenden Prob-
lembewältigung gegriffen werden darf, wenn es um die Verwirklichung von
Maßnahmen mit herausragender städtebaulicher Bedeutung geht. Soweit sich
diese Frage überhaupt fallübergreifend beantworten lässt, ist sie ohne weiteres
zu bejahen. Dazu bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens.
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Mit der Frage, ob Lärmschutzkonzeptionen, die an das Grundeigentum anknüp-
fen und Mieter von vornherein außer Betracht lassen, den Schutzzweck der
Sicherung gesunder Wohnverhältnisse hinreichend verfolgen können, will die
Beschwerde bei verständiger Würdigung ihres Anliegens klären lassen, ob das
Recht, Zuschüsse zu den Kosten für Schallschutzmaßnahmen beanspruchen
zu können, auf die Eigentümer der betroffenen Häuser beschränkt werden darf.
Das Normenkontrollgericht hat diese Begrenzung der Anspruchsberechtigung
mit der Begründung gebilligt, sie entspreche der Regelung in § 42 Abs. 1 Satz 1
BImSchG. Dem ist beizupflichten. § 42 Abs. 1 BImSchG vermittelt dem Eigen-
tümer einer betroffenen baulichen Anlage einen Anspruch auf Entschädigung
für Schallschutzmaßnahmen, wenn infolge des Baus und der wesentlichen Än-
derung öffentlicher Straßen die maßgeblichen Immissionsgrenzwerte der Ver-
kehrslärmschutzverordnung überschritten werden. Es gibt keine rechtliche Ver-
pflichtung, den Kreis der Anspruchsberechtigten zu erweitern, wenn als Folge
einer gemeindlichen Planung der Verkehr auf vorhandenen Straßen außerhalb
des Plangebiets zunimmt und dort das vorhandene Lärmniveau über das zu-
mutbare Maß hinaus erhöht. Hier wie dort sind die Interessen von Nießbrau-
chern, Mietern oder Pächtern dadurch gewahrt, dass sie den anspruchsberech-
tigten Eigentümer über ihre Sonderbeziehungen zu Schutzmaßnahmen zwin-
gen können (vgl. Jarass, BImSchG, 6. Aufl., § 42, Rn. 20). Eine Divergenz zu
der Entscheidung des Senats vom 25. Januar 2002 - BVerwG 4 BN 2.02 - (BRS
65 Nr. 52) liegt darin nicht, weil sich die Entscheidung mit Fragen des Ersatzes
von Aufwendungen für Schallschutzmaßnahmen überhaupt nicht befasst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertent-
scheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Paetow Gatz Dr. Philipp
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