Urteil des BVerwG vom 30.07.2014

Juristische Person, Normenkontrolle, Grundstück, Vorrang

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 1.14
OVG 12 KN 277/11
In der Normenkontrollsache
- 2 -
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Juli 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Külpmann
beschlossen:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen
Oberverwaltungsgerichts vom 17. Oktober 2013 wird zu-
rückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind
nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Er-
folg.
1
- 3 -
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die
Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Antragsgegner
beimisst.
a) Zum Themenkomplex „Antragsbefugnis“ (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) wirft der
Antragsgegner folgende Fragen auf:
Steht dem Eigentümer eines Wohngrundstücks in der
Nachbarschaft eines von einem regionalen Raumord-
nungsprogramm (RROP) festgesetzten Vorranggebiets
generell eine Antragsbefugnis für eine Normenkontrolle
gegen die Festsetzung des Vorranggebiets zu oder ist sie
grundsätzlich zu verneinen?
Hat der Eigentümer eines Grundstücks in der Nachbar-
schaft eines durch ein RROP festgesetzten Vorrangge-
biets für Windenergieanlagen gegen den Planungsträger
auf der Grundlage von § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG einen all-
gemeinen Rechtsanspruch darauf, dass Vorranggebiete
bestimmte Abstände zu seinem Grundstück und/oder
Wohnhaus einhalten?
Scheitert ein allgemeiner Anspruch des Grundstücks-
eigentümers in der Nachbarschaft zu einem Vorranggebiet
auf Festlegung von Abständen zu seinem Grundstück
und/oder Wohnhaus daran, dass Abstände im Sinne der
Rechtsprechung des Senats „weiche Ausschlusskriterien“
sind, deren Anwendung individuellen Anforderungen
unterliegen, u.a. der notwendigen Substanz der privilegier-
ten Windenergie in einem Plangebiet, so dass die Auswei-
sung der Konzentrationszone noch keine Planungsebene
ist, bei der private Belange in Bezug auf Abstandsflächen
noch nicht generell erkennbar im Sinne von § 7 Abs. 2
Satz 1 ROG sind?
Auf die erste Frage lässt sich antworten, ohne dass es der Durchführung eines
Revisionsverfahrens bedarf. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Nor-
menkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend
macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten ver-
letzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Wer die Ausweisung
eines Vorranggebiets in einem Regionalplan als mittelbar Betroffener angreift,
muss sich nicht von vornherein entgegenhalten lassen, eine Rechtsverletzung
und damit auch das Erfordernis einer Rechtsschutzgewährung könnten sich - je
2
3
4
- 4 -
nach Sachlage - erst durch den Erlass eines nachfolgenden Bebauungsplans
oder die Erteilung einer Anlagengenehmigung ergeben. Wenn und soweit das
Interesse des Antragstellers an der Abwehr planbedingter Folgemaßnahmen
zum notwendigen Abwägungsmaterial gehört, wird es von dem durch § 7 Abs. 2
Satz 1 ROG vermittelten Recht auf gerechte Abwägung erfasst, dessen mögli-
che Verletzung die Antragsbefugnis begründet (vgl. Urteil vom 11. Dezember
2003 - BVerwG 4 CN 10.02 - BVerwGE 119, 312 <322> und Beschluss vom
14. Mai 2014 - BVerwG 4 BN 10.14 - juris Rn. 7). Ob das der Fall ist, beurteilt
sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Die beiden anderen Fragen würden sich in dem angestrebten Revisionsverfah-
ren nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Antragsbefugnis eines
Grundstückseigentümers nicht mit einem allgemeinen Rechtsanspruch des In-
halts begründet, dass Vorranggebiete für Windenergieanlagen bestimmte Ab-
stände zum Grundstück oder zum Wohnhaus einhalten, sondern sie für den Fall
bejaht, dass der Antragsteller einen Sachverhalt darlegt, der es als möglich er-
scheinen lässt, dass zu seinen Lasten das planungsrechtliche Gebot der Rück-
sichtnahme verletzt ist bzw. eine nachteilige Betroffenheit oberhalb der Zumut-
barkeitsschwelle vorliegt.
b) Zum Thema „Rechtsschutzbedürfnis“ formuliert der Antragsgegner als Fra-
gen:
Hat der Eigentümer eines Grundstücks, das in der Nach-
barschaft zu einem Vorranggebiet für Windenergieanlagen
liegt, ein Rechtsschutzbedürfnis für die Unwirksamkeitser-
klärung dieser Festsetzung oder fehlt es, weil die Unwirk-
samkeitserklärung des Vorranggebiets für das Grundstück
keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringt?
Hat der Eigentümer eines Grundstücks in der Nachbar-
schaft eines vom RROP festgesetzten Vorranggebiets ein
Rechtsschutzbedürfnis für eine Normenkontrolle gegen
die Festsetzung des Vorranggebiets, wenn dessen Un-
wirksamkeitserklärung die Unwirksamkeit des gesamten
RROP nach sich zieht, weil die Festsetzung eines Vor-
ranggebiets durch das RROP nicht von den Festsetzun-
gen der übrigen Vorranggebiete abgeteilt werden kann?
5
6
- 5 -
Hat der Eigentümer eines Grundstücks in der Nachbar-
schaft zu einem Vorranggebiet ein Rechtsschutzbedürfnis
für dessen Unwirksamkeitserklärung durch Normenkon-
trolle, wenn sie die Unwirksamkeit des gesamten RROP
nach sich zieht?
Die erste Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sie keinen Bedarf
nach grundsätzlicher Klärung auslöst. Nach ständiger Rechtsprechung des Se-
nats (vgl. Urteil vom 28. April 1999 - BVerwG 4 CN 5.99 - Buchholz 310 § 47
VwGO Nr. 134 S. 11 m.w.N.) ist von einem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis
für einen Normenkontrollantrag u.a. dann auszugehen, wenn sich die Inan-
spruchnahme des Gerichts als nutzlos erweist, weil der Antragsteller mit der
begehrten Entscheidung seine Rechtsstellung nicht verbessern kann. Die Be-
schwerde zeigt nicht auf, dass diese Rechtsprechung der Korrektur oder Wei-
terentwicklung bedarf. Sie wendet sich vielmehr im Gewand der Grundsatzrüge
gegen die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass die Erklärung der teil-
weisen Unwirksamkeit der angegriffenen Rechtsvorschrift für den Antragsteller
nicht nutzlos sei. Mit einer Kritik an der Sachverhaltswürdigung und Rechtsan-
wendung im Einzelfall lässt sich die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssa-
che aber nicht darlegen.
Die zweite und dritte Frage sind nicht entscheidungserheblich. Sie gehen am
Inhalt des Normenkontrollurteils vorbei, weil das Oberverwaltungsgericht die
Feststellung der Unwirksamkeit der Festlegung des Standorts BI-01-V04 als
kombiniertes Vorrang- und Eignungsgebiet in der 1. Änderung des RROP 2000
des Antragsgegners nicht zum Anlass genommen hat, die Änderung des RROP
insgesamt für unwirksam zu erklären.
c) Der Antragsgegner möchte im Revisionsverfahren ferner geklärt wissen:
Ist eine Normenkontrolle unbegründet, wenn der geltend
gemachte Nachteil im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1
VwGO, der zu ihrer Zulässigkeit führt, nicht vorliegt?
Reicht die Geltendmachung eines Nachteils, die nach § 47
Abs. 2 Satz 1 VwGO zur Zulässigkeit führt, aus, um der
Normenkontrolle zum Erfolg zu verhelfen, auch wenn fest-
steht, dass der geltend gemachte Nachteil nicht vorliegt?
7
8
9
- 6 -
Kann sich das Normenkontrollurteil vollständig von dem
geltend gemachten Nachteil nach § 47 Abs. 2 Satz 1
VwGO lösen oder muss zwischen dem geltend gemachten
Nachteil und dem Aufhebungsgrund ein Zusammenhang
bestehen, um sicherzustellen, dass die Normenkontrolle
nur aufgrund einer Betroffenheit durch die angegriffene
Norm Erfolg hat?
Alle drei Fragen, die trotz unterschiedlicher Formulierung auf dasselbe hinaus-
laufen, rechtfertigen die Zulassung der Revision schon deshalb nicht, weil sie
zu auslaufendem Recht gestellt sind. Seit Inkrafttreten des Sechsten Gesetzes
zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom
1. November 1996 (BGBl I 1626) ist die Antragsbefugnis für einen Normenkon-
trollantrag nicht mehr davon abhängig, dass der Antragsteller durch die Rechts-
vorschrift oder deren Anwendung einen Nachteil erlitten oder in absehbarer Zeit
zu erwarten hat, sondern daran geknüpft, dass der Antragsteller geltend macht,
durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu
sein oder verletzt zu werden.
Die Zulassung der Revision ist auch dann nicht geboten, wenn die Fragen der
jetzigen Fassung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO angepasst werden. Sie lassen
sich bereits im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde beantworten.
Das Normenkontrollverfahren dient sowohl dem subjektiven Rechtsschutz als
auch der objektiven Rechtskontrolle. Das Zulässigkeitserfordernis der Geltend-
machung einer eingetretenen oder bevorstehenden Rechtsverletzung soll Po-
pularanträge ausschließen. Es hat die Funktion, den Anstoß für ein Normenkon-
trollverfahren in bestimmtem Maße von einer subjektiven Betroffenheit des An-
tragstellers abhängig zu machen (Urteil vom 18. Juli 1989 - BVerwG 4 N 3.87 -
BVerwGE 82, 225 <232 f.>). Für die materielle Entscheidung hat es keine Ent-
sprechung. Eine dem § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO vergleichbare Regelung, wo-
nach das Verwaltungsgericht den Verwaltungsakt aufhebt, soweit er rechtswid-
rig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, existiert für das Normenkon-
trollverfahren in § 47 VwGO nicht. Die Erklärung einer Rechtsvorschrift für un-
wirksam nach § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO setzt daher eine Verletzung eigener
Rechte des Antragstellers nicht voraus (Urteil vom 9. April 2008 - BVerwG 4 CN
10
11
12
- 7 -
1.07 - BVerwGE 131, 100 Rn. 13). Darin kommt die objektive Seite des Nor-
menkontrollverfahrens zum Ausdruck.
Die Rechtslage ist eindeutig. Mit dem von der Beschwerde in Bezug genomme-
nen Urteil vom 18. Juli 2013 - BVerwG 7 A 4.12 - (BVerwGE 147, 184) lassen
sich Zweifel nicht rechtfertigen, weil das Urteil nicht in einem Normenkontroll-
verfahren, sondern in einem Anfechtungsprozess gegen einen Verwaltungsakt
in der Gestalt eines Planfeststellungsbeschlusses ergangen ist.
d) Der Antragsgegner sieht zudem grundsätzlichen Klärungsbedarf bei den
Fragen:
Ist es im Rahmen von § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB rechtlich
zulässig, die Unwirksamkeitserklärung eines RROP auf
eines von mehreren Eignungs- und Vorranggebieten zu
beschränken?
Entsteht durch die Unwirksamkeitserklärung eines einzel-
nen Eignungs- und Vorranggebiets ein „weißer“ Bereich?
Entfällt dadurch allein die mit seiner Ausweisung verbun-
dene „positive“ Wirkung?
Ist die Unwirksamkeitserklärung eines einzelnen Eig-
nungs- und Vorranggebiets jedenfalls nur dann im Rah-
men von § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zulässig, wenn dies
dem (mutmaßlichen) Willen des Planungsträgers ent-
spricht?
Die erste und dritte Frage führen nicht zur Zulassung der Revision, weil sie von
der unzutreffenden Prämisse ausgehen, dass sich die Frage, ob sich ein Nor-
menkontrollgericht auf die Erklärung der Unwirksamkeit einer einzelnen Rege-
lung in einem regionalen Raumordnungsplan beschränken darf, im Anwen-
dungsbereich des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB stellt. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB
ist eine Vorschrift, die nicht für die Planungsebene, sondern für die nachfolgen-
de Ebene der Vorhabenzulassung von Bedeutung ist. Die Revision ist aber
auch nicht zuzulassen, wenn § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB aus der Fragestellung
ausgeblendet wird. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist
geklärt, dass die Unwirksamkeit eines Teils eines Plans die Unwirksamkeit des
gesamten Plans nicht zur Folge hat, wenn die verbleibenden Festsetzungen oh-
13
14
15
- 8 -
ne den unwirksamen Teil noch eine sinnvolle Ordnung bewirken können und
mit der gebotenen Sicherheit anzunehmen ist, dass der Planungsträger den
Plan auch mit dem eingeschränkten Inhalt beschlossen hätte (Urteil vom
9. April 2008 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Weiteren Klärungsbedarf zeigt der An-
tragsgegner nicht auf, sondern beschränkt sich darauf zu kritisieren, dass das
Oberverwaltungsgericht einen untrennbaren Zusammenhang zwischen der um-
strittenen Festsetzung des Vorrang- und Eignungsgebiets und den übrigen Re-
gelungen der 1. Änderung des RROP verneint hat.
Die weitere Frage zielt darauf, welche Rechtsfolge die Unwirksamkeitserklärung
in einem Normenkontrollantrag hinsichtlich eines Eignungs- und Vorranggebiets
hat. Sie würde sich in einem Revisionsverfahren indes nicht stellen, weil sie
- worauf das Oberverwaltungsgericht zutreffend hinweist (UA S. 15) - nicht die
Entscheidung als solche, sondern die Auslegung des Tenors betrifft. Nur ergän-
zend sei darauf verwiesen, dass die Annahme einer „weißen Fläche“ (vgl. Be-
schluss vom 28. November 2005 - BVerwG 4 B 66.05 - NVwZ 2006, 339) we-
gen der Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB dem Interesse des An-
tragsgegners eher entsprechen dürfte als die Annahme des Antragstellers, für
die Fläche gelte nunmehr § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB.
e) Der Antragsgegner hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob für die mögliche Betroffenheit eines Natura 2000-
Gebiets im Sinne von § 7 Abs. 6 Satz 1 ROG allein die
Erhaltungsziele und der Schutzzweck der Gebiete maß-
gebend sind, die ihrerseits durch das Prüfprogramm der
Gebiete festgelegt werden, und ob daher (von Vögeln ge-
nutzte) Flugkorridore außerhalb der Schutzgebiete, die
nicht vom Prüfprogramm erwähnt werden, nicht zum
Schutzgegenstand des § 7 Abs. 6 Satz 1 ROG gehören;
ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Natura 2000-
Gebiete im Sinne von § 7 Abs. 6 Satz 1 ROG nur vorliegt,
wenn sie von Vorhaben innerhalb des Gebiets ausgehen,
zwar von Vorhaben außerhalb des Gebiets ausgelöst
werden, aber in das Gebiet selbst hineinwirken, und ob die
Voraussetzungen derartiger Auswirkungen auf ein
Schutzgebiet dann nicht gegeben sind, wenn Flugkorrido-
re und andere Vernetzungen nicht von den Erhaltungszie-
16
17
- 9 -
len oder dem Schutzzweck der Schutzgebiete erfasst
werden;
ob die Möglichkeit einer Beeinträchtigung nach § 7 Abs. 6
Satz 1 ROG für den Planungsträger auf der jeweiligen
Planungsebene im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG er-
kennbar sein muss.
Der erste Teil der ersten Frage löst die Zulassung der Revision nicht aus, weil
sie anhand des Gesetzes im Sinne des Antragsgegners zu beantworten ist.
Nach § 7 Abs. 6 Satz 1 ROG sind bei der Aufstellung von Raumordnungsplä-
nen bestimmte Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes anzuwenden, so-
weit ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein europäisches Vo-
gelschutzgebiet in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maß-
geblichen Bestandteilen erheblich beeinträchtigt werden kann. Auf den zweiten
Teil der ersten Frage, der im Kern mit der zweiten Frage identisch ist, ist mit
dem 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts zu antworten, dass sich das Re-
gime des Gebietsschutzes flächenmäßig grundsätzlich auf das Gebiet in seinen
administrativen Grenzen beschränkt, dass sich aber das Konzept des Gebiets-
schutzes auf die Errichtung eines Schutzgebietsnetzes richtet, zur dauerhaften
Erhaltung von Arten innerhalb der Schutzgebiete der Schutz von Austauschbe-
ziehungen unverzichtbar ist und Beeinträchtigungen dieser Austauschbezie-
hungen, z.B. durch Unterbrechung von Flugrouten und Wanderkorridoren, dem
Schutzregime des Gebietsschutzes unterfallen (Urteil vom 14. April 2010
- BVerwG 9 A 5.08 - BVerwGE 136, 291 Rn. 32 f.). Dem vom Antragsgegner
ins Feld geführten Urteil des 7. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom
18. Juli 2013 - BVerwG 7 A 4.12 - (BVerwGE 147, 184) ist Gegenteiliges nicht
zu entnehmen. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Verfahren ging es
um die naturschutzrechtliche Vereinbarkeit der Durchquerung eines Vogel-
schutzgebiets durch eine Hochspannungsleitung (Urteil vom 18. Juli 2013
- BVerwG 7 A 4.12 - NVwZ 2013, 1605 Rn. 46 ff.
147, 184>). Betroffenheiten von Austauschbeziehungen zwischen Vogelschutz-
gebieten spielten keine Rolle.
Die dritte Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen, weil das
Oberverwaltungsgericht keinen Rechtssatz des Inhalts aufgestellt hat, dass die
18
19
- 10 -
Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung eines Gebiets von gemein-
schaftlicher Bedeutung oder eines europäischen Vogelschutzgebiets selbst
dann zur Anwendung der in § 7 Abs. 6 Satz 1 ROG genannten Vorschriften des
Bundesnaturschutzgesetzes zwingt, wenn sie für den Planer nicht erkennbar
ist.
f) Ob die Fragen:
Erfordert die Änderung eines Planentwurfs nach einer Öf-
fentlichkeitsbeteiligung ohne Änderung des Regelungsge-
halts der Satzung eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung
oder ist die Anwendung von § 10 Abs. 1 Satz 4 ROG wie
die von § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB auf Fälle beschränkt, in
denen sich der Satzungs- oder Verordnungstext selbst
ändert?
Erfordert auch die Änderung einer Begründung und die
darauf zurückzuführende Änderung der Abwägung ohne
Änderung des Regelungsgehalts der Satzung eine erneu-
te Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 10 Abs. 1 Satz 4 ROG
oder ist eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung deshalb
nicht notwendig, weil der Regelungsgehalt der Satzung
auch nach Änderung der Begründung und erneuter Abwä-
gung unverändert geblieben ist, die Änderung der Be-
gründung und Abwägung also keine neuen Betroffenhei-
ten auslöst?
grundsätzlicher Klärung in einem Revisionsverfahren bedürfen, braucht nicht
entschieden zu werden.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Unwirksamkeit der Festlegung des Vor-
rang- und Eignungsgebiets für die Windenergienutzung am Standort BI-01-V04
sowohl mit einer unzureichenden Prüfung einer Beeinträchtigung von FFH- und
Vogelschutzgebieten als auch mit einem rechtswidrigen Verzicht auf eine er-
neute Beteiligung der Öffentlichkeit vor dem Beschluss des Kreistages des An-
tragsgegners über die 1. Änderung des RROP 2000 begründet. Ist die
vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen
gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder
dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vor-
liegt (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 1994 - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buch-
20
21
- 11 -
holz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4; stRspr). Wenn nur bezüglich einer
Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begründung nämlich
hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert.
Da der Antragsgegner das erste Begründungselement nicht mit einem Grund
für die Zulassung der Revision erschüttert, braucht den Rügen, die sich auf das
zweite Begründungselement beziehen, nicht nachgegangen zu werden.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Ver-
fahrensfehlers zuzulassen.
a) Der Antragsgegner meint, das Oberverwaltungsgericht habe die Antragsbe-
fugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO verfahrensfehlerhaft bejaht. Denn das
Grundstück des Antragstellers liege im Außenbereich, seine Belange seien da-
her in der Abwägung ausreichend berücksichtigt. Dies führt nicht auf einen Ver-
fahrensfehler. Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis ist
es, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es
zumindest möglich erscheinen lassen, dass er durch die Rechtsnorm in seinen
Rechten verletzt wird (Urteil vom 18. November 2002 - BVerwG 9 CN 1.02 -
BVerwGE 117, 209 <211>). Es verbietet sich daher eine prozessuale Handha-
bung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, die im Ergebnis dazu führt, die an sich ge-
botene Sachprüfung als Frage der Zulässigkeit des Antrags zu behandeln
(Urteil vom 24. September 1998 - BVerwG 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215
<217 f.>). In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung und ohne Verstoß
gegen Verfahrensrecht ist das Oberverwaltungsgericht im Rahmen der Zuläs-
sigkeit nicht abschließend der Frage nachgegangen, ob das Grundstück des
Klägers innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegt.
b) Der Antragsgegner hält es ferner für verfahrensfehlerhaft, dass das Ober-
verwaltungsgericht vor einer Bejahung des Rechtsschutzinteresses der Teilbar-
keit des RROP nicht abschließend nachgegangen ist. Dies führt gleichfalls nicht
auf einen Verfahrensfehler.
Nach der materiell-rechtlichen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist das
RROP teilbar (UA S. 33 f.). Diese Auffassung wäre für die Beurteilung, ob ein
22
23
24
25
- 12 -
Verfahrensfehler vorliegt, selbst dann zugrunde zu legen, wenn sie rechtlichen
Bedenken begegnete (stRspr; Urteil vom 14. Januar 1998 - BVerwG 11 C
11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>). Für den Fall einer Teilbarkeit des RROP
zieht aber auch der Antragsgegner das Rechtsschutzbedürfnis nicht in Zweifel.
Die Annahme der Teilbarkeit selbst betrifft eine materiell-rechtliche Frage, die
nicht Gegenstand einer Verfahrensrüge sein kann (vgl. Beschluss vom
21. Januar 1993 - BVerwG 4 B 206.92 - Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 188).
c) Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe sich zu Unrecht nicht der Ein-
schätzung der Planungsgruppe Umwelt und des Antragsgegners angeschlos-
sen, wonach keine Beeinträchtigungen von Korridoren zwischen Natura 2000-
Gebieten zu erwarten seien, betrifft als Kritik an der Beweiswürdigung die An-
wendung materiellen Rechts und führt nicht auf einen möglichen Verfahrensfeh-
ler.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO und
die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Külpmann
26
27