Urteil des BVerwG vom 17.03.2015

Begriff, Wohngebäude, Zahl, Grundstück

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 45.14
VGH 1 B 14.196
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. März 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Decker
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 22. Mai 2014 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 40 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Er-
folg.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in der angefochtenen Entscheidung die Ge-
nehmigungsfähigkeit des klägerischen Vorhabens aus bauplanungsrechtlichen
Gründen verneint. Dieses verstoße gegen § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB, weil
es die Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lasse (UA Rn. 27). Werde
- dem Vortrag des Klägers folgend - "nur" von einer Verfestigung einer Splitter-
siedlung ausgegangen, ändere sich am Ergebnis der bauplanungsrechtlichen
Unzulässigkeit des klägerischen Vorhabens nichts, weil sich dieses dem vor-
handenen Bestand nicht deutlich unterordne (UA Rn. 28). Ausweislich der Ent-
scheidungsgründe soll dabei jeder dieser Gründe die Entscheidung selbständig
tragen. Ist die vorinstanzliche Entscheidung aber auf mehrere selbständig tra-
gende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden,
wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund
dargelegt wird und vorliegt (stRspr; vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 28. Januar
2014 - 4 B 50.13 - juris Rn. 2 m.w.N.). Denn ist nur bezüglich einer Begründung
ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese Begründung hinweggedacht
werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (BVerwG, Be-
schluss vom 9. September 2009 - 4 BN 4.09 - ZfBR 2010, 67 = juris Rn. 5). Vor-
liegend scheitert die Beschwerde daran, dass jedenfalls in Bezug auf die An-
nahme des Verwaltungsgerichtshofs, das Vorhaben des Klägers lasse die Er-
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weiterung einer Splittersiedlung befürchten, Zulassungsgründe nicht gegeben
sind.
1. Die Sache hat keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine
Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung
einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Be-
schwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen
und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1
VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine
bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungs-
bedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu
erwarten ist (stRspr, so bereits Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 -
BVerwGE 13, 90 <91>; siehe auch Beschluss vom 1. Februar 2011 - 7 B
45.10 - juris Rn. 15). Daran fehlt es hier.
a) Die Beschwerde hält zunächst folgende Fragen für grundsätzlich klärungs-
bedürftig:
Nach welchen Kriterien ist der Begriff "Splittersiedlung" in
§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB auszulegen bzw. wann
zerfällt eine Bebauung im Außenbereich in mehrere Split-
tersiedlungen bzw. in einzelne Gebäude außerhalb einer
Splittersiedlung?
Ist bei § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB zu unterscheiden
zwischen einer "im Zusammenhang bebauten Splittersied-
lung" und einer "nicht im Zusammenhang bebauten Split-
tersiedlung"?
Finden die Begriffe des "Bebauungszusammenhangs"
oder der "Baulücke" bei § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB
Anwendung?
Kann die Anwendung der einzelnen Tatbestandsalternati-
ven des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB - Entstehung,
Erweiterung und Verfestigung - davon abhängen, ob eine
Splittersiedlung im Zusammenhang bebaut ist?
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Diese Fragen, die trotz unterschiedlicher Formulierungen inhaltlich identisch
sind, führen, soweit auf sie überhaupt in verallgemeinerungsfähiger Form ge-
antwortet werden kann, nicht zur Zulassung der Revision. Der in § 35 Abs. 3
Satz 1 Nr. 7 BauGB verwendete Begriff der "Splittersiedlung" ist in der Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend geklärt. Danach ist eine
Splittersiedlung eine Ansammlung von baulichen Anlagen, die zum - wenn auch
eventuell nur gelegentlichen - Aufenthalt von Menschen bestimmt sind
(BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1976 - 4 C 42.74 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG
Nr. 128 = juris Rn. 15); das schließt gewerbliche Anlagen ein (BVerwG, Urteil
vom 18. Februar 1983 - 4 C 19.81 - BVerwGE 67, 33 <38>). Der Charakter ei-
ner Ansiedlung als Splittersiedlung ergibt sich dabei vor allem aus der Entge-
gensetzung zum Ortsteil (BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1977 - 4 C 37.75 -
BVerwGE 54, 73 <76>; ebenso Urteile vom 10. November 1978 - 4 C 24.78 -
Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 154 = juris Rn. 23 und vom 18. Mai 2001
- 4 C 13.00 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 347 = juris Rn. 13). Während
unter einem Ortsteil jeder Bebauungszusammenhang zu verstehen ist, der nach
der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck
einer organischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG, Urteile vom 6. November
1968 - 4 C 31.66 - BVerwGE 31, 22 <26 f.> und vom 3. Dezember 1998 - 4 C
7.98 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 193 S. 82), ist eine Splittersiedlung ei-
ne bloße Anhäufung von Gebäuden (vgl. zuletzt BVerwG, Urteil vom 19. April
2012 - 4 C 10.11 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 386 Rn. 19). Auch Splitter-
siedlungen können nach Art des § 34 Abs. 1 BauGB "im Zusammenhang be-
baut" sein (BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1977 - 4 C 37.75 - BVerwGE 54, 73
<76>); sie müssen es aber nicht. Die Splittersiedlung ist folglich dadurch ge-
kennzeichnet, dass ihr mangels einer angemessenen (Bau-)Konzentration das
für die Annahme eines Ortsteils notwendige Gewicht fehlt und sie damit Aus-
druck einer unorganischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG, Urteil vom 18. Mai
2001 - 4 C 13.00 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 347 = juris Rn. 13). Ob
diese Voraussetzungen, von denen sich der Verwaltungsgerichtshof hat leiten
lassen (UA Rn. 24), im Einzelfall erfüllt sind, entzieht sich einer rechtsgrund-
sätzlichen Klärung.
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b) Die weiteren, in ihrem Sinngehalt mindestens schwer erfassbaren Fragen,
ob für die Tatbestandsalternativen des § 35 Abs. 3 Satz 1
Nr. 7 BauGB - "Erweiterung" und "Verfestigung" - nur auf
den tatsächlich vorhandenen Gebäudebestand abzustel-
len ist, oder
ob bei der Auswahl der Tatbestandsalternativen des § 35
Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB - "Erweiterung" und "Verfesti-
gung" - rechtliche Rahmenbedingungen zu berücksichti-
gen sind,
sind auf die Fragestellung zum Tatbestandsmerkmal der Erweiterung zu redu-
zieren, weil die Erwägung des Verwaltungsgerichtshofs, das Vorhaben des Klä-
gers lasse die Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten, die Entscheidung
selbständig trägt.
Auf die erste Frage ist zu antworten, dass eine Splittersiedlung erweitert wird,
wenn sie räumlich ausgedehnt wird (BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1977 - 4 C
37.75 - BVerwGE 54, 73 <76 f.>). Das setzt ihre Existenz voraus. Die zweite
Frage hat den Hintergrund, dass der nördliche Teil des Baugrundstücks ebenso
wie die weitere unbebaute Umgebung durch eine Landschaftsschutzverordnung
mit einem Bauverbot belegt sein soll. Sie stellt sich nicht, weil das Vorhaben
des Klägers am vorgesehenen Standort wegen des weitgehenden Verlusts der
Bausubstanz wie ein Neubau zu behandeln ist und die aus den drei Wohnhäu-
sern auf den Grundstücken FlNr. 1359/4, 1359/2 und 1359/6 bestehende Split-
tersiedlung vergrößert. Auf die Bebaubarkeit der Umgebung der vom Vorhaben
in Anspruch genommenen Fläche kommt es nicht an.
c) Schließlich besteht auch in Bezug auf die Fragen,
ob eine städtebaulich zu missbilligende Siedlungsentwick-
lung im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB auch
dann zu befürchten ist, wenn aufgrund von Rechtsnor-
men - hier Landschaftsschutzgebietsverordnung - eine
weitere Bebauung ausgeschlossen ist, oder
ob ein sonstiges Vorhaben die Verfestigung einer Splitter-
siedlung im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB
auch dann befürchten lässt, wenn es sich aufgrund der
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Rechtslage um das letzte verwirklichbare Vorhaben in ei-
ner Splittersiedlung handelt,
kein grundsätzlicher Klärungsbedarf. Das folgt bereits daraus, dass der Verwal-
tungsgerichtshof nicht festgestellt hat, die Landschaftsschutzgebietsverordnung
stehe einer weiteren Bebauung auf dem klägerischen Grundstück oder in des-
sen näherer Umgebung entgegen. Hieran wäre der Senat in einem Revisions-
verfahren gebunden (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO, vgl. BVerwG, Urteil
vom 3. Juni 2014 - 4 CN 6.12 - BVerwGE 149, 373 Rn. 24). Im Übrigen ist ge-
klärt, dass ein bestehender Landschaftsschutz für eine Außenbereichsfläche
kein Garant ist, der eine Vorbildwirkung für weitere Bebauung, die aus der bau-
rechtlichen Genehmigung eines Bauvorhabens entstehen kann, dauerhaft aus-
schlösse (BVerwG, Beschluss vom 2. September 1999 - 4 B 27.99 - Buchholz
406.11 § 35 BauGB Nr. 340 = juris Rn. 7).
2. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.
Zur Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz ist gemäß § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO erforderlich, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten,
die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit
dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung u.a. des Bundesverwaltungs-
gerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift wider-
sprochen hat (BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buch-
holz 310 § 133 VwGO Nr. 26 und vom 13. Juli 1999 - 8 B 166.99 -
Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 9). Diese Voraussetzungen sind
nicht erfüllt.
Die Beschwerde rügt, der Verwaltungsgerichtshof sei in seinem Urteil von den
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 1976 - 4 C
42.74 - (Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 128) und vom 3. Juni 1977 - 4 C
37.75 - (BVerwGE 54, 73) in entscheidungserheblicher Weise abgewichen. Es
kann offenbleiben, ob die Beschwerde den Anforderungen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO genügt und ob der Vorwurf sachlich zutreffend ist. Denn in der
Sache bezieht sich die Divergenzrüge ausschließlich auf den zweiten Begrün-
dungsstrang des Urteils ("unerwünschte Verfestigung einer Splittersiedlung").
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Da aber hinsichtlich der primären Begründung des Verwaltungsgerichtshofs,
das klägerische Vorhaben führe zu einer unerwünschten Erweiterung einer
Splittersiedlung, Revisionszulassungsgründe nicht vorliegen, kann das Urteil
nicht auf der geltend gemachten Divergenz beruhen (vgl. oben). Ergänzend sei
lediglich angemerkt, dass der Senat im Urteil vom 18. Mai 2001 - 4 C 13.00 -
(Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 347 = juris Rn. 14) entschieden hat, dass es
für die Frage der Unterordnung der hinzutretenden baulichen Anlage auf ihr
Verhältnis zu der bereits vorhandenen Splittersiedlung ankomme. Handele es
sich bei dem hinzutretenden Vorhaben um ein Wohngebäude, so sei dieses
Verhältnis grundsätzlich anhand der Zahl der Wohngebäude zu beurteilen. Zu
dieser Rechtsprechung hat sich der Verwaltungsgerichtshof nicht in Wider-
spruch gesetzt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung
des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Decker
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