Urteil des BVerwG vom 25.08.2014

Gemeinde, Beteiligungsrecht, Begriff, Verhinderung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 20.14
VGH 5 S 1667/12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. August 2014
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz als Vorsitzenden und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz und Dr. Decker
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 17. Februar 2014 wird zurück-
gewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die allein auf den Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte
Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche
Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.
Die Beschwerde verfehlt bereits die Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO. Der Zulassungsgrund der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung setzt
die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für
die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts
voraus (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310
§ 133 VwGO Nr. 26 unter Bezugnahme auf Beschluss vom 2. Oktober
1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Daran fehlt es hier. Die
Beschwerde lässt zwar erkennen, dass es ihr um die „Klagebefugnis einer Ge-
meinde hinsichtlich eines belastenden Verwaltungsakts zu Lasten eines Bür-
gers der Gemeinde“ geht. Sie möchte ein Überdenken der bisherigen Recht-
sprechung anstoßen, wonach eine Verletzung der Planungshoheit einer Ge-
meinde in einem Baugenehmigungsverfahren nur dann möglich ist, wenn die
Gemeinde ihr nach § 36 BauGB erforderliches Einvernehmen versagt, die Bau-
aufsichtsbehörde die beantragte Baugenehmigung aber gleichwohl erteilt hat,
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nicht hingegen im umgekehrten Fall, in dem die Gemeinde ihr Einvernehmen
erteilt, die Bauaufsichtsbehörde die Baugenehmigung jedoch versagt hat. Eine
genau formulierte, auf den konkreten Fall bezogene Rechtsfrage fehlt indes.
Nur ergänzend sei deshalb angemerkt, dass die Revision selbst dann nicht zu-
zulassen wäre, wenn man zugunsten der Beschwerde eine hinreichend genau
formulierte Rechtsfrage unterstellte, etwa des Inhalts, dass geklärt werden soll,
ob eine Gemeinde - entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Senats - im
Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO eine eigene Rechtsverletzung auch dann geltend
machen kann, wenn sie ihr nach § 36 BauGB erforderliches Einvernehmen er-
teilt, die Bauaufsichtsbehörde die beantragte Baugenehmigung jedoch versagt
hat. Diese Frage wäre nicht entscheidungserheblich, weil für die angegriffene
Entscheidung nicht tragend. Die verfassungsrechtlich gewährleistete Selbst-
verwaltungsgarantie der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) wird - wie die
Beschwerde selbst einräumt - durch einfachgesetzliche Rechtsnormen konkre-
tisiert und ausgestaltet. Im Rahmen der Vorschriften über die bauplanungs-
rechtliche Zulässigkeit von Vorhaben (§§ 29 ff. BauGB) sichert § 36 BauGB die
Planungshoheit der Gemeinden (so bereits Urteil vom 19. November 1965
- BVerwG 4 C 184.65 - BVerwGE 22, 342 <343>; vgl. auch Beschluss vom
11. August 2008 - BVerwG 4 B 25.08 - Buchholz 406.11 § 36 BauGB Nr. 59
S. 1 ). Das in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB näher geregelte Einvernehmens-
erfordernis knüpft tatbestandlich an die Entscheidung über die „Zulässigkeit von
Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB“ an. Hierum geht es vorliegend
nicht. Gegenstand der angegriffenen Entscheidung ist eine bauaufsichtliche Ab-
bruchanordnung, die die Beklagte als zuständige Bauaufsichtsbehörde auf
landesrechtlicher Grundlage (§ 65 LBO BW) gegenüber einem Gemeindebürger
der Klägerin erlassen hat. § 36 BauGB findet hierauf keine Anwendung, wie
sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift unzweifelhaft ergibt (Jäde, in: Jä-
de/Dirnberger/Weiss, BauGB, 7. Aufl. 2013, § 36 Rn. 12). Soweit die Be-
schwerde Bauplanungsrecht (§ 31 Abs. 2, § 36 BauGB) gleichwohl berührt
sieht, weil die bauordnungsrechtliche Rechtsgrundlage tatbestandlich auch an
bauplanungsrechtliche Zulässigkeitsfragen anknüpft, führt dieser Gedanke vor-
liegend schon deshalb nicht weiter, weil das Baugenehmigungsverfahren (zur
nachträglichen Legalisierung des illegal errichteten Gartenhauses) nach den
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tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs (UA S. 9) rechtskräf-
tig abgeschlossen worden und die bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit des
Vorhabens damit bestandskräftig festgestellt ist.
Abgesehen davon wäre die Frage auch nicht klärungsbedürftig. Die Beschwer-
de räumt selbst ein, dass die sich aus § 36 BauGB ergebenden subjektiven
Rechtspositionen der Gemeinde in der Rechtsprechung des Senats geklärt
sind: Entscheidet die Bauaufsichtsbehörde im Anwendungsbereich des § 36
Abs. 1 Satz 1 BauGB über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorha-
bens ohne Beteiligung der Gemeinde, führt allein die Missachtung des gesetz-
lich gewährleisteten Rechts der Gemeinde auf Beteiligung auf deren Klage zur
Aufhebung der Baugenehmigung (Beschluss vom 11. August 2008 a.a.O.
Rn. 4 f.). Ist das Beteiligungsrecht der Gemeinde nach § 36 Abs. 1 Satz 1
BauGB verletzt, weil ein Baugenehmigungsverfahren, das unter Beteiligung der
Gemeinde hätte durchgeführt werden müssen, rechtswidrig unterblieben ist, hat
der Senat (Urteil vom 12. Dezember 1991 - BVerwG 4 C 31.89 - Buchholz
406.11 § 36 BauGB Nr. 46 S. 10 ) der Gemeinde überdies einen Anspruch
auf ermessensfehlerfreie Bescheidung ihres Antrags auf Anordnung der Besei-
tigung des Vorhabens zugebilligt. Das Beteiligungsrecht der Gemeinde ist
schließlich verletzt, wenn die Bauaufsichtsbehörde eine Baugenehmigung für
ein Vorhaben erteilt, zu dem die Gemeinde ihr Einvernehmen versagt hat (Urteil
vom 10. August 1988 - BVerwG 4 C 20.84 - Buchholz 406.11 § 36 BBauG/
BauGB Nr. 40 S. 3 <4> m.w.N.), sofern das Einvernehmen nicht ersetzt wird
oder als erteilt gilt (§ 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB). Demgegenüber ist die Bauauf-
sichtsbehörde durch die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens nicht ge-
hindert, die beantragte Baugenehmigung zu versagen (Beschluss vom
16. Dezember 1969 - BVerwG 4 B 121.69 - Buchholz 406.11 § 2 BBauG Nr. 4
S. 1 ). Die gegenteilige Ansicht wäre schon mit dem Begriff des Einver-
nehmens nicht in Einklang zu bringen; sie widerspräche der in § 36 Abs. 1
Satz 1 BauGB geforderten Willensübereinstimmung zwischen Gemeinde und
Bauaufsichtsbehörde als Voraussetzung für die Erteilung der Baugenehmigung,
die einem „Zwei-Schlüssel-Prinzip“ gleicht (Jäde, a.a.O. § 36 Rn. 49 f.). Infolge-
dessen kann die Gemeinde im Fall der Einvernehmenserteilung auch nicht in
eigenen Rechten verletzt sein. Soweit die Beschwerde unabhängig von § 36
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BauGB eine „grundrechtsintendierte“ Auslegung des § 42 Abs. 2 VwGO für ge-
boten hält, gibt dies schon deshalb keinen Anlass, die dargestellte ständige
Rechtsprechung des Senats zu überdenken, weil sich die Beschwerde insoweit
nicht mit den Gründen der bisherigen Rechtsprechung auseinandersetzt (zu
diesem Erfordernis Beschluss vom 27. August 1997 - BVerwG 1 B 145.97 -
Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 67). Der abstrakte Hinweis auf verfassungsrecht-
liche Gewährleistungen (Planungshoheit, Finanzhoheit) und gesetzgeberische
Zielsetzungen (Verhinderung von Popularklagen) genügt hierfür nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dr. Gatz
Petz
Dr. Decker
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