Urteil des BVerwG vom 09.09.2004

Verletzung der Anzeigepflicht, Wiedervereinigung, DDR, Rückforderung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 42.04
VG M 27 K 03.4107
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. September 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k und Dr. D e t t e
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts
München vom 10. März 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerde-
verfahren auf 3 483,43 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist nicht begründet. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund
der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt
nicht vor.
Der Kläger wendet sich gegen die mit Bescheid vom 16. November 2000 geltend
gemachte Rückforderung von Hauptentschädigung nach dem Lastenausgleichsge-
setz (LAG) in Höhe von 6 813 DM.
Auf Antrag des Klägers war nach dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz
für seinen Miteigentumsanteil von jeweils 1/10 an den Anwesen G., R.straße 25, und
G., ..., ein Wegnahmeschaden in Höhe von insgesamt 5 640 Mark-Ost festgestellt
und als Hauptentschädigung für den festgestellten Vermögensverlust ein Betrag von
6 813 DM ausbezahlt worden.
Mit am 23. Mai 1996 beim zuständigen Landratsamt München - Ausgleichsamt - ein-
gegangenem Schreiben des Landratsamts Fürth vom 21. Mai 1996 wurde dem
Landratsamt München bekannt gegeben, dass über den der Lastenausgleichsleis-
tung zugrunde liegenden Grundbesitz seit der deutschen Wiedervereinigung am
3. Oktober 1990 wieder verfügt werden könne.
Die behauptete Grundsatzbedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führt
nicht auf die begehrte Revision. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache
nur, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung dazu beitragen kann, die
Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts
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zu fördern. Einer Rechtsfrage kommt nicht schon deshalb grundsätzliche Bedeutung
zu, weil zu ihr noch keine ausdrückliche Entscheidung des Bundesverwaltungsge-
richts vorliegt; auch in einem solchen Fall fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit, wenn
sich die Rechtsfrage durch Auslegung der maßgeblichen Rechtsvorschriften anhand
der anerkannten Auslegungskriterien ohne weiteres beantworten lässt oder durch
die bisherige Rechtsprechung als geklärt angesehen werden kann (Beschluss vom
31. Juli 1987 - BVerwG 5 B 49.87 - Buchholz 436.0 § 69 BSHG Nr. 14). Letzteres
trifft auch dann zu, wenn die vorhandene höchstrichterliche Rechtsprechung ausrei-
chende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich
herausgestellten Rechtsfrage gibt (Beschluss vom 28. September 1995 - BVerwG
10 B 6.94 - juris).
Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die vom Kläger sinngemäß aufgeworfene Frage, ob
es für den Beginn der Ausschlussfrist des § 349 Abs. 5 Satz 3 LAG in der bis zum
31. Dezember 1999 geltenden Gesetzesfassung auf die konkrete Kenntnis des ge-
samten Sachverhalts des jeweiligen Ausgleichsamts ankommt, wenn sich an den
rechtlichen Verhältnissen im Hinblick auf das Objekt, welches Grundlage der Ent-
schädigungsleistung war, bis auf die Tatsache der Deutschen Einigung nichts geän-
dert hat, weist danach keine grundsätzliche Bedeutung auf. Ihre Beantwortung ist
vielmehr in der Weise, wie sie vom Instanzgericht vorgenommen worden ist, aus dem
Gesetz und der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ohne weiteres abzu-
leiten. Der beschließende Senat hat sich bereits im Urteil vom 22. Oktober 1998
(- BVerwG 3 C 37.97 - BVerwGE 107, 294 ff.) ausführlich mit der Rechtsproblematik
des Schadensausgleichs auseinander gesetzt und entschieden, dass die Wiederer-
langung der vollen Verfügungsmöglichkeit über einen lastenausgleichsrechtlich als
weggenommen behandelten Vermögensgegenstand eine Rückgabe im Sinne der
unwiderleglichen Schadensausgleichsfiktion des § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG darstellt.
Die bei der Entscheidung über die Gewährung von Lastenausgleich angewandte
wirtschaftliche Betrachtungsweise (Wohlwollensregelung) hat zur Folge, dass die-
selbe Betrachtungsweise auch bei der Frage Platz greift, ob der Schaden im Gefolge
der Wiedervereinigung im Sinne des § 342 Abs. 3 LAG ausgeglichen ist (vgl. Urteil
vom 22. Oktober 1998 - BVerwG 3 C 37.97 - a.a.O.). So hat das Verwaltungsgericht
zu Recht angenommen, dass im vorliegenden Fall ein Schadensausgleich durch das
Wiederaufleben der Verfügungsmöglichkeit an den beiden der Lastenausgleichsleis-
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tung zugrunde liegenden Grundstücken des Klägers aufgrund der Wiedervereinigung
seit dem 3. Oktober 1990 vorliegt.
Der Kläger folgert indessen daraus zu Unrecht, dass dieser Umstand bereits die Frist
des § 349 Abs. 5 Satz 4 LAG in Lauf gesetzt habe. Nach dem Wortlaut fordert das
Gesetz für den Beginn der Rückforderungsfrist Kenntnis der zuständigen Aus-
gleichsbehörde. Nach dem Wortsinn sowie dem Sinn und Zweck der Vorschrift ist
darunter positive Kenntnis zu verstehen (vgl. Gallenkamp in: Löbach/Kreuer, Das
Lastenausgleichsrecht und offene Vermögensfragen, 2. Aufl., § 349 LAG Rn. 76).
Positive Kenntnis ist nicht schon dann gegeben, wenn ein Schadensausgleich mög-
lich oder wahrscheinlich ist, sondern erst dann, wenn der Behörde der tatsächlich
vollzogene Schadensausgleich im konkreten Einzelfall bekannt geworden ist. Wie
das Verwaltungsgericht richtig ausführt, ist es den Ausgleichsämtern im Hinblick auf
die Vielzahl von Fällen nicht möglich, zum Zwecke der Fristwahrung umfangreiche
Ermittlungen durchzuführen, um von einem etwaigen Schadensausgleich Kenntnis
zu erlangen. Hinzu kommt, dass dafür eine bloße Aktendurchsicht angesichts der
bekannten Praxis im Umgang mit Eigentum in der ehemaligen DDR im Allgemeinen
kein abschließendes Ergebnis ermöglicht hätte. So wurden die jeweiligen Vermö-
genswerte nach Schadenseintritt häufig noch in Volkseigentum bzw. in den Staats-
haushalt der früheren DDR überführt, so dass ein Schadensausgleich erst nach förm-
licher Restitution (§§ 3 ff. VermG) oder mit der Entschädigung nach dem EALG ein-
getreten ist. Auch die in § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG den Empfängern von Schadens-
ausgleichsleistungen auferlegte Anzeigepflicht spricht gegen eine Ermittlungspflicht
der Ausgleichsämter, zumal ansonsten eine Verletzung der Anzeigepflicht schon
nach vier Jahren zum Ausschluss der Rückforderung führen würde und die dafür in
§ 349 Abs. 5 Satz 3 2. Halbsatz LAG geregelte Frist von zehn Jahren insoweit leer
laufen würde.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Entscheidung über den Wert
des Streitgegenstandes folgt aus § 14 i.V.m § 13 Abs. 2 GKG a.F. in Verbindung mit
§ 72 GKG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I
718).
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Prof. Dr. Driehaus
van Schewick
Dr. Dette