Urteil des BVerwG vom 20.03.2003

Gesetzliche Frist, Rechtsmittelbelehrung, Berufungskläger, Entlastung

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BESCHLUSS
BVerwG 3 B 143.02
VGH 1 S 1659/01
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. März 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Dr. B o r g s - M a c i e j e w s k i
und K i m m e l
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts-
hofs Baden-Württemberg vom 28. September 2001
wird zurückgewiesen.
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Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Be-
schwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die allein auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels ge-
stützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision
(§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat keinen Erfolg.
Zwar ist die Beschwerde nicht wegen Versäumung der Ein-
legungsfrist am 29. November 2001 unzulässig, weil dem Kläger
gemäß § 60 VwGO Wiedereinsetzung wegen dieser Fristversäumnis
zu gewähren ist. Er hat glaubhaft gemacht, dass er wegen Fax-
Ausfalls beim Verwaltungsgerichtshof unverschuldet an der
Fristeinhaltung gehindert war.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensman-
gel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entschei-
dung beruhen kann. Das ist hier nicht der Fall.
Die Beschwerde macht geltend, die Berufung des Klägers hätte
durch das Berufungsgericht nicht als unzulässig verworfen wer-
den dürfen.
Das Berufungsgericht hat seine Verwerfungsentscheidung darauf
gestützt, dass die Berufung nicht innerhalb eines Monats nach
Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung
begründet worden sei. Damit habe der Kläger seiner prozes-
sualen Verpflichtung zur Vorlage einer Berufungsbegründung
nach § 124 a Abs. 3 Satz 1 VwGO in der zurzeit des angefoch-
tenen Beschlusses gültigen Fassung nicht genügt. Nach dieser
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Vorschrift müsse der Rechtsmittelführer nach der Zulassung der
Berufung in jedem Fall einen gesonderten Schriftsatz zur Be-
rufungsbegründung einreichen. Dem sei der Kläger nicht nachge-
kommen. Dass er in seinem Schriftsatz vom 26. Juni 2001 vor
Zulassung der Berufung gleichzeitig mit dem Zulassungsantrag
einen Berufungsantrag stellte und in der Begründung dazu Aus-
führungen machte, die den formellen Anforderungen des § 124 a
Abs. 3 Satz 4 VwGO a.F. Rechnung getragen haben dürften, ver-
möge diese gesonderte Berufungsbegründung nach Zulassung nicht
zu ersetzen.
Die Beschwerde rügt diese Begründung als Förmelei, weil mit
der Antragsformulierung in dem Zulassungsantrag der unbedingte
Wille erkennbar geworden sei, die zugelassene Berufung "auch
zu erheben". Die gesetzliche Frist für die Berufungsbegründung
stehe unter der "selbstverständlichen" Bedingung, "falls dies
nicht schon vor der Zulassung der Berufung geschehen ist".
Entgegen der Auffassung des Klägers ist jedoch die Begründung
des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs
nicht verfahrensfehlerhaft. Für die Erfüllung der prozes-
sualen Anforderungen des § 124 a Abs. 3 Satz 1 VwGO a.F.
(jetzt: § 124 a Abs. 6 VwGO) reicht es nicht aus, wenn der
Rechtsmittelführer lediglich in dem Antrag auf Zulassung der
Berufung sein Berufungsbegehren formuliert und auch die
wesentlichen Gründe hierfür vorgetragen hat. Das Erfordernis
eines gesonderten Schriftsatzes zur Berufungsbegründung nach
Zulassung der Berufung, auf das der Rechtsmittelführer in der
Rechtsmittelbelehrung zum Berufungszulassungsbeschluss aus-
drücklich hingewiesen worden ist, ist keine bloße Förmelei.
Mit der Einreichung der Berufungsbegründungsschrift soll der
Berufungskläger nämlich eindeutig zu erkennen geben, dass er
nach wie vor die Durchführung eines Berufungsverfahrens an-
strebt. Das entspricht der inzwischen einhelligen Auffassung
des Bundesverwaltungsgerichts. Der 9. Senat hat in seinem Ur-
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teil vom 30. Juni 1998 – BVerwG 9 C 6.98 – Buchholz 310
§ 124 a VwGO Nr. 4, BVerwGE 107, 121 f.), in dem er von seiner
abweichenden Auffassung im Beschluss vom 25. August 1997
(BVerwG 9 B 690.97, DVBl 1997, 1325) Abstand genommen hat, da-
zu Folgendes ausgeführt:
"§ 124 a Abs. 3 VwGO lehnt sich an die Regelungen aus dem
Revisionsrecht und die Regelung für die Berufung in § 519
Abs. 3 ZPO an (vgl. BTDrucks 13/3993 S. 13) und erhebt wie
diese die Begründung in den Rang einer Zulässigkeitsvoraus-
setzung. Die Vorschrift entspricht im Wesentlichen den in
§ 139 Abs. 3 VwGO enthaltenen Bestimmungen über die Revi-
sionsbegründung im Falle der Zulassung der Revision auf-
grund einer Nichtzulassungsbeschwerde. Für die Revisionsbe-
gründung ist aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts erforderlich, dass der Revisionsführer
die zugelassene Revision schriftsätzlich begründet, auch
wenn sein Vorbringen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
den Anforderungen (auch) an eine Revisionsbegründung ge-
nügt; in diesem Fall reicht es allerdings aus, wenn in dem
Begründungsschriftsatz auf dieses Vorbringen Bezug genommen
wird, sofern hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht
wird, hinsichtlich welcher Zulassungsgründe Bezug genommen
wird (z.B. Urteil vom 25. Oktober 1988 – BVerwG 9 C 37.88 –
BVerwGE 80, 321, 322 f.). Entsprechendes ist nach Einfüh-
rung des § 124 a Abs. 3 VwGO nunmehr auch vom Berufungsfüh-
rer zu verlangen. Dabei kann offen bleiben, inwiefern wegen
der Unterschiede zwischen Berufungs- und Revisionsverfahren
an die inhaltliche Begründung der Berufung nach § 124 a
Abs. 3 Satz 4 VwGO andere Anforderungen zu stellen sind als
bei der Revision nach § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO, denn hin-
sichtlich der äußeren formellen Anforderungen gelten ange-
sichts der insoweit wortgleichen Bestimmungen jedenfalls
dieselben Grundsätze.
Auch der vom Gesetzgeber mit Einführung des § 124 a Abs. 3
VwGO erfolgte Zweck spricht für diese Auffassung. Denn die
Berufungsbegründungspflicht kann nur dann zu der angestreb-
ten Verkürzung und Beschleunigung der Verfahren durch Ent-
lastung der Berufungsgerichte beitragen, wenn sie es dem
Berufungsgericht ermöglicht, anhand klarer prozessualer
Kriterien, nämlich des Ausbleibens eines fristgerechten Be-
gründungsschriftsatzes, ohne weitere Prüfung die Berufung
gemäß § 125 Abs. 2 VwGO zu verwerfen. Dies wäre aber nicht
mehr der Fall, wenn das Gericht hierfür regelmäßig auch
noch das Vorbringen im Zulassungsverfahren auf seine Eig-
nung für die Begründung der Berufung hin sichten und beur-
teilen müsste."
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Diesen Ausführungen schließt sich der erkennende Senat an.
Bestätigt wird das Ergebnis auch dadurch, dass der Gesetzgeber
mit der Neufassung des § 124 a VwGO durch Gesetz vom
20. Dezember 2001 (BGBl I S. 3987) in Kenntnis dieser Recht-
sprechung an dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmung fest-
gehalten hat.
Die Rüge des Klägers, das Berufungsgericht habe bei etwaigen
Zweifeln am Sinn des Schriftsatzes vom 26. Juni 2001 eine wei-
tere Aufklärung nach § 86 VwGO vornehmen müssen, ist damit ge-
genstandslos.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Ent-
scheidung über den Wert des Streitgegenstandes aus § 13 Abs. 1
Satz 2 GKG.
Prof. Dr. Driehaus Dr. Borgs-Maciejewski Kimmel