Urteil des BVerwG vom 27.05.2010

Bvo, Beihilfe, Vorbehalt des Gesetzes, Fürsorgepflicht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 50.08
OVG 1 A 1180/06
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Mai 2010
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Heitz,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski und Dr. Hartung
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 10. September 2007 wird auf-
gehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichts Düsseldorf vom 3. Februar 2006 wird zu-
rückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und des Revi-
sionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger steht als Richter der Besoldungsgruppe R 1 im Dienst des beklagten
Landes. Er ist verheiratet und Vater eines Kindes. Auf seinen Antrag, ihm für
krankheitsbedingte Aufwendungen für seine Tochter Beihilfen zu gewähren,
setzte der Beklagte unter Abzug der jährlichen Selbstbeteiligung des Klägers
von 240 € für das Jahr 2004 eine Beihilfe in Höhe von 49,42 € fest.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Gewährung einer weiteren Beihilfe in
Höhe von 240 € abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberver-
waltungsgericht den Beklagten im Wesentlichen aus folgenden Gründen zur
Bewilligung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 240 € verpflichtet:
§ 12a BVO NRW sei zwar formell rechtmäßig, verstoße jedoch seit 2003 gegen
Art. 33 Abs. 5 GG und sei deshalb unanwendbar. Seit diesem Jahr dürfe die
Kostendämpfungspauschale den Beihilfeansprüchen der Beamten wegen der
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bis dahin eingetretenen Besoldungsabsenkung durch Abschaffung des Ur-
laubsgeldes und Kürzung der jährlichen Sonderzuwendung nicht mehr entge-
gengehalten werden. Der Umfang dieser Absenkung überschreite 4% eines
Jahresnettoeinkommens; die Kostendämpfungspauschale mache zusätzlich
und je nach Gehaltsstufe bis zu 1,32% eines Jahresnettoeinkommens aus. Sie
führe damit zu einer Unterschreitung der aus verfassungsrechtlichen Gründen
gebotenen amtsangemessenen Alimentation, da die Beamtenschaft greifbar
von der Einkommensentwicklung vergleichbarer Beschäftigter abgekoppelt wor-
den sei. Deshalb verletze die jährliche pauschale Selbstbeteiligung an den
Krankheitskosten ab dem Jahr 2003 die Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Dieser
sei verpflichtet, die Gefährdung der amtsangemessenen Alimentation im Be-
reich der Beihilfe durch eine Nichtanwendung des § 12a BVO NRW zu kom-
pensieren. Ob die Vorschrift wegen Verfassungswidrigkeit nichtig sei, könne
demgegenüber offen bleiben.
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Revision. Er beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 10. September 2007 aufzuhe-
ben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 3. Februar 2006 zu-
rückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise festzustellen, dass die Anwendung des § 12a
BVO NRW für den Kläger dazu geführt hat, dass das
durch Art. 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich vorgegebe-
ne Niveau einer amtsangemessenen Alimentation ab dem
Jahr 2003 unterschritten wurde.
Die Beteiligten haben auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
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II
Die Revision des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteilig-
ten gemäß § 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1, § 141 Satz 1 VwGO ohne mündliche
Verhandlung entscheiden kann, ist begründet. Das Urteil des Berufungsgerichts
verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und stellt sich auch nicht aus
anderen als den vom Oberverwaltungsgericht angeführten Gründen als richtig
dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Beklagte war berechtigt, die Beihilfe des Klägers
für das Jahr 2004 um die Kostendämpfungspauschale gemäß § 12a der nord-
rhein-westfälischen Beihilfenverordnung - BVO NRW - zu kürzen (dazu 1. und
2.). Das Begehren des Klägers festzustellen, dass seine Alimentation wegen
der Anwendung des § 12a BVO NRW die Grenze der Amtsangemessenheit seit
2003 unterschritten habe, ist unzulässig (dazu 3.).
1. Gemäß § 12a Abs. 1 BVO NRW in der hier maßgebenden Fassung des
Art. II des Gesetzes zur Änderung der Beihilfenverordnung vom 18. Dezember
2002 (GV. NW S. 660 <666>, geändert durch die 19. Verordnung zur Änderung
der Beihilfenverordnung vom 12. Dezember 2003, GV. NW S. 756) wird die
Beihilfe je Kalenderjahr, in dem die beihilfefähigen Aufwendungen entstanden
sind, um eine gestaffelte Kostendämpfungspauschale von 150 bis 750 € ge-
kürzt. Richter mit einem Amt der Besoldungsgruppe R 1 sind der Stufe 2
(300 €) zugeordnet. Für jedes berücksichtigungsfähige Kind verringert sich die
Kostendämpfungspauschale nach § 12a Abs. 5 BVO NRW um 60 €.
§ 12a Abs. 1 BVO NRW unterliegt nach der Rechtsprechung des Senats weder
hinsichtlich des Art. 33 Abs. 5 GG noch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG oder
auf den Grundsatz des Gesetzesvorbehalts Bedenken; insbesondere verlangen
weder die Alimentations- noch die Fürsorgepflicht, dass Aufwendungen im
Krankheitsfall durch Leistungen einer beihilfekonformen Krankenversicherung
und ergänzende Beihilfeleistungen lückenlos gedeckt werden (Urteil vom
20. März 2008 - BVerwG 2 C 49.07 - BVerwGE 131, 20 Rn. 19).
Einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG begründet auch nicht der Umstand, dass
sowohl kinderlose Beamte als auch Beamte mit Kindern von der Kostendämp-
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fungspauschale betroffen sind (vgl. Urteil vom 20. März 2008 a.a.O. Rn. 18
m.w.N.). Der vom Kläger angestellte Vergleich zwischen einem kinderlosen Be-
amten, der in einem Kalenderjahr keine Leistungen der Beihilfe in Anspruch
nimmt, und einem Beamten, der Leistungen nicht für sich selbst, sondern nur
für seine Kinder in Anspruch nimmt, zeigt keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1
und Art. 6 GG auf. § 12a Abs. 1 BVO NRW knüpft nicht an die Unterscheidung
zwischen Beamten mit Kindern und kinderlosen Beamten an, sondern gewährt
unterschiedslos und familienbezogen jedem Beamten im Bedarfsfall einen An-
spruch auf eine um den Betrag der Kostendämpfungspauschale geminderte
Beihilfe, soweit die Aufwendungen dem Grunde nach notwendig und der Höhe
nach angemessen sind. Der tatsächliche Umstand, dass in dem vom Kläger
gebildeten Vergleichspaar nur der letztgenannte Beamte den Betrag der um
den Abzugsbetrag des § 12a Abs. 5 BVO NRW reduzierten Kostendämpfungs-
pauschale aus seinen Bezügen bestreiten muss, ist darauf zurückzuführen,
dass nur er die Erstattung von Aufwendungen begehrt und dementsprechend
Leistungen erhält. Hiervon abgesehen verlässt § 12a BVO NRW nicht die im
Beihilfesystem angelegte Sachgesetzlichkeit, wonach Beamte im Bedarfsfall
nicht mit erheblichen krankheitsbedingten Aufwendungen belastet werden dür-
fen, die nicht durch zumutbare Eigenvorsorge abgesichert werden können (vgl.
zu diesem Maßstab Urteil vom 26. August 2009 - BVerwG 2 C 62.08 - ZBR
2010, 88). Der Selbstbehaltsregelung liegt die Wertung zu Grunde, dass die An-
spruchsminderung um den Betrag der Kostendämpfungspauschale jedem
betroffenen Beamten im Regelfall ohne beihilferechtlichen Ausgleich zugemutet
werden kann. Zudem reduziert sich für Beamte mit Kindern die Kostendämp-
fungspauschale um 60 € je berücksichtigungsfähiges Kind, so dass Beamte der
unteren Besoldungsgruppen ab dem dritten Kind von der Kostendämpfungs-
pauschale freigestellt, in den mittleren Gehaltsgruppen erheblich entlastet sind.
Außerdem entfällt gemäß § 12a Abs. 7 BVO NRW die Kostendämpfungspau-
schale bei Aufwendungen für Vorsorgeuntersuchungen, die bei Kindern beson-
ders häufig anfallen; schließlich besteht die Möglichkeit einer zusätzlichen Un-
terstützung bei Vorliegen einer wirtschaftlichen Notlage (§ 13 Abs. 9 BVO
NRW), so dass eine Verletzung der Fürsorgepflicht zu Lasten kinderreicher Be-
amter vermieden werden kann.
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§ 12a BVO NRW verstößt auch nicht deshalb gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil
chronisch Kranke von der Kostendämpfungspauschale grundsätzlich in gleicher
Weise betroffen sind wie Beamte, die Beihilfeleistungen nicht im Zusammen-
hang mit einer chronischen Erkrankung beanspruchen. Denn die Beihilfever-
ordnung bietet in § 12a Abs. 7 - Wegfall der Kostendämpfungspauschale bei
dauernd pflegebedürftigen chronisch Erkrankten - und § 13 Abs. 9 Entlas-
tungsmöglichkeiten für die Gruppe der chronisch Kranken; unzumutbare wirt-
schaftliche Nachteile chronisch kranker Beamter können auf diese Weise bei
sachgerechter Handhabung vermieden werden.
2. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, der Dienstherr sei auf Grund
des Fürsorgegrundsatzes (Art. 33 Abs. 5 GG) dazu berechtigt oder gar ver-
pflichtet, Versäumnisse der Besoldungsgesetze ggf. durch eine Nichtanwen-
dung belastender Beihilfevorschriften zu kompensieren, ist mit Bundesrecht
nicht vereinbar.
Die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht gebietet, dass Beamte in besonderen
Belastungssituationen wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit nicht mit erhebli-
chen Aufwendungen beschwert bleiben, die sie durch zumutbare Eigenvorsorge
mit Hilfe der Regelalimentation nicht absichern können (Urteil vom 20. März
2008 a.a.O. m.w.N.). Allerdings kommt dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung
eines den Vorgaben des Art. 33 Abs. 5 GG entsprechenden Systems von
Alimentation und Fürsorgeleistungen, insbesondere bei der Entscheidung dar-
über, ob und in welchem Umfang Beihilfeleistungen gewährt werden, ein erheb-
licher Spielraum zu. Das Beihilfensystem als solches ist nicht verfassungsrecht-
lich verankert, da es nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeam-
tentums (Art. 33 Abs. 5 GG) gehört. Ob die Fürsorge in Krankheits- und Pflege-
fällen durch Beihilfeleistungen, durch Mittel der Regelalimentation zur Finanzie-
rung einer Krankenversicherung oder nicht versicherbarer Belastungen oder
durch eine Kombination aus diesen Elementen unter Wahrung der Amtsange-
messenheit der Alimentation sichergestellt wird, ist dem Gesetzgeber überlas-
sen (BVerfG, Beschluss vom 7. November 2002 - 2 BvR 1053/98 - BVerfGE
106, 225 <232 f.>; Kammerbeschluss vom 2. Oktober 2007 - 2 BvR 1715/03
u.a. - DVBl 2007, 1493 <1494>; BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2003 - BVerwG 2 C
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36.02 - BVerwGE 118, 277 <279 f.>). Der Spielraum des Gesetzgebers bei der
Gestaltung des Besoldungsrechts wird grundsätzlich erst durch Maßnahmen
überschritten, die sich als evident sachwidrig erweisen (stRspr, vgl. BVerfG, Be-
schlüsse vom 4. April 2001 - 2 BvL 7/98 - BVerfGE 103, 310 <320> und vom
6. Mai 2004 - 2 BvL 16/02 - BVerfGE 110, 353 <364>). Deshalb kann der Ge-
setzgeber das Alimentationsniveau sowohl dadurch anheben, dass er die
Dienstbezüge erhöht, als auch dadurch, dass er besoldungsrelevante Ein-
schnitte rückgängig macht oder Fürsorgeleistungen gewährt. Selbst wenn das
Beihilfensystem so ausgestaltet sein sollte, dass die Beamten in Krankheits-
und Pflegefällen unter Verstoß gegen das Gebot amtsangemessener Alimenta-
tion mit unzumutbaren Kosten belastet werden, würde daraus nicht die Nichtig-
keit oder - wie das Berufungsgericht meint - die Unanwendbarkeit der entspre-
chenden beihilferechtlichen Vorschriften folgen, sondern die Notwendigkeit ei-
ner Anpassung des Alimentationsniveaus, etwa durch Änderung des Besol-
dungsgesetzes.
Die vom Berufungsgericht für richtig gehaltene Nichtanwendung belastender
Beihilfevorschriften im Einzelfall verkennt diesen Zusammenhang von Alimenta-
tions- und Fürsorgepflicht. Der Beamte, der sein grundrechtsgleiches Recht auf
amtsangemessene Alimentation geltend machen will, kann dieses Ziel nicht
durch eine Klage auf Gewährung von Fürsorgeleistungen erreichen. Es ist Sa-
che des Gesetzgebers zu entscheiden, in welcher Weise die amtsangemesse-
ne Alimentation sichergestellt wird. Aus demselben Grund kann auch das Ge-
richt nicht die Anwendung belastender Beihilferegelungen sperren und sich so
an die Stelle des Gesetzgebers setzen. Vielmehr kann der Gestaltungsspiel-
raum des Gesetzgebers nur dadurch gewahrt werden, dass betroffene Beamte
ihren auf eine höhere Alimentation zielenden Anspruch prozessual durch eine
Feststellungsklage geltend machen (stRspr, Urteile vom 20. März 2008 a.a.O.,
vom 28. Mai 2009 - BVerwG 2 C 23.07 - Buchholz 11 Art. 57 GG Nr. 1, und
vom 6. November 2009 - BVerwG 2 C 60.08 - juris; vgl. auch Urteil vom
20. Juni 1996 - BVerwG 2 C 7.95 - Buchholz 240 § 2 BBesG Nr. 8 und BVerfG,
Kammerbeschluss vom 14. Oktober 2009 - 2 BvL 13/08 u.a. - juris). Dieser Weg
ist ihnen auch im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19
Abs. 4 GG) zuzumuten, da davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber die
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Konsequenzen aus einer entsprechenden gerichtlichen Feststellung ziehen
wird. In wirtschaftlichen Notlagen kommen unter dem Gesichtspunkt der
Fürsorgepflicht vorläufige Zahlungen in Betracht (Urteil vom 20. Juni 1996
a.a.O.).
Die Annahme des Berufungsgerichts, Rechtsschutz sei in Fällen wie dem vor-
liegenden dort zu suchen, wo das System von Alimentation und Beihilfe die
Schwelle der Rechtswidrigkeit überschreite, trifft zwar zu. Allerdings führt sie
nicht dazu, dass eine Verpflichtungsklage auf Gewährung höherer Beihilfen zu
erheben ist, da nicht die beihilferechtliche Regelung, die zu einem Absinken des
Alimentationsniveaus unter die Schwelle der Amtsangemessenheit führt,
rechtswidrig ist, sondern das Besoldungsgesetz, das eine verfassungswidrig zu
niedrige Alimentation festsetzt. Die vom Berufungsgericht für ausreichend ge-
haltene Anwendungssperre des § 12a BVO NRW trägt dem Umstand nicht hin-
reichend Rechnung, dass weder die Kostendämpfungspauschale noch ihre
Anwendung rechtswidrig sind, sondern - unterstellt, das Alimentationsniveau
des Klägers sei im Jahre 2004 verfassungswidrig zu niedrig gewesen - das Be-
soldungsgesetz. Dem abweichenden Ansatz des Berufungsgerichts stehen be-
reits der besoldungsrechtliche Vorbehalt des Gesetzes sowie der Grundsatz der
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entgegen, da er auf eine behördliche oder
gerichtliche Nichtanwendungskompetenz für jeden Einzelfall hinausläuft, in dem
das für verfassungsgemäß gehaltene Alimentationsniveau durch Anwendung
einer Kürzungs- oder Streichungsregelung gefährdet erscheint. Er greift in den
Gestaltungsspielraum des Besoldungsgesetzgebers ein, der zu der Entschei-
dung darüber berufen ist, ob eine unzureichende Alimentation durch den Abbau
von Kürzungsvorschriften oder durch Anhebung der Regelalimentation behoben
werden soll. Schließlich führt der Ansatz des Berufungsgerichts zu dem unter
dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht tragbaren Ergebnis, dass je nach
geltend gemachter Leistung - Beihilfe ohne Selbstbehalt für beihilfefähige
Aufwendungen, Beihilfe für nicht beihilfefähige Aufwendungen, Sonderzu-
wendung usw. - und Einzelfall beliebige Vorschriften des öffentlichen Dienst-
rechts einer Anwendungssperre gegenüber einzelnen Beamten unterworfen
würden, während sie gegenüber anderen Beamten Anwendung fänden, weil
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diese ihren Anspruch auf Kompensation der unzureichenden Besoldung in an-
derer Weise oder gar nicht geltend gemacht haben.
3. Der im Revisionsverfahren erstmalig ausdrücklich gestellte Hilfsantrag ist als
Antrag auf Feststellung auszulegen, dass die Alimentation des Klägers seit
2003 unter Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot amtsangemesse-
ner Alimentation (Art. 33 Abs. 5 GG) zu niedrig bemessen ist. Eine im Hinblick
auf den Wortlaut des Antrags nahe liegende Beschränkung auf die Feststellung
der Rechtswidrigkeit des § 12a BVO NRW seit 2003 würde dem Anliegen des
Klägers (vgl. § 88 VwGO) nicht gerecht werden, da ein solches Begehren be-
reits im Hauptantrag enthalten ist.
Der Hilfsantrag stellt jedoch eine Klageänderung in der Revisionsinstanz dar
und ist deshalb gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO unzulässig. Denn ein auf die
Feststellung einer verfassungswidrig unzureichenden Alimentation ab dem Jahr
2003 gerichtetes Begehren lässt sich dem Vortrag des Klägers in erster und
zweiter Instanz weder ausdrücklich noch konkludent entnehmen (Urteil vom
20. März 2008 a.a.O. Rn 34). Daher ist der in der Revisionserwiderung formu-
lierte Antrag keine Klarstellung oder Ergänzung der in den Tatsacheninstanzen
gestellten Anträge, sondern eine Erweiterung des bis dahin auf die Verpflich-
tung zur Bewilligung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 240 € unter Anfechtung
der ergangenen Bescheide beschränkten Streitgegenstands.
Der Streitgegenstand im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wird nicht nur
durch den Klageantrag, sondern auch durch den Klagegrund bestimmt. Neben
der angestrebten Rechtsfolge ist deshalb auch der Sachverhalt, aus dem sich
diese Rechtsfolge ergeben soll, für den Streitgegenstand bestimmend (Be-
schluss vom 9. August 2000 - BVerwG 8 B 72.00 - Buchholz 310 § 121 VwGO
Nr. 80). Das Gericht ist bei der Ermittlung des Begehrens zwar nicht an die
Fassung der Anträge gebunden, darf aber über das Klagebegehren nicht hi-
nausgehen (§ 88 VwGO).
Im vorliegenden Fall hat der Kläger sich nach den in erster und zweiter Instanz
gestellten Anträgen auf die Erhebung einer Verpflichtungsklage auf Gewährung
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einer weiteren Beihilfe in Höhe von 240 € für das Jahr 2004 unter Anfechtung
des Beihilfebescheids vom 11. Januar 2005 und des Widerspruchsbescheids
vom 8. Februar 2005 beschränkt. Einen darüber hinausgehenden ausdrückli-
chen Antrag auf Feststellung unzureichender Alimentation hat er nicht gestellt.
Ein solches Begehren ist seinem Vorbringen in den Tatsacheninstanzen auch
konkludent nicht zu entnehmen. Denn er hat den zur Entscheidung des Ge-
richts gestellten Sachverhalt auf die Handhabung des Beihilferechts in einem
Einzelfall beschränkt; alleiniges Ziel des Verfahrens in den Tatsacheninstanzen
war - wie sich nicht zuletzt in dem vom Berufungsgericht festgesetzten Streit-
wert widerspiegelt - die Durchsetzung eines einmaligen und bezifferten An-
spruchs auf höhere Beihilfeleistungen.
Zwar ist der Kläger zur Begründung des geltend gemachten Leistungsbegeh-
rens auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit seiner Besoldung im Jahr 2004
eingegangen. Diesen Ausführungen kommt für das angestrebte Rechtsschutz-
ziel jedoch lediglich die Funktion eines Begründungselements zu, das die Vor-
aussetzungen für die Gewährung weiterer Fürsorgeleistungen belegen soll. Ein
auf die allgemeine und dauerhafte Erhöhung der Bezüge bzw. auf die nach der
Senatsrechtsprechung als Grundlage hierfür erforderliche Feststellung der Un-
teralimentation gerichtetes Klagebegehren wäre demgegenüber eine Erweite-
rung des bisherigen Streitstoffs. Es ist nicht als nachrangiges Begehren in dem
streitgegenständlichen Verpflichtungsantrag auf Gewährung einer weiteren Bei-
hilfe enthalten, weil die Rechtsschutzziele beider Begehren nicht identisch sind
(vgl. Urteil vom 28. April 2005 - BVerwG 2 C 1.04 - BVerwGE 123, 308 <312>).
Der vom Kläger formulierte Hilfsantrag würde die bisher nicht behandelte Frage
des Alimentationsniveaus im Jahr 2003 zusätzlich zur Entscheidung des Ge-
richts stellen und damit schon in zeitlicher Hinsicht über den bisherigen Streit-
stoff hinausgehen. Hiervon unabhängig überschreitet die nunmehr begehrte
Feststellung einer dauerhaften Unteralimentation in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht die Frage der Handhabung eines einmaligen Beihilfeanspruchs. Denn
sie zielt auf die dauerhafte Korrektur eines Alimentationsdefizits durch den
Besoldungsgesetzgeber unter der Annahme, dass § 12a BVO NRW nicht
rechtswidrig ist, während das Begehren des Klägers in den Tatsacheninstanzen
auf die Bewilligung einer einmaligen Beihilfeleistung durch den Dienstherrn un-
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ter der Annahme zielt, § 12a BVO NRW und infolgedessen auch die angegrif-
fenen Bescheide seien rechtswidrig. Die Ausführungen des Klägers in den Tat-
sacheninstanzen zur amtsangemessenen Alimentation dienen lediglich dazu,
Vorfragen für die Handhabung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn in einem
Einzelfall zu klären, ohne selbst Klagegegenstand zu sein. Der Kläger greift
nicht - was nach der Rechtsprechung des Senats erforderlich wäre - Versäum-
nisse des Besoldungsgesetzgebers an, sondern begründet lediglich den geltend
gemachten Anspruch auf eine einmalige Fürsorgeleistung zur Kompensation
derartiger Versäumnisse.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Groepper
Dr. Heitz
Thomsen
Dr. Maidowski
Dr. Hartung
B e s c h l u s s
Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 240 €
festgesetzt.
Groepper
Thomsen
Dr. Maidowski
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