Urteil des BVerwG vom 10.04.2014

Dienstliche Tätigkeit, Ausnahme, Aufklärungspflicht, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 80.13
OVG 2 A 11083/12.OVG
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. April 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dr. Hartung
beschlossen:
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Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz
vom 22. Mai 2013 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückver-
wiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Klägers hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit
gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Die Beschwerdebegrün-
dung rechtfertigt zwar nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1
und 2 VwGO; jedoch liegt ein Verfahrensmangel vor, auf dem das Berufungs-
urteil beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1. Der Kläger steht seit 1973 als Rechtspfleger im Dienst des beklagten Landes
und ist seit Anfang 2010 als Justizamtmann im Wege der Abordnung beim
Amtsgericht Bad D. eingesetzt. Mit der streitgegenständlichen Verfügung wies
der Direktor des Amtsgerichts den Kläger an, sich einer amtsärztlichen Unter-
suchung zu unterziehen, und begründete dies mit erheblichen Arbeitsrückstän-
den im Zuständigkeitsbereich des Klägers, die trotz mehrerer Kritikgespräche,
Veränderungen des Arbeitsbereichs, Dienstanweisungen und Fristsetzungen
nicht abgebaut worden seien. Dem Auftrag an die zentrale medizinische Unter-
suchungsstelle (nicht aber der Anordnung an den Kläger) waren eine Fehlzei-
tendokumentation und Erläuterungen zur dienstlichen Beurteilung des Klägers
beigefügt. Dessen Widerspruch wies der Präsident des Oberlandesgerichts mit
der Begründung zurück, die Zweifel an der Dienstfähigkeit des Klägers seien in
der hohen Zahl seiner Krankheitsfehltage, einer über längere Zeit quantitativ
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nicht ausreichenden Sachbehandlung und dem sonstigen Verhalten des Klä-
gers begründet. Klage und Berufung hiergegen blieben ohne Erfolg.
Das Oberverwaltungsgericht hat ausgeführt, der Direktor des Amtsgerichts sei
für den Erlass der Anordnung zuständig gewesen. Zwar bleibe die grundsätzli-
che Zuständigkeit des Dienstvorgesetzten für in den Status des Beamten ein-
greifende Verfügungen von einer vorübergehenden Zuweisung zu einer ande-
ren Dienststelle oder - wie hier - einer Abordnung unberührt. Eine Ausnahme
sei jedoch zu machen, wenn die Verfügung nicht wegen dienstlicher Umstände
innerhalb der Stammdienststelle des Beamten, sondern ausschließlich wegen
seines Verhaltens an seinem Arbeitsplatz ergehe. Zudem handele es sich bei
der streitgegenständlichen Anordnung nicht um einen Verwaltungsakt, sondern
um eine gemischte dienstlich-persönliche Weisung. Für den Beklagten hätten
auch berechtigte Zweifel an der Dienstfähigkeit des Klägers bestanden. Zwar
sei fraglich, ob hierfür die dem Kläger vorgeworfenen Arbeitsrückstände aus-
reichten. Berechtigten Anlass für eine amtsärztliche Untersuchung hätten je-
doch die erheblichen Fehlzeiten des Klägers gegeben.
2. Die Beschwerde rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grund-
sätzlicher Bedeutung oder wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO),
weil sie insoweit nicht den Darlegungsanforderungen genügt (§ 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO). Dafür wäre erforderlich, dass in der Beschwerdebegründung ein
solcher Zulassungsgrund bezeichnet und substantiiert dargelegt wird. Weder
formuliert die Beschwerde eine klärungsbedürftige, über den Einzelfall hinaus-
gehende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, noch bezeichnet sie ei-
nen abstrakten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen
divergenzfähigen Gerichts, von dem das Berufungsurteil mit einem ebensol-
chen Rechtssatz abweicht (vgl. Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B
78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 -
Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 = NJW 1997, 3328).
Vielmehr geht die Beschwerde bereits im Ansatz fehl, wenn sie meint, dass „ei-
ne Verletzung von Bundesrecht und Verwaltungsverfahrensrecht des Landes
vorliegt, das mit dem Bundesrecht übereinstimmt“ (Beschwerdebegründung
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S. 1 unten). Damit orientiert sie sich offensichtlich an § 137 Abs. 1 VwGO, also
am Kontrollmaßstab des Revisionsgerichts nach Zulassung der Revision, ver-
kennt aber, dass der in § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO normierte Maßstab für
eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ein anderer ist. Die
Beschwerde erschöpft sich hiernach überwiegend in der Art eines zugelasse-
nen oder zulassungsfreien Rechtsmittels in Angriffen gegen die tatsächliche
und rechtliche Würdigung des Streitfalls durch das Berufungsgericht, die sie in
verschiedener Hinsicht für „nicht nachvollziehbar“ bzw. „nicht verständlich“ hält.
Damit ist dem Erfordernis aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht genügt.
3. Die Beschwerde hat aber insoweit Erfolg, als sie geltend macht, das Beru-
fungsurteil habe sich mit den vom Kläger vorgelegten privatärztlichen Attesten
zu dessen Gesundheitszustand nicht befasst. Damit rügt sie - der Sache nach -
einen Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1
VwGO) und damit einen Verfahrensmangel, auf dem das Berufungsurteil auch
beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dies führt zur Zurückverweisung der
Rechtssache (§ 133 Abs. 6 VwGO).
§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO bestimmt, dass das Gericht den entscheidungserheb-
lichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln hat. In welchem Umfang das
Tatsachengericht Sachaufklärung zu betreiben hat, um in dem Rechtsstreit ent-
scheiden zu können, richtet sich nach dem maßgeblichen materiellen Recht in
der Auslegung durch das Tatsachengericht.
a) Das Berufungsgericht ist - auf der Grundlage der von ihm zitierten Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts und insoweit in Übereinstimmung
mit dieser - davon ausgegangen, dass es sich bei der an einen Beamten gerich-
teten Aufforderung, sich einer (amts-)ärztlichen Untersuchung zu unterziehen,
nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um eine gemischte dienstlich-persönli-
che Weisung handelt (Urteile vom 26. April 2012 - BVerwG 2 C 17.10 - Buch-
holz 237.6 § 226 NdsLBG Nr. 1 Rn. 14 f. und vom 30. Mai 2013 - BVerwG 2 C
68.11 - BVerwGE 146, 347 Rn. 16). Diese muss wegen der mit ihr verbundenen
Eingriffe in die grundrechtsbewehrte persönliche Sphäre des Beamten nach
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dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bestimmten formellen und inhaltlichen
Anforderungen genügen.
Danach müssen einer solchen Aufforderung - erstens - tatsächliche Feststel-
lungen zugrunde liegen, die die Dienstunfähigkeit des Beamten als nahe lie-
gend erscheinen lassen. Die Behörde muss diese tatsächlichen Umstände in
der Untersuchungsaufforderung angeben. Der Beamte muss anhand der Be-
gründung die Auffassung der Behörde nachvollziehen und prüfen können, ob
die angeführten Gründe tragfähig sind (vgl. Urteile vom 23. Oktober 1980
- BVerwG 2 A 4.78 - Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 14 S. 6, vom 26. April 2012
a.a.O. Rn. 19 ff. und vom 30. Mai 2013 a.a.O. Rn. 19 ff. m.w.N.). Ein etwaiger
Mangel dieser Aufforderung kann nicht im weiteren behördlichen oder gerichtli-
chen Verfahren - etwa gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG - geheilt werden (Urteil
vom 30. Mai 2013 a.a.O. Rn. 21).
Die Untersuchungsanordnung muss - zweitens - Angaben zu Art und Umfang
der ärztlichen Untersuchung enthalten. Die Behörde darf dies nicht dem Belie-
ben des Arztes überlassen. Nur wenn in der Aufforderung selbst Art und Um-
fang der geforderten ärztlichen Untersuchung nachvollziehbar sind, kann der
Betroffene nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ihre
Rechtmäßigkeit überprüfen. Dem entsprechend muss sich der Dienstherr be-
reits im Vorfeld des Erlasses nach entsprechender sachkundiger ärztlicher Be-
ratung zumindest in den Grundzügen darüber klar werden, in welcher Hinsicht
Zweifel am körperlichen Zustand oder der Gesundheit des Beamten bestehen
und welche ärztlichen Untersuchungen zur endgültigen Klärung geboten sind
(Urteil vom 30. Mai 2013 a.a.O. Rn. 19; vgl. auch OVG Münster, Beschluss vom
27. November 2013 - 6 B 975/13 - ZBR 2014, 141 <142>).
Daher muss sich die Behörde mit den vom Beamten vorgelegten Bescheini-
gungen auseinandersetzen, die unter Umständen eine Untersuchung - ganz
oder teilweise - entbehrlich machen können. Diese Verpflichtung trifft, wenn die
Rechtmäßigkeit der Untersuchungsanordnung zu prüfen ist, auch das Tatsa-
chengericht.
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b) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen an die gerichtliche Sachaufklä-
rung ist das Berufungsgericht nicht gerecht geworden. Die Beschwerde rügt
insoweit zu Recht, dass der Kläger unter Vorlage privatärztlicher Unterlagen
substantiiert vorgetragen und angeboten hat, weitere (aktuelle) Befundberichte
der ihn behandelnden Ärzte vorzulegen, die - aus seiner Sicht - erklärten, dass
es sich bei den ihm vorgehaltenen Fehltagen lediglich um kleinere Erkrankun-
gen gehandelt habe (wie grippale Infekte, Erkältungen, auch einmal eine ortho-
pädisch relevante Beeinträchtigung), jedenfalls um keine Erkrankungen, die
objektiv geeignet wären, seine Dienstfähigkeit dauerhaft zu beeinträchtigen.
Das Berufungsgericht dagegen hat diesen privatärztlichen Bescheinigungen
jegliche Bedeutung für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Untersuchungsan-
ordnung abgesprochen (ab UA S. 9 unten).
Damit hat es zum einen seine aus den vorstehenden Anforderungen folgende
Aufklärungspflicht verfehlt, nämlich zu prüfen, ob im Streitfall überhaupt hinrei-
chende Zweifel an der Dienstfähigkeit des Klägers vorlagen. Zum anderen ist
auch die dafür gegebene Begründung, die auf die ständige Rechtsprechung
zum Vorrang amtsärztlicher Gutachten im Verhältnis zu privatärztlichen Stel-
lungnahmen verweist, nicht tragfähig. Die erwähnte Rechtsprechung besagt,
dass für den Fall, dass inhaltlich nicht oder nicht vollständig vereinbare Stel-
lungnahmen eines Amtsarztes und eines Privatarztes zu demselben Krank-
heitsbild vorliegen, diejenige des Amtsarztes im Konfliktfall dann Vorrang ver-
dient, wenn dieser sich mit substantiierten medizinischen Befunden des behan-
delnden Privatarztes auseinandergesetzt hat (vgl. etwa Urteil vom 11. Oktober
2006 - BVerwG 1 D 10.05 - Buchholz 232 § 73 BBG Nr. 30 Rn. 36 f.). Diese
Situation ist hier aber schon deshalb nicht gegeben, weil eine amtsärztliche
Stellungnahme noch gar nicht vorliegt. Das Berufungsgericht indes versagt den
vom Kläger vorgelegten privatärztlichen Stellungnahmen (sowie denen, deren
Beibringung er angeboten hatte) bereits vorab jegliche Erheblichkeit, bevor sich
der Amtsarzt erst mit ihnen auseinandersetzen konnte. Diese zur Kenntnis zu
nehmen und sie zu prüfen, war auch deshalb geboten, weil sich aus ihnen An-
haltspunkte dafür ergeben konnten, ob die Untersuchungsanordnung deshalb
rechtswidrig, nämlich unverhältnismäßig war, weil sie nach Art und Umfang hät-
te näher eingegrenzt werden müssen.
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4. Bei seiner erneuten Befassung mit dem Streitfall wird das Berufungsgericht
Gelegenheit haben, die Rechtmäßigkeit der streitbefangenen Untersuchungs-
anordnung in mehrfacher Hinsicht einer genaueren Überprüfung zu unterziehen
und dabei auch seine eigene bisherige Rechtsauffassung zu überdenken:
a) Dies gilt zunächst im Hinblick auf das im Streitfall anzuwendende Recht: Die
vom Berufungsgericht (ohne Angabe der maßgeblichen Gesetzesfassung) he-
rangezogenen (zu den §§ 26 und 27 BeamtStG erlassenen) Vorschriften der
§§ 44 und 47 des Landesbeamtengesetzes vom 20. Oktober 2010 - LBG RhPf
2010 - (GVBl S. 319) sind gemäß § 145 Abs. 5 Satz 1 dieses Gesetzes erst am
1. Juli 2012 in Kraft getreten, mithin nach Erlass des Widerspruchsbescheides,
auf den das Berufungsgericht als maßgeblichen Zeitpunkt (wohl) abstellt. Ent-
gegen der Annahme des Berufungsurteils (UA S. 7) dürften daher Rechtsgrund-
lage für die streitgegenständliche Untersuchungsanordnung §§ 56, 56a des
Landesbeamtengesetzes in der Fassung vom 14. Juli 1970 - LBG RhPf 1970 -
(GVBl S. 241), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 9. Juli 2010
(GVBl S. 167), gewesen sein, ergänzt durch die Regelung über die Durchfüh-
rung der ärztlichen Untersuchung durch die zentrale medizinische Untersu-
chungsstelle gemäß § 61a dieses Gesetzes, eingefügt durch das Sechste Lan-
desgesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 27. Juni 2002 (GVBl
S. 301), geändert durch das Siebte Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vor-
schriften vom 15. Oktober 2004 (GVBl S. 457).
b) Ebenfalls überprüfungsbedürftig erscheinen die Ausführungen des Beru-
fungsurteils zur Zuständigkeit des Beklagten: Das Berufungsgericht hat ange-
nommen, im Falle der Abordnung eines Beamten bleibe „grundsätzlich“ der Lei-
ter der abordnenden „Stammdienststelle“ weiterhin der Dienstvorgesetzte des
Beamten. Im Streitfall sei jedoch „eine Ausnahme (…) zu machen“, weil die
streitgegenständliche Anordnung die dienstliche Tätigkeit bei der Abordnungs-
stelle betreffe. Die Frage eines vom Berufungsgericht angenommenen (von ihm
nicht anhand von Normen belegten) „Regel-Ausnahme-Verhältnisses“ dürfte
sich indes nicht stellen, weil das rheinland-pfälzische Landesorganisationsrecht
eine ausdrückliche, die Auffassung des Berufungsgerichts im Ergebnis bestäti-
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gende Regelung trifft: Zuständig zum Erlass einer Weisung an den Beamten,
sich ärztlich untersuchen zu lassen, ist gemäß § 61a Abs. 1 LBG RhPf 1970
dessen Dienstvorgesetzter. Wer Dienstvorgesetzter ist, richtete sich gemäß § 4
Abs. 2 Satz 3 LBG RhPf 1970 nach dem Aufbau der öffentlichen Verwaltung.
Gemäß § 18c Abs. 3 Satz 1 des Gerichtsorganisationsgesetzes (GerOrgG
RhPf) vom 5. Oktober 1977 (GVBl S. 333), geändert durch Gesetz vom
28. September 2005 (GVBl S. 448), ist Dienstvorgesetzter derjenige, der die
Dienstaufsicht über den Beamten ausübt. Die Dienstaufsicht erstreckt sich nach
§ 18c Abs. 2 Satz 1 GerOrgG RhPf auf alle bei einem Gericht beschäftigten
Beamten, mithin unabhängig davon, ob der Beamte dort dauerhaft oder (nur)
aufgrund einer Abordnung tätig ist. Gemäß § 18c Abs. 1 Nr. 4 GerOrgG RhPf
übt der Direktor des Amtsgerichts die Dienstaufsicht über sein Gericht aus.
c) Des Weiteren wird sich das Berufungsgericht mit der Frage befassen müs-
sen, ob der von ihm ohne nähere Begründung angenommenen Anfechtbarkeit
der Untersuchungsanordnung - trotz des lediglich vorbereitenden Charakters
der amtsärztlichen Untersuchung im Rahmen des Zurruhesetzungsverfahrens -
die Vorschrift des § 44a Satz 1 VwGO entgegensteht, wonach Rechtsbehelfe
gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die
Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden kön-
nen, es sei denn (Satz 2), die behördliche Verfahrenshandlung kann vollstreckt
werden (vgl. hierzu etwa OVG Saarlouis, Beschluss vom 18. September 2012
- 1 B 225/12 - NVwZ-RR 2013, 477 und OVG Münster, Beschluss vom 1. Okto-
ber 2012 - 1 B 550/12 - NVwZ-RR 2013, 198).
d) Auch die Frage, ob die Untersuchungsanordnung den erwähnten formellen
und inhaltlichen Anforderungen genügt, bedarf genauerer Prüfung:
Die Anordnung des Direktors des Amtsgerichts vom 18. März 2011 stützt sich
lediglich auf die erheblichen Arbeitsrückstände des Klägers. Dass Minderleis-
tungen, die in Arbeitsrückständen deutlich werden, für sich allein in der Regel
nicht geeignet sind, eine amtsärztliche Untersuchung zu rechtfertigen, hat auch
das Berufungsgericht nicht in Zweifel gezogen (UA S. 8). Die dem Auftrag an
die zentrale medizinische Untersuchungsstelle (ZMU) beigefügte Fehlzeitendo-
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kumentation war nicht Inhalt der an den Kläger gerichteten Anordnung, sodass
diese Verfügung schon den formellen Anforderungen kaum genügen dürfte.
Erst im Widerspruchsbescheid werden - neben den Arbeitsrückständen - auch
die erheblichen Fehlzeiten des Klägers als Grund für die Untersuchungsanord-
nung angeführt. Zwar können solche Fehlzeiten grundsätzlich Zweifel an der
Dienstfähigkeit eines Beamten begründen; dies muss aber schlüssig dargelegt
werden (Urteil vom 30. Mai 2013 a.a.O. Rn. 27). Ob der Widerspruchsbescheid
die Versäumnisse der Ausgangsverfügung beheben konnte, bedarf näherer
Prüfung, weil nach der dargestellten Rechtsprechung Mängel der Untersu-
chungsanordnung nicht im weiteren behördlichen oder gerichtlichen Verfahren
geheilt werden können (Urteil vom 30. Mai 2013 a.a.O. Rn. 21 und 30).
Schließlich und unabhängig davon enthalten weder die Ausgangsverfügung
noch der Widerspruchsbescheid nähere Angaben zu Art und Umfang der amts-
ärztlichen Untersuchung (Urteil vom 30. Mai 2013 a.a.O. Rn. 22 f.); namentlich
fehlt jede nähere Eingrenzung, etwa ob sie sich nur auf den körperlich-physi-
schen Gesundheitszustand des Klägers erstrecken oder sich auch mit etwaigen
psychischen Beeinträchtigungen befassen soll und - wenn ja - ggf. mit welchen.
Domgörgen Dr. von der Weiden Dr. Hartung
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Beamtenrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
LBG RhPf 1970
§ 4 Abs. 2 Satz 3, §§ 56, 56a, 61a
GerOrgG RhPf
§ 18c Abs. 1 bis 3
VwGO
§ 44a, § 86 Abs. 1 Satz 1, § 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6
Stichworte:
Beamter; dauernde Dienstunfähigkeit; Zurruhesetzung; Rechtspfleger; Fehlzei-
ten; Minderleistungen; Arbeitsrückstände; Untersuchungsanordnung; Aufforde-
rung zur amtsärztlichen Untersuchung; formelle und inhaltliche Anforderungen;
Verfahrensmangel; gerichtliche Aufklärungspflicht; Sachaufklärung; Amtsermitt-
lungspflicht; Zuständigkeit bei Abordnung; behördliche Verfahrenshandlung.
Leitsätze:
1. Die an einen Beamten gerichtete Aufforderung, sich einer amtsärztlichen Un-
tersuchung zu unterziehen, um seine Dienstfähigkeit zu überprüfen, unterliegt
aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit formellen und inhaltlichen Anforde-
rungen. Diese betreffen die Angabe der Gründe, aus denen sich die Zweifel an
der Dienstfähigkeit des Beamten ergeben, und die Bestimmung von Art und Um-
fang der ärztlichen Untersuchung (wie Urteile vom 26. April 2012 - BVerwG 2 C
17.10 - Buchholz 237.6 § 226 NdsLBG Nr. 1 Rn. 16 ff. und vom 30. Mai 2013 -
BVerwG 2 C 68.11 - BVerwGE 146, 347 Rn. 18 ff.).
2. Minderleistungen, die in Arbeitsrückständen deutlich werden, sind für sich al-
lein in der Regel kein hinreichender Grund für eine solche Untersuchungsauffor-
derung.
Beschluss des 2. Senats vom 10. April 2014 - BVerwG 2 B 80.13
I. VG Neustadt a. d. Weinstraße vom 15.02.2012 - Az.: VG 1 K 866/11.NW -
II. OVG Koblenz
vom 22.05.2013 - Az.: OVG 2 A 11083/12.OVG -