Urteil des BVerwG vom 13.08.2013

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BVerwG 6 B 35.13
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 B 35.13
VG Hannover - 16.03.2010 - AZ: VG 6 A 2779/09
Niedersächsisches OVG - 06.05.2013 - AZ: OVG 2 LB 153/12
In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. August 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge und Prof. Dr. Hecker
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 6. Mai 2013 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 2 457,40 €
festgesetzt.
Gründe
1 Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
2 1. Die Kläger sehen als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage an, ob es mit Art. 3 Abs. 1
GG vereinbar ist, dass bei Kapazitätsauslastung der nächstgelegenen Schule nur denjenigen
Schülern die Kosten für den Transport zu einer weiter entfernten Schule erstattet werden, die
sich zunächst ohne Erfolg bei der nächstgelegenen Schule beworben haben, nicht hingegen
denjenigen Schülern, die sich von vornherein nicht bei der nächstgelegenen Schule beworben
haben (Beschwerdebegründung S. 3). Diese Frage stellen die Kläger vor dem Hintergrund, dass
§ 114 Abs. 3 Satz 1 NdsSchG die Pflicht zur Schülerbeförderung oder zur Erstattung der
notwendigen Auslagen für den Schulweg (vgl. § 114 Abs. 1 Satz 2 NdsSchG) grundsätzlich auf
den Weg zur nächstgelegenen Schule beschränkt. Gemäß § 114 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2
NdsSchG bleibt eine nächstgelegene Schule ausnahmsweise außer Betracht, wenn sie wegen
einer Aufnahmebeschränkung (§ 59a NdsSchG) nicht besucht werden kann. Das
Oberverwaltungsgericht hat die Anwendung von § 114 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 NdsSchG auf den
Fall der Kläger mit der Begründung abgelehnt, die Vorschrift setze in jedem Fall voraus, dass der
betreffende Schüler nach einer entsprechenden Bewerbung aus den in § 59a Abs. 1 NdsSchG
aufgeführten Gründen von der nächstgelegenen Schule abgelehnt worden sei; eine
entsprechende Bewerbung sei hier nicht erfolgt, obgleich sie zumutbar gewesen sei (UA S. 18
ff.). Die Kläger stehen auf dem Standpunkt (vgl. Beschwerdebegründung S. 4 f.), die
Gesetzesauslegung durch das Oberverwaltungsgericht führe zu einer nicht durch sachliche
Gründe gerechtfertigten Ungleichbehandlung gegenüber Schülern, die als sogenannte
Geschwisterkinder weiter gelegene Schulen besuchen würden, dennoch aber vom Beklagten
Kostenersatz erhielten, sowie gegenüber Schülern, die nach erfolgloser Bewerbung bei der
nächstgelegenen Schule nunmehr eine weiter gelegene Schule besuchen würden und hierfür
vom Beklagten Kostenersatz erhielten. Dieses Vorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der
Revision.
3 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn
für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang
höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren
Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der
Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (vgl. Beschluss vom 20.
Februar 2012 - BVerwG 6 B 37.11 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 177 Rn. 11; stRspr). Das
Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer solchen
Rechtsfrage und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich
bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die
Revisionsentscheidung zur Klärung einer revisionsgerichtlich bislang nicht beantworteten
fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann (Beschluss vom 17. August 2009 - BVerwG 6 B
10.09 - juris Rn. 2). Zielt die Rüge des Beschwerdeführers - wie hier - auf die Nichtbeachtung
von Bundesrecht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht, vermag dies die
Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur dann zu begründen, wenn die
Auslegung einer - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten -
bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft.
Die bezeichneten bundesrechtlichen Maßgaben, deren Tragweite und Klärungsbedürftigkeit im
Hinblick auf die einschlägigen landesrechtlichen Normen sowie die Entscheidungserheblichkeit
ihrer Klärung in dem anhängigen Verfahren sind in der Beschwerdebegründung anzugeben. Es
muss hierbei dargelegt werden, dass und inwiefern die jeweils angeführten bundesrechtlichen
Maßgaben Rechtsfragen aufwerfen, die sich nicht auf Grund der bisherigen höchstrichterlichen
Rechtsprechung beantworten lassen (Beschluss vom 17. August 2009 a.a.O. Rn. 7).
4 Diesen Vorgaben wird die Beschwerde schon im Hinblick auf die formellen Anforderungen
nicht gerecht. Die Beschwerde begnügt sich im Wesentlichen damit, im Stile einer
Berufungsbegründung darzulegen, dass - entgegen der Auffassung im angefochtenen Urteil -
der in Auslegung irrevisiblen Landesrechts vom Oberverwaltungsgericht angenommene
Ausschluss der Kläger von der kostenfreien Schülerbeförderung bzw. der Erstattung der
notwendigen Kosten für den Schulweg gegen den grundgesetzlichen Gleichheitssatz verstoße.
Jedoch zeigt sie nicht auf, inwiefern die vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung -
insbesondere des Bundesverfassungsgerichts - zum grundgesetzlichen Gleichheitssatz
lückenhaft in dem Sinne wäre, dass von ihr ausgehend eine rechtliche Klärung der
aufgeworfenen Frage nicht möglich wäre, ohne zuvor auf fallübergreifender Ebene einen bislang
noch nicht höchstrichterlich entfalteten abstrakten Rechtssatz zu bilden, dessen Bildung bzw.
Überprüfung im Interesse der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung einer
revisionsgerichtlichen Entscheidung vorbehalten bleiben sollte.
5 Eine entsprechende Lückenhaftigkeit der höchstrichterlichen Gleichheitsrechtsprechung ist für
den Senat auch nicht erkennbar. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der
allgemeine Gleichheitssatz u.a. einen gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss verbietet,
bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber
vorenthalten wird (BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2009 - 1 BvR 1164/07 - BVerfGE 124, 199
<218>). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und
Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche rechtliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot
bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (BVerfG, Beschluss
vom 7. Juli 2009 a.a.O. S. 219). Wird - wie hier - durch die Auslegung gesetzlicher Vorschriften
eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden
behandelt, so ist zu prüfen, ob zwischen beiden Gruppen Unterschiede von solcher Art und
solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können;
verneinendenfalls verletzt die Gesetzesauslegung den allgemeinen Gleichheitssatz (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 7. Juli 2009 a.a.O. S. 219 f.). Zur Begründung einer Ungleichbehandlung von
Personengruppen reicht es nicht aus, dass die Ungleichbehandlung auf ein seiner Art nach
geeignetes Unterscheidungsmerkmal gestützt werden kann. Vielmehr muss auch für das Maß
der Differenzierung ein innerer Zusammenhang zwischen den vorgefundenen
Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung bestehen, der sich als sachlich
vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht anführen lässt (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2009 a.a.O. S. 220).
6 Ausgehend von diesen Maßgaben lässt sich die Frage, ob der Ausschluss der Kläger von der
kostenfreien Schülerbeförderung bzw. der Erstattung der notwendigen Kosten für den Schulweg
im vorliegenden Fall gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, ohne weiteres - und zwar im verneinenden
Sinne - klären:
7 Zum einen liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darin, dass als Konsequenz der
Normauslegung durch das Oberverwaltungsgericht diejenigen Personen im Verhältnis zu den
Klägern besser gestellt werden, die wie die Klägerin zu 3 eine weiter gelegene Schule
besuchen, sich anders als diese zunächst aber erfolglos bei der nächstgelegenen Schule
beworben haben und mit Rücksicht hierauf in den Genuss kostenfreier Schülerbeförderung bzw.
der Erstattung der notwendigen Kosten für den Schulweg kommen. Die mit § 114 Abs. 3
NdsSchG vorgenommene Ausrichtung der Leistungsgewährung am Grundsatz der
Nächstbelegenheit verfolgt ersichtlich das Ziel, die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu
begrenzen. Insofern erscheint es tragfähig und in einem hinreichenden inneren Zusammenhang
zum Regelungszweck stehend, diejenigen, die sich nur um Aufnahme in eine weiter entfernt
liegende Schule bemüht haben - und sich mithin dem Anliegen der Kostenbegrenzung von
vornherein verweigert haben -, darauf zu verweisen, die Beförderungskosten selbst zu tragen.
Jedenfalls gilt dies für den - nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hier
vorliegenden (UA S. 24) - Fall, dass die Nichtbewerbung bei der nächstbelegenen Schule bei
typisierender Betrachtung das Risiko eines Anstiegs des von der öffentlichen Hand insgesamt zu
tragenden Kostenvolumens erhöht. Soweit die Kläger in ihrer Beschwerde der Sache nach
vortragen (Beschwerdebegründung S. 5), eine gleichzeitige Bewerbung bei der
nächstgelegenen Schule sei ihnen aufgrund der vorherrschenden Bewerbungs- und
Aufnahmemodalitäten nicht möglich gewesen, folgt hieraus nichts Gegenteiliges. Das
Oberverwaltungsgericht hat den Sachverhalt dahingehend gewürdigt, dass eine gleichzeitige
Bewerbung zumutbar gewesen wäre. Diese Würdigung wird von der Beschwerde nicht
angegriffen.
8 Zum anderen begegnet keinen Bedenken, dass das Oberverwaltungsgericht - insoweit auf das
erstinstanzliche Urteil (UA S. 9) Bezug nehmend (UA S. 24) - im Ergebnis eine
gleichheitswidrige Benachteiligung gegenüber sogenannten Geschwisterkindern verneint hat,
die, obgleich sie weiter gelegene Schulen besuchen und sich nicht zunächst um Aufnahme
durch die nächstgelegene Schule bemüht haben, hierfür Kostenersatz erhalten. Das Anliegen,
den gemeinsamen Schulbesuch von Geschwisterkindern zusätzlich zu fördern, hat offenkundig
hinreichend Gewicht, um speziell in diesem Fall eine Relativierung des Grundsatzes der
Nächstbelegenheit vertretbar erscheinen zu lassen. Sollte der Beklagte durch die
Gewährungspraxis gegenüber den sogenannten Geschwisterkindern die Gesetzesbindung
unterlaufen, würde dies an der gleichheitsrechtlichen Beurteilung nichts ändern (vgl. Kischel, in:
Beck-OK GG, Stand 15. Mai 2013, Art. 3 Rn. 107 m.w.N.).
9 2. Eine rechtsgrundsätzliche Bedeutung der Rechtssache offenbart sich ferner nicht im
Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 GG sowie das in diesem Zusammenhang geltend gemachte
Vorbringen der Kläger, ihnen sei es vor dem Hintergrund der jeweiligen Bewerbungsfristen und -
modalitäten darum gegangen, das Risiko zu verringern, schlussendlich von keiner der in der
Region um Hildesheim gelegenen Gesamtschulen aufgenommen zu werden
(Beschwerdebegründung S. 5 f.).
10 Soweit die Kläger hiermit auf prinzipieller Ebene die Auswirkungen der Bewerbungs- und
Auswahlmodalitäten auf die Möglichkeit zur freien Schulwahl problematisieren wollen, fehlt es
ihrem Vorbringen an der Entscheidungserheblichkeit, da mit ihrer Klage nicht geltend gemacht
wird, die Klägerin zu 3 sei aufgrund dieser Modalitäten an der Aufnahme in die von ihr bzw. den
Klägern zu 1 und zu 2 bevorzugten Schule gehindert worden.
11 Soweit die Kläger mit diesem Vorbringen darauf zielen, das Begehren auf kostenfreie
Schülerbeförderung könne wegen dieser Modalitäten nur auf Kosten der eigenen schulischen
Präferenzen verwirklicht werden, ergibt sich offenkundig kein Widerspruch zu den
Gewährleistungen aus Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 GG. Der - ohne dahingehende grundrechtliche
Verpflichtung - durch den Landesgesetzgeber begründete Anspruch auf kostenfreie
Schülerbeförderung bzw. Erstattung von Schulwegkosten begründet als solcher keinen Zwang,
eine Schule zu besuchen, mit deren Prägemerkmalen die betroffenen Eltern bzw. Schüler nicht
einverstanden sind. Soweit sich hier für die Eltern bzw. ihre schulpflichtigen Kinder Zielkonflikte
zwischen ihren finanziellen Interessen und ihren schulischen Präferenzen auftun können, stehen
diese in keinem normativ beachtlichen Zurechnungszusammenhang zu den Vorschriften über
die kostenfreie Schülerbeförderung bzw. Erstattung von Schulwegkosten. Diese Vorschriften
sind weder auf eine mittelbare Lenkung von Schulwahlentscheidungen gerichtet, noch gar
darauf, die Anspruchsberechtigten zur Inkaufnahme ungewünschter schulischer Prägemerkmale
anzuhalten oder auch nur anzureizen. Entsprechende Anreize wären als rein tatsächliche
Reflexwirkung dieser Vorschriften einzustufen, die in ihren Vorgaben zur Anspruchsbegrenzung
- wie schon erwähnt - lediglich darauf zielen, die öffentlichen Mittelaufwendungen zu
beschränken (vgl. Beschluss vom 4. Juni 2013 - BVerwG 6 B 22.13 - juris Rn. 5). Insofern greifen
diese Vorschriften schon nicht in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 GG ein. Die
Grundrechte des Grundgesetzes entheben die Eltern bzw. ihre schulpflichtigen Kinder nicht des
Risikos, dass sich der Besuch der von ihnen bevorzugten Schule schülerbeförderungsrechtlich
zu ihrem Nachteil auswirkt.
12 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Werts des
Streitgegenstands auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Neumann
Büge
Prof. Dr. Hecker