Urteil des BVerwG vom 22.04.2013

BVerwG: sierra leone, freiheitsentziehung, ddr, inhaftierung, verfolgter, ausreise, gebärdensprache, ausbildung, kunst, haftstrafe

BVerwG 3 PKH 15.12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 PKH 15.12
VG Potsdam - 24.07.2012 - AZ: VG 11 K 71/11
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. April 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren BVerwG 3 B 95.12 gegen
die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom
24. Juli 2012 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt D. aus P.
beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
1 Dem Kläger kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet
werden, weil seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Verwaltungsgerichts Potsdam vom 24. Juli 2012 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§
166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO; § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 78b Abs. 1 ZPO).
2 Der Kläger begehrt - wie schon in einem vorangehenden Verfahren - seine berufliche
Rehabilitierung und die Feststellung einer Verfolgungszeit über den Tag seiner Ausreise aus der
DDR hinaus. Er hatte in der DDR 1973 den Abschluss eines Diplomjuristen erlangt. Vom 19.
November 1974 bis zum 28. Mai 1976 war er zu Unrecht inhaftiert, weshalb er durch Beschluss
des Bezirksgerichts Potsdam 1992 strafrechtlich rehabilitiert wurde. Mehrere Anträge auf
berufliche Rehabilitierung wurden bestandskräftig abgelehnt. Auch der vorliegende, erneut im
Wege des Wiederaufgreifens gestellte Antrag auf berufliche Rehabilitierung und Ausstellung
einer Bescheinigung hatte im Verwaltungsverfahren keinen Erfolg. Im Klageverfahren verzichtete
der Beklagte auf den Einwand der Bestandskraft. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten
verpflichtet, den Kläger als politisch Verfolgten anzuerkennen und die Zeit vom 1. April 1975 bis
zum 28. Mai 1976 als Verfolgungszeit festzusetzen. Hierzu ist im angefochtenen Urteil
ausgeführt, der Kläger sei politisch Verfolgter. Die Verfolgungszeit beginne mit dem Tag, an dem
der Kläger eine Stelle in der Ministerialverwaltung von Sierra Leone hätte antreten können. Zwar
sei dem Schreiben des Office of the Establishment Secretary vom 9. Dezember 1974 das
genaue Datum nicht zu entnehmen; dies sei aber spätestens zum 1. April 1975 anzunehmen.
Die Verfolgungszeit habe mit dem Verlassen des Beitrittsgebietes am Ende der Haftzeit geendet.
3 Die Beschwerde BVerwG 3 B 95.12 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Verwaltungsgerichts wird aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben. Das Vorbringen des
Prozessbevollmächtigten des Klägers im Beschwerdeverfahren lässt nicht erkennen, dass der
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zukommt.
4 Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen das angefochtene Urteil, soweit dort die
Klage abgewiesen worden ist. Das betrifft allein die Festlegung des Beginns und des Endes der
Verfolgungszeit im Sinne des § 2 Abs. 1 BerRehaG. Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, das
Verwaltungsgericht habe Anfangs- und Endzeitpunkt der Verfolgung in klärungsbedürftiger
Weise bestimmt.
5 1. Soweit der Kläger sich gegen die Bestimmung des Beginns seiner Verfolgung wendet,
macht er der Sache nach die Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils geltend, also einen
Subsumtionsfehler, der die Zulassung der Revision nicht rechtfertigen kann.
6 a) Seinen Ausführungen ist aber zu entnehmen, dass er grundsätzlich geklärt wissen will, ob §
2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BerRehaG - wie es im angefochtenen Urteil heißt - „implizit und notwendig
voraussetzt, dass die Inhaftierung zeitgleich mit der Dauer des Eingriffs in den Beruf im Sinne
des § 1 Abs. 1 BerRehaG ist“. Hierzu bedarf es keines Revisionsverfahrens; denn die
aufgeworfene Rechtsfrage lässt sich auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der
üblichen Regeln sachgerechter Interpretation ohne Weiteres bejahen. Verfolgungszeit ist nach §
2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BerRehaG „der gemäß § 1 Abs. 2 (also in einer anderweitigen
Rehabilitierungsentscheidung) festgestellte Zeitraum einer zu Unrecht erlittenen
Freiheitsentziehung“. Damit ist jedoch nicht ausgedrückt, dass die gesamte Dauer einer zu
Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung unbesehen als Verfolgungszeit festzustellen ist. Im
Zusammenhang mit der beruflichen Rehabilitierung ist stets erforderlich, dass die
Freiheitsentziehung einen Eingriff in eine hinreichend verfestigte berufliche Position bewirkt hat.
Das wird schon durch den Bezug deutlich, den § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BerRehaG über § 1 Abs. 2
zu „den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 bis 3“ herstellt, aber auch aus dem Zweck des Beruflichen
Rehabilitierungsgesetzes, berufsbezogene Nachteile auszugleichen, die ein Verfolgter erlitten
hat und ihn in versorgungsrechtlicher Hinsicht so zu stellen, als sei die Verfolgung nicht
eingetreten, um so das vom SED-Staat begangene Unrecht nicht fortwirken zu lassen.
Dementsprechend ist die Verfolgungszeit für die Berücksichtigung eines verfolgungsbedingten
Verdienstausfalles oder Minderverdienstes im Rahmen des Ausgleichs von Nachteilen in der
Rentenversicherung von Bedeutung. Auf der Grundlage dieser Feststellung berechnet der
Rentenversicherungsträger die neue - höhere - Rente, bei der nunmehr auch die Zeit, in der der
Verfolgte wegen der Verfolgung nichts oder weniger verdient hat, berücksichtigt wird (vgl.
Beschluss vom 28. Mai 2009 - BVerwG 3 B 83.08 - ZOV 2009, 255 = Buchholz 428.8 § 2
BerRehaG Nr. 3 unter Hinweis auf die Begründung zum Gesetzentwurf des Zweiten SED-
Unrechtsbereinigungsgesetzes BTDrucks 12/4994 S. 18/19, 48 f.). Daraus folgt, dass Zeiten
einer Freiheitsentziehung, die sich nicht auf eine innegehabte berufsbezogene Position im Sinne
von § 1 Abs. 1 BerRehaG ausgewirkt haben, auch keine Verfolgungszeit im Sinne des
Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes darstellen. Eine nachteilsunabhängige Einbeziehung in
die berufliche Rehabilitierung ist auch nicht erforderlich, weil für unrechtmäßige
Freiheitsentziehungen Folgeansprüche nach anderen Vorschriften, etwa dem Strafrechtlichen
Rehabilitierungsgesetz (§ 3 i.V.m. §§ 16 ff. StrRehaG), vorgesehen sind.
7 b) Der weitere Vortrag, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass der Kläger während seiner
Inhaftierung davon abgehalten worden sei, seiner berufsbezogenen Ausbildung nachzugehen,
betrifft die Rechtsanwendung. Es ist eine Frage des Einzelfalls, ob der Kläger bereits während
seiner Haft eine hinreichend verfestigte berufsbezogene Position im Sinne des § 1 Abs. 1
BerRehaG innehatte, wie es für eine berufliche Rehabilitierung erforderlich ist (vgl. Beschluss
vom 25. August 2010 - BVerwG 3 B 11.10 - ZOV 2010, 234 Rn. 4, zur Aspirantur Urteil vom 18.
März 2010 - BVerwG 3 C 34.09 - Buchholz 428.8 § 1 BerRehaG Nr. 4 Rn. 18 = ZOV 2011, 35).
Auch der Hinweis der Beschwerde, die Haftstrafe habe das Promotionsstudium des Klägers
unterbrochen, weist nicht über den Fall hinaus. Das Verwaltungsgericht hat sich (UA S. 11 ff.)
damit auseinandergesetzt, ob der Kläger nach Erlangung seines Diploms und während der Haft
bereits eine berufsbezogene Position hatte, und hat diese Frage für die Zeit vor dem 1. April
1975 mit Erwägungen verneint, die mit den Maßstäben der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts übereinstimmen.
8 2. Soweit die Beschwerde die Festlegung des Endes der Verfolgungszeit kritisiert, sind die
maßgeblichen Fragen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt.
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 BerRehaG endet die Verfolgungszeit nach Satz 1 Nr. 2 mit dem
Verlassen des Beitrittsgebiets - hier also bei Haftende des Klägers -, spätestens mit Ablauf des
2. Oktober 1990. Diese klare Regelung, die allein auf das tatsächliche Verlassen des
Beitrittsgebiets abstellt, lässt sich nicht dadurch infrage stellen, dass sie einschränkend
ausgelegt wird und etwa nur Fälle der „freiwilligen und endgültigen Ausreise“ erfasst. Für eine
solche Auslegung besteht kein Anlass, weil die gesetzliche Beschränkung unter
Gesichtspunkten höherrangigen Rechts nicht zu beanstanden ist (Beschluss vom 28. Mai 2009 -
BVerwG 3 B 83.08 - a.a.O. Rn. 4 ff.). Dem Beschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, dass
insoweit neuer Klärungsbedarf besteht. Insbesondere ist ein Verstoß gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu erkennen. Ziel des Gesetzes ist es, den Personenkreis
der politisch Verfolgten im Hinblick auf die Einbußen von Berufschancen und deren Folgen bei
der Rentenversicherung so zu stellen, wie den Durchschnitt der Versicherten mit vergleichbaren
Qualifikationen im Beitrittsgebiet. Das Gesetz dient damit der Gleichstellung aller Personen, die
unter dem Wirtschaftssystem der DDR lebten.
Kley
Dr. Wysk
Dr. Kuhlmann