Urteil des BVerwG vom 18.06.2013

BVerwG: bindungswirkung, gerechtigkeit, mitwirkungspflicht, einspruch, besoldung, gestaltungsspielraum, rückforderung, gebärdensprache, dienstzeit, aktiven

BVerwG 2 B 12.13
Rechtsquellen:
BBesG § 40 Abs. 2
EStG § 70 Abs. 1
Stichworte:
Soldatenversorgung; Kindergeldberechtigung; kinderbezogener Teil des Familienzuschlags;
Bindungswirkung von Verwaltungsakten; Mitwirkungspflicht; Grundsatz der materiellen
Gerechtigkeit.
Leitsatz:
Der kinderbezogene Teil des Familienzuschlags nach § 40 Abs. 2 Satz 1 BBesG wird nicht
gewährt, wenn die Kindergeldberechtigung unanfechtbar abgelehnt worden ist. Dies gilt auch,
wenn der ablehnende Bescheid auf die Verletzung der Mitwirkungspflicht gestützt ist und der
Betroffene hiergegen keinen Einspruch eingelegt hat (im Anschluss an Urteil vom 26. August
1993 - BVerwG 2 C 16.92 - BVerwGE 94, 98).
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 12.13
VG Köln - 21.02.2011 - AZ: VG 27 K 3130/09
OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 14.11.2012 - AZ: OVG 1 A 739/11
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Juni 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz und Dr. von der Weiden
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil
des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. November
2012 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 093,76 € festgesetzt.
Gründe
1 Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers kann keinen Erfolg haben. Der Kläger hat nicht
dargelegt, dass der geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen
Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gegeben ist.
2 Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung des kinderbezogenen Familienzuschlags
der Stufe 2 für das Jahr 2007. Die Rückforderung beruht darauf, dass die hierfür zuständige
Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes für 2007 aufgehoben und das Kindergeld
zurückgefordert hatte, weil der Kläger trotz entsprechender Aufforderungen die Unterlagen zu
den Einkommensverhältnissen seines Sohnes nicht vorgelegt hatte. Der Kläger legte gegen
diesen Bescheid keinen Einspruch ein, sodass er bestandskräftig wurde.
3 Das Oberverwaltungsgericht hat die erstinstanzlich erfolgreiche Klage in der Berufungsinstanz
abgewiesen. In dem Berufungsurteil heißt es, unanfechtbare Entscheidungen der Familienkasse
über das Kindergeld seien für den Anspruch auf Zahlung des kinderbezogenen Teils des
Familienzuschlags vorgreiflich. Der Besoldungsstelle sei es verwehrt, die
Kindergeldberechtigung eigenverantwortlich zu prüfen. Dies gelte unabhängig davon, aus
welchen Gründen die Familienkasse die Berechtigung bejaht oder verneint habe. Daher stehe
aufgrund der Bestandskraft der ablehnenden Entscheidung über die Kindergeldberechtigung
des Klägers für 2007 bindend fest, dass der Kläger auch den kinderbezogenen Teil des
Familienzuschlags für dieses Jahr zu Unrecht erhalten habe.
4 Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wirft der Kläger die Frage als rechtsgrundsätzlich
bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf, ob eine ablehnende
Verwaltungsentscheidung über die Kindergeldberechtigung auch dann Bindungswirkung für die
Gewährung des kindergeldbezogenen Teils des Familienzuschlags entfaltet, wenn sie
ausschließlich auf die fehlende Mitwirkung des Beamten oder Soldaten bei der Feststellung des
Sachverhalts gestützt ist. Der Kläger macht geltend, es verstoße gegen das rechtsstaatliche
Gebot der materiellen Gerechtigkeit und den Alimentationsgrundsatz, dass auch einem materiell
Kindergeldberechtigten wegen eines Verstoßes gegen die Mitwirkungspflicht nicht nur das
Kindergeld, sondern auch ein Teil der ihm zustehenden Alimentation verloren gehe.
5 Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass der Beschwerdeführer aufzeigt, dass eine von ihm
bezeichnete Rechtsfrage sowohl im konkreten Fall entscheidungserheblich als auch allgemein
klärungsbedürftig ist. Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage durch die
bundesgerichtliche Rechtsprechung bereits geklärt ist oder auf ihrer Grundlage beantwortet
werden kann (stRspr; vgl. Beschluss vom 24. Januar 2011 - BVerwG 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011,
329 Rn. 4 ) zu.
6 Die vom Kläger aufgeworfene Frage ist nicht klärungsbedürftig, weil sich die Antwort ohne
Weiteres aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Verhältnis von
Kindergeldberechtigung und Gewährung des kinderbezogenen Teils des Familienzuschlags
ergibt:
7 Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 des Soldatenversorgungsgesetzes sind auf den Familienzuschlag der
versorgungsberechtigten ehemaligen Soldaten die für Soldaten geltenden Vorschriften des
Bundesbesoldungsgesetzes anzuwenden. Nach § 40 Abs. 2 Satz 1 BBesG erhalten auch
Soldaten, die zur Stufe 1 des Familienzuschlags (§ 40 Abs. 1 BBesG) gehören, den
kinderbezogenen Teil dieses Zuschlags nach Stufe 2 und den folgenden Stufen für jedes Kind,
für das ihnen Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz oder dem Bundeskindergeldgesetz
zusteht.
8 Der Bedeutungsgehalt des § 40 Abs. 2 Satz 1 BBesG ist in der Senatsrechtsprechung geklärt
(Urteile vom 26. August 1993 - BVerwG 2 C 16.92 - BVerwGE 94, 98 <99 f.> = Buchholz 240 §
40 BBesG Nr. 27 S. 41 f. und vom 21. Dezember 2000 - BVerwG 2 C 39.99 - BVerwGE 112, 308
<311 f.> = Buchholz 237.95 § 95 SHLBG Nr. 3 S. 4 f.; Beschluss vom 13. Februar 2007 -
BVerwG 2 B 65.06 - Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 40 Rn. 6 f.). Danach bringt der gesetzliche
Begriff des „Zustehens“ von Kindergeld zum Ausdruck, dass der Besoldungsgesetzgeber die
Gewährung des kinderbezogenen Teils des Familienzuschlags von der Kindergeldberechtigung
nach den Regelungen des Einkommensteuergesetzes oder des Kindergeldgesetzes abhängig
gemacht hat. Der besoldungs- bzw. versorgungsrechtliche Anspruch setzt zwingend die
förmliche Feststellung eines Anspruchs auf Kindergeld voraus. Diese Koppelung trägt dem
Umstand Rechnung, dass beide Leistungen dem gleichen sozialpolitischen Zweck, nämlich dem
Familienlastenausgleich für den durch Kinder verursachten Mehraufwand, zu dienen bestimmt
sind. Daher sollen divergierende Auffassungen von Familienkasse und Besoldungsstelle über
die Kindergeldberechtigung vermieden werden.
9 Aus der in § 40 Abs. 2 Satz 1 BBesG angeordneten Akzessorietät der Besoldungs- bzw.
Versorgungsleistung und aus dem Umstand, dass die Entscheidung über die
Kindergeldberechtigung in einem förmlichen, durch Bescheid abzuschließenden Verfahren
ergeht (vgl. § 70 Abs. 1 EStG), hat der Senat den Schluss gezogen, dass dieser Entscheidung
nach Eintritt der Unanfechtbarkeit Bindungswirkung (Tatbestandswirkung) für die Gewährung
des kinderbezogenen Teils des Familienzuschlags zukommt. Für die Kindergeldberechtigung ist
ausschließlich die Familienkasse zuständig. Die Besoldungsstelle ist an deren unanfechtbare
Entscheidung und, falls der Betroffene den Rechtsweg beschreitet, an die Entscheidung des
Finanzgerichts gebunden; eine gesonderte Prüfung der Rechtmäßigkeit in einem besoldungs-
bzw. versorgungsrechtlichen Verfahren findet nicht statt. Diese Bindungswirkung besteht,
solange und soweit die Familienkasse den unanfechtbaren Verwaltungsakt über die
Kindergeldberechtigung nicht aufgehoben oder sich dieser nicht auf andere Weise erledigt hat
(vgl. zur Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten: Urteile vom 17. Januar 1980 - BVerwG 7 C
63.77 - BVerwGE 59, 310 <315> = Buchholz 442.151 § 45 StVG Nr. 7 S. 19 und vom 23. April
1980 - BVerwG 8 C 82.79 - BVerwGE 60, 111 <116 f.> = Buchholz 454.44 GebBefrG Nr. 1 S. 6).
10 Demnach wirkt sich die Entscheidung über die Kindergeldberechtigung nach Eintritt der
Unanfechtbarkeit unmittelbar kraft Gesetzes auf die Gewährung des kinderbezogenen Teils des
Familienzuschlags aus. Im Falle der Anerkennung der Kindergeldberechtigung ist auch der
entsprechende Familienzuschlag zu gewähren. Umgekehrt steht aufgrund einer ablehnenden
Entscheidung fest, dass ein Anspruch auf den kinderbezogenen Teil des Familienzuschlags
nicht besteht. Jede nachträgliche Änderung der Entscheidung der Familienkasse für einen
bestimmten Zeitraum wirkt sich im Falle ihrer Bestandskraft nachträglich auf die
Zuschlagsgewährung aus.
11 Daraus folgt, dass unanfechtbare Entscheidungen über die Kindergeldberechtigung
unabhängig von ihrer Richtigkeit Bindungswirkung entfalten. Der kinderbezogene Teil des
Familienzuschlags kann auch bei rechtswidriger, aber bestandskräftiger Ablehnung der
Kindergeldberechtigung nicht gewährt werden. Auf die Art des Rechtsfehlers kommt es hierbei
nicht an. Die gesetzliche Regelung des § 40 Abs. 2 Satz 1 BBesG bietet keine Handhabe, um
danach zu unterscheiden, ob es sich um einen Rechtsfehler bei der Ermittlung und Feststellung
der entscheidungserheblichen Tatsachen handelt, wozu auch ein rechtsfehlerhafter Verzicht auf
eine weitere Sachaufklärung wegen unterbliebener Mitwirkung gehört, oder ob der
Familienkasse ein Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen ist. Es kann nicht darauf
ankommen, ob dies dem Betroffenen besoldungs- oder versorgungsrechtlich zum Vorteil oder
zum Nachteil gereicht.
12 Der Kläger hat keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die Anlass zu einem Überdenken der
Senatsrechtsprechung zu § 40 Abs. 2 Satz 1 BBesG in einem Revisionsverfahren geben
könnten. Die in der Beschwerdebegründung angesprochenen verfassungsrechtlichen
Grundsätze sind nicht geeignet, die Senatsrechtsprechung in Frage zu stellen:
13 Es verstößt nicht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit, einer
unanfechtbaren Ablehnung der Kindergeldberechtigung, die auf das Fehlen von Angaben des
Betroffenen zu den Einkommensverhältnissen des Kindes gestützt ist, nach § 40 Abs. 2 Satz 1
BBesG Bindungswirkung zuzuerkennen. Dies folgt schon daraus, dass gegen die ablehnende
Entscheidung Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnet sind. Der Betroffene kann hiergegen
Einspruch einlegen, um die fehlenden Angaben im Einspruchsverfahren nachzuholen.
Gegebenenfalls muss er nach Zurückweisung seines Einspruchs das Finanzgericht anrufen.
Entscheidet sich ein Betroffener bewusst gegen die Inanspruchnahme von Rechtsschutz oder
versäumt er die Einspruchs- oder Klagefrist, so kann es nicht als unbillig angesehen werden,
dass er die Entscheidung und die daran geknüpften gesetzlichen Rechtsfolgen aus Gründen der
Rechtssicherheit gegen sich gelten lassen muss (BVerfG, Beschlüsse vom 17. Dezember 1969 -
2 BvR 23/65 - BVerfGE 27, 297 <305 f.>, vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81 - BVerfGE 60, 253
<269 f.> und vom 27. Februar 2007 - 1 BvR 1982/01 - BVerfGE 117, 302 <315>).
14 Der Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit gebietet nicht, eine zusätzliche Möglichkeit des
Rechtsschutzes in einem Verfahren zu eröffnen, das gesetzlich hierfür nicht vorgesehen ist.
Vielmehr ist der Betroffene darauf verwiesen, auf eine Änderung der bestandskräftigen
Ablehnung der Kindergeldberechtigung nach §§ 173 f. der Abgabenordnung hinzuwirken.
15 Die Abhängigkeit des Anspruchs auf Gewährung des kinderbezogenen Teils des
Familienzuschlags von der unanfechtbaren Entscheidung über die Kindergeldberechtigung
verstößt auch nicht gegen Art. 14 Abs. 1 GG, der für die Besoldung und Altersversorgung der
Soldaten an die Stelle des hergebrachten Grundsatzes der amtsangemessenen Alimentation
nach Art. 33 Abs. 5 GG tritt. Der Anspruch auf Altersversorgung genießt verfassungsrechtlichen
Schutz, weil ihn die Berechtigten während der aktiven Dienstzeit erdient haben. Seine Höhe
ergibt sich aus den Regelungen der Versorgungsgesetze, durch die der Gesetzgeber seinen
verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraum ausgefüllt hat (Urteil vom 27. Januar 2011 -
BVerwG 2 C 25.09 - Buchholz 449.4 § 55b SVG Nr. 1 Rn. 22).
16 Es ist von diesem Gestaltungsspielraum gedeckt, dass der Gesetzgeber die Gewährung
eines Besoldungs- und Versorgungszuschlags zur Deckung des durch ein Kind verursachten
Mehraufwands an die Entscheidung über die Gewährung des dem gleichen Zweck dienenden
Kindergeldes koppelt. Er kann Vorkehrungen treffen, um eine Prüfung der
Kindergeldberechtigung in zwei Verfahren und unterschiedliche Entscheidungen darüber zu
vermeiden. Darin liegt schon deshalb kein Vorenthalten eines Teils der Bezüge, weil zwischen
Besoldung und Dienstleistung kein Gegenseitigkeitsverhältnis wie zwischen Vergütung und
Arbeitsleistung in Arbeitsverhältnissen besteht. Dies gilt gleichermaßen für die lebenslange
Altersversorgung. Vielmehr sollen Besoldung und Altersversorgung Beamten und Soldaten eine
amts- bzw. dienstgradgemäße Lebensführung als Gegenleistung dafür ermöglichen, dass sie
sich dem Dienstherrn mit der ganzen Persönlichkeit zur Verfügung gestellt und die übertragenen
Aufgaben nach besten Kräften erfüllt haben. Die Zahlung eines Zuschlags, der der persönlichen
Lebenssituation des Berechtigten Rechnung tragen soll, kann von der Erfüllung einer
Mitwirkungspflicht abhängig gemacht werden, wenn sie sachlich gerechtfertigt und
verhältnismäßig ist (Urteil vom 27. Mai 2010 - BVerwG 2 C 33.09 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5
GG Nr. 117 Rn. 18).
17 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für
das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Domgörgen
Dr. Heitz
Dr. von der Weiden