Urteil des BVerwG vom 07.08.2013

BVerwG: rechtliches gehör, grundsatz der freien beweiswürdigung, chemische reinigung, grundstück, altlasten, unterlassen, garantenstellung, rüge, verursacher, konkretisierung

BVerwG 7 B 9.13
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 B 9.13
VG Karlsruhe - 20.04.2011 - AZ: VG 1 K 1716/09
VGH Baden-Württemberg - 18.12.2012 - AZ: VGH 10 S 744/12
In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. August 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Guttenberger und Brandt
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 18. Dezember 2012 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 €
festgesetzt.
Gründe
I
1 Der Kläger wendet sich gegen die bodenschutzrechtliche Anordnung des Beklagten vom 27.
Dezember 2005, mit der ihm Maßnahmen zur Bodenerkundung, u.a. Rammkernsondierungen
und die Einrichtung von Grundwassermessstellen, auf dem in seinem Eigentum stehenden
Grundstück aufgegeben wurden. Dieses stand mit kurzfristiger Unterbrechung bis 1985 im
Eigentum der Eheleute W., die es an die Mutter des Klägers veräußerten, der im Jahre 2002 das
Grundstück erwarb. Von 1948 bis 1981 betrieb Herr Albert W. dort eine Färberei und eine
chemische Reinigung, die bis zur Einstellung des Betriebs im Jahre 1983 von Herrn Konrad S.
fortgeführt wurde. Anlässlich eines Neuanschlusses des Grundstückes an die öffentliche
Entwässerungseinrichtung wurden auf dem Grundstück im Jahre 1983 in einer Abwassergrube
hohe Konzentrationen von chlorierten Kohlenwasserstoffen festgestellt und kontaminiertes
Erdreich teilweise beseitigt; im Rahmen flächendeckender historischer Ermittlungen mit
Ortsbegehungen in den Jahren 1998/2000 ist der Beklagte auf die Belastungen erneut
aufmerksam geworden. Die früheren Betreiber der Färberei und der chemischen Reinigung sind
zwischenzeitlich verstorben.
2 Nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren hob das Verwaltungsgericht die
Anordnung auf, weil der Beklagte ermessensfehlerhaft nicht erwogen habe, dass neben dem
Zustandsstörer auch Gesamtrechtsnachfolger der ursprünglichen Verursacher des Schadens zu
Erkundungsmaßnahmen hätten herangezogen werden können. Unter Abänderung dieses
Urteils hat der Verwaltungsgerichtshof die Klage abgewiesen. Die bodenschutzrechtliche
Inanspruchnahme eines wirtschaftlich leistungsfähigen Zustandsstörers entspreche dem
Grundsatz der effektiven Gefahrenabwehr und sei jedenfalls dann nicht ermessensfehlerhaft,
wenn aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unklar sei, ob auch Erben des
Gesamtrechtsnachfolgers des Handlungsstörers in Anspruch genommen werden können; die
Zulässigkeit einer Heranziehung sukzessiver Gesamtrechtsnachfolger sei zweifelhaft.
Behördliche Überwachungsdefizite begründeten keine eigene Störerhaftung der Behörde.
3 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen
richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
4 Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
5 1. Die Revision ist nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen
(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
6 a) Bezogen auf die Frage,
ob fehlerhaftes behördliches Unterlassen mit der Folge einer Ausweitung der Kontamination
bzw. des Schadens im Altlastenrecht eine eigene Störerhaftung der Behörde begründen kann
und ob diese geeignet ist, die Haftung des Handlungsstörers (richtig: Zustandsstörers) zu
überlagern bzw. auszuschließen,
hat die Beschwerde es schon versäumt, einen bundesrechtlich relevanten Klärungsbedarf
hinreichend deutlich darzulegen. Sie wirft die Frage auf unter Hinweis auf eine langjährige
behördliche Untätigkeit in der Zeit nach den 1984 getroffenen Anordnungen bis hin zu den im
Jahre 2000 aufgenommenen Ermittlungen, die zu der angefochtenen, auf § 9 Bundes-
Bodenschutzgesetz (BBodSchG) gestützten Ordnungsverfügung geführt haben. Das Bundes-
Bodenschutzgesetz ist erst am 1. März 1999 und damit gegen Ende dieser Zeitspanne in Kraft
getreten. Angesichts dessen hätte es näherer Erläuterung bedurft, aus welchen dem
Bundesrecht zugehörigen Vorschriften sich die vom Berufungsgericht in Abrede gestellte
behördliche Garantenstellung ergeben soll, die Grundlage einer an ein Unterlassen
anknüpfenden Verhaltensverantwortlichkeit sein könnte.
7 Unabhängig davon lässt sich eine behördliche Garantenstellung nach den Bestimmungen des
Bundes-Bodenschutzgesetzes anhand der üblichen Auslegungsmethoden ohne Weiteres
verneinen, so dass es insoweit zur Klärung nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens
bedarf. Die Regelungen dieses Gesetzes über die behördlichen Aufgaben und Befugnisse zur
Gefahrenerforschung und -abwehr begründen weder nach ihrem Wortlaut oder noch nach ihrem
Sinn und Zweck eine solche Rechtsstellung. Ziel der Regelungen ist eine möglichst effektive
Abwehr der von Altlasten und schädlichen Bodenveränderungen ausgehenden Gefahren. Als
Mittel zur Zielerreichung sieht das Gesetz die Inanspruchnahme von Verhaltens- oder
Zustandsverantwortlichen vor. Diese Handlungsmöglichkeit bleibt im Interesse effektiver
Zielverfolgung von etwaigen behördlichen Versäumnissen in der Vergangenheit unberührt. Mit
diesem gesetzlichen Regelungskonzept, nach dem der Behörde - abgesehen von der Aufgabe
nach § 9 Abs. 1 BBodSchG - allein die Heranziehung der Verantwortlichen zur Erfüllung ihrer
Ordnungspflichten, nicht hingegen eigene Maßnahmen zur Gefahrenerforschung und -abwehr
obliegen, vertrüge es sich nicht, sie selbst aufgrund von Versäumnissen, die ihr dabei
unterlaufen sind, als ordnungspflichtig anzusehen.
8 b) Die weiteren Fragen,
ob eine Behörde, die infolge langjähriger Untätigkeit es versäumt hat, eine ihr bekannte
erhebliche Bodenkontamination hinreichend zu überprüfen und Gefahrenabwehr- und
Sanierungsmaßnahmen zu veranlassen, die weiter versäumt hat, die Verursacher der
Kontamination und deren Erben zu Lebzeiten in die Haftung zu nehmen, einen in Unkenntnis der
Altlasten ein Grundstück erwerbenden Eigentümer auf Altlastensanierung in Anspruch nehmen
kann und ob die Inanspruchnahme des Eigentümers in derartigen Fällen verfassungsgemäß
unzumutbar ist, und
ob die Inanspruchnahme eines ohne Kenntnis von Altlasten ein Grundstück erwerbenden
Grundstückseigentümers treuwidrig, rechtsmissbräuchlich oder unverhältnismäßig ist, wenn die
Behörde selbst durch langjährige Untätigkeit die Ursache dafür gesetzt hat, dass im Boden
vorhandene Altlasten in den Grundwasserbereich vordringen konnten und es im Übrigen
versäumt, zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Kontamination ihr bekannte und greifbare
Verursacher und deren Erben in Anspruch zu nehmen und ob die Behörde die Befugnis, in
solchen Fällen gegenüber einem aktuellen Grundstückseigentümer als Zustandsstörer nach den
bodenschutzrechtlichen Vorschriften einzuschreiten, verwirkt hat bzw. die Inanspruchnahme des
Zustandsstörers in solchen Fällen treuwidrig, rechtsmissbräuchlich oder unverhältnismäßig ist,
rechtfertigen ebenso wenig die Zulassung der Revision. Sie sind in der Rechtsprechung geklärt.
9 Die sicherheitsrechtlichen Vorschriften über die Zustandsverantwortlichkeit des Eigentümers,
im Bodenschutzrecht geregelt in den Bestimmungen zur vorsorgenden
Zustandsverantwortlichkeit in § 4 Abs. 2 BBodSchG sowie zur Sanierungsverantwortlichkeit bei
eingetretenen schädlichen Bodenveränderungen in § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG, sind eine
zulässige Regelung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2
GG. Ziel der Vorschriften ist es, unbeschadet der Haftung des Verursachers eine effektive
Gefahrenabwehr auch durch den Eigentümer als Herrn der Sache sicherzustellen. Der
Eigentümer hat regelmäßig die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit, auf die Sache und damit
auch auf die Gefahrenquelle einzuwirken. Die Zustandsverantwortlichkeit findet in der durch die
Sachherrschaft vermittelten Einwirkungsmöglichkeit auf die Gefahren ihren legitimierenden
Grund. Der Eigentümer kann überdies aus der Sache Nutzen ziehen. Auch dies rechtfertigt es,
ihn zur Beseitigung von Gefahren, die von der Sache für die Allgemeinheit ausgehen, zu
verpflichten (BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 2000 - 1 BvR 242/91, 315/99 - BVerfGE 102, 1
<17 f.>). Angesichts dieser Zielrichtung der Zustandsstörerhaftung ist es ohne Bedeutung, ob der
Eigentümer bei Erwerb des Grundstücks in Bezug auf das Vorhandensein einer schädlichen
Bodenveränderung gut- oder bösgläubig war und von welcher Person oder aufgrund welcher
Umstände die schädliche Bodenveränderung herbeigeführt wurde; er hat vielmehr lagebedingte
Nachteile seines Grundstücks zu tragen, wie sie sich im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs
aufgrund der jeweiligen Gegebenheiten tatsächlich darstellen (stRspr; vgl. Beschluss vom 31.
Juli 1998 - BVerwG 1 B 229.97 - Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 66 S. 16 m.w.N.
= juris Rn. 4). Mit Rücksicht auf das gesetzlich verfolgte Ziel effektiver Gefahrenabwehr kann von
einer Unzumutbarkeit oder Rechtsmissbräuchlichkeit der Inanspruchnahme als Zustandsstörer
auch dann nicht ausgegangen werden, wenn sich die Behörde über einen längeren Zeitraum
über das Ausmaß einer schädlichen Bodenveränderung im Unklaren gewesen und daher nicht
eingeschritten ist.
10 Dass ordnungsrechtliche Befugnisse zur Gefahrenabwehr nicht verwirkt werden können,
entspricht der Rechtsprechung des beschließenden Senats (Beschluss vom 28. Februar 2008 -
BVerwG 7 B 12.08 - Buchholz 451.222 § 4 BBodSchG Nr. 6 Rn. 7; vgl. auch VGH Mannheim,
Urteil vom 1. April 2008 - 10 S 1388/06 - NVwZ-RR 2008, 696 <699> m.w.N.). Die
Unverhältnismäßigkeit der Inanspruchnahme eines Zustands- oder Verhaltensverantwortlichen
bemisst sich im Übrigen nicht nach starren zeitlichen Grenzen. In seinem Urteil vom 16. März
2006 - BVerwG 7 C 3.05 - BVerwGE 125, 325 Rn. 32 = Buchholz 451.222 § 4 BBodSchG Nr. 5
Rn. 32) hat der beschließende Senat die Rechtmäßigkeit der Konkretisierung einer
Handlungsverantwortlichkeit im Jahre 1999 „ohne Weiteres“ für den Fall bejaht, dass die
Behörden erst Ende der 1980er Jahre die Bedeutung einer bereits in den 1960er Jahren bekannt
gewordenen Grundwasserverunreinigung erkannt hatten. Nichts anderes gilt für den
vorliegenden Fall der Konkretisierung der Zustandsverantwortlichkeit nach Ablauf von mehr als
20 Jahren seit der erstmaligen behördlichen Kenntnisnahme von einer schädlichen
Bodenveränderung im Jahre 1983, deren Ausmaß ursprünglich unterschätzt und erst im Rahmen
der 1998 einsetzenden flächendeckenden historischen Erhebungen altlastverdächtiger Flächen
erkannt worden ist. Nicht nur ist es für die Erfüllung der Voraussetzungen der
Zustandsverantwortlichkeit unerheblich, auf welche Umstände der Gefahrenzustand
zurückzuführen ist, auch der zeitliche Rahmen, in dem es zu einer Konkretisierung der
Zustandsverantwortlichkeit kommt, ist bei Fehlen besonderer Umstände ohne Bedeutung, da der
Eigentümer ausschließlich aufgrund seiner Rechtsstellung pflichtig gemacht wird. Aus Gründen
der Verhältnismäßigkeit ist allein das Ausmaß dessen, was dem Eigentümer zur
Gefahrenabwehr abverlangt wird, zu beschränken, und zwar im Grundsatz auf den Verkehrswert
des betroffenen Grundstücks nach Durchführung der Sanierung (BVerfG a.a.O. S. 20); hierauf hat
der Verwaltungsgerichtshof bereits hingewiesen.
11 c) Soweit die Beschwerde Fragen zur Nachrangigkeit der Haftung des Zustandsstörers, zur
Haftung eines sukzessiven Gesamtrechtsnachfolgers und zur Verjährung ordnungsrechtlicher
Ansprüche aufwirft und als rechtsgrundsätzlich bezeichnet, erweist sie sich insoweit bereits als
unzulässig, da sie den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht genügt.
Insbesondere fehlt jeweils die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die
Revisionsentscheidung erheblich sein wird (vgl. Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B
78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f., vom 19. August
1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 23. Januar
2001 - BVerwG 6 B 35.00 - juris Rn. 3).
12 2. Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auf Verfahrensmängel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO.
13 a) Weil der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung die Mitverursachung der Behörde
für die Grundwasserkontamination übergangen habe, sieht sich der Kläger in seinem Anspruch
auf rechtliches Gehör verletzt; er erhebt in diesem Zusammenhang weiter die Rüge mangelnder
Sachverhaltsaufklärung und wendet das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung, einen
Verstoß gegen die Denkgesetze, eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung
und einen Fall der Aktenwidrigkeit ein.
14 Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) scheidet aus. Der
Verwaltungsgerichtshof hat sich in den Gründen seiner Entscheidung (UA S. 27) zur Frage einer
Verantwortlichkeit der Behörde durch Unterlassen geäußert. Auch aus Rechtsgründen hat er
aber einer vorzeitigen Kenntnis der Behörde über die schädliche Bodenveränderung keine
Bedeutung beigemessen, weil es allein deswegen und aufgrund ihrer gesetzlichen
Zuständigkeit zu keiner eine polizeirechtliche Störerhaftung der Behörde begründenden
Garantenstellung kommen kann. Das diesbezügliche Vorbringen des Klägers zur möglichen
Ausweitung des Kontaminationsschadens und zum Übergriff auf das Schutzgut Wasser infolge
Nichteinschreitens der Behörde war für den Verwaltungsgerichtshof daher ersichtlich nicht
entscheidungserheblich. Die im Weiteren unterlassene Auseinandersetzung mit diesem
Vorbringen in den Entscheidungsgründen rechtfertigt deshalb nicht die Annahme einer
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. Beschluss vom 26. Mai 1999 - BVerwG 6
B 65.98 - NVwZ-RR 1999, 745, juris Rn. 9 m.w.N.).
15 Entsprechendes gilt für die erhobene Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO). Da sich Maß und
Ziel der gerichtlichen Sachaufklärung nach der materiellrechtlichen Ansicht des Gerichts
bestimmen, musste der Verwaltungsgerichtshof dem von der Beschwerde für klärungsbedürftig
gehaltenen Umstand einer Ausweitung des Kontaminationsschadens nach 1983 nicht weiter
nachgehen.
16 Von einer Überraschungsentscheidung kann nicht ausgegangen werden. Eine solche ist nur
dann gegeben, wenn ein Gericht einen bis dahin nicht erörterten oder sonst hervorgetretenen
rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und
damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach
dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (Urteil vom 20. Oktober 1987
- BVerwG 9 C 147.86 - juris Rn. 23 m.w.N.
nicht abgedruckt>). Die Frage nach dem Ausgangspunkt, dem Umfang und der Entwicklung der
Bodenverunreinigungen war von Anfang an Gegenstand gegensätzlichen Vorbringens. Bereits
der Widerspruchsbescheid (S. 9) setzt sich mit dem Vorhalt auseinander, dass durch
pflichtwidrige Untätigkeit der Behörde dem Kläger ein Schaden entstanden sei. Im
Berufungsverfahren haben die Beteiligten diese Frage weiterhin kontrovers diskutiert. Allein der
Umstand, dass das Berufungsgericht insoweit zu anderen Ergebnissen gekommen ist, als der
Kläger sie für richtig hält, begründet den Vorwurf einer Überraschungsentscheidung nicht.
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat mit der Annahme, dass sich die schädliche
Bodenveränderung ab 1983/1984 nicht mehr wesentlich vergrößert habe, auch nicht gegen
Denkgesetze verstoßen. Ein solcher Verstoß liegt nicht schon dann vor, wenn das
Tatsachengericht - nach Meinung der Beschwerde - im Rahmen der Tatsachenwürdigung
unrichtige oder fernliegende Schlüsse gezogen hat; es muss sich vielmehr um einen aus
Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln (Urteil vom 20. Oktober 1987
a.a.O. juris Rn. 16; Beschluss vom 3. Januar 2012 - BVerwG 2 B 72.11 - juris Rn. 8). Davon kann
vorliegend nicht ausgegangen werden.
18 Die Rüge, das Gericht habe den Sachverhalt „aktenwidrig“ festgestellt, betrifft den Grundsatz
der freien Beweiswürdigung und das Gebot der sachgerechten Ausschöpfung des vorhandenen
Prozessstoffes (§ 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie bedingt die schlüssig vorgetragene
Behauptung, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen
Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt sei ein Widerspruch gegeben
(Beschluss vom 19. November 1997 - BVerwG 4 B 182.97 - Buchholz 406.11 § 153 BauGB Nr. 1
S. 2 f. = juris Rn. 6). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss dieser
Widerspruch offensichtlich sein, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des
Sachverhalts nicht bedarf; der Widerspruch muss „zweifelsfrei“ sein (vgl. Urteil vom 2. Februar
1984 - BVerwG 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 <340> = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 145 S.
36 f.; Beschluss vom 28. März 2013 - BVerwG 4 B 15.12 - juris Rn. 22). Diese Voraussetzungen
sind durch die Beschwerde nicht dargetan. Hinzu kommt, dass das diesbezügliche Vorbringen
des Klägers weiteren Darlegungsanforderungen nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht
entspricht. Denn wird gerügt, das Gericht habe bei seiner Überzeugungsbildung gegen den
klaren Inhalt der Akten verstoßen, müssen die Aktenteile, aus denen der Verstoß abgeleitet wird,
genau bezeichnet werden (Beschluss vom 12. Februar 2001 - BVerwG 9 B 3.01 - juris Rn. 7).
Auch hieran fehlt es.
19 b) Der weitere Vorhalt, der Verwaltungsgerichtshof habe den Aspekt der Amtshaftung im
Rahmen der Urteilsbegründung nicht aufgegriffen, begründet ebenso keinen Verfahrensmangel.
20 In Bezug auf die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör folgt dies
bereits daraus, dass das Tatsachengericht nicht jedes - aus seiner rechtlichen Sicht auch
nebensächliches - Vorbringen ausdrücklich in seiner Entscheidungsbegründung abhandeln
muss (Urteil vom 20. Oktober 1987 a.a.O. Rn. 19). Abgesehen davon, dass der
Verwaltungsgerichtshof das Vorbringen des Klägers zur Amtspflichtverletzung in der
Sachverhaltsdarstellung wiedergegeben hat und schon deshalb die Annahme fern liegt, er habe
das diesbezügliche Vorbringen übergangen, ist er in den Entscheidungsgründen auch auf die
Überwachungspflichten der Behörde (UA S. 27 f.) eingegangen, hat diese aber als dem Schutz
der Allgemeinheit vor Schäden, nicht hingegen dem Schutz der zu überwachenden Personen
vor einer Inanspruchnahme als Zustandsstörer und der daraus folgenden Belastung mit Kosten
für Beseitigungsmaßnahmen dienend erachtet (UA S. 28). Damit hat er implizit eine Amtspflicht
zugunsten des Klägers als Grundlage der Amtshaftung verneint. Inwiefern dem Gericht in diesem
Zusammenhang ein Verstoß gegen die ihm obliegende Ermittlungspflicht zu Last fallen sollte,
erschließt sich nicht. Auch der erneute Einwand einer Überraschungsentscheidung geht fehl; der
Beklagte hatte bereits in seiner Berufungsbegründung (S. 7) im Zusammenhang mit der vom
Kläger geltend gemachten Amtspflichtverletzung die Frage aufgeworfen und Zweifel geäußert,
ob eine Amtspflicht insoweit auch gegenüber Dritten besteht. Soweit der Verwaltungsgerichtshof
dem gefolgt ist, begründet dies keine Überraschungsentscheidung.
21 c) Ein Verfahrensfehler im Sinne eines Verstoßes gegen Denkgesetze verbindet sich auch
nicht mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs zur Rechtmäßigkeit der
Nichtinanspruchnahme des Herrn S. und dessen Erben. Die Erwägungen zur Störerauswahl
sind grundsätzlich dem materiellen Recht zuzurechnen. Sie liefern hier schon deshalb keinen
Ansatz für die erhobene Verfahrensrüge, weil es der Rechtsprechung des beschließenden
Senats entspricht, dass die Inanspruchnahme eines Verhaltensverantwortlichen die
Erheblichkeit seines Verursachungsbeitrags voraussetzt (Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 7
C 3.05 - Buchholz 451.222 § 4 BBodSchG Nr. 5 Rn. 14, insoweit nicht abgedruckt in BVerwGE
125, 325). Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass im Sinne eines gesetzlich
angeordneten Rangverhältnisses der Zustandsverantwortliche stets als nachrangig Haftender
anzusehen ist, dessen Inanspruchnahme nur dann ermessensfehlerfrei erfolgen könnte, wenn
Handlungsverantwortliche nicht mehr vorhanden oder zur Gefahrenbeseitigung außer Stande
sind (BVerfG a.a.O. S. 19). Maßgeblich für die behördliche Auswahlentscheidung ist vielmehr
allein die Effektivität der Maßnahme zur Beseitigung der schädlichen Bodenveränderung.
22 3. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
23 Eine Divergenz liegt vor, wenn das vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben
Vorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der
Rechtsprechung des übergeordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz
abgewichen ist. Die Beschwerdebegründung muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist
(stRspr; vgl. Beschluss vom 11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2
Ziff. 1 VwGO Nr. 19 m.w.N.). Dieses Darlegungserfordernis erfüllt die Beschwerde nicht, soweit
sie auf das Urteil des beschließenden Senats vom 16. März 2006 (a.a.O.) verweist und ohne die
nötige Substantiierung lediglich behauptet, dass das angegriffene Urteil hiervon abweiche.
24 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §
47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Nolte
Guttenberger
Brandt