Urteil des BVerwG vom 16.05.2012

BVerwG: einsichtnahme, daten, grundrecht, verwaltung, überprüfung, vergütung, kunst, gebärdensprache, geschäftsführung, eingriffsnorm

BVerwG 6 PB 2.12
Rechtsquellen:
HmbPersVG § 78 Abs. 2 Satz 1 und 2, § 33 Abs. 1 Satz 1
Stichworte:
Personalvertretungsrecht; Einsichtnahme des Personalrats in Lohn- und Gehaltslisten;
Vereinbarkeit mit verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen; keine Beschränkung der
Einsichtnahme auf Vorstandsmitglieder.
Leitsatz:
1. § 78 Abs. 2 Satz 1 und 2 HmbPersVG bildet eine bereichsspezifische Rechtsgrundlage für die
Einsichtnahme des Personalrats in Lohn- und Gehaltslisten, die zu dem hiermit verbundenen
Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ermächtigt und insoweit den
verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen genügt.
2. Die Einsichtnahme des Personalrats in Lohn- und Gehaltslisten gehört nicht zu den
Vorstandsmitgliedern vorbehaltenen laufenden Geschäften im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1
HmbPersVG.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 PB 2.12
VG Hamburg - 29.06.2011 - AZ: VG 25 FL 37/10
Hamburgisches OVG - 29.11.2011 - AZ: OVG 8 Bf 138/11.PVL
In der Personalvertretungssache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Mai 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge und Prof. Dr. Hecker
beschlossen:
Die Beschwerde des Beteiligten gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde
im Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts - Fachsenat nach dem
Landespersonalvertretungsgesetz - vom 29. November 2011 wird zurückgewiesen.
Gründe
1 Die Beschwerde des Beteiligten gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das
Oberverwaltungsgericht gemäß § 100 Abs. 2 HmbPersVG i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen
Erfolg. Die allein erhobenen Grundsatzrügen (§ 92a Satz 2 ArbGG, § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1
ArbGG) greifen nicht durch.
2 1. Der Beteiligte will zum einen sinngemäß geklärt wissen, ob § 78 Abs. 2 Satz 1 und 2
HmbPersVG, wonach dem Personalrat die zur Wahrnehmung seiner Aufgaben erforderlichen
Unterlagen vorzulegen sind, den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen an
Eingriffe in das Grundrecht von Beschäftigten auf informationelle Selbstbestimmung genügen,
wie sie mit der Einsichtnahme von Mitgliedern der Personalvertretung in nicht anonymisierte
Lohn- und Gehaltslisten der Dienststelle verbunden sind. Diese Frage wird durch die
Rechtsprechung des Senats bereits beantwortet und führt daher nicht zur Zulassung der
Rechtsbeschwerde (zu diesem prozessrechtlichen Maßstab: Beschluss vom 14. September
2011 - BVerwG 6 PB 14.11 - juris Rn. 2; BAG, Beschlüsse vom 22. März 2005 - 1 ABN 1/05 -
BAGE 114, 157 <159 f.> und vom 2. Oktober 2007 - 1 AZN 793/07 - AP Nr. 52 zu § 75 BetrVG
1972 Rn. 3).
3 Nach der Rechtsprechung des Senats rechtfertigt sich das Verlangen der Personalvertretung,
Einsicht in Lohn- und Gehaltslisten gewährt zu bekommen, aus den - in §§ 77 und 78 Abs. 1 Nr.
3 HmbPersVG inhaltsgleich zu Parallelbestimmungen in anderen Personalvertretungsgesetzen
normierten - Aufgaben der Personalvertretung, darüber zu wachen, dass alle Angehörigen der
Dienststelle nach Recht und Billigkeit behandelt werden und dass die zugunsten der
Beschäftigten geltenden Rechtsvorschriften durchgeführt werden (vgl. Beschlüsse vom 16.
Februar 2010 - BVerwG 6 P 5.09 - Buchholz 251.0 § 68 BaWüPersVG Nr. 4 Rn. 9, vom 22. April
1998 - BVerwG 6 P 4.97 - Buchholz 251.91 § 73 SächsPersVG Nr. 1 S. 2 und vom 27. Februar
1985 - BVerwG 6 P 9.84 - Buchholz 238.3A § 67 BPersVG Nr. 5 S. 4). Durch die
Senatsrechtsprechung ist ferner geklärt, dass die einschlägigen personalvertretungsgesetzlichen
Anspruchsnormen - in Hamburg § 78 Abs. 2 Satz 1 und 2 HmbPersVG - die insoweit
maßgeblichen bereichsspezifischen Rechtsgrundlagen im Sinne des Datenschutzrechts bilden
(vgl. Beschlüsse vom 23. Januar 2002 - BVerwG 6 P 5.01 - Buchholz 250 § 68 BPersVG S. 5
und vom 22. April 1998 a.a.O. S. 5) und dass Persönlichkeitsrechte der Betroffenen der
Einsichtnahme des Personalrats in Unterlagen, die personenbezogene Daten der Beschäftigten
enthalten, nicht entgegenstehen, wenn die Einsichtnahme unter Beachtung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf den zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Umfang begrenzt
ist und die handelnden Personalratsmitglieder der Schweigepflicht unterliegen (vgl. Beschlüsse
vom 16. Februar 2010 a.a.O. Rn. 25, vom 26. Januar 1994 - BVerwG 6 P 21.92 - BVerwGE 95,
73 <81, 85> = Buchholz 250 § 68 BPersVG Nr. 15 S. 8, 11, vom 22. Dezember 1993 - BVerwG 6
P 15.92 - Buchholz 250 § 68 BPersVG Nr. 14 S. 20 und vom 29. August 1990 - BVerwG 6 P
30.87 - Buchholz 251.8 § 68 RhPPersVG Nr. 3 S. 10 ferner Beschluss vom 7. März 2011 -
BVerwG 6 P 15.10 - Buchholz 250 § 75 BPersVG Nr. 113 Rn. 34).
4 Dass die genannten Anspruchsnormen den verfassungsrechtlichen
Bestimmtheitsanforderungen genügen, ist in den vorgenannten Entscheidungen nicht eigens
erwähnt, aber vorausgesetzt worden. Insoweit bedurfte es keiner gesonderten Darlegungen
durch den Senat, denn es ist offenkundig, dass Verstöße gegen diese Anforderungen nicht
vorliegen. Ihnen genügt eine Eingriffsnorm nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts dann, wenn sie den Eingriff für die Betroffenen vorhersehbar macht
und Verwaltung wie Gerichten hinreichend präzise Handlungs- bzw. Kontrollmaßstäbe vermittelt
(BVerfG Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvF 3/92 - BVerfGE 110, 33 <53 ff.>). Dies ist im
Hinblick auf § 78 Abs. 1 Satz 1 und 2 HmbPersVG augenscheinlich der Fall. Für die
Beschäftigten ist ohne weiteres erkennbar, dass diese Vorschrift auch die Vorlage solcher
Unterlagen einschließt, die - wie Lohn- und Gehaltslisten - personenbezogene Daten über die in
der Dienststelle geleisteten Vergütungen enthalten, denn andernfalls könnte der Personalrat die
ihm gesetzlich obliegende Überprüfung, ob bei Bemessung der Vergütung sachwidrige
Diskriminierungen unterbleiben und die einschlägigen Rechtsvorschriften ausgeführt werden,
überhaupt nicht durchführen (vgl. hierzu Beschlüsse vom 16. Februar 2010 a.a.O. S. 2 und vom
22. April 1998 a.a.O. S. 3). Verwaltung und Gerichte finden in Gestalt des in § 78 Abs. 1 Satz 1
HmbPersVG festgelegten Erfordernisses des Aufgabenbezugs sowie des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hinreichend präzise Handlungs- bzw. Kontrollmaßstäbe vor,
um im Einzelfall zu grundrechtskonformen Entscheidungen zu gelangen. Alles dies erschließt
sich auch ohne eine explizite gesetzliche Normierung nach Art des vom Beteiligten in seiner
Beschwerdebegründung angeführten § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 PersVG ND.
5 2. Zum zweiten will der Beteiligte wissen, ob die Einsichtnahme in Lohn- und Gehaltslisten ein
laufendes Geschäft des Personalrats im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 HmbPersVG darstelle und
somit auf Mitglieder des Vorstands zu begrenzen sei. Auch diese Frage führt nicht zur Zulassung
der Rechtsbeschwerde, weil sie vom Senat bereits geklärt ist. Der Senat hat, worauf der
Antragsteller zu Recht hinweist, bereits in seinem Beschluss vom 16. Februar 2010 im Hinblick
auf die (mit § 78 Abs. 2 Satz 1 und 2 HmbPersVG inhaltsgleiche) Vorschrift des § 68 Abs. 2 Satz
1 und 2 PersVG BW entschieden, dass die Einsichtnahme in die dort streitgegenständlichen
Vergütungslisten durch den Vorsitzenden und ein weiteres seiner Mitglieder erfolgen darf, ohne
hierbei die Einschränkung vorzunehmen, dass letzteres dem Vorstand angehören müsse (a.a.O.
Rn. 7). Gleiches gilt für seinen Beschluss vom 22. April 1998, der zu § 73 Abs. 2 Satz 1 und 2
PersVG SN erging (a.a.O., juris Rn. 26 - insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 251.91 § 73
SächsPersVG Nr. 1). Diese Entscheidungen stehen im Einklang mit der vom Senat bekräftigten
allgemeinen Maßgabe, dass auch solche Mitglieder des Personalrats, die nicht dem Vorstand
angehören und folglich nicht mit der laufenden Geschäftsführung im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz
1 HmbPersVG befasst sind, als Beauftragte zur Erledigung bestimmter Aufgaben eingesetzt
werden dürfen (Beschluss vom 13. Februar 2012 - BVerwG 6 PB 19.11 - juris Rn. 13).
Neumann
Büge
Prof. Dr. Hecker