Urteil des BVerwG vom 14.08.2013

BVerwG: vorläufiger rechtsschutz, aufschiebende wirkung, vollziehung, überführung, regierung, abrede, bier, dringlichkeit, download, güterverkehr

BVerwG 9 VR 6.13
Rechtsquellen:
VwGO § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 Satz 1, § 161 Abs. 2 Satz 1
FStrG § 17e Abs. 2 Satz 1
Stichworte:
Sofortige Vollziehung; Vollzugsinteresse; Aussetzungsinteresse; offene Erfolgsaussicht;
Folgenabwägung; Teilaussetzung; abtrennbarer Vorhabensteil; Teilbarkeit.
Leitsatz:
1. Sollen bauliche Maßnahmen zur Verwirklichung des Vorhabens zeitnah begonnen, jedoch
über einen längeren Zeitraum gestaffelt ausgeführt werden, muss die Behörde dem
grundsätzlich nicht durch eine Teilaussetzung der gesetzlich angeordneten sofortigen
Vollziehung des angefochtenen fernstraßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses
hinsichtlich später anstehender Baumaßnahmen Rechnung tragen.
2. Eine Teilaussetzung ist dann geboten, wenn sich der Betroffene allein gegen einen rechtlich
und tatsächlich abtrennbaren Vorhabensteil wendet, dessen Ausführung noch nicht in
absehbarer Zeit ansteht.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 VR 6.13
In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. August 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Christ und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bick
beschlossen:
Soweit die Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen den Bau der
Behelfsfahrbahn von Bau-km 289+200 bis Bau-km 289+650 und der daran
anschließenden Verbreiterungen der Richtungsfahrbahn Nürnberg von Bau-km
288+500 bis Bau-km 289+200 sowie von Bau-km 289+650 bis Bau-km 290+600
begehren, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Gerichtskosten werden dem Antragsteller zu 1 sowie den Antragstellern zu 2 und
3, letzteren als Gesamtschuldnern, zu jeweils 3/8 und dem Antragsgegner zu 1/4
auferlegt. Der Antragsgegner trägt von den außergerichtlichen Kosten der
Antragsteller jeweils 1/4. Von den außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners
haben der Antragsteller zu 1 sowie die Antragsteller zu 2 und 3, letztere als
Gesamtschuldner, jeweils 3/8 zu tragen. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre
außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Der Senat hat mit Urteil vom 3. März 2011 - BVerwG 9 A 8.10 - (BVerwGE 139, 150) die Klage
mehrerer Grundstückseigentümer gegen den Planfeststellungsbeschluss der Regierung von
Unterfranken für den sechsstreifigen Ausbau der Bundesautobahn A 3 (Frankfurt - Nürnberg) im
Abschnitt Anschlussstelle (AS) Würzburg-Heidingsfeld bis westlich Mainbrücke Randersacker
vom 17. Dezember 2009 abgewiesen. Hinsichtlich der nach dem Planfeststellungsbeschluss für
die Dauer der ersten Bauphase zu errichtenden Behelfsfahrbahn der A 3 wird in dem Urteil
festgestellt, dass die damit verbundene Lärmproblematik noch nicht hinreichend bewältigt wurde
(a.a.O. Rn. 57). Bezogen auf die nach der Ausführungsplanung vorgesehene Behelfsbrücke,
über die während des Baus der neuen Überführung der Bundesstraße B 19 über die A 3 der
Verkehr geführt werden soll, wird im Urteil darauf hingewiesen, dass deren Ausgestaltung mit
Blick auf die erheblichen Auswirkungen auf die Verkehrssituation im Raum Würzburg und
wegen der absehbaren Dauer der Planfeststellung bedarf (a.a.O. Rn. 63). Mit
Planergänzungsbeschluss vom 13. Mai 2013 hat die Regierung von Unterfranken u.a. den Bau
einer 16 m breiten Behelfsfahrbahn zwischen Bau-km 289+200 bis Bau-km 289+650 und den
Bau einer Behelfsbrücke neben dem bestehenden Überführungsbauwerk der B 19 über die A 3
im Bereich der AS Würzburg-Heidingsfeld planfestgestellt.
2 Die Antragsteller haben Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen
gegen diesen Planergänzungsbeschluss gestellt. Daraufhin hat die Regierung von Unterfranken
mit Bescheid vom 9. August 2013 die sofortige Vollziehung des Planergänzungsbeschlusses
gegenüber dem Vorhabenträger, der Autobahndirektion Nordbayern, insoweit ausgesetzt, als er
bauliche Vollzugsmaßnahmen zur Umsetzung der o.g. Behelfsfahrbahn und der daran
anschließenden Verbreiterungen der Richtungsfahrbahn Nürnberg umfasst. Im Anschluss daran
haben die Beteiligten den Rechtsstreit im Umfang der Aussetzung der Vollziehung
übereinstimmend für erledigt erklärt.
II
3 1. a) Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in Bezug auf die Behelfsfahrbahn
übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des
§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
4 b) Soweit die Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz gegen den Bau der Behelfsbrücke der B
19 über die A 3 nach § 80 Abs. 5 VwGO begehren, überwiegt nach der wegen offener
Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache vorzunehmenden Folgenabwägung das
öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug dieser baulichen Maßnahme das gegenläufige
Aussetzungsinteresse der Antragsteller. Würde insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage
der Antragsteller angeordnet, hätte diese aber keinen Erfolg, könnte der Antragsgegner die
Behelfsbrücke bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens - entgegen dem im gesetzlichen
Ausschluss der aufschiebenden Wirkung zum Ausdruck kommenden Vollzugsinteresse (§ 17e
Abs. 2 Satz 1 FStrG) - nicht errichten und bis zu diesem Zeitpunkt faktisch nicht mit dem Neubau
der Überführung der B 19 über die A 3 beginnen. Nach Angaben des Antragsgegners wurde das
vorhandene Überführungsbauwerk statisch untersucht: Die Berechnungsergebnisse zeigten,
dass sich bereits bei Ansatz eines nach der Straßenverkehrszulassungsordnung zulässigen 44
t-Fahrzeugs Überschreitungen der zulässigen Stahl- und Betonspannungen von 24 % bis 51 %
ergäben. Diese Überlastungen beeinträchtigten massiv die Dauerhaftigkeit und Standsicherheit
des Bauwerks. Sie hätte im Zuge des sechsstreifigen Ausbaus der A 3 gerade noch toleriert
werden können. Bei ausbleibender kurzfristiger Erneuerung wären indes erhebliche
verkehrsbeschränkende Maßnahmen bis hin zu einer Sperrung für den Schwer- und
Güterverkehr unausweichlich. Die Antragsteller haben die Ergebnisse der statischen
Untersuchung in ihren Schriftsätzen vom 13. August 2013 nicht in Abrede gestellt. Ihre
Ausführungen sind auch nicht geeignet, die vom Antragsgegner angenommene Dringlichkeit
eines Neubaus der Überführung als unvertretbar erscheinen zu lassen.
5 Demgegenüber sind keine nennenswerten Nachteile für die Antragsteller erkennbar, wenn
vorläufiger Rechtsschutz gegen den Bau der Behelfsbrücke versagt wird, ihre Klage aber später
Erfolg hat. Eine Beeinträchtigung eigener Belange der Antragsteller gerade durch den Bau und
Betrieb der Behelfsbrücke erscheint ausgeschlossen. Das gilt auch für die von ihnen geltend
gemachten zusätzlichen Beeinträchtigungen durch Luftschadstoffe. Die Antragsteller haben die
Angabe des Antragsgegners nicht in Abrede gestellt, dass sie in einer Entfernung von ca. 2 km
von der AS Würzburg-Heidingsfeld wohnen und sich die Baustraße, über die der
Baustellenverkehr geführt werden soll, ihren Anwesen bis auf höchstens 1,4 km nähert. Dem
vom Antragsgegner vorgelegten Übersichtslageplan, dessen Richtigkeit von den Antragstellern
nicht bezweifelt wird, kann entnommen werden, dass zwischen den Anwesen der Antragsteller
und der AS Würzburg-Heidingsfeld bzw. der Baustraße ein Großteil des Stadtteils Heuchelhof
liegt. Vor diesem Hintergrund ist völlig fernliegend, dass die Antragsteller deshalb zusätzlichen
Schadstoffbelastungen ausgesetzt sein könnten, weil die Behelfsbrücke geringfügig näher am
Stadtteil Heuchelhof liegt als die Bestandsbrücke. Angesichts der genannten örtlichen
Verhältnisse und Entfernungen erscheint ferner ausgeschlossen, dass allein der durch den Bau
der Behelfsbrücke verursachte Baustellenverkehr mit relevanten Schadstoffbelastungen der
Antragsteller verbunden sein könnte. Jeder Substanz entbehrt schließlich die Behauptung, es
werde zu erheblichen Staus mit dem damit verbundenen erhöhten Schadstoffausstoß kommen,
weil die Behelfsbrücke auf eine Geschwindigkeit von 50 km/h ausgelegt sei. Nach dem
unwidersprochenen Vorbringen des Antragsgegners wird durch die Behelfsbrücke der
Verkehrsfluss verbessert, weil sie im Unterschied zur bestehenden Brücke an den
Auffahrtsrampen zur A 3 Linksabbiegespuren aufweist (vgl. Planergänzungsbeschluss S. 58 f.).
Weshalb gleichwohl eine erhöhte Staugefahr bestehen sollte, ist nicht nachvollziehbar. Hinzu
kommt, dass die Behelfsbrücke nur für die Dauer des Neubaus der Überführung der B 19 über
die A 3 Bestand haben wird.
6 2. Hinsichtlich des erledigten Teils des Rechtsstreits entspricht es billigem Ermessen i.S.d. §
161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, den Beteiligten jeweils die Hälfte der insoweit entstandenen Kosten
aufzuerlegen. Denn nach dem bisherigen Sach- und Streitstand lässt sich nicht ohne Weiteres
übersehen, ob die Klage Erfolg haben wird. Eine abweichende Kostenverteilung ist nicht
deshalb geboten, weil mit dem Bau der Behelfsfahrbahn und der Verbreiterungen der
Richtungsfahrbahn Nürnberg erst ab März 2015 begonnen werden soll. Der Antragsgegner war
nicht verpflichtet, die Vollziehung des Planergänzungsbeschlusses vom 13. Mai 2013 bezogen
auf diese baulichen Maßnahmen von Amts wegen auszusetzen. Sollen bauliche Maßnahmen
zur Verwirklichung des planfestgestellten Vorhabens zeitnah begonnen, mit Rücksicht auf
dessen Umfang jedoch in Etappen über einen längeren Zeitraum gestaffelt ausgeführt werden,
muss die Behörde dem grundsätzlich nicht durch eine Teilaussetzung hinsichtlich später
anstehender Baumaßnahmen Rechnung tragen; etwas anderes gilt dann, wenn sich der
Betroffene erkennbar allein gegen einen abtrennbaren Vorhabensteil wendet, dessen
Ausführung noch nicht in absehbarer Zeit ansteht (vgl. Beschlüsse vom 13. Juni 2013 - BVerwG
9 VR 2.13 - juris Rn. 2 und vom 14. März 2008 - BVerwG 9 VR 3.07 - Buchholz 310 § 80 VwGO
Nr. 77 Rn. 4). Hier ist geplant, das Vorhaben mit der Errichtung der Behelfsbrücke der B 19
zeitnah zu beginnen, andere bauliche Maßnahmen wie den Bau der Behelfsfahrbahn aber
deutlich später zu verwirklichen. Eine Teilaussetzung war nicht ausnahmsweise geboten. Zum
einen wenden sich die Antragsteller auch gegen die Behelfsbrücke der B 19, mit deren Bau
gerade zeitnah begonnen werden soll. Zum anderen kann nicht angenommen werden, dass die
Gesamtplanung auch ohne die Behelfsfahrbahn der A 3 gewollt ist und den Anforderungen des
Abwägungsgebots genügt; insoweit fehlt es also an der rechtlichen Teilbarkeit (vgl. Urteil vom
21. Februar 1992 - BVerwG 7 C 11.91 - BVerwGE 90, 42 <50 ff.> m.w.N.).
7 Die Kostenentscheidung hinsichtlich des nicht erledigten Teils des Rechtsstreits folgt aus §
154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 ZPO.
8 Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Dabei geht der Senat
sowohl in Bezug auf den Antrag des Antragstellers zu 1 und den Antrag der Antragsteller zu 2
und 3 als auch hinsichtlich der beiden Streitgegenstände Behelfsfahrbahn und Behelfsbrücke
von Teilstreitwerten von jeweils 15 000 € aus. Der Gesamtstreitwert von 60 000 € ist mit Blick auf
das vorläufige Rechtsschutzverfahren zu halbieren.
Dr. Bier
Dr. Christ
Dr. Bick