Urteil des BVerwG vom 17.01.2013

BVerwG: gemeinderat, gleichbehandlung, umwelt, ausschluss, stadtrat, abstimmung, koordination, gebärdensprache, kunst, gefahr

BVerwG 8 B 50.12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 50.12
VG Karlsruhe - 07.04.2011 - AZ: VG 6 K 1487/10
VGH Baden-Württemberg - 09.03.2012 - AZ: VGH 1 S 3326/11
In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Januar 2013
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund mündlicher
Verhandlung vom 9. März 2012 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
Gründe
1 Der Kläger ist Stadtrat der Stadt W. und Mitglied des Ausschusses für Technik und Umwelt. Am
23. September 2009 beschloss der Gemeinderat eine neugefasste Hauptsatzung, die unter
anderem die Zuständigkeit des Ausschusses für Technik und Umwelt als beschließenden
Ausschuss für die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB nicht mehr
vorsieht, stattdessen eine Information über laufende Baugenehmigungsverfahren bei für die
Stadt- und Ortschaftsentwicklung besonders bedeutsamen Verfahren zur Wahrung der
gemeindlichen Planungshoheit ausreichen lässt. Die Feststellungsklage des Klägers, dass sein
Ausschluss und seine Nichtbeteiligung bei Entscheidungen nach §§ 31, 33 bis 35 BauGB durch
den Beklagten sein Recht als Stadtrat verletze, blieb in den Vorinstanzen erfolglos.
2 Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gestützte Beschwerde hat
keinen Erfolg. Die Beschwerde hält folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam und
klärungsbedürftig:
„Ist es mit Art. 3 GG vereinbar, dass nach §§ 24 Abs. 1 Satz 2 vorletzter Halbsatz, 44 Abs. 2 Satz
1 Halbsatz 2 GemO BW in der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs dem Gemeinderat in
Gemeinden, die untere Baurechtsbehörden sind, keine (Mit-)Entscheidungsrechte im Bereich
von § 36 BauGB zukommen, jedoch in Gemeinden, die keine unteren Baurechtsbehörden sind,
der Gemeinderat über das Einvernehmen nach § 36 BauGB zu entscheiden hat?,
Ist es mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar, dass nach §§ 24 Abs. 1 Satz 2 vorletzter Halbsatz,
44 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 GemO BW in der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs dem
Gemeinderat in Gemeinden, die untere Baurechtsbehörden sind, keine (Mit-
)Entscheidungsrechte im Bereich von § 36 BauGB zukommen?“
3 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur
dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich
ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall
hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Eine
klärungsbedürftige Rechtsfrage liegt dann nicht vor, wenn sich die aufgeworfene Frage auf der
Grundlage des Gesetzeswortlauts mit den üblichen Regeln sachgerechter Interpretation und auf
der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lässt (Beschluss
vom 21. Dezember 1994 - BVerwG 4 B 266.94 - Buchholz 406.401 § 8a BNatSchG Nr. 2 =
NVwZ 1995, 601 f.). Überdies müsste die gestellte Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren
auch entscheidungserheblich sein. Das ist vorliegend mit Blick auf Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nicht
der Fall.
4 Die Auslegung von § 24 Abs. 1 Satz 2 vorletzter Halbsatz, § 44 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 GemO
BW durch den Verwaltungsgerichtshof wäre in einem Revisionsverfahren schon deshalb nicht
an Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zu messen, weil die gemeindliche Selbstverwaltung des Art. 28 Abs.
2 Satz 1 GG in ihrer Ausgestaltung der gemeindlichen Planungshoheit den Gemeinden und
Gemeindeverbänden zusteht, nicht jedoch den kommunalen Organen. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG
gewährleistet den Gemeinden im Sinne einer institutionellen Garantie das Recht, alle
Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung
zu regeln, so dass hieraus keine eigenständige Rechtsposition für kommunale Organe abgeleitet
werden kann (BVerfG, Beschluss vom 27. November 1978 - 2 BvR 165/75 - BVerfGE 50, 50 f;
Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl. 2012, Art. 28 Rn. 17).
5 Hinsichtlich der Frage, ob die Auslegung und Anwendung von Landesrecht durch den
Verwaltungsgerichtshof mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, bedarf es nicht der Durchführung eines
Revisionsverfahrens. Die Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
dahin geklärt, dass Art. 3 Abs. 1 GG keine Gleichbehandlung für die Erteilung des
gemeindlichen Einvernehmens gemäß § 36 BauGB durch das zuständige Organ auch für den
Fall gebietet, dass die betreffende Gemeinde zugleich untere Baurechtsbehörde ist.
6 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtfertigt der Gedanke der
Gleichbehandlung keine Befugnis der Gemeinde, die zugleich Baugenehmigungsbehörde ist,
sich auf § 36 Abs. 1 BauGB zu berufen. Die in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB vorgesehene
Mitwirkung der Gemeinde dient der Sicherung der gemeindlichen Planungshoheit. Dieses
Schutzes bedarf die mit der Baugenehmigungsbehörde identische Gemeinde nicht; denn sie
kann den Zweck des Einvernehmens selbst erfüllen (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg,
BauGB, § 36 Rn. 15). § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist auf das Verhältnis der Gemeinde zu der
Baugenehmigungsbehörde eines anderen Rechtsträgers zugeschnitten. Die Gefahr, dass der
zuständige Rechtsträger ein Bauvorhaben über den Kopf der Gemeinde hinweg genehmigt,
besteht nicht. Zwar ist vorstellbar, dass dann, wenn innerhalb der Gemeinde für die Erteilung der
Baugenehmigung und die Erklärung des Einvernehmens verschiedene Organe (Behörden)
zuständig sind, bei Wegfall des förmlichen Einvernehmens eine Koordination unterbleibt und die
Planungshoheit dadurch zu kurz kommt. Es ist aber Sache der Gemeinde selbst oder des
Landesgesetzgebers, durch kommunalverfassungsrechtliche Regelungen dafür zu sorgen, dass
die Belange der Planungshoheit hinreichend gewahrt bleiben. Aus Sicht des
Bundesgesetzgebers bestand keine Veranlassung für die Einführung eines gesonderten
Verfahrens zur internen Abstimmung zwischen verschiedenen Organen der Gemeinde; das
Bundesrecht enthält insoweit auch keine verfassungsrechtlichen Vorgaben (Urteil vom 19.
August 2004 - BVerwG 4 C 16.03 - BVerwGE 121, 339 <343> = Buchholz 406.11 § 36 BauGB
Nr. 57 S. 12 m.w.N.). Der mit der Baugenehmigungsbehörde identischen Gemeinde wird durch
den Ausschluss des § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB zwar eine verfahrensrechtliche Position in
vorprozessualen behördlichen Genehmigungsverfahren vorenthalten. Daraus erwächst ihr
jedoch kein rechtlich relevanter Nachteil, weil ihr die Befugnis, sich gegenüber der
Widerspruchsbehörde auf den Schutz der materiell-rechtlichen Planungshoheit zu berufen, nicht
abgeschnitten wird (Urteil vom 19. August 2004 a.a.O. S. 344 bzw. S. 13 m.w.N.).
7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts
beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 3 GKG.
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Deiseroth
Dr. Hauser