Urteil des BVerwG vom 20.12.2012

BVerwG: ddr, staatssicherheit, rechtsstaatlichkeit, zwangslage, kriminalpolizei, kauf, informant, kunst, verfahrensmangel, gebärdensprache

BVerwG 3 B 48.12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 48.12
VG Chemnitz - 09.03.2012 - AZ: VG 3 K 924/11
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Dezember 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil
des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 9. März 2012 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 €
festgesetzt.
Gründe
1 Der Kläger begehrt seine berufliche Rehabilitierung, weil er infolge einer rechtsstaatswidrigen
Inhaftierung in der DDR sein Studium zum Industriemeister nicht habe fortsetzen können. Die
Landesdirektion Chemnitz lehnte diesen Antrag ab, weil der Kläger nach Stellungnahme der
Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR
(BStU) in den Jahren 1966 bis 1974 als inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Kriminalpolizei der
Volkspolizei tätig war, weshalb Ansprüche nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz
ausgeschlossen seien. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage wies das
Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die angefochtenen Bescheide mit der Begründung
ab, der Kläger sei in zwei Fällen als inoffizieller Mitarbeiter für die Polizei der DDR tätig
gewesen, es lägen 53 handschriftliche und von ihm gezeichnete Berichte und zwei
Verpflichtungserklärungen vor. Es sei nicht nachvollziehbar, wenn der Kläger, der die Berichte
zugestandenermaßen eigenhändig geschrieben habe, behaupte, sie stammten nicht von ihm.
Die Berichte seien konkret geeignet gewesen, Verfolgungsmaßnahmen für Dritte auszulösen,
andere Personen zu schädigen oder zu gefährden. Sie seien nicht neutral abgefasst und nicht
unbrauchbar, hätten Erkenntnisse über politische Ansichten und familiäre Beziehungen der
Betroffenen enthalten. In einem Fall sei eine beabsichtigte Republikflucht bekannt geworden, in
einem anderen ein Strafverfahren wegen Hetze eingeleitet worden. Die Tätigkeit des Klägers als
IM sei auch vorwerfbar gewesen. Der Kläger habe freiwillig für das Ministerium für
Staatssicherheit gearbeitet. Der von ihm behaupteten Not- oder Drucksituation sei der Kläger
nicht ausgesetzt gewesen.
2 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg.
Keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO liegt vor.
3 1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO. Die vom Kläger bezeichnete Frage,
„ob die Tätigkeit der Deutschen Volkspolizei innerhalb des Ministeriums des Inneren mit der
Tätigkeit der Staatssicherheit innerhalb des Ministeriums für Staatssicherheit gleichzusetzen ist,
ob also die Bereitschaft eines Bürgers der DDR, bei der Aufklärung von Delikten nach dem
Strafgesetzbuch unter Federführung der Volkspolizei mitzuwirken, gleichzusetzen ist mit der
Bereitschaft eines Bürgers der DDR, unter Federführung eines Führungsoffiziers der
Staatssicherheit die ideologische Einstellung von Personen mittels Spitzeltätigkeit zu
erforschen“,
würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Der Kläger ist nach den Feststellungen
des Verwaltungsgerichts als IM für das Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen (UA S. 6),
nicht aber zur Bekämpfung der gewöhnlichen Kriminalität für die Polizei. Das ergibt sich aus der
im Urteilstatbestand wiedergegebenen Auskunft der Bundesbeauftragten, wonach der Kläger
inoffizieller Mitarbeiter für das Arbeitsgebiet 1 der Kriminalpolizei der Volkspolizei war. Dieses
hat aufgrund einer teilweisen Übereinstimmung von Aufgabenstellung und Arbeitsmethoden eng
mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet, wobei dem Staatssicherheitsdienst die
Führungsrolle zukam. Für eine solche Spitzeltätigkeit gelten die Grundsätze, die der Senat zum
Leistungsausschluss wegen Verstoßes gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder
Rechtsstaatlichkeit nach § 4 BerRehaG entwickelt hat (vgl. Beschlüsse vom 8. Dezember 2011 -
BVerwG 3 B 57.11 - ZOV 2012, 62 und vom 16. Mai 2006 - BVerwG 3 PKH 15.05 - juris und
Urteile vom 19. Januar 2006 - BVerwG 3 C 11.05 - Buchholz 428.7 § 16 StrRehaG Nr. 2 = ZOV
2006, 178 und vom 8. März 2002 - BVerwG 3 C 23.01 - BVerwGE 116, 100 = Buchholz 428.8 § 4
BerRehaG Nr. 1). Die Beschwerde legt, schon weil sie von einem anderen Sachverhalt ausgeht,
nichts dar, woraus sich ein weitergehender Klärungsbedarf ergeben könnte. Insbesondere
kommt der subjektiven Vorstellung des Klägers, als „freiwilliger Helfer der Volkspolizei“ tätig zu
sein, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu, wenn der Informant die Umstände kannte,
seine Handlungen konkret geeignet waren, Dritte einer Verfolgung oder Schädigung
auszusetzen, und er dies in Kauf genommen hat (Urteil vom 19. Januar 2006 a.a.O.). Diese
Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht bindend festgestellt; denn durchgreifende
Verfahrensrügen hiergegen hat der Kläger, wie unten noch darzulegen ist, nicht erhoben (§ 137
Abs. 2 VwGO).
4 2. Die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätze sind
im angefochtenen Urteil ausdrücklich zugrunde gelegt worden. Es ist nicht ersichtlich, dass das
Verwaltungsgericht dabei von dem oben bezeichneten Urteil des Senats vom 8. März 2002
abgewichen ist. Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn sich das
vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung
tragenden (abstrakten) Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat zu einem ebensolchen
Rechtssatz, der in einer Entscheidung eines divergenzfähigen Gerichts aufgestellt worden ist,
und wenn das Urteil auf dieser Abweichung beruht (stRspr, Beschluss vom 11. August 1999 -
BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 m.w.N.; Kraft, in:
Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 132 Rn. 29 ff.). Den sich daraus ergebenden
Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) wird die Beschwerde nicht gerecht. Sie
arbeitet keine einander widersprechenden Rechtssätze heraus, sondern meint, das
Verwaltungsgericht habe die im Urteil vom 8. März 2002 aufgestellten Grundsätze auf den Fall
des Klägers falsch angewendet. Damit kann jedoch nur ein Subsumtionsfehler aufgezeigt
werden, der keine Divergenz begründet.
5 3. Es liegt auch kein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, auf dem
das angefochtene Urteil beruhen kann. Der Kläger meint, das Verwaltungsgericht hätte Zeugen
ermitteln und vernehmen müssen, um aufzuklären, ob seine Berichte zu Drittschädigungen
geführt haben und ob er sich damals in einer Zwangslage befunden habe. Eine solche
Aufklärung war jedoch vom maßgeblichen wie zutreffenden Rechtsstandpunkt des
Verwaltungsgerichts aus nicht erforderlich. Soweit der Kläger aufgeklärt wissen möchte, ob die
in den Urteilsgründen genannten Verfahren wegen Hetze und Republikflucht eingeleitet worden
sind, handelt es sich um letztlich nicht entscheidungserhebliche Tatsachen. Der Verstoß gegen
Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit im Sinne des § 4 BerRehaG hängt nicht
von einem bestimmten Erfolg der Spitzeltätigkeit ab. Es genügt die konkrete Eignung der
Tätigkeit, Dritte zu schädigen oder Verfolgungsmaßnahmen auszulösen. Diese Eignung ist im
angefochtenen Urteil festgestellt und vom Kläger nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen
angegriffen worden. Unter diesem Blickwinkel verdeutlicht die Wiedergabe der Konsequenzen,
die die Berichte des Klägers in zwei Fällen hatten, lediglich die anderweitig gewonnene
Einschätzung der konkreten Gefährdungseignung. Abgesehen davon sind die Tatsachen in der
Mitteilung der Bundesbeauftragten vom 24. März 2009 (dort unter Nr. 17 der Anlage 1) enthalten,
sodass der Kläger substantiierte Einwände hätte vorbringen müssen, um dem
Verwaltungsgericht Anlass zu einer weitergehenden Aufklärung zu geben. Daran fehlt es. Der
Kläger erstrebte nur die Möglichkeit, die mit Maßnahmen überzogenen Personen oder seinen
Führungsoffizier zu hören. Damit ging es ihm nicht um den Beweis von in das Wissen der
Zeugen gestellten Tatsachen, sondern darum, durch die Vernehmung der Zeugen
möglicherweise erst Tatsachen zu erlangen, die ihm eine Infragestellung der Mitteilung der
Bundesbeauftragten erlaubten. Es ist nicht verfahrensfehlerhaft, von einem solchen
Ausforschungsbeweis abzusehen. Entsprechendes gilt für die Behauptung des Klägers, er habe
die Berichte aus einer Zwangslage heraus abgefasst. Mit dieser Behauptung setzen sich sowohl
der Widerspruchsbescheid als auch das angefochtene Urteil auseinander. Angesichts dessen
hätte es konkreter Einwände bedurft, um das Unterlassen weitergehender Aufklärung fehlerhaft
erscheinen zu lassen.
6 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht
auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Kley
Dr. Wysk
Dr. Kuhlmann