Urteil des BVerwG vom 14.03.2013

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BVerwG 4 B 49.12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 49.12
Bayer. VG München - 05.03.2009 - AZ: M 11 K 08.2901
Bayerischer VGH München - 30.07.2012 - AZ: VGH 1 B 12.906
In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. März 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz und Dr. Decker
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil
des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Juli 2012 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 €
festgesetzt.
Gründe
1 Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne
Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde
beimisst.
2 a) Für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig hält die Beschwerde die Frage,
ob im Rahmen des Einfügungsgebots gemäß § 34 Abs. 1 BauGB auf die Zahl der
Vollgeschosse absolut abzustellen ist oder ob die Zahl der Vollgeschosse als
Zulassungsmerkmal hinter den Kriterien der Höhe baulicher Anlagen und dessen
Erscheinungsweise zurücktritt, insbesondere dann, wenn der Baukörper nicht oder nur
geringfügig in Erscheinung tritt.
3 Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.
4 Sie ist nicht entscheidungserheblich. Die der Frage unterlegte Prämisse, dass der
Verwaltungsgerichtshof bei der Prüfung, ob das klägerische Vorhaben nach dem Maß der
baulichen Nutzung den Rahmen der Umgebungsbebauung einhält, auf die Zahl der
Vollgeschosse abgestellt habe, trifft nicht zu. Der Verwaltungsgerichtshof (UA Rn. 21) hat
angenommen, dass sich das klägerische Vorhaben im Hinblick auf die insbesondere wegen des
sehr hohen, steil aufragenden Krüppelwalmdachs massiv wirkende Bebauung auf dem
westlichen Nachbargrundstück Fl.Nr. 456/2 zwar hinsichtlich der Geschossfläche und der
Gebäudehöhe, nicht aber hinsichtlich der Geschosszahl innerhalb des vorgegebenen Rahmens
halte. Dieser Annahme liegen die Feststellungen zugrunde, dass das bisher als
dreigeschossiges Gebäude genehmigte Einfamilienhaus der Klägerin mit dem geplanten
Turmzimmer viergeschossig würde, während das Nachbargebäude trotz seines massiven
Krüppelwalmdachs nur dreigeschossig in Erscheinung trete. Dabei hat der
Verwaltungsgerichtshof das Dachgeschoss des Nachbargebäudes (E+1+D, UA Rn. 4 und 5) in
die Betrachtung mit einbezogen, also auf die nach außen wahrnehmbare Geschosszahl
abgestellt, ohne danach zu differenzieren, ob dieses Dachgeschoss ein Vollgeschoss ist. Der
Einschätzung der Klägerin, dass im massiven Dach des Nachbargebäudes gegebenenfalls auch
ein viertes (Voll-) Geschoss unterzubringen wäre, ist er mit der Feststellung entgegengetreten,
dass das Nachbargebäude nur dreigeschossig in Erscheinung trete. Dass auch das vom
Verwaltungsgerichtshof verwendete Kriterium der (nach außen wahrnehmbaren) Geschosszahl
ein ungeeignetes Prüfkriterium wäre, macht die Klägerin nicht geltend.
5 Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage wäre überdies nicht klärungsbedürftig. In der
bisherigen Senatsrechtsprechung (Urteil vom 23. März 1994 - BVerwG 4 C 18.92 - BVerwGE 95,
277 <278 f.>) ist geklärt, dass in erster Linie auf solche Maßfaktoren abzustellen ist, die nach
außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in
der näheren Umgebung in Beziehung zueinander setzen lassen, und dass sich deshalb
vorrangig die (absolute) Größe der Gebäude nach Grundfläche, Geschossfläche, Geschosszahl
und Höhe und bei offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur umgebenden Freifläche
als Bezugsgröße zur Ermittlung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung anbieten. Damit
ist eine Berücksichtigung der anderen Maßfaktoren der Baunutzungsverordnung zwar nicht
ausgeschlossen; sie werden allerdings vielfach nur eine untergeordnete bis gar keine
Bedeutung für die Frage des Einfügens haben, weil sie in der Örtlichkeit häufig nur schwer
ablesbar sind (a.a.O. S. 279). Auch auf die Feinheiten der an landesrechtliche Begriffe wie
demjenigen des Vollgeschosses anknüpfenden Berechnungsregeln der
Baunutzungsverordnung kommt es grundsätzlich nicht an (a.a.O. S. 280; siehe auch Beschluss
vom 21. Juni 1996 - BVerwG 4 B 84.96 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 180 = juris Rn. 5). An
diesen Maßstäben hat sich der Verwaltungsgerichtshof mit dem Begriff der (nach außen
wahrnehmbar in Erscheinung tretenden) Geschosszahl tragend orientiert (UA Rn. 19, 21).
Soweit er in Auseinandersetzung mit der Kommentarliteratur (Söfker, in:
Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand September 2012, § 34 Rn. 44) auch die Brauchbarkeit
der Zahl der Vollgeschosse als Prüfkriterium erörtert hat (UA Rn. 20), war dies - wie ausgeführt -
für die Subsumtion ohne Bedeutung.
6 b) Die weiteren Fragen,
ob städtebauliche Spannungen bei Überschreitung des durch § 34 Abs. 1 BauGB gesetzten
Rahmens aufgrund Vorbildwirkung begründet oder erhöht werden, wenn die Zulassung einer in
Bezug auf den Hauptbaukörper untergeordneten, nicht oder nicht wesentlichen in Erscheinung
tretenden baulichen Anlage in der weiteren, hier vierten Geschossebene erfolgt,
und ferner,
ob insofern das Gericht unterstellen kann, dass die Zulassung einer untergeordneten baulichen
Anlage in der vierten Geschossebene Vorbildwirkung für die Errichtung eines weiteren, die
gesamte Grundfläche des Hauptbaukörpers umfassenden Geschosses besitzt,
rechtfertigen ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Sie wären, soweit
entscheidungserheblich, einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Ihre
Beantwortung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Petz
Dr. Decker