Urteil des BVerfG vom 27.06.2014

BVerfG: veröffentlichung, faires verfahren, konkrete normenkontrolle, verfassungsbeschwerde, gefahr, meinungsfreiheit, unbefangenheit, strafbarkeit, anklageschrift, strafprozess

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 429/12 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S…,
1. unmittelbar gegen
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 16. November 2011 -
31 Ss 36/11 -,
b) das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 26. Mai 2011 - 4 Ns 407 Js
9388/09 (41/10) -,
c) das Urteil des Amtsgerichts Rinteln vom 8. April 2010 - 20 Cs 407 Js
9388/09 (13/10) -,
2. mittelbar gegen
§ 353d Nummer 3 des Strafgesetzbuchs (StGB) in der Fassung der
Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBI I S. 3322)
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Landau
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
König
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.
August 1993 (BGBl I S. 1473) am 27. Juni 2014 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine strafrechtliche Verurteilung wegen verbotener
Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen (§ 353d Nr. 3 StGB).
I.
2
1. a) Die Staatsanwaltschaft Bückeburg erhob am 17. April 2009 gegen den Beschwerdeführer
Anklage wegen des Verdachts des gewerbsmäßig begangenen Betrugs in Tateinheit mit
gewerbsmäßig begangener Urkundenfälschung in 167 Fällen sowie gewerbsmäßig begangener
Urkundenfälschung in weiteren 34 Fällen und beantragte die Eröffnung des Hauptverfahrens. Im
Mai 2009 wurde über das Verfahren vereinzelt medial berichtet.
3
b) Mit Beschluss vom 1. Dezember 2009 ließ das Landgericht Bückeburg die Anklage in 34
Fällen zu und eröffnete insoweit das Hauptverfahren. Im Übrigen lehnte das Landgericht die
Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen ab. In der ersten Dezemberhälfte
2009 stellte der Beschwerdeführer diesen Beschluss sowie die Teile der Anklageschrift,
hinsichtlich derer das Hauptverfahren eröffnet worden war, auf seiner Homepage als Download
zur Verfügung. Dort konnten sie jedenfalls bis zum 17. Dezember 2009 im vollen Wortlaut
eingesehen werden.
4
2. Durch Urteil vom 8. April 2010 sprach das Amtsgericht Rinteln den Beschwerdeführer
deswegen der verbotenen Mitteilung über Gerichtsverhandlungen (§ 353d Nr. 3 StGB) schuldig
und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe in Höhe von zehn Tagessätzen à 16 Euro.
5
3. Die Berufung des Beschwerdeführers blieb erfolglos und wurde durch das Landgericht
Bückeburg mit Urteil vom 26. Mai 2011 als unbegründet verworfen. Zur Begründung verwies das
Landgericht unter anderem darauf, dass die Strafbarkeit des Beschwerdeführers nicht schon
deshalb entfalle, weil er mit der eigenhändigen Veröffentlichung faktisch seine Einwilligung zu
dieser erteilt habe. Dies wäre nur der Fall, wenn die Norm ausschließlich den Schutz des von
der Veröffentlichung Betroffenen bezwecken würde. Die in § 353d Nr. 3 StGB ausgesprochene
Sanktion schütze jedoch auch die Unbefangenheit weiterer Verfahrensbeteiligter, insbesondere
die der Laienrichter und der Zeugen. Nichts anderes ergebe sich aus der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zu § 353d Nr. 3 StGB (BVerfGE 71, 206 ff.). Diese konkrete
Normenkontrolle habe nur die Vereinbarkeit der Norm mit dem Grundgesetz bei
Veröffentlichungen zum Gegenstand gehabt, die gegen oder ohne den Willen des Betroffenen
erfolgt sind.
6
4. a) Mit seiner Revision rügte der Beschwerdeführer unter anderem, dass die Anwendung von
§ 353d Nr. 3 StGB auf seinen Fall gegen verschiedene Grundrechte verstoße. Auch habe sich
das Landgericht über § 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG hinweggesetzt, da sich aus der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Dezember 1985 herauslesen lasse, dass § 353d Nr. 3
StGB verfassungswidrig sei, wenn die Veröffentlichung mit dem Willen des Betroffenen erfolge.
7
b) Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Celle verwarf das Oberlandesgericht Celle die
Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO durch Beschluss vom 16. November 2011 einstimmig als
unbegründet. Zur ergänzenden Begründung führte das Oberlandesgericht aus, dass die
Feststellungen des Berufungsurteils den Schuldspruch jedenfalls insoweit trügen, als der
Beschwerdeführer Teile der Anklageschrift veröffentlicht habe. Der Umstand, dass die
Veröffentlichung durch ihn selbst erfolgt sei, stehe auch unter Berücksichtigung der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Verurteilung nicht entgegen, da § 353d
Nr. 3 StGB auch die Unbefangenheit der Verfahrensbeteiligten schütze.
II.
8
Mit seiner fristgerecht eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer
sinngemäß eine Verletzung von Art. 103 Abs. 2 GG durch die Entscheidungen der Strafgerichte
sowie Verletzungen der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) und des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) unmittelbar durch die
Entscheidungen und mittelbar durch § 353d Nr. 3 StGB in der Fassung vom 13. November 1998
(BGBl I S. 3322).
9
1. a) Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Dezember 1985 könne
herausgelesen werden, dass die Strafnorm nicht mit dem Grundgesetz in Einklang stehe, sofern
die Veröffentlichung mit dem Willen des Betroffenen erfolge. Entsprechend sei § 353d Nr. 3
StGB verfassungskonform auszulegen. Jede Verurteilung, der ein Sachverhalt zu Grunde liege,
in dem der Betroffene selbst die Veröffentlichung vorgenommen habe, verstoße gegen Art. 103
Abs. 2 GG.
10
b) Der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sei eröffnet. Er habe mit der Veröffentlichung
den Zweck verfolgt, einer Vorverurteilung entgegenzutreten und die öffentliche Meinung durch
Präsentation entlastender Unterlagen zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Ein Eingriff in diesen
Schutzbereich sei im konkreten Fall nicht gerechtfertigt, da keine überwiegenden Interessen
anderer erkennbar seien. § 353d Nr. 3 StGB diene ausschließlich dem Interesse des
Beschuldigten, einerseits durch Schutz vor vorzeitiger öffentlicher Verurteilung und Bloßstellung
und andererseits durch Sicherung eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens. Der Schutz der
Rechtspflege habe bestenfalls untergeordnete Bedeutung.
11
c) Sein allgemeines Persönlichkeitsrecht sei verletzt, da er durch die strafrechtliche
Sanktionierung daran gehindert werde, sich der Öffentlichkeit zu stellen und die in der Anklage
enthaltene Darstellung seiner Person zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion zu machen.
Dies sei ein legitimes Interesse. Immerhin habe die ursprüngliche Anklage der
Staatsanwaltschaft Bückeburg zur Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz geführt. In
Abwägung zu dem mit § 353d Nr. 3 StGB verfolgten Schutzzweck stelle die Sanktionierung eine
„aberwitzige Entmündigung“ seiner Person dar. Es liege auf der Hand, dass der Grund für die
Strafverfolgung lediglich darin liege, dass die Staatsanwaltschaft nicht im Internet öffentlich
vorgeführt werden wolle.
12
2. In Anbetracht des Vorstehenden sei § 353d Nr. 3 StGB verfassungswidrig, soweit die
Veröffentlichung mit dem Willen des Betroffenen erfolge. Die Norm sei ungeeignet, den von ihr
verfolgten gesetzgeberischen Zweck zu erreichen. Der Schutz der Unvoreingenommenheit von
Verfahrensbeteiligten müsse auch außerhalb des Strafrechts gewährleistet werden. Für diese
Fälle sei eine Strafbarkeit jedoch nicht vorgesehen. Auch könne durch § 353d Nr. 3 StGB nicht
der Schutz des Beschuldigten vor Vorverurteilung effektiv bezweckt werden. Durch das
einseitige Verbot, entlastendes Material selbst zu veröffentlichen, bestehe die Gefahr einer
unzumutbaren Verzerrung der Berichterstattung.
III.
13
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen
einer notwendigen Annahme (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor; eine Annahme ist auch
nicht aus anderen Gründen angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf
Erfolg, da sie teilweise unzulässig (1.) und im Übrigen offensichtlich unbegründet ist (2.).
14
1. Soweit der Beschwerdeführer die erstinstanzliche Entscheidung angreift, fehlt ihm das
Rechtsschutzbedürfnis. Das Urteil des Amtsgerichts ist durch die nachfolgende
Berufungsentscheidung des Landgerichts vom 26. Mai 2011 prozessual überholt (vgl. BVerfGK
10, 134 <138>; 13, 231 <233>).
15
2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet. Die strafrechtliche
Verurteilung des Beschwerdeführers ist nicht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG erfolgt (a.).
§ 353d Nr. 3 StGB ist mit der Verfassung auch vereinbar, wenn die Veröffentlichung mit dem
Willen des Betroffenen erfolgt (b.). Verletzungen der Meinungsfreiheit oder des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts durch die Entscheidungen der Strafgerichte sind auch bezogen auf den
konkreten Einzelfall nicht erkennbar (c.).
16
a) Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG durch die gerichtlichen Entscheidungen ist nicht
gegeben.
17
aa) Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die
Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Für die Rechtsprechung
folgt aus diesem Erfordernis ein Verbot strafbegründender oder strafverschärfender Analogie
(vgl. BVerfGK 4, 261 <265>; 9, 169 <170>; 14, 12 <15>). Dabei ist Analogie nicht im engeren
technischen Sinne zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechtsanwendung, die über
den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht (vgl. BVerfGE 71, 108 <115>). Da
gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG bestimmte Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in
Gesetzeskraft erwachsen, liegt demnach auch ein Verstoß gegen das Analogieverbot vor, wenn
ein Gericht eine strafrechtliche Verurteilung ausspricht, die auf der Anwendung einer Norm des
materiellen Strafrechts beruht, welche zuvor durch das Bundesverfassungsgericht als nichtig
oder mit dem Grundgesetz als unvereinbar erklärt worden ist.
18
bb) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ergibt sich jedoch aus dem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 3. Dezember 1985 (BVerfGE 71, 206 ff.) keine der
Gesetzeskraft gemäß § 31 Abs. 2 BVerfGG unterfallende Feststellung, dass § 353d Nr. 3 StGB
mit dem Grundgesetz unvereinbar oder nichtig ist, sofern die Veröffentlichung mit dem Willen des
Betroffenen erfolgt.
Gesetzeskraft besitzt lediglich die im Tenor enthaltene Feststellung der Gültigkeit oder
Ungültigkeit eines Gesetzes; die Gründe der Entscheidung können demgegenüber nur zur
Auslegung des Tenors herangezogen werden (vgl. Lenz/Hansel, BVerfGG, 1. Aufl. 2013, § 31
Rn. 42).
19
Gemessen hieran entfaltet ausschließlich die im Tenor der Entscheidung vom 3. Dezember 1985
enthaltene Feststellung, dass § 353d Nr. 3 StGB „mit dem Grundgesetz vereinbar [ist], soweit die
in dieser Bestimmung unter Strafe gestellte wörtliche öffentliche Mitteilung der Anklageschrift
oder anderer amtlicher Schriftstücke ohne oder gegen den Willen des von der Berichterstattung
Betroffenen erfolgt ist“, Gesetzeskraft. Eine ausdrückliche Feststellung, dass die Norm in jedem
anderen Anwendungsfall - namentlich bei Sachverhalten, in denen die Veröffentlichung mit dem
Willen des Betroffenen erfolgt - unvereinbar mit der Verfassung sei, wird nicht getroffen. Diese
Feststellung kann auch nicht im Wege des Umkehrschlusses abgeleitet werden. Aus den
Gründen der verfassungsgerichtlichen Entscheidung geht - worauf schon das Landgericht
zutreffend hingewiesen hat - klar hervor, dass das Bundesverfassungsgericht bereits seinen
Prüfungsumfang auf die im Tenor ausgesprochene Feststellung beschränkt hat, da nur diese im
Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG entscheidungserheblich war (vgl. BVerfGE 71, 206 <213>). Über
andere Sachverhaltskonstellationen - einschließlich der vorliegenden - sollte demnach gerade
keine Feststellung getroffen werden.
20
b) Eine Verletzung der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) oder des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) durch § 353d Nr. 3 StGB ist auch in
Fällen, in denen die Veröffentlichung mit dem Willen des Betroffenen erfolgt, nicht gegeben.
21
aa) Der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist eröffnet. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts können auch Tatsachenmitteilungen - hier die Anklageschrift und
der Eröffnungsbeschluss - dem Schutz der Meinungsfreiheit unterfallen, weil und wenn sie
Voraussetzung der Bildung von Meinungen sind (vgl. BVerfGE 54, 208 <219 f.>; 61, 1 <8>; 85,
1<15>). Soweit Tatsachenbehauptungen aber nicht schon von vornherein wegen erwiesener
oder bewusster Unrichtigkeit außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG
verbleiben, sind sie jedoch Einschränkungen aufgrund von allgemeinen Gesetzen (Art. 5 Abs. 2
GG) leichter zugänglich als dies bei Meinungsäußerungen der Fall ist (vgl. BVerfGE 61, 1 <8>).
22
bb) § 353d Nr. 3 StGB ist ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. Bedenken, es
handele sich um ein Sondergesetz, bestanden bereits im Jahr 1985 nicht mehr (vgl. BVerfGE 71,
206 <214 f.>).
23
cc) § 353d Nr. 3 StGB ist - auch bei Veröffentlichung mit dem Willen des Betroffenen - geeignet,
den Schutz verfassungsrechtlich relevanter Rechtsgüter zu bewirken.
24
(1) Bei der verfassungsgerichtlichen Kontrolle der Zwecktauglichkeit von Gesetzen gebietet die
Funktionenteilung zwischen gesetzgebender und rechtsprechender Gewalt Zurückhaltung (vgl.
BVerfGE 71, 206 <215>, m.w.N.). Es ist prinzipiell Aufgabe des Gesetzgebers, zu entscheiden,
mit welchen Mitteln der von einer Regelung verfolgte Zweck zu erreichen sei. Das
Bundesverfassungsgericht kann die dieser Entscheidung zugrunde liegenden Erwägungen und
Wertungen nicht beanstanden, solange nicht eindeutig erwiesen ist, dass sie von unrichtigen
tatsächlichen Voraussetzungen ausgingen oder mit der Verfassung in Widerspruch stehen (vgl.
BVerfGE 13, 97 <113>). Gesetze werden daher nur einer beschränkten Kontrolle unterzogen und
lediglich darauf geprüft, ob das eingesetzte Mittel „objektiv“ oder „schlechthin“ ungeeignet ist (vgl.
BVerfGE 30, 250 <263 f.>, m.w.N.). Dies gilt auch für materielle Strafgesetze (vgl. BVerfGE 47,
109 <117>; 50, 142 <163>; 71, 206 <215 f.>). Die Geeignetheit wäre demnach im vorliegenden
Fall nur zu verneinen, wenn § 353d Nr. 3 StGB und die mit dieser Vorschrift verbundene
Grundrechtseinschränkung zum Schutz der Rechtsgüter, dem sie dienen, schlechthin
ungeeignet wären.
25
(2) Dies ist nicht der Fall. § 353d Nr. 3 StGB verfolgt nach einhelliger Auffassung eine doppelte
Schutzrichtung (vgl. statt vieler: Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 353d Rn. 1; Schmedding, in:
Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 2. Aufl. 2011, § 353d StGB Rn. 1). Deren
Elemente stehen in einem Alternativverhältnis zueinander (vgl. Vormbaum, in: LK-StGB, 12. Aufl.
2009, § 353d Rn. 39).
26
Die Strafvorschrift soll in erster Linie verhindern, dass Beteiligte an Verfahren, die straf- oder
disziplinarrechtlicher Aufklärung und Ahndung dienen, insbesondere Laienrichter und Zeugen,
durch die vorzeitige Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke in ihrer Unbefangenheit
beeinträchtigt werden (vgl. BTDrucks 7/550, S. 282 f.; Graf, in: MüKo StGB, 1. Aufl. <2006>,
§ 353d Rn. 5). Der durch eine vorweggenommene öffentliche Diskussion amtlichen
Prozessmaterials - oft verbunden mit einseitigen Stellungnahmen oder gar unmittelbar auf
Einflussnahme angelegten Wertungen - drohenden Voreingenommenheit und den darin
liegenden Gefahren für die Wahrheitsfindung und für ein gerechtes Urteil soll entgegengetreten
werden (vgl. Vormbaum, in: LK-StGB, 12. Aufl. 2009, § 353d Rn. 39). Damit dient die
strafrechtliche Sanktionierung mittelbar einerseits der Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne
den sich das materielle Schuldprinzip, auf dem das gesamte Strafrecht beruht (vgl. BVerfGE 123,
267 <413>; 133, 168 <199>), nicht verwirklichen lässt (vgl. BVerfGE 57, 250 <275>; 122, 248
<270>; 130, 1 <26>; 133, 168 <199>). Andererseits gewährleistet das strafbewehrte Verbot der
Veröffentlichung bestimmter amtlicher Schriftstücke die unbedingte Neutralität und Distanz des
Gerichts gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand, die zentraler
Bestandteil der rechtsstaatlichen Gesamtkonzeption des Grundgesetzes sind (vgl. BVerfGE 4,
412 <416>; 23, 321 <325>; 82, 286 <298>; 89, 28 <36>; 133, 168 <202>). Beides hat zudem
mittelbaren Einfluss auf die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, die ihrerseits
Verfassungsrang genießt (vgl. BVerfGE 107, 104 <118 f.>; 113, 29 <54>).
27
Daneben treten als Schutzgut des § 353d Nr. 3 StGB die Persönlichkeitsrechte der vom
Verfahren Betroffenen und - hinsichtlich des Angeklagten - die Aufrechterhaltung der bis zu
einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu seinen Gunsten bestehenden
Unschuldsvermutung, die nicht durch Vorabveröffentlichungen amtlicher Schriftstücke gefährdet
werden sollen (vgl. Graf, in: MüKo StGB, 1. Aufl. 2006, § 353d Rn. 5).
28
Aufgrund dieser doppelten Schutzrichtung des § 353d Nr. 3 StGB entfällt die Zwecktauglichkeit
der Vorschrift nicht allein dadurch, dass sich ein durch das Verfahren Betroffener durch die
verfrühte Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke derjenigen Rechte begibt, soweit sie seinem
Schutz dienen und damit zu seiner Disposition stehen können. Bedeutung und Tragweite des
materiellen Schuldprinzips und der Neutralität des Gerichts für das rechtsstaatliche
Strafverfahren rechtfertigen bereits isoliert betrachtet die Strafbarkeit seines Handelns (vgl.
Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 353d Rn. 6; Vormbaum, in: LK-StGB, 12. Aufl. 2009, § 353d
Rn. 39 a.E.; Graf, in: MüKo StGB, 1. Aufl. 2006, § 353d Rn. 63; Kuhlen, in:
Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl. 2013, § 353d Rn. 28 f.; Kühl, in: Lackner/Kühl,
StGB, 27. Aufl. 2011, § 353d Rn. 4; Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 353d
Rn. 40). Daneben steht weiterhin der Schutz der Persönlichkeitsrechte von anderen durch das
Strafverfahren betroffenen Personen, etwa von Mitangeklagten oder Nebenklägern. Auch diese
können dadurch beeinträchtigt werden, dass ein Angeklagter ihn entlastende amtliche
Mitteilungen vor dem Verfahren im Wortlaut veröffentlicht. Ohne die strafrechtliche
Sanktionierung dieses Handelns bestünde die Gefahr, dass Angeklagte und Nebenkläger durch
gezielte und möglicherweise entstellte Informationen, die aber den Eindruck amtlicher
Authentizität erwecken, wechselseitig versuchen, die Stimmung der Öffentlichkeit und die
Einstellung des Gerichts zum Sachverhalt vor Beginn der Hauptverhandlung gezielt in ihrem
Interesse - oder auch zu Lasten etwa eines Mitangeklagten - zu beeinflussen.
29
(3) Zur Erreichung dieser Ziele ist § 353d Nr. 3 StGB trotz bestehender
Umgehungsmöglichkeiten nicht schlechterdings ungeeignet. Die hierzu durch die Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Dezember 1985 aufgestellten Grundsätze sind auf den
vorliegenden Sachverhalt und vergleichbare Konstellationen insoweit uneingeschränkt
übertragbar.
30
Dies gilt insbesondere, soweit der Gesetzgeber nur die Veröffentlichung im Wortlaut unter Strafe
gestellt, aber Wiedergaben in indirekter Rede vom Tatbestand ausgenommen hat. Die hierdurch
bestehenden Umgehungsmöglichkeiten sind der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG)
geschuldet, die es gebietet, nur absolut notwendige Einschränkungen vorzunehmen.
Veröffentlichungen im Wortlaut bilden eine deutlich größere Gefahr für die Unbefangenheit der
Verfahrensbeteiligten und die vom Verfahren Betroffenen als eine lediglich inhaltlich berichtende
Veröffentlichung in nichtwörtlicher Rede (vgl. BVerfGE 71, 206 <216>). Gegenüber der
erkennbaren Meinungsäußerung kommt dem Zitat die besondere Überzeugungs- und
Beweiskraft des Faktums zu (vgl. BVerfGE 54, 208 <217>). Nur eine wortgetreue Wiedergabe
von Aktenteilen erweckt den Eindruck amtlicher Authentizität und bezweckt diesen regelmäßig
auch. Sie wird deshalb in der Regel weitergehende Wirkung haben als die bloße Mitteilung
eines Dritten, in der über den Inhalt amtlicher Akten berichtet wird.
31
Gerade für den Schutz der Unbefangenheit der Verfahrensbeteiligten ist dieser Unterschied
wesentlich. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass Laienrichter, welche vorgelagerten
Veröffentlichungen bereits vor Prozessbeginn den Inhalt der Akten im Wortlaut haben
entnehmen können, ihr Urteil nicht mehr allein auf der Grundlage der Hauptverhandlung bilden,
wie die Prozessordnung es im Interesse eines rechtsstaatlichen Verfahrens voraussetzt. Ebenso
kann die Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen unter vorzeitiger Unterrichtung leiden. Diese
Gefahr besteht in besonderem Maße, wenn der öffentlichen Mitteilung das Gewicht amtlicher
Authentizität zukommt (vgl. BVerfGE 71, 206 <216 ff.>). Erfüllt ein Strafgesetz jedoch trotz
bestehender - den Grundrechten geschuldeter - Einschränkungen im Übrigen weitgehend
seinen Zweck, kann seine generelle Geeignetheit nicht verneint werden (vgl. BVerfGE 47, 109
<118 f.>; 71, 206 <217 f.>).
32
Die Geeignetheit wird konzeptionell auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass § 353d Nr. 1
StGB nur für amtliche Dokumente gilt, die den Strafprozess oder vergleichbare Verfahren
betreffen. Zwar sehen auch andere Prozessordnungen die Beteiligung von Laienrichtern (vgl.
etwa § 16, § 35 Abs. 2, § 41 Abs. 2 ArbGG, § 5 Abs. 3 Satz 1, § 9 Abs. 3 Satz 1 VwGO, § 3, § 12
Abs. 1 Satz 1, § 33 Abs. 1 Satz 1, § 40 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGG) und das
Beweismittel des Zeugenbeweises vor. Allerdings sind gerade Straf- und Disziplinarverfahren in
der Regel mit besonders tiefgreifenden Grundrechtseingriffen verbunden, so dass der
Erforschung der materiellen Wahrheit eine überragende Bedeutung zukommt. Gerade der
Strafprozess ist in der Praxis zudem in besonderem Maße auf den Zeugenbeweis angewiesen,
so dass bei diesen Verfahren die Gefahr besonders groß ist, dass durch die nicht autorisierte
Veröffentlichung amtlicher Dokumente die Zeugenaussagen in ihrer konkreten Ausgestaltung
oder das Erinnerungsvermögen des Zeugen beeinträchtigt werden (vgl. Graf, in: MüKo StGB, 1.
Aufl. 2006, § 353d Rn. 5). Schließlich sichert § 353d Nr. 3 StGB flankierend das nur dem
Strafprozess eigene Unmittelbarkeitsprinzip (vgl. § 261 StPO) ab, indem es verhindert, dass das
Gericht - insbesondere die Laienrichter - seine Entscheidung auf Umstände stützt, die außerhalb
der Hauptverhandlung, welche gerade der Erforschung der materiellen Wahrheit dient, bekannt
geworden sind.
33
dd) § 353d Nr. 3 StGB ist auch bei Veröffentlichung mit dem Willen des Betroffenen erforderlich,
den Schutz verfassungsrechtlich relevanter Rechtsgüter zu bewirken. Der Gesetzgeber hat sich
auf ein befristetes Verbot öffentlicher Mitteilungen im Wortlaut und damit einen den
Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG so weitgehend wie möglich schonenden objektiven
Tatbestand beschränkt. Insbesondere sind mildere Mittel, die einen vergleichbaren Schutz der
Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege und der Persönlichkeitsrechte von Verfahrensbeteiligten
gewährleisten, nicht ersichtlich (vgl. BVerfGE 71, 206 <218>).
34
ee) Auch die Verhältnismäßigkeitsabwägung im engeren Sinne fällt zu Gunsten der
Verfassungsmäßigkeit von § 353d Nr. 3 StGB aus, selbst wenn die Veröffentlichung mit dem
Willen eines Betroffenen erfolgt. Maßgebend hierfür sind die Bedeutung der durch den
Grundrechtseingriff zu schützenden und der grundrechtlich geschützten Rechtsgüter, die
Wirksamkeit des angestrebten Rechtsgüterschutzes und das Ausmaß der zu diesem Zweck
normierten Grundrechtsbeschränkung (vgl. BVerfGE 71, 206 <218>).
35
§ 353d Nr. 3 StGB schränkt einerseits die Meinungsfreiheit und das allgemeine
Persönlichkeitsrecht des von der Mitteilung Betroffenen ein. Soweit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG
betroffen wird, ist jedoch zu berücksichtigen, dass die durch die Strafvorschrift verbotene
Mitteilung bereits begrifflich kein Element des persönlichen Meinens und Dafürhaltens, sondern
nur Tatsachenbehauptungen enthält, hinsichtlich derer ein gerechtfertigter Eingriff unter
geringeren Voraussetzungen möglich ist. Auch ist in die Abwägung einzustellen, dass der
Eingriff zeitlich bis zur Erörterung des Schriftstücks in mündlicher Verhandlung beschränkt ist
und nur bestimmte, besonders gefahrträchtige Formen von Veröffentlichungen verbietet, es dem
Betroffenen mithin möglich bleibt, seine Meinung durch Formen der indirekten Wiedergabe -
wenn auch ohne den Anschein amtlicher Authentizität - zu verbreiten.
36
Demgegenüber ist § 353d Nr. 3 StGB grundsätzlich geeignet, den Schutz der Rechtspositionen
von Mitangeklagten und Nebenklägern, konkret deren allgemeines Persönlichkeitsrecht, und - im
Falle der Mitangeklagten - die Unschuldsvermutung, zu stärken. Der ebenfalls bewirkte Schutz
der Neutralität des Gerichts und der Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit als
Grundlage des den Strafprozess bestimmenden Schuldprinzips (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20
Abs. 3 GG) dient ebenfalls der Wahrung von Rechtsgütern mit Verfassungsrang.
37
Allein der Umstand, dass der bewirkte Schutz lückenhaft ist und Umgehungsmöglichkeiten
bestehen, rechtfertigt keine abweichende Bewertung. Diese Lückenhaftigkeit stellt sich als
Konsequenz einer möglichst weitreichenden Schonung von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG einerseits
und - worauf das Bundesverfassungsgericht schon 1985 hingewiesen hat (vgl. BVerfGE 71, 206
<217>) - dem Bestimmtheitserfordernis materieller Strafnormen (Art. 103 Abs. 2 GG) andererseits
dar.
38
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass § 353d Nr. 3 StGB für alle Verfahrensbeteiligten des
Strafprozesses, einschließlich der Staatsanwaltschaft und Nebenklage, gilt. Auch diese sind
gehindert, etwa die Anklageschrift vorzeitig zu veröffentlichen und hierdurch auf die öffentliche
Meinung oder das Gericht einzuwirken (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 353d Rn. 6a). Daher
ist auch aus Gründen der Waffengleichheit, die ihrerseits dem Recht auf ein faires Verfahren
(Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) entspringt, kein einseitiges Recht zur Veröffentlichung
durch einen Angeklagten geboten. Im Gegenteil widerspräche eine derartige Berechtigung
diesem Grundgedanken und könnte zu einer Verzerrung der Berichterstattung führen. Die durch
den Beschwerdeführer vertretene Auslegung würde daher die Gefahr einer weitgehenden
Vorverlagerung der Meinungsbildung tragen und die Wahrheitsfindung als zentrales Element
des Strafprozesses zu Gunsten einer außerprozessualen öffentlichen oder medialen Diskussion
zurückdrängen.
39
ff) Gleiches gilt, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) rügt. Ein etwaiger Eingriff in den
Schutzbereich wäre ebenfalls gerechtfertigt.
40
c) Die im vorliegenden Verfahren zur Entscheidung berufenen Gerichte haben bei der
Verurteilung des Beschwerdeführers wegen verbotener Mitteilungen über
Gerichtsverhandlungen gemäß § 353d Nr. 3 StGB nicht Bedeutung und Tragweite
grundrechtlicher Gewährleistungen verkannt. Die Umstände des Einzelfalls erforderten keine
verfassungskonforme Reduktion oder Auslegung des Tatbestands im konkreten Fall.
41
Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben erkannt, dass § 353d Nr. 3 StGB
verfassungsrechtliche Rechtspositionen tangiert und sich mit der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts vom 3. Dezember 1985 auseinandergesetzt, sind jedoch zutreffend
zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Entscheidung einer Strafbarkeit des Beschwerdeführers
nicht entgegensteht. So bestand im Falle des Beschwerdeführers auch nicht lediglich eine
theoretische Gefahr der Beeinflussung von Laienrichtern und Zeugen. Die Anklage war zur
Großen Strafkammer erfolgt, die in derartigen Verfahren in der Besetzung mit zwei Berufsrichtern
und zwei Schöffen entscheidet (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 4 GVG). Als Beweismittel
waren unter anderem 15 Zeugen vorgesehen.
42
Auch die Behauptung des Beschwerdeführers, die ursprüngliche Anklage der
Staatsanwaltschaft Bückeburg habe seine wirtschaftliche Existenz vernichtet, so dass die
Veröffentlichung des (Nicht-)Eröffnungsbeschlusses faktisch eine Notstandshandlung dargestellt
habe, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Eine Agenturmeldung über das Gerichtsverfahren ist
praktisch unbeachtet geblieben. Aus dem einzigen Medienbericht ist erkennbar, dass selbst
dieser nicht auf einer Pressemitteilung oder sonstigen Information durch die Staatsanwaltschaft,
sondern allein auf einem Schreiben des Beschwerdeführers selbst „an die Weltpresse“ beruhte.
Auch geht aus der Begründung der Verfassungsbeschwerde hervor, dass er schon im Juni 2008
zahlungsunfähig war. Eine Erklärung dafür, wie die Agenturmeldung vom April 2009 diese
Zahlungsunfähigkeit kausal hätte verursachen können, bleibt der Beschwerdeführer schuldig.
43
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Landau
Kessal-Wulf
König