Urteil des BVerfG vom 07.04.2014

BVerfG: trennung, haushalt, gefahr, intensität des grundrechtseingriffs, verfassungsbeschwerde, jugendamt, dringlichkeit, tante, familie, gefährdung

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 3121/13 -
Bundesadler
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. der Frau F…,
2. des Herrn F…,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Thomas Saschenbrecker,
Friedrichstraße 2, 76275 Ettlingen -
gegen
a)
den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4. Oktober
2013 - II-5 UF 119/13 -,
b)
den Beschluss des Amtsgerichts Langenfeld vom 4. Juli 2013 - 42 F
81/13 -,
c)
den Beschluss des Amtsgerichts Langenfeld vom 24. Mai 2013 - 42 F
81/13 -
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof,
den Richter Eichberger
und die Richterin Britz
am 7. April 2014 einstimmig beschlossen:
1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Langenfeld vom 4. Juli 2013 - 42 F 81/13 - und des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4. Oktober 2013 - II-5 UF 119/13 - verletzen die
Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird aufgehoben, soweit er die
Entziehung des Sorgerechts bestätigt. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das
Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
Die Verfassungsbeschwerde wird im Übrigen nicht zur Entscheidung angenommen.
2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat den Beschwerdeführern zwei Drittel ihrer notwendigen
Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
4. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das
Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro)
festgesetzt.
Gründe:
I.
1
1. Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die im Wege der einstweiligen Anordnung erfolgte
Entziehung von Teilbereichen des Sorgerechts für ihre im Jahr 2010 geborene Tochter. Die
Beschwerdeführer hatten mit ihrer Tochter in einem gemeinsamen Haushalt gelebt, bis diese am
27. Mai 2013 gegen den Willen der Eltern in einem Kinderheim untergebracht wurde. Die
Beschwerdeführerin, die bereits erwachsene Söhne hat, war aufgrund psychischer Probleme
seit der Geburt der Tochter kontinuierlich in ambulanter, vorübergehend auch stationärer
psychotherapeutischer Behandlung. Seit Mai 2011 erhielt die Familie Unterstützung durch eine
sozialpädagogische Familienhilfe.
2
a) Auf Antrag des Jugendamts vom 24. Mai 2013 entzog das Amtsgericht den
Beschwerdeführern mit angegriffenem Beschluss vom 24. Mai 2013 im Wege der einstweiligen
Anordnung ohne vorherige Anhörung die Personensorge und bestellte eine
Ergänzungspflegerin. Außerdem verpflichtete es die Beschwerdeführer zur Herausgabe des
Kindes an die Ergänzungspflegerin. Aus der Antragsschrift des Jugendamts und der vom
Jugendamt in Auftrag gegebenen psychiatrischen Stellungnahme des Gesundheitsamts ergebe
sich, dass das Kind in der Obhut seiner Eltern gefährdet sei. Die Beschwerdeführerin sei in ihrer
Erziehungsfähigkeit schwer beeinträchtigt, der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage, dies
auszugleichen und die Betreuung und Erziehung zu übernehmen. Im Haushalt der
Beschwerdeführer bestünden starke Spannungen, die das Kind miterlebe. Nach der
psychiatrischen Stellungnahme des Gesundheitsamts werde ein Verbleib in dem von Spannung,
Aggressivität und Dissoziation geprägten Umfeld zu einer schweren Beeinträchtigung des
Kindes führen. Nach dem Bericht des Jugendamts zeigten sich bei dem Kind bereits
Auffälligkeiten.
3
Das Mädchen wurde am selben Tag in einer sogenannten Kriseninterventionsgruppe eines
Kinderheims untergebracht, wo sie seitdem lebt.
4
b) Die Beschwerdeführer beantragten beim Amtsgericht, die Sorgerechtsentziehung aufzuheben,
hilfsweise das Kind in den Haushalt der Großmutter oder einer Tante väterlicherseits zu
überführen.
5
aa) Das Amtsgericht hörte die Beschwerdeführer, das Jugendamt, die Ergänzungspflegerin, den
Verfahrensbeistand, die ehemalige Familienhelferin und den Arzt an, der die psychiatrische
Stellungnahme des Gesundheitsamts erstellt hatte. Die Großmutter und die Tante des Kindes
väterlicherseits waren während der mündlichen Verhandlung im Gerichtsgebäude anwesend,
wurden aber nicht gehört. Beide beantragten am selben Tag schriftlich, am Verfahren beteiligt
und zum Ergänzungspfleger bestellt zu werden.
6
bb) Mit angegriffenem Beschluss vom 4. Juli 2013 erhielt das Amtsgericht die einstweilige
Anordnung aufrecht. Eine Änderung setze eine umfassende Abklärung der Fähigkeit und
Bereitschaft der Beschwerdeführer oder anderer Bezugspersonen zur Wahrnehmung der Pflege
und Erziehung des Kindes voraus, wozu ein psychiatrisches und familienpsychologisches
Gutachten erforderlich sei. Im einstweiligen Verfahren habe sich gezeigt, dass die
Beschwerdeführer bisher nicht in der Lage waren, ihr Verhalten gegeneinander und gegenüber
dem Kind so zu steuern, dass eine Kindeswohlgefährdung vermieden werde. Die
Beschwerdeführerin sei wegen ihrer Erkrankung derzeit nicht in der Lage, das Kind so zu
betreuen, dass das Kindeswohl ausreichend gesichert sei. Der Beschwerdeführer sei nicht in der
Lage, das Kind gegenüber dem Verhalten der Beschwerdeführerin abzuschirmen und
seinerseits eine kindeswohlgerechte kontinuierliche Entwicklung sicherzustellen; allein wegen
seiner berufsbedingten Abwesenheit wäre das Kind häufig mit der Beschwerdeführerin allein.
Die Entwicklung des Kindes sei bereits beeinträchtigt. Es verweigere häufiger das Essen, zeige
aggressives Verhalten gegenüber anderen Kindern und Erzieherinnen, wenn diese ihr Grenzen
setzten, außerdem halte es die Hände über den Kopf und zucke bei jeder schnellen Bewegung
oder einem etwas lauteren Ton zusammen. Es sei auch nicht hilfreich, das Kind bei einer
Verwandten, etwa der Großmutter, unterzubringen. Denn das Kind habe sich gerade in seiner
neuen Umgebung eingelebt. Bei einer Änderung müsse es erneut die Bezugspersonen
wechseln. Außerdem sei damit zu rechnen, dass die Beschwerdeführerin bei einer
Unterbringung bei Verwandten weiterhin starken Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben
würde.
7
c) Die Beschwerdeführer legten gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Beschwerde ein und
begehrten abermals, das Kind im Haushalt der Großmutter oder Tante unterzubringen.
8
aa) Das Oberlandesgericht hörte die Beschwerdeführer, die Großmutter, die Tante, einen
Vertreter des Jugendamts sowie die Ergänzungspflegerin an.
9
bb) Mit angegriffenem Beschluss vom 4. Oktober 2013 beschränkte das Oberlandesgericht die
einstweilige Entziehung des Sorgerechts auf die Bereiche Aufenthaltsbestimmung,
Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Antragstellung nach §§ 27 f. SGB VIII und wies die
Beschwerde im Übrigen zurück.
10
Nach den Feststellungen des Jugendamts habe das Kind Verhaltensauffälligkeiten gezeigt. Es
habe sich nach den Beobachtungen in der Kindertagesstätte aggressiv gegenüber anderen
Kindern und Erzieherinnen verhalten und halte bei jeder schnellen Bewegung oder einem etwas
lauteren Ton die Hände über den Kopf und zucke zusammen. Nach einem von der
Ergänzungspflegerin überreichten Kurzbericht der Psychologin des Kinderheims vom 10.
September 2013 fänden sich bei dem Kind klinisch auffällige Verhaltensweisen im Bereich des
oppositionell-aggressiven Verhaltens bei gleichzeitig gering ausgeprägten sozialen
Kompetenzen. Das Kind scheine auf Erlebtes zurückzugreifen, ein Zusammenhang mit der
Erkrankung der Mutter in ihren depressiven und aggressiven Anteilen sei anzunehmen.
11
Das Oberlandesgericht ging davon aus, dass bei einem Verbleib im elterlichen Haushalt eine
konkrete Gefahr für die Entwicklung des Kindes im Sinne des § 1666 BGB bestünde, und dass
die Verhaltensauffälligkeiten des Kindes nach dem Stand des summarischen Verfahrens auf
dem Verhalten der Eltern beruhten. Nach den Beobachtungen der Familienhelferin sei es immer
wieder zu erheblichen Streitigkeiten der Eltern gekommen. Nach den Angaben des Arztes des
Gesundheitsamts leide die Beschwerdeführerin an einer emotional instabilen
Persönlichkeitsstörung; sie sei in ihrer Erziehungsfähigkeit aufgrund eines
Mentalisierungsdefizits, einer Affektregulationsbeeinträchtigung und einer Impulsstörung
erheblich beeinträchtigt. Nach dem Entlassungsbericht der Klinik, in die sich die
Beschwerdeführerin im Sommer 2012 für sechs Wochen mit ihrer Tochter begeben hatte, weise
die Beschwerdeführerin eine emotionale instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ
auf. Ob diese Annahmen zuträfen oder es der Beschwerdeführerin wieder gut gehe, sei im
Hauptsacheverfahren durch Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zu klären. Mildere
Mittel als die Heimunterbringung seien nicht vorhanden.
12
2. Die Beschwerdeführer haben Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der sie eine Verletzung
von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GG rügen. Sie legen dar, dass eine Gefährdung des
Kindeswohls, die eine Trennung des Kindes von den Eltern rechtfertigen könnte, nicht
festgestellt worden sei. Die Fachgerichte hätten es versäumt, die von Dritten beschriebenen
Gefahren einer eigenen, spezifisch rechtlichen Beurteilung zu unterziehen. Die Gefahr sei nicht
derart dringend gewesen, dass die Trennung im Wege der einstweiligen Anordnung hätte
erfolgen dürfen. Die Fachgerichte hätten gar nicht geprüft, ob ein Aufschub bis zur vollständigen
Sachverhaltsklärung möglich gewesen wäre. Die Entscheidungen seien außerdem
unverhältnismäßig. Die Maßnahme sei nicht geeignet, die Situation des Kindes zu verbessern.
Die Fachgerichte hätten sich mit den erheblichen traumatisierenden Folgen einer plötzlichen, für
ein Kleinkind unverständlichen und überfallartigen Herausnahme aus dem elterlichen Haushalt
überhaupt nicht befasst. Es sei zudem nicht nach milderen Mitteln gesucht worden.
13
3. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen, das Jugendamt, die Ergänzungspflegerin und die
Verfahrensbeiständin des Kindes aus dem Ausgangsverfahren hatten Gelegenheit zur
Stellungnahme. Die Akten des familiengerichtlichen Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.
II.
14
1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, soweit
sie sich gegen die zweite Entscheidung des Amtsgerichts und gegen die Entscheidung des
Oberlandesgerichts richtet, weil dies zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Elternrechts der
Beschwerdeführer angezeigt ist, § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG. Diese Entscheidung kann
von der Kammer getroffen werden, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch
das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden und die Verfassungsbeschwerde danach
offensichtlich begründet ist, § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG.
15
2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist insoweit begründet, weil die Entscheidung des
Amtsgerichts vom 4. Juli 2013 und die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 4. Oktober
2013 die Beschwerdeführer in ihrem grundrechtlich geschützten Elternrecht verletzen (Art. 6 Abs.
2 Satz 1 GG). Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung
ihres Kindes. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des
Sorgerechts, ohne die Elternverantwortung nicht ausgeübt werden kann (vgl. BVerfGE 84, 168
<180>; 107, 150 <173>). Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern stellt den stärksten
Eingriff in dieses Recht dar. Sie ist nach Art. 6 Abs. 3 GG allein zu dem Zweck zulässig, das Kind
vor nachhaltigen Gefährdungen zu schützen (a) und darf nur unter strikter Beachtung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen (b). Dem genügen die beiden Entscheidungen
nicht.
16
a) Den Entscheidungen ist nicht mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, dass eine die
Trennung des Kindes von den Eltern rechtfertigende Kindeswohlgefährdung vorliegt. An die
Annahme einer solchen Kindeswohlgefährdung sind von Verfassungs wegen strenge
Anforderungen zu stellen (aa). Dem genügen die zweite Entscheidung des Amtsgerichts (bb)
und die Entscheidung des Oberlandesgerichts (cc) nicht. Dass eine die Trennung
rechtfertigende Gefahr des Kindeswohls besteht, liegt angesichts der fachgerichtlichen
Feststellungen auch nicht so offen zu Tage, dass sich nähere Ausführungen der Gerichte
ausnahmsweise erübrigen könnten (dd).
17
aa) Der verfassungsgerichtlichen Überprüfung eines Sorgerechtsentzugs liegen besondere
Maßstäbe zugrunde. Die Annahme einer - die Trennung des Kindes von den Eltern allein
rechtfertigenden - Kindeswohlgefährdung unterliegt strengen Voraussetzungen (1). Damit
verbunden sind hohe Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung, die grundsätzlich auch im
fachgerichtlichen Eilverfahren gelten (2). Gerichtliche Entscheidungen über eine die Trennung
des Kindes von den Eltern vorbereitende Sorgerechtsentziehung unterliegen intensiver
Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht (3).
18
(1) Soweit es um die Trennung des Kindes von seinen Eltern geht, ist die Sorgerechtsentziehung
verfassungsrechtlich nur bei einer Gefährdung des Kindeswohls zu rechtfertigen, an deren
Annahme strenge Anforderungen zu stellen sind. Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern
ist allein zu den in Art. 6 Abs. 3 GG genannten Zwecken zulässig. Danach darf ein Kind gegen
den Willen des Sorgeberechtigten nur von der Familie getrennt werden, wenn die
Erziehungsberechtigten versagen oder wenn das Kind aus anderen Gründen zu verwahrlosen
droht. Dabei berechtigen nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern den Staat, auf
der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramts die Eltern
von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu
übernehmen (vgl. BVerfGE 24, 119 <144 f.>; 60, 79 <91>). Es gehört nicht zur Ausübung des
Wächteramts des Staates, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der
Fähigkeiten des Kindes zu sorgen. Das Grundgesetz hat die primäre
Entscheidungszuständigkeit von Eltern zur Förderung ihres Kindes anerkannt. Dabei wird auch
in Kauf genommen, dass Kinder durch Entscheidungen der Eltern wirkliche oder vermeintliche
Nachteile erleiden (vgl. BVerfGE 60, 79 <94>). Um eine Trennung des Kindes von den Eltern zu
rechtfertigen, muss das elterliche Fehlverhalten vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass
das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen
Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>). Ihren einfachrechtlichen Ausdruck hat
diese Anforderung in § 1666 Abs. 1 BGB gefunden. Die Annahme einer nachhaltigen
Gefährdung des Kindes setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder
eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren
Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl.
BVerfGK 19, 295 <301>; BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2004 - XII ZB 166/03 -, FamRZ
2005, S. 344 <345>).
19
(2) (a) Neben diesen materiellrechtlichen Vorgaben kommt auch der Ausgestaltung des
gerichtlichen Verfahrens hohe Bedeutung für die Gewährleistung effektiven
Grundrechtsschutzes zu (vgl. BVerfGE 63, 131 <143>). In Sorgerechtsverfahren haben die
Familiengerichte das Verfahren so zu gestalten, dass es geeignet ist, eine möglichst
zuverlässige Grundlage zu schaffen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>). Damit sind hohe
Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung gestellt, die so erfolgen muss, dass sich die
materiellrechtlich geforderte hohe Prognosesicherheit („mit ziemlicher Sicherheit“, vgl. BVerfGK
19, 295 <301>) tatsächlich erzielen lässt.
20
(b) Steht wie hier eine Entscheidung im Eilverfahren in Rede, bleiben die praktisch verfügbaren
Aufklärungsmöglichkeiten angesichts der spezifischen Eilbedürftigkeit dieser Verfahren
allerdings regelmäßig hinter den im Hauptsacheverfahren bestehenden Möglichkeiten zurück.
Eine Sorgerechtsentziehung aufgrund summarischer Prüfung im Wege der einstweiligen
Anordnung ist damit zwar nicht ausgeschlossen. Sie unterliegt jedoch besonderen
verfassungsrechtlichen Anforderungen.
21
(aa) Generell ist die Frage, wie weit die Sachverhaltsermittlung im Eilverfahren reichen muss, in
Ansehung der gegen und für eine Eilmaßnahme sprechenden Grundrechte zu beantworten. Je
schwerer die dem Einzelnen auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahme
Unabänderliches bewirkt, umso gesicherter muss die Tatsachengrundlage des
Grundrechtseingriffs sein (vgl. BVerfGE 67, 43 <58 f.>; 69, 315 <363 f.>; BVerfG, Beschluss der
2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Januar 2008 - 1 BvR 2911/07 -, juris, Rn. 25).
Andererseits kann umso eher auf ungesicherter Tatsachengrundlage entschieden werden, je
schwerer das zu schützende Rechtsgut wiegt und je eilbedürftiger die Entscheidung ist.
22
(bb) Danach bemisst sich die gebotene Intensität der Sachverhaltsermittlung im Fall des
Sorgerechtsentzugs im Eilverfahren einerseits nach dem Recht der Eltern, von einem
unberechtigten Sorgerechtsentzug verschont zu bleiben (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und
andererseits nach dem Recht des Kindes, durch die staatliche Gemeinschaft vor nachhaltigen
Gefahren, insbesondere für sein körperliches Wohl geschützt zu werden, die ihm im elterlichen
Haushalt drohen (Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG). Von einer unberechtigten
Trennung von den Eltern verschont zu bleiben, liegt im Übrigen auch im durch das Grundrecht
auf Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG,
vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 19. Februar 2013 - 1 BvL 1/11 u.a. -, juris, Rn. 41 ff.;
Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 -, juris, Rn. 101) geschützten
Interesse des Kindes.
23
Weil bereits der vorläufige Entzug des Sorgerechts einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte
der Eltern und des Kindes darstellt und weil schon die vorläufige Herausnahme des Kindes aus
der Familie Tatsachen schaffen kann, welche später nicht ohne Weiteres rückgängig zu machen
sind, sind grundsätzlich auch bei einer Sorgerechtsentziehung im Eilverfahren hohe
Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung zu stellen. Sie sind umso höher, je geringer der
möglicherweise eintretende Schaden des Kindes wiegt und in je größerer zeitlicher Ferne der zu
erwartende Schadenseintritt liegt. So fehlt es regelmäßig an der gebotenen Dringlichkeit einer
Maßnahme, wenn sich die drohenden Beeinträchtigungen erst über längere Zeiträume
entwickeln und sich die Gefährdungslage im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht derart
verdichtet hat, dass ein sofortiges Einschreiten geboten wäre.
24
Ohne weitergehende Sachverhaltsaufklärung können die Gerichte angesichts besonderer
Schwere und zeitlicher Nähe der dem Kind drohenden Gefahr eine Trennung des Kindes von
seinen Eltern allerdings dann veranlassen, wenn die Gefahr wegen der Art der zu erwartenden
Schädigung des Kindes und der zeitlichen Nähe des zu erwartenden Schadenseintritts ein
sofortiges Einschreiten gebietet. Ein sofortiges Einschreiten aufgrund vorläufiger
Ermittlungsergebnisse kommt im Eilverfahren etwa bei Hinweisen auf körperliche
Misshandlungen, Missbrauch oder gravierende, gesundheitsgefährdende Formen der
Vernachlässigung in Betracht.
25
(3) Bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung eines die Trennung des Kindes von den Eltern
vorbereitenden Sorgerechtsentzugs kommt ein strenger Kontrollmaßstab zur Anwendung. Zwar
sind die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und die Würdigung des Tatbestandes
sowie die Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Regelungen im
einzelnen Fall grundsätzlich Angelegenheit der zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung
durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Dem Bundesverfassungsgericht obliegt im
Regelfall lediglich die Kontrolle, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen
lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts
oder vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen (vgl. BVerfGE 72, 122 <138>; stRspr). Bei
gerichtlichen Entscheidungen, die Eltern zum Zweck der Wegnahme des Kindes das Sorgerecht
für ihr Kind entziehen, besteht hingegen wegen des sachlichen Gewichts der Beeinträchtigung
der Grundrechte von Eltern und Kind Anlass, über den grundsätzlichen Prüfungsumfang
hinauszugehen (vgl. BVerfGE 55, 171 <181>; 75, 201 <221 f.>). Vor allem prüft das
Bundesverfassungsgericht, ob das Familiengericht in nachvollziehbarer Weise angenommen
hat, es bestehe eine nachhaltige Gefährdung des Kindeswohls und diese sei nur durch die
Trennung des Kindes von den Eltern, nicht aber durch weniger intensiv eingreifende
Maßnahmen abwendbar. Dabei kann sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle wegen des
besonderen Eingriffsgewichts ausnahmsweise auch auf einzelne Auslegungsfehler (vgl.
BVerfGE 60, 79 <91>; 75, 201 <222>) sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und
Würdigung des Sachverhalts erstrecken.
26
bb) Die Entscheidung des Amtsgerichts vom 4. Juli 2013 verletzt das Grundrecht der Eltern aus
Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Das Gericht hat - auch nach eigener Einschätzung - nicht auf gesicherter
Ermittlungsgrundlage entschieden; es beabsichtigt, das aus seiner Sicht notwendige
Sachverständigengutachten, das sowohl psychiatrischen wie familienpsychologischen
Sachverstand erfordere, erst in einem Hauptsacheverfahren einzuholen. Wegen der Intensität
des Grundrechtseingriffs durfte der die Wegnahme des Kindes vorbereitende Sorgerechtsentzug
auf diesen vorläufigen Ermittlungsstand nur dann gestützt werden, wenn die Gefahr einer
schweren und zeitlich nahen Kindeswohlgefahr bestand, die ein Abwarten der
Hauptsacheentscheidung ausschloss. Das Gericht hat das Bestehen einer solchen
Kindeswohlgefahr nicht nachvollziehbar festgestellt. Es geht davon aus, dass die
Beschwerdeführer bisher nicht in der Lage waren, ihr Verhalten gegeneinander und gegenüber
dem Kind so zu steuern, dass eine Kindeswohlgefährdung vermieden wurde. Die Entwicklung
des Kindes sei bereits beeinträchtigt. Das Kind verweigere häufiger das Essen, zeige
aggressives Verhalten gegenüber anderen Kindern und Erzieherinnen, wenn diese ihr Grenzen
setzten und halte bei jeder schnellen Bewegung oder einem etwas lauteren Ton die Hände über
den Kopf und zucke zusammen. Die Beschwerdeführerin sei wegen ihrer Erkrankung
gegenwärtig nicht in der Lage, das Kind so zu betreuen, dass das Kindeswohl ausreichend
gesichert sei. Mit diesen Ausführungen benennt das Gericht weder die konkrete Art und das
Gewicht der Gefahren, die dem Kind bei einem Verbleib im elterlichen Haushalt drohen könnten,
noch erfolgt eine richterliche Einschätzung der zeitlichen Dringlichkeit der Fremdunterbringung.
Beides wäre angesichts des lediglich vorläufigen Ermittlungsstands, welcher der Entscheidung
zugrunde lag, verfassungsrechtlich notwendig gewesen. Da das Kind zu diesem Zeitpunkt
bereits aus dem elterlichen Haushalt herausgenommen und die unterstellte Kindeswohlgefahr
damit vorläufig gebannt war, stand das Amtsgericht - anders als bei der ersten Entscheidung
(s.u., III.) - auch nicht unter solch außergewöhnlichem Zeitdruck, dass sich die notwendigen
richterlichen Ermittlungen, Darlegungen und Einschätzungen ausnahmsweise erübrigten.
27
cc) Auch anhand der Begründung der Entscheidung des Oberlandesgerichts lässt sich nicht
nachvollziehen, worin die sachliche und zeitliche Dringlichkeit einer Trennung des Kindes von
seinen Eltern zu sehen ist, die den Sorgerechtsentzug auf Grundlage des nach wie vor lediglich
vorläufig ermittelten Sachverhalts allein rechtfertigen könnte. Das Gericht spricht von einer
konkreten Gefahr für die Entwicklung des Kindes, ohne jedoch die Art der Gefahr und die
zeitliche Dringlichkeit der Herausnahme des Kindes zu spezifizieren. Das Gericht erwähnt zwar
Berichte über psychische Erkrankungen der Beschwerdeführerin, über erhebliche Streitigkeiten
der Eltern und über auffällige Verhaltensweisen des Kindes im Bereich des oppositionell-
aggressiven Verhaltens bei gering ausgeprägten sozialen Kompetenzen. Auch insoweit
unterbleiben aber eine Benennung und Bewertung der Art des dem Kind im elterlichen Haushalt
drohenden Schadens. Dass dem Kind ein schwerer Schaden droht, der ein sofortiges
Einschreiten wegen der zeitlichen Nähe des Schadenseintritts erforderte, wird auch nicht durch
die bloße Wiedergabe der Beobachtung begründet, das Kind halte bei jeder schnellen
Bewegung oder einem etwas lauteren Ton die Hände über den Kopf und zucke zusammen.
28
dd) Dass dem Kind im Haushalt der Eltern in naher Zukunft eine schwere Gefahr drohte, ist nach
den bisherigen Ermittlungsergebnissen auch nicht solchermaßen offenkundig, dass nähere
Ausführungen der Gerichte verfassungsrechtlich entbehrlich wären. Der von den Gerichten
benannte, aber nicht weiter analysierte Umstand, dass mehreren Betreuern des Mädchens
schreckhafte Reaktionen auf laute Ansprache, teilweise auch auf schnelle Bewegungen
aufgefallen waren, mag die Vermutung erlauben, das Kind habe körperliche Gewalt erlebt, lässt
darauf ohne nähere Erläuterungen jedoch nicht hinreichend deutlich schließen. Weder das
psychiatrische Gutachten des Gesundheitsamts noch die langjährige Familienhelferin hatten
berichtet, dass es in der Vergangenheit zu körperlicher Gewalt der Beschwerdeführerin gegen
das Kind gekommen sei. Laut Antragsschrift des Jugendamts hat die Beschwerdeführerin selbst
von einer Ohrfeige berichtet, die sie ihrer Tochter (wohl im Jahr 2011) gegeben habe, als sie sich
überfordert gefühlt habe. Sie habe ihr Fehlverhalten bedauert und sich dafür geschämt. Für eine
darüber hinausgehende Gewalttätigkeit gegenüber ihrer Tochter spricht dies nicht; auch sonst ist
nichts ersichtlich, was hierauf mit hinreichender Sicherheit schließen ließe.
29
b) Inwieweit die zweite Entscheidung des Amtsgerichts und die Entscheidung des
Oberlandesgerichts darüber hinaus den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzen (siehe
dazu BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2014 - 1 BvR 160/14 -,
juris), bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Sofern das Oberlandesgericht die
Fremdunterbringung des Kindes weiterhin für geboten erachten sollte, wird es insoweit prüfen
müssen, ob die Großmutter des Mädchens oder seine Tante zum Ergänzungspfleger zu
bestellen sind. Die Unterbringung des Kindes bei Verwandten kann im Vergleich zur
Heimunterbringung eine Eltern und Kind weniger stark belastende Maßnahme sein. Ist die
Verwandtenunterbringung zur Abwendung der Kindeswohlgefahr ebenso geeignet, genügt die
Heimunterbringung nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
30
Die vom Amtsgericht und vom Oberlandesgericht angeführten Gründe dafür, warum von einer
Bestellung der Verwandten als Ergänzungspfleger abzusehen sei, begegnen teilweise
erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gilt etwa für die Erwägung, das Mädchen
habe sich gerade in ihrer neuen Umgebung eingewöhnt und ein erneuter Aufenthaltswechsel
belaste das Kind. Das Kind ist in einer sogenannten Kriseninterventionsgruppe untergebracht,
die keine Dauerlösung bietet, so dass dem Kind ohnehin ein weiterer Wechsel bevorsteht.
Davon abgesehen kann das Argument der Eingewöhnung in den Fällen einer auf vorläufiger
Sorgerechtsentziehung beruhenden Fremdunterbringung grundsätzlich nicht durchgreifen, weil
damit Entscheidungen, die im Eilverfahren auf wenig gesicherter tatsächlicher Grundlage gefällt
werden, faktisch endgültig zu werden drohen, da sie die Voraussetzungen für den Fortbestand
der Trennung schaffen. Auch das Argument, es sei damit zu rechnen, dass die
Beschwerdeführerin bei einer Verwandtenunterbringung weiterhin starken Einfluss auf die
Entwicklung des Kindes haben würde, begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Diese
Aussage geht darüber hinweg, dass die Verwandtenunterbringung gerade auch deshalb ein
milderes Mittel darstellt, weil sie es den Eltern ermöglicht, den Kontakt zum Kind leichter zu
halten und dessen Entwicklung weiter zu beeinflussen, soweit dies dem Kindeswohl nicht
schadet.
III.
31
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, soweit die
Beschwerdeführer sich gegen die Entscheidung des Amtsgerichts vom 24. Mai 2013 wenden.
Insoweit kommt der Sache weder grundlegende Bedeutung zu noch ist die Annahme der
Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer angezeigt.
Diese Entscheidung ist verfassungsgemäß.
32
Die Annahme des Amtsgerichts in seiner Entscheidung vom 24. Mai 2013, es liege eine die
Trennung des Kindes von den Eltern rechtfertigende Kindeswohlgefährdung vor, hält
verfassungsrechtlicher Kontrolle am Maßstab des Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG noch stand.
33
Die Entscheidung des Amtsgerichts beruht auf summarischer Prüfung, die sich in tatsächlicher
Hinsicht allein auf die Antragsschrift des Jugendamts und die psychiatrische Stellungnahme des
Gesundheitsamts stützt. Das Gericht hätte eine weitergehende Sachverhaltsaufklärung zur
Frage der Kindeswohlgefahr in der kurzen Zeit, die zwischen dem am Freitag dem 24. Mai 2013
beim Amtsgericht eingegangenen Antrag des Jugendamts und der vom Jugendamt für den
Vormittag des Montags den 27. Mai 2013 geplanten Herausnahme des Kindes aus dem
elterlichen Haushalt verblieb, kaum vornehmen können.
34
Den Ausführungen des Amtsgerichts ist die angesichts dieser noch sehr ungewissen
Ermittlungslage verfassungsrechtlich geforderte Dringlichkeit der Herausnahme des Kindes aus
dem elterlichen Haushalt zwar nicht unmittelbar zu entnehmen. Es benennt die Gefahren für das
Kindeswohl nur sehr allgemein und verzichtet auf eine Bewertung ihrer Schwere und
Dringlichkeit. Das Amtsgericht mag aus den in seiner Entscheidung in Bezug genommenen
Ausführungen des Jugendamts und des Gesundheitsamts jedoch die Möglichkeit einer jederzeit
aktualisierbaren Gefahr für Leib und Leben des Kindes abgeleitet haben. Das Jugendamt hat
unter Verweis auf die psychiatrische Stellungnahme des Gesundheitsamts ausgeführt, eine
akute Kindeswohlgefährdung werde eintreten, wenn die Beschwerdeführerin ihre wiederholt
geäußerten Tötungsphantasien im Rahmen von krisenhaften Konflikten oder überfordernden
Kontextänderungen nicht mehr kontrollieren könne. Zwar findet diese Einschätzung in den vom
Jugendamt wiedergegebenen Aussagen keine hinreichende Grundlage. Dort wird über früher
geäußerte Tötungsgedanken und fremdaggressives Verhalten gegenüber dem Ehemann
berichtet, was zu einem Klinikaufenthalt im Sommer 2011 führte. Laut Klinik sind
fremdaggressive Impulse gegenüber dem Kind jedoch tatsächlich nicht aufgetreten. Das
Jugendamt erwähnt in seiner Antragsschrift einen Bericht der Familienhelferin, die
Beschwerdeführerin habe das Foto eines zu Tode gekommenen Mädchens aufgestellt, weil ihr
der Fall sehr nahe gehe, und sie spreche darüber, dass ihr das vor zwei Jahren auch hätte
passieren können. Dies lässt aber nicht den Schluss auf eine auch nur halbwegs reale, aktuelle
Tötungsneigung gegenüber dem Kind zu. Zu Recht wurde dieser Aspekt weder in der zweiten
Entscheidung des Amtsgerichts noch in der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts
aufgegriffen, die beide nicht unter demselben Zeitdruck getroffen werden mussten, unter dem
das Amtsgericht hier stand.
35
Angesichts einer sehr hohen Schadensintensität, die durch den Antragsschriftsatz des
Jugendamts angedeutet war, ist die Annahme, das Kind müsse zur Abwendung einer Gefahr für
Leib und Leben sofort aus der Familie herausgenommen werden, noch nachvollziehbar. Wegen
des besonderen Zeitdrucks genügt insoweit ausnahmsweise auch die bloße Bezugnahme auf
die Ausführungen des Jugendamts und die psychiatrische Stellungnahme durch das Gericht
noch verfassungsrechtlichen Anforderungen.
IV.
36
1. Es wird lediglich der Beschluss des Oberlandesgerichts, soweit er die Entziehung des
Sorgerechts bestätigt, aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das
Oberlandesgericht zurückverwiesen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), weil er dem Interesse der
Beschwerdeführer, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten
(vgl. BVerfGE 84, 1 <5>; 94, 372 <400>), am besten dient.
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2. Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfGE 105, 197 <235>; stRspr).
38
3. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
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Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14
Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).
Kirchhof
Eichberger
Britz