Urteil des BVerfG vom 23.04.2014

BVerfG: verfassungsbeschwerde, zweitwohnung, vermieter, nichteröffnung, willkür, zugang, eigentumsgarantie, gewährleistung, entzug, rechtsschutz

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2851/13 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau W…
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Hiddemann, Kleine-Cosack,
Maria-Theresia-Straße 2, 79102 Freiburg -
gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. August 2013 - 67 S
121/12 -
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Gaier,
Schluckebier,
Paulus
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.
August 1993 (BGBl I S. 1473) am 23. April 2014 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
1
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist ein Räumungsurteil nach Kündigung einer
gemieteten Wohnung wegen Eigenbedarfs.
2
1. Die Beschwerdeführerin mietete 1987 eine 57,48 qm große Wohnung in B., deren Eigentümer
seit 1997 der Kläger des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Kläger) ist. Er lebte bis zum Jahr
2008 ebenfalls in B. und verzog dann mit seiner Ehefrau und den vier gemeinsamen Kindern
nach H.
3
Der Kläger kündigte mit Schreiben vom 31. März 2010 das mit der Beschwerdeführerin
bestehende Mietverhältnis - unter anderem - wegen Eigenbedarfs. Hinsichtlich des Eigenbedarfs
führte er aus, er sei mit seiner Familie berufsbedingt umgezogen, habe in B. allerdings eine im
Jahr 1999 geborene, nichteheliche Tochter, für die er gemeinsam mit der Kindesmutter das
Umgangs- und Sorgerecht habe. Um dieses auszuüben, sei es erforderlich, dass er sich
regelmäßig über mehrere Tage in B. aufhalte. Hierfür benötige er die an die Beschwerdeführerin
vermietete Wohnung.
4
2. Die Räumungsklage des Klägers wurde mit Urteil des Amtsgerichts vom 6. Februar 2012
abgewiesen. Auf die Berufung beider Parteien wurde die Beschwerdeführerin mit dem
angegriffenen Urteil des Landgerichts vom 22. August 2013 zur Räumung und Herausgabe der
Wohnung verurteilt.
5
In den Entscheidungsgründen heißt es unter anderem, der Eigennutzungswunsch eines
Eigentümers sei grundsätzlich zu respektieren. Zum Schutz des Mieters dürfe er lediglich auf
seine Ernsthaftigkeit überprüft werden und darauf, ob er missbräuchlich geltend gemacht werde
oder ob der Wohnungswunsch durch eine andere Wohnung des Vermieters befriedigt werden
könne. Hier habe der Kläger nachvollziehbare, gewichtige Gründe dargetan und bewiesen, von
deren Ernsthaftigkeit die Kammer überzeugt sei.
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Die Revision sei nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 der
Zivilprozessordnung (ZPO) nicht gegeben seien. Die Rechtssache habe keine grundsätzliche
Bedeutung. Es sei nicht erforderlich, die Revision zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
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3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 14
Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.
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Der Kläger habe keine ausreichenden Gründe für die Annahme eines Eigenbedarfs vorgetragen.
Das Landgericht habe den Interessen des Klägers in unverhältnismäßiger Weise und ohne
sorgfältige Abwägung Vorrang gegenüber den Interessen der Beschwerdeführerin eingeräumt.
Der Kläger beabsichtige allenfalls eine seltene Nutzung der von ihr innegehaltenen Wohnung
als Zweitwohnung. Im Regelfall stehe die Wohnung leer. Überdies lasse das Urteil des
Landgerichts nicht erkennen, aus welchen Gründen die Revision nicht zugelassen worden sei.
Eine Zulassung habe indes nahe gelegen. Das Urteil bedrohe die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung; denn nach der bisherigen Rechtsprechung komme eine
Eigenbedarfskündigung nicht in Betracht, wenn eine Wohnung nur wenige Tage genutzt werde.
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4. Während die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Berlin von einer
Äußerung ausdrücklich abgesehen hat, sind zum vorliegenden Verfahren folgende
Stellungnahmen abgegeben worden:
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a) Der Bundesgerichtshof vertritt die Auffassung, ein Grund für die Revisionszulassung liege
nicht vor. Insbesondere komme der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu. Durch die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs seien die
wesentlichen Fragen der Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (BGB) geklärt. Danach reiche es aus, dass der kündigende Vermieter vernünftige,
nachvollziehbare Gründe für die Inanspruchnahme des Wohnraums für sich oder eine
begünstigte Person habe. Die vorliegend maßgebliche Frage, ob dies auch im Falle einer
beabsichtigten Nutzung als Zweitwohnung gelte, hänge von der dem Tatrichter obliegenden
Würdigung der Umstände des Einzelfalles ab und sei einer verallgemeinernden, die
Revisionszulassung rechtfertigenden Betrachtungsweise nicht zugänglich. Die Revision sei
ferner nicht zur Fortbildung des Rechts zuzulassen gewesen, denn der zu entscheidende
Einzelfall gebe angesichts der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
keine Veranlassung, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen
oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen. Schließlich liege auch
kein Fall der Divergenz vor. Das Landgericht habe in seiner Entscheidung bereits keinen
abstrakten Rechtssatz aufgestellt.
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b) Die Bundesrechtsanwaltskammer ist der Ansicht, die angegriffene Entscheidung sei
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Namentlich sei eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1
Satz 2 GG durch die Nichtzulassung der Revision nicht hinreichend substantiiert dargelegt
worden.
12
c) Auch nach Einschätzung des Deutschen Anwaltvereins e.V. ist die Verfassungsbeschwerde
nicht begründet; denn das Landgericht habe sich bei seiner Entscheidung in Übereinstimmung
mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von der verfassungsgemäßen
Erwägung leiten lassen, dass die Fachgerichte den gefassten Selbstnutzungsentschluss
grundsätzlich zu akzeptieren und ihrer Rechtsfindung zugrunde zu legen hätten. Auch die
Nichtzulassung der Revision sei nicht zu beanstanden. Eine Zulassung des Rechtsmittels habe
nicht nahe gelegen. Die Rechtssache habe keine grundsätzliche Bedeutung, weil es sich, wie
die Urteilsbegründung deutlich zeige, um eine Einzelfallentscheidung gehandelt habe.
13
d) Hingegen führt der Deutsche Mietgerichtstag e.V. in seiner Stellungnahme aus, wegen der
Verschiedenheit der Lebensverhältnisse falle es schwer, die Anforderungen an eine wirksame
Eigenbedarfskündigung einheitlich festzulegen. Die Revision hätte zugelassen werden müssen,
weil die Beantwortung der Frage, ob bei zeitweisem Nutzungswillen ein Benötigen im Sinne des
§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB vorliege, grundsätzliche Bedeutung habe und höchstrichterlich ungeklärt
sei. Zudem hätte eine Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung zugelassen werden müssen, weil die Instanzrechtsprechung sehr zersplittert
sei und eine einheitliche Grundlage vermissen lasse. Mit ähnlicher Begründung hält auch der
Deutsche Mieterbund e.V. eine Zulassung der Revision für geboten.
14
e) Der Verband Haus & Grund Deutschland und der Kläger des Ausgangsverfahrens betonen,
das Gericht habe die Entscheidung des Vermieters über seinen Wohnbedarf grundsätzlich zu
respektieren.
15
5. Die Akten des Ausgangsverfahrens waren beigezogen.
II.
16
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen
des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist
insbesondere nicht zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt. Die
Verfassungsbeschwerde hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung von
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG rügt; im Übrigen ist sie unzulässig.
18
Die Verfassungsbeschwerde kann, soweit eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gerügt
wird, trotz einiger Begründungsdefizite den Anforderungen der §§ 92, 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG
noch genügen. Soweit die Beschwerdeführerin aber eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG rügt,
entspricht sie den Substantiierungserfordernissen nicht; insoweit ist die Verfassungsbeschwerde
unzulässig.
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Dass die Auslegung des einschlägigen Gesetzesrechts durch das Fachgericht Fehler erkennen
lasse, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der
Eigentumsgarantie beruhen könnten, wird nicht dargelegt. Insbesondere setzt sich die
Beschwerdeführerin allenfalls oberflächlich und keineswegs hinreichend mit der umfangreichen
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Voraussetzungen einer
Eigenbedarfskündigung auseinander (vgl. BVerfGE 68, 361 <367 ff.>; 79, 292 <303 ff.>; 89, 1
<6 ff.>; 89, 237 <241 ff.>).
20
Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die im Rahmen der Beweiswürdigung getroffenen
Feststellungen des Landgerichts wendet, legt sie weder dar, dass relevanter eigener Vortrag im
fachgerichtlichen Verfahren übergangen worden sei, noch trägt sie vor, dass sie mittels eigener
Beweisangebote oder Anträge das ihr Mögliche und Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts
durch das Gericht beigetragen habe. Auch dass das Landgericht bei der Beweiswürdigung
gegen Denkgesetze verstoßen haben könnte, wird weder dargelegt noch ist dies - auch
angesichts des Umstands, dass das Protokoll zur Beweisaufnahme nicht vorgelegt worden ist -
ersichtlich.
21
2. Soweit die Verfassungsbeschwerde hiernach zulässig ist, bleibt sie in der Sache ohne Erfolg.
Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Entscheidung des Landgerichts verletzt die
Beschwerdeführerin nicht in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2
GG.
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a) Wird in einem Urteil von der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit der Zulassung der Revision
kein Gebrauch gemacht, so verstößt dies grundsätzlich dann gegen die Gewährleistung des
gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn sich die Entscheidung insoweit als
objektiv willkürlich erweist und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert (vgl.
BVerfGE 42, 237 <241>; 67, 90 <94 f.>; 87, 282 <284 f.>; zu einer Verletzung von Art. 19 Abs. 4
GG durch die Nichtzulassung eines Rechtsmittels: BVerfGE 125, 104 <137>; BVerfG, Beschluss
des Ersten Senats vom 16. Juli 2013 - 1 BvR 3057/11 -, NJW 2013, S. 3506). Hierfür genügt die
nur einfachrechtlich fehlerhafte Handhabung der maßgeblichen Zulassungsvorschriften noch
nicht (vgl. BVerfGE 67, 90 <95>; 87, 282 <284 f.>; BVerfGK 2, 202 <204>). Eine fehlerhafte
Auslegung eines Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkürlich
ist ein Richterspruch vielmehr nur, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar
ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl.
BVerfGE 4, 1 <7>; 80, 48 <51> zu Art. 3 Abs. 1 GG). Dabei steht es der Annahme einer
willkürlichen Entscheidung entgegen, wenn sich das Gericht mit der Rechtslage eingehend
auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (vgl.
BVerfGE 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203> zu Art. 3 Abs. 1 GG). Im vorliegenden Fall ist für eine
willkürliche Nichtzulassung der Revision nichts ersichtlich, insbesondere werden mit der
Verfassungsbeschwerde keine Anhaltpunkte für objektive Willkür des Landgerichts dargetan.
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b) Auch unter einem weiteren Gesichtspunkt kann die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg
haben. Zwar kommt eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls in Betracht, wenn die Entscheidung des Gerichts über
die Nichtzulassung nicht näher begründet ist, obwohl die Zulassung des Rechtsmittels nahe
gelegen hätte (vgl. BVerfGK 19, 364 <367>). Die Voraussetzungen eines solchen
verfassungsrechtlich relevanten Begründungsdefizits sind im vorliegenden Fall jedoch ebenso
wenig gegeben.
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aa) Letztinstanzliche gerichtliche Entscheidungen, eingeschlossen solche über die
Nichtzulassung der Revision, bedürfen grundsätzlich auch von Verfassungs wegen keiner
Begründung (vgl. BVerfGE 50, 287 <289 f.>). Liegt die Zulassung des Rechtsmittels allerdings
nahe, weil vieles dafür spricht, dass die Voraussetzungen der Revisionszulassung vorliegen, so
verlangt eine die Zulassung dennoch ablehnende Entscheidung eine nachvollziehbare
Begründung, die erkennen lässt, dass die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts auf
sachgerechten Erwägungen beruht (vgl. BVerfGK 2, 202 <204>; 19, 364 <367>). Die
Begründungsobliegenheit folgt in dieser Konstellation im Zivilprozess aus Art. 2 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie, wenn die Nichteröffnung der weiteren Instanz als
Entzug des gesetzlichen Richters gerügt wird, aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Denn ein
Berufungsgericht, das die Revision nicht zulässt, entscheidet, falls die
Nichtzulassungsbeschwerde nicht eröffnet ist, unanfechtbar über die Erreichbarkeit von
höherinstanzlichem Rechtsschutz im konkreten Fall. Nur mittels einer nachvollziehbaren
Begründung sind die Beteiligten und insbesondere das Bundesverfassungsgericht in der Lage
zu überprüfen, ob das Gericht das von der Rechtsordnung nicht nur grundsätzlich eröffnete,
sondern im konkreten Fall auch nahe liegende Rechtsmittel ineffektiv gemacht (vgl. BVerfGK 19,
364 <367>) und damit den Rechtsuchenden den gesetzlichen Richter entzogen hat.
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bb) Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht die Nichtzulassung der Revision nicht mit
einer auf den Einzelfall bezogenen Begründung versehen. Dies führt jedoch nicht zu einer
Verfassungsverletzung; denn die Zulassung der Revision hat nicht im Sinne der einschlägigen
Rechtsprechung nahe gelegen. Dass sich die Voraussetzungen einer Revisionszulassung
gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO in solcher Weise abzeichneten, lässt sich nicht erkennen.
Selbst nach den Darlegungen der Verfassungsbeschwerde ergibt sich weder eine
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO), noch dass die
Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2
Alternative 1 ZPO) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (vgl.
§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 ZPO).
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(1) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs dann, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren
Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte
Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts
berührt (vgl. statt vieler BGHZ 151, 221 <223>). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn zu
ihr unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und noch keine höchstrichterliche
Entscheidung vorliegt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom
8. Dezember 2010 - 1 BvR 381/10 -, NJW 2011, S. 1276 <1277>).
27
Als in diesem Sinne klärungsbedürftig käme vorliegend allenfalls die Frage in Betracht, ob der
bloße Wunsch des Eigentümers nach einer Zweitwohnung die Voraussetzungen des
Eigenbedarfs im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB erfüllen kann, oder ob umgekehrt die
Annahme eines Eigenbedarfs bereits dann ausgeschlossen ist, wenn der Vermieter bereits eine
andere Wohnung besitzt und diese nicht aufgeben, sondern weiterhin nutzen will. Die Zulassung
der Revision unter diesem Gesichtspunkt erscheint allerdings nach der insoweit maßgeblichen
Rechtsprechung der Fachgerichte nicht nahe liegend. Denn die rechtlichen Voraussetzungen
und Grenzen einer Eigenbedarfskündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) sind höchstrichterlich
geklärt, wobei die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Einklang mit den Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts steht. Dass Fachgerichte diese Rechtsprechung in Einzelfällen nicht
beachtet haben oder von ihr abgewichen sind, schafft für sich genommen noch keinen
neuerlichen Klärungsbedarf.
28
(a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (grundlegend BGH,
Rechtsentscheid vom 20. Januar 1988 - VIII ARZ 4/87 -, NJW 1988, S. 904) reicht zwar allein der
Wille des Vermieters, in den eigenen Räumen zu wohnen oder eine der in § 573 Abs. 2 Nr. 2
BGB genannten Personen dort wohnen zu lassen, für die Annahme von Eigenbedarf noch nicht
aus. Ausreichend sind jedoch vernünftige und nachvollziehbare Gründe für die
Inanspruchnahme des Wohnraumes (vgl. BGH, Rechtsentscheid vom 20. Januar 1988 - VIII ARZ
4/87 -, a.a.O.). Weder dem Wortlaut noch dem Zweck der Vorschrift sei - so der
Bundesgerichtshof - zu entnehmen, dass dem Vermieter ein Kündigungsrecht nur zustehe, wenn
er oder eine begünstigte Person einen Mangel an Wohnraum habe oder der Vermieter sich in
einer wohnbedarfstypischen Lage befinde (vgl. BGH, Rechtsentscheid vom 20. Januar 1988 -
VIII ARZ 4/87 -, a.a.O.).
29
Eine weitere grundsätzliche Beschränkung der Eigenbedarfskündigung - etwa die Forderung
nach der Begründung des Lebensmittelpunktes - lässt sich dieser Rechtsprechung nicht
entnehmen. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass der Bundesgerichtshof selbst -
wenngleich die Formulierung eines entsprechenden Rechtssatzes mangels
Entscheidungserheblichkeit unterblieben ist - davon ausgegangen ist, dass auch ein zeitlich
begrenzter Bedarf einer Wohnung die Voraussetzungen der Eigenbedarfskündigung erfüllen
kann (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2004 - VIII ZR 246/03 -, NZM 2005, S. 143).
30
Vor diesem Hintergrund ist weder ersichtlich, dass die in Rede stehende Rechtsfrage nach wie
vor klärungsbedürftig ist, noch dass diese - worauf in verschiedenen Stellungnahmen,
insbesondere aber vom Bundesgerichtshof hingewiesen wird - einer abstrakten Beurteilung und
allgemeinen Klärung überhaupt zugänglich ist. Vielmehr hängt die Entscheidung von der allein
dem Tatrichter obliegenden Würdigung der Umstände des Einzelfalles ab.
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(b) Die genannte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht in Einklang mit der zu den
Voraussetzungen der Eigenbedarfskündigung ergangenen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 68, 361 <367 ff.>).
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(c) Die geschilderten, verfassungsrechtlich unbedenklichen Grundsätze finden sich in der weit
überwiegenden Rechtsprechung der Amts- und Landgerichte wieder (vgl. etwa LG Hamburg,
Urteil vom 1. März 1994 - 316 S 168/93 -, WuM 1994, S. 431; LG Hamburg, Urteil vom 7. Mai
1992 - 307 S 409/91 -, NJW-RR 1992, S. 1365; LG Hamburg, Urteil vom 1. März 2001 - 307 S
114/00 -, ZMR 2001, S. 620 <622>; LG Regensburg, Urteil vom 25. Juni 1991 - S 495/90 -, WuM
1992, S. 192; AG München, Urteil vom 2. Dezember 1988 - 222 C 14008/88 -, WuM 1989, S.
299; LG Hamburg, Urteil vom 13. Oktober 1989 - 11 S 43/89 -, WuM 1990, S. 22; LG Berlin, Urteil
vom 4. Juni 1996 - 65 S 48/96 -, NJW-RR 1997, S. 74). Soweit ersichtlich wurde der Wunsch
einer Zweitwohnung lediglich vereinzelt in erstinstanzlichen Entscheidungen generell als
unzureichend zur Begründung eines Eigenbedarfs bewertet (AG Schöneberg, Urteil vom 30. Mai
1991 - 2 C 436/90 -, WuM 1992, S. 19; AG Charlottenburg, Urteil vom 2. Oktober 1992 - 12b C
135/92 -, NJW-RR 1993, S. 908; AG Wolfratshausen, Urteil vom 28. Juni 2012 - 8 C 51/12 -, NZM
2013, S. 758; AG München, Urteil vom 4. Juli 2003 - 433 C 6556/03 -, ZMR 2004, S. 44 <45>; AG
Berlin-Köpenick, Urteil vom 17. September 2013 - 14 C 16/13 -, WuM 2013, S. 678). Solche
Einzelfälle, in denen entgegen den ansonsten weitgehend beachteten Grundsätzen der
höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden wird, führen noch nicht zu einer erneuten
Klärungsbedürftigkeit einer bereits geklärten Rechtsfrage. Anderes wäre möglicherweise der
Fall, wenn in Rechtsprechung oder Literatur gewichtige und nachhaltige Bedenken gegen die
höchstrichterlich entwickelten Grundsätze vorgebracht würden; hierfür ist aber im vorliegenden
Fall von der Beschwerdeführerin nichts dargetan.
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(2) Auch zur Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 1 ZPO) lag hier die
Zulassung der Revision nicht nahe. Eine auf diesen Grund gestützte Zulassung der Revision
setzt voraus, dass der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von
Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder
Gesetzeslücken auszufüllen. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall; denn die Grundsätze der
Eigenbedarfskündigung sind - wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt - durch die
vorliegende ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des
Bundesverfassungsgerichts bereits hinreichend geklärt.
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(3) Schließlich ist die Zulassung der Revision auch zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 ZPO) nicht geboten. Die angegriffene
Entscheidung gibt keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Divergenz. Im Gegenteil kann
sich das Landgericht in seinem Urteil auf die allgemeinen, vom Bundesgerichtshof und
Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze der Eigenbedarfskündigung beziehen und
wendet diese in tatrichterlicher Würdigung auf den zu entscheidenden Fall an. Eine
zulassungsrelevante Divergenz wäre überdies nur dann gegeben, wenn in der angefochtenen
Entscheidung ein tragender abstrakter Rechtssatz aufgestellt würde, der von einem tragenden
Rechtssatz in der Entscheidung eines höherrangigen oder gleichrangigen anderen Gerichts oder
eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts abwiche (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober
2002 - XI ZR 71/02 -, NJW 2003, S. 65 <66>; Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02 -,
NJW 2003, S. 1943 <1945>). Auch dies ist vorliegend offenkundig nicht der Fall.
35
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Gaier
Schluckebier
Paulus