Urteil des BVerfG vom 27.02.2014

ausschluss der öffentlichkeit, körperliche unversehrtheit, verfassungsbeschwerde, besondere gefahr

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Till Günther,
Ruhesteinstraße 18, 76327 Pfinztal -
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 261/14 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau M…
gegen den Beschluss des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 5. Februar 2014 -
1 KLs 22 Js 547/12 -
hier:
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Lübbe-Wolff,
den Richter Landau
und die Richterin Kessal-Wulf
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473 ) am 27. Februar 2014
einstimmig beschlossen:
1. Die Vernehmung der Beschwerdeführerin durch das Landgericht Waldshut-
Tiengen wird, sofern sie nicht als audiovisuelle Zeugenvernehmung gemäß
§ 247a Absatz 1 Strafprozessordnung durchgeführt wird, im Wege der
einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung über die
Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin - längstens für die Dauer
von sechs Monaten - untersagt.
2. Das Land Baden-Württemberg hat der Beschwerdeführerin die notwendigen
Auslagen für das Verfahren der einstweiligen Anordnung zu erstatten.
1
2
3
4
5
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde sowie ihrem
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Ablehnung einer
audiovisuellen Zeugenvernehmung (§ 247a Abs. 1 StPO).
1. a) Vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen wird seit
Januar 2014 das Hauptverfahren gegen einen Angeklagten wegen des Verdachts der
Begehung einer Mehrzahl von Sexual- und Körperverletzungsdelikten geführt. Die
Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen wirft dem Angeklagten auf Grundlage dreier
Anklageschriften vor, zwischen August 2007 und März 2013 acht Frauen bei
Verabredungen heimlich bewusstseinstrübende Substanzen in ihre Getränke
gemischt
und
mit
sechs
der Geschädigten unter Ausnutzung der
Widerstandsunfähigkeit vaginalen und analen Geschlechtsverkehr vollzogen zu
h a b e n . Der Angeklagte streitet die Vorwürfe mit der Begründung ab, der
Geschlechtsverkehr sei jeweils einvernehmlich erfolgt.
b) Die Beschwerdeführerin ist die mutmaßlich Geschädigte des unter Ziffer 1 der
Anklageschrift vom 30. Oktober 2013 geschilderten Tatgeschehens. Nach dem
wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass
der Angeklagte die Beschwerdeführerin im Oktober 2010 zu sich nach Hause einlud,
wo er eine bewusstseinstrübende Substanz in ihr Getränk mischte, woraufhin die
Beschwerdeführerin
intoxiert einschlief. In diesem Zustand entkleidete der
Angeklagte sie und führte mit ihr seiner vorgefassten Absicht entsprechend den
Geschlechtsverkehr durch. Zu einer Anzeige des Geschehens kam es zunächst nicht;
die Beschwerdeführerin wurde erst im August 2013 im Zuge der polizeilichen
Ermittlungen wegen der Vergewaltigung einer Arbeitskollegin als weitere mögliche
Geschädigte bekannt und als solche vernommen.
c) Die gerichtliche Vernehmung der Beschwerdeführerin, die dem Verfahren
zwischenzeitlich als Nebenklägerin beigetreten ist, als Zeugin ist für den 4. März
2014 vorgesehen.
2. a) Mit Schriftsatz vom 24. Januar 2014 beantragte die Nebenklägervertreterin
namens der Beschwerdeführerin, die Zeugenvernehmung gemäß § 247a Abs. 1
StPO audiovisuell durchzuführen, da anderenfalls die dringende Gefahr eines
schwerwiegenden Nachteils für das psychische Wohl der Beschwerdeführerin
6
7
bestehe. Diese habe das Geschehen verdrängt und einem emotionalen Zugang
verschlossen. Bereits die Zeugenvernehmung durch die Polizei habe ihr Leben „aus
den Bahnen“ geworfen. Erste therapeutische Fortschritte seien gefährdet, wenn sie
erneut mit dem Angeklagten im selben Raum konfrontiert werde oder in der
Atmosphäre einer Hauptverhandlung - selbst bei Ausschluss der Öffentlichkeit - das
angeklagte Tatgeschehen in unmittelbarer Gegenwart der im Strafverfahren
notwendig Anwesenden schildern müsse. Dies komme einem erneuten Durchleben
der Tat mit Zuschauern gleich. In beiden Fällen sei nach Einschätzung der
behandelnden
Ärztin
für
Psychiatrie und Psychotherapie mit hoher
Wahrscheinlichkeit eine längerfristige seelische Destabilisierung oder gar eine
Retraumatisierung zu befürchten. Dieser Nachteil sei schwerwiegend, da er bei
weitem über die vorübergehenden seelischen oder körperlichen Belastungen
hinausreiche,
die gewöhnlich mit einer Zeugeneinvernahme in einer
Hauptverhandlung verbunden und durch den Zeugen hinzunehmen seien.
b) In einem dem Landgericht durch die Nebenklägervertreterin ergänzend
vorgelegten Befundbericht einer Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom
22. Januar 2014 diagnostizierte diese bei der Beschwerdeführerin aufgrund der
psychischen
Symptomatik
eine posttraumatische Belastungsstörung gemäß
ICD10:F43.1, die im Zusammenhang mit den Folgen des sexuellen Übergriffs und der
erneuten Konfrontation hiermit durch das eingeleitete Ermittlungsverfahren stehe. Bis
dahin sei das Erlebte verdrängt und emotional nicht mehr zugänglich gewesen. Das
bevorstehende Gerichtsverfahren werde als massiver Kontrollverlust erlebt. Die
Beschwerdeführerin fürchte die Zeugenaussage vor Gericht und betone in diesem
Zusammenhang, dass sie selbst den Übergriff niemals zur Anzeige gebracht hätte.
Dennoch fühle sie sich nunmehr moralisch verpflichtet, eine Aussage zu leisten,
wenn dies unter Ausschluss der Öffentlichkeit und des Täters erfolgen könne. Aus
ärztlich-therapeutischer Sicht sei „dringend zu empfehlen“, dass der Prozessverlauf
„so schonend wie möglich“ und diese „Wünsche respektierend“ durchgeführt werde,
da sonst zu befürchten sei, dass sich der seelische Zustand weiter verschlechtere,
was im Hinblick auf den durch andere Erkrankungen bereits belasteten körperlichen
Zustand der Beschwerdeführerin fatal wäre.
c) Diese Einschätzung wurde von der die Beschwerdeführerin betreuenden
Sozialarbeiterin beim Frauen- und Kinderschutzhaus Kreis Waldshut e.V., geteilt,
deren Stellungnahme vom 21. Januar 2014 dem Landgericht ebenfalls vorlag. Die
Beschwerdeführerin fühle sich durch das Gerichtsverfahren ausgeliefert. Die Gefahr
8
9
10
11
d e r Retraumatisierung und damit einer erneuten Phase der Arbeitsunfähigkeit
bestehe; sollte sie aus diesen Gründen ein weiteres Mal ihren Arbeitsplatz verlieren,
der für die psychische Stabilisierung wesentlich sei, seien die Folgen nur schwer
abzuschätzen. Nach Einschätzung der Beratungsstelle würden unter anderem die
„Konfrontation mit dem Täter“ und die „Einbindung in die Öffentlichkeit“ Risiken für die
psychische Gesundheit der Beschwerdeführerin aufweisen. Eine räumliche Trennung
vom Täter und der Ausschluss der Öffentlichkeit könnten diese Belastung aber
abmildern.
3. Durch Beschluss vom 5. Februar 2014 lehnte das Landgericht Waldshut-Tiengen
den Antrag ab.
§ 247a Abs. 1 StPO sei als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Es sei bereits
zweifelhaft, ob die Voraussetzungen der Norm erfüllt seien. Zwar verkenne das
Gericht nicht, dass die Beschwerdeführerin durch das Verfahren psychisch stark
belastet werde. Weder aus dem ärztlichen Befundbericht vom 22. Januar 2014 noch
aus der Stellungnahme der Sozialarbeiterin vom 21. Januar 2014 gehe jedoch
eindeutig hervor, dass gerade die Vernehmung in der Hauptverhandlung in
Anwesenheit der anderen Verfahrensbeteiligten eine unzumutbare Belastung
darstellen werde.
Das Vorliegen der dringenden Gefahr eines schweren Nachteils für das Wohl der
Beschwerdeführerin könne jedoch letztlich dahingestellt bleiben, da das Gericht
jedenfalls nach Abwägung aller widerstreitenden Interessen - der psychischen
Gesundheit
der
Beschwerdeführerin
einerseits und
der
gerichtlichen
Aufklärungspflicht und dem Verteidigungsinteresse des Angeklagten andererseits -
zu dem Ergebnis gelange, dass die persönliche Vernehmung erforderlich sei. In der
vorliegenden Aussage-gegen-Aussage-Konstellation komme es entscheidend auf die
Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin als der einzigen unmittelbaren Zeugin der
vorgeworfenen Tat an. Der persönliche Eindruck und die ungehinderte
Wahrnehmung der nonverbalen Ausdrucksweise seien hierfür von maßgeblicher
Bedeutung.
Auf Grundlage der vorgelegten Befundberichte sei das Gericht zu dem Ergebnis
gelangt, dass die spezifische Belastung der Beschwerdeführerin auch durch andere
Maßnahmen abgemildert werden könne, namentlich durch den Ausschluss der
Öffentlichkeit, die Begleitung durch eine Vertrauensperson, die Anwesenheit der
Nebenklägervertreterin, die Vermeidung einer unmittelbaren Konfrontation mit dem
12
13
14
15
Angeklagten durch zeitversetzte Vorführung des Angeklagten und dessen Platzierung
außerhalb des Sichtfelds der Beschwerdeführerin, durch eine möglichst schonende
Vernehmung sowie durch eine vorherige Besichtigung des Gerichtssaals in
Begleitung einer Vertrauensperson, um sich mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut
zu machen.
Schließlich sei zu berücksichtigen, dass es im Rahmen einer persönlichen
Vernehmung für das Gericht leichter sei, Signale, die auf eine übermäßige Belastung
hindeuteten, wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren.
II.
1. Mit ihrer am 6. Februar 2014 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die
Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit
(Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1
GG) durch die Entscheidung des Landgerichts.
a) Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG beinhalte über den Schutz vor der Beeinträchtigung der
körperlichen Integrität hinaus auch den Schutz vor seelischen Verletzungen
jedenfalls insoweit, als es sich um Beeinträchtigungen handele, die - wie tiefgreifende
Angstzustände und hochgradige Nervosität - als Schmerzen anzusehen seien. Der
Staat habe den ihm bei der Erfüllung seiner Schutzpflicht zustehenden
Gestaltungsspielraum im Falle des § 247a Abs. 1 StPO in dem Sinne genutzt, dass er
im Spannungsverhältnis zwischen dem Gebot der bestmöglichen Sachaufklärung im
Strafprozess einerseits und der Wahrung des Grundrechts des Zeugen andererseits
die Möglichkeit zu einer besonders schutzbedürftige Zeugen weniger belastenden
Gestaltung
der
Vernehmung
eingerichtet habe. Zu diesen besonders
schutzbedürftigen Zeugen zählten gerade die Opfer von Sexualstraftaten.
Der Beschluss des Landgerichts vom 5. Februar 2014 trage dem nicht ausreichend
Rechnung. Soweit das Gericht das Vorliegen einer dringenden Gefahr eines
schwerwiegenden Nachteils für ihr Wohl in Zweifel ziehe, sei es im Rahmen seiner
Pflicht zur Sachaufklärung gehalten, etwaige Unsicherheiten über das Vorliegen der
Gefahr im Wege der Amtsaufklärung zu beseitigen. Diese Möglichkeit habe das
Gericht noch nicht einmal in Erwägung gezogen, was dem Beschluss die Grundlage
entziehe. Im Übrigen ergebe sich entgegen der Auffassung des Gerichts aus dem
ärztlichen Befundbericht auch mit der erforderlichen Klarheit, dass gerade die
Vernehmung in Anwesenheit des Angeklagten eine besondere Gefahr für ihr
seelisches Wohlbefinden begründe.
16
17
18
19
Ausgehend von der Rechtsauffassung des Landgerichts liefe das prozessuale
Institut der audiovisuellen Vernehmung gemäß § 247a Abs. 1 StPO aber gerade in
den Fällen leer, für die es durch den Gesetzgeber geschaffen worden sei. Bei
Sexualstraftaten komme es im Strafverfahren typischerweise zu Aussage-gegen-
Aussage-Konstellationen. Wenn allein dies genüge, um die audiovisuelle
Vernehmung abzulehnen, könne der mit der Norm zentral bezweckte Schutz von
Opferzeugen bei Sexualdelikten faktisch nicht verwirklicht werden. Die durch das
Gericht alternativ vorgeschlagenen Möglichkeiten seien zwar bedenkenswert, soweit
die Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit durch die Anwesenheit der
Öffentlichkeit zu befürchten sei. Jedoch seien sie im Ergebnis sämtlich ungeeignet,
um der Gefahr, die gerade durch ihre Vernehmung in unmittelbarer Anwesenheit des
Angeklagten entstehe, wirksam zu begegnen.
b) Die Umstände des Verfahrens rechtfertigten auch den Schluss, dass der
Beschluss maßgeblich auf sachfremden Erwägungen beruhe und damit das Verbot
objektiver Willkür (Art. 3 Abs. 1 GG) verletze. Die Ablehnung des Antrags sei
wahrscheinlich ausschließlich deshalb erfolgt, weil die im Sitzungssaal des
Landgerichts vorhandene Videoübertragungsanlage bereits seit Jahren defekt sei
und entweder das Geld oder der Wille fehle, sie wieder instand zu setzen.
Zu dieser Tatsache verhalte sich der Beschluss vom 5. Februar 2014 nicht, obwohl
der Defekt der Anlage im Verfahren bereits angesprochen worden sei. Bestehe aber
e i n so offenkundiges technisches Problem bei der Durchführung eines Antrags
gemäß § 247a Abs. 1 StPO, gerate dessen Ablehnung ohne Erwähnung dieses
Umstands in den Verdacht, nur vorgeschoben zu sein. Das Verschweigen des
Umstands lege andererseits die Befürchtung nahe, dass das Gericht - das im Übrigen
stets in anerkennenswerter Weise den Belangen der Opferzeuginnen Rechnung
getragen habe - gezwungen gewesen sei, nach anderen Gründen für die Ablehnung
des Antrags zu suchen, um nicht auf seine mangelhafte technische Ausstattung
eingehen zu müssen. Nur auf diese Weise sei es vermutlich zu der Art. 2 Abs. 2
Satz 1 GG verletzenden Begründung des Beschlusses gekommen.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist verbunden mit dem Antrag, im Wege der
einstweiligen Anordnung die Vernehmung der Beschwerdeführerin durch das
Landgericht Waldshut-Tiengen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu
untersagen, sofern die Vernehmung nicht als audiovisuelle Zeugenvernehmung
gemäß § 247a Abs. 1 StPO durchgeführt wird.
20
21
22
23
24
3. Das Justizministerium des Landes Baden-Württemberg hat von einer
Stellungnahme zum beantragten Erlass einer einstweiligen Anordnung abgesehen.
III.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor; der
hierauf gerichtete Antrag der Beschwerdeführerin ist zulässig und begründet.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen
Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr
schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen
wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe,
die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen
werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die
Verfassungsbeschwerde wäre von vornherein unzulässig oder offensichtlich
unbegründet (vgl. BVerfGE 103, 41 <42> ; stRspr). Bei offenem Ausgang muss das
Bundesverfassungsgericht die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige
Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber
den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung
erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl.
BVerfGE 99, 57 <66> ; stRspr).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht von vornherein unzulässig. Insbesondere
steht ihrer Zulässigkeit im konkreten Einzelfall nicht entgegen, dass es sich für den
Angeklagten bei der Entscheidung über die Ablehnung der audiovisuellen
Vernehmungsform um eine strafprozessuale Zwischenentscheidung handelt.
a) Verfassungsbeschwerden gegen strafprozessuale, der Beschwerde entzogene
Zwischenentscheidungen sind grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 1, 9
<10>; 7, 109 <110 f.>; 9, 261 <265>; 21, 139 <143>; BVerfGK 12, 33 <34>). Die
isolierte Anfechtbarkeit einer Zwischenentscheidung kommt nur in Betracht, wenn
diese einen bleibenden rechtlichen Nachteil für den Betroffenen zur Folge hat, der
sich später gar nicht oder nicht vollständig beheben lässt (vgl. BVerfGE 101, 106
<120>, m.w.N.). Dies ist namentlich der Fall, wenn der Betroffene etwaige durch die
Zwischenentscheidung bewirkte Grundrechtsverletzungen nicht mit der Anfechtung
der Endentscheidung im fachgerichtlichen Verfahren rügen kann (vgl. BVerfGE 21,
139 <143 f.>; BVerfGK 12, 33 <34>) oder ihm die Verweisung auf den
fachgerichtlichen Rechtsschutz nicht zuzumuten ist (vgl. BVerfGK 12, 33 <34>,
m.w.N.).
25
26
27
28
29
30
b) Danach kann die Beschwerdeführerin hier nicht auf eine vorrangige
Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes verwiesen werden.
Nach herrschender Auffassung ist gemäß § 247a Abs. 1 Satz 2 StPO nicht nur die
Anordnung, sondern auch die Ablehnung der Anordnung einer audiovisuellen
Vernehmung unanfechtbar (vgl. nur Frister, in: SK-StPO, 4. Aufl. 2012, § 247a Rn. 48;
Diemer, in: KK-StPO, 7. Aufl. 2013, § 247a Rn. 16; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl.
2013, § 247a Rn. 13; für die zugrundeliegende gesetzgeberischen Zweckerwägung s.
BTDrucks 13/7165, S. 10). Unter den gegebenen Umständen ist daher der
Beschwerdeführerin der Versuch, vorrangig fachgerichtlichen Eilrechtsschutz in
Anspruch zu nehmen, nicht zumutbar. Ob im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen
Justizgewährleistungsanspruch (vgl. BVerfGE 107, 395 <403 ff.> ) desjenigen, der
sich als Zeuge durch die Ablehnung der Anordnung einer audiovisuellen
Vernehmung in einem Grundrecht verletzt sieht und dem insoweit effektiver
Rechtsschutz durch die Endentscheidung nicht zur Verfügung steht, § 247a Abs. 1
Satz 2 StPO verfassungskonform dahin ausgelegt werden kann und muss, dass die
Vorschrift nur einer Beschwerde gegen die Anordnung (vgl. BTDrucks 13/7165, S.
10), nicht aber einer Beschwerde gegen die Ablehnung der Anordnung einer solchen
Vernehmung entgegensteht, entzieht sich einer Klärung im Verfahren nach § 32
BVerfGG.
3. Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht offensichtlich unbegründet.
a) Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass das Landgericht durch den
Beschluss vom 5. Februar 2014 Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der
Beschwerdeführerin auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) verkannt
hat.
Bei der Entscheidung über einen Antrag auf audiovisuelle Vernehmung gemäß
§ 247a Abs. 1 StPO handelt es sich um eine Entscheidung, die das Gericht nach
pflichtgemäßem Ermessen zu treffen hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl. 2013,
§ 247a Rn. 7). Hierbei hat das Gericht im Rahmen seines Rechtsfolgeermessens die
wechselseitigen Interessen aller Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen. Schließen
die konfligierenden Interessen einander aus, hat das Gericht diese gegeneinander
abzuwägen und miteinander in Ausgleich zu bringen.
Vorliegend spricht vieles dafür, dass das Gericht seine Abwägungsentscheidung zu
Gunsten der Interessen des Angeklagten und der Strafrechtspflege getroffen hat,
o h n e das entgegenstehende Interesse der Beschwerdeführerin überhaupt
31
32
33
zuverlässig gewichten zu können. Angesichts der konkreten Anhaltspunkte für eine
posttraumatische Belastungsstörung der Beschwerdeführerin in Gestalt des ärztlichen
Befundberichts vom 22. Januar 2014 und der Stellungnahme der Sozialarbeiterin
vom Frauen- und Kinderschutzhaus Kreis Waldshut e.V. vom 21. Januar 2014, in
welchen zudem ausdrücklich auf die im Falle der unmittelbaren Vernehmung
bestehende Gefahr der „längerfristigen seelischen Destabilisierung“ hingewiesen
worden ist, hätte sich das Landgericht möglicherweise nicht mehr darauf beschränken
dürfen, auf die nach seiner Auffassung nicht eindeutig festgestellte Gefahr für die
seelische Gesundheit der Beschwerdeführerin zu verweisen. Die Annahme liegt nicht
fern, dass das Gericht gehalten war, durch ergänzende Befragung der behandelnden
Ärztin
oder Zuziehung eines Sachverständigen unter Berücksichtigung der
individuellen Belastbarkeit der Beschwerdeführerin bestehende Zweifel über das
Gewicht der für die Gesundheit der Beschwerdeführerin drohenden Nachteile und
den Grad der Gefahr ihrer Verwirklichung auszuräumen (vgl. auch: Becker, in: LR-
StPO, 26. Aufl. 2009, § 247a Rn. 6), um seine Ermessensentscheidung in Abwägung
der
widerstreitenden Interessen auf der notwendigen Tatsachengrundlage
vornehmen zu können.
b) Auch der gerügte Verstoß gegen das Verbot objektiver Willkür (Art. 3 Abs. 1 GG)
erscheint nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht offensichtlich
ausgeschlossen. Sollte die unzureichende Ausstattung des Gerichts mit Sachmitteln
bei der gerichtlichen Ablehnung der von ihr beantragten Anwendung eines
strafprozessualen Instituts, das - wie § 247a Abs. 1 StPO - dem Schutz ihrer
grundrechtlich geschützten Interessen dient, ermessenslenkend eingewirkt haben,
läge hierin eine sachfremde Erwägung, die unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich
vertretbar wäre, ohne dass es auf ein schuldhaftes Handeln des Gerichts ankäme.
Die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde stellen sich - abhängig von den
konkreten Umständen - insoweit als offen dar.
4. Im Rahmen der somit erforderlichen Abwägung überwiegen die Gründe für den
Erlass einer einstweiligen Anordnung.
a)
Erginge
die
einstweilige
Anordnung
nicht, erwiese
sich
die
Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, könnte die Vernehmung der
Beschwerdeführerin
in Anwesenheit des Angeklagten und der notwendig
Anwesenden in der Zwischenzeit vollzogen werden. In diesem Fall bestünde nach
Einschätzung der behandelnden Ärztin die dringende Gefahr einer seelischen
Destabilisierung
oder Retraumatisierung der Beschwerdeführerin mit nicht
34
35
36
abschätzbaren Folgen für ihre weitere psychische Entwicklung. Der hiermit
verbundene Eingriff in das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 2 Abs. 2
Satz 1 GG wiegt daher mit hoher Wahrscheinlichkeit schwer und kann nicht durch
eine spätere Feststellung der Verfassungswidrigkeit des angefochtenen Hoheitsakts
rückgängig gemacht werden.
b) Gegenüber dieser Gefahr einer irreparablen Rechtsbeeinträchtigung wiegen die
Nachteile, die entstünden, wenn eine einstweilige Anordnung erlassen würde, die
Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber keinen Erfolg hätte, weniger
schwer. Zwar müsste in diesem Fall die Beschwerdeführerin ihrer Pflicht zur
Zeugenaussage unter den vom Gericht bestimmten Bedingungen bis zur
Entscheidung in der Hauptsache nicht nachkommen. Es ist aber nicht ersichtlich,
dass wegen dieser Verzögerung ein überwiegender Nachteil für das Wohl der
Allgemeinheit zu besorgen wäre, zumal dem Gericht unbenommen bleibt, die
Zeugenvernehmung der Beschwerdeführerin gemäß § 247a Abs. 1 StPO audiovisuell
durchzuführen.
Zur
Vermeidung
des
Eintritts strafprozessual relevanter
Verzögerungen kommt zudem eine Abtrennung des Verfahrens in Betracht, soweit
das Tatgeschehen zu Lasten der Beschwerdeführerin Anklagegegenstand ist.
5. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Lübbe-Wolff
Landau
Kessal-Wulf