Urteil des BVerfG vom 14.03.2012

grundsatz der öffentlichkeit, faires verfahren, öffentliche verhandlung, egmr

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Sönke Hilbrans,
in Sozietät Rechtsanwälte Hummel, Kaleck,
Immanuelkirchstraße 3-4, 10405 Berlin -
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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2405/11 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn F…,
gegen a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28. September 2011 - 5
StR 315/11 -,
b) das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 30. Dezember 2010 - 25 KLs
3/10 -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Voßkuhle
und die Richter Gerhardt
und Landau
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473 ) am 14. März 2012 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen strafgerichtliche Entscheidungen.
Der Beschwerdeführer beanstandet, dass wegen einer Sicherheitsverfügung des
Gerichtspräsidenten die Öffentlichkeit des Verfahrens nicht gewährleistet gewesen
sei.
A.
I.
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Die Staatsanwaltschaft Potsdam erhob gegen den Beschwerdeführer sowie zwei
andere Beschuldigte Anklage und legte ihnen zur Last, als Mitglied einer örtlichen
Führungsebene, als „Member“ (Vollmitglied) und als „Prospect“ (Anwärter auf eine
Vollmitgliedschaft) des Hells Angels Motorcycle Club verschiedene Straftaten
begangen zu haben.
1. Der Beschwerdeführer und die Mitangeschuldigten sollen die Betreiber eines
Tätowierstudios gezwungen haben, mit den Hells Angels „zusammenzuarbeiten“ und
ihnen zunächst regelmäßig einen Teil der Einnahmen sowie später
Einrichtungsgegenstände zu überlassen. Dabei sollen zahlreiche Bedrohungen
ausgesprochen worden sein. Einer der Mitangeschuldigten soll zur Überprüfung der
Buchführung und zur Entgegennahme der Zahlungen regelmäßig im Tätowierstudio
erschienen sein und dabei einen Hammer an seinem Hosengürtel bei sich geführt
haben. Einer der Betreiber soll aufgefordert worden sein, an seine Familie zu denken;
einem anderen sei gedroht worden, ihm den Kopf abzureißen. Im weiteren Verlauf
soll ein Betreiber in eine Schlägerei verwickelt und mit einem Messer an einer Hand
verletzt worden sein. Danach soll ihm einer der Mitangeschuldigten des
Beschwerdeführers ein gerade getötetes Schaf vor die Wohnungstür gelegt haben.
Ein Mitangeschuldigter des Beschwerdeführers soll außerdem einen Geschädigten
aufgefordert haben, zum Ausgleich für eine belastende Aussage bei der Polizei seine
Anstellung zu kündigen und eine von ihm vermittelte Arbeit anzunehmen, von der er
900 Euro behalten dürfe und den Rest abzuliefern habe. Anderenfalls werde er
bereits existierende Fotos von ihm „an Araber weitergeben“, was als Morddrohung
gemeint und aufgefasst worden sein soll. Er werde „sich eine Drahtschlinge nehmen
und ihm die Eier abschneiden“, wenn wegen der Aussage jemand zur Polizei müsse.
Die Geduld der Hells Angels solle nicht überstrapaziert werden; unter denen gebe es
Leute, die wesentlich inhumaner seien.
2. Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen ist ausgeführt, dass es sich bei den
Hells Angels um eine weltweit verzweigte und in „Charter“ gegliederte Gruppierung
handle. Deren Vollmitglieder gäben sich durch Motorradwesten („Kutten“) zu
erkennen. In Deutschland seien bislang drei Charter als kriminelle Vereinigung
vereinsrechtlich verboten worden. Kämpfe mit konkurrierenden Vereinigungen
würden seit Jahren auch öffentlich mit Waffengewalt ausgetragen. So sei im Jahr
2009 in Berlin ein zu einer anderen Gruppierung „übergelaufenes“ früheres Mitglied
erschossen worden. Die in der Anklage genannten Geschädigten seien vom
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Beschwerdeführer und seinen Mitbeschuldigten unter Druck gesetzt worden und
hätten ihre Aussagen zeitweilig zurückgenommen.
II.
1. Der Präsident des Landgerichts Potsdam hielt in einem Vermerk fest, dass
anlässlich der bevorstehenden Hauptverhandlung eine Sicherheitskonferenz unter
Beteiligung von Mitarbeitern der Gerichtsverwaltung, Berufsrichtern der für das
Verfahren
zuständigen
Strafkammer, der Staatsanwaltschaft, der Polizei
(Zeugenschutz, „Ermittlungsgruppe Rocker“) und des Justizvollzugs stattgefunden
habe. In diesem Zusammenhang sei Rücksprache mit Geschäftsleitern verschiedener
Landgerichte zu Erfahrungen anlässlich vergleichbarer Strafverfahren gehalten
worden.
Der Landgerichtspräsident erließ für den ersten Hauptverhandlungstag eine
Sicherheitsverfügung, wonach im Justizzentrum Waffen und andere gefährliche
Werkzeuge zur Mitnahme nicht zugelassen sowie „das Tragen von Kutten, die die
Zugehörigkeit zu einem Motorradclub demonstrieren, untersagt“ sind. „Die Kutten sind
in eigener Verantwortung außerhalb des Gebäudes zu deponieren.“ Eine
entsprechende Verfügung erging für die folgenden Hauptverhandlungstage. Durch
weitere Sicherheitsverfügungen wurde das Verbot auf „das Tragen von
Bekleidungsgegenständen, die die Zugehörigkeit zu einem Motorradclub oder zur
Brigade 81 demonstrieren“, erstreckt.
Der Verteidiger des Beschwerdeführers beanstandete die Sicherheitsverfügungen
als nicht erforderliche sowie unverhältnismäßige Beschränkung der Öffentlichkeit und
beantragte deren Aufhebung. Dies lehnte der Landgerichtspräsident ab. Das Verbot
sei auf Anraten von Staatsanwaltschaft und Polizei erfolgt, die über genaue
Kenntnisse der Szene verfügten. Ein massenhaftes Tragen szenetypischer Kleidung
stelle eine nicht hinnehmbare Machtdemonstration dar, die bei der Öffentlichkeit ein
Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung hervorrufen sowie Verfahrensbeteiligte
einschüchtern und beeinflussen könne. Es sei seine Aufgabe, auf dem
Gerichtsgelände für eine angstfreie Atmosphäre zu sorgen. Untersagt werde lediglich
das Tragen bestimmter Kleidung. Der daraufhin vom Verteidiger des
Beschwerdeführers gestellte Antrag auf Unterbrechung der Hauptverhandlung wurde
abgelehnt.
2. Ein anderer Rechtsanwalt beantragte im Namen eines zurückgewiesenen
Zuschauers, diesem Zugang zum Gerichtsgebäude zu gewähren. Ihm sei der Zugang
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z u m Justizzentrum versagt worden, „weil er eine Motorradkutte mit einem Hells
Angels-MC-Abzeichen trug beziehungsweise in Freizeitkleidung mit entsprechenden
Abzeichen erschien“. Es bestehe kein verständlicher Anlass für die Maßnahme.
Hilfsweise bestehe Bereitschaft, die Motorradkutte im Gerichtsgebäude auszuziehen
und über dem Arm zu tragen. Diesen Antrag lehnte der Landgerichtspräsident ab und
ordnete die sofortige Vollziehung der Sicherheitsverfügung an. Der Antrag des
zurückgewiesenen
Zuschauers
auf
vorläufigen verwaltungsgerichtlichen
Rechtsschutz blieb ohne Erfolg (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.
Dezember 2010 - 10 S 51/10 -, NJW 2011, S. 1093).
III.
Das Landgericht Potsdam verurteilte den Beschwerdeführer am 30. Dezember 2010
wegen Beihilfe zur räuberischen Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr
und sprach ihn im Übrigen frei. Die Mitangeklagten des Beschwerdeführers wurden
wegen schwerer räuberischer Erpressung, Beihilfe zur räuberischen Erpressung,
räuberischer Erpressung und versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit
Diebstahl und Tötung eines Wirbeltieres ohne vernünftigen Grund zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten sowie wegen räuberischer
Erpressung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn
Monaten verurteilt.
IV.
1. Mit seiner Revision gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam beanstandete der
Beschwerdeführer auch einen Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz (§ 169
Satz 1 GVG, § 338 Nr. 6 StPO).
2. Der Generalbundesanwalt beantragte, die Revision des Beschwerdeführers als
unbegründet zu verwerfen. Eine Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit liege
nicht vor. Der Grundsatz der Öffentlichkeit könne auch durch gesetzlich nicht erfasste
unabweisbare Bedürfnisse der Rechtspflege modifiziert werden. Dazu gehöre die
Notwendigkeit, durch geeignete vorbeugende Maßnahmen für eine sichere und
ungestörte Durchführung der Verhandlung zu sorgen. Eine ungestörte Verhandlung
sei ebenso wesentlich wie ihre Kontrolle durch die Allgemeinheit. Daraus folge die
Zulässigkeit von Maßnahmen, die den Zugang zu Gerichtsverhandlungen nur
unwesentlich erschwerten und dabei eine Auswahl der Zuhörerschaft nach
bestimmten persönlichen Merkmalen vermieden, wenn für sie ein die Sicherheit oder
d e n ungestörten Ablauf des Dienstbetriebs im Gerichtsgebäude berührender
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verständlicher Anlass bestehe. Worin solche Maßnahmen im Einzelfall bestehen
müssten, bleibe dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichtspräsidenten überlassen,
der das Hausrecht ausübe.
Danach liege keine ungesetzliche Beschränkung der Öffentlichkeit vor. Jede Person
habe ohne die in der Sicherheitsverfügung angeführten Bekleidungsstücke das
Gerichtsgebäude betreten können. Maßgebend sei nicht die Zugehörigkeit zu einem
Motorradclub gewesen, sondern allein das Tragen von Kleidungsstücken, die eine
solche Zugehörigkeit demonstrierten. Auch eine über dem Arm getragene Kutte
dokumentiere diese Zugehörigkeit. Es sei eine plausible Befürchtung, dass ein
demonstratives Auftreten von Mitgliedern der Hells Angels oder vergleichbarer
Gruppierungen grundsätzlich geeignet sein könne, dritte Personen zu beunruhigen.
Der Gerichtspräsident habe die Aufgabe, im gesamten Gerichtsgebäude für eine
angstfreie Atmosphäre zu sorgen. Ein Widerspruch zu den sitzungspolizeilichen
Befugnissen der Strafkammervorsitzenden liege nicht vor; diese sei in die
sicherheitsrelevanten Überlegungen einbezogen gewesen und habe die
Sicherheitsverfügungen des Gerichtspräsidenten gekannt. Durch die Maßnahme sei
es nur zu einer geringfügigen Erschwerung des Zugangs gekommen. Es habe sich
um eine präventive Maßnahme gehandelt; die Anforderungen an die Einschätzung
einer Gefahr dürften nicht überspannt werden.
3. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision des Beschwerdeführers durch
Beschluss vom 28. September 2011 als unbegründet. Die Begründung des
Beschlusses geht auf die Rüge der Verletzung der Öffentlichkeit des Verfahrens nicht
ein.
B.
Der Beschwerdeführer greift mit seiner Verfassungsbeschwerde das Urteil des
Landgerichts Potsdam und den Beschluss des Bundesgerichtshofs an. Er rügt die
Verletzung von „Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG (faires
Verfahren)
sowie Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG (willkürfreie
Rechtsanwendung)“.
Das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren umfasse auch die
Öffentlichkeit
der Hauptverhandlung. Für die Sicherheitsverfügungen des
Landgerichtspräsidenten bestehe schon keine Rechtsgrundlage. Sie seien auch
willkürlich und unverhältnismäßig. Allein die Möglichkeit, dass sich Dritte durch ein
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„demonstratives“ Auftreten von Mitgliedern der Hells Angels beunruhigt fühlen
könnten, reiche nicht aus, um dem Beschwerdeführer die Öffentlichkeit der
Hauptverhandlung ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht teilweise zu versagen.
Hypothetische Einschüchterungslagen erreichten nicht das erforderliche Gewicht. Die
Maßnahmen knüpften an ein empfundenes Unbehagen, nicht jedoch an eine real
bestehende Gefahr an. Sitzungspolizeiliche Mittel wären ausreichend gewesen. Nach
dem ersten störungsfrei verlaufenen Sitzungstag hätten einzelne Personen oder
Personengruppen aus dem Sitzungssaal entfernt werden können. Spätestens zur
Urteilsverkündung hätte die Beschränkung aufgehoben werden müssen. Der
Sachverhalt sei einseitig gewürdigt worden. Angesichts der fehlenden Erforderlichkeit
sei unerheblich, dass es sich um eine geringfügige Beschränkung gehandelt habe.
C.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die
Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der
Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist ihre
Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt
(vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>; 96, 245 <248 ff.>).
Es liegt kein Verstoß gegen das Willkürverbot vor (I.). Der Beschwerdeführer ist
auch nicht in seinem Recht auf ein faires Strafverfahren verletzt (II.).
I.
Es liegt kein Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) vor.
1. Die Auslegung des Gesetzes und seine Anwendung auf den einzelnen Fall
sind Sache der dafür zuständigen Fachgerichte und daher der Nachprüfung durch
d a s Bundesverfassungsgericht entzogen. Ein verfassungsgerichtliches Eingreifen
gegenüber
Entscheidungen der Fachgerichte unter dem Gesichtspunkt der
Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Bedeutung als
Willkürverbot kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Willkürlich ist ein
Richterspruch nur dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar
ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen
beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des
Richters ist nicht erforderlich. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine
Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn eine
offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in
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krasser Weise missgedeutet wird (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; 87, 273 <278 f.>; 96,
189 <203>; 112, 185 <215 f.> ).
2. Danach ist die Auslegung und Anwendung der § 169 Satz 1 GVG, § 338 Nr. 6
StPO nicht willkürlich.
a) Der Bundesgerichtshof hat seine Entscheidung hinsichtlich des vom
Beschwerdeführer beanstandeten Verstoßes gegen die Öffentlichkeit des Verfahrens
nicht begründet. Daher kann davon ausgegangen werden, dass sich der
Bundesgerichtshof
insoweit
der Begründung des Verwerfungsantrags des
Generalbundesanwalts angeschlossen hat (vgl. BVerfGK 5, 269 <285 f.>).
b) Diese Begründung begegnet unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken.
aa) Der rechtliche Ausgangspunkt entspricht der bisherigen obergerichtlichen
Rechtsprechung und wird auch in der Literatur vertreten. Danach kann der Grundsatz
der Öffentlichkeit (§ 169 Satz 1 GVG) außer durch ausdrückliche Regelungen auch
durch gesetzlich nicht erfasste unabweisbare Bedürfnisse der Rechtspflege
modifiziert werden. Dazu gehört die Notwendigkeit, durch geeignete vorbeugende
Maßnahmen für eine sichere und ungestörte Durchführung der Verhandlung zu
sorgen. Maßnahmen, die den Zugang zu einer Gerichtsverhandlung nur unwesentlich
erschweren und dabei eine Auswahl der Zuhörerschaft nach bestimmten
persönlichen Merkmalen vermeiden, sind zulässig, wenn für sie ein verständlicher
Anlass besteht (vgl. BGHSt 27, 13 <15>; Wickern, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 10,
26. Aufl. 2010, § 169 GVG Rn. 33; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. 2011, § 169 GVG
Rn. 5). Es bleibt dem pflichtgemäßen Ermessen des das Hausrecht ausübenden
Gerichtspräsidenten überlassen, worin solche Maßnahmen im Einzelfall bestehen.
Das Hausrecht des Gerichtspräsidenten ist Rechtsgrundlage für alle Maßnahmen im
Gerichtsgebäude, die außerhalb des Sitzungsbereichs erfolgen (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 17. Mai 2011 - 7 B 17/11 -, NJW 2011, S. 2530 <2531>; Wickern, in:
Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 10, 26. Aufl. 2010, § 176 GVG Rn. 3; Meyer-Goßner,
StPO, 54. Aufl. 2011, § 176 GVG Rn. 3, jeweils m.w.N.; zur Abgrenzung von
Hausrecht und Sitzungspolizei BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats
vom 11. Mai 1994 - 1 BvR 733/94 -, NJW 1996, S. 310 <310>; BGHSt 24, 329
<330 f.>; 30, 350 <353 ff.>).
Diese Erwägungen sind nicht unvertretbar oder sachfremd. Insbesondere ist es
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Aufrechterhaltung der Ordnung
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im gerichtlichen Verfahren auch den störungsfreien äußeren Ablauf der Sitzung und
die ungehinderte Entscheidungsfindung umfasst (vgl. BVerfGE 91, 125 <137>; 103,
44 <64>; 119, 309 <322>, jeweils zu § 176 GVG).
bb) Die Anwendungen der danach bestehenden Befugnisse im Einzelfall unterliegt
nur eingeschränkter verfassungsrechtlicher Überprüfung (vgl. BVerfGE 48, 118 <123>
; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 29. September 1997 - 2
BvR 1676/97 -, NJW 1998, S. 296 <297>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des
Zweiten Senats vom 5. Januar 2006 - 2 BvR 2/06 -, NJW 2006, S. 1500 <1500 f.>;
BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. Mai 2006 - 2 BvQ
27/06 -, juris, Rn. 3, 6 f.; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom
27. Juni 2006 - 2 BvR 677/05 -, NJW 2007, S. 56 <57>; BVerfG, Beschluss der 1.
Kammer des Ersten Senats vom 6. Februar 2007 - 1 BvR 218/07 -, NJW-RR 2007, S.
1053 <1054>, jeweils zu § 176 GVG). Daran gemessen legt die Begründung der
Verfassungsbeschwerde nicht dar und ist auch sonst nicht ersichtlich, dass
Einschätzung und Bewertung sowohl einer möglichen Beeinträchtigung der
Hauptverhandlung durch das Tragen bestimmter Kleidung oder Abzeichen als auch
der zur Abwehr dieser Gefahr geeigneten und erforderlichen Maßnahmen
verfassungsrechtlich bedenklich wären.
II.
Der Beschwerdeführer ist auch nicht in seinem Recht auf ein faires Strafverfahren
(Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt.
1. Das Recht auf ein faires Verfahren hat seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in
Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 57, 250
<274 f.>; 86, 288 <317>; 118, 212 <231>; 122, 248 <271>) und gehört zu den
wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens (vgl. BVerfGE 38, 105
<111>; 46, 202 <210>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 7. Dezember
2011 - 2 BvR 2500/09 u.a. -, juris, Rn. 111). Am Recht auf ein faires Verfahren ist die
Ausgestaltung des Strafprozesses zu messen, wenn und soweit keine spezielle
verfassungsrechtliche Gewährleistung existiert (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 109,
13 <34>; 122, 248 <271>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 7. Dezember
2011 - 2 BvR 2500/09 u.a. -, juris, Rn. 111).
Das Recht auf ein faires Verfahren enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten
Ge- oder Verbote; vielmehr bedarf es der Konkretisierung je nach den sachlichen
Gegebenheiten. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst vor,
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wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht auch in seiner Auslegung und
Anwendung
durch die Fachgerichte ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende
Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares
preisgegeben worden ist (vgl. BVerfGE 57, 250 <275 f.>; 63, 45 <61>; 64, 135
<145 f.>; 70, 297 <308 f.>; 86, 288 <317 f.>; 122, 248 <272>; BVerfG, Beschluss des
Zweiten Senats vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09 u.a. -, juris, Rn. 112). Im
Rahmen dieser Gesamtschau sind nicht nur die Rechte des Beschuldigten,
insbesondere prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen
Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer
Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können, sondern auch die
Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen (vgl.
BVerfGE 122, 248 <272 f.> ; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 7.
Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09 u.a. -, juris, Rn. 113).
2. Es bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung, ob und unter
welchen Voraussetzungen ein Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz einen
Angeklagten in seinem Recht auf ein faires Strafverfahren verletzen kann (siehe dazu
Wickern, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 10, 26. Aufl. 2010, Vor § 169 GVG Rn. 6
m.w.N.; Grabenwarter/Pabel, in: EMRK/GG Konkordanzkommentar, 2006, Kap. 14
Rn. 109). Der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen wurde gewahrt
(a).
Abweichendes
ergibt
sich nicht
aus
der
Europäischen
Menschenrechtskonvention (b).
a) Der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen wurde gewahrt.
aa) Der im Gerichtsverfassungsrecht enthaltene Grundsatz der Öffentlichkeit
mündlicher Verhandlungen ist ein Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips (
BVerfGE 103, 44 <63 f.> ). Die rechtsstaatliche Komponente der Gerichtsöffentlichkeit
zielt darauf, die Einhaltung des formellen und materiellen Rechts zu gewährleisten
und zu diesem Zweck Einblick in die Funktionsweise der Rechtsordnung zu
ermöglichen (BVerfGE 103, 44 <65>). Dies soll zur Gewährleistung von
Verfahrensgerechtigkeit beitragen ( BVerfGE 103, 44 <64> ).
Der Verfassungsgrundsatz der Öffentlichkeit gilt nicht ausnahmslos (BVerfGE 103,
44 <63>). Einer unbegrenzten Öffentlichkeit der Verhandlung vor dem erkennenden
Gericht stehen gewichtige Interessen gegenüber. Zu den entgegenstehenden
Belangen gehören die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, insbesondere die
ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung ( BVerfGE 103, 44 <64, 68 ff.>; 119, 309
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<322, 324 f.> ). Der Grundsatz der Öffentlichkeit besagt noch nichts zu den
Modalitäten, unter denen die Öffentlichkeit zugelassen wird ( BVerfGE 103, 44 <63> ).
Darüber hinaus kann die Öffentlichkeit aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls
auch dort ganz oder teilweise ausgeschlossen werden, wo sie nach der Verfassung
grundsätzlich geboten ist ( BVerfGE 103, 44 <63> ).
bb) Danach wurde der Öffentlichkeitsgrundsatz gewahrt. Die dem Grunde nach
gerechtfertigte (s. oben I. 2. b) bb)) Sicherheitsverfügung legte ausschließlich
Zugangsmodalitäten fest, deren Befolgung ohne weiteres möglich und zumutbar war.
Sie führte weder ausdrücklich noch faktisch zum Ausschluss der Öffentlichkeit
insgesamt oder auch nur einzelner Personengruppen oder Personen.
b) Die Sicherheitsverfügung widerspricht schließlich nicht den Anforderungen an
eine öffentliche Verhandlung nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (vgl.
zu deren Berücksichtigung BVerfGE 111, 307 <315 ff.>; 128, 326 <366 ff.> ).
aa) Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK gewährleistet das Recht auf eine öffentliche
Verhandlung. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz EMRK kann die Öffentlichkeit
während des ganzen oder eines Teils des Verfahrens ausgeschlossen werden -
soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält -, wenn unter besonderen
Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege
beeinträchtigen würde.
Die durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK garantierte Öffentlichkeit des Verfahrens
schützt die Rechtsunterworfenen vor einer Geheimjustiz, die sich öffentlicher
Kontrolle entzieht. Sie ist außerdem ein Mittel, um das Vertrauen in die
Gerichtsbarkeit zu sichern (vgl. EGMR, Urteil vom 8. Dezember 1983 - 8273/78 -,
Axen/Deutschland, Tz. 25, EGMR-E 2, 321 <325 f.>; EGMR, Urteil vom 22. Februar
1984 - 8209/78 -, Sutter/Schweiz, Tz. 26, EGMR-E 2, 345 <349>; EGMR, Urteil vom
14. November 2000 - 35115/97 -, Riepan/Österreich, Tz. 27; EGMR, Urteil vom 7. Juni
2007 - 66941/01 -, Zagorodnikov/Russland, Tz. 20; EGMR, Urteil vom 4. Dezember
2007 - 64056/00 -, Volkov/Russland, Tz. 25; EGMR, Urteil vom 4. Dezember 2008 -
28617/03 -, Belashev/Russland, Tz. 79).
Eine Verhandlung entspricht den an die Öffentlichkeit zu stellenden Anforderungen,
wenn die Allgemeinheit Informationen über deren Zeit sowie Ort erhalten kann und
wenn dieser Ort einfach zugänglich ist (vgl. EGMR, Urteil vom 29. November 2007 -
9852/03, 13413/04 -, Hummatov/Aserbaidschan, Tz. 144). Zwar können tatsächliche
Hindernisse ebenso gegen ein Konventionsrecht verstoßen wie rechtliche
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Beschränkungen. Daher kann es bei erheblichen tatsächlichen Zugangshindernissen
erforderlich sein, zur Gewährleistung der Öffentlichkeit Ausgleichsmaßnahmen zu
treffen (vgl. EGMR, Urteil vom 14. November 2000 - 35115/97 -, Riepan/Österreich,
Tz. 27 ff.; EGMR, Urteil vom 29. November 2007 - 9852/03, 13413/04 -,
Hummatov/Aserbaidschan, Tz. 143 f.). Allerdings wird der öffentliche Charakter einer
Verhandlung nicht schon dadurch berührt, dass sich mögliche Zuschauer etwa
bestimmten Identitätsüberprüfungen
und
möglichen Sicherheitsüberprüfungen
unterziehen müssen (vgl. EGMR, Urteil vom 14. November 2000 - 35115/97 -,
Riepan/Österreich, Tz. 28; EGMR, Urteil vom 29. November 2007 - 9852/03,
13413/04 -, Hummatov/Aserbaidschan, Tz. 143).
bb) Danach war die Verhandlung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK öffentlich.
D i e Sicherheitsverfügungen des Gerichtspräsidenten führten nicht zu einem
tatsächlichen Hindernis, als Zuschauer an der Hauptverhandlung teilnehmen zu
können. Das Gerichtsgebäude war auch für Träger der in der Sicherheitsverfügung
bezeichneten Oberbekleidung nach wie vor einfach zugänglich, da diese nur
ausgezogen und außerhalb des Gerichtsgebäudes hätte deponiert werden müssen.
Es handelte sich ersichtlich um eine ganz geringfügige Beschränkung, die keine
kompensatorischen Maßnahmen erforderlich machte.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Voßkuhle
Gerhardt
Landau