Urteil des BVerfG vom 15.01.2008

verfassungskonforme auslegung, körperschaft, gesetzgebungsverfahren, bundesrat

L e i t s a t z
zum Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Januar 2008
- 2 BvL 12/01 -
Zu den Grenzen der Kompetenz des Vermittlungsausschusses
(im Anschluss an BVerfGE 101, 297)
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvL 12/01 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
zur verfassungsrechtlichen Prüfung der Frage,
ob die ersatzlose Streichung von § 12 Abs. 2 Satz 4 des
Umwandlungssteuergesetzes 1995 in der Fassung bis zur Änderung durch Art. 3
Nr. 4 Buchstabe a des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom
29. Oktober 1997 ( BGBl I S. 2590 ) gegen Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1 des
Grundgesetzes verstößt;
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs vom 18. Juli 2001 - I R
38/99 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat – unter Mitwirkung der
Richterinnen und Richter
Vizepräsident Hassemer,
Broß,
Osterloh,
Di Fabio,
Mellinghoff,
Lübbe-Wolff,
Gerhardt,
Landau
am 15. Januar 2008 beschlossen:
Artikel 3 Nummer 4 Buchstabe a des Gesetzes zur Fortsetzung der
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Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (Bundesgesetzblatt I Seite
2590) ist mit dem Grundgesetz unvereinbar, bleibt aber gültig.
Gründe:
A.
Das Normenkontrollverfahren betrifft die Frage nach den verfassungsrechtlichen
Grenzen
für Beschlussempfehlungen
des
Vermittlungsausschusses
im
Zusammenhang
mit
der
Aufhebung
des
§
12
Abs.
2 Satz 4
Umwandlungssteuergesetz 1995 (UmwStG 1995) durch Art. 3 Nr. 4 Buchstabe a des
Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997.
I.
1. Das Umwandlungssteuergesetz 1995 wurde als Art. 1 des Gesetzes zur
Änderung des Umwandlungssteuerrechts vom 28. Oktober 1994 ( BGBl I S. 3267 )
verkündet und trat am 1. Januar 1995 in Kraft. Es modifizierte die gesetzlichen
Tatbestände der Ertragsteuern, um steuerliche Hemmnisse bei der Umstrukturierung
von
Unternehmen
abzubauen. Zu
diesem
Zweck
erlaubte
das
Umwandlungssteuergesetz 1995 in vielen Umwandlungsfällen die interpersonale
Übertragung von Verlustvorträgen und von stillen Reserven, soweit deren spätere
Besteuerung sichergestellt war.
Innerhalb des Umwandlungssteuergesetzes 1995 regelte dessen Dritter Teil (§§ 11
– 13 UmwStG) die steuerliche Behandlung von Verschmelzungen und
Vermögensübertragungen (Vollübertragungen) auf eine andere Körperschaft. § 11
UmwStG 1995 regelte die Auswirkungen der Verschmelzung auf den Gewinn der
übertragenden Körperschaft. § 13 UmwStG 1995 befasste sich mit den steuerlichen
Folgen der Verschmelzung für die Gesellschafter der übertragenden Körperschaft.
§ 12 UmwStG 1995 bestimmte sowohl die unmittelbaren als auch die künftigen
Folgen des Vermögensübergangs für die Besteuerung der übernehmenden
Körperschaft.
§ 12 UmwStG 1995 lautete ursprünglich auszugsweise:
§ 12
Auswirkungen auf den Gewinn
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der übernehmenden Körperschaft
(1) Für die Übernahme der übergegangenen Wirtschaftsgüter gilt § 4
Abs. 1 entsprechend. Beim Vermögensübergang von einer
steuerfreien auf eine steuerpflichtige Körperschaft sind die
übergegangenen Wirtschaftsgüter abweichend von § 4 Abs. 1 mit
dem Teilwert anzusetzen.
(2) Bei der Ermittlung des Gewinns der übernehmenden
Körperschaft bleibt ein Gewinn oder ein Verlust in Höhe des
Unterschieds zwischen dem Buchwert der Anteile (§ 4 Abs. 4 Satz 2)
und dem Wert, mit dem die übergegangenen Wirtschaftsgüter zu
übernehmen sind, außer Ansatz. Übersteigen die tatsächlichen
Anschaffungskosten den Buchwert der Anteile an der übertragenden
Körperschaft, so ist der Unterschiedsbetrag dem Gewinn der
übernehmenden Körperschaft hinzuzurechnen; die Zuwendungen
a n Unterstützungskassen rechnen zu den tatsächlichen
Anschaffungskosten. Die Hinzurechnung unterbleibt, soweit eine
Gewinnminderung, die sich durch den Ansatz der Anteile mit dem
niedrigeren Teilwert ergeben hat, nach § 50c des
Einkommensteuergesetzes nicht anerkannt worden ist. Die
Hinzurechnung darf den nach § 11 Abs. 2 ermittelten Wert des
übernommenen Vermögens, vermindert um den Buchwert der
Anteile, nicht übersteigen. Sind der übernehmenden Körperschaft an
dem steuerlichen Übertragungsstichtag nicht alle Anteile an der
übertragenden
Körperschaft
zuzurechnen, so tritt bei der
Anwendung des Satzes 3 an die Stelle des Werts des
übernommenen Vermögens der Teil dieses Werts, der dem
Verhältnis des Nennbetrags der Anteile der übernehmenden
Körperschaft zu dem Nennbetrag aller Anteile an der übertragenden
Körperschaft entspricht.
(3) Die übernehmende Körperschaft tritt bezüglich der Absetzungen
für
Abnutzung,
der
erhöhten Absetzungen,
der
Sonderabschreibungen,
der
Inanspruchnahme einer
Bewertungsfreiheit oder eines Bewertungsabschlags, der den
steuerlichen Gewinn mindernden Rücklagen sowie der Anwendung
der Vorschriften des § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 und 3 des
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Einkommensteuergesetzes sowie der Frist im Sinne des § 5 Abs. 2
d e s Gesetzes über steuerliche Maßnahmen bei Erhöhung des
Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln in die Rechtsstellung der
übertragenden Körperschaft ein. Das gilt auch für einen
verbleibenden Verlustabzug im Sinne des § 10d Abs. 3 Satz 2 des
Einkommensteuergesetzes unter der Voraussetzung, dass die
übertragende Körperschaft ihren Geschäftsbetrieb im Zeitpunkt der
Eintragung des Vermögensübergangs im Handelsregister noch nicht
eingestellt hatte.
(…)
Nach der Konzeption des Dritten Teils des Umwandlungssteuergesetzes 1995
sollte steuerrechtlich die übernehmende Körperschaft an die Stelle der
übertragenden Körperschaft treten, so als ob die Übernehmerin den übertragenen
Geschäftsbetrieb von Anfang an selbst ausgeübt hätte. Die Umwandlung führte daher
grundsätzlich nicht zur Aufdeckung der stillen Reserven. Ein steuerlicher
Verlustabzug (§ 10d EStG) der übertragenden Körperschaft konnte unter bestimmten
Voraussetzungen von der Übernehmerin fortgeführt werden (§ 12 Abs. 3 Satz 2
UmwStG 1995).
Bei der Verschmelzung von Körperschaften werden die Anteilseigner der
Überträgerin durch den Vermögensübergang Anteilseigner der Übernehmerin. Auch
die in den Anteilen an der übertragenden Körperschaft enthaltenen stillen Reserven
sollten nach der Konzeption des Umwandlungssteuergesetzes 1995 aufgrund der
Umwandlung nicht besteuert werden. § 13 UmwStG 1995 stellte dies grundsätzlich
sicher. Diese Vorschrift fand aber keine Anwendung, wenn die übernehmende
Körperschaft
Anteilseignerin der übertragenden Körperschaft war. Die
Verschmelzung führte in einem solchen Fall zum Untergang der Beteiligung an der
übertragenden Körperschaft. An deren Stelle trat das Betriebsvermögen der
übertragenden Körperschaft. Zweck des § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 1995 war es,
a u c h insofern die Erfolgsneutralität der Verschmelzung auf der Ebene der
übernehmenden Körperschaft sicherzustellen (vgl. BTDrucks 12/6885, S. 21).
Danach blieben Übernahmegewinn und Übernahmeverlust, die als Differenz
zwischen dem Wert der übergegangenen Wirtschaftsgüter (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1
i.V.m. § 4 Abs. 1 UmwStG 1995) und dem Buchwert der wegfallenden Beteiligung
(§ 12 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 4 Satz 2 UmwStG 1995) definiert waren, bei der
Ermittlung des Gewinns der übernehmenden Körperschaft „außer Ansatz“. Der
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Übernahmegewinn war steuerfrei, der Übernahmeverlust nicht abziehbar.
Die Steuerneutralität des Übernahmegewinns wurde aber durch § 12 Abs. 2 Satz 2
Halbsatz 1 UmwStG 1995 relativiert. Danach war der Betrag, um den die
tatsächlichen Anschaffungskosten den Buchwert der Anteile an der übertragenden
Körperschaft übersteigen, dem Gewinn der übernehmenden Körperschaft
hinzuzurechnen. Die Norm kam insbesondere dann zur Anwendung, wenn die
Beteiligung vor der Umwandlung durch eine sogenannte Teilwertabschreibung
steuerwirksam gemindert worden war (vgl. Tz. 12.07 des Schreibens betr.
Umwandlungssteuergesetz 1995 ; Zweifels- und Auslegungsfragen
vom 25. März 1998 - Umwandlungssteuererlass). Die
übernehmende Körperschaft trat nach § 12 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1 UmwStG 1995 in
die steuerliche Rechtsstellung der übertragenden Körperschaft ein. Sie sollte so
gestellt werden, als ob sie den übertragenen Geschäftsbetrieb von Anfang an selbst
ausgeübt hätte, die steuerwirksame Minderung der Beteiligung nach dem
Vermögensübergang sollte daher nicht mehr aufrechterhalten werden (vgl. Dötsch, in:
Dötsch/Patt/Pung/Möhlenbrock, Umwandlungssteuerrecht,
6.
Aufl.
2007,
§ 12 UmwStG Rn. 22). In diesem Zusammenhang bestimmte § 12 Abs. 2 Satz 4
UmwStG 1995, dass die Hinzurechnung den nach § 11 Abs. 2 UmwStG 1995
ermittelten Wert des übernommenen Vermögens, vermindert um den Buchwert der
Anteile, nicht übersteigen darf.
2. Wohl um die unter bestimmten Voraussetzungen bestehende Möglichkeit einer
doppelten Verlustnutzung durch denselben Steuerpflichtigen zu beseitigen (vgl.
Mentel, DStR-Beilage 17/98, S. 23 <27>; Prinz, FR 1997, S. 881 <888>), hob der
Gesetzgeber § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 durch Art. 3 Nr. 4 Buchstabe a des
Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997
(BGBl I S. 2590 ) auf. Durch Art. 3 Nr. 5 desselben Gesetzes wurden zugleich die
Anwendungsvorschriften des § 27 UmwStG 1995 geändert; nach dessen neuem
Absatz 3 sollte die geänderte Fassung des § 12 Abs. 2 UmwStG 1995 erstmals auf
den Übergang von Vermögen anwendbar sein, der auf Rechtsakten beruhte, die nach
dem 31. Dezember 1996 wirksam wurden. Bereits durch Art. 4 des Gesetzes zur
Finanzierung
eines
zusätzlichen Bundeszuschusses
zur
gesetzlichen
Rentenversicherung vom 19. Dezember 1997 (BGBl I S. 3121 ) wurde der zeitliche
Anwendungsbereich jedoch eingeschränkt. Die Neuregelung war nunmehr auf
Umwandlungsvorgänge anzuwenden, deren Eintragung im Handelsregister nach
dem 5. August 1997, dem Tag der Abstimmung des Deutschen Bundestags über die
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Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur Fortsetzung
der Unternehmenssteuerreform, beantragt worden war (BTPlenarprot. 13/186,
S. 16860).
3. Das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform geht auf einen
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum Jahressteuergesetz 1996
(JStG 1996) vom 27. März 1995 (BTDrucks 13/901) zurück. Die Initiative zielte auf
zahlreiche steuerrechtliche Änderungen ab. Der Entwurf sah unter anderem eine
A b s c h a ffu n g der
Gewerbekapitalsteuer
und
einen
Einstieg
in
die
Gemeindefinanzreform vor. Art. 6 des Gesetzentwurfs enthielt auch Vorschläge zu
Änderungen im Achten Teil des Umwandlungssteuergesetzes (vgl. BTDrucks 13/901,
S. 78 f.). § 12 UmwStG 1995 spielte dabei nur insofern eine Rolle, als die in § 22
Abs. 1 und Abs. 2 UmwStG 1995 enthaltenen Verweisungen auf „§ 12 Abs. 3“
UmwStG 1995 zum Zwecke der Klarstellung (vgl. BTDrucks 13/901, S. 146) durch die
jeweilige Anfügung von „Satz 1“ präzisiert werden sollten. Schließlich sah der
Gesetzentwurf vor, § 50c EStG um einen neuen Abs. 11 zu ergänzen (vgl. BTDrucks
13/901, S. 14), wodurch Gestaltungsmodelle verhindert werden sollten, bei denen
steuerpflichtige
Kapitalerträge
durch ausschüttungsbedingte
„Teilwertabschreibungen“
oder
durch ausschüttungsbedingte Verluste bei
Veräußerung oder Entnahme von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft in steuerfreie
Veräußerungsgewinne „transformiert“ wurden (vgl. BTDrucks 13/901, S. 139 f.).
Die erste Beratung des Gesetzentwurfs erfolgte gemeinsam mit der Beratung eines
Antrags von Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Soziale
und gerechte Einkommensteuerreform 1996“ (BTDrucks 13/936) sowie der ersten
Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, mit dem die verfassungsrechtliche
Grundl age einer Beteiligung der Gemeinden am Umsatzsteueraufkommen
geschaffen
werden
sollte
(BTDrucks
13/900).
Eine
Änderung
des
Umwandlungssteuergesetzes wurde weder in der Beratung noch in den genannten
Gesetzentwürfen oder dem genannten Antrag der Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erwähnt. Am Ende der Beratung beschloss der
Deutsche Bundestag die Überweisung aller drei Vorlagen an die Ausschüsse.
Der für den Gesetzentwurf zum Jahressteuergesetz 1996 federführende
Finanzausschuss legte am 31. Mai 1995 eine erste Beschlussempfehlung vor, die
den ursprünglichen Gesetzentwurf erheblich veränderte (vgl. BTDrucks 13/1558,
S. 4 ff.). Unter anderem empfahl der Ausschuss, die dritte Stufe der
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Unternehmenssteuerreform vom Gesetzentwurf abzukoppeln; er umfasste daher
zunächst nur einen Teil des ursprünglichen Gesetzentwurfs. Darin war die Ergänzung
d e s § 50c EStG nicht mehr vorgesehen (vgl. BTDrucks 13/1558, S. 31). Die im
ursprünglichen
Gesetzentwurf vorgesehenen
Änderungen
des
Umwandlungssteuergesetzes 1995 wurden dann zusammen mit weiteren
Vorschlägen zum Umwandlungssteuergesetz 1995, die dessen Dritten Teil allesamt
nicht betrafen, in den Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1996 übernommen (vgl.
BTDrucks 13/1558, S. 169).
In der Aussprache im Plenum anlässlich der zweiten Beratung zum
Jahressteuergesetz
1996
wurden
die vorgesehenen Änderungen des
Umwandlungssteuerrechts nicht thematisiert (vgl. BTPlenarprot. 13/42, S. 3358 C ff.).
In der anschließenden dritten Beratung wurde der Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung sodann als Ganzes vom Deutschen Bundestag angenommen
(vgl. BTPlenarprot. 13/42, S. 3410 C, 3412 A). Nach Änderungen in einem
Vermittlungsverfahren trat das Jahressteuergesetz 1996 am 12. Oktober 1995 in Kraft
(BGBl
I S.
1250
<1413>).
Dabei entsprachen die Änderungen des
Umwandlungssteuergesetzes 1995 weitgehend der Ausschussfassung.
In seiner Zweiten Beschlussempfehlung und seinem Zweiten Bericht zu dem
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP griff der Finanzausschuss im
Februar 1997 den nicht verabschiedeten Teil der Gesetzesinitiative wieder auf. Er
empfahl, ein Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform zu
verabschieden, um die dritte Stufe der Unternehmenssteuerreform zu verwirklichen
( v g l . BTDrucks 13/7000, S. 5 ff.). Gegenstand des Gesetzentwurfs waren
Entlastungen der Steuerpflichtigen bei der Gewerbesteuer. Als Ausgleich empfahlen
die Koalitionsfraktionen, einen Umsatzsteueranteil der Gemeinden einzuführen, um
die daraus resultierenden kommunalen Steuerausfälle auszugleichen (vgl. BTDrucks
13/7000, S. 19 ff.). Als Kompensationsmaßnahmen für das dadurch zu erwartende
Sinken des Umsatzsteueraufkommens des Bundes und der Länder wurden nur
Regelungen außerhalb des Umwandlungssteuerrechts vorgeschlagen. Auch die
Vorlagen und Anträge der Opposition sowie eine Entschließung des Bundesrates, mit
denen sich der Finanzausschuss in diesem Zusammenhang beschäftigte (BTDrucks
13/4597; 13/4870; 13/5760; 13/5776), hatten das Umwandlungssteuerrecht nicht zum
Gegenstand. Gleiches gilt auch für den Zweiten Bericht des Haushaltsausschusses
zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1996 (BTDrucks 13/7001).
In der zweiten und dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Fortsetzung
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d e r Unternehmenssteuerreform wurde der Gesetzentwurf zusammen mit weiteren
Vorlagen beraten (vgl. BTPlenarprot. 13/161, S. 14509). Gegenstand der Debatte im
Bundestag
waren
die Folgeprobleme, die mit der Abschaffung der
Gewerbekapitalsteuer
verbunden
waren.
Änderungen
des
Umwandlungssteuergesetzes 1995, um etwa die Gegenfinanzierung sicherzustellen,
wurden nicht thematisiert. Der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung wurde
schließlich mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen am Ende der zweiten und dritten
Beratung angenommen (BTPlenarprot. 13/161, S. 14528 B ff.).
Der Bundesrat beschloss in seiner 711. Sitzung am 25. April 1997, dem vom
Deutschen Bundestag am 28. Februar 1997 verabschiedeten Gesetz gemäß Art. 106
Abs. 4 und Abs. 6 GG nicht zuzustimmen (BRDrucks 221/97).
Die Bundesregierung rief daraufhin am 28. April 1997 den Vermittlungsausschuss
an (BTDrucks 13/7579; BRDrucks 311/97). Das Anrufungsbegehren lautete:
Die Bundesregierung hat beschlossen, zu dem vom Deutschen
Bundestag am 28. Februar 1997 verabschiedeten Gesetz zur
Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform zu verlangen, dass der
Vermittlungsausschuss gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes
einberufen wird.
Der Vermittlungsausschuss nahm am 4. August 1997 unter anderem den
Vermittlungsvorschlag
hinsichtlich
des Gesetzes
zur
Fortsetzung
der
Unternehmenssteuerreform an. Dieser sah einen neuen Art. 3 (Änderung des
Umwandlungssteuergesetzes) vor, nach dessen Nr. 4 Buchstabe a § 12 Abs. 2 Satz 4
U m w S t G 1995 aufgehoben werden sollte (VermProt. 4. Fortsetzung der
21. Sitzung/13. WP, 4. August 1997, Anlage 1, S. 7). In seiner Beschlussempfehlung
bestimmte der Vermittlungsausschuss gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 GOVermA, dass im
Deutschen Bundestag gemeinsam über die Änderungen abgestimmt werde
(BTDrucks 13/8325, S. 1).
Der Bundestag stimmte dem Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses am
5. August 1997 ohne Aussprache (§ 10 Abs. 2 GOVermA) zu. Nach Zustimmung
durch
den
Bundesrat
wurde
das
Gesetz
zur Fortsetzung
der
Unternehmenssteuerreform am 29. Oktober 1997 ausgefertigt und am 31. Oktober
1997 im Bundesgesetzblatt verkündet.
4. Im Rahmen eines zeitlich parallel verlaufenen Gesetzgebungsverfahrens zu dem
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Entwurf eines Steuerreformgesetzes (StRG) 1998 (BTDrucks 13/7242, 13/7775),
welches nie in Kraft getreten ist und dessen Entwurf Änderungen des
Umwandlungssteuerrechts nicht vorsah, nahm der Bundestag am 26. Juni 1997
folgenden Entschließungsantrag an (BTPlenarprot. 13/184, S. 16587 A):
„Im Zusammenhang mit Umwandlungsvorgängen kommt es in
großem Umfang auch zur Verwertung von Verlusten. Die
Bundesregierung wird gebeten, Möglichkeiten einer gesetzlichen
Einschränkung der Verlustberücksichtigung in Umwandlungsfällen
zu prüfen und das Prüfungsergebnis so bald wie möglich
mitzuteilen.“
5. Ebenfalls im zeitlichen Zusammenhang mit dem Verfahren zum Erlass des
Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform erfolgte eine weitere
Änderung des Umwandlungssteuergesetzes 1995 durch das auf den mit dem Entwurf
eines
Jahressteuergesetzes
1996
der Koalitionsfraktionen inhaltsgleichen
Gesetzentwurf der Bundesregierung (BTDrucks 13/1173) zurückgehende Gesetz zur
Ergänzung des Jahressteuergesetzes 1996 und zur Änderung anderer Gesetze
(Jahressteuer-Ergänzungsgesetz 1996) vom 18. Dezember 1995 (BGBl I S. 1959).
Diese betraf § 5 Abs. 3 und § 22 Abs. 4 UmwStG 1995.
6. Das Umwandlungssteuergesetz 1995 unterlag auch in der Folge mehreren
Änderungen. Es wurde 2002 aufgrund der Ermächtigung neu gefasst und schließlich
durch das als Art. 6 des Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur
Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer
steuerrechtlicher Vorschriften vom 7. Dezember 2006 (BGBl I S. 2782 ) erlassene
Umwandlungssteuergesetz 2006 (UmwStG 2006), geändert durch Art. 5 des
Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14. August 2007 ( BGBl I S. 1912 ),
abgelöst.
II.
1. Im finanzgerichtlichen Ausgangsverfahren geht es um die steuerrechtliche
Beurteilung von Unternehmenskäufen nach dem sogenannten Kombinationsmodell.
Hauptbeteiligte der zu beurteilenden Unternehmenskäufe sind zwei natürliche
Personen, entsprechend der Benennung im Vorlagebeschluss im Folgenden X und Y
bezeichnet, sowie zwei Kapitalgesellschaften, die im Vorlagebeschluss als G-GmbH
und B-GmbH bezeichnet werden. Die Mutterkapitalgesellschaft ist im vorliegenden
Fall die G-GmbH, die Tochterkapitalgesellschaft die B-GmbH. Während die B-GmbH
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ein Unternehmen betrieb, handelte es sich bei der G-GmbH um einen bloßen GmbH-
Mantel. Ursprünglich war Y Inhaber der B-GmbH.
Im Juni 1991 erwarb X sämtliche Geschäftsanteile an der G-GmbH. Zugleich erwarb
die G-GmbH mit Wirkung zum Jahreswechsel 1991/1992 von Y sämtliche Anteile an
der B-GmbH. Am 23. Dezember 1992 erwarb die G-GmbH mit Wirkung zum
Jahreswechsel 1992/1993 den gesamten Geschäftsbetrieb der B-GmbH mit allen
Aktiva und Passiva, Verträgen sowie der Betriebs- und Geschäftsausstattung.
Die B-GmbH schüttete per 31. Dezember 1992 als Nettodividende vorhandene
Gewinnvorträge und den für 1992 erwirtschafteten Jahresüberschuss zuzüglich des
Körperschaftsteuerguthabens an die G-GmbH aus. Der B-GmbH verblieb lediglich
das Stammkapital. Die G-GmbH aktivierte die übernommenen Wirtschaftsgüter
einschließlich Firmenwert. Zudem setzte die G-GmbH für ihre Beteiligung an der B-
GmbH infolge der vorgenommenen Ausschüttung einen niedrigeren Teilwert an. Die
B-GmbH war seitdem nicht mehr geschäftlich tätig. Mit notariellem Vertrag vom 21.
August 1997 wurde die B-GmbH als übertragende Gesellschaft mit Wirkung zum 31.
Dezember 1996 und unter Ausschluss der Abwicklung gemäß § 2 Nr. 1 in
Verbindung mit §§ 46 ff. UmwG auf die G-GmbH verschmolzen. Die Verschmelzung
wurde am 8. September 1997 in das Handelsregister eingetragen. Verlustvorträge
gingen bei der Umwandlung nicht über. Später wurde die G-GmbH auf die Klägerin
des Ausgangsverfahrens, die als Gesamtrechtsnachfolgerin in alle Rechte und
Pflichten der G-GmbH eintrat, verschmolzen. Die Umwandlung wurde am 4.
September 2000 in die Handelsregister eingetragen.
Für das Jahr 1996 erklärte die G-GmbH einen steuerlichen Verlust von
1.613.506 DM. Auf dieser Grundlage setzte das Finanzamt die Körperschaftsteuer
fest. Allerdings rechnete es die im Jahr 1992 vorgenommene ausschüttungsbedingte
„Teilwertabschreibung“ nach § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG 1995 hinzu, weil die
Hinzurechnungsbegrenzung gemäß § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 a.F.
weggefallen war. Statt 27,09 DM nach alter Rechtslage berechnete das Finanzamt
einen Beteiligungskorrekturgewinn in Höhe von 4.236.282,60 DM. Der Einspruch der
G-GmbH blieb ebenso erfolglos wie die Klage vor dem Finanzgericht Baden-
Württemberg.
Im Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof machte die Klägerin des
Ausgangsverfahrens unter anderem geltend, das Finanzgericht hätte § 12 Abs. 2
UmwStG 1995 teleologisch reduzieren oder verfassungskonform auslegen müssen.
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Sie berief sich in diesem Zusammenhang auf den Grundsatz der Einmalbesteuerung,
d a s Leistungsfähigkeitsprinzip,
das
Übermaßverbot
und
das
Gleichbehandlungsgebot. Darüber hinaus sollten § 12 Abs. 2 und § 27 Abs. 3
UmwStG
1995
gegen
das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete
Rückwirkungsverbot verstoßen. Schließlich rügte die Revisionsklägerin - unter
Hinweis auf BVerfGE 101, 297 - die formelle Verfassungswidrigkeit der Streichung
des § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995, weil die Gesetzesänderung auf eine Initiative
des Vermittlungsausschusses zurückgehe.
2. Der Bundesfinanzhof hat das Revisionsverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG
ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, „ob die
ersatzlose Streichung von § 12 Abs. 2 Satz 4 des Umwandlungssteuergesetzes 1995
i.d.F. bis zur Änderung durch Art. 3 Nr. 4 Buchst. a des Gesetzes zur Fortsetzung der
Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 ( BGBl I 1997, 2590 ) gegen Art. 20
Abs. 3, Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes verstößt“.
Die Aufhebung von § 12 Abs. 2 Satz 4 des UmwStG 1995 a.F. durch Art. 3 Nr. 4
Buchstabe a des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform sei nicht
in formell verfassungsmäßiger Weise zustande gekommen.
Die vorgelegte Frage sei entscheidungserheblich. Folge man dem Wortlaut der
gesetzlichen Vorgaben, so sei, wie auch die Klägerin einräume, das Urteil des
Finanzgerichts zu bestätigen. Eine Hinzurechnung nach § 12 Abs. 2 Satz 2
UmwStG 1995 sei hier vorzunehmen, weil die tatsächlichen Anschaffungskosten den
Buchwert der Anteile überstiegen und die Ausnahmevoraussetzungen des § 12
Abs. 2 Satz 3 UmwStG 1995 nicht erfüllt seien. Mit diesem dem Wortlaut der
Vorschriften folgenden Ergebnis stünde die Rechtsvorgängerin der Klägerin
schlechter als nach § 12 Abs. 2 UmwStG 1995 a.F. Denn nach dessen Satz 4 hätte
lediglich ein Betrag von 27 DM hinzugerechnet werden können, nämlich der
Unterschiedsbetrag zwischen dem Verkehrswert des übernommenen Vermögens in
Höhe
von 400.027,09 DM und dem Buchwert der Anteile in Höhe von
400.000,00 DM.
§ 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 a.F. sei allerdings auf den vorliegenden Fall nicht
anwendbar, da die Eintragung der Verschmelzung der B-GmbH auf die G-GmbH in
das Handelsregister erst nach dem in § 27 Abs. 3 UmwStG 1995 in der Fassung des
Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen
Rentenversicherung vom 19. Dezember 1997 genannten Stichtag, dem 5. August
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1997, beantragt worden sei.
Das Finanzgericht habe eine teleologische Reduktion des § 12 Abs. 2 UmwStG
1995 zu Recht abgelehnt. Der Gesetzeswortlaut sei eindeutig und belasse hierzu
keinen Raum. Aus den gleichen Gründen komme auch eine verfassungskonforme
Auslegung der den zeitlichen Anwendungsbereich betreffenden Vorschrift des § 27
Abs. 3 UmwStG 1995 n.F. nicht in Betracht.
Die Revision müsste daher, die Verfassungsmäßigkeit des § 12 Abs. 2 UmwStG
1995
in der
Neufassung
des
Gesetzes
zur
Fortsetzung
der
Unternehmenssteuerreform unterstellt, als unbegründet zurückgewiesen werden. Die
ersatzlose Streichung von § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 a.F. verstoße indes
gegen das Demokratieprinzip in Gestalt des Parlamentsvorbehalts (Art. 20 Abs. 3,
Art. 76 Abs. 1 GG), weil die Streichung auf einen Einigungsvorschlag des
Vermittlungsausschusses zurückzuführen sei, der die Grenzen überschritten habe,
die
nach
der Rechtsprechung
des
Bundesverfassungsgerichts
den
Beschlussempfehlungen
des
Vermittlungsausschusses
gesetzt seien. Der
Vermittlungsausschuss sei autonom tätig geworden. An entsprechenden
parlamentarischen Vorgaben fehle es. Zwar enthalte der ursprüngliche
Regierungsentwurf mit dem geplanten § 50c Abs. 11 EStG eine Gesetzesänderung,
die ebenfalls auf eine Missbrauchsverhinderung infolge vorangegangener
Teilwertabschreibungen abgezielt habe. Ein Zusammenhang mit der Änderung von
§ 12 Abs. 2 UmwStG 1995 bestehe jedoch nicht. Nicht anders verhalte es sich im
Hinblick auf die diversen anderen, im Regierungsentwurf vorgesehenen gesetzlichen
Maßnahmen, durch die die aufkommensneutrale Gegenfinanzierung zu der ins Auge
gefassten Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer sichergestellt werden sollte. Es
könne auch nicht darauf abgestellt werden, ob solche Maßnahmen im
Zusammenhang mit anderen gesetzlichen Vorhaben Gegenstand parlamentarischer
Beratungen gewesen seien. Der Vermittlungsausschuss werde grundsätzlich nur im
Rahmen des Anrufungsbegehrens und des ihm zugrunde liegenden
Gesetzgebungsverfahrens tätig. Schließlich seien auch irgendwelche formellen oder
inhaltlichen Verknüpfungen oder Verbindungen zwischen dem Gesetzesvorhaben zur
Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform und dem Steuerreformgesetz 1998 nicht
ersichtlich.
III.
Zu dem Verfahren haben die Bundesregierung und Finanzgerichte der Länder
Stellung genommen.
43
44
45
46
47
1. Die Bundesregierung hält die Vorlage für unzulässig, jedenfalls aber für in der
Sache unbegründet.
a) Der Bundesfinanzhof habe nicht hinreichend dargetan, dass seine Entscheidung
über die Revision von der Gültigkeit der vorgelegten Rechtsvorschrift abhänge. Eine
Entscheidungserheblichkeit liege tatsächlich auch nicht vor. Die Unternehmenskäufe
und Umwandlungen seien im vorliegenden Fall nur vorgenommen worden, um
Steuern zu sparen. Die Frage des Gestaltungsmissbrauchs im Sinne des § 42 AO
1977 habe der Bundesfinanzhof jedoch nicht einmal geprüft. Der für die Prüfung der
Verfassungsmäßigkeit relevante Sachverhalt sei im fachgerichtlichen Verfahren nicht
ausreichend aufgeklärt worden.
§ 12 Abs. 2 UmwStG 1995 hätte auch bei einer Weitergeltung des Satzes 4
teleologisch so reduziert werden müssen, dass eine nicht gerechtfertigte doppelte
Verlustnutzung nicht vorgenommen werden durfte. Die nahe liegende Möglichkeit
einer verfassungskonformen Auslegung zu Lasten des Steuerpflichtigen sei vom
Bundesfinanzhof nicht erörtert worden.
b) Der Aussetzungs- und Vorlagebeschluss sei zumindest in der Sache
unbegründet, da jedenfalls eine verfassungskonforme Auslegung möglich sei. Im
Übrigen sei die ersatzlose Aufhebung von § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 durch
Art.
3
Nr.
4
Buchstabe
a
des Gesetzes zur Fortsetzung der
Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 in formell verfassungsmäßiger
W e i s e zustande gekommen. Eine Überschreitung der Kompetenzen des
Vermittlungsausschusses habe nicht vorgelegen. Die Bundesregierung stellt in
diesem
Zusammenhang
darauf
ab,
dass der
Entwurf
eines
Jahressteuergesetzes 1996 vom 27. März 1995 bereits den Vorschlag eines neu
einzufügenden § 50c Abs. 11 EStG enthalten habe, um Gestaltungsmodelle
einzuschränken, bei denen aufgrund einer Ausschüttung nach Anteilsveräußerung
steuerpflichtige Kapitalerträge durch ausschüttungsbedingte Gewinnminderungen
neutralisiert werden können. Eine hinreichende parlamentarische Vorbefassung mit
der Streichung des § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 a.F. habe daher stattgefunden.
Der unmittelbare Zusammenhang zwischen § 50c EStG und § 12 UmwStG 1995
werde aus § 12 Abs. 2 Satz 3 UmwStG 1995 und der dortigen Verweisung auf § 50c
EStG deutlich.
Die in Rede stehende gesetzgeberische Maßnahme sei der Sache nach zudem in
dem parallelen Gesetzgebungsverfahren zum Steuerreformgesetz 1998 beraten
48
49
50
worden. Angesichts der Entschließung des Bundestages vom 26. Juni 1997 habe das
Parlament eine Vermittlung in dieser Frage erwarten dürfen. Im Übrigen habe eine in
d e n Medien geführte Diskussion über die tatsächlich niedrige Steuerlast der
Unternehmen auch in die parlamentarischen Gremien hereingereicht. Es sei zudem
im
gesamten Gesetzgebungsverfahren des Gesetzes zur Fortsetzung der
Unternehmenssteuerreform einhellige Zielsetzung aller Beteiligten gewesen, das
hohe Verlustverrechnungspotential der Unternehmen einzuschränken. Zu Beginn der
parlamentarischen Beratungen sei nur noch zu präzisieren gewesen, durch welche
konkreten
Gesetzesänderungen
diese materiellen
Zielsetzungen
und
Gegenfinanzierungsregelungen verwirklicht werden sollten. Gerade in den
k o m p l e x e n Regelungen
des
Umwandlungssteuergesetzes
und
seinen
Wechselwirkungen
mit
dem
Einkommensteuergesetz
und
dem
Körperschaftsteuergesetz sei es den Parlamentariern nicht darauf angekommen, in
welcher Detailregelung letztlich die als Missbrauchsbekämpfung oder zur
Vermeidung
von unerwünschten
Gestaltungen
gewollten
Verlustnutzungsbeschränkungen
in
Umwandlungsfällen gesetzestechnisch
umgesetzt wurden. Im Übrigen habe auch keiner der Abgeordneten, deren
Entscheidungsverantwortung gerade geschützt werden solle, das Ergebnis des
Gesetzgebungsverfahrens in Frage gestellt.
2. Soweit die Finanzgerichte der Länder zur Sache Stellung genommen haben,
schließen sie sich überwiegend der Auffassung des Bundesfinanzhofs an. Das
Hessische Finanzgericht weist in diesem Zusammenhang auf weitere Normen hin,
die vom Vermittlungsausschuss in das Gesetzgebungsverfahren eingeführt wurden
und
unter
dem gleichen Verfassungsverstoß litten, wenn die konkrete
Normenkontrolle begründet sein sollte. Das Niedersächsische Finanzgericht führt
aus, gerade wenn das Parlament, wie im Falle der Steuergesetzgebung, in hohem
Maße auf die Zuarbeit der Fachverwaltung angewiesen sei, sei es umso wichtiger,
durch eine strikte Eingrenzung des dem Vermittlungsausschuss erteilten Auftrags den
Rahmen der Gesetzesinitiative nicht zu verlassen.
B.
Die Vorlage des Bundesfinanzhofs ist zulässig.
1. Die Vorlagefrage bedarf der Klarstellung. Der Bundesfinanzhof fragt, ob die
ersatzlose Streichung von § 12 Abs. 2 Satz 4 des UmwStG 1995 in der Fassung
51
52
bis zur Änderung durch Art. 3 Nr. 4 Buchstabe a des Gesetzes zur Fortsetzung der
Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 gegen Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1
GG verstößt. Tauglicher Prüfungsgegenstand einer konkreten Normenkontrolle kann
jedoch nicht der Inhalt einer Norm - hier die „Streichung“ des § 12 Abs. 2 Satz 4 des
UmwStG 1995 -, sondern nur eine Norm als solche sein. Der Vorlagebeschluss ist
daher sinngemäß auszulegen (vgl. BVerfGE 13, 39 <41 f.>; 15, 268 <270 f.>; 48, 376
<387 f.>). Richtig verstanden stellt das vorlegende Gericht die Rechtsfrage (vgl. § 81
BVerfGG), ob Art. 3 Nr. 4 Buchstabe a des Gesetzes zur Fortsetzung der
Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 wegen eines Verstoßes gegen
Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist. Wenn die Norm nichtig ist, ist
§ 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 bis zur Ablösung des Umwandlungssteuergesetzes
1995 durch das Umwandlungssteuergesetz 2006 weiter in Kraft geblieben.
2. Der Bundesfinanzhof hat die Entscheidungserheblichkeit der zur Prüfung
gestellten Norm für das bei ihm anhängige Verfahren hinreichend dargetan.
Seine Auslegung des § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 a.F. ist in jeder Hinsicht
vertretbar. Ebenso ist die Subsumtion des Bundesfinanzhofs nicht zu beanstanden,
dass
bei
einer
Gültigkeit
der vorgelegten
Rechtsvorschrift
der
Beteiligungskorrekturgewinn gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG 1995 von der
Klägerin vollumfänglich zu versteuern ist, wohingegen bei ihrer Ungültigkeit der
Hinzurechnungsbetrag auf 27 DM begrenzt ist. Der Bundesfinanzhof setzt sich in
d i e s e m Zusammenhang insbesondere auch mit der Möglichkeit einer
verfassungskonformen Auslegung hinreichend auseinander (vgl. hierzu BVerfGE 85,
3 2 9 <333 f.>; 88, 187 <194> ). Eine von der Klägerin des Ausgangsverfahrens
geforderte teleologische Reduktion des § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG 1995 lehnt der
Bundesfinanzhof unter Hinweis auf den eindeutigen Wortlaut der Vorschrift sowie den
in der Aufhebung des § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 zum Ausdruck kommenden
Willen des Gesetzgebers ab. Auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 27
Abs. 3 UmwStG 1995 n.F. verneint der Bundesfinanzhof in jedenfalls für die
vorliegende Fallkonstellation zutreffender Weise. Nach § 27 Abs. 3 UmwStG 1995 in
der Fassung des Art. 4 des Gesetzes zur Finanzierung eines zusätzlichen
Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom 19. Dezember 1997 ist
§ 12 Abs. 2 UmwStG 1995 erstmals auf Umwandlungsvorgänge anzuwenden, deren
Eintragung nach dem 5. August 1997 beantragt worden ist. Dieser Wortlaut schließt
eine verfassungskonforme Auslegung der Bestimmung aus, die sich auf die
Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsvorschrift im Ausgangsverfahren
53
54
55
56
auswirken könnte.
Die von der Bundesregierung vorgeschlagene teleologische Reduktion des § 12
Abs. 2 UmwStG 1995 im Falle einer Weitergeltung von dessen Satz 4 musste der
Bundesfinanzhof nicht in Erwägung ziehen; denn eine derartige Auslegung würde
gegen den eindeutigen Wortlaut der Bestimmung verstoßen.
Schließlich bestand für den Bundesfinanzhof kein Anlass, einen Missbrauch nach
§ 42 AO 1977 zu prüfen. Die Bundesregierung kommt selbst nicht zu dem Schluss,
dass
der
Unternehmenskauf
nach
dem Kombinationsmodell
einen
Gestaltungsmissbrauch darstellt. Der Bundesfinanzhof hatte zudem bereits im Jahr
1996 entschieden, dass die entgeltliche Übertragung von GmbH-Anteilen auf eine
neu gegründete GmbH zwecks Verrechnung von künftig auszuschüttenden
Beteiligungserträgen mit einer ausschüttungsbedingten Teilwertabschreibung nicht
missbräuchlich im Sinne von § 42 AO 1977 ist, sofern die Anteilsübertragung auf
Dauer angelegt ist (BFHE 181, 490). Darauf bezugnehmend haben im vorliegenden
F a l l bereits das beklagte Finanzamt sowie auch das Finanzgericht einen
Gestaltungsmissbrauch verneint. Der Bundesfinanzhof musste das Fehlen eines
Gestaltungsmissbrauchs daher nicht mehr darlegen.
Darüber hinaus hat der Bundesfinanzhof seine Überzeugung von der
Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm in einer Art. 100 Abs. 1 GG
und § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG entsprechenden Weise hinreichend deutlich
dargelegt. Er hat die verfassungsrechtlichen Maßstäbe dargestellt, gegen die Art. 3
Nr. 4 Buchstabe a des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom
29. Oktober 1997 verstoßen soll. Insbesondere setzt er sich in seiner Vorlage mit der
einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vertieft auseinander
und legt seine Ansicht von der formellen Verfassungswidrigkeit der vorgelegten
Rechtsvorschrift ohne jeden Zweifel dar.
C.
Art.
3
Nr.
4
Buchstabe
a
des Gesetzes zur Fortsetzung der
Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 ist in einer mit dem Grundgesetz
unvereinbaren Weise zustande gekommen, bleibt aber gültig. Die Norm ist unter
Verletzung der Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Art. 76
Abs. 1 GG zustande gekommen (I.). Dieser Verfassungsverstoß ist jedoch nicht
evident und führt daher nicht zur Nichtigkeit der Norm (II.). Sonstige
57
58
59
60
Verfassungsverstöße sind nicht ersichtlich (III.).
I.
Der Vermittlungsausschuss hat mit seinen Beschlussempfehlungen im Verfahren
zum Erlass des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.
Oktober 1997 seine verfassungsrechtlichen Kompetenzgrenzen überschritten.
1. Die Kompetenzen des Vermittlungsausschusses und ihre Grenzen sind in der
Verfassung nicht ausdrücklich geregelt. Sie ergeben sich aber aus der Funktion und
Stellung des Gremiums im Gesetzgebungsverfahren (vgl. zum Folgenden BVerfGE
72, 175 <187 ff.>; 78, 249 <271>; 101, 297 <306 ff.> ).
Die Einrichtung des Vermittlungsausschusses beruht auf der bundesstaatlichen
Ausgestaltung
des Gesetzgebungsverfahrens (vgl. Ossenbühl, Verfahren der
Gesetzgebung, in: Isensee/Kirchhof , Handbuch des Staatsrechts, Band III,
2. Aufl. 1996, § 63 Rn. 50). Bundesgesetze werden zwar gemäß Art. 77 Abs. 1
Satz 1 GG vom Bundestag beschlossen. Dem Bundesrat kommen im
Gesetzgebungsverfahren aber Mitwirkungsrechte zu, sodass er durch einen
Einspruch oder die Verweigerung einer erforderlichen Zustimmung Einfluss auf die
Gesetzgebung nehmen kann. In diesem System hat der Vermittlungsausschuss die
Aufgabe, im Falle unterschiedlicher Auffassungen zwischen Bundestag und
Bundesrat einen Einigungsvorschlag zu erarbeiten, über den der Bundestag sodann
erneut zu beschließen hat (Art. 77 Abs. 2 Satz 5 GG). Der Vermittlungsausschuss hat
demgemäß im Gesetzgebungsverfahren zwar keine Entscheidungskompetenz, wohl
aber eine den Kompromiss vorbereitende, ihn aushandelnde und faktisch gestaltende
Kompetenz.
Diese
jeder Vermittlungstätigkeit
innewohnende
faktische
Gestaltungsmacht ist durch die verfassungsrechtliche Ausgestaltung des
Gesetzgebungsverfahrens beschränkt.
So verfügt der Vermittlungsausschuss über kein eigenes Gesetzesinitiativrecht,
sondern wird nur tätig, sofern er nach der Zustimmung des Bundestages zu einem
Gesetzentwurf (Art. 77 Abs. 1 GG) von einem der in Art. 76 Abs. 1 GG genannten
Initiativberechtigten angerufen wird. Ihm kommt daher lediglich die Aufgabe zu, auf
der
Grundlage
dieses
Gesetzesbeschlusses
und
des
vorherigen
Gesetzgebungsverfahrens Änderungsvorschläge zu erarbeiten, die sich sowohl im
Rahmen der parlamentarischen Zielsetzung des Gesetzgebungsvorhabens bewegen
als
auch
die
jedenfalls
im Ansatz sichtbar gewordenen politischen
Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat ausgleichen.
61
Andernfalls würde der von Verfassungs wegen gebotene Zusammenhang zwischen
der öffentlichen Debatte im Parlament und der späteren Schlichtung zwischen den an
der Gesetzgebung beteiligten Verfassungsorganen aufgelöst, und zwar zulasten der
öffentlichen
Beobachtung
des Gesetzgebungsverfahrens,
denn
der
Vermittlungsausschuss tagt im Interesse der Effizienz seiner Arbeit unter Ausschluss
d e r Öffentlichkeit, er muss seine Empfehlungen auch nicht unmittelbar vor der
Öffentlichkeit
verantworten.
Zur
Wahrung der
bundesstaatlichen
Kompetenzverteilung, der Rechte der Abgeordneten, der Öffentlichkeit der
parlamentarischen Debatte und damit der demokratischen Kontrolle der
Gesetzgebung darf der Vermittlungsausschuss daher lediglich solche Änderungen,
Ergänzungen oder Streichungen des Gesetzesbeschlusses vorschlagen, die sich im
Rahmen des Anrufungsbegehrens und des Gesetzgebungsverfahrens bewegen. Der
Vermittlungsvorschlag darf weder zu einer Verlagerung der Entscheidungen in den
Ausschuss und damit zu einer Entparlamentarisierung führen noch dazu, dass der
Bundesrat ohne Beteiligung des Bundestages Einfluss auf die Gesetzgebung
nehmen kann.
Das zum Anrufungsbegehren führende Gesetzgebungsverfahren wird durch die
zuvor dort eingeführten Anträge und Stellungnahmen der Abgeordneten, aber auch
d e s Bundesrates sowie im Falle einer Regierungsvorlage gegebenenfalls der
Bundesregierung bestimmt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und in welcher Form
der Bundestag die Anträge und Stellungnahmen in seinem Gesetzesbeschluss
berücksichtigt hat. Entscheidend ist allein, dass sie im Gesetzgebungsverfahren vor
dem Gesetzesbeschluss bekannt gegeben worden sind und die Abgeordneten in
Wahrnehmung ihrer ihnen aufgrund ihres freien Mandats obliegenden Verantwortung
(vgl. BVerfGE 102, 224 <238 f.>) die Möglichkeit hatten, diese zu erörtern, Meinungen
zu vertreten, Regelungsalternativen vorzustellen und hierfür eine Mehrheit im
Parlament
zu
suchen.
Diese
Möglichkeit
wird
verschlossen, wenn
Regelungsgegenstände erst nach der letzten Lesung des Bundestages in das
Gesetzgebungsverfahren eingeführt werden. Die Abgeordneten werden stattdessen
mit einem fertigen Gesetzentwurf konfrontiert, dessen einzelne Bestandteile sie in
diesem Verfahrensabschnitt nicht mehr in das übliche Beratungsverfahren
aufnehmen können. Dies ist nur vertretbar, wenn es sich sämtlich um
Regelungsgegenstände
handelt,
die jedenfalls dem Grunde nach im
Gesetzgebungsverfahren erkennbar geworden sind. Andernfalls können auch keine
Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat bestehen, auf deren
Ausgleich
das
Vermittlungsverfahren zielt, da das Parlament mit dem
62
63
64
65
66
Regelungsgegenstand noch nicht befasst war.
Die Kompetenz des Vermittlungsausschusses beschränkt sich danach darauf, mit
dem Beschlussvorschlag eine Brücke zwischen Regelungsalternativen zu schlagen,
d i e bereits zuvor in den Gesetzgebungsorganen erörtert worden oder jedenfalls
erkennbar geworden sind. Der Vermittlungsausschuss darf mit seinem Vorschlag
weder ein ihm nicht zustehendes Gesetzesinitiativrecht beanspruchen noch das
parlamentarische
Gesetzgebungsverfahren
verkürzen
und
der öffentlichen
Aufmerksamkeit entziehen. Der Vermittlungsvorschlag muss so ausgestaltet sein,
dass er dem Bundestag aufgrund der dort zu führenden parlamentarischen Debatte
zurechenbar ist. Er ist deshalb durch diejenigen Regelungsgegenstände begrenzt,
die bis zur letzten Lesung im Bundestag in das jeweilige Gesetzgebungsverfahren
eingeführt waren. Dies muss nicht in Form eines ausformulierten Gesetzentwurfs
erfolgen. Der Regelungsgegenstand muss aber so bestimmt sein, dass seine
sachliche Tragweite dem Grunde nach erkennbar wird. Eine allgemeine
Zielformulierung genügt hierfür nicht (vgl. Franßen, Der Vermittlungsausschuß -
politischer Schlichter zwischen Bundestag und Bundesrat?, in: Die Freiheit des
Anderen, Festschrift für Martin Hirsch, 1981, S. 273 <280>). So genügt etwa die bloße
Formulierung eines Finanzierungszweckes nicht, über das Vermittlungsverfahren
belastende steuerrechtliche Regelungen einzuführen.
2. An diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben gemessen verstößt Art. 3 Nr. 4
Buchstabe a des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.
Oktober 1997 gegen Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und
Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes.
Mit Art. 3 Nr. 4 Buchstabe a des Gesetzes zur Fortsetzung der
Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 hat der Vermittlungsausschuss
eine Bestimmung in seinen Einigungsvorschlag aufgenommen, die nicht Gegenstand
von Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat war.
Die Bundesregierung berief den Vermittlungsausschuss am 28. April 1997 mit
einem
sogenannten offenen
Anrufungsbegehren
ein,
das
konkrete
Meinungsverschiedenheiten nicht nannte. Solche sind - hinsichtlich der hier
gegenständlichen Regelung - auch aus dem Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens
nicht ersichtlich.
Von den Gesetzesmaterialien weisen Art. 6 des Gesetzentwurfs der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP zum Jahressteuergesetz 1996 vom 27. März 1995 und die
67
68
Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 31. Mai 1995 Bezüge zum
Umwandlungssteuerrecht auf. Die dort vorgeschlagenen Gesetzesänderungen hatten
jedoch für die umwandlungssteuerliche Behandlung der Verschmelzung von
Kapitalgesellschaften
keine
Bedeutung.
Zudem
wurden
diese
Normierungsgegenstände nach der Spaltung des Gesetzgebungsverfahrens bereits
mit dem Jahressteuergesetz 1996 und dem Jahressteuer-Ergänzungsgesetz 1996
abschließend geregelt. Bei der Einberufung des Vermittlungsausschusses zum
Gesetz über die Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform bestanden demnach
hierzu keine Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat.
Der Bundesrat verweigerte seine Zustimmung vor allem deshalb, weil nach seiner
Ansicht die vorgesehenen Gegenfinanzierungsmaßnahmen für Länder und
Gemeinden keinen vollen finanziellen Ausgleich schufen. Weder die Empfehlung des
Finanzausschusses noch Anträge der Länder schlugen aber konkrete
Kompensationsmaßnahmen
im
Umwandlungssteuerrecht vor. Auch in der
parlamentarischen Debatte wurde eine Änderung des Umwandlungssteuerrechts
nicht thematisiert. Die Entscheidung über die getroffene umwandlungssteuerliche
Kompensationsmaßnahme fiel erst im Vermittlungsausschuss.
Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat bestanden auch
nicht hinsichtlich der Einfügung des § 50c Abs. 11 EStG, sodass es nicht darauf
ankommt, ob die Auffassung der Bundesregierung zutrifft, dass diese Norm wegen
des engen sachlichen Zusammenhangs mit § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 einen
einheitlichen Regelungsgegenstand bildet. Ursprünglich war die Einfügung eines
§ 50c Abs. 11 EStG im Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum
Jahressteuergesetz 1996 vom 27. März 1995 enthalten. Mit der Abkopplung der
dritten Stufe der Unternehmenssteuerreform im Finanzausschuss des Bundestages
wurde dieser Vorschlag aber aus dem zum Gesetz zur Fortsetzung der
Unternehmenssteuerreform führenden Gesetzgebungsverfahren herausgenommen.
Der Finanzausschuss stellte ausdrücklich fest, dass die „Regelungen zur
Rückabwicklung verdeckter Gewinnausschüttungen und zur Nichtanerkennung von
ausschüttungsbedingten Gewinnminderungen beim Erwerb von Anteilen an
Kapitalgesellschaften derzeit nicht weiterverfolgt“ (BTDrucks 13/7000, S. 15) werden.
E r s t der Vermittlungsausschuss brachte § 50c Abs. 11 EStG wieder in das
Gesetzgebungsverfahren ein. Die Einfügung des § 50c Abs. 11 EStG war demnach
ebenso wenig Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag
und Bundesrat wie die Streichung des § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 a.F.
69
70
Der Vermittlungsausschuss hat demnach mit der Aufnahme des Art. 3 Nr. 4
Buchstabe a des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.
Oktober 1997 in den Einigungsvorschlag seine Kompetenzen überschritten. Indem er
die genannte Vorschrift in das Gesetzgebungsverfahren eingeführt hat, ohne dass
diese oder auch nur eine thematisch verwandte Regelung Gegenstand des
vorherigen Verfahrens gewesen wäre, hat er der Sache nach ein
Gesetzesinitiativrecht beansprucht, das gemäß Art. 76 Abs. 1 GG ausschließlich dem
Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung zusteht. Das so zustande
gekommene Gesetz verstößt wegen der unterbundenen Möglichkeit der
parlamentarischen Beratung zugleich gegen das Demokratieprinzip des Art. 20
Abs. 2 GG, das in Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG normierte Prinzip der Öffentlichkeit der
parlamentarischen Debatte sowie die Rechte der Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1
Satz 2 GG. Entgegen der Ansicht der Bundesregierung kommt es dabei nicht darauf
an, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang ein Interesse einzelner Abgeordneter
an
den
getroffenen Regelungen bestand. Die Regelungen über das
Gesetzgebungsverfahren zielen darauf ab, die demokratische Legitimation der zu
treffenden Regelungen sicherzustellen und zugleich die Balance zwischen den am
Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organen und wegen der Einbindung des
Bundesrates auch zwischen Bund und Ländern zu wahren. Sie sind daher von
strenger Förmlichkeit geprägt und stehen nicht zur Disposition der beteiligten Organe
oder ihrer Mitglieder.
Dem Prinzip der parlamentarischen Öffentlichkeit und den Rechten der
Abgeordneten wurde schließlich auch nicht etwa dadurch Rechnung getragen, dass
der Bundestag am 26. Juni 1997 im Verfahren des Steuerreformgesetzes 1998 die
genannte Entschließung fasste, in der die Bundesregierung aufgefordert wurde, die
gesetzliche Einschränkung der Verlustberücksichtigung in Umwandlungsfällen zu
prüfen. Diese Entschließung konnte die parlamentarische Beratung der in Rede
stehenden Änderung des Umwandlungssteuerrechts hier schon deshalb nicht
ersetzen (a.A. Cornils, Politikgestaltung durch den Vermittlungsausschuss, DVBl
2002,
S.
497 <503 f.>), weil sie erst nach der Einberufung des
Vermittlungsausschusses gefasst worden ist. Die Bundesregierung rief den
Vermittlungsausschuss bereits am 28. April 1997 an, also knapp zwei Monate vor
dem Beschluss des Bundestages. Dessen Entschließung konnte demnach schon
zeitlich nicht zu dem Material gehören, auf das der Vermittlungsausschuss bei seiner
Kompromissfindung zurückgreifen durfte. Es sind nur diejenigen Umstände zu
berücksichtigen, die im maßgeblichen Gesetzgebungsverfahren selbst liegen; eine
71
72
73
Gesamtbetrachtung aller im parlamentarischen Prozess erkennbaren Willens- und
Absichtsbekundungen außerhalb des konkreten Gesetzgebungsverfahrens würde die
Förmlichkeit dieses Verfahrens untergraben.
II.
Art.
3
Nr.
4
Buchstabe
a
des Gesetzes zur Fortsetzung der
Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 ist trotz des festgestellten
Verfassungsverstoßes weiter gültig, weil es für den Eintritt der regelmäßigen
Rechtsfolge einer mit höherrangigem Recht unvereinbaren Norm der Nichtigkeit an
der
nötigen
Evidenz
des Verfahrensverstoßes fehlt. Ein Mangel im
Gesetzgebungsverfahren führt mit Rücksicht auf die Rechtssicherheit nur dann zur
Nichtigkeit des Gesetzes, wenn er evident ist (vgl. BVerfGE 34, 9 <25>; 91, 148
<175> ).
Der hier festgestellte Verfahrensverstoß war nicht evident. Entscheidend dafür ist,
dass das Bundesverfassungsgericht die Maßstäbe, an denen gemessen das
eingeschlagene Gesetzgebungsverfahren als verfassungswidrig anzusehen ist, erst
in seinem Urteil vom 7. Dezember 1999 ( BVerfGE 101, 297 ) und damit nach
Abschluss des hier in Rede stehenden Gesetzgebungsverfahrens konkretisiert hat. In
den einschlägigen früheren Entscheidungen konnte es die Frage nach Umfang und
Grenzen des Vermittlungsausschusses noch offen lassen und sich daher darauf
beschränken, auf die Staatspraxis sowie mögliche in der Literatur erörterte Grenzen
der Vermittlungstätigkeit zu verweisen (vgl. BVerfGE 72, 175 <187 ff.> sowie unter
Bezugnahme auf diese Entscheidung BVerfGE 78, 249 <271>). In den älteren
Entscheidungen bleiben die inzwischen konkretisierten Maßstäbe zulässiger
Vermittlungstätigkeit noch unbestimmt, wenn etwa davon die Rede ist, der Spielraum
für Alternativ- und Ergänzungsvorschläge im Vermittlungsverfahren sei umso weiter,
je umfassender die Materie und das Regelungsziel des Gesetzesbeschlusses sind
(vgl. BVerfGE 72, 175 <190> ). Die Überschreitung der dem Vermittlungsausschuss
bei seiner Tätigkeit von Verfassungs wegen gesetzten Grenzen lässt sich erst unter
Heranziehung der im Urteil vom 7. Dezember 1999 entwickelten Maßstäbe
feststellen, auf die sich aber der Gesetzgeber im Jahr 1997 noch nicht einstellen
konnte.
Hinzu kommt, dass der zeitliche Anwendungsbereich der Streichung des § 12
Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 a.F. durch Art. 4 des Gesetzes zur Finanzierung eines
zusätzlichen Bundeszuschusses zur gesetzlichen Rentenversicherung vom 19.
74
75
76
Dezember 1997 nochmals modifiziert wurde. Damit hat der Gesetzgeber zugleich die
damit verbundene inhaltliche Änderung verfahrensrechtlich unbeanstandet in seinen
Willen aufgenommen.
III.
Sonstige verfassungsrechtliche Bedenken gegen Art. 3 Nr. 4 Buchstabe a des
Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997
bestehen nicht. Das Bundesverfassungsgericht ist im Verfahren der konkreten
Normenkontrolle zwar hinsichtlich des Prüfungsgegenstandes beschränkt, nicht aber
hinsichtlich des Maßstabs. Es hat daher die zur Prüfung gestellte Norm unter
jeglichem Gesichtspunkt und nicht nur unter demjenigen zu prüfen, den das
vorlegende
Gericht
zur
Begründung
seiner Überzeugung
von
der
Verfassungswidrigkeit der Norm heranzieht (vgl. BVerfGE 49, 260 <270 f.>; 66, 214
<222> ).
Die Norm ist materiell verfassungsgemäß. Es war von Verfassungs wegen nicht
geboten, die Hinzurechnung nach § 12 Abs. 2 UmwStG 1995 zu begrenzen. Die
Begrenzung des Beteiligungskorrekturgewinns bei der übernehmenden Körperschaft
gemäß § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 in Kombination mit der Verlustübertragung
nach § 12 Abs. 3 Satz 2 UmwStG 1995 eröffnete eine Gestaltungsmöglichkeit zur
doppelten Verlustnutzung durch denselben Steuerpflichtigen. Schon deshalb war es
dem Gesetzgeber unbenommen, diese Gestaltungsmöglichkeit zu verschließen.
Die Frage, ob mit der Streichung des § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 eine
verfassungswidrige Rückwirkung verbunden war, ist nicht Gegenstand des
vorliegenden Verfahrens. Der Prüfungsgegenstand beschränkt sich auf Art. 3 Nr. 4
Buchstabe a des Gesetzes über die Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom
29. Oktober 1997, der den zeitlichen Anwendungsbereich nicht regelt. Die
Voraussetzungen, unter denen das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung in
e i n e m Normenkontrollverfahren auf weitere Bestimmungen als die ihm zur
Überprüfung unterbreiteten erstrecken kann (§ 82 Abs. 1 i.V.m. § 78 Satz 2 BVerfGG),
sind nicht erfüllt.
Hassemer
Broß
Osterloh
Di Fabio
Mellinghoff
Lübbe-Wolff
Gerhardt
Landau