Urteil des BVerfG vom 23.09.2015

Zur Reichweite des Parlamentsvorbehalts für Streitkräfteeinsätze bei Gefahr im Verzug

Verkündet
am 23. September 2015
Kunert
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
L e i t s ä t z e
zum Urteil des Zweiten Senats vom 23. September 2015
- 2 BvE 6/11 -
1. Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist nicht auf Einsätze
bewaffneter Streitkräfte innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit
beschränkt, sondern gilt allgemein für bewaffnete Einsätze deutscher Soldaten im
Ausland und unabhängig davon, ob diese einen kriegerischen oder kriegsähnlichen
Charakter haben.
2. Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, den
Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu beschließen. In diesem Fall muss
sie das Parlament umgehend mit dem fortdauernden Einsatz befassen und die
Streitkräfte auf Verlangen des Bundestages zurückrufen.
3. Die Voraussetzungen dieser Eilentscheidungsbefugnis der Bundesregierung sind
verfassungsgerichtlich voll überprüfbar.
4. Ist ein von der Bundesregierung bei Gefahr im Verzug beschlossener Einsatz zum
frühestmöglichen Zeitpunkt einer nachträglichen Parlamentsbefassung bereits
beendet und eine rechtserhebliche parlamentarische Einflussnahme auf die
konkrete Verwendung der Streitkräfte deshalb nicht mehr möglich, verpflichtet der
wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt die Bundesregierung nicht, eine
Entscheidung des Deutschen Bundestages über den Einsatz herbeizuführen. Die
Bundesregierung muss den Bundestag jedoch unverzüglich und qualifiziert über
den Einsatz unterrichten.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvE 6/11 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über
den Antrag festzustellen,
dass die Bundesregierung das wehrverfassungsrechtliche Beteiligungsrecht des
- Bevollmächtigter:
Prof. Dr. Christoph Möllers,
Adalbertstraße 84, 10997 Berlin -
- Bevollmächtigter:
Prof. Dr. Matthias Herdegen,
Adenauer-Allee 24-42, 53113 Bonn -
Deutschen Bundestages in Form des konstitutiven Parlamentsvorbehalts für den
Einsatz bewaffneter Streitkräfte verletzt hat, indem sie es unterlassen hat, dessen
Zustimmung zum Einsatz deutscher Soldaten zur Rettung deutscher
Staatsangehöriger aus Libyen am 26. Februar 2011 einzuholen
Antragstellerin: Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag, vertreten
durch die Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Dr. Anton
Hofreiter und den geschäftsführenden Fraktionsvorstand, Platz der
Republik 1, 11011 Berlin
Antragsgegner: Bundesregierung, vertreten durch die Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel, Bundeskanzleramt, Willy-Brandt-Straße 1, 10557 Berlin,
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsident Voßkuhle,
Landau,
Huber,
Hermanns,
Müller,
Kessal-Wulf,
König,
Maidowski
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Januar 2015 durch
Urteil
für Recht erkannt:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
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2
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4
G r ü n d e :
A.
Das Organstreitverfahren betrifft die Frage, ob die Antragsgegnerin aufgrund des
wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts verpflichtet war, für die Evakuierung
deutscher Staatsangehöriger aus Libyen durch Soldaten der Bundeswehr am 26. Februar
2011 nachträglich die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen.
I.
1. a) Unter dem Einfluss der Unruhen in einigen Nachbarländern eskalierte ab Mitte Februar
2011 in Libyen der innenpolitische Konflikt zwischen der Regierung und ihren Gegnern zu
einem bewaffneten Aufstand gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi. Ein Zentrum der
gewalttätigen Auseinandersetzungen waren zunächst die ostlibyschen Landesteile,
insbesondere die im Nordosten gelegene Hafenstadt Bengasi. Der Krisenstab im
Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amtes befasste sich seit dem 20. Februar 2011 in
fortan täglichen, ressortübergreifenden Sitzungen mit den Entwicklungen in Libyen. Im
Bundesministerium der Verteidigung und im Einsatzführungskommando der Bundeswehr
wurden frühzeitig Vorbereitungen für diplomatische und militärische Evakuierungen deutscher
Staatsangehöriger auf dem Luft- oder Seeweg getroffen. Unbewaffnete Soldaten der
Bundeswehr flogen am 22. Februar 2011 mit zwei Transall C-160 Transportmaschinen und
am 23. Februar 2011 mit einem Airbus A310 deutsche Staatsbürger und Angehörige anderer
Staaten aus Tripolis aus. Gleichzeitig verließen Deutsche und weitere Ausländer die im
Nordwesten Libyens gelegene Hauptstadt mit einer Sondermaschine einer zivilen deutschen
Luftfahrtgesellschaft. Der Leiter der Europaabteilung im libyschen Ministerium des
Auswärtigen hatte der deutschen Botschaft am Abend des 22. Februar 2011 zur Nutzung des
Internationalen Flughafens Tripolis durch deutsche Militärmaschinen mitgeteilt, die dafür
zuständige Civil Aviation Authority habe für Evakuierungsflüge eine generelle Lande- und
Starterlaubnis erteilt, die sogenannte Diplo-Clearance.
b) Parallel zu den ungesicherten Luftabholungen durch die Bundeswehr wurden im
Mittelmeerraum Kräfte aus Heer, Luftwaffe und Marine zu einem Einsatzverband für eine
militärische Evakuierungsoperation zusammengeführt. Nach den vom Bundesministerium
der
Verteidigung
am
23.
Februar
2011
veranlassten
Planungen
des
Einsatzführungskommandos der Bundeswehr sollten bis zu 1000 Soldatinnen und Soldaten
im Rahmen der Operation „Pegasus“ isolierte oder gewaltsam bedrohte deutsche
Staatsbürger aus ganz Libyen evakuieren und retten oder gegebenenfalls befreien. Die vom
Einsatzführungskommando erlassene „Verhaltensanweisung für die Soldatinnen und
Soldaten des Einsatzverbandes militärische Evakuierungsoperation LIBYEN“ (Stand:
02/2011) betreffend „Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt“ sah nicht nur ein Recht
auf Selbstverteidigung und Nothilfe, sondern auch ein Recht auf Einsatz militärischer Gewalt
gegen Personen und Sachen zur Durchsetzung militärischer Evakuierungen vor. Der
maritime Teil des Einsatzverbandes, bestehend aus den Fregatten „Brandenburg“ und
„Rheinland-Pfalz“, dem Einsatzgruppenversorger „Berlin“ und dem Flottendienstboot „Oker“,
war vor der Ostküste Libyens am 27. Februar 2011 ab 3:00 Uhr, die nach Kreta verlegten
Kräfte für schnelle Luftevakuierungen waren ab 15:00 Uhr einsatzbereit.
2. a) Der Osten Libyens befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend in der Hand
der Regimegegner. Der durch den Bürgerkrieg bedingte Zerfall der staatlichen Strukturen
ging dort mit steigender Kriminalität einher, insbesondere auch Überfällen auf die Camps
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westlicher Unternehmen. Der Krisenstab im Auswärtigen Amt war noch am 23. Februar 2011
davon ausgegangen, dass die Mitarbeiter deutscher Firmen aus dem Camp in Nafurah,
einem 400 Kilometer südlich von Bengasi in der Nähe eines Ölfeldes gelegenen ostlibyschen
Wüstenort, ohne größere Schwierigkeiten über den Landweg würden ausreisen können.
Diese Einschätzung konnte bereits am 24. Februar 2011 nicht mehr aufrechterhalten werden,
nachdem mehrere Versuche, das Camp zu verlassen, aus Sicherheitsgründen abgebrochen
werden mussten. Die Verbindungsstraßen von Nafurah zum nächsten Hafen und in das
Nachbarland Ägypten führten durch umkämpfte Gebiete; auch wären die zur Verfügung
stehenden Kraftfahrzeuge von großem Wert für die bewaffneten rivalisierenden Stämme in
der Region gewesen. In der Gegend um Nafurah gab es bewaffnete marodierende Banden.
Im Camp selbst, das durch ebenfalls bewaffnete Ortskräfte geschützt wurde, hatten
Auseinandersetzungen um Wasser und Nahrungsmittel begonnen. Da eine private
Firmenmaschine die gut ausgebaute Landebahn in Nafurah zuletzt problemlos hatte nutzen
können und es im Umkreis von 50 Kilometern keine militärischen Einrichtungen und im
Umkreis von 100 Kilometern keine Flugabwehrsysteme gab, beschloss der Krisenstab, die
„in akuter Gefahr Befindlichen“ (Prot. der Krisenstabssitzung vom 24. Februar 2011)
möglichst am folgenden Tag, dem 25. Februar 2011, bei Tagesanbruch von der Bundeswehr
mit den auf Malta stationierten Transall C-160 ausfliegen zu lassen. Eine Begleitung durch
bewaffnete Einsatzkräfte wurde nicht für erforderlich gehalten.
b) Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr kam aufgrund einer
Bedrohungsanalyse am 25. Februar 2011 insoweit allerdings zu einem anderen Ergebnis. Die
öffentliche Ordnung in Libyen sei vollkommen zusammengebrochen. Der Osten des Landes
befinde sich zum größten Teil in der Hand bewaffneter Bürgerkomitees sowie übergelaufener
Streit- und Sicherheitskräfte, eine übergeordnete Kontrolle sei nicht erkennbar. Da sich die
Versorgung der Bevölkerung stetig verschlechtere, steige zunehmend das Risiko krimineller
Aktionen, auch gegen westliche Ausländer. Die libyschen Streitkräfte hätten über eine
Vielzahl von Systemen zur Flugabwehr verfügt, deren Dislozierung im Raum nicht bekannt
sei. Im Bereich Bengasi befänden sich jedoch einsatzbereite Flugabwehrsysteme mit einer
Reichweite von 300 Kilometern, die wahrscheinlich von oppositionellen Kräften kontrolliert
würden. Aufgrund der Unberechenbarkeit der regionalen Machtverhältnisse sei weiterhin von
einer landesweiten Bedrohung durch diese Systeme auszugehen. Daher sei für die
Evakuierung aus Nafurah der Einsatz von Transall C-160 ESS, die mit einer
Zusatzausstattung zum passiven Selbstschutz gegen Radarerfassung und gegen
Flugabwehrraketen ausgerüstet sind, unabdingbar. Da sich Teile der libyschen
Zivilbevölkerung Waffen aus militärischen Beständen angeeignet hätten, sei am Boden
zudem
mit
einer
Gefährdung
der
Lufttransportmittel
durch
Handwaffen,
Panzerabwehrhandwaffen oder auf Fahrzeugen montierte Maschinengewehre zu rechnen.
Der Einsatz begleitender und bewaffneter Schutzkräfte sei daher zwingend erforderlich.
c) Das Bundesministerium der Verteidigung war in einer eigenen Analyse zur Lage in
Libyen ebenfalls zu der Einschätzung gelangt, für eine Operation von Streitkräften sei von
einer mittleren bis erheblichen Bedrohung an Land und in der Luft auszugehen. Zwei Transall
C-160 ESS mit ihrer jeweiligen Besatzung sowie zwölf Fallschirmjäger einer für militärische
Evakuierungsoperationen und Operationen gegen irreguläre Kräfte besonders befähigten
Luftlandebrigade und acht Feldjäger, sämtlich Teil der für die Operation „Pegasus“
vorgesehenen Kräfte und Fähigkeiten, wurden daher noch am 25. Februar 2011 von
Deutschland nach Chania/Kreta verlegt. Die daraus resultierende zeitliche Verschiebung der
geplanten Evakuierung um einen Tag auf den 26. Februar 2011 wurde im Rahmen einer
Gesamtabwägung in Kauf genommen.
3. a) Am späten Abend des 25. Februar 2011 stimmte die Bundeskanzlerin der von den
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Bundesministern der Verteidigung und des Auswärtigen vorgeschlagenen Evakuierung aus
Nafurah zu. Da Einsätze der Bundeswehr in Libyen zur Rettung und Evakuierung einem
strikten Leitungsvorbehalt seines Hauses unterlagen, erteilte anschließend der
Bundesminister der Verteidigung die Operationsfreigabe. Zuvor hatte der Bundesminister des
Auswärtigen unter Berufung auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz die Vorsitzenden der
Fraktionen im Deutschen Bundestag telefonisch über den „unmittelbar bevorstehenden
Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland“ (Telefonvermerk des Auswärtigen Amtes vom 25.
Februar 2011) unterrichtet und dringend um Vertraulichkeit gebeten. Die Obleute der
Fraktionen im Verteidigungsausschuss waren durch den Generalinspekteur der Bundeswehr
entsprechend informiert worden.
b) Am 26. Februar 2011 blieb ein diplomatisches Ersuchen in Form einer Verbalnote der
deutschen Botschaft in Tripolis um Genehmigung der Landung zweier Flugzeuge der
Bundeswehr in Nafurah für eine humanitäre Hilfsaktion zur Evakuierung deutscher Bürger
von libyscher Seite unbeantwortet. Libyschen Regierungsvertretern war das Vorhaben
jedoch bekannt, da der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Born mit ihnen in ständigem
Kontakt stand.
c) Der Evakuierungseinsatz am Nachmittag des 26. Februar 2011 wurde direkt aus dem
Einsatzführungskommando der Bundeswehr geführt, weil sich das Führungselement des
Einsatzverbandes „Pegasus“ zu diesem Zeitpunkt noch in der Phase der Verlegung befand.
Der
Chef
des
Einsatzstabes
für
Militärische
Evakuierungsoperationen
im
Einsatzführungskommando der Bundeswehr wies die eingesetzten Soldaten vor dem Abflug
aus Chania darauf hin, dass bisher kein ausländisches Flugzeug im libyschen Luftraum
bedroht worden sei. Eine kurzzeitige Radarabstrahlung der Stellung eines Boden-Luft-
Raketensystems bei der ostlibyschen Hafenstadt Tobruk habe am Vormittag des Vortages
aufgeklärt werden können. Nach den von dem Sicherheitsbeauftragten eines deutschen
Unternehmens laufend übermittelten Informationen aus dem Camp sei die Lage in Nafurah
selbst derzeit ruhig, bewaffnete Ortskräfte schützten die Firmenangehörigen. Im Fall einer
Veränderung, bei unklarer oder gefährlicher Lage, würden zur Warnung ein oder mehrere
Fahrzeuge auf die Landebahn gestellt. Die Landebahn sei zurzeit noch durch ausgebrachte
Pipelinerohre blockiert. Ziel war es, eine Landung von Flugzeugen der Bürgerkriegsparteien
zu verhindern.
d) Aufgrund der hohen Zahl der aus Nafurah zu Evakuierenden hatten sich neben der
Bundesregierung auch Großbritannien und die Niederlande für eine jeweils national
verantwortete Beteiligung an der Luftevakuierung entschieden. Die um 13:30 Uhr zuerst in
Nafurah einfliegende niederländische Militärmaschine brach den Anflug ab und kehrte auf
ihren Stützpunkt nach Sizilien zurück, nachdem die libyschen Behörden trotz Anfrage keine
Landegenehmigung erteilt hatten. Das britische Transportflugzeug landete kurze Zeit später
sicher in Nafurah und flog eigene und Staatsangehörige anderer Länder nach Malta aus.
Daraufhin starteten um 14:17 Uhr die beiden deutschen Transall C-160 ESS in Chania.
e) Der erweiterte Selbstschutz der eingesetzten Transportmaschinen beinhaltete
Maßnahmen zum passiven Schutz durch Scheinziele in Form von 720 „Flares“ gegen
Lenkwaffen mit Infrarotsuchkopf und 960 „Chaffs“ zur Störung von Radargeräten. Die
Besatzungen der Transall C-160 ESS bestanden aus insgesamt elf Soldaten zur
Durchführung des Flugauftrages und einem Mediziner. Sie führten 15 Pistolen P8 mit 450
Patronen mit sich. An Bord jeder Maschine befanden sich zusätzlich sechs Fallschirmjäger
und vier Feldjäger. Die Fallschirmjäger sollten sowohl die Lufttransportmittel nach der
Landung oder einer eventuellen Notlandung wie auch die zu Evakuierenden beim
Anbordgehen sichern (BTDrucks 17/6564, S. 3). Die „Verhaltensanweisung für die
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Soldatinnen und Soldaten des Einsatzverbandes militärische Evakuierungsoperation
LIBYEN“ betreffend „Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt“, die auch zur
Durchsetzung von Evakuierungen legitimierte, war ihnen gegenüber nicht zurückgenommen
worden. Die Fallschirmjäger waren mit ihren persönlichen Ausstattungsgegenständen
(Uniformteile, Gefechtshelm und Rucksack) sowie Schutzwesten der Schutzklasse 4
ausgerüstet und führten insgesamt zwei Maschinengewehre MG3 mit 960 Patronen, zwei
Gewehre G3 mit Zielfernrohren und 200 Patronen, zehn Gewehre G36 mit 1500 Patronen,
vier Pistolen P8 mit 120 Patronen, eine Signalpistole 2A1 mit fünf Patronen und vier
Funkgeräte mit sich. Die Feldjäger hatten den Auftrag, die Besatzung nach der Landung in
Nafurah bei der Kontrolle der zu Evakuierenden und auf dem Rückflug nach Kreta durch die
Wahrnehmung von Luftsicherheitsaufgaben an Bord zu unterstützen. Sie waren jeweils mit
Gefechtsanzug, einer Schutzweste der Schutzklasse 4, einem Funkgerät SEM 52 S,
Einmannverpflegungspaketen sowie einem Kampfrucksack oder einer Kampftragetasche
ausgerüstet und mit ihren Handwaffen, insgesamt vier Gewehren G36 mit 600 Patronen und
vier Pistolen P8 mit 180 Patronen, bewaffnet.
f) Die deutschen Transall C-160 ESS flogen um 14:59 Uhr in den libyschen Luftraum ein
und landeten um 16:30 Uhr in Nafurah. Nach der Landung sicherten die zwölf Fallschirmjäger
mit G3- und G36-Gewehren die beiden nebeneinander stehenden Luftfahrzeuge in einem
Abstand von 25 Metern, um deren Umfeld lückenlos beobachten zu können. Anschließend
setzten sechs Fallschirmjäger die Überwachung fort, während die anderen sechs die acht
Feldjäger bei der Identifizierung der zu Evakuierenden und deren Verbringung in die
Transportmaschinen unterstützten. Die Maschinengewehre verblieben in den Luftfahrzeugen.
22 deutsche und 110 Bürger anderer Staaten wurden an Bord genommen. Die beiden
Transall verließen um 17:10 Uhr und 17:16 Uhr Nafurah sowie gegen 18:25 Uhr den
libyschen Luftraum. Um 19:29 Uhr landeten sie in Chania auf Kreta. Zu weiteren
Evakuierungen aus Libyen durch deutsche Soldaten kam es in der Folgezeit nicht.
g) Am 27. Februar 2011 wurden drei niederländische Marineinfanteristen,
Besatzungsmitglieder einer vor der libyschen Küste ankernden niederländischen Fregatte,
von regimetreuen Truppen angegriffen und gefangen genommen, als sie versuchten,
Landsleute aus der nordlibyschen Hafenstadt Sirte per Hubschrauber zu evakuieren.
4. a) Der Bundesminister des Auswärtigen hatte am Abend des 26. Februar 2011
umgehend die Vorsitzenden der Fraktionen im Deutschen Bundestag über Verlauf und
Abschluss der Evakuierung aus Nafurah in Kenntnis gesetzt. Die Vorsitzenden,
stellvertretenden Vorsitzenden und die Obleute des Auswärtigen und des
Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages wurden unter dem Datum 26.
Februar 2011 schriftlich durch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr über die
durchgeführte Evakuierung unterrichtet. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Born
informierte am 27. Februar 2011 die Obleute der Fraktionen im Auswärtigen Ausschuss,
dessen Vorsitzenden und seinen Stellvertreter auch telefonisch.
In der Regierungspressekonferenz am 28. Februar 2011 erklärte der Sprecher des
Auswärtigen
Amtes
zu
der
Evakuierung
aus
Nafurah
(Mitschrift
der
Regierungspressekonferenz vom 28. Februar 2011, S. 4):
„[…] In diesem Falle war es so, dass ein bewaffneter Einsatz
bevorgestanden haben könnte. Nachträglich war es ein gesicherter
Evakuierungseinsatz mit humanitärer Zielsetzung, also kein bewaffneter
Einsatz. Demzufolge muss auch nachträglich keine Zustimmung des
Bundestages eingeholt werden.“
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b) Der damalige Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Antragstellerin forderte die
Bundesregierung mit Schreiben vom 3. März 2011 an den Bundesminister des Auswärtigen
auf, ein nachträgliches parlamentarisches Mandat für den Evakuierungseinsatz einzuholen.
In seiner Antwort vom 11. März 2011 teilte der Bundesminister mit, dass er den Einsatz für
einen humanitären halte, der der Zustimmung des Deutschen Bundestages nicht bedürfe.
Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt hatte zuvor, mit Datum vom 4. März 2011, den
Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und Obleuten des Auswärtigen und des
Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages eine schriftliche Unterrichtung über
die Evakuierung aus Nafurah zugeleitet.
c) In der Sitzung des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages am 16. März
2011 erklärte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Born in Übereinstimmung mit dem
Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung Wolf, die Evakuierung aus Nafurah
sei kein Unternehmen gewesen, bei dem man Waffen habe einsetzen müssen. Vielmehr
habe man von Anfang an erwartet, dass eine militärische Aktion nicht notwendig werden
würde. Die Bundesregierung sei von einer zumindest konkludenten Genehmigung der
Evakuierung durch die libyschen Behörden ausgegangen. Mit Blick auf die Lage in Nafurah
habe es sich im Grunde genommen um eine Evakuierung ähnlich wie die zuvor aus Tripolis
gehandelt, nicht jedoch um eine bewaffnete Unternehmung im Sinne des
Parlamentsbeteiligungsgesetzes
(Deutscher
Bundestag,
17.
Wahlperiode,
Verteidigungsausschuss, Prot. Nr. 83, S. 22 ff.).
d) Abgeordnete der Fraktion Die LINKE und die Fraktion selbst stellten in der Sitzung des
Deutschen Bundestages am 24. März 2011 folgenden Antrag auf Beschlussfassung zur
Abstimmung (BTDrucks 17/5175):
„I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Am 26. Februar 2011 hat die Bundesregierung unter Berufung auf Gefahr
im Verzug einen bewaffneten Einsatz der Bundeswehr zur Evakuierung
deutscher und anderer europäischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger
aus Libyen durchgeführt. Ein solcher Evakuierungseinsatz fällt unter die
entsprechenden
Bestimmungen
von
§
5
des
Parlamentsbeteiligungsgesetzes. Daran hat auch die Bundesregierung
keinen Zweifel gelassen, in dem sie im Vorfeld und nach der Operation die
Fraktionsvorsitzenden und Obleute des Verteidigungsausschusses des
Deutschen Bundestages direkt gemäß § 5 Abs. 2 des
Parlamentsbeteiligungsgesetzes unterrichtet hat - im Unterschied zu
anderen Einsätzen der Bundeswehr, bei denen nicht mit der Anwendung
militärischer Gewalt zu rechnen war, wie z.B. bei der Verlegung von
Fregatten vor die libysche Küste. Zudem wurde die Entsendung einer
bewaffneten Sicherheitskomponente für die Evakuierungsoperation von
mehr als 20 Soldatinnen und Soldaten mit der Entstehung einer neuen
Gefährdungslage begründet. Unter diesen Voraussetzungen sieht das
,Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über
den
Einsatz
bewaffneter
Streitkräfte
im
Ausland
(Parlamentsbeteiligungsgesetz)‘
unter
§
5
Abs.
3
des
Parlamentsbeteiligungsgesetzes vor, dass ein Antrag auf Zustimmung
zum Einsatz unverzüglich nachzuholen ist. Diesen Vorgaben ist die
Bundesregierung bislang nicht gefolgt.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
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unverzüglich gemäß § 5 Abs. 3 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes
dem Bundestag ein Mandat für den Evakuierungseinsatz vom 26. Februar
2011 in Libyen vorzulegen.“
Das Parlamentsbeteiligungsgesetz (BGBl 2005 I S. 775) regelt Form und Ausmaß der
Beteiligung des Bundestages beim Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland (§
1 Abs. 1 Satz 1 ParlBG).
In § 5 ParlBG ist bestimmt:
(1) Einsätze bei Gefahr im Verzug, die keinen Aufschub dulden, bedürfen
keiner vorherigen Zustimmung des Bundestages. Gleiches gilt für
Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen,
solange durch die öffentliche Befassung des Bundestages das Leben der
zu rettenden Menschen gefährdet würde.
(2) Der Bundestag ist vor Beginn und während des Einsatzes in
geeigneter Weise zu unterrichten.
(3) Der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz ist unverzüglich
nachzuholen. Lehnt der Bundestag den Antrag ab, ist der Einsatz zu
beenden.
Der Deutsche Bundestag lehnte es am 24. März 2011 ab, auch gegen die Stimmen der
Antragstellerin, den beantragten Beschluss zu fassen (Deutscher Bundestag, Plenprot.
17/99, Stenografischer Bericht, S. 11444).
e) Der Bundesminister des Auswärtigen antwortete am 5. April 2011 auf ein Schreiben des
damaligen Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der Antragstellerin vom 17. März
2011, in welchem dieser erneut die Notwendigkeit einer nachträglichen Zustimmung des
Deutschen Bundestages zu dem Evakuierungseinsatz vorgetragen hatte, wie folgt:
„Das Parlamentsbeteiligungsgesetz findet nur bei einem Einsatz
bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland Anwendung. Ein Einsatz
bewaffneter Streitkräfte ist nicht anzunehmen, wenn deutsche Soldatinnen
und Soldaten in eine bewaffnete Unternehmung nicht einbezogen sind und
eine solche Einbeziehung nach den konkreten Umständen des Einsatzes
nicht zu erwarten ist. Dies war bei der Evakuierungsaktion Nafura der Fall.
Das Bundesverfassungsgericht hält in dem von Ihnen zitierten Urteil vom
7. Mai 2008 fest, dass, erst die qualifizierte Erwartung einer Einbeziehung
in
bewaffnete
Auseinandersetzungen
zur
parlamentarischen
Zustimmungsbedürftigkeit eines Auslandseinsatzes deutscher Soldaten‘
führt. ,Die bloße Möglichkeit‘, so das Gericht, ,dass es bei einem Einsatz
zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt, reicht hierfür nicht aus […],
weil die theoretische Möglichkeit einer solchen Auseinandersetzung sich,
wo Streitkräfte operieren, kaum je von vornherein wird ausschließen
lassen‘ [BVerfGE 121, 135 (163 ff.)]. Wenn also, wie Sie schreiben, aus
der ,ex-ante-Sicht nicht ohne Weiteres erwartet werden [konnte], dass
Soldatinnen und Soldaten nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen
werden‘ würden, so begründet dies noch keinen Einsatz im Sinne des
Parlamentsbeteiligungsgesetzes.“
f) Die Bundesregierung hatte in diesem Sinne bereits mit Schreiben des Auswärtigen Amtes
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26
27
f) Die Bundesregierung hatte in diesem Sinne bereits mit Schreiben des Auswärtigen Amtes
vom 31. März 2011 eine am 9. März 2011 gestellte Kleine Anfrage zum „Einsatz bewaffneter
deutscher Streitkräfte in Libyen“ von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE und der Fraktion
selbst (BTDrucks 17/5002) beantwortet. Aufgrund der zum Zeitpunkt der Entscheidung
bekannten Bedrohungslage habe die klare Erwartung bestanden, dass die eingesetzten
Soldaten durch libysche Kräfte nicht bedroht seien, ihre Waffen nicht würden einsetzen
müssen und mithin nicht in eine bewaffnete Unternehmung einbezogen werden würden. Die
Unterrichtung des Bundestages habe - wie der Bundesminister des Auswärtigen in seinen
Telefonaten vor und nach der Operation auch betont habe - stattgefunden, um gegenüber
dem Deutschen Bundestag volle Transparenz zu gewährleisten (BTDrucks 17/5359 vom 4.
April 2011, S. 6).
g) Ähnlich äußerte sich das Bundesministerium der Verteidigung namens der
Bundesregierung in der am 7. Juli 2011 übermittelten Antwort auf eine Kleine Anfrage vom
10. Juni 2011 (BTDrucks 17/6196), gestellt von Abgeordneten der Antragstellerin und der
Antragstellerin selbst zum „Evakuierungseinsatz ,Pegasus‘ der Bundeswehr in Libyen“
(BTDrucks 17/6564 vom 11. Juli 2011, S. 2).
II.
Die Antragstellerin hat am 11. August 2011 ihren Antrag im Organstreitverfahren gestellt. Zu
dessen Begründung trägt sie vor:
1. Der Antrag sei zulässig. Als Fraktion des Deutschen Bundestages sei sie im
Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG antragsberechtigt und die
Bundesregierung zulässige Antragsgegnerin. Als zulässiger Antragsgegenstand sei in der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die im Rahmen eines bewaffneten
Einsatzes der Bundeswehr unterlassene Anrufung des Deutschen Bundestages
ausdrücklich anerkannt (BVerfGE 121, 135 <150>). Die Antragsgegnerin habe hier in einem
an den Parlamentarischen Geschäftsführer der Antragstellerin gerichteten Schreiben des
Bundesministers des Auswärtigen vom 5. April 2011 klargestellt, dass sie nicht mehr
beabsichtige, den Bundestag um eine nachträgliche Zustimmung zu dem
Evakuierungseinsatz in Libyen zu ersuchen. Die Antragsbefugnis folge aus der möglich
erscheinenden Nichtbeachtung der Zustimmungspflicht des Deutschen Bundestages im
Rahmen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts angesichts des
streitgegenständlichen Einsatzes, der im Ausland und mit bewaffneten Angehörigen der
Bundeswehr durchgeführt worden sei. Rechte des Bundestages könne sie als Fraktion für
diesen in Prozessstandschaft geltend machen. Das notwendige Rechtsschutzinteresse liege
vor. Ihr bleibe zur Durchsetzung ihres Anliegens kein anderes politisches Mittel,
insbesondere sei sie nicht gehalten, vor der Einleitung eines Organstreitverfahrens selbst die
Zustimmung des Bundestages zu dem Einsatz zu beantragen. Der Bundestag habe nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insoweit keine entsprechende
Initiativbefugnis, vielmehr müsse in jedem Fall die Bundesregierung - auch bei einem bereits
abgeschlossenen Einsatz - das Parlament befassen (BVerfGE 90, 286 <388>). Dies folge
auch aus der verfassungskonkretisierenden Regelung des § 3 Abs. 1 ParlBG, nach der es
allein der Antragsgegnerin obliege, die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen.
Die Antragsfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG sei gewahrt. Das Unterlassen der Antragsgegnerin
könne mit dem Schreiben des Bundesministers des Auswärtigen vom 5. April 2011,
frühestens mit dessen Schreiben vom 11. März 2011, als abgeschlossen gelten. Die
Antragsschrift sei weniger als sechs Monate nach dem streitgegenständlichen Einsatz beim
Bundesverfassungsgericht eingereicht worden.
2. Der Antrag sei auch begründet. Die Antragsgegnerin habe die Rechte des Deutschen
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Bundestages aus dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt verletzt.
a) Die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages im Falle einer Entsendung von
Soldaten der Bundeswehr ins Ausland seien in verfassungskonkretisierender Weise im
Parlamentsbeteiligungsgesetz geregelt. Dieses könne eine verfassungsrechtliche Auslegung
der Voraussetzungen des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, insbesondere
des Begriffs „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ nicht ersetzen, aber im Einzelfall Hinweise für
seine verfassungsunmittelbare Reichweite geben (BVerfGE 121, 135 <156>).
aa) Der Parlamentsvorbehalt sei aus einer ex-ante-Perspektive zu bestimmen. Aus § 2
Abs. 1, 2. Alt. ParlBG folge, dass ein tatsächlicher Waffengebrauch durch die Bundeswehr in
einem konkreten Einsatz nicht Voraussetzung für das Vorliegen einer bewaffneten
Unternehmung und damit für die parlamentarische Zustimmungsbedürftigkeit sei, sondern die
Erwartung dessen ausreiche. Dies ergebe sich bei systematischer Betrachtung zudem
zwingend daraus, dass im gesetzlichen Regelfall die Zustimmung im Vorhinein erteilt werden
müsse und damit zu einem Zeitpunkt, bevor bekannt sein könne, ob Waffen tatsächlich zum
Einsatz kämen oder nicht. Ein gefährlicher Einsatz mit genuin militärischen Mitteln in einem
Konfliktgebiet löse daher den Parlamentsvorbehalt aus. Der zu einem solchen bewaffneten
Streitkräfteeinsatz im Gegensatz stehende und vom Gesetz verwendete Begriff des
humanitären Hilfsdienstes umfasse nach dem Willen des Gesetzgebers Aktionen der
Bundeswehr, die auch von zivilen Organisationen übernommen werden könnten, wie zum
Beispiel Unterstützung bei Hungersnöten oder Naturkatastrophen. Führten die Soldaten bei
derartigen Missionen Waffen allein zur Selbstverteidigung mit sich, sei der
Zustimmungsvorbehalt grundsätzlich nicht berührt. Nach § 2 Abs. 2 Satz 3 ParlBG seien
aber auch humanitäre Einsätze nicht vom Parlamentsvorbehalt ausgeschlossen, sondern
zustimmungspflichtig, wenn zu erwarten sei, dass die Bundeswehr in bewaffnete
Unternehmungen einbezogen werden könnte. Dann sei es unerheblich, ob Waffen nur zur
Selbstverteidigung getragen würden, weil andernfalls das parlamentarische Mandat zum
Bundeswehreinsatz notwendig ein Mandat zum Angriff sei. Diesem Gesetzesverständnis
entspreche es, dass nach § 4 Abs. 3, 1. Spiegelstrich ParlBG das vereinfachte
Zustimmungsverfahren für Einsätze von geringer Intensität auch anzuwenden sei, wenn
Waffen lediglich zur Selbstverteidigung getragen würden. Von besonderer Bedeutung sei
schließlich die Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 2 ParlBG, der bei Gefahr im Verzug eine
nachträgliche Zustimmung des Bundestages auch für „Einsätze zur Rettung von Menschen
aus besonderen Gefahrenlagen“ ermögliche. Eine solche militärische Rettungsaktion werde
vom Gesetz damit ausdrücklich als zustimmungspflichtig behandelt.
bb) Das Bundesverfassungsgericht habe als auslösendes Tatbestandsmerkmal des von
ihm entwickelten wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts den „Einsatz
bewaffneter Streitkräfte“ bezeichnet und als Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen
näher konkretisiert. Dabei komme es nicht darauf an, ob tatsächlich Waffengewalt zur
Anwendung gelange, denn dann könne die Parlamentsbeteiligung nur noch ex post sinnvoll
ausgestaltet werden, was der verfassungsrechtlichen Bedeutung eines gestaltenden
parlamentarischen Einflusses nicht gerecht werde. Der Vorbehalt werde durch die
„qualifizierte Erwartung“ einer Teilnahme an bewaffneten Auseinandersetzungen ausgelöst.
Dafür bedürfe es hinreichender greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte, dass ein Einsatz in die
Anwendung von Waffengewalt münden könne, und einer besonderen Nähe zur Anwendung
von Waffengewalt (BVerfGE 121, 135 <165 ff.>). Diese Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts beziehe sich auf Fallkonstellationen im Rahmen eines auf
Grundlage einer integrierten NATO-Planung erfolgten Einsatzes und sei von dem Bedürfnis
getragen, den Einfluss des Bundestages auch dann wirksam zu erhalten, wenn die
militärische Arbeitsteilung der Bündnisstaaten dazu führe, dass die Bundeswehr nicht
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unmittelbar militärische Gewalt anwende. Insbesondere aus dem Urteil des Zweiten Senats
vom 7. Mai 2008 (BVerfGE 121, 135), welches die Beteiligungsrechte bei einer unmittelbaren,
jedoch nicht physischen Einbeziehung in Kampfhandlungen definiere, ergebe sich im
Umkehrschluss, dass die vorhersehbar wahrscheinliche unmittelbare körperliche
Verwicklung der Bundeswehr in Kampfhandlungen zum tatbestandlichen Kernbereich des
wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gehöre. Der Entscheidung könne
entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht entnommen werden, dass eine
parlamentarische Zustimmung erst erforderlich werde, wenn die Bundesrepublik durch einen
Einsatz in eine andauernde größere militärische Auseinandersetzung einbezogen werde.
Hierzu sei nochmals auf die maßgeblich von der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts geprägten, namentlich in der Definition eines im vereinfachten
Verfahren zustimmungsbedürftigen Einsatzes nach § 4 Abs. 2 und in Abs. 3, 1. Spiegelstrich
ParlBG zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertungen zu verweisen. Die
Rechtsprechung und die ihr folgende Gesetzgebung seien von der historischen Erfahrung
geprägt, dass auch kleine bewaffnete Auseinandersetzungen zu einem großen militärischen
Konflikt führen könnten; deshalb solle der Bundestag frühzeitig die Verantwortung für eine
Einsatzentscheidung übernehmen.
cc) Aus der Staatspraxis sei auf die mit der Operation „Libelle“ im Jahr 1997 erfolgte
Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Albanien hinzuweisen. Seinerzeit hätten
Bundesregierung und Bundestag die Zustimmung des Parlaments für erforderlich gehalten,
obwohl - anders als hier - keine weitergehenden kriegerischen Handlungen im Krisengebiet
stattgefunden hätten.
b) Bei Anwendung dieser Maßstäbe sei von einer Verletzung der Rechte des Deutschen
Bundestages auszugehen.
aa) Die Bundeswehr habe am 26. Februar 2011 im Sinne von § 2 Abs. 1 ParlBG mit genuin
militärischen Mitteln einen Auftrag ausgeführt, der allein durch die Streitkräfte zu bewältigen
gewesen sei, denn sie sei in den Luftraum eines fremden Landes eingedrungen, um
Menschen zu evakuieren. Der Einsatz sei innerhalb eines militärischen Krisengebietes und
aufgrund der militärischen Krise erfolgt, die die zu Evakuierenden bedroht habe. Er sei mit
einer vergleichsweise hohen Gefahr eines konkreten Waffeneinsatzes durch die eingesetzten
Soldaten verbunden gewesen, weil völlig offen gewesen sei, wer den Luftraum über Libyen
kontrolliert habe. Die Bitte der Antragsgegnerin, den Flug in den libyschen Luftraum zu
gestatten, sei unbeantwortet geblieben, der Einsatz daher ohne Einwilligung Libyens
durchgeführt worden. Auch die Bundeswehr, die vor diesem Hintergrund das völkerrechtliche
Selbstverteidigungsrecht zur Rechtfertigung des Einsatzes bemüht habe, habe eine
physische Auseinandersetzung ernsthaft für möglich gehalten. Dies zeige die Ausstattung
der Transall-Maschinen mit Waffen und Täuschkörpern, die Verwendung einer Eliteeinheit,
die Bewaffnung dieser Fallschirmjäger mit Kriegswaffen, konkret mit Maschinengewehren
des 11,5 Kilogramm schweren Typs MG3 und mit weiteren Gewehren. Entsprechend habe
die bundeswehrinterne Berichterstattung von einem „scharfen Einsatz“ gesprochen. Gleiches
ergebe sich aus der Anzahl weiterer militärischer Einsatzmittel, insbesondere der über 1000
Soldatinnen und Soldaten, die auf Kreta und im Mittelmeer, dort unter anderem auf zwei
Fregatten, bereitgestellt worden seien, um die Evakuierungsaktion im Zweifelsfall zu
unterstützen. Diese Einschätzung werde ferner durch den Umstand bestätigt, dass eine am
Folgetag von niederländischen Soldaten durchgeführte ähnliche Aktion zu deren
Gefangennahme durch libysche Soldaten geführt habe. Bei der Evakuierung aus Nafurah
habe es sich nicht um einen humanitären Einsatz gehandelt, weil die Aufgabe nicht durch
medizinische oder technische Zivilkräfte hätte übernommen werden können. Es sei gerade
auf die Möglichkeit des Einsatzes militärischer Gewalt angekommen. Selbst wenn ein
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humanitärer Einsatz vorgelegen hätte, wäre er nach § 2 Abs. 2 Satz 3, 2. Alt. ParlBG
nachträglich zustimmungspflichtig gewesen, weil die begründete Erwartung eines konkreten
Waffeneinsatzes bestanden habe.
bb) Der Einsatz löse aus den genannten Gründen auch den vom
Bundesverfassungsgericht entwickelten wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt
aus. Die deutschen Soldaten seien in ein aktuelles Bürgerkriegsgebiet verlegt worden, in dem
auch nach Planung der Bundeswehr mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer unmittelbaren
Verwicklung in bewaffnete Kampfhandlungen mit libyschen Truppen zu rechnen gewesen
sei.
III.
Die Antragsgegnerin hält den Antrag für zulässig, aber unbegründet. Die Evakuierung aus
Nafurah sei kein der parlamentarischen Zustimmung bedürftiger „Einsatz bewaffneter
Streitkräfte“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des
Parlamentsbeteiligungsgesetzes gewesen.
1. a) Maßgeblich sei die Bestimmung der zustimmungsrelevanten Schwelle möglicher
militärischer Konfrontation im Zusammenhang mit Evakuierungsoperationen, zu der sich das
Bundesverfassungsgericht bisher nicht habe verhalten müssen. Der Begriff der
„Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen“ benötige scharfe und verlässliche Konturen
und setze ein beachtliches Maß an militärischem Einsatzpotential und Konfliktträchtigkeit
voraus, denn der Parlamentsvorbehalt sei „auf das historische Bild eines Kriegseintritts
zugeschnitten“ (BVerfGE 108, 34 <42 f.>). Im modernen Völkerrecht sei an die Stelle des
„Krieges“ der „bewaffnete Konflikt“ getreten, dessen Vorliegen eine direkte Gewaltanwendung
zwischen staatlichen Streitkräften, eine anhaltende Gewalttätigkeit zwischen einem Staat und
einer nichtstaatlichen Partei oder zwischen nichtstaatlichen Gruppierungen voraussetze. Ein
nach Operationszweck und Konfiguration der Einsatzkräfte weitab von dieser Schwelle
angesiedelter Einsatz stelle keine zustimmungspflichtige Einbeziehung in bewaffnete
Unternehmungen dar.
b) Der vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Parlamentsvorbehalt beruhe auf
richterlicher Rechtsfortbildung und stelle rechtssystematisch eine Durchbrechung der
alleinigen Verantwortlichkeit der Exekutive im auswärtigen Bereich dar. Eine extensive
Handhabung verbiete sich daher. Entsprechend knüpfe das Bundesverfassungsgericht den
Parlamentsvorbehalt an das Risiko einer „größere[n] und länger währende[n]
Auseinandersetzung […] bis hinein in einen umfänglichen Krieg“ (BVerfGE 121, 135 <161>),
unterhalb dessen die Einsatzentscheidung in die alleinige Kompetenz der Exekutive falle.
Dabei sei von Relevanz, ob eine bewaffnete Konfrontation mit Streitkräften anderer Staaten
oder allenfalls eine vereinzelte Auseinandersetzung mit Einzelpersonen oder einer Bande
drohe und ob die Stellung und das Gewicht der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der
Staatengemeinschaft oder deren Ordnung berührt werden könnten.
c) Unabhängig vom Leitbild des Kriegseintritts fehle es an dem für eine Zustimmungspflicht
maßgeblichen „militärischen Gepräge“ insbesondere dann, wenn die Operation der
Bundeswehr nach der Ausrüstung der Soldaten, dem Einsatzzweck sowie der Befehlslage
und begleitenden Maßnahmen darauf ausgerichtet sei, ohne den Einsatz spezifisch
militärischer Machtmittel durchgeführt zu werden, und die Verwicklung in eine bewaffnete
Auseinandersetzung möglichst vermieden werden solle. Dies sei dann der Fall, wenn sich die
bei einem humanitären Einsatz aus einer Gefahrenlage zu befreienden Personen nicht in der
Gewalt Dritter befänden und die Operation nicht darauf angelegt sei, vorausgesetzten oder
mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarteten Widerstand mit militärischen Mitteln zu überwinden.
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Die Rechtsprechung verbinde in diesem Sinne das militärische Gepräge auch mit einer
offensiven Anwendung von Waffengewalt. Bei humanitären Einsätzen unter Mitführung von
Waffen zur Gefahrenvorsorge sei daher eine parlamentarische Zustimmung nicht
erforderlich. Dies entspreche der Wertung in § 2 Abs. 2 Satz 3 ParlBG. Eine ausdrückliche,
konkludente oder mutmaßliche Zustimmung des von einem Einsatz betroffenen Staates
bedeute ebenfalls, dass kein militärisches Gepräge der Operation vorliege.
d) Bei dem Evakuierungseinsatz in Albanien im Jahr 1997 seien mehrere
Transportflugzeuge, Hubschrauber mit über hundert Soldaten und eine Fregatte mit über
zweihundert Soldaten beteiligt gewesen. Die Bundesregierung habe die Sicherheitslage als
anarchisch beschrieben, und es sei zu einem Schusswechsel mit nichtstaatlichen Akteuren
gekommen. Dennoch gehe eine beachtliche Rechtsansicht davon aus, dass eine
Zustimmung des Bundestages für diese Evakuierung nicht erforderlich gewesen sei. Es habe
auch keine Kontroversen gegeben, als zur Bekämpfung der Flutkatastrophe in Mosambik im
Jahr 2000 über hundert mit Handfeuerwaffen ausgerüstete Soldaten eingesetzt wurden und
keine parlamentarische Zustimmung eingeholt worden sei.
2. a) Der Parlamentsvorbehalt verlange die „qualifizierte Erwartung einer Ein-beziehung in
bewaffnete Auseinandersetzungen“ (BVerfGE 121, 135 <165>) und setze voraus, dass der
Waffeneinsatz Teil der operativen Logik sei, nicht bloß Element der Gefahrenvorsorge. Weiter
müsse die Einbeziehung „unmittelbar zu erwarten sein“ (BVerfGE 121, 135 <166>), was nur
der Fall sei, wenn die militärische Gewalt zeitlich nahe bevorstehe oder zumindest
wahrscheinlich sei (BVerfGE 121, 135 <166>). Nur so sei die Verknüpfung des
Parlamentsvorbehalts mit dem historischen Bild des Kriegseintritts gegeben.
b) Ein Höchstmaß an Gefahrenvorsorge auch für unwahrscheinliche Bedrohungslagen -
etwa das Vorhalten von Reservekräften - könne die Zustimmungspflicht nicht auslösen.
Anderenfalls entspräche der dadurch geschaffene Anreiz für die Exekutive zu gesteigerter
Risikobereitschaft weder der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der Regierung für die
Streitkräfte noch der Schutzpflicht für die Soldaten und Schutzbefohlenen. Für die notwendige
scharfe Konturierung der „qualifizierten Erwartung“ müsse die Beurteilung zum Zeitpunkt des
Einsatzbefehls entscheidend sein.
c) Das Bundesverfassungsgericht habe die qualifizierte Erwartung einer bewaffneten
Auseinandersetzung dann angenommen, wenn ein irreversibler, quasi automatisch zu einer
militärischen Verstrickung führender Kausalverlauf in Gang gesetzt werde. Mit Blick auf das
von der Rechtsprechung ebenfalls thematisierte Eskalationspotential lieferten Umfang und
Dauer einer Operation insoweit wesentliche Beurteilungskriterien. Wenn eine Aktion selbst
bei unerwartetem Verlauf mit Einsatz von Waffengewalt keine Folgeauseinandersetzungen
und auch keine Rückwirkungen auf die außenpolitischen Beziehungen befürchten lasse,
werde die Schwelle der Zustimmungsbedürftigkeit nicht überschritten. Dies gelte
insbesondere, wenn geplant sei, einen Einsatz in wenigen Stunden mit sehr beschränkten
Mitteln durchzuführen, und gewaltsamer Widerstand und die Berührung mit fremden
Streitkräften nicht erwartet werde.
d) Weiter seien für die maßgebliche ex-ante-Beurteilung vorausgegangene und völlig
konfliktfrei verlaufene Operationen ähnlicher Art zu berücksichtigen. Entgegen der Ansicht
der Antragstellerin sei dagegen unerheblich, ob es nach Abschluss des Einsatzes bei
Evakuierungsoperationen anderer Staaten an anderen Orten zu Verwicklungen gekommen
sei.
e) Ferner müsse der Exekutive trotz der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit der
tatbestandlichen Voraussetzungen des Parlamentsvorbehalts im Falle von Gefahr im Verzug
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eine Einschätzungsprärogative überlassen werden, denn die zu treffende Prognose werde
auch voluntativ durch die Exekutive selbst bestimmt. Die militärische und außenpolitische
Einschätzung der Bundesregierung sowie die alternative Einsatzplanung für bestimmte
Operationsverläufe seien sowohl Teil der objektiven Lage als auch des Risikopotentials.
f) Zwar sei der tatsächliche Waffeneinsatz insoweit nicht maßgeblich, ein tatsächlicher
Einsatzverlauf ohne Waffengewalt begründe indes die Vermutung, dass die qualifizierte
Erwartung einer bewaffneten Unternehmung nicht bestanden habe. Die Vermutung dürfte
sogar unwiderleglich sein, wenn es auch sonst nicht zu risikorelevanten Abweichungen im
Ablauf gekommen, der Nichteinsatz von militärischen Machtmitteln also nicht auf glückliche
Umstände zurückzuführen sei.
3. Die Evakuierung aus Nafurah stelle nach diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben
keinen zustimmungsbedürftigen Einsatz bewaffneter Streitkräfte dar, sondern sei geradezu
ein
Gegenbeispiel
zum
entsprechenden
Leitbild
der
Rechtsprechung
des
Bundesverfassungsgerichts.
a) Der Einsatz habe nach Zweck und Ausgestaltung kein spezifisch „militärisches Gepräge“
aufgewiesen. Sein Zweck habe den einige Tage zuvor mit Transportmaschinen der
Bundeswehr und einem zivilen Flugzeug durchgeführten Evakuierungen aus Tripolis
entsprochen. Die eingesetzten Lufttransportmittel der Bundeswehr seien nicht bewaffnet,
sondern lediglich mit einem passiven Schutzsystem im Hinblick auf die latente landesweite
Bedrohung durch Flugabwehrsysteme ausgestattet gewesen. Die Sicherungsgruppe habe
nur über leichte Waffen zur Selbstverteidigung verfügt, die konkret zur Überwachung des
Umfeldes eingesetzten Fallschirmjäger in Nafurah hätten ihre Handwaffen in deeskalierender
Position getragen. Die mitgeführten Maschinengewehre seien stets in den beiden Transall
verblieben. Alle Sicherheitsvorkehrungen ließen sich ausschließlich als Maßnahme der
Gefahrenvorsorge qualifizieren.
b) Der dem Einsatz zugrunde liegende Auftrag habe eine nicht-militärische Zielrichtung
gehabt und sei im Kern auch mit nicht spezifisch militärischen Mitteln - mit unbewaffneten
Flugzeugen - zu bewältigen gewesen. Die militärischen Komponenten hätten sich
ausschließlich auf flankierende Maßnahmen mit Vorsorgecharakter beschränkt. Soweit die
Antragstellerin den militärischen Charakter auf „das Eindringen in den Luftraum eines
fremden Landes“ zu stützen versuche, verkenne sie, dass die Bundesregierung bei allen
Evakuierungsflügen von einer konkludenten Zustimmung Libyens habe ausgehen dürfen und
die deutsche Botschaft in Tripolis am 22. Februar 2011 von einer generellen Start- und
Landeerlaubnis für sämtliche Evakuierungsflüge unterrichtet worden sei. Ferner sei der
Einsatz den libyschen Behörden durch Verbalnote mitgeteilt worden, und das Auswärtige
Amt habe in ständigem Kontakt mit libyschen Regierungsvertretern gestanden. Infolge dieses
Einvernehmens mit den zuständigen libyschen Stellen habe es auch keiner völkerrechtlichen
Rechtfertigung des Einsatzes bedurft.
c) Die Gefahrenanalyse im unmittelbaren Vorfeld der Evakuierung habe eine militärische
Konfrontation keinesfalls erwarten lassen. Der lokale Sicherheitsbeauftragte eines deutschen
Unternehmens habe verlässliche Informationen aus Nafurah geliefert. Das Lagebild,
insbesondere die Nutzung der dortigen Landebahn durch eine private Maschine in den Tagen
vor dem Einsatz, die unmittelbar vor dem Start der deutschen Militärmaschinen von den
Briten problemlos durchgeführte Luftevakuierung aus dem Camp und die Unterstützung der
zu Evakuierenden durch die Gegend kontrollierende Ortskräfte hätten eine konkrete
Bedrohung oder bewaffnete Konfrontation als denkbar, aber zugleich als außerordentlich
unwahrscheinlich erscheinen lassen. Die flankierenden Sicherheitsvorkehrungen
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einschließlich des Einsatzes von bewaffneten Soldaten seien den Unwägbarkeiten in der
Gesamtsituation Libyens aus der Distanz der operativen Führung sowie der Fürsorgepflicht
und grundrechtlichen Schutzverantwortung des deutschen Staates geschuldet gewesen.
d) Die Annahme einer drohenden militärischen Konfrontation könne auch nicht mit der
Verlegung größerer Truppenteile in den Mittelmeerraum gerechtfertigt werden. Der damit
angesprochene Einsatzverband „Pegasus“ sei erst am 27. Februar 2011 einsatzbereit
gewesen und weder bei der Evakuierung aus Nafurah noch zu einem späteren Zeitpunkt
zum Einsatz gekommen.
e) Die „Verhaltensanweisung für die Soldatinnen und Soldaten des Einsatzverbandes
militärische Evakuierungsoperation LIBYEN“, die die Durchsetzung des Auftrags mit
militärischer Gewalt erlaubt habe, weise ebenfalls nicht auf eine konkrete Erwartung ex ante
hin, in Nafurah in eine bewaffnete Operation einbezogen zu werden. Bei dieser handele es
sich um eine Weisung des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, die für alle
denkbaren Maßnahmen im Rahmen der Operation „Pegasus“ herausgegeben worden sei.
Nachdem bei der kurzfristig vorab notwendig gewordenen Rückführung aus Nafurah ein
bewaffneter Streitkräfteeinsatz nicht zu erwarten gewesen sei, sei eine etwaige Änderung
oder Anpassung der bereits vorliegenden Weisung gegenüber den bei der Evakuierung
eingesetzten Soldaten schon aus Zeitgründen nicht mehr kommunizierbar gewesen.
Rechtlich sei dies auch nicht erforderlich gewesen, weil die in der Weisung beschriebenen
abstrakten Befugnisse immer in Abhängigkeit von der konkreten Lage anzuwenden seien.
Die Weisung enthalte keine spezifischen operativen Vorgaben, dass militärische Gewalt
anzuwenden sei. Überdies seien für die Frage der parlamentarischen Zustimmung allein der
Kenntnis- und Erwartungsstand der Bundesregierung und deren darauf beruhende Bewertung
maßgeblich.
IV.
Der Bundespräsident, der Deutsche Bundestag und der Bundesrat wurden von dem
Verfahren in Kenntnis gesetzt (§ 65 Abs. 2 BVerfGG).
V.
In der mündlichen Verhandlung am 28. Januar 2015 haben die Beteiligten ihr
schriftsätzliches Vorbringen vertieft und ergänzt. Zur Vorbereitung der Operation „Pegasus“
und den Einzelheiten der Evakuierung aus Nafurah wurden der Generalinspekteur der
Bundeswehr, General Volker Wieker, und der seinerzeitige Krisenbeauftragte des
Auswärtigen Amtes, Botschafter Michael Klor-Berchtold, gehört.
VI.
Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 3. März 2015 die dem
Senat auf Anforderung bereits zuvor vorgelegten Weisungen, Befehle und sonstigen
Dokumente zur Operation „Pegasus“ und der Evakuierung aus Nafurah durch Vorlage
weiterer Weisungen des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr ergänzt. Diese
wurden nach Eingang beim Bundesverfassungsgericht dem Bevollmächtigten der
Antragstellerin zur Kenntnisnahme gegeben.
B.
Der Antrag ist zulässig.
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I.
Die Antragstellerin ist als Fraktion des Deutschen Bundestages im Organ-streitverfahren
gemäß § 13 Nr. 5, §§ 63 ff. BVerfGG parteifähig und berechtigt, im eigenen Namen Rechte
geltend zu machen, die dem Deutschen Bundestag gegenüber der Bundesregierung
zustehen (vgl. BVerfGE 1, 351 <359>; 2, 143 <165>; 104, 151 <193>; 118, 244 <254 f.>;
121, 135 <150>; 131, 152 <190>; stRspr). Die Bundesregierung ist nach § 63 BVerfGG
mögliche Antragsgegnerin. Die gerügte Unterlassung der Antragsgegnerin, für die
Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen durch Soldaten der Bundeswehr die
nachträgliche Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen, ist nach § 64 Abs. 1
BVerfGG tauglicher Gegenstand eines Organstreitverfahrens (vgl. BVerfGE 121, 135
<150>).
II.
Die Antragstellerin ist antragsbefugt.
1. Die Antragstellerin hat in substantiierter Weise die Möglichkeit vorgetragen, dass der
Deutsche Bundestag in seinen Rechten verletzt wurde, weil die Antragsgegnerin es ablehnte,
für die Evakuierung deutscher und anderer Staatsbürger aus Libyen durch Soldaten der
Bundeswehr am 26. Februar 2011 nachträglich seine Zustimmung einzuholen (§ 64 Abs. 1
BVerfGG). In seinem Urteil vom 12. Juli 1994 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt,
dass „Einsätze bewaffneter Streitkräfte“ im Ausland von Verfassungs wegen der
grundsätzlich vorherigen konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages unterliegen
und der Bundestag umgehend nachträglich mit einem bewaffneten Außeneinsatz zu
befassen ist, wenn ihn die Bundesregierung bei Gefahr im Verzug ausnahmsweise allein
beschlossen hat (vgl. BVerfGE 90, 286 <383 ff.>). Den verfassungsrechtlichen Begriff
„Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ und damit die Reichweite der parlamentarischen
Zustimmungsbedürftigkeit hat der Senat in einem weiteren Urteil vom 7. Mai 2008
konkretisiert (vgl. BVerfGE 121, 135 <163 ff.>). Beide Entscheidungen befassen sich mit
Auslandseinsätzen der Bundeswehr im Rahmen von Systemen gegenseitiger kollektiver
Sicherheit. Es ist bislang nicht ausdrücklich geklärt, ob und inwieweit die bisherige
Rechtsprechung auf von der Exekutive angeordnete, vor einer möglichen
Parlamentsbefassung bereits abgeschlossene unilaterale Evakuierungseinsätze der
Bundeswehr anzuwenden ist. Deshalb ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass es
aufgrund des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts einer nachträglichen
Befassung des Deutschen Bundestages mit dem Einsatz deutscher Soldaten in Libyen
bedurfte.
2. Der Deutsche Bundestag hat mit der Ablehnung des von der Fraktion DIE LINKE
initiierten Antrags zur nachträglichen Mandatierung des Evakuierungseinsatzes in Libyen am
24. März 2011 nicht auf die Ausübung seiner Rechte verzichtet. Es ist gerade Sinn und
Zweck der in § 64 BVerfGG geregelten Prozessstandschaft, der Parlamentsminderheit die
Befugnis zur Geltendmachung der Rechte des Bundestages auch dann zu erhalten, wenn die
Mehrheit seiner Mitglieder sie, insbesondere im Verhältnis zu der von ihr getragenen
Bundesregierung, nicht wahrnehmen will. Dies ist sowohl Ausdruck der Kontrollfunktion des
Parlaments als auch Instrument des Minderheitenschutzes (vgl. BVerfGE 45, 1 <29 f.>; 60,
319 <325 f.>; 68, 1 <77 f.>; 121, 135 <151>).
III.
Für die Antragstellerin besteht ein Rechtsschutzbedürfnis.
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1. Zwischen den Beteiligten sind Umfang und Grenzen des sich unmittelbar aus dem
Grundgesetz ergebenden wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts (vgl. BVerfGE
90, 286 <390>; 108, 34 <42>; 121, 135 <152>) umstritten. Es herrscht Unklarheit darüber,
unter welchen Voraussetzungen das Recht auf Beteiligung und die Pflicht zur Beteiligung des
Deutschen Bundestages ausgelöst werden.
2. Für das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin ist es ohne Bedeutung, ob die
Antragsgegnerin dem von ihr verlangten Handeln über eine längere Zeit hinweg nicht
nachgekommen ist (fortdauerndes Unterlassen) oder ob die behauptete Verpflichtung zu
einem bestimmten Zeitpunkt zu erfüllen war. Denn das Rechtsschutzbedürfnis im
Organstreit entfällt grundsätzlich nicht deshalb, weil eine beanstandete Rechtsverletzung
abgeschlossen ist (BVerfGE 1, 372 <379>; 41, 291 <303>; 121, 135 <152>; 131, 152
<193>). Ob besondere Umstände im Sinne eines „Fortsetzungsfeststellungsinteresses“
erforderlich sind, damit über eine in der Vergangenheit liegende und abgeschlossene
Rechtsverletzung entschieden werden kann, bedarf keiner Entscheidung; solche Umstände
sind hier in Form eines objektiven Interesses an der weiteren Klärung der Reichweite des
wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts und in Form einer Wiederholungsgefahr
(vgl. BVerfGE 131, 152 <193 f.>) gegeben. Die Antragsgegnerin hat ihre von der
Antragstellerin gerügte Rechtsauffassung bereits vorprozessual vertreten und im Verfahren
wiederholt, so dass ein gleichgerichtetes Vorgehen in zukünftigen vergleichbaren Situationen
erwartet werden kann.
3. Die Antragstellerin hat, indem sie im Deutschen Bundestag am 24. März 2011 den Antrag
der Fraktion DIE LINKE unterstützte, der auf die nachträgliche Einholung der Zustimmung
des Bundestages für den Evakuierungseinsatz in Libyen gerichtet war, über die sie im
Organstreit treffenden Obliegenheiten hinaus (vgl. BVerfGE 90, 286 <338 f.>; 104, 151
<198>; 129, 356 <374 f.>) Schritte unternommen, den Bundestag dazu zu veranlassen,
seine Rechte geltend zu machen (vgl. BVerfGE 121, 135 <153>).
IV.
Die Antragsfrist nach § 64 Abs. 3 BVerfGG ist gewahrt. Da der Evakuierungseinsatz in
Nafurah am 26. Februar 2011 stattfand und die unterlassene Maßnahme in Form einer
Beteiligung des Deutschen Bundestages gegebenenfalls nachträglich hätte erfolgen müssen,
war die sechsmonatige Frist am 11. August 2011, als der Antrag beim
Bundesverfassungsgericht einging, noch nicht abgelaufen.
C.
Der Antrag ist unbegründet. Die Antragsgegnerin hat das wehrverfassungsrechtliche
Beteiligungsrecht
des
Deutschen
Bundestages
in
Form
des
konstitutiven
Parlamentsvorbehalts für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte nicht dadurch verletzt, dass
sie es unterließ, für die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Nafurah durch
Soldaten der Bundeswehr am 26. Februar 2011 nachträglich die Zustimmung des
Bundestages einzuholen.
I.
Der konstitutive wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist nicht auf Einsätze
bewaffneter Streitkräfte innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit
beschränkt, sondern gilt darüber hinaus allgemein für bewaffnete Einsätze deutscher
Soldaten im Ausland (1.). Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liegt nicht erst dann vor, wenn
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eine Unternehmung im Ausland unter Einbeziehung deutscher Soldaten einen kriegerischen
oder kriegsähnlichen Charakter aufweist (2.). Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung
ausnahmsweise berechtigt, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu
beschließen. Sie muss das Parlament in einem solchen Fall umgehend mit dem so
beschlossenen Einsatz befassen und die Streitkräfte auf Verlangen des Bundestages
zurückrufen (3.). Die Fragen, ob eine Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete
Unternehmungen vorlag und ob Gefahr im Verzug gegeben war, sind verfassungsgerichtlich
voll überprüfbar (4.). Ist ein von der Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug
beschlossener Einsatz bewaffneter Streitkräfte zum frühestmöglichen Zeitpunkt
nachträglicher Parlamentsbefassung bereits abgeschlossen und eine parlamentarische
Einflussnahme auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte deshalb nicht mehr möglich,
muss die Bundesregierung den Deutschen Bundestag unverzüglich und qualifiziert über die
Grundlagen ihrer Einsatzentscheidung und den Verlauf des Einsatzes unterrichten (5.).
1.
Das
Bundesverfassungsgericht
hat
aus
dem
Gesamtzusammenhang
wehrverfassungsrechtlicher Vorschriften und vor dem Hintergrund der deutschen
Verfassungstradition seit 1918 dem Grundgesetz ein allgemeines Prinzip entnommen, nach
dem jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte der konstitutiven, grundsätzlich vorherigen
Zustimmung des Deutschen Bundestages bedarf (vgl. BVerfGE 90, 286 <381 ff.>; 100, 266
<269>; 104, 151 <208>; 108, 34 <43>; 121, 135 <154>; 126, 55 <69 f.>; stRspr). Die auf die
Streitkräfte bezogenen Regelungen des Grundgesetzes sind darauf angelegt, die
Bundeswehr nicht als Machtpotential allein der Exekutive zu überlassen, sondern sie als
„Parlamentsheer“ in die demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung einzufügen (vgl.
BVerfGE 90, 286 <381 f.>; 108, 34 <44>; 121, 135 <154>; 123, 267 <422>; 126, 55 <70>).
Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt gilt allgemein für den Einsatz
bewaffneter Streitkräfte (a)) und ist parlamentsfreundlich auszulegen (vgl. BVerfGE 121, 135
<162>; b)).
a)
Der
unmittelbar
kraft
Verfassung
geltende
wehrverfassungsrechtliche
Parlamentsvorbehalt (BVerfGE 90, 286 <390>; 121, 135 <156>) begründet ein wirksames
Mitentscheidungsrecht des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der auswärtigen
Gewalt. Die parlamentarische Zustimmung ist grundsätzlich vor Beginn eines Einsatzes
einzuholen. Der Bundestag kann nicht ohne die Bundesregierung einen Streitkräfteeinsatz
verfügen, weil der Parlamentsvorbehalt ein Zustimmungsvorbehalt ist, der keine
Initiativbefugnis verleiht (vgl. BVerfGE 90, 286 <388 f.>; 121, 135 <154>).
Das Erfordernis parlamentarischer Mitwirkung gilt sowohl für bewaffnete Außeneinsätze
deutscher Soldaten innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne
von Art. 24 Abs. 2 GG, wie sie Gegenstand bisheriger Entscheidungen des Senats waren
(vgl. BVerfGE 90, 286 <351 ff.>; 121, 135 <156 f.>), als auch allgemein für den Einsatz
bewaffneter Streitkräfte (vgl. BVerfGE 90, 286 <381>; 121, 135 <153>), unabhängig von
dessen materiell-rechtlicher Grundlage (vgl. § 2 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 Satz 2 ParlBG). Auch
jeder unilaterale Auslandseinsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bedarf somit der
grundsätzlich vorherigen parlamentarischen Zustimmung. Die Bundeswehr wäre kein
Parlamentsheer, wenn aus dem Anwendungsbereich des wehrverfassungsrechtlichen
Parlamentsvorbehalts gerade die allein national verantworteten Streitkräfteeinsätze im
Ausland ausgeklammert wären, denen kein Prozess konsensualer Willensbildung innerhalb
eines Bündnissystems vorausgeht, in welches sich Deutschland bereits mit Zustimmung des
Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 90, 286 <351>; 104, 151 <194>; 118, 244 <258>) eingeordnet
hat. Das gilt unabhängig von der in diesem Organstreit nicht zu klärenden Frage nach der
Ermächtigungsgrundlage solcher Einsätze.
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b) Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist angesichts seiner Funktion und
Bedeutung parlamentsfreundlich auszulegen. Insbesondere kann das Eingreifen des
Parlamentsvorbehalts nicht unter Berufung auf Gestaltungsspielräume der Exekutive
maßgeblich von den politischen und militärischen Bewertungen und Prognosen der
Bundesregierung abhängig gemacht werden (vgl. BVerfGE 121, 135 <162 f.>). Dabei kommt
es nicht darauf an, ob der Streitkräfteeinsatz innerhalb eines Systems gegenseitiger
kollektiver Sicherheit erfolgt oder national verantwortet wird. Denn der Entscheidungsverbund
von Parlament und Regierung stellt hier wie dort keine Durchbrechung der alleinigen
Verantwortlichkeit der Exekutive im auswärtigen Bereich dar; er ist vielmehr ein prägender
Teil der grundgesetzlichen Gewaltenteilung. Soweit dem Grundgesetz eine Zuständigkeit des
Deutschen Bundestages in Form eines wehrverfassungsrechtlichen Mitentscheidungsrechts
entnommen werden kann, besteht kein eigenverantwortlicher Entscheidungsraum der
Bundesregierung (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>). In diesem Zusammenhang ist es ohne
Bedeutung, ob das Parlament sein Mitentscheidungsrecht - wie grundsätzlich geboten - vor
dem Einsatz wahrnimmt oder ausnahmsweise erst nach dessen Beginn, weil die
Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug die Einsatzentscheidung einstweilen allein
getroffen hat (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>). Die Eilkompetenz verschafft der
Bundesregierung nur das Recht zur Anordnung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte,
nicht aber die von der Antragsgegnerin angenommenen Auslegungsspielräume hinsichtlich
der Frage, ob ein solcher Einsatz gegeben ist und damit ein Mitwirkungsrecht des
Bundestages besteht (vgl. BVerfGE 121, 135 <168 f.>). Anderenfalls drohte aus der
Ausnahmebefugnis (vgl. BVerfGE 121, 135 <154>) der Exekutive zur vorläufigen
Alleinentscheidung in Gefahrensituationen systemwidrig eine regelhafte Befugnis zur
endgültigen Alleinentscheidung zu werden.
2. Gegenstand der Parlamentsbeteiligung ist nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts der „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ (BVerfGE 90, 286 <387
f.>; 121, 135 <154>). Es handelt sich dabei um einen verfassungsrechtlichen Begriff, dessen
Konkretisierung von der völkerrechtlichen (vgl. BVerfGE 90, 286 <387>) oder
verfassungsrechtlichen Grundlage des konkreten Einsatzes nicht unmittelbar abhängt und
der auch nicht von einem im Rang unter der Verfassung stehenden Gesetz (vgl. § 2 ParlBG)
verbindlich konkretisiert werden kann, wenn auch die gesetzliche Ausgestaltung des Instituts
im Einzelfall Hinweise für seine verfassungsunmittelbare Reichweite zu geben vermag (vgl.
BVerfGE 121, 135 <156>; a)). Mit dem Begriff „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ ist eine
einheitliche rechtliche Schwelle parlamentarischer Zustimmungsbedürftigkeit definiert. Für
eine zusätzliche militärische Erheblichkeitsschwelle im Einzelfall ist insoweit kein Raum (b)).
a) Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte in diesem Sinne liegt vor, wenn deutsche Soldaten in
bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>). Dafür kommt
es nicht darauf an, ob bewaffnete Auseinandersetzungen sich bereits im Sinne eines
Kampfgeschehens verwirklicht haben, sondern ob die Einbeziehung deutscher Soldaten in
bewaffnete Auseinandersetzungen qualifiziert zu erwarten ist (vgl. BVerfGE 121, 135 <164
f.>; aa)). Das Führen von Waffen im Ausland und die Ermächtigung zu ihrem Gebrauch
können Anhaltspunkte für eine drohende Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen
sein (bb)).
aa) Die qualifizierte Erwartung der Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete
Auseinandersetzungen unterscheidet sich in zweifacher Hinsicht von der bloßen Möglichkeit,
dass es zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommen könnte:
(1) Zum einen bedarf es hinreichender greifbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass
ein Einsatz nach seinem Zweck, den konkreten politischen und militärischen Umständen
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sowie den Einsatzbefugnissen in die Anwendung von Waffengewalt münden kann. Hierfür
muss aus den Umständen des Falles und der politischen Gesamtlage heraus eine konkrete
militärische Gefahrenlage bestehen, die eine hinreichende sachliche Nähe zur Anwendung
von Waffengewalt und damit zur Verwicklung deutscher Streitkräfte in eine bewaffnete
Auseinandersetzung aufweist (BVerfGE 121, 135 <165>).
(2) Zum anderen ist eine besondere Nähe der Anwendung von Waffengewalt erforderlich;
die Einbeziehung von Bundeswehrsoldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen muss
unmittelbar zu erwarten sein. Steht die Anwendung von Waffengewalt zeitlich nahe bevor,
begründet dies bereits für sich genommen die qualifizierte Erwartung der Einbeziehung in
bewaffnete Auseinandersetzungen; sie wird jedoch regelmäßig mit der Verdichtung
tatsächlicher Umstände einhergehen, die auf kommende militärische Auseinandersetzungen
hindeuten. Aber auch eine Betrachtung der Einsatzplanung und der Einsatzbefugnisse kann
ergeben, dass eine gleichsam automatisch ablaufende Beteiligung deutscher Soldaten an der
Anwendung bewaffneter Gewalt von der Gesamtsituation her wahrscheinlich ist und
praktisch nur noch von Zufälligkeiten im tatsächlichen Geschehensablauf abhängt (vgl.
BVerfGE 121, 135 <166>).
bb) Anhaltspunkte für die drohende Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete
Auseinandersetzungen bestehen, wenn sie im Ausland Waffen mit sich führen und
ermächtigt sind, von ihnen Gebrauch zu machen. Denn es kann dadurch je nach dem
Verlauf des tatsächlichen Geschehens dazu kommen, dass die Bewaffnung in die
Anwendung von Waffengewalt mündet. Solange es sich allerdings rechtlich nur um eine
Ermächtigung zur Selbstverteidigung handelt und der Einsatz selbst einen nicht-militärischen
Charakter hat, ist die Schwelle zur Zustimmungsbedürftigkeit nicht schon durch diese
Ermächtigung erreicht (vgl. BVerfGE 121, 135 <167 f.>).
b) Der Begriff „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ als Ausdruck qualifizierter Erwartung einer
Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen legt für alle Einsätze
der Bundeswehr im Ausland, seien sie konsensual in einem System gegenseitiger kollektiver
Sicherheit oder national verantwortet, eine einheitliche Schwelle parlamentarischer
Zustimmungsbedürftigkeit fest. Eine zusätzliche militärische Erheblichkeitsschwelle ist im
konkreten Einzelfall nicht zu überwinden (aa)). Auch Einsätze, die erkennbar von geringer
Intensität und Tragweite oder politisch von untergeordneter Bedeutung sind, können dem
wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt unterfallen (vgl. BVerfGE 90, 286 <389>;
121, 135 <166>; bb)).
aa) Grundsätzlich unterliegt jeder Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der
konstitutiven parlamentarischen Mitwirkung. Der konstitutive Parlamentsvorbehalt ist in der
Begründung zwar auf das historische Bild eines Kriegseintritts zugeschnitten (vgl. BVerfGE
108, 34 <42 f.> unter Verweis auf BVerfGE 90, 286 <383>), in seiner Funktion aber nicht auf
eine parlamentarische Mitentscheidung bei kriegerischen oder kriegsähnlich ausgerichteten
Außeneinsätzen beschränkt. Ein rechtlich erheblicher Einfluss des Bundestages auf die
Verwendung der Streitkräfte muss nach den verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen
zur Organkompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt auch unterhalb dieser
Schwelle gewährleistet sein, die sich überdies einer präzisen Bestimmung entzieht.
Unter den heutigen politischen Bedingungen, in denen Kriege in der Regel nicht mehr
förmlich erklärt werden, steht eine sukzessive Verstrickung in bewaffnete
Auseinandersetzungen dem offiziellen Kriegseintritt gleich (vgl. BVerfGE 108, 34 <43>).
Jeder Einsatz bewaffneter Streitkräfte kann von der begrenzten Einzelaktion in eine größere
und länger währende militärische Auseinandersetzung münden, bis hinein in einen
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umfänglichen Krieg (BVerfGE 121, 135 <161>). Gerade in politisch und militärisch instabilen
Regionen bedarf es zudem häufig nur eines geringen Anlasses, um eine eskalierende
Konfliktdynamik in Gang zu setzen. All dies trifft gleichermaßen auf national verantwortete
bewaffnete Außeneinsätze der Bundeswehr zu, wie auf Einsätze innerhalb von Systemen
gegenseitiger kollektiver Sicherheit, anhand derer das Bundesverfassungsgericht die
Tatbestandsvoraussetzungen eines „Einsatzes bewaffneter Streitkräfte“ definiert hat (vgl.
BVerfGE 121, 135 <161 ff.>).
Die verfassungsrechtlich gebotene Wahrnehmung konstitutiver parlamentarischer
Verantwortung für jedweden bewaffneten Auslandseinsatz der Bundeswehr beginnt daher
entgegen der von der Antragsgegnerin vertretenen Auffassung nicht erst dann, wenn ein von
der Bundesregierung geplanter Einsatz von vornherein dem Leitbild eines Kriegseintritts
entspricht. Ein Streitkräfteeinsatz muss - jenseits der qualifizierten Erwartung einer
Einbeziehung in bewaffnete Auseinandersetzungen - im Einzelfall daher keine bestimmte
militärische Erheblichkeitsschwelle überschreiten oder einen auf offensive Gewaltanwendung
angelegten Charakter aufweisen, um den Parlamentsvorbehalt auszulösen; humanitäre
Zielsetzungen als solche suspendieren das Erfordernis parlamentarischer Zustimmung nicht.
bb) Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 12. Juli 1994 festgestellt, dass bei Einsätzen
bewaffneter Streitkräfte im Rahmen von Resolutionen des Sicherheitsrates die vorherige
Zustimmung des Bundestages unabhängig davon erforderlich ist, ob den Streitkräften
Zwangsbefugnisse nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen (BGBl 1973 II S. 430)
eingeräumt sind, weil die Grenzen zwischen den traditionellen Blauhelmeinsätzen und
solchen mit der Befugnis zu bewaffneten Sicherungsmaßnahmen in der Realität fließend
geworden sind und der Begriff der Selbstverteidigung, die schlichten Friedenstruppen erlaubt
ist, bereits in einem aktiven Sinne dahin definiert wird, dass sie auch den Widerstand gegen
gewaltsame Versuche einschließt, die Truppen an der Durchführung ihres Auftrags zu
hindern (vgl. BVerfGE 90, 286 <387 f.>). Auch die Verwendung von Personal der
Bundeswehr für bloße Hilfsdienste und Hilfeleistungen im Ausland kann der
parlamentarischen Zustimmung bedürfen, sofern die Soldaten dabei in bewaffnete
Unternehmungen einbezogen sind (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <155>). Generell
können auch Einsätze, die erkennbar von geringer Intensität und Tragweite oder politisch von
untergeordneter Bedeutung sind, dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt
unterfallen (vgl. BVerfGE 90, 286 <389>; 121, 135 <166>).
Bei dem konstitutiven Parlamentsvorbehalt geht es um die grundgesetzlich vorgegebene
Kompetenzverteilung zwischen Parlament und Regierung bei der Entscheidung über die
Verwendung der Streitkräfte als Machtpotential, die dem Deutschen Bundestag unabhängig
von der Bedeutung des Einsatzes einen insoweit rechtserheblichen Einfluss sichern soll (vgl.
BVerfGE 90, 286 <381 f.>; 108, 34 <42>; 121, 135 <161, 164>). Dem einheitlich zu
definierenden verfassungsrechtlichen Begriff eines zustimmungsbedürftigen „Einsatzes
bewaffneter Streitkräfte“ können deshalb qualitativ unterschiedliche Arten der Verwendung
der Bundeswehr unterfallen. Es ist Sache des Gesetzgebers, Form und Ausmaß
parlamentarischer Mitwirkung je nach Anlass und Rahmenbedingungen des Einsatzes näher
auszugestalten (vgl. BVerfGE 90, 286 <389>; vgl. auch § 4 ParlBG).
3. Ohne vorherige parlamentarische Zustimmung ist ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte
unter dem Grundgesetz grundsätzlich nicht zulässig. Die im Entscheidungsverbund mit der
Bundesregierung dem Einsatz vorausgehende Beteiligung des Deutschen Bundestages
schont die Kompetenzen beider Verfassungsorgane (a)). Bei Gefahr im Verzug ist die
Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, vorläufig allein den Einsatz bewaffneter
Streitkräfte zu beschließen, etwa damit die Wehr- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik
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durch den Parlamentsvorbehalt nicht in Frage gestellt wird (b)). Sie muss jedoch in einem
solchen Fall den Deutschen Bundestag umgehend mit dem so beschlossenen Einsatz
befassen und die Streitkräfte auf Verlangen des Bundestages zurückrufen (c)).
a) Besteht die aus den konkreten Umständen hinreichend belegbare Erwartung einer
unmittelbaren Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen, ist die
vorherige Beteiligung des Deutschen Bundestages schon deshalb erforderlich, weil nur so
vermieden werden kann, dass das Parlament in eine Art Ratifikationslage gerät, die eine
eigenverantwortliche Entscheidung erschwert. Die vorherige Beteiligung ist gegenüber einem
späteren parlamentarischen Rückruf deutscher Soldaten (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>) auch
zugleich die für die außenpolitische Handlungs- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik
Deutschland schonendere Alternative (vgl. BVerfGE 90, 286 <363 f., 388>; 108, 34 <44 f.>;
121, 135 <167>).
Bundesregierung und Bundestag trifft daher eine Verpflichtung, sicherzustellen, dass die
Zustimmung des Parlaments in der Regel zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die materielle
Entscheidung über eine Anwendung von Waffengewalt noch nicht getroffen ist und auch nicht
vor dem Abschluss des Zustimmungsverfahrens getroffen wird (vgl. BVerfGE 121, 135
<167>).
b) Nur ausnahmsweise ist die Bundesregierung - bei Gefahr im Verzug - berechtigt, den
Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu beschließen. Der Beschluss der
Bundesregierung bedarf keiner Genehmigung durch den Deutschen Bundestag, sondern der
Bundestag muss dem Einsatz umgehend zustimmen, damit dieser fortgesetzt werden darf
(vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>).
Im Fall von Gefahr im Verzug ist der Bundesregierung eine auf den Einzelfall bezogene
Eilzuständigkeit zur Anordnung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte eröffnet. Obwohl die
Wahrnehmung der exekutiven Eilkompetenz stets eine Beeinträchtigung des
wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts darstellt, bedarf diese Anordnung keiner
rückwirkenden rechtsgestaltenden Legitimierung durch den Bundestag. Die gebotene
unverzügliche parlamentarische Befassung nach Beginn des Einsatzes (vgl. BVerfGE 90,
286 <388>; 121, 135 <154>) hat nicht die Wirkung einer Genehmigung mit der Folge, dass im
Falle einer Versagung der parlamentarischen Zustimmung der Einsatz von Anfang an
rechtswidrig wäre (vgl. Baldus, Schriftliche Stellungnahme [S. 37 f.], Sten. Prot. der 25.
Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages am 17. Juni 2004, S. 77 f.). Die Eilentscheidung der
Bundesregierung entfaltet vielmehr die gleiche Rechtswirkung wie die unter regulären
Umständen im Verbund mit dem Bundestag getroffene Einsatzentscheidung. Für eine
konstitutive parlamentarische Zustimmung ist bei einem von der Exekutive im Eilfall
beschlossenen und bereits begonnenen Einsatz daher nur ex nunc Raum. Durch die
Verweigerung der Zustimmung wird die Bundesregierung verpflichtet, den Einsatz zu
beenden und die Streitkräfte zurückzurufen. Die militärische Wehrfähigkeit und die
Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland werden auf diese Weise gesichert, und
zugleich wird dem Interesse der eingesetzten deutschen Soldaten Rechnung getragen, nur
aufgrund einer rechtlich verlässlichen und nicht etwa schwebend unwirksamen Anordnung in
einen bewaffneten Auslandseinsatz entsandt zu werden.
c) Durch die als Ausnahmebefugnis im Notfall konzipierte Eilkompetenz der
Bundesregierung für die Einsatzentscheidung (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>)
werden das wehrverfassungsrechtliche Recht und die Pflicht zur parlamentarischen
Verantwortungsübernahme nicht aufgegeben. Wie sich in der Verpflichtung der
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Bundesregierung zur umgehenden nachträglichen Befassung des Bundestages mit dem
Einsatz (vgl. BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>) zeigt, soll die exekutive Eilkompetenz
lediglich in einer kurzfristigen Ausnahmesituation die militärpolitische Handlungsfähigkeit der
Bundesrepublik Deutschland sichern. Das Recht der Exekutive zur vorläufigen
Alleinentscheidung bei Gefahr im Verzug steht daher nicht gleichrangig neben dem
wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt. Als Durchbrechung des originären
parlamentarischen Mitentscheidungsrechts ist es vielmehr eine diesem gegenüber
subsidiäre Kompetenz der stets handlungsfähigen Bundesregierung, deren Sinn es nicht
etwa ist, der Exekutive insoweit eigene verteidigungspolitische Gestaltungsspielräume zu
eröffnen. Der nachträglichen Parlamentsbefassung muss deshalb eine vor dem
Streitkräfteeinsatz beginnende und diesen begleitende Unterrichtung des Bundestages durch
die Bundesregierung vorausgehen (vgl. § 5 Abs. 2 ParlBG).
4. Die Konzeption der Eilkompetenz hat zur Folge, dass die Bundesregierung selbst über
die Voraussetzungen ihrer (vorläufigen) Alleinzuständigkeit zu entscheiden hat. Im Streitfall
unterliegen jedoch nicht nur die Feststellung einer Einbeziehung deutscher Soldaten in
bewaffnete Unternehmungen der vollen verfassungsgerichtlichen Kontrolle (a)), sondern
auch die Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals „Gefahr im Verzug“ (b)).
a) Die - der Frage nach der Eilkompetenz vorausgehende - Frage, ob bei einem
Auslandseinsatz eine Einbeziehung deutscher Soldatinnen und Soldaten in bewaffnete
Unternehmungen besteht, ist gerichtlich voll überprüfbar. Ein vom Bundesverfassungsgericht
nicht oder nur eingeschränkt nachprüfbarer Einschätzungs- oder Prognosespielraum ist der
Bundesregierung nicht eröffnet (vgl. BVerfGE 121, 135 <168 f.>).
b) Bei der Auslegung und Anwendung des Tatbestandsmerkmals „Gefahr im Verzug“
kommt der Bundesregierung ein solcher Einschätzungs- oder Prognosespielraum ebenfalls
nicht zu. Allerdings verbleibt ihr ein Einschätzungsspielraum im Eilfall (vgl. BVerfGE 121, 135
<163>) hinsichtlich der politischen und militärischen Zweckmäßigkeit des bewaffneten
Streitkräfteeinsatzes.
aa) Das Tatbestandsmerkmal „Gefahr im Verzug“ legt die Voraussetzungen einer
Eilzuständigkeit der Bundesregierung für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte fest. Es handelt
sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum. Die prognostischen
Elemente des Gefahrbegriffs geben insoweit für eine andere Sichtweise nichts her. Sie sind
nichts weiter als Elemente der Unbestimmtheit von Rechtsbegriffen und rechtfertigen - wie
auch in anderen der Gefahrenabwehr dienenden Befugnisnormen - nicht schon von sich aus
eine Kontrollbeschränkung der Gerichte (vgl. in Bezug auf Art. 13 Abs. 2 GG BVerfGE 103,
142 <157> m.w.N.).
Der Gesetzgeber kann zwar innerhalb der von der Verfassung gezogenen Grenzen
Durchbrechungen des Grundsatzes vollständiger gerichtlicher Nachprüfung von
Entscheidungen der Exekutive vorsehen (vgl. BVerfGE 129, 1 <21 ff.>). Der unmittelbar im
Grundgesetz verankerte wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt räumt ihm jedoch
einen derartigen Gestaltungsfreiraum bei der Regelung der Eilkompetenz der
Bundesregierung nicht ein. Der Parlamentsvorbehalt garantiert dem Deutschen Bundestag
grundsätzlich ein wirksames Mitentscheidungsrecht über den Einsatz bewaffneter
Streitkräfte, bevor das militärische Unternehmen beginnt und dann maßgeblich zu einer
Frage militärischer Zweckmäßigkeit wird (vgl. BVerfGE 121, 135 <161>). Jeder einer
richterlichen Kontrolle entzogene exekutive Spielraum bei der Feststellung von Gefahr im
Verzug würde demgegenüber die Möglichkeiten einer Inanspruchnahme der Eilkompetenz
erweitern und damit den konstitutiven parlamentarischen Zustimmungsvorbehalt über das
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unerlässliche Maß hinaus schwächen (vgl. BVerfGE 103, 142 <158>). Innerhalb eines
wesentlichen Einsatzspektrums hätte allein und abschließend die Bundesregierung darüber
zu befinden, ob der Deutsche Bundestag einem Streitkräfteeinsatz in rechtserheblicher
Weise vor dessen Beginn zustimmen muss oder erst danach, wenn bereits geschaffene
oder
doch
vorentschiedene
Fakten
den
Entscheidungsraum
zu
einem
Parlamentsnachvollzug
verengen.
Die
durch
den
wehrverfassungsrechtlichen
Parlamentsvorbehalt vorgegebene Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt
lässt eine derartige Ermächtigung der Exekutive zur materiellen Entwertung der
parlamentarischen Mitentscheidungskompetenz nicht zu (vgl. BVerfGE 121, 135 <167>). Die
Rechte, die das Grundgesetz den einzelnen Verfassungsorganen verleiht, stehen weder zu
ihrer eigenen Disposition noch zur Disposition des Gesetzgebers (vgl. E. Klein, in:
Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, § 28 Rn. 990). Dieser ist hier vielmehr
darauf beschränkt, die Voraussetzungen eines Gefahr im Verzug begründenden Notfalls und
das dabei zu beobachtende Verfahren näher zu regeln (vgl. BVerfGE 90, 286 <388 ff.>). Dem
entsprechen Wortlaut und Begründung von § 5 ParlBG (BTDrucks 15/2742, S. 5 f.), der die
Eilkompetenz der Bundesregierung und das Verfahren nachträglicher parlamentarischer
Mitwirkung bei Gefahr im Verzug regelt.
bb) Eine verfassungsgerichtliche Kontrolle des Merkmals „Gefahr im Verzug“ stößt hier
auch nicht an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 84, 34 <50>; 129, 1
<23>). Derartige Funktionsgrenzen sind namentlich für das politische Ermessen im Bereich
der auswärtigen Gewalt (vgl. BVerfGE 40, 141 <178>; 55, 349 <364 f.>) sowie in
verteidigungspolitischen Fragen (vgl. BVerfGE 68, 1 <97>) anerkannt (vgl. BVerfG,
Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. August 2013 - 2 BvR 2660/06, 2 BvR
487/07 -, EuGRZ 2013, S. 563 <568>). Die tatsächliche und rechtliche Wertung der
Bundesregierung bei der Annahme von Gefahr im Verzug ist jedoch keine politische
Entscheidung, sondern eine anhand objektiver Kriterien überprüfbare Subsumtion eines
Sachverhalts unter die tatbestandliche Voraussetzung einer Eilkompetenz (vgl. BVerfGE 45,
1 <39>), die der Bundesregierung erst den Raum für eine einstweilen alleinige (politische)
Entscheidung über den bewaffneten Außeneinsatz der Bundeswehr erschließt. Für die
Rechtmäßigkeit der Entscheidung kommt es dabei auf die Sachlage an, wie sie sich der
Bundesregierung zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung darstellt.
5. Ist ein von der Bundesregierung wegen Gefahr im Verzug beschlossener Einsatz
bewaffneter Streitkräfte zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer nachträglichen
Parlamentsbefassung bereits abgeschlossen, kann der Deutsche Bundestag einen
konstitutiven, rechtserheblichen Einfluss auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte (vgl.
BVerfGE 89, 38 <46 f.>; 90, 286 <382>; 108, 34 <42>; 121, 135 <161, 164>) nicht mehr
ausüben (a)). In diesem Fall muss die Bundesregierung den Deutschen Bundestag
unverzüglich und qualifiziert über den Einsatz unterrichten (b)).
a) Der Senat hatte in seinen bisherigen Entscheidungen zum wehrverfassungsrechtlichen
Parlamentsvorbehalt die Frage, ob ein von der Bundesregierung zu Recht wegen Gefahr im
Verzug angeordneter und zum frühestmöglichen Zeitpunkt einer Parlamentsbefassung
bereits abgeschlossener Einsatz einer nachträglichen Beteiligung des Deutschen
Bundestages bedarf, nicht zu beantworten. Die Bundesregierung muss zwar in jedem Fall
das Parlament umgehend mit einem von ihr wegen Gefahr im Verzug beschlossenen
Einsatz befassen und die Streitkräfte zurückrufen, wenn es der Bundestag verlangt (vgl.
BVerfGE 90, 286 <388>; 121, 135 <154>). Ob indes eine nachträgliche
Parlamentsbefassung auch erforderlich ist, wenn die Möglichkeit zur parlamentarischen
Rückholung der Streitkräfte nicht mehr besteht, war bisher nicht Gegenstand
verfassungsgerichtlicher Verfahren.
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aa) Die Auffassung des Gesetzgebers zu dieser Frage lässt sich aus dem
Parlamentsbeteiligungsgesetz nicht eindeutig entnehmen. In § 5 ParlBG ist bestimmt, dass
nach exekutiver Anordnung eines Einsatzes bewaffneter Streitkräfte wegen Gefahr im
Verzug der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz unverzüglich nachzuholen und der Einsatz
zu beenden ist, wenn der Bundestag den Antrag ablehnt (Abs. 3). Die Gesetzesbegründung
spricht insoweit von einer „zwingende[n] Nachholung der Beteiligung des Parlaments“ (vgl.
BTDrucks 15/2742, S. 6), ohne darauf einzugehen, ob dies auch gelten soll, wenn der
Einsatz zum Zeitpunkt unverzüglicher Parlamentsbefassung bereits beendet ist.
bb) Das wehrverfassungsrechtliche Schrifttum misst zwar überwiegend einem
nachträglichen Parlamentsbeschluss bei abgeschlossenen Streitkräfteeinsätzen keine
rechtserhebliche Wirkung bei, hält aber eine Befassung des Deutschen Bundestages
aufgrund des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gleichwohl für geboten (vgl.
Dau, NZWehrr 1998, S. 89 <99>; Hans H. Klein, in: Festschrift für Walter Schmitt Glaeser,
2003, S. 245 <263>; Lutze, DÖV 2003, S. 972 <978>; Baldus, a.a.O., S. 78, Fn. 115; F.
Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der
Bundeswehr in der Praxis, 2005, S. 280 f.; Sigloch, Auslandseinsätze der Bundeswehr, 2006,
S. 308; Tobias M. Wagner, Parlamentsvorbehalt und Parlamentsbeteiligungsgesetz, 2010, S.
149 f.; Payandeh, DVBl 2011, S. 1325 <1329 f.>).
cc) Die kompetenzielle Funktion des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts,
aufgrund derer dem Deutschen Bundestag eine grundlegende, konstitutive Mitentscheidung
über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorbehalten und damit ein rechtserheblicher
Einfluss auf die konkrete Verwendung der Streitkräfte garantiert ist (vgl. BVerfGE 89, 38 <46
f.>; 90, 286 <382>; 108, 34 <42>; 121, 135 <161, 164>), kann bei einem abgeschlossenen
Einsatz jedoch nicht mehr zum Tragen kommen. Ist ein Einsatz beendet, ist für eine
konstitutive Zustimmung des Bundestages, für eine Mitverantwortung und -entscheidung kein
Raum mehr. Hat die Bundesregierung einen zeitlich eng begrenzten und vor einer möglichen
Parlamentsbefassung abgeschlossenen Einsatz angeordnet, bedarf diese Entscheidung trotz
der Subsidiarität der exekutiven Eilkompetenz zu ihrer Wirksamkeit oder Rechtmäßigkeit
keiner nachträglichen Genehmigung durch den Bundestag (vgl. Rn. 87). Das Parlament kann
bei einem abgeschlossenen Einsatz zudem weder die Fortdauer des Streitkräfteeinsatzes
noch dessen Beendigung und die Rückholung der eingesetzten Soldaten beschließen. Der
Bundestag ist auch nicht dazu berufen, über die Rechtmäßigkeit des exekutiven Handelns
verbindlich zu urteilen; dies ist - auf Antrag - dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Es
ist deshalb davon auszugehen, dass einem nachträglichen parlamentarischen Beschluss
keine Rechtserheblichkeit mehr zukommen kann (a.A. Wiefelspütz, Der Auslandseinsatz der
Bundeswehr und das Parlamentsbeteiligungsgesetz, 2. Aufl. 2012, S. 498).
Demgemäß verpflichtet der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt die
Bundesregierung in einem derartigen Fall nicht, eine Entscheidung des Bundestages über
den beendeten Einsatz herbeizuführen (vgl. Kreß, in ZaöRV 57 [1997], S. 329 <355>;
Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, 2005, S.
287 ff.; Scherrer, Das Parlament und sein Heer, 2010, S. 288 ff.). Die
Entscheidungskompetenz der Bundesregierung modifiziert insoweit das der Wehrverfassung
zugrunde liegende Prinzip der konstitutiven parlamentarischen Mitentscheidung. Der
konstitutive parlamentarische Zustimmungsvorbehalt ist als prägender Teil der
grundgesetzlichen Gewaltenteilung (vgl. BVerfGE 121, 135 <163>) durch seine
kompetenzbegründende Funktion determiniert und verändert sich nicht, wenn der Bundestag
aus tatsächlichen Gründen seine Kompetenz nicht ausüben kann.
b) Vielmehr ist es Aufgabe des Deutschen Bundestages selbst und seiner
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Untergliederungen, im Falle eines von der Exekutive wegen Gefahr im Verzug
beschlossenen und vor einer möglichen Parlamentsbefassung beendeten Einsatzes
bewaffneter Streitkräfte, seine parlamentarischen Kontrollbefugnisse wahrzunehmen. Das
parlamentarische Regierungssystem stellt ihm auch für diesen Fall geeignete Instrumente
zur politischen Kontrolle der Bundesregierung zur Verfügung. Er kann sein Frage-, Antrags-,
Debatten- und Entschließungsrecht ausüben und dadurch auf zukünftige Entscheidungen der
Regierung einwirken oder durch die Wahl eines neuen Bundeskanzlers die Regierung
stürzen, Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 131, 152 <196>).
Um dem Deutschen Bundestag eine uneingeschränkte Kontrolle des Einsatzes der
Streitkräfte zu ermöglichen, ist die Bundesregierung allerdings, als Ausfluss des
wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts, verpflichtet, ihn unverzüglich und
qualifiziert über den abgeschlossenen Streitkräfteeinsatz zu unterrichten.
aa) Gegenstand der Pflicht zu förmlicher Unterrichtung der Bundesregierung sind die
maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Einsatzentscheidung sowie
Verlauf und Ergebnis des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte. Nur in Kenntnis der genannten,
allein der Bundesregierung vorliegenden Informationen zu einem abgeschlossenen
Auslandseinsatz der Bundeswehr ist der Bundestag in der Lage, diesen politisch zu bewerten
und parlamentarische Kontrolle, auch mit Blick auf die im hier gegebenen Zusammenhang
stets zu beantwortenden Kompetenzfragen, effektiv auszuüben.
bb) Die Unterrichtung des Bundestages muss in sachlicher Hinsicht umfassend sein und
sich in ihrer Intensität an der militärischen und politischen Bedeutung des
Streitkräfteeinsatzes orientieren. In zeitlicher Hinsicht ist der parlamentarische
Informationsanspruch unverzüglich zu erfüllen, denn eine Kontrolle ist umso wirkungsvoller,
je geringer der zeitliche Abstand zu dem zu kontrollierenden Handeln ist. Die
Bundesregierung muss das Parlament darüber hinaus in einer zweckgerechten Weise
unterrichten. Adressat der Unterrichtung ist grundsätzlich der Bundestag als Ganzer, damit
sämtliche Abgeordnete gleichermaßen und unterschiedslos auf die übermittelten
Informationen zugreifen können. Die Unterrichtung hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen.
Dadurch wird sichergestellt, dass die Informationen über den Streitkräfteeinsatz den
Abgeordneten in klarer, vollständiger und reproduzierbarer Form zur Verfügung stehen (vgl.
BVerfGE 131, 152 <202 ff.>).
II.
Nach diesen Maßstäben war die am 26. Februar 2011 von Soldaten der Bundeswehr
durchgeführte Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Nafurah in Libyen ein Einsatz
bewaffneter Streitkräfte im Sinne des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts. Die
Antragsgegnerin war jedoch nicht verpflichtet, den Bundestag nachträglich um eine rechtlich
unverbindliche politische Billigung des abgeschlossenen Einsatzes zu ersuchen. Die Frage
einer Verletzung des parlamentarischen Anspruchs auf unverzügliche qualifizierte
Unterrichtung über den abgeschlossenen Einsatz bewaffneter Streitkräfte ist nicht
Gegenstand des hier zu entscheidenden Organstreits.
1. Die in nationaler Alleinverantwortung von Soldaten der Bundeswehr durchgeführte
Evakuierung aus Nafurah ist tauglicher Gegenstand des wehrverfassungsrechtlichen
Parlamentsvorbehalts. Dies gilt unabhängig davon, ob Evakuierungs- und Rettungsaktionen
der Streitkräfte, wie im Schrifttum diskutiert wird (vgl. Wiefelspütz, a.a.O., S. 448 f.; Röben,
ZaöRV 63 [2003], S. 585 <586, Fn. 4>), materiell-funktional als polizeiliche Unternehmen mit
humanitärer Zielsetzung oder als im engeren Sinne „militärisch“ zu charakterisieren sind.
Derartige
Differenzierungen
hindern
weder
eine
Subsumtion
unter
den
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verfassungsrechtlichen Begriff „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ noch die sich daraus
notwendig ergebende Anwendung des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts
(vgl. Epping, in: BeckOK GG, Edition 25, Art. 87a Rn. 32.4; Baldus, in: v.
Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Rn. 82).
2. Ein grundsätzlich nur auf der Grundlage einer konstitutiven Zustimmung des Deutschen
Bundestages zulässiger Einsatz bewaffneter Streitkräfte lag vor, weil ungeachtet des
tatsächlichen Ausbleibens von Kampfhandlungen die qualifizierte Erwartung bestand, dass
deutsche Soldaten mit der Teilnahme an der Evakuierung aus Nafurah in bewaffnete
Auseinandersetzungen einbezogen werden könnten.
a) Zum Zeitpunkt der Einsatzentscheidung bestanden hinreichende greifbare tatsächliche
Anhaltspunkte für eine drohende Verstrickung der eingesetzten deutschen Soldaten in eine
bewaffnete Auseinandersetzung.
aa) Die Evakuierung aus Nafurah am 26. Februar 2011 war in zeitlich-örtlicher Hinsicht in
einen kriegerischen Gesamtkontext eingebunden, der bei der Beantwortung der Frage, ob
eine Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Unternehmungen zu erwarten war, nicht
außer Betracht bleiben kann.
In den Tagen vor der Evakuierung hatten sich die innenpolitischen bewaffneten
Auseinandersetzungen in Libyen zu einem Bürgerkrieg ausgeweitet, der mit dem Zerfall der
staatlichen Ordnung einherging. Die sich innerhalb kurzer Zeit rapide verschlechternde
Sicherheitslage hatte auf deutscher Seite Anlass zu Vorbereitungen für die großangelegte
militärische Operation „Pegasus“ zur Evakuierung, Rettung und gegebenenfalls gewaltsamen
Befreiung deutscher Staatsbürger aus ganz Libyen gegeben, welche am 26. Februar 2011
allerdings noch nicht abgeschlossen waren. Die von Kampfhandlungen besonders
betroffenen ostlibyschen Landesteile waren an diesem Tag überwiegend bereits in der Hand
der Regimegegner, darunter zahlreiche übergelaufene Streit- und Sicherungskräfte. Sie
verfügten über schwere Waffen und Gefechtsfahrzeuge und kontrollierten mit hoher
Wahrscheinlichkeit auch die im Raum Bengasi stationierten einsatzbereiten
Luftabwehrsysteme mit einer Reichweite von 300 Kilometern. Auf ihrem Weg von
Chania/Kreta nach Nafurah und zurück mussten die beiden für die Evakuierung eingesetzten
deutschen Transportmaschinen - als Teil einer fremden Staatsmacht - jeweils diesen
Flugabwehrgürtel durchfliegen. Eine etwaige konkludente Einwilligung regimetreuer
staatlicher libyscher Stellen in die Evakuierungsmaßnahme und damit in die Nutzung des
libyschen Luftraums hätte dabei keinerlei Sicherheit gewährleistet, denn sie wäre von den
oppositionellen Kräften nicht als verbindlich erachtet worden. Die Antragsgegnerin konnte
überdies trotz ihrer Kontakte zu libyschen Regierungsvertretern nicht von einer solchen
Einwilligung ausgehen. Das Bundesministerium der Verteidigung wie auch das
Einsatzführungskommando der Bundeswehr waren im Vorfeld der Evakuierung in ihren
jeweiligen Bedrohungsanalysen zu dem Ergebnis gekommen, dass die staatlichen
Strukturen in Libyen vollkommen zusammengebrochen waren. Es gab somit keinen
funktionsfähigen libyschen Staat mehr, dem etwaige Willenserklärungen staatlicher
Verantwortungsträger hätten zugerechnet werden und der Garant für deren Einhaltung hätte
gewesen sein können. Ein Angriff mittels Boden-Luft-Raketen auf die deutschen
Militärmaschinen und damit eine zunächst passive Einbeziehung in bewaffnete
Auseinandersetzungen musste in einem Umfeld eskalierender Gewalttätigkeiten aufgrund
dieser konkreten Umstände ernsthaft für möglich erachtet werden, auch wenn bis zum
Beginn der Evakuierungsoperation kein ausländisches Flugzeug im libyschen Luftraum
bedroht worden war. Das Bundesministerium der Verteidigung war daher von einer mittleren
bis erheblichen Bedrohung an Land und in der Luft bei Operationen von deutschen
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Streitkräften in Libyen ausgegangen. Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr hatte
- anders als bei den vorausgegangenen ungesicherten Luftabholungen aus Tripolis - wegen
der Bedrohung durch Flugabwehrsysteme den Einsatz passiv geschützter Transall C-160
ESS für unabdingbar gehalten, was dazu führte, dass die als besonders eilbedürftig
qualifizierte, ursprünglich bereits für den 25. Februar 2011 vorgesehene Evakuierung aus
Nafurah auf den Folgetag verschoben wurde, um sie mit den geschützten Lufttransportmitteln
durchführen zu können. Die darin zum Ausdruck kommende Gefahrenvorsorge spricht für
eine nicht nur theoretische, sondern tatsächliche Gefahr eines militärischen Angriffs auf die
beteiligten Luftfahrzeuge.
bb) Der Einsatz einer insgesamt zwanzig Soldaten umfassenden, bewaffneten
Sicherungsgruppe neben den Besatzungen der Transportmaschinen spiegelt die
Gefahrenlage am Boden wider, aufgrund derer die Anwendung militärischer Gewalt hätte
erforderlich werden können. Die Lage in Nafurah war am 26. Februar 2011 zwar ruhig,
umliegende Camps waren aber bereits von militärisch bewaffneten Banden angegriffen und
ausgeplündert worden. Auf der Grundlage von Vereinbarungen mit den in Nafurah
ansässigen deutschen Unternehmen hatten bewaffnete Mitglieder örtlicher Stämme deshalb
den Schutz des dortigen Camps und der Landebahn übernehmen müssen. Auf dem Flugfeld
ausgebrachte Pipelinerohre sollten die Landung von Flugzeugen der Bürgerkriegsparteien
verhindern, von deren wirtschaftlichem Interesse an den Ölfeldern in der Region auszugehen
war und deren Aggression sich durchaus auch gegen militärische Evakuierungsmaßnahmen
anderer Staaten zu richten drohte, wie die Gefangennahme niederländischer Soldaten durch
regimetreue Truppen in Sirte nur einen Tag später, am 27. Februar 2011, bestätigte. Nach der
Räumung der Pipelinerohre hätten die Besatzungen der zur Evakuierung in Nafurah
eingesetzten Militärmaschinen durch auf der Landebahn abgestellte Kraftfahrzeuge gewarnt
werden sollen, falls sich die Lage in Nafurah kurzfristig verschlechtert hätte.
Nicht allein Gründe der allgemeinen Vorsicht und Vorsorge, sondern die Verhältnisse am
Boden, die situativ jederzeit in Richtung eines Angriffs oder Überfalls auf das Camp hätten
wechseln können, gaben daher konkreten Anlass, zum Zwecke der Evakuierung nicht nur -
wie am 22. und 23. Februar in Tripolis - die Organisationsstruktur der Bundeswehr in
Anspruch zu nehmen, sondern auch deren spezifisches Droh- und Gewaltpotential. Mit
insgesamt 12 Fallschirmjägern stellten die Mitglieder einer auf Rettungs-, Evakuierungs- und
Schutzoperationen sowie Einsätze gegen irreguläre Kräfte spezialisierten Kampftruppe der
Bundeswehr den Hauptteil der zusätzlich zu den nur mit Pistolen ausgerüsteten Besatzungen
der Transall C-160 ESS eingesetzten Sicherungsgruppe, die mit ihren Gewehren G3 und
G36 sowie zwei Maschinengewehren MG3 über Kriegswaffen verfügte. Die Soldaten kamen
vorzeitig zum Einsatz, denn die Evakuierung aus Nafurah erschien derart dringlich, dass eine
nochmalige Verschiebung auf den Folgetag, bis zur Einsatzbereitschaft des
Einsatzverbandes „Pegasus“ am 27. Februar 2011, nicht in Betracht gezogen wurde.
Die Einsatzbefugnisse der Fallschirmjäger waren korrespondierend damit bereits auf eine
mögliche Verwicklung in eine bewaffnete Auseinandersetzung ausgerichtet. Es war deren
Aufgabe, sowohl die Lufttransportmittel nach der Landung oder einer eventuellen Notlandung
wie auch die zu Evakuierenden beim Anbordgehen zu sichern. Die Waffen wurden gerade
auch dazu mitgeführt, den Operationszweck abzusichern. Nach Auftrag und Bewaffnung
waren die Soldaten nicht auf eine Selbstverteidigung im engeren, nur die eigene Verteidigung
betreffenden Sinn beschränkt. Sie hatten vielmehr die Befugnis und die Pflicht, Leib und
Leben gefährdende Angriffe gegen die zu Evakuierenden sowie Angriffe gegen die
Transportmaschinen mit militärischer Gewalt abzuwehren. Auch wenn der
Evakuierungseinsatz mit dem Ziel angeordnet wurde, eine bewaffnete Auseinandersetzung
zu vermeiden, war die Verpflichtung zu einer solch erweiterten Selbstverteidigung angesichts
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der nicht nur abstrakten militärischen Gefahrenlage vom Recht auf Überwindung
gewaltsamen Widerstands gegen die Evakuierung mit militärischen Mitteln nicht schlüssig zu
trennen. Beides war zudem durch die für die Soldaten geltende Verhaltensanweisung für die
Anwendung militärischer Gewalt gedeckt, die Maßnahmen militärischer Gewalt bis hin zur
Durchsetzung einer Evakuierung gestattete.
Derartige aufgrund der Gesamtlage konkret drohende gewaltsame Maßnahmen der
eingesetzten deutschen Soldaten gegen militärisch bewaffnete Angreifer während der von
libyschen Stellen nicht sicher genehmigten Evakuierungsoperation hätten angesichts ihres
ungewissen Ausgangs und der unüberschaubaren gruppenspezifischen Loyalitäten in dem
durch Bürgerkrieg destabilisierten Land ein nicht unerhebliches militärisches Eskalations-
oder doch Verstrickungspotential geborgen, auch im Hinblick auf den ab dem 27. Februar
2011 vor der Küste Libyens und auf Kreta einsatzbereiten Einsatzverband „Pegasus“ mit
seinem Kräfteaufgebot von rund 1000 Soldatinnen und Soldaten.
b) Darüber hinaus war zum Zeitpunkt der Einsatzentscheidung der Exekutive von einer
besonderen Nähe zur Anwendung von Waffengewalt auszugehen.
Mit dieser Entscheidung waren die Weichen hinsichtlich der aufgrund greifbarer
tatsächlicher Anhaltspunkte für möglich erachteten Anwendung bewaffneter Gewalt gegen
und durch deutsche Soldaten bereits gestellt. Zwar bestand Unsicherheit darüber, ob
tatsächlich mit einem Angriff auf die Transportmaschinen im libyschen Luftraum zu rechnen
war und ob militärische Reaktionen der eingesetzten Soldaten am Boden erforderlich werden
würden. Auch wäre ein Abbruch der Evakuierungsoperation vor Einflug in den libyschen
Luftraum im Falle auffälliger Radaraktivitäten der dortigen, in ihrer konkreten Dislozierung im
Raum nicht bekannten Flugabwehrstellungen möglich gewesen und hätten die Transall C-160
ESS vor der Landung in Nafurah abdrehen können, falls zur Warnung der
Flugzeugbesatzung Kraftfahrzeuge auf der Landebahn abgestellt worden wären. Nach dem
Eindringen in den libyschen Luftraum und auf libysches Territorium hing jedoch die
Einbeziehung deutscher Soldaten in eine bewaffnete Auseinandersetzung im Wesentlichen
nur noch davon ab, ob und wann militärisch bewaffnete libysche Akteure in dem
bürgerkriegsbefangenen Land die zu Evakuierenden oder die deutschen Lufttransportmittel
angreifen würden. Ein solcher Angriff hätte, entsprechend den Einsatzbefugnissen der
Sicherungsgruppe, unmittelbare Abwehrmaßnahmen ausgelöst, ohne dass die
Bundesregierung hierauf noch hätte Einfluss nehmen können.
3. Zwischen den Beteiligten ist nicht im Streit, dass die Antragsgegnerin aufgrund von
Gefahr im Verzug berechtigt war, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte zur Evakuierung
deutscher Staatsbürger aus Nafurah am 26. Februar 2011 ohne vorherige Zustimmung des
Deutschen Bundestages zu beschließen.
4. Wenn ein rechtserheblicher parlamentarischer Einfluss auf den konkreten Einsatz der
Streitkräfte aus tatsächlichen Gründen nicht mehr möglich ist, ergibt sich aus dem
wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt keine Pflicht der Bundesregierung, eine
Beschlussfassung des Bundestages herbeizuführen. Zu einer nachträglichen Befassung des
Deutschen Bundestages mit dem noch am 26. Februar 2011 abgeschlossenen Einsatz
bewaffneter Streitkräfte war die Antragsgegnerin deshalb nicht verpflichtet.
5. Eine Verletzung des aus dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt
abzuleitenden parlamentarischen Anspruchs, von der Bundesregierung über von ihr wegen
Gefahr im Verzug angeordnete und bereits abgeschlossene Einsätze bewaffneter Streitkräfte
unverzüglich und qualifiziert unterrichtet zu werden, hat die Antragstellerin nicht zum
Gegenstand des Organstreits gemacht.
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Zwar kann grundsätzlich ein Antrag auf Feststellung einer Kompetenzverletzung zugleich
den weniger weitgehenden Antrag auf Feststellung der Verletzung eines damit in
Zusammenhang stehenden Anspruchs auf Unterrichtung enthalten (vgl. BVerfGE 1, 14 <39>;
7, 99 <105 f.>; 68, 1 <68>). Die Antragstellerin hat jedoch weder in ihrem
verfahrenseinleitenden Antrag noch in dessen Begründung einen Verstoß der
Antragsgegnerin gegen die Unterrichtungspflicht ausdrücklich geltend gemacht. Auch der im
Wege der Auslegung zu ermittelnde eigentliche Sinn des mit dem Antrag verfolgten
prozessualen Begehrens (vgl. BVerfGE 68, 1 <68>) gibt keinen Anlass, von einem
entsprechenden subsidiären Rechtsschutzziel der Antragstellerin auszugehen.
a) Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Bundesminister des Auswärtigen die
Vorsitzenden der im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen im Auftrag der
Bundesregierung nach der Beendigung der Evakuierung aus Nafurah noch am Abend des
26. Februar 2011 über deren Verlauf und Abschluss telefonisch informiert hatte. Die
Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden und Obleute des Auswärtigen und des
Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages waren - jeweils schriftlich - mit
Datum vom 26. Februar 2011 vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr und mit
Datum vom 4. März 2011 vom Staatssekretär im Auswärtigen Amt über den Einsatz
unterrichtet worden. Die Obleute der Fraktionen im Auswärtigen Ausschuss des
Bundestages, dessen Vorsitzenden und seinen Stellvertreter hatte der Staatssekretär am 27.
Februar 2011 auch telefonisch informiert. Er und der Staatssekretär im Bundesministerium
der Verteidigung hatten darüber hinaus in der Sitzung des Verteidigungsausschusses des
Bundestages am 16. März 2011 für die Bundesregierung Bericht zu dem
Evakuierungseinsatz erstattet.
Am 4. April 2011 war die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zum „Einsatz
bewaffneter deutscher Streitkräfte in Libyen“ von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE und
der Fraktion selbst als Bundestagsdrucksache an die Mitglieder des Deutschen Bundestages
verteilt worden (BTDrucks 17/5359). Darin äußerte sich die Bundesregierung insbesondere
zu den tatsächlichen und rechtlichen Hintergründen und dem Verlauf der Evakuierung aus
Nafurah.
Die Antwort der Bundesregierung auf die am 10. Juni 2011 gestellte Kleine Anfrage von
Abgeordneten der Antragstellerin und der Antragstellerin selbst zum „Evakuierungseinsatz
,Pegasus‘ der Bundeswehr in Libyen“ erhielten die Mitglieder des Deutschen Bundestages
am 11. Juli 2011 (BTDrucks 17/6564). Weitere Einzelheiten zur Wahl der militärischen Mittel,
zur Bewaffnung der eingesetzten Soldaten sowie zu den militärischen Planungen und
Abläufen bildeten den Schwerpunkt der von der Bundesregierung erteilten Auskünfte.
b) Die Antragstellerin hat diese zwar umfängliche, aber sukzessive, zunächst auf
Funktionsträger und Mitglieder bestimmter Ausschüsse beschränkte, zum Teil erst auf
Befragung erfolgte Unterrichtung des Deutschen Bundestages über die Evakuierung aus
Nafurah vorprozessual nicht gerügt. Eine - im Sinne der hier entwickelten Anforderungen -
weitergehende Unterrichtungspflicht hat sie gegenüber der Antragsgegnerin bis zum Schluss
der mündlichen Verhandlung nicht geltend gemacht und dieser damit keine Veranlassung
gegeben, derartige Rechte des Parlaments zu prüfen und ihnen gegebenenfalls zu
entsprechen (vgl. BVerfGE 129, 356 <374 f.>). Vielmehr hat die Antragstellerin, auch dies
erst einige Monate nach dem Evakuierungseinsatz, mit der Kleinen Anfrage vom 10. Juni
2011 eine ihr zur Verfügung stehende politisch-parlamentarische Handlungsmöglichkeit
ergriffen und konkrete zusätzliche Informationen von der Bundesregierung erbeten. Es ist
weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sie mit der Antwort der Bundesregierung vom 11.
Juli 2011 und der vorhergehenden Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zum
125
„Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte in Libyen“ vom 4. April 2011 (BTDrucks 17/5359)
den Anspruch des Bundestages auf Unterrichtung nicht als hinreichend erfüllt ansah. Der
verfahrenseinleitende Antrag ist angesichts dessen keiner Auslegung dahingehend
zugänglich, die Antragstellerin beanstande auch die Verletzung des parlamentarischen
Rechts auf unverzügliche und qualifizierte Unterrichtung über einen abgeschlossenen
Einsatz bewaffneter Streitkräfte.
D.
Besondere Billigkeitsgründe, die die Anordnung einer Auslagenerstattung nach § 34a Abs. 3
BVerfGG ausnahmsweise angezeigt erscheinen lassen (vgl. BVerfGE 96, 66 <67>), liegen
nicht vor.
Voßkuhle
Landau
Huber
Hermanns
Müller
Kessal-Wulf
König
Maidowski