Urteil des BVerfG vom 29.08.2007

ausstrahlung, zuschauer, erlass, eingriff in grundrechte

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Fried, Frank, Harris, Shriver & Jacobson LLP,
Taunusanlage 18, 60325 Frankfurt -
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1223/07 -
- 1 BvR 1224/07 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
des Herrn S...
1. gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 10. April 2007 - 7
U 142/06 -
- 1 BvR 1223/07 -,
2. gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 10. April 2007 - 7
U 144/06 -
- 1 BvR 1224/07 -
hier:
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier,
und die Richter Hoffmann-Riem
Gaier
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 29. August 2007
einstimmig beschlossen:
Die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen werden abgelehnt.
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Gründe:
Verfassungsbeschwerde und Eilanträge des Beschwerdeführers sind gegen die
Versagung eines Verbots der Ausstrahlung eines Fernsehfilms gerichtet, der an das
Geschehen um das Medikament Contergan anknüpft und dieses in eine
Spielfilmhandlung einbindet.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und vertrat seit dem Jahre 1961 als
Einzelanwalt die Interessen von Geschädigten des Arzneimittels Contergan. Dieses
Medikament war von der Herstellerin zum 1. Oktober 1957 auf dem Markt eingeführt
worden. Im Jahre 1961 nahm die Herstellerin das Medikament vom Markt, als der
Verdacht an sie herangetragen worden war, dass die Einnahme des Medikaments
durch Schwangere schwere Missbildungen bei Föten hervorrufen könne. Zu den
Geschädigten zählt auch ein aus der Ehe des Beschwerdeführers hervorgegangener
Sohn. Der Beschwerdeführer trat im Rahmen des daraufhin gegen mehrere
Mitarbeiter der Herstellerin eingeleiteten Strafverfahrens als Vertreter einer größeren
Anzahl der über 200 Nebenkläger auf. Im Jahre 1970 kam es zum Abschluss eines
Vergleichs zwischen den Geschädigten und der Herstellerin, in der diese sich zur
Zahlung einer Entschädigung verpflichtete. Die Geschädigten wurden bei Abschluss
dieses Vergleichs nicht von dem Beschwerdeführer, sondern von einem anderen
Anwalt vertreten. Die Vergleichssumme wurde in das Vermögen einer im Jahre 1971
errichteten Stiftung eingebracht, die sich den Belangen der Geschädigten annimmt.
Der Beschwerdeführer war ab Errichtung der Stiftung bis zum Jahre 2004 als
Vertreter der Geschädigten zum Mitglied des Stiftungsrats bestellt.
Bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens der Beschwerde 1 BvR 1224/07 handelt
es sich um eine öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt. Die Beklagte des
Ausgangsverfahrens der Beschwerde 1 BvR 1223/07 erstellte in ihrem Auftrag einen
Film, der an das historische Geschehen um das Schlafmittel Contergan unter
Nennung dieser Arzneibezeichnung sowie der seinerzeitigen Firma „Chemie
Grünenthal“ der Herstellerin anknüpft.
Im Mittelpunkt des Films steht ein junger Rechtsanwalt mit dem fiktiven Namen Paul
Wegener, der selbst Vater einer durch Contergan geschädigten Tochter ist. Die
Filmhandlung stellt die zuletzt erfolgreichen Bemühungen dieses Rechtsanwalts dar,
gegen die Herstellerin juristisch vorzugehen. Hierbei hat das Engagement des
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Anwalts für die Geschädigten zur Folge, dass ein anfangs mit ihm befreundeter
Anwaltskollege die gemeinsam gegründete Sozietät auflöst und sich die Ehefrau des
Anwalts vorübergehend von ihm trennt. Szenen intimen Inhalts mit Bezug etwa auf
das Sexualleben der Eheleute sind in dem Film nicht enthalten. Am Schluss des
Films stehen das Obsiegen des Anwalts gegenüber der Herstellerfirma sowie eine
abschließende, in der Adventszeit spielende Versöhnung des Anwalts mit seiner
Ehefrau.
Der Film wurde von der beklagten Fernsehanstalt als „historisches Drama über den
spektakulären Contergan-Fall“ angekündigt, das „in Anlehnung an wahre
Begebenheiten die Aufsehen erregenden Ereignisse von damals zum Gegenstand
einer packenden Tele-Fiktion“ mache. Im Vor- und Abspann beider Teile ist jeweils
der folgende Text eingeschaltet:
Dieser Film ist kein Dokumentarfilm! Er ist ein Spiel- und
Unterhaltungsfilm auf der Grundlage eines historischen Stoffes. Die
fürchterliche Schädigung tausender Kinder durch das Arzneimittel
„Contergan“, die Einstellung des Strafprozesses gegen die
Verantwortlichen wegen „geringer Schuld“ und die Zahlung der
höchsten Entschädigungssumme in der deutschen Geschichte durch
die Herstellerfirma sind historische Realität. Die im Film handelnden
Personen und ihre beruflichen und privaten Handlungen und
Konflikte sind dagegen frei erfunden.
Die Ausstrahlung des Films war zunächst für den Herbst 2006 aus Anlass der
50jährigen Wiederkehr der Erprobung des Medikaments im Jahre 1956 vorgesehen.
2. Der Beschwerdeführer sieht sich in der Person des in dem Film auftretenden
Rechtsanwalts Paul Wegener in erkennbarer Weise dargestellt. Er nahm die
Beklagten im Verfügungsverfahren auf Unterlassung mehrerer Szenen in Anspruch,
die unstreitig von seiner damaligen beruflichen und privaten Situation sowie seinem
Handeln
als Bevollmächtigter von Contergan-Geschädigten abweichende
Geschehnisse zeigen. Das Unterlassungsbegehren ist insbesondere dagegen
gerichtet, dass der Film Spannungen zwischen dem Rechtsanwalt und seiner
Ehefrau und Einzelheiten seiner privaten Verhältnisse darstelle, die in der Biographie
des Beschwerdeführers keine Entsprechung hätten. Auch greife der in dem Film
dargestellte Rechtsanwalt zur Durchsetzung der Ansprüche der Geschädigten zu teils
berufsethisch oder moralisch fragwürdigen Vorgehensweisen, derer sich der
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Beschwerdeführer im Rahmen seiner damaligen Tätigkeit für Contergan-Geschädigte
nicht bedient habe.
a) Der Beschwerdeführer erwirkte am 9. Februar 2006 den Erlass von
Beschlussverfügungen auf Unterlassung dieser Szenen, die das Landgericht auf
Widerspruch der Beklagten jeweils durch Verfügungsurteil vom 28. Juli 2006
bestätigte.
Hiergegen wandten sich die Beklagten mit ihren Berufungen. In der
Berufungsverhandlung übernahmen sie gegenüber dem Beschwerdeführer die
strafbewehrte Verpflichtung, den Film nur auszustrahlen, wenn der bereits oben
wiedergegebene Hinweistext, dass es sich nicht um einen Dokumentarfilm handele,
vor Beginn jedes der beiden Teile angesagt und vor Beginn des Abspanns für
mindestens 30 Sekunden eingeblendet werde und hierbei dem abschließenden
Hinweis, dass die in dem Film handelnden Personen und ihre privaten und
beruflichen Konflikte frei erfunden seien, der folgende Zusatz angefügt werde:
Dies gilt insbesondere für die Figur des Rechtsanwalts Paul
Wegener und seiner Familie sowie die für die Arzneimittelfirma
handelnden Personen einschließlich des Privatdetektivs.
b) Das Oberlandesgericht hat die Verfügungsanträge unter Aufhebung der
erstinstanzlichen Entscheidung mit Berufungsurteil jeweils vom 10. April 2007
zurückgewiesen.
Zwar
vermittele
der
Film
durch
die
verwendete
Medikamentenbezeichnung und die Nennung der Herstellerin den Eindruck, in
Grundzügen das Geschehen um das Medikament Contergan wiederzugeben.
Gleichwohl gehe der Zuschauer bei Betrachtung des Films nicht davon aus, dass die
dargestellte Handlung der historischen Wirklichkeit gleichsam nach Art eines
Dokumentarfilms nachgestellt sei. Der Film sei deutlich als Spielfilm erkennbar. Er
weise zwar die Besonderheit auf, dass dem Zuschauer durch Anknüpfung an die
historischen Vorgänge im Zusammenhang mit dem Medikament Contergan eine
Nähe zur Realität vermittelt werde. Bezüglich solcher historischer Fakten erwarte ein
Zuschauer, dass es sich um eine zumindest im Kern wahrheitsgetreue Wiedergabe
handele. Zugleich werde dem Zuschauer aber für die ausführliche Darstellung
privater und persönlicher Verhältnisse der dargestellten Figuren nahegelegt, dass
historische Genauigkeit insoweit nicht das Hauptanliegen des Films sei. Die
Beurteilung der beanstandeten Passagen hänge daher davon ab, ob der Zuschauer
darin eine Wiedergabe realer Vorgänge sehe oder ihm ihre fiktive Natur deutlich sei.
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Für die eröffneten Einblicke in den Alltag und das Familienleben des dargestellten
Anwalts erwarte der Zuschauer eine solche Wirklichkeitstreue nicht. Der fiktionale
Charakter dieser Szenen werde durch Verwendung erfundener Namen für die
dargestellten Figuren und zusätzlich durch die Hinweise aus der Anmoderation
unterstrichen, zu deren Verwendung sich die Beklagten gegenüber dem
Beschwerdeführer verpflichtet hätten.
Zwar bestehe eine Vielzahl markanter Übereinstimmungen zwischen der Figur des
Anwalts Paul Wegener und dem Beschwerdeführer, so dass von einer Erkennbarkeit
des Beschwerdeführers auszugehen sei. Jedoch verdeutliche eine Vielzahl ähnlich
markanter Unterschiede zwischen dem Beschwerdeführer und dem in dem Film
auftretenden Rechtsanwalt zugleich, dass diese Filmfigur künstlerisch eigenständig
gestaltet worden sei.
Ein Unterlassungsanspruch stehe dem Beschwerdeführer daher nicht schon bei ihm
geringfügig negativen Abweichungen von der Wahrheit zu, sondern setze voraus,
dass hierdurch eine schwer wiegende Entstellung seines Bildes in der Öffentlichkeit
bewirkt werde.
Das Oberlandesgericht habe den Film in Augenschein genommen. Für eine
Darstellung realer Vorgänge sei den beanstandeten Filmszenen nichts zu
entnehmen. Ihr fiktionaler Charakter sei für den Zuschauer erkennbar. Er hege daher
nicht die Erwartung, über Tatsachen wirklichkeitsgetreu informiert zu werden. Für die
Mehrzahl der beanstandeten Szenen sei zudem auch nicht zu erkennen, dass der in
der Filmhandlung auftretende Rechtsanwalt hierbei in schwer wiegender Weise
nachteilig dargestellt werde. Die von dem Beschwerdeführer als berufsethisch
fragwürdig beanstandeten Handlungen fasse der Zuschauer als vertretbare Mittel in
dem Kampf des Anwalts gegen das als übermächtigen Gegner dargestellte
Unternehmen auf. Auch sei der Spielhandlung nicht zu entnehmen, dass der Anwalt
gegenüber seinem behinderten Kind lieblos auftrete und eine ehewidrige Beziehung
zu einer Mandantin aufnehme. Soweit der Film nahe lege, dass sich die Ehefrau des
Anwalts von diesem vorübergehend getrennt habe, sehe der Zuschauer auch darin
eine für das reale Geschehen um das Medikament Contergan belanglose und allein
ausschmückende Fiktion. Die Figur des Rechtsanwalts erscheine innerhalb dieses
Geschehens zudem als Opfer einer Trennung, die von seiner Ehefrau ausgehe.
S chon wegen des Zeitablaufs von mehr als 40 Jahren seit Beendigung der
dargestellten Ereignisse könne in einer solchen Darstellung keine erhebliche
Verzerrung des Persönlichkeitsbildes des Beschwerdeführers gegenüber der
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Öffentlichkeit gesehen werden.
Soweit sich der Beschwerdeführer gegen solche Darstellungen wende, die in der
zur Verbreitung bestimmten Filmfassung gegenüber dem Drehbuch nicht mehr
enthalten seien, fehle es bereits an einer Begehungsgefahr. Es liege fern und sei von
der Beschwerdeführerin auch nicht zureichend glaubhaft gemacht, dass das
Drehbuch veröffentlicht werden könne.
Für weitere Einzelheiten der Erwägungen des Berufungsgerichts wird auf das in
dem Beschwerdeverfahren 1 BvR 1223/07 angegriffene Urteil (abgedruckt in AfP
2007, S. 143 ff.) Bezug genommen, mit dem das in dem Beschwerdeverfahren 1 BvR
1224/07 angegriffene Berufungsurteil in den hier bedeutsamen Teilen übereinstimmt.
3. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts aus
Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Aus Sicht des Zuschauers werde
nicht zureichend erkennbar, für welche Teile der Filmhandlung ein Anspruch auf
Wahrheit erhoben werde. Die gegenteilige Einschätzung des Berufungsgerichts sei
unzutreffend.
Mangels zureichender Verfremdung des Abbilds, welches der Beschwerdeführer in
der in dem Film auftretenden Figur eines Rechtsanwalts gefunden habe, liege bereits
darin eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers,
dass die Beklagten mit einer Darstellung der privaten Verhältnisse dieses Anwalts
zugleich das Privatleben des Beschwerdeführers zur Darstellung gebracht hätten. Sei
der Betroffene in einer Filmfigur in so hohem Ausmaß erkennbar, wie dies hier der
Fall sei, so verletze jede unzutreffende oder die Privatsphäre berührende Darstellung
schon aus sich heraus das Persönlichkeitsrecht in schwer wiegender Weise. Dem
werde es nicht gerecht, wenn das Berufungsgericht den Erlass des begehrten
Verbots mangels Vorliegens einer für das Ansehen des Beschwerdeführers
gravierend abträglichen Entstellung abgelehnt habe. Das Persönlichkeitsrecht werde
bereits dadurch verletzt, dass die Filmhandlung Einzelheiten des Privatlebens des
Rechtsanwalts wie etwa das Verhältnis zu seiner Ehefrau und seinem Kind zur
Darstellung bringe und der Beschwerdeführer in der Figur dieses Rechtsanwalts
erkennbar sei.
4. Der Beschwerdeführer beantragt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit
welcher den Beklagten bis zur Entscheidung über die Hauptsache eine Ausstrahlung
des Films verboten werden soll.
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5. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens haben zu den Eilanträgen Stellung
genommen.
Ursprünglich sei beabsichtigt gewesen, den Film zum Oktober 2006 im Vorfeld der
im Jahre 2007 anstehenden 50jährigen Wiederkehr der Markteinführung des
Medikaments Contergan auszustrahlen. Nach Aufhebung des von dem Landgericht
verhängten Verbots durch das im April 2007 erlassene Berufungsurteil sei zunächst
geplant gewesen, den Film nunmehr zum nächstverfügbaren Sendezeitpunkt
auszustrahlen und auf zwei Filmfestivals im Juni und Juli 2007 vorzustellen. Auch mit
Rücksicht
auf
das
anhängig gemachte Eilverfahren sei nunmehr als
Ausstrahlungstermin der 7. und 8. November 2007 festgesetzt worden, dem ab Mitte
September 2007 im Zuge der Ankündigung des Films voraussichtlich eine Aufführung
vor Pressepublikum vorausgehen werde.
Die nunmehr erfolgte Verlegung des Sendetermins auf den 7. und 8. November
2007 sei gezielt im Hinblick darauf erfolgt, dass dieser Zeitpunkt sich noch in
zeitlichem Zusammenhang zu der am 1. Oktober 2007 anstehenden 50jährigen
Wiederkehr der Markteinführung des Medikaments Contergan bewege. Es sei
beabsichtigt, im Zusammenhang mit der Ausstrahlung des Films zwei
Fernsehdokumentationen
zu senden, von denen das Schicksal Contergan-
Geschädigter nach Abschluss des in dem Film dargestellten Geschehens behandelt
werde. Mit Blick auf den bevorstehenden Jahrestag sei zudem damit zu rechnen,
dass der Film an eine Behandlung der Thematik durch andere Fernsehberichte und
die
übrige Medienberichterstattung anknüpfen könne und daher auf ein
tagesaktuelles Interesse stoße. Zudem seien auch Spielfilme heute auf zeitnahe
Verbreitung angewiesen, wolle ihre Thematik und Gestaltung den raschem Wandel
unterworfenen Publikumsgeschmack treffen.
Ergänzend ist von der im Ausgangsverfahren beklagten Produktionsfirma darauf
hingewiesen worden, dass eine Verzögerung der Ausstrahlung des Films auch
Beeinträchtigungen ihrer wirtschaftlichen Interessen mit sich bringen könne. Sie habe
den Film als mittelständisches Produktionsunternehmen mit erheblichem finanziellem
Aufwand vorfinanziert und erhalte diesen Aufwand frühestens erstattet, wenn der Film
zur Ausstrahlung freigegeben sei. Auch wäre sie durch Erlass der Eilanordnung
gehindert, den Film als Referenzprojekt zur Bewerbung um Folgeaufträge möglichen
Auftraggebern vorzuführen.
6. Dem Bundesverfassungsgericht lag eine Kopie des Films in der dem
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Berufungsgericht vorgelegten Fassung zur Inaugenscheinnahme vor.
II.
Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnungen
liegen nicht vor. Die erforderliche Folgenabwägung fällt zuungunsten des
Beschwerdeführers aus.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen
Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr
schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen
wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Wegen der meist weit
tragenden
Folgen,
die
eine einstweilige
Anordnung
in
einem
verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen
des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 87, 107
<111>; stRspr). Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des
angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu
bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als
unzulässig
oder
offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des
Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen,
die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die
Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die
entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der
Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158
<161>; 88, 185 <186>; 91, 252 <257 f.>; stRspr).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch offensichtlich
unbegründet. Es ist demnach eine Beurteilung und Abwägung der Folgen geboten,
die im Falle des Erfolgs oder Misserfolgs einer Verfassungsbeschwerde einträten.
Hierbei wird bedeutsam, ob für den Fall, dass die einstweilige Anordnung nicht
ergeht, ein Eingriff in Grundrechte droht, der als solcher nicht mehr rückgängig
gemacht werden kann. Bei der Folgenabwägung ist dieser Gesichtspunkt jedoch
nicht für sich allein ausschlaggebend. Zu berücksichtigen ist vielmehr auch, wie
schwer die tatsächlichen Beeinträchtigungen wiegen, die für das als verletzt
behauptete Grundrecht im Falle des Nichterlasses der Eilanordnung zu erwarten
stünden (vgl. BVerfGE 77, 130 <136>; 80, 360 <366 f.>; 87, 334 <340>). Maßgeblich
wird, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Eintritt solcher Beeinträchtigungen zu
erwarten steht und ob Maßnahmen getroffen sind, ihren Eintritt auszuschließen oder
in seinen Folgen abzumildern (vgl. BVerfGE 85, 94 <96>; 87, 334 <340>). Würde in
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Belange der obsiegenden Gegenpartei eines fachgerichtlichen Ausgangsverfahrens
eingegriffen, wenn die einstweilige Anordnung ergeht, die Verfassungsbeschwerde
sich jedoch später als unbegründet erweist, so sind auch ihre Belange nach ihrem
tatsächlichen Gewicht und der Bedeutung hiervon betroffener grundrechtlicher
Schutzpositionen in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerfGE 12, 276 <280>; 77, 130
<136>).
Die Abwägung führt im vorliegenden Verfahren nicht zu einem Überwiegen
derjenigen Gründe, die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechen.
a)
Erginge
die
einstweilige
Anordnung
nicht, erwiese
sich
die
Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, so bestünde die Gefahr, dass es
zu der von den Beklagten für den November dieses Jahres beabsichtigten
Ausstrahlung des Films kommt und dies eine Verletzung des geltend gemachten
Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG bewirkt.
Im Zuge der nach § 32 Abs. 1 BVerfGG gebotenen Folgenabwägung legt das
Bundesverfassungsgericht seiner Entscheidung für die erforderliche Gewichtung der
hieraus
bei
Nichterlass
der
Eilanordnung
und
späterem
Erfolg der
Verfassungsbeschwerde eintretenden Folgen grundsätzlich die den angegriffenen
Entscheidungen
vorgenommenen Tatsachenfeststellungen
und
Tatsachenwürdigungen zugrunde (vgl. BVerfGE 34, 211 <216>); anderes gilt, wenn
die Feststellungen offensichtlich fehlsam sind oder die Tatsachenwürdigung unter
Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnorm offensichtlich nicht trägt (vgl.
BVerfGK 3, 97 <99 f.>).
Das Oberlandesgericht geht davon aus, dass ein Zuschauer des zur Ausstrahlung
vorgesehenen Films nicht hinsichtlich aller Bestandteile der Spielhandlung
gleichermaßen eine wahrheitsgetreue Wiedergabe tatsächlicher Ereignisse annimmt.
Er erwarte eine solche Wiedergabe allein für den historisch gesicherten
Geschehenskern um die Markteinführung des Arzneimittels Contergan, dessen
Folgen für die Geschädigten und das sich hieran anschließende Strafverfahren.
Hingegen werde von dem Zuschauer die an diesen Geschehenskern anknüpfende
unterhaltsam-spannende Spielhandlung um den dargestellten Rechtsanwalt nicht als
Nachbildung tatsächliche Ereignisse aufgefasst. Dies sei dem Zuschauer bereits aus
der Aufmachung des Films als eines fiktionalen Spielfilms erkennbar. Unterstrichen
werde dieser Eindruck durch den in den Vor- und Abspann eingeschalteten
Hinweistext.
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Die Sachverhaltswürdigung des Oberlandesgerichts kann auch zur Bestimmung des
für die vorliegend vorzunehmende Folgenabwägung maßgebenden Gewichts der zu
erwartenden Beeinträchtigung herangezogen werden. Dieses Gewicht wird davon
beeinflusst,
ob
aus
der verfassungsrechtlich maßgebenden Sicht des
unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums die konkret
beanstandeten Szenen als fiktional oder als Wiedergabe historischer Wirklichkeit
wahrgenommen werden. Bei seiner Sachverhaltswürdigung berücksichtigt das
Oberlandesgericht, dass die hier zu beurteilende Filmhandlung, ungeachtet ihrer
Anknüpfung an ein historisches Geschehen, nach dem Gesamtcharakter des Films
und keineswegs nur aufgrund der Formulierung im Vor- und Abspann nicht den
Eindruck erweckt, nach Art eines Dokumentarspiels (vgl. dazu BVerfGE 35, 202
<226 f.>) das historische Geschehen in sämtlichen Einzelheiten möglichst
detailgetreu nachzubilden, der Film andererseits aber infolge seiner offenen
Anknüpfung an ein reales historisches Geschehen nicht in jeder Hinsicht einer rein
fiktiven Spielhandlung gleichgestellt werden darf.
In die Folgenabwägung ist einzustellen, dass ein verständiger Zuschauer das in der
Filmhandlung dargestellte Geschehen um den Rechtsanwalt und sein berufliches
und privates Verhalten auch dort nicht als mit umfassendem Wahrheitsanspruch
versehene Verbreitung von Tatsachenbehauptungen über konkrete Betroffene
auffasst, wo die von der Darstellung beabsichtigte und offen gelegte Anknüpfung an
einen realen Sachverhalt es ermöglicht, dass der Zuschauer in der Filmfigur eines
Rechtsanwalts einen Bezug zu der an dem zeitgeschichtlichen Geschehen
beteiligten Person des Beschwerdeführers herstellt und ihn in diesem Sinne
„erkennt“. Eine solche Erkennbarkeit ist eine notwendige Folge der beabsichtigten
und offen gelegten Anknüpfung der Spielhandlung an einen historischen Sachverhalt.
Andererseits wird durch eine Fülle von Abweichungen in den Charakteristika und
Handlungsweisen des Rechtsanwalts von der seinerzeit handelnden Person des
Beschwerdeführers zum Ausdruck gebracht, dass die beanstandeten Szenen nicht
den Eindruck einer umfassend tatsachengetreuen Schilderung des seinerzeitigen
Verhaltens des Beschwerdeführers vermitteln sollen und der Zuschauer wird hierauf
im Vorspann und Abspann des Films ausdrücklich hingewiesen. Andernfalls hätten
die Beklagten im Interesse historischer Glaubwürdigkeit um möglichste Realitätstreue
aller Einzelheiten im Handeln und in der Person des Rechtsanwalts bemüht sein
müssen. Damit hätte die von ihnen um der spielfilmgerechten Aufbereitung des Stoffs
willen gezielt vorgenommene Abweichung vom realen Geschehen im Widerspruch
gestanden. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts handelt es sich bei dem
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Rechtsanwalt Paul Wegener um eine Filmfigur, in die lediglich einzelne Merkmale
der Person des Beschwerdeführers eingegangen sind. Die in dem Film erfolgte
Darlegung der privaten Lebensverhältnisse des Rechtsanwalts und seiner
Handlungen erheben daher nicht einen Anspruch auf zutreffende Wiedergabe des
seinerzeitigen Handelns und der Lebensverhältnisse des Beschwerdeführers.
Das Oberlandesgericht hat für den überwiegenden Teil der beanstandeten Szenen
im Übrigen bereits verneint, dass sich diesen der von dem Beschwerdeführer
beanstandete abträgliche Eindruck entnehmen lasse. Vor dem Hintergrund des in der
Filmhandlung dargestellten Kampfes des Rechtsanwalts gegen einen als
übermächtig erscheinenden Gegner bringe der Zuschauer Verständnis dafür auf,
wenn die Figur des Rechtsanwalts in einzelnen Fällen auch zu nach Auffassung des
Beschwerdeführers fragwürdigen Mitteln greife oder Krisen und Niederlagen
durchlebe. Das in der Spielhandlung angedeutete Zerwürfnis der Eheleute werde von
dem Zuschauer als fiktionale Zutat erkannt. In dem Film erscheine die Figur des
Rechtsanwalts im Übrigen eher als Opfer einer von seiner Ehefrau ausgehenden
Trennung.
Das Oberlandesgericht hat ferner in die Prüfung einbezogen, dass ein etwa vierzig
Jahre zurück liegendes Geschehen geschildert wurde, dem eine erhebliche
Verzerrung des heutigen Persönlichkeitsbildes des Beschwerdeführers nicht zu
entnehmen sei.
Auf der Grundlage dieser Würdigung des Oberlandesgerichts lässt sich nicht
feststellen, dass eine Ausstrahlung des Films zu den von dem Beschwerdeführer
befürchteten schwer wiegenden Beeinträchtigungen führen kann. Den beanstandeten
Teilen der Darstellung kommt infolge ihrer deutlich erkennbaren Einbindung in ein
fiktionales Geschehen eine wesentlich geringere Beeinträchtigungswirkung zu als
etwa die Verbreitung unzutreffender Tatsachenbehauptungen, die einen
umfassenden Wahrheitsanspruch erheben.
b) Erginge die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde
aber später als unbegründet, so wären die Beklagten bis zu diesem Zeitpunkt an
e i n e r Verbreitung des Films gehindert. Die Beklagten beabsichtigen eine
Ausstrahlung des Films in zeitlichem Zusammenhang mit der im Jahr 2007
anstehenden 50jährigen Wiederkehr der Markteinführung des Medikaments
Contergan.
Die ursprünglich für Oktober 2006 im Vorfeld dieses Jahrestages geplante
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Ausstrahlung konnte infolge der Entscheidung des Landgerichts nicht erfolgen und
von einer nach Aufhebung dieses Verbots durch das Oberlandesgericht möglichen
Ausstrahlung und Präsentation des Films haben die Beklagten mit Rücksicht auf die
Eilanträge
des Beschwerdeführers Abstand genommen. Nunmehr ist die
Ausstrahlung auf den 7. und 8. November 2007 angesetzt worden. Wären die
Beklagten durch Erlass der Eilanordnung zu einer erneuten Verlegung der
Ausstrahlung gezwungen, so könnte dies das mit diesem Ausstrahlungstermin
verfolgte Anliegen beeinträchtigen, den Film jedenfalls noch in zeitlichem
Zusammenhang zu dem im Oktober 2007 anstehenden und zeitgeschichtlich
bedeutsamen Jahrestag der 50jährigen Wiederkehr der Markteinführung des
Medikaments Contergan auszustrahlen. Dieser Bezug soll dadurch verstärkt werden,
dass als Rahmenprogramm im Zusammenhang mit der Verbreitung des Spielfilms die
Ausstrahlung zweier Dokumentationen vorgesehen ist, die gleichfalls der Thematik
des so genannten Contergan-Skandals und seiner Folgen gewidmet sind. Auch
haben andere Massenmedien diesen anstehenden Jahrestag schon derzeit durch
Beiträge aufgegriffen oder beabsichtigen dies. Eine Ausstrahlung des Films gerade
zu dem vorgesehenen Zeitpunkt kann daher besondere publizistische Wirkungen
erzielen.
Es stellt einen schwer wiegenden Eingriff in die von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG
umfasste Freiheit der beklagten Rundfunkanstalt zur Gestaltung und Verbreitung
ihres Programms dar, wird sie durch Erlass der Eilanordnung an der Erstausstrahlung
eines Spielfilms zu einem nach Gesichtspunkten der tagesaktuellen Bedeutsamkeit
gewählten Zeitpunkt und in einem nach medienspezifischen Gesichtspunkten
gewählten Kontext gehindert. An der von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisteten
Freiheit der Rundfunkberichterstattung hat hierbei auch die von der Rundfunkanstalt
beauftragte Produktionsfirma teil. Durch das mit der Eilanordnung begehrte Verbot
wäre zusätzlich die Gewährleistung des Art. 5 Abs. 3 GG betroffen, der als Werk der
Filmkunst auch ein Spielfilm unterfällt.
Die Verbreitung eines unterhaltend aufgemachten Films in Anknüpfung an einen
bedeutsamen zeitgeschichtlichen Jahrestag kann der öffentlichen Meinungsbildung
bedeutsame Anstöße vermitteln, die bei einer Verzögerung der Ausstrahlung des
Films bis zu einem späteren Zeitpunkt wegen des dann geringeren Aktualitätsbezugs
verloren gingen. Der Erlass der einstweiligen Anordnung hätte daher nicht allein
Beeinträchtigungen der grundrechtlich geschützten Belange der Beklagten zur Folge,
sondern wäre zugleich mit gewichtigen Nachteilen für den freien öffentlichen
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Kommunikationsprozess verbunden, auf deren Verwirklichung die in Art. 5 Abs. 1 GG
enthaltenen Gewährleistungen zielen. Ob den seitens der beklagten Produktionsfirma
angeführten
Beeinträchtigungen
ihrer wirtschaftlichen Belange aus einer
Verzögerung der Verbreitung des Films zusätzlich maßgebliches Gewicht zukäme,
kann deshalb dahinstehen.
c) Die Abwägung der aufgezeigten Folgen ergibt nicht, dass die dem
Beschwerdeführer bei der Verweigerung einer einstweiligen Anordnung drohenden
Nachteile schwerer wögen als die mit ihrem Erlass verbundenen Beeinträchtigungen
der Belange der Beklagten und des Informationsinteresses der Öffentlichkeit.
Die bei Nichterlass der einstweiligen Anordnung möglichen Beeinträchtigungen,
welche der Beschwerdeführer in seinem von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1
Abs. 1 GG gewährleisteten Persönlichkeitsrecht durch Verbreitung des Films erfahren
kann, wiegen nicht schwerer als insbesondere die Nachteile für die von Art. 5 Abs. 1
GG gewährleisteten publizistischen Belange der Beklagten, die zu erwarten stünden,
würden diese durch Erlass der Eilanordnung gehindert, die besonderen
publizistischen Wirkungen zu erzielen, die mit der Ausstrahlung des Films zu dem
von ihnen gewählten und zeitgeschichtlich bedeutsamen Jahrestag verbunden
wären. Dem Beschwerdeführer kann daher zugemutet werden, die mit einer
Ausstrahlung des Films verbundenen Beeinträchtigungen hinzunehmen, im Übrigen
aber seine Rechte in dem Hauptsacheverfahren zu verfolgen.
Für die Gewichtung der beiderseitigen Folgen kommt es nicht mehr darauf an, ob
aus dem Erlass der Eilanordnung generell einschüchternde Wirkungen etwa für
andere Träger des Grundrechts der Rundfunkfreiheit zu erwarten stünden (vgl. dazu
BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 1993 - 1
BvR 1861/93 -, AfP 1993, S. 733 <734>). Bereits hiervon unabhängig lässt sich ein
Überwiegen der Belange des Beschwerdeführers innerhalb der Folgenabwägung
nicht erkennen.
Papier
Hoffmann-Riem
Gaier