Urteil des BVerfG vom 15.01.2014

BVerfG: wiedereinsetzung in den vorigen stand, einheimische bevölkerung, wirtschaftliche leistungsfähigkeit, stadt, degressiver steuertarif, degressiver steuersatz, steuerbelastung, aufwand, satzung

L e i t s ä t z e
zum Beschluss des Ersten Senats vom 15. Januar 2014
- 1 BvR 1656/09 -
1. Ein degressiver Zweitwohnungsteuertarif verletzt das Grundrecht auf Gleichbehandlung
des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Gebot der Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, wenn dies nicht durch hinreichend gewichtige
sachliche Gründe gerechtfertigt ist.
2. Bei Einlegung von Verfassungsbeschwerden hat regelmäßig die erforderliche Sorgfalt
erfüllt, wer einen über die zu erwartende Übermittlungsdauer der zu faxenden Schriftsätze
samt Anlagen hinausgehenden Sicherheitszuschlag von 20 Minuten einkalkuliert. Dieser
Sicherheitszuschlag gilt auch für die Faxübersendung nach Wochenenden oder
gesetzlichen Feiertagen.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1656/09 -
Bundesadler
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn R…,
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sören Rößner LL.M., in Sozietät
MMR Müller Müller Rößner Rechtsanwälte,
Mauerstraße 66, 10117 Berlin -
gegen
a)
den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
vom 12. Mai 2009 - 2 S 3342/08 -,
b)
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11. November 2008
- 3 K 1622/07 -,
c)
den Widerspruchsbescheid der Stadt Konstanz vom 3. Juli 2007 -
5.02229.002887.1 ZwWIRöß 27K Rie/hz -,
d)
den Zweitwohnungsteuer-Änderungsbescheid der Stadt Konstanz
vom 20. März 2007 - 5.0229.002887.1 -,
e)
den Zweitwohnungsteuer-Änderungsbescheid der Stadt Konstanz
vom 12. Februar 2007 - 5.0229.002887.1 -,
f)
den Zweitwohnungsteuerbescheid der Stadt Konstanz vom 18.
Dezember 2006 - 5.0229.002887.1 -,
g)
die Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer in der
Stadt Konstanz vom 26. Oktober 2006,
h)
die Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer in der
Stadt Konstanz vom 22. März 1984, geändert durch Satzung vom
23. Februar 1989 und 26. September 2002,
i)
die Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer in der
Stadt Konstanz vom 22. März 1984, geändert durch Satzung vom
23. Februar 1989
und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsident Kirchhof,
Gaier,
Eichberger,
Schluckebier,
Masing,
Paulus,
Baer,
Britz
am 15. Januar 2014 beschlossen:
1. Dem Beschwerdeführer wird wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und
Begründung der Verfassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
2. § 4 Absatz 1 der Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer in der Stadt
Konstanz vom 22. März 1984 in der Fassung der Änderungssatzung vom 23. Februar 1989
und in der Fassung der Änderungssatzungen vom 23. Februar 1989 und 26. September
2002 sowie § 4 Absatz 1 der Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer in der
Stadt Konstanz vom 26. Oktober 2006 verletzen den Beschwerdeführer in seinem
Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes und sind nichtig.
3. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 12. Mai 2009 - 2 S
3342/08 -, das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11. November 2008 - 3 K
1622/07 -, der Widerspruchsbescheid der Stadt Konstanz vom 3. Juli 2007 -
5.02229.002887.1 ZwWIRöß 27K Rie/hz -, der Zweitwohnungsteuer-Änderungsbescheid
der Stadt Konstanz vom 20. März 2007 - 5.0229.002887.1 -, der Zweitwohnungsteuer-
Änderungsbescheid der Stadt Konstanz vom 12. Februar 2007 - 5.0229.002887.1 - und der
Zweitwohnungsteuerbescheid der Stadt Konstanz vom 18. Dezember 2006 -
5.0229.002887.1 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3
Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an
den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zur Entscheidung über die Kosten des
Verfahrens zurückverwiesen.
4. Die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers haben die Stadt Konstanz zu zwei
Dritteln und das Land Baden-Württemberg zu einem Drittel zu erstatten.
5. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für das
Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 30.000 € (in Worten: dreißigtausend Euro)
festgesetzt.
Gründe:
A.
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, inwieweit eine degressive Staffelung des Tarifs
einer Zweitwohnungsteuer mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
I.
2
1. Die Stadt Konstanz, die Beklagte des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte), zog den
Beschwerdeführer für die Jahre 2002 bis 2006 zur Zweitwohnungsteuer heran. Dabei stützte sie
sich auf die Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer in der Stadt Konstanz vom
22. März 1984 in der Fassung der Änderungssatzung vom 23. Februar 1989 (im Folgenden:
Zweitwohnungsteuersatzung 1989) und in der zum 1. Januar 2003 in Kraft getretenen
Fassung der Änderungssatzungen vom 23. Februar 1989 und 26. September 2002 (im
Folgenden: Zweitwohnungsteuersatzung 2002) sowie die rückwirkend zum 1. Januar
2006 in Kraft getretene Satzung über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer in der Stadt
Konstanz vom 26. Oktober 2006 (im Folgenden: Zweitwohnungsteuersatzung 2006).
3
2. Die in den Satzungen jeweils geregelten Steuertarife orientieren sich am jährlichen
Mietaufwand als steuerlicher Bemessungsgrundlage und pauschalieren den Steuerbetrag durch
Bildung von fünf (Zweitwohnungsteuersatzung 1989) beziehungsweise acht
Mietaufwandsgruppen (Zweitwohnungsteuersatzungen 2002/2006). Der für den ersten Teil des
streitgegenständlichen Zeitraums (1. Januar bis 31. Dezember 2002) maßgebliche § 4 Abs. 1
ZwStS 1989 lautet wie folgt:
4
§ 4 Steuersatz
(1) Die Steuer beträgt im Kalenderjahr
a) bei einem jährlichen Mietaufwand bis zu 1.533,88 € = 409,03 €
b) bei einem jährlichen Mietaufwand von mehr als
1.533,88 € aber nicht mehr als 2.351,94 € = 613,55 €
c) bei einem jährlichen Mietaufwand von mehr als
2.351,94 € aber nicht mehr als 3.170,01 € = 818,07 €
d) bei einem jährlichen Mietaufwand von mehr als
3.170,01 € aber nicht mehr als 3.988,08 € = 1.022,58 €
e) bei einem jährlichen Mietaufwand von mehr als
3.988,08 € = 1.227,10 €.
5
Für den zweiten Teil des streitgegenständlichen Zeitraums (1. Januar 2003 bis 31. August 2006)
sind nach den wortgleichen Vorschriften des § 4 Abs. 1 ZwStS 2002 und des § 4 Abs. 1 ZwStS
2006 folgende Steuersätze maßgeblich:
6
§ 4 Steuersatz
(1) Die Steuer beträgt im Kalenderjahr
a) bei einem jährlichen Mietaufwand bis zu 1.650 € = 400,00 €
b) bei einem jährlichen Mietaufwand von mehr als
1.650 € aber nicht mehr als 2.640 € = 575,00 €
c) bei einem jährlichen Mietaufwand von mehr als
2.640 € aber nicht mehr als 3.630 € = 750,00 €
d) bei einem jährlichen Mietaufwand von mehr als
3.630 € aber nicht mehr als 4.620 € = 925,00 €
e) bei einem jährlichen Mietaufwand von mehr als
4.620 € aber nicht mehr als 5.610 € = 1.100,00 €
f) bei einem jährlichen Mietaufwand von mehr als
5.610 € aber nicht mehr als 6.600 € = 1.275,00 €
g) bei einem jährlichen Mietaufwand von mehr als
6.600 € aber nicht mehr als 7.590 € = 1.450,00 €
h) bei einem jährlichen Mietaufwand
von mehr als 7.590 € = 1.625,00 €.
7
3. Die konkrete Ausgestaltung der Steuertarife führt insgesamt zu einem in Relation zum
Mietaufwand degressiven Steuerverlauf. Zwar steigt der Betrag der vom Steuerschuldner zu
zahlenden Zweitwohnungsteuer mit zunehmender Jahresmiete in Stufen an. Nicht nur auf den
jeweiligen Stufen sondern auch über die Stufen hinweg sinkt jedoch der aus dem jährlichen
Mietaufwand als Steuermaßstab und dem zu zahlenden Steuerbetrag errechnete Steuersatz mit
steigendem Mietaufwand wieder ab.
8
Eine Ursache hierfür besteht in zunehmend flacher werdenden Steuerstufen sowohl im mittleren
Bereich als auch in der Mindest- und der Höchstbetragsstufe. Nach der
Zweitwohnungsteuersatzung 1989 sinkt der sich für den mittleren Mietaufwand einer Steuerstufe
ergebende Steuersatz (im Folgenden: mittlerer Steuersatz) in den drei mittleren Steuerstufen von
31,58 % in der Steuerstufe zwischen den Grenzwerten 1.533,88 € und 2.351,94 € über 29,63 %
in der folgenden Stufe auf schließlich 28,57 % in der durch die Grenzwerte 3.170,01 € und
3.988,08 € bestimmten Steuerstufe ab. Nach den Zweitwohnungsteuersatzungen 2002/2006
beläuft sich der mittlere Steuersatz in der zweitniedrigsten Steuerstufe zwischen den
Stufengrenzwerten 1.650 € und 2.640 € auf 26,81 % und sinkt bei steigendem Mietaufwand in
den folgenden Stufen schrittweise bis auf 20,44 % in der zweithöchsten Steuerstufe zwischen
den Grenzwerten 6.600 € und 7.590 € ab. Damit liegt die Spreizung der mittleren Steuersätze
unter Außerachtlassung der Mindest- und Höchstbetragsstufen bei der
Zweitwohnungsteuersatzung 1989 bei circa drei Prozentpunkten (Verlauf von 31,58 %
absinkend bis zu 28,57 %) und bei den Zweitwohnungsteuersatzungen 2002/2006 bei 6,37
Prozentpunkten (Verlauf von 26,81 % absinkend zu 20,44 %).
9
Berücksichtigt man zusätzlich die jeweilige Mindest- und Höchstbetragsstufe, so verstärkt sich
das stetige Abflachen der einzelnen Steuerstufen und damit des Steuersatzes. Bei
Zugrundelegung einer Untergrenze für Monatskaltmieten von 100 € ergibt sich für eine (fiktive)
Mindestbetragsgruppe von 1.200 € bis 1.533,88 € Mietaufwand bei der
Zweitwohnungsteuersatzung 1989 ein mittlerer Steuersatz von 29,92 % und für eine (fiktive)
Mindestbetragsgruppe von 1.200 € bis 1.650 € Mietaufwand bei den
Zweitwohnungsteuersatzungen 2002/2006 ein mittlerer Steuersatz von 28,07 %. Unter
Berücksichtigung eines für Zweitwohnungen noch realistischen oberen Grenzwerts von 24.000 €
ergibt sich für eine (fiktive) Höchstbetragsgruppe von 3.988,08 € bis 24.000 € Mietaufwand bei
der Zweitwohnungsteuersatzung 1989 ein mittlerer Steuersatz von 11,40 % und für eine (fiktive)
Höchstbetragsgruppe von 7.590 € bis 24.000 € Mietaufwand bei den
Zweitwohnungsteuersatzungen 2002/2006 ein mittlerer Steuersatz von 10,29 %. Blendet man
Jahresmieten von unter 1.200 € und über 24.000 € aus, ergibt sich für den verbleibenden
Bereich eine Spreizung von 18,52 Prozentpunkten (Zweitwohnungsteuersatzung 1989, Verlauf
von 29,92 % bis 11,40 %) beziehungsweise 17,78 Prozentpunkten
(Zweitwohnungsteuersatzungen 2002/2006, Verlauf von 28,07 % bis 10,29 %). Ohne
Berücksichtigung dieser Unter- und Obergrenzen wäre die Spreizung noch stärker ausgeprägt.
10
Zu einer weiteren Degression führen die durch die Stufenbildung bewirkten Differenzen in der
relativen Steuerbelastung. Innerhalb jeder einzelnen Steuerstufe verläuft der Steuersatz
ebenfalls degressiv, da der relative Steuersatz innerhalb der Stufe mit steigendem Mietaufwand
abnimmt. Auf den mittleren Steuerstufen (das heißt unter Außerachtlassung der Mindest- und der
Höchstbetragsstufe) ist der Belastungsunterschied zwischen Steuerpflichtigen am unteren Ende
der zweiten Steuerstufe und am oberen Ende der zweithöchsten Steuerstufe am stärksten
ausgeprägt. Nach den Zweitwohnungsteuersatzungen 2002/2006 gilt für Steuerpflichtige mit
einer Jahreskaltmiete von 1.651 € (unterer Grenzwert der zweitniedrigsten Steuerstufe) ein
Steuersatz von 34,8 % (Steuerbetrag 575 €), während der Steuersatz knapp unterhalb des
oberen Grenzwerts der zweithöchsten Steuerstufe bei einer Jahreskaltmiete von 7.590 € circa
19,1 % beträgt (Steuerbetrag 1.450 €). Nach der Zweitwohnungsteuersatzung 1989 ergibt sich
entsprechend ein Steuersatz von etwa 40 % für knapp oberhalb des unteren Grenzwerts der
zweitniedrigsten Steuerstufe besteuerte Steuerpflichtige (Steuerbetrag von 613,55 € bei einer
Jahresmiete von 1.533,89 €) sowie ein Steuersatz von etwa 25,6 % für einen am oberen
Grenzwert der zweithöchsten Steuerstufe veranschlagten Zweitwohnungsinhaber (Steuerbetrag
von 1.022,58 € bei einer Jahresmiete von 3.988,08 €).
II.
11
1. Der Beschwerdeführer hatte im Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis zum 31. August 2006 eine
ihm von seinen Eltern überlassene Wohnung im Stadtgebiet der Beklagten inne und war dort mit
Nebenwohnsitz gemeldet. Die Beklagte zog ihn durch Steuerbescheid vom 18. Dezember 2006
für diesen Zeitraum zu einer Zweitwohnungsteuer in Höhe von insgesamt 7.320,85 € heran.
Nach Einlegung eines Widerspruchs reduzierte die Beklagte den Betrag mit Änderungsbescheid
vom 12. Februar 2007 auf 3.835,08 € und mit weiterem Änderungsbescheid vom 20. März 2007
auf 2.974,32 €. Dem letztgenannten Änderungsbescheid lag eine Einigung der Beteiligten auf
einen fiktiven Mietzins für die Wohnung von 4,11 €/m², also der Hälfte des sich nach dem
Mietspiegel ergebenden Mietwertes, zugrunde. Die sich daraus ergebende fiktive Miete von
201,39 € pro Monat (2.416,68 € pro Jahr) führte nach der dritten Steuerstufe in § 4 Abs. 1 ZwStS
1989 zu einer Zweitwohnungsteuer in Höhe von 818,07 € im Jahr 2002 und nach der zweiten
Steuerstufe in § 4 Abs. 1 ZwStS 2002/2006 zu einer Steuer in Höhe von 575 € in den Jahren
2003 bis 2005 und in Höhe von 431,25 € im Jahr 2006. Den gleichwohl aufrecht erhaltenen
Widerspruch des Beschwerdeführers gegen die Steuerbescheide wies die Beklagte zurück.
12
2. Die vom Beschwerdeführer gegen die Steuerbescheide und den Widerspruchsbescheid
erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Die „umgekehrte Progression“ des
Steuersatzes sei nicht zu beanstanden. Ein stets gleichbleibendes Verhältnis zwischen der
Zweitwohnungsteuer und dem jährlichen Mietaufwand als Bemessungsgrundlage sei rechtlich
nicht gefordert. Durch die zulässige Stufenbildung komme es innerhalb der jeweiligen
Steuerstufen zwangsläufig zu einer umgekehrten Progression. Die insgesamt degressive
Staffelung verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz, da es sachliche Gründe für die
Ungleichbehandlung gebe. Mit der Zweitwohnungsteuer dürfe der Lenkungszweck verfolgt
werden, die Inhaber einer nur vorgeblichen Zweitwohnung im melderechtlich zulässigen
Rahmen zur Verlegung des Hauptwohnsitzes zu bewegen. Gerade bei regelmäßig relativ
preisgünstigen Studentenwohnungen sei ein höherer Steuersatz besser geeignet, um über den
absoluten Betrag die gewünschte Lenkungswirkung zu erreichen. Ein degressiver Steuersatz sei
zudem deshalb gerechtfertigt, weil Zweitwohnungen für die Gemeinden einen erhöhten Aufwand
bedeuteten, dem keine sonstigen Vorteile gegenüberstünden. Dieser Aufwand sei nicht
zwangsläufig vom jährlichen Mietaufwand abhängig. Der erhöhte Steuersatz bei günstigen
Zweitwohnungen sei geeignet, diesen Aufwand zu decken.
13
Die absolute Höhe des Steuersatzes entfalte im Übrigen keine erdrosselnde Wirkung. Da über
den Mietaufwand für eine Zweitwohnung hinaus häufig noch erhebliche Kosten für eine doppelte
Haushaltsführung aufgewendet würden, könne nicht ernsthaft davon die Rede sein, im Gebiet
der Beklagten könnten wegen der Zweitwohnungsteuer – jedenfalls im unteren Bereich – keine
Zweitwohnungen mehr gehalten werden.
14
3. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der
Berufung ab, der dem Beschwerdeführer am 27. Mai 2009 zuging. Die generalisierende
degressive Staffelung der Steuersätze in § 4 Abs. 1 ZwStS 1989 und 2002/2006 halte sich im
Rahmen des dem Satzungsgeber zukommenden Gestaltungsspielraums. Die prozentual
stärkere Belastung der unteren Mietaufwandsgruppen sei gerechtfertigt. Die Beklagte dürfe bei
der Steuererhebung den Nebenzweck verfolgen, insbesondere das Halten kleinerer und
billigerer Zweitwohnungen einzudämmen und dadurch das Wohnungsangebot für die
einheimische Bevölkerung – insbesondere für Studierende – zu erhöhen.
15
Eine erdrosselnde Wirkung komme der Zweitwohnungsteuer nicht zu, weil nach dem
unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten in allen Staffelungsbereichen und damit
auch in den untersten Mietaufwandsgruppen steuerpflichtige Zweitwohnungen in nicht
unerheblicher Zahl vorhanden seien. Bei der Beurteilung der Frage, ob vom Steuersatz eine
erdrosselnde Wirkung ausgehe, sei nicht auf einzelne Steuerpflichtige, wie etwa Studierende,
sondern auf die Gesamtheit der steuerpflichtigen Zweitwohnungsinhaber abzustellen.
Angesichts der mit dem Halten einer Zweitwohnung unabdingbar verbundenen, nicht
unerheblichen weiteren Kosten sei eine erdrosselnde Wirkung der Steuer nach allgemeiner
Lebenserfahrung von vornherein ausgeschlossen.
III.
16
1. Der Beschwerdeführer hat am 13. Juli 2009 Verfassungsbeschwerde erhoben und gleichzeitig
wegen Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Ausweislich seiner eidesstattlichen
Versicherung und der vorgelegten Telefaxprotokolle hatte er am Montag, dem 29. Juni 2009, um
22:57 Uhr erstmals versucht, die Verfassungsbeschwerdeschrift per Telefax an das
Bundesverfassungsgericht zu übermitteln. Dies misslang jedoch ebenso wie weitere
Übermittlungsversuche am selben Tag um 23:07 Uhr und 23:19 Uhr. Gemäß dem Faxbuch und
den Faxprotokollen des Bundesverfassungsgerichts war der Faxanschluss des Gerichts an
diesem Tag ab etwa 20:00 Uhr für circa vier Stunden belegt.
17
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte
aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3, Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.
18
Der satzungsgemäße Zweitwohnungsteuertarif bewirke eine „umgekehrte Progression“. Gerade
bei höheren Mieten sinke der Steuersatz mit steigendem Mietaufwand kontinuierlich, während er
bei niedrigen Mieten in der Regel deutlich über 20 % liege. Eine solche Besteuerung sei nicht
mit dem aus Art. 20 Abs. 1 GG folgenden Gebot sozialer Steuerpolitik, das im Steuerrecht
spezielle Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und des Übermaßverbots sei, vereinbar. Durch
die „umgekehrte Progression“ würden gerade Personen mit geringer finanzieller
Leistungsfähigkeit regelmäßig prozentual wesentlich stärker belastet als Personen mit hohem
jährlichem Mietaufwand. Das Ziel, Inhaber von Zweitwohnungen zu deren Anmeldung als
Hauptwohnung zu bewegen, um Zuwendungen aus dem kommunalen Finanzausgleich zu
erhöhen, sei kein zulässiger, die Ungleichbehandlung rechtfertigender Lenkungszweck.
19
Bei der von der Beklagten erhobenen Zweitwohnungsteuer handele es sich um eine
unzulässige konfiskatorische Steuer mit erdrosselnder Wirkung. Die Steuersätze seien gerade
im Bereich eines niedrigen bis mittleren Mietaufwands deutlich zu hoch. Der Hinweis des
Verwaltungsgerichts auf die vermeintlich geringe absolute Höhe der Steuer sei nicht
nachvollziehbar. Bei einem Zweitwohnungsteuersatz von bis zu 34,8 % liege die erdrosselnde
oder prohibitive Wirkung vielmehr auf der Hand. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass
hiervon in besonderem Maße Personen mit geringer finanzieller Leistungsfähigkeit,
insbesondere Studierende, betroffen seien. Zweitwohnungsinhaber mit niedrigem bis mittlerem
Mietaufwand würden stärker belastet als solche mit höherem Mietaufwand. Bei lebensnaher
Betrachtung sei davon auszugehen, dass das Innehaben kleinerer Zweitwohnungen regelmäßig
wirtschaftlich unmöglich gemacht werde.
IV.
20
Die Beklagte, das Bundesverwaltungsgericht, der Bundesfinanzhof sowie mehrere
Oberverwaltungs- und Finanzgerichte haben zu der Verfassungsbeschwerde Stellung
genommen.
21
1. Die Beklagte hält die Verfassungsbeschwerde wegen Verfristung für unzulässig, jedenfalls
aber für unbegründet. Die Zweitwohnungsteuer habe keine erdrosselnde Wirkung. Aus der
Entwicklung des Aufkommens steuerpflichtiger Zweitwohnungen im Bereich aller Steuerstufen
ergebe sich, dass das Halten von Zweitwohnungen durch die Besteuerung nicht wirtschaftlich
unmöglich gemacht werde. Die Staffelung der Steuersätze verstoße angesichts des weiten
Gestaltungsspielraums des Steuergesetzgebers auch nicht gegen den Gleichheitssatz. Die mit
einer grundsätzlich zulässigen Wahl pauschaler Maßstäbe aus Praktikabilitätsgründen
verbundenen Ungleichbehandlungen seien sachlich gerechtfertigt. Eine höhere Belastung in
den unteren Steuerstufen bei einer prozentualen, auf den jährlichen Mietaufwand bezogenen
Belastung sei dadurch gerechtfertigt, dass im niedrigen bis mittleren Mietsegment der größte
Bedarf an Wohnraum bestehe, weil die Beklagte Hochschulstandort und beliebtes Tourismusziel
sei. Eine weitere Rechtfertigung ergebe sich aus dem mit Zweitwohnungen verbundenen
erhöhten kommunalen Aufwand.
22
2. Dem Bundesverwaltungsgericht erscheint ein degressiv ausgestalteter Steuertarif im Hinblick
auf die Grundsätze der Steuergleichheit und der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht
unbedenklich, jedenfalls aber besonders rechtfertigungsbedürftig. Ein spezifischer
Lenkungszweck könne den Steuertarif rechtfertigen, sofern er nicht im Gegensatz zu der
Sachmaterie stehe, auf die er lenkend einwirken solle. Der Anreiz zur Verlegung des
Erstwohnsitzes stelle grundsätzlich einen zulässigen Lenkungszweck dar.
23
3. Der Bundesfinanzhof äußert verfassungsrechtliche Bedenken an der degressiven
Ausgestaltung des Zweitwohnungsteuertarifs. Schon der Typus der Aufwandsteuer lasse es
nicht zu, bei der Zweitwohnungsteuer einen niedrigeren jährlichen Mietaufwand mit einem
höheren Steuersatz zu belegen als einen höheren jährlichen Mietaufwand. Der degressive
Steuertarif verletze darüber hinaus die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßgaben
des Leistungsfähigkeitsprinzips. Dieser könne keinesfalls mit der Erwägung gerechtfertigt
werden, der Beklagten erwachse aus Zweitwohnungen ein erhöhter Aufwand, weil allein der
isolierte Vorgang des Konsums für die Aufwandsteuer maßgeblich sei.
24
Die Abweichung vom Gebot der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sei auch nicht durch die in
den Ausgangsentscheidungen genannten außersteuerlichen Lenkungszwecke gerechtfertigt.
Denn das Interesse der Beklagten, mit der Zweitwohnungsteuer die Anzahl der Zweitwohnungen
zu beschränken, die Zweitwohnungsinhaber also zur Begründung eines Hauptwohnsitzes in der
Stadt zu veranlassen, und sich dadurch erhöhte Finanzzuweisungen im Rahmen des
kommunalen Finanzausgleichs zu sichern sowie das Wohnungsangebot für die einheimische
Bevölkerung zu erhöhen, betreffe kleine und große Wohnungen gleichermaßen.
25
4. a) Mehrere Oberverwaltungsgerichte haben Zweifel an der Vereinbarkeit einer degressiv
ausgestalteten Zweitwohnungsteuer mit der finanzverfassungsrechtlichen Zuständigkeit der
Gemeinden und dem Gleichheitssatz geäußert.
26
Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht bezweifelt, dass der Lenkungszweck, das
Halten von kleinen und billigen Zweitwohnungen einzudämmen, um das Wohnungsangebot für
die einheimische Bevölkerung in diesem Sektor zu erhöhen, mit dem Charakter einer
Aufwandsteuer in Einklang zu bringen ist. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hält
eine prozentual deutlich höhere Besteuerung eines relativ niedrigen Mietaufwands für mit
Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG unvereinbar, weil sich bei der Zweitwohnungsteuer Steuermaßstab
und Steuersatz auf den Aufwand für das Innehaben einer Zweitwohnung beziehen und in einem
angemessenen Verhältnis zu diesem stehen müssten.
27
Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hält den degressiven Steuersatz für
mit dem Gebot der Steuergerechtigkeit unvereinbar. Für eine solche Ausgestaltung der Steuer
sei kein einleuchtender Grund erkennbar, zumal mit der Zweitwohnungsteuer die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit erfasst werden solle, die in der Regel bei höherwertigen Wohnungen höher
einzustufen sei. Die Absicht des Normgebers, gerade das Halten kleinerer und billigerer
Zweitwohnungen durch eine prozentual höhere Steuerbelastung einzudämmen und dadurch das
Wohnungsangebot auf dem einheimischen Markt zu erhöhen, laufe der am Aufwand zu
orientierenden Steuerbemessung im Kern zuwider.
28
Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern könne zwar eine
zwangsläufige Degression auf den einzelnen Stufen eines abgestuften, im Prinzip aber linearen
Steuersatzes bei einer hinreichend feinen Abstufung aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität
verfassungsrechtlich hingenommen werden, ein insgesamt degressiver Steuersatz sei jedoch
mit dem Charakter der Zweitwohnungsteuer als Aufwandsteuer nur schwer vereinbar. Zudem sei
eine sachliche Rechtfertigung der Degression mit ihrer Lenkungswirkung fraglich, da ein nicht
degressiver Steuertarif zu einem höheren Steuerbetrag und damit zu einem besseren
Lenkungseffekt führen könnte.
29
b) Andere Oberverwaltungsgerichte halten hingegen eine degressive Aufwandsteuer für mit dem
Grundgesetz vereinbar.
30
Dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zufolge liegt eine konfiskatorische Wirkung nur dann
vor, wenn durch die Höhe der Aufwandsteuer das Innehaben von Zweitwohnungen gänzlich
unattraktiv werde, was nicht der Fall sei, solange Zweitwohnungen in nicht unerheblicher Zahl
gehalten würden. Die mit einem Staffelsystem zwangsläufig entstehenden Degressionseffekte
stellten im Hinblick auf den Gestaltungsspielraum des Steuergesetzgebers und die Möglichkeit
der Pauschalisierung und Typisierung keinen Gleichheitsverstoß dar. Der Satzungsgeber könne
wohl einen degressiv gestalteten Steuersatz vorsehen, solange für kostengünstigere
Zweitwohnungen nicht absolut höhere Steuern zu zahlen seien. Ein sachlicher Grund für einen
degressiven Steuertarif könne zudem gerade in einer Stadt mit vielen Studierenden in dem
Lenkungszweck liegen, einen bestimmten Kreis von Zweitwohnungsinhabern zur
(melderechtlich ordnungsgemäßen) Verlegung seines Erstwohnsitzes zu bewegen.
31
Nach Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs enthalten die streitgegenständlichen
Steuersatzungen keinen rein degressiv ausgestalteten Steuertarif, weil die prozentuale
Belastung nach Übergang in die nächsthöhere Stufe wieder ansteige. Das kontinuierliche
Sinken der Belastung ab dem Erreichen der höchsten Stufe sei der Problematik eines
sogenannten „Höchstbetrages“ zuzuordnen und an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen; es könne durch
sachliche Erwägungen wie etwa Lenkungsabsichten gerechtfertigt werden.
B.
32
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
33
Der Beschwerdeführer hat die Verfassungsbeschwerde zwar erst nach Ablauf der
Beschwerdefrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG erhoben. Ihm ist jedoch gemäß § 93 Abs. 2
Satz 1 BVerfGG auf seinen fristgerechten Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
gewähren.
I.
34
Der Beschwerdeführer war durch die Belegung des Faxanschlusses des
Bundesverfassungsgerichts zwischen 22:57 Uhr bis Mitternacht des 29. Juni 2009 an der
Fristwahrung gehindert. An der hierdurch verursachten Fristversäumnis traf ihn kein
Verschulden.
35
1. Eine verschuldete Fristversäumnis liegt vor, wenn ein Beschwerdeführer die Frist wegen
fahrlässigen oder vorsätzlichen Verhaltens nicht einhalten konnte. Angesichts des
Verfassungsbezugs zu Art. 103 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG dürfen allerdings die
Anforderungen an die individuellen Sorgfaltspflichten nicht überspannt werden (vgl. BVerfGE 25,
158 <166>). Fahrlässig handelt, wer mit der Übermittlung eines Beschwerdeschriftsatzes nebst
erforderlicher Anlagen nicht so rechtzeitig beginnt, dass unter gewöhnlichen Umständen mit dem
Abschluss der Übermittlung noch am Tag des Fristablaufs zu rechnen ist.
36
Dabei müssen Rechtsschutzsuchende einen über die voraussichtliche Dauer des eigentlichen
Faxvorgangs hinausgehenden Sicherheitszuschlag einkalkulieren (siehe auch BVerfG,
Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. November 1999 - 2 BvR 565/98 -,
NJW 2000, S. 574; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2010 - 1 BvR
1070/10 -, juris Rn. 3; BVerfGK 7, 215 <216>). Denn sie beachten nur dann die im Verkehr
erforderliche Sorgfalt, wenn sie der Möglichkeit Rechnung tragen, dass das Empfangsgerät
belegt ist. Gerade in den Abend- und Nachtstunden muss damit gerechnet werden, dass wegen
drohenden Fristablaufs weitere Beschwerdeführer versuchen, Schriftstücke fristwahrend per
Telefax zu übermitteln (siehe auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom
19. November 1999 - 2 BvR 565/98 -, NJW 2000, S. 574).
37
Das Erfordernis eines Sicherheitszuschlags kollidiert nicht mit dem Grundsatz, dass eine Frist
voll ausgeschöpft werden darf. Ebenso wie übliche Postlaufzeiten oder die Verkehrsverhältnisse
auf dem Weg zum Gericht zu berücksichtigen sind, muss ein Beschwerdeführer übliche
Telefaxversendungszeiten einkalkulieren. Der Zuschlag verkürzt die Frist nicht, sondern
konkretisiert lediglich die individuelle Sorgfaltspflicht des Beschwerdeführers. Aus der Eröffnung
des Übermittlungswegs per Telefax erwächst dabei dem Gericht die Verantwortung, für
ausreichende Empfangskapazitäten zu sorgen. Dem wird durch eine kurze Bemessung der
Sicherheitsreserve Rechnung getragen.
38
2. In Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hat regelmäßig die im Verkehr erforderliche
Sorgfalt erfüllt, wer einen über die zu erwartende Übermittlungsdauer der zu faxenden
Schriftsätze samt Anlagen hinausgehenden Sicherheitszuschlag in der Größenordnung von
20 Minuten einkalkuliert. Damit sind die gegenwärtigen technischen Gegebenheiten auch nach
der Rechtsprechung der Fachgerichte (vgl. BFH, Beschluss vom 25. November 2003 - VII R 9/03
-, BFH/NV 2004, S. 519 <520>; Beschluss vom 28. Januar 2010 - VIII B 88/09 -, BFH/NV 2010,
S. 919; BGH, Beschluss vom 3. Mai 2011 - XI ZB 24/10 -, juris Rn. 10; BVerwG, Beschluss vom
25. Mai 2010 - BVerwG 7 B 18/10 -, juris) hinreichend beachtet. Aus Gründen der
Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gilt dieser Sicherheitszuschlag einheitlich auch für die
Faxübersendung nach Wochenenden oder gesetzlichen Feiertagen (anders noch BVerfG,
Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2010 - 1 BvR 1070/10 -, juris Rn. 3).
39
Für die Fristberechnung und damit auch die Einhaltung des Sicherheitszuschlags ist der
Zeitpunkt des vollständigen Empfangs und damit der Speicherung der gesendeten Signale im
Empfangsgerät des Gerichts maßgeblich, nicht aber die Vollständigkeit des Ausdrucks (vgl.
BGHZ 167, 214 <220>).
40
3. Den Sorgfaltsanforderungen genügt schließlich nur, wer innerhalb der einzukalkulierenden
Zeitspanne wiederholt die Übermittlung versucht.
II.
41
Der Beschwerdeführer hat hier einen hinreichenden Sicherheitszuschlag einkalkuliert. Der
eigentliche Faxvorgang hat lediglich elf Minuten in Anspruch genommen. Der Beschwerdeführer
hat am Tag des Fristablaufs um 22:57 Uhr erstmals versucht, die Verfassungsbeschwerdeschrift
nebst Anlagen an das Bundesverfassungsgericht zu übermitteln. Er hat mithin eine
Sicherheitsreserve von etwa 50 Minuten eingeplant. Darüber hinaus hat er seinen Sendeversuch
bis zum Fristablauf mehrfach wiederholt.
42
C:
43
Die Verfassungsbeschwerde ist im Wesentlichen begründet. Die degressive Ausgestaltung der
Zweitwohnungsteuertarife der Steuersatzungen sowie die Entscheidungen der Beklagten und
der Ausgangsgerichte verstoßen gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
I.
44
Freiheitsrechte des Beschwerdeführers sind durch die Auferlegung der Zweitwohnungsteuer
nicht verletzt.
45
1. Als Auferlegung einer Geldleistungspflicht stellt die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer
einen Eingriff in Freiheitsrechte des Beschwerdeführers und seine persönliche
Freiheitsentfaltung im vermögensrechtlichen Bereich dar (vgl. BVerfGE 87, 153 <169>; 93, 121
<137>). Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Belastung des Beschwerdeführers mit der
Zweitwohnungsteuer dabei an Art. 14 Abs. 1 oder an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen ist (vgl. dazu
BVerfGE 95, 267 <300 f.>; 105, 17 <32 f.>; 115, 97 <110 ff.>), da sich der Eingriff jedenfalls als
verfassungsgemäß erweist.
46
2. Der Eingriff ist gerechtfertigt. Er beruht auf einer gesetzlichen Grundlage, welche die
Kompetenzordnung des Grundgesetzes wahrt (vgl. BVerfGE 34, 139 <146>; 58, 137 <145>), und
die Steuerpflichtigen nicht unverhältnismäßig belastet.
47
a) Die von der Beklagten erhobene Zweitwohnungsteuer ist eine örtliche Aufwandsteuer im
Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 65, 325 <349 f.>; 114, 316 <334 f.>).
48
aa) Die Aufwandsteuer soll die in der Einkommensverwendung für den persönlichen
Lebensbedarf zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerschuldners
treffen (vgl. BVerfGE 65, 325 <346>; 123, 1 <15> m.w.N.). Der Konsum als Aufwand ist
typischerweise Ausdruck und Indikator der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Ob der Aufwand
im Einzelfall die Leistungsfähigkeit überschreitet, ist für die Steuerpflicht unerheblich (vgl.
BVerfGE 65, 325 <347 f.>; 114, 316 <334>).
49
Die degressive Ausgestaltung des Steuertarifs in den Zweitwohnungsteuersatzungen der
Beklagten lässt den Charakter der Zweitwohnungsteuer als Aufwandsteuer unberührt. Ein vom
Normgeber geregelter Steuertarif bestimmt zwar den Charakter der geschaffenen Steuer mit
(zum Steuermaßstab vgl. BVerfGE 14, 76 <91>; 123, 1 <17>). Von Einfluss auf die
kompetenzielle Einordnung einer Steuer ist der Steuertarif indessen nur, soweit er deren Typus
prägt (vgl. BVerfGE 123, 1 <17>). Fragen der materiellen Verfassungsmäßigkeit der Steuer,
insbesondere ihrer Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz oder den Freiheitsgrundrechten, sind
hingegen ohne Einfluss auf die Beurteilung der Normsetzungskompetenz (vgl. BVerfGE 123, 1
<17>).
50
bb) Der Gesetzgeber darf seine Steuergesetzgebungskompetenz grundsätzlich auch ausüben,
um Lenkungswirkungen zu erzielen (vgl. BVerfGE 84, 239 <274>; 93, 121 <147>), mag die
Lenkung Haupt- oder Nebenzweck sein (vgl. BVerfGE 55, 274 <299>; 98, 106 <118>). Nur wenn
die steuerliche Lenkung nach Gewicht und Auswirkung einer verbindlichen Verhaltensregel
nahekommt, die Finanzierungsfunktion der Steuer also durch eine Verwaltungsfunktion mit
Verbotscharakter verdrängt wird, bietet die Besteuerungskompetenz keine ausreichende
Rechtsgrundlage (vgl. BVerfGE 98, 106 <118>).
51
Nach diesen Maßstäben ändern die mit der Zweitwohnungsteuer verfolgten Lenkungszwecke,
Wohnungsinhaber zur Ummeldung von Zweit- in Hauptwohnsitze zu veranlassen und
Wohnraum für Dritte freizumachen, nichts an ihrem Charakter als Steuer, weil die beabsichtigte
Lenkung jedenfalls nicht die Wirkung einer verbindlichen Verhaltensregel entfaltet. Eine etwaige
Ausweichreaktion hängt vielmehr maßgeblich vom Willen der Steuerpflichtigen ab.
52
b) Die Belastung durch die Zweitwohnungsteuer ist nicht erdrosselnd oder sonst unzumutbar.
Die Ausgangsgerichte haben vertretbar dargelegt, dass die Steuersätze eine Belastung
darstellen, die typischerweise noch im Bereich der im Halten einer Zweitwohnung zum Ausdruck
kommenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit liegt. Gegen eine erdrosselnde Höhe der zu
zahlenden Steuerbeträge spricht bereits, dass eine beachtliche Zahl von
Zweitwohnungsinhabern von der Beklagten zur Zweitwohnungsteuer veranlagt wird und sich
diese Zahl in den letzten Jahren auf allen Steuerstufen noch erhöht hat.
II.
53
Der in § 4 Abs. 1 der Zweitwohnungsteuersatzungen geregelte degressive Steuertarif verletzt
das Grundrecht auf Gleichbehandlung des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Gebot der
Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
54
1. a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich
Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365 <385>;
130, 240 <252>; stRspr). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche
Begünstigungen (vgl. BVerfGE 79, 1 <17>; 126, 400 <416>; 130, 240 <252 f.>).
55
Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Normgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen
bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und
dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>; 129, 49
<68>; 130, 240 <253>). Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die
Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz
je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für
den Normgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu
strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können (vgl. BVerfGE 117, 1 <30>; 126,
400 <416>; 130, 240 <254>; stRspr).
56
b) Auch Steuertarife sind mit ihren Auswirkungen auf die Steuerlast am allgemeinen
Gleichheitssatz zu messen.
57
So muss die unterschiedlich hohe Belastung der Steuerpflichtigen bei Finanzzwecksteuern dem
aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleiteten Gebot der Besteuerung nach der finanziellen
Leistungsfähigkeit genügen (vgl. zum Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht BVerfGE 6, 55
<67>; 127, 224 <247 f.>). Es widerspricht dem Gebot der Steuergleichheit etwa, wenn bei
Ertragsteuern wirtschaftlich Leistungsfähigere einen geringeren Prozentsatz ihres Einkommens
als Steuer zu zahlen haben als wirtschaftlich Schwächere (vgl. BVerfGE 127, 224 <247>; siehe
auch Schweizerisches Bundesgericht, Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung vom 1. Juni
2007 – 2P.43/2006 -, BGE 133 I, 206 <220>; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. 1, 2. Aufl.
2000, S. 403; P. Kirchhof, StuW 1985, S. 319 <329>; Wernsmann, Verhaltenslenkung in einem
rationalen Steuersystem, 2005, S. 286), es sei denn, dies ist durch einen besonderen Sachgrund
gerechtfertigt.
58
Die Orientierung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wird unterstützt vom
Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG. Bei Steuern, die an die
Leistungsfähigkeit des Pflichtigen anknüpfen, ist die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte
nicht nur zulässig sondern geboten (vgl. BVerfGE 29, 402 <412>; 32, 333 <339>; 36, 66 <72>;
43, 108 <125>). Aus dem Sozialstaatsprinzip ist abzuleiten, dass die Steuerpolitik auf die
Belange der wirtschaftlich schwächeren Schichten der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen hat
(vgl. BVerfGE 13, 331 <346 f.>; 29, 402 <412>; 43, 108 <119>; 61, 319 <343 f.>).
59
c) Der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verlangt, „jeden Bürger nach
Maßgabe seiner finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mit Steuern zu belasten“
(BVerfGE 61, 319 <344>; 66, 214 <223>; jeweils unter Bezugnahme auf BTDrucks 7/1470,
S. 211 f.). In horizontaler Richtung muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener
steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher
Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (vgl. BVerfGE 82, 60 <89>; 116, 164 <180>;
120, 1 <44>; 122, 210 <231>; 127, 224 <245>). In vertikaler Richtung muss die Besteuerung der
wirtschaftlich Leistungsfähigeren im Vergleich mit der Steuerbelastung wirtschaftlich weniger
Leistungsstarker angemessen ausgestaltet sein (vgl. BVerfGE 107, 27 <47>; 115, 97 <116 f.>).
Bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes hat der
Gesetzgeber jedoch einen weitreichenden Entscheidungsspielraum (vgl. BVerfGE 117, 1 <30>;
120, 1 <29>; 122, 210 <230>; 123, 1 <19>; 127, 224 <245>).
60
Werden weniger leistungsfähige Steuerschuldner mit einem höheren Steuersatz besteuert als
wirtschaftlich leistungsfähigere Steuerschuldner, ist eine rechtfertigungsbedürftige
Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG ungeachtet dessen gegeben, ob
leistungsfähigere Steuerschuldner absolut einen höheren Steuerbetrag zu zahlen haben als
leistungsschwächere Steuerschuldner. Denn weniger Leistungsfähige müssen in diesem Fall
einen höheren Anteil ihres Einkommens oder Vermögens als Steuer abgeben als wirtschaftlich
Leistungsfähigere.
61
2. Das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ist auf die Zweitwohnungsteuertarife
der Beklagten anwendbar (a). Die in der Degression liegende Ungleichbehandlung (b) ist nach
dem anzuwendenden strengen Maßstab (c) hier nicht gerechtfertigt (d).
62
a) Wie für die Ertragsteuern gilt auch für die Zweitwohnungsteuer das Leistungsfähigkeitsprinzip.
Das wesentliche Merkmal einer Aufwandsteuer besteht darin, die in der
Einkommensverwendung zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu treffen
(vgl. BVerfGE 65, 325 <346>; 123, 1 <15> m.w.N.). Der jeweilige Mietaufwand als
Bemessungsgröße der Zweitwohnungsteuer spiegelt die in der Einkommensverwendung zum
Ausdruck kommende Leistungsfähigkeit der Wohnungsinhaber wider.
63
b) Der in den Zweitwohnungsteuersatzungen normierte Tarif stellt den Beschwerdeführer durch
die Auferlegung eines höheren Steuersatzes schlechter als Steuerpflichtige, bei denen aufgrund
des Innehabens einer teureren Wohnung eine größere Leistungsfähigkeit zu vermuten ist, die
dafür aber gleichwohl einen niedrigeren Steuersatz zahlen. Am Maßstab vertikaler
Steuergerechtigkeit gemessen, bewirkt der in § 4 Abs. 1 der Zweitwohnungsteuersatzungen
normierte degressive Steuertarif eine steuerliche Ungleichbehandlung der Steuerschuldner, weil
er weniger leistungsfähige Steuerschuldner prozentual höher belastet als wirtschaftlich
leistungsfähigere. Denn aus dem Stufentarif ergibt sich mit steigendem Mietaufwand weitgehend
ein sinkender Steuersatz. Diese Ungleichbehandlung lässt sich bereits durch einen Vergleich
der jeweiligen mittleren Steuersätze in den Steuerstufen feststellen (aa), er verstärkt sich unter
Berücksichtigung der durch die typisierende Stufenbildung bewirkten Effekte (bb) und
insbesondere durch die Normierung von Mindest- und Höchstbetragsstufen (cc).
64
aa) Bei einem Vergleich der mittleren Steuersätze in den Steuerstufen ist eine
Ungleichbehandlung weniger leistungsfähiger gegenüber leistungsfähigeren Steuerschuldnern
feststellbar, weil diese bezogen auf den jährlichen Mietaufwand einen höheren Steuersatz zu
zahlen haben. Lässt man wegen ihres Grenzwertcharakters zunächst die Steuerstufe zu den
niedrigsten Miethöhen (Mindestbetragsstufe) und die nach oben hin offene höchste Steuerstufe
(Höchstbetragsstufe) außer Betracht, so sind die dazwischen liegenden drei
(Zweitwohnungsteuersatzung 1989) beziehungsweise fünf (Zweitwohnungsteuersatzungen
2002/2006) Steuerstufen jeweils durchgängig degressiv gestaltet.
65
bb) Eine weitere Ungleichbehandlung folgt aus den durch die typisierenden Stufen bewirkten
Differenzen in der Steuerbelastung. Dadurch wird außerdem die Ungleichbehandlung der
weniger Leistungsfähigen gegenüber Leistungsfähigeren verstärkt, da sich die durch den
degressiven Steuertarif einerseits und die Stufen andererseits hervorgerufenen Effekte teilweise
addieren.
66
(1) Eine durch die Stufen hervorgerufene Ungleichbehandlung ergibt sich zunächst beim
Übergang von einer Stufe in die nächste, nämlich für die Steuerpflichtigen, die mit ihrer
Nettokaltmiete knapp ober- beziehungsweise unterhalb der jeweiligen Steuerstufengrenzwerte
liegen.
67
Die Stufen als solche behandeln zudem verschieden leistungsfähige Steuerschuldner gleich,
weil alle Steuerschuldner einer Stufe denselben absoluten Steuerbetrag zahlen müssen, obwohl
die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit typischerweise mit dem Mietaufwand ansteigt. Die damit
verbundene Degression auf jeder einzelnen Stufe bewirkt eine Ungleichbehandlung entgegen
der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, da der Steuersatz innerhalb einer Stufe mit steigender
Bemessungsgrundlage abnimmt und damit zum Leistungsfähigkeitsprinzip entgegengesetzt
verläuft. So sinkt beispielsweise innerhalb der zweiten Steuerstufe nach der
Zweitwohnungsteuersatzung 1989 (zwischen 1.533,88 € und 2.351,94 €) die Steuerbelastung
von fast 40 % auf rund 26 % und nach den Zweitwohnungsteuersatzungen 2002/2006 (zwischen
1.650 € und 2.640 €) von etwa 34,8 % auf 21,8 %.
68
(2) Die Degression auf jeder einzelnen Stufe kommt zu der bereits durch einen Vergleich der
mittleren Steuersätze festgestellten Degression als eigene Ungleichbehandlung hinzu. Am
stärksten belastet werden insgesamt Steuerpflichtige mit Jahresmieten im unteren Bereich der
jeweiligen Steuerstufen.
69
cc) Die auf der jeweiligen Stufe festgestellte Gleich- beziehungsweise Ungleichbehandlung tritt
ebenfalls auf der Mindestbetragsstufe und der Höchstbetragsstufe der jeweiligen Steuersatzung
zutage, weist gegenüber den anderen Stufen jedoch Besonderheiten auf. Innerhalb der Mindest-
und der Höchstbetragsstufen nimmt der Steuersatz ähnlich wie auf den anderen Stufen mit
steigender Bemessungsgrundlage ab und verläuft damit entgegensetzt zur wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit. Die Degression auf diesen beiden Stufen ist allerdings durch ihre Randlage
in besonderer Weise ausgeprägt. Auf der Mindestbetragsstufe erhöht sich der Steuersatz mit
sinkendem Mietaufwand, während die relative Belastung für Zweitwohnungen mit
Jahresnettokaltmieten in der höchsten Stufe mit steigendem Mietaufwand geringer wird. Die
Normierung von Mindest- und Höchstbetragsstufen verstärkt auf diese Weise den degressiven
Effekt der Zweitwohnungsteuer.
70
c) Degressive Steuertarife sind nicht generell unzulässig. Die hierdurch hervorgerufenen
Ungleichbehandlungen können verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden (vgl. BVerfGE 127,
224 <248>), weil der Normgeber zu einer reinen Verwirklichung des Leistungsfähigkeitsprinzips
nicht ausnahmslos verpflichtet ist (vgl. BVerfGE 27, 58 <68>; 43, 108 <120 f.>). Bei der
Rechtfertigung unterliegt er jedoch über das bloße Willkürverbot hinausgehenden Bindungen.
71
Eine solche strengere Bindung des Normgebers folgt bei degressiven Steuertarifen aus der
hiermit verbundenen Abweichung vom Leistungsfähigkeitsprinzip. Das
Leistungsfähigkeitsprinzip konkretisiert den allgemeinen Gleichheitssatz für das Steuerrecht,
indem es dem Gesetzgeber ein auf die Leistungsfähigkeit bezogenes Differenzierungsgebot als
materielles Gleichheitsmaß vorgibt. Allerdings fordert das Leistungsfähigkeitsprinzip keinen
konkreten Steuertarif. Vom Bundesverfassungsgericht ist nicht zu untersuchen, ob der
Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die
verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat (vgl. BVerfGE 52,
277 <280 f.>; 68, 287 <301>; 81, 108 <117 f.>; 84, 348 <359>).
72
d) Die durch den degressiven Steuertarif der angegriffenen Steuersatzungen hervorgerufene
Ungleichbehandlung ist danach nicht mehr gerechtfertigt. Sie lässt sich im Ergebnis nicht auf
Vereinfachungserfordernisse stützen (aa). Auch die Einnahmeerzielungsabsicht (bb) und die
Verfolgung zulässiger Lenkungszwecke (cc) können diese Ungleichbehandlung nicht
rechtfertigen. Gleiches gilt für die Aufwands- und Nutzenproportionalität als Ausprägung des
Äquivalenzprinzips (dd).
73
aa) Die durch die konkrete Ausgestaltung der hier zu beurteilenden Steuertarife hervorgerufenen
Ungleichheiten sind nicht von dem Zweck der Verwaltungsvereinfachung gedeckt. Zwar lassen
sich Ungleichbehandlungen grundsätzlich durch Erfordernisse der Verwaltungsvereinfachung
rechtfertigen (1). Zur Erreichung dieses Ziels sind die Regelungen jedoch nur teilweise geeignet
(2). Zudem führt die hier gewählte Ausgestaltung der Tarife zu einer Gesamtdegression, die
außer Verhältnis zum Ertrag der Vereinfachung steht (3).
74
(1) Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse können grundsätzlich sachliche Gründe für
Einschränkungen der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit bilden (vgl. BVerfGE 127, 224 <245>
m.w.N.).
75
(2) Die zu überprüfenden Regelungen sind jedoch nur teilweise zur Verwaltungsvereinfachung
geeignet.
76
(a) Geeignet ist die Steuermaßstabsbildung anhand von fünf (Zweitwohnungsteuersatzung
1989) beziehungsweise acht (Zweitwohnungsteuersatzungen 2002/2006) pauschalierenden
Steuerstufen. Eine gewisse Verwaltungsvereinfachung bewirkt die Zusammenfassung der
Steuerpflichtigen in Steuergruppen hier dadurch, dass nicht in jedem Einzelfall behördlicherseits
die Jahresnettokaltmiete exakt ermittelt und in Zweifelsfällen verifiziert werden muss.
77
(b) Nicht zur Verwaltungsvereinfachung geeignet ist hingegen der insgesamt, das heißt über
verschiedene Steuerstufen hinweg, degressiv gestaltete Verlauf des Steuertarifs. Eine
Verwaltungsvereinfachung wird zwar durch die Bildung von Steuerstufen erreicht. Ein durch
immer flacher werdende Stufen gekennzeichneter degressiver Steuertarif ist jedoch für die
Steuerverwaltung nicht einfacher zu handhaben als ein linearer oder progressiver Steuertarif.
78
(3) Auch soweit die Ausgestaltung zur Verwaltungsvereinfachung geeignet ist, stehen die mit
den Degressionseffekten verbundenen Ungleichbehandlungen hier außer Verhältnis zu der
damit zu erzielenden Verwaltungsvereinfachung.
79
Die Rechtfertigung einer durch die Stufenbildung hervorgerufenen Ungleichbehandlung setzt
voraus, dass die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler ein gewisses Maß nicht
übersteigt und die Vorteile der Vereinfachung im rechten Verhältnis hierzu stehen (vgl. BVerfGE
110, 274 <292>; 116, 164 <182 f.>; 117, 1 <31>; 120, 1 <30>). Das ist hier nicht mehr der Fall.
Bereits die Differenz zwischen der höchsten und niedrigsten Steuerbelastung auf einer Stufe
erreicht ein beträchtliches Ausmaß, das angesichts des insgesamt degressiven Tarifverlaufs
nicht hinnehmbar ist. So ist etwa die bei rund 13 (Zweitwohnungsteuersatzungen 2002/2006)
und etwa 14 (Zweitwohnungsteuersatzung 1989) Prozentpunkten liegende Differenz zwischen
der höchsten und niedrigsten Steuerbelastung auf der zweiten Stufe hoch. Dies gilt erst recht für
die gebildete Höchstbetragsgruppe, die eine Spreizung von 25 Prozentpunkten
(Zweitwohnungsteuersatzung 1989) respektive 15 Prozentpunkten
(Zweitwohnungsteuersatzungen 2002/2006) vorsieht, wenn man von einer absoluten
monatlichen Mietobergrenze von 2.000 € ausgeht; bei noch höherem Mietaufwand geht die
Spreizung darüber noch hinaus. Hinzu treten die Effekte der Degression zwischen den
einzelnen Stufen. So kommt es hier über alle Stufen hinweg nach der
Zweitwohnungsteuersatzung 1989 zu einer Differenz von 29 Prozentpunkten zwischen der
Zweitwohnungsteuer bei einem Mietaufwand von 1.200 € (Steuerbelastung von 34 %) und
einem Mietaufwand von 24.000 € (Steuerbelastung von 5 %) und nach den
Zweitwohnungsteuersatzungen 2002/2006 zu einer Differenz von 27 Prozentpunkten zwischen
der Zweitwohnungsteuer bei einem Mietaufwand von 1.200 € (Steuerbelastung von 33 %) und
einem Mietaufwand von 24.000 € (Steuerbelastung von 6 %). Dem steht zwar ein
Vereinfachungseffekt gegenüber, der durch die Tarifstufung erreicht wird und grundsätzlich umso
größer ist, je geringer die Zahl der Stufen ist. Dieser Effekt ist hier jedoch nicht hinreichend
gewichtig, weil die Verwaltungsvereinfachung, die durch die Stufung der Zweitwohnungsteuer
erzielt wird, lediglich darin besteht, dass nicht in jedem Einzelfall die exakte Jahresnettokaltmiete
ermittelt und in Zweifelsfällen verifiziert werden muss.
80
bb) Die durch den degressiven Steuersatz hervorgerufene Ungleichbehandlung kann auch nicht
mit der Absicht gerechtfertigt werden, höhere Steuereinnahmen zu erzielen. Der degressive
Steuertarif dient bereits nicht der Erzielung höherer Einnahmen. Ungleiche Belastungen durch
konkretisierende Ausgestaltung der steuerrechtlichen Grundentscheidungen können nicht schon
allein mit dem Finanzbedarf des Staates oder einer knappen Haushaltslage gerechtfertigt
werden (BVerfGE 116, 164 <182> m.w.N.).
81
cc) Verfolgt der Gesetzgeber mit der Tarifdegression zulässige Lenkungszwecke, kann dies
Abweichungen vom Leistungsfähigkeitsprinzip unter bestimmten Voraussetzungen rechtfertigen
(1). Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht erfüllt (2).
82
(1) Der Steuergesetzgeber darf nicht nur durch Ge- und Verbote, sondern ebenso durch
mittelbare Verhaltenssteuerung auf Wirtschaft und Gesellschaft gestaltend Einfluss nehmen. Der
Bürger wird dann nicht rechtsverbindlich zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet, erhält aber
durch Sonderbelastung eines unerwünschten oder durch steuerliche Verschonung eines
erwünschten Verhaltens ein finanzwirtschaftliches Motiv, sich für ein bestimmtes Tun oder
Unterlassen zu entscheiden (vgl. BVerfGE 98, 106 <117>; 117, 1 <31 f.>). Führt ein Steuergesetz
zu einer steuerlichen Verschonung, die einer gleichmäßigen Belastung der jeweiligen
Steuergegenstände innerhalb einer Steuerart widerspricht, so kann eine solche
Steuerentlastung vor dem Gleichheitssatz gerechtfertigt sein, wenn der Gesetzgeber das
Verhalten der Steuerpflichtigen aus Gründen des Gemeinwohls fördern oder lenken will
(BVerfGE 117, 1 <32> m.w.N.).
83
Will der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten der Bürger fördern, das ihm etwa aus wirtschafts-
, sozial-, umwelt- oder gesellschaftspolitischen Gründen erwünscht ist, hat er eine große
Gestaltungsfreiheit. In der Entscheidung darüber, welche Personen oder Unternehmen gefördert
werden sollen, ist der Gesetzgeber weitgehend frei (BVerfGE 117, 1 <32> m.w.N.). Zwar bleibt er
auch hier an den Gleichheitssatz gebunden. Sachbezogene Gesichtspunkte stehen ihm aber in
©tem Umfang zu Gebote, solange die Regelung sich nicht auf eine der Lebenserfahrung
geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Lebenssachverhalte stützt, insbesondere
soweit der Kreis der von der Maßnahme Begünstigten sachgerecht abgegrenzt ist (vgl. BVerfGE
17, 210 <216>; 110, 274 <293>; 117, 1 <32>).
84
Der Lenkungszweck muss von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen
sein (vgl. BVerfGE 99, 280 <296>; 105, 73 <112 f.>; 117, 1 <31 ff.>; stRspr). Dabei genügt es,
wenn diese anhand der üblichen Auslegungsmethoden festgestellt werden kann (vgl. BVerfGE
99, 280 <296 f.>). Lenkungszwecke können sich etwa aus den Gesetzesmaterialien ergeben
(vgl. BVerfGE 116, 164 <191 ff.>; vgl. aber BVerfGE 130, 131 <144>). Möglich ist außerdem, den
Zweck aus einer Gesamtschau der jeweils vom Gesetzgeber normierten Steuervorschriften zu
erschließen (vgl. BVerfGE 110, 274 <296 f.>). Ziele des Gesetzgebers können sich darüber
hinaus aus dem Zusammenhang ergeben, in dem das Gesetz mit dem zu regelnden
Lebensbereich steht (vgl. BVerfGE 62, 169 <183 f.>). Stets müssen sich die so erkannten
Lenkungsziele jedoch auf eine Entscheidung des Gesetzgebers zurückführen lassen.
85
(2) Die durch die Degression hervorgerufene Ungleichbehandlung ist nicht durch die verfolgten
Lenkungszwecke gerechtfertigt. Zwar sind die Lenkungszwecke grundsätzlich zulässig (a) und
zum Teil von einer erkennbaren Entscheidung des Normgebers getragen (b). Sie können jedoch
die Ungleichbehandlung durch den degressiven Tarif nicht rechtfertigen (c).
86
(a) Die Veranlassung zur Ummeldung des Nebenwohnsitzes in einen Hauptwohnsitz nach den
Maßgaben des Melderechts stellt ein legitimes Ziel einer Zweitwohnungsteuer dar (vgl. BVerfG,
Beschluss des Ersten Senats vom 8. Mai 2013 – 1 BvL 1/08 -, juris Rn. 65, NJW 2013, S. 2498
<2502>, Rn. 66). Ein weiterer zulässiger Lenkungszweck liegt in der Erhöhung des
Wohnungsangebots für die einheimische Bevölkerung und insbesondere für Studierende der
Hochschulen vor Ort.
87
(b) Der Lenkungszweck, mit Nebenwohnsitz gemeldete Personen zur Anmeldung eines
Hauptwohnsitzes zu bewegen, ist von einer erkennbaren Entscheidung des Normgebers
getragen. Er ergibt sich aus einer objektiven Auslegung der Satzungen. Zwar enthalten die
Satzungsvorschriften selbst und die Materialien zu ihrer Entstehung keine einschlägigen
Hinweise. Der Lenkungszweck folgt jedoch aus einer Gesamtschau der Satzungsregelungen
unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem die Satzungen mit dem zu regelnden
Lebensbereich stehen. Er ist für den Satzungsgeber erkennbar wesentlich, da die finanziellen
Zuwendungen aus dem kommunalen Finanzausgleich ihrer Höhe nach von der Einwohnerzahl
und damit von der Zahl der gemeldeten Hauptwohnsitzinhaber abhängig sind (vgl. § 4, § 6
Abs. 4, § 7 Abs. 1 und 2, § 11 Abs. 1 Nr. 3, § 30 des baden-württembergischen Gesetzes über
den kommunalen Finanzausgleich ).
88
Ob der weitere Lenkungszweck, mit der Zweitwohnungsteuer das Halten von Zweitwohnungen –
insbesondere kleinerer und preiswerter Wohnungen – einzudämmen, um dadurch das
Wohnungsangebot für die einheimische Bevölkerung – insbesondere für Studierende – zu
erhöhen, von einer erkennbaren Entscheidung des Satzungsgebers getragen ist, kann hier offen
bleiben (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Dezember 1992 – 2 S 1557/90 -
, NVwZ-RR 1993, S. 509 <510>).
89
(c) Die steuerliche Differenzierung durch einen degressiven Tarifverlauf erweist sich allerdings
auch unter Berücksichtigung des dem Normgeber insoweit zukommenden Einschätzungs- und
Prognosevorrangs (vgl. BVerfGE 103, 293 <307>; 115, 276 <308 f.>) zur Erreichung der
Lenkungszwecke weder als geeignet noch als erforderlich.
90
Zwar mag die Erhebung der Zweitwohnungsteuer insgesamt geeignet sein,
Zweitwohnungsinhaber zur Anmeldung des Hauptwohnsitzes zu bewegen; die degressive
Ausgestaltung des Steuertarifs selbst fördert diesen Lenkungszweck jedoch nicht. Dieses
Lenkungsziel würde in gleicher Weise durch einen linearen oder gar progressiven Steuertarif
erreicht, bei dem die hier festgestellte Ungleichbehandlung nicht vorläge. Gleiches gilt für den
Lenkungszweck, das Halten von Zweitwohnungen einzudämmen.
91
Die Degression ist auch deshalb ungeeignet, weil die gerade mit ihr verbundenen zusätzlichen
Belastungen so gering sind, dass ihre Lenkungswirkung angesichts der mit dem Halten einer
Zweitwohnung einhergehenden sonstigen Kosten auch dann zweifelhaft ist, wenn
Steuerpflichtige Kenntnis von ihr haben.
92
dd) Der Gedanke der Aufwands- und Nutzenproportionalität als Ausprägung des
Äquivalenzprinzips scheidet als Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung durch einen
degressiven Steuertarif bei der Zweitwohnungsteuer als kommunaler Aufwandsteuer ebenfalls
aus.
93
Die Gründe, die bei einigen Steuern ausnahmsweise eine Rechtfertigung mit dem
Äquivalenzprinzip erlauben mögen (vgl. BVerfGE 120, 1 <37 ff.>), treffen auf die
Zweitwohnungsteuer nicht zu. Sie stellt keine wie auch immer geartete Gegenleistung für einen
Sonderaufwand des Staates dar, weil sie nicht auf eine staatliche Leistung gestützt werden
kann, die einem bestimmten kostenträchtigen Verhalten des Steuerschuldners zurechenbar ist.
Der jährliche Mietaufwand als Bemessungsgrundlage der Steuer steht zudem nicht im Verhältnis
zur Inanspruchnahme gebührenfreier kommunaler Leistungen.
D.
94
Die Verfassungswidrigkeit der Satzungen führt zu ihrer Nichtigkeit (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG).
95
Die angegriffenen Entscheidungen der Beklagten und der Ausgangsgerichte sind gemäß § 95
Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist wegen der Kostenentscheidung für das
verwaltungsgerichtliche Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
zurückzuverweisen.
96
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
97
Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14
Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).
Kirchhof
Gaier
Eichberger
Schluckebier
Masing
Paulus
Baer
Britz