Urteil des BVerfG vom 17.01.2014

BVerfG: verfassungsbeschwerde, erlass, beschwerdeschrift, mitbewerber, vorrang, verfügung, rechtswegerschöpfung, beurteilungsspielraum, überschreitung, nachlass

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 3544/13 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau S…
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Hiddemann, Kleine-Cosack,
Maria-Theresia-Straße 2, 79102 Freiburg -
gegen
a)
den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25. November 2013 -
NotZ(Brfg) 13/13 -,
b)
das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 22. Februar 2013 -
Not 8/12 -,
c)
den Bescheid des Justizministeriums Baden-Württemberg vom 28.
August 2012 - P/S… -
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Gaier,
Schluckebier,
Paulus
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11.
August 1993 (BGBl I S. 1473) am 17. Januar 2014 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe:
I.
1
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde, die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung verbunden ist, ist die Besetzung einer Notarstelle.
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1. Die Beschwerdeführerin war nach Bestehen der Notarprüfung in Baden-Württemberg von
Februar 1992 bis Juli 1994 als Notarvertreterin im Landesdienst beschäftigt. Nach einer
anschließenden Beschäftigung in einem Nurnotariat arbeitet sie seit April 1999 als
Württembergische Notariatsassessorin in einer Rechtsanwalts- und Notarkanzlei.
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Sie hat sich auf eine vom beklagten Landesjustizministerium ausgeschriebene Notarstelle für
eine hauptberufliche Amtsausübung beworben. Nach Abschluss des Auswahlverfahrens erhielt
die Beschwerdeführerin einen Bescheid, in dem ihr mitgeteilt wurde, dass ihre Bewerbung
keinen Erfolg gehabt habe. Die Stelle werde mit einem Bezirksnotar (im Folgenden:
Beigeladener) besetzt. Dem Bescheid war ein Auszug aus der schriftlichen
Auswahlentscheidung des Landesjustizministeriums beigefügt, woraus sich ergibt, dass
insgesamt vier Bezirksnotare und die Beschwerdeführerin zur Spitzengruppe der Bewerber
gezählt wurden. Dabei wurden die von der Beschwerdeführerin anlässlich der Bewerbung
vorgelegten Arbeitszeugnisse gewürdigt und den Aussagen zur Eignung und Befähigung der
anderen Bewerber tabellarisch gegenüber gestellt.
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In der Entscheidung heißt es weiter, die Mitbewerber der Beschwerdeführerin hätten erheblich
größere Erfahrung im Bereich der notariellen Amtsgeschäfte. Auch hätten sie über einen langen
Zeitraum unter Beweis gestellt, in voller Verantwortung verbunden mit persönlichem
Haftungsrisiko ein eigenes Notaramt erfolgreich führen zu können. Schließlich spreche der
Wortlaut des § 114 Abs. 2 der Bundesnotarordnung (BNotO), wonach bei der Vornahme des
Leistungsvergleichs insbesondere die im Justizdienst des Landes erbrachten Leistungen zu
berücksichtigen seien, für die Mitbewerber.
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Die gegen die Besetzungsentscheidung erhobene Klage der Beschwerdeführerin wurde vom
Oberlandesgericht abgewiesen, weil sich die vom Landesjustizministerium getroffene Auswahl
im Rahmen des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums bewege.
6
Den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung der Berufung hat der Bundesgerichtshof
abgelehnt. Es entspreche der gesetzlichen Vorgabe aus § 114 Abs. 2 Satz 4 BNotO, die
Leistungen des Beigeladenen im Landesdienst in besonderer Weise zu berücksichtigen. Dies
könne zwar die Vergabe einer Notarstelle an die Beschwerdeführerin nicht von vornherein
ausschließen. Die Beschwerdeführerin verfüge aber nicht über eine so hohe Qualifikation, dass
dies den deutlichen Vorsprung des Beigeladenen bei den im Landesdienst erbrachten
Leistungen aufwiegen könne.
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2. Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Art. 12
und Art. 33 Abs. 2 GG.
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Die Auswahlentscheidung habe nach dem Prinzip der Bestenauslese zu erfolgen. Der sich
daraus ergebende Vorrang der Beschwerdeführerin gegenüber ihren Mitbewerbern könne nicht
durch die Regelung des § 114 Abs. 2 Satz 4 BNotO in Frage gestellt werden. Bei der
verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung der Bundesnotarordnung am Maßstab der Art. 12
und Art. 33 Abs. 2 GG sei es angesichts der unterschiedlichen Laufbahnen geboten, die
andersartige umfangreiche und hoch qualifizierte freiberufliche Tätigkeit der Beschwerdeführerin
entsprechend zu bewerten.
II.
9
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Damit erledigt sich
zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die Verfassungsbeschwerde
erfüllt nicht die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG. Ihr kommt weder
grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechte der
Beschwerdeführerin angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg; denn
sie ist nicht in einer § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG genügenden Weise begründet.
10
1. Eine hinreichende Begründung fehlt bereits im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität
der Verfassungsbeschwerde. Der Grundsatz der Subsidiarität erfordert, dass ein
Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung hinaus alle ihm zur Verfügung
stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten
Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl.
BVerfGE 68, 384 <389>; 74, 102 <113>; 104, 65 <70>; 112, 50 <60>).
11
Wird die Berufung - wie vorliegend - durch das Oberlandesgericht nicht zugelassen, muss der
Beschwerdeführer nicht nur regelmäßig die Zulassung der Berufung durch den
Bundesgerichtshof beantragen (vgl. für die Nichtzulassung der Revision BVerfGE 16, 1 <2 f.>),
sondern dies auch ausreichend begründen (vgl. BVerfGE 83, 216 <228>). Die Darlegung, dass
und in welcher Weise dem Subsidiaritätsgrundsatz genügt wurde, gehört zum notwendigen
Vortrag im Verfassungsbeschwerdeverfahren (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des
Zweiten Senats vom 21. August 2001 - 2 BvR 406/00 -, NJW 2001, S. 3770 f.). Hieran fehlt es.
Zwar hat die Beschwerdeführerin die Zulassung der Berufung durch den Bundesgerichtshof
beantragt. Jedoch hat sie versäumt, dem Bundesverfassungsgericht darzulegen, was von ihr im
Zulassungsverfahren zur Begründung ihres Antrags vorgetragen worden ist. Die
Beschwerdeschrift beschränkt sich insoweit auf die bloße Mitteilung, dass die Zulassung der
Berufung beantragt wurde. Dass die Beschwerdeführerin den entsprechenden Schriftsatz zur
Begründung des Zulassungsantrags als Anlage der Beschwerdeschrift beigefügt hat, vermag
hieran nichts zu ändern, zumal die Beschwerdeschrift auf diesen Schriftsatz nicht konkret Bezug
nimmt. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, verfassungsrechtlich Relevantes
aus den der Verfassungsbeschwerde beigefügten Schriftsätzen herauszusuchen (vgl. BVerfGE
80, 257 <263>; 83, 216 <228>).
12
2. Überdies setzt sich die Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend mit der angegriffenen
Auswahlentscheidung und den hierzu ergangenen Entscheidungen der Ausgangsgerichte
auseinander.
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Die Behauptung der Beschwerdeführerin, das beklagte Landesjustizministerium habe den
Grundsatz der Bestenauslese gemäß Art. 33 Abs. 2 GG vollständig verkannt und stattdessen
einen schematischen Regelvorrang der im Staatsdienst gezeigten Leistungen bei praktisch
vollständiger Nichtberücksichtigung ihrer freiberuflich erbrachten Leistungen angenommen, ist
mit Blick auf die ausführliche Begründung der Auswahlentscheidung widerlegt (zur
Unzulässigkeit eines solchen Regelvorrangs vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten
Senats vom 18. Dezember 2007 - 1 BvR 2177/07 -, juris). Das Landesjustizministerium hat die
von der Beschwerdeführerin vorgelegten Arbeitszeugnisse und Arbeitsbescheinigungen
vielmehr ausführlich gewürdigt und die Beschwerdeführerin als „befähigte und geschätzte
Spitzenkraft“ in die Spitzengruppe der Bewerber eingeordnet. Hierzu verhält sich die
Beschwerdebegründung, der die in Bezug genommenen Arbeitszeugnisse überdies noch nicht
einmal beigefügt worden sind, nicht.
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Bei der Gewichtung der für Eignung und Befähigung maßgeblichen Umstände hat das
Landesjustizministerium die im Justizdienst des Landes erbrachten Leistungen entsprechend
der Vorgabe des § 114 Abs. 2 Satz 4 BNotO besonders berücksichtigt. Die
Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift bestreitet selbst die Beschwerdeführerin nicht (vgl.
hierzu auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 18. Dezember 2007 - 1
BvR 2177/07 -, juris). Der von ihr geforderten analogen Anwendung dergestalt, dass auch die
Leistungen der nicht im Staatsdienst beschäftigten Bewerber angemessen gewürdigt werden,
bedarf es jedoch bereits deshalb nicht, weil der Wortlaut der Vorschrift den von der
Beschwerdeführerin behaupteten absoluten Vorrang gerade nicht anordnet. Tatsächlich sind die
von ihr erbrachten Leistungen ausführlich und vollständig berücksichtigt und gewürdigt worden.
Die Argumentation der Beschwerdeführerin zur Unzulässigkeit eines solchen absoluten
Vorrangs der Staatsbediensteten geht daher an der Sache vorbei.
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Dass der Beklagte die Eignungs- und Leistungsmerkmale im Rahmen seiner
Auswahlentscheidung nach eigenem Ermessen (und unter Berücksichtigung des § 114 Abs. 2
Satz 4 BNotO) gewichtet hat, ist im Grundsatz von dem ihm gemäß Art. 33 Abs. 2 GG eröffneten
Beurteilungsspielraum gedeckt (vgl. BVerfGE 39, 334 <355>). Eine Überschreitung dieses
Beurteilungsspielraums und eine damit einhergehende Verletzung des Prinzips der
Bestenauslese wird von der Beschwerdeführerin weder dargelegt noch ist dies sonst ersichtlich.
Insbesondere ist ihre Behauptung, ihr komme bei Gegenüberstellung der Beurteilungen und
Arbeitszeugnisse der Bewerber ein Eignungsvorrang zu, nicht näher begründet und geht im
Übrigen auch an den Tatsachen vorbei. Die Beschwerdeführerin beschränkt sich insoweit auf
die besondere Hervorhebung ihrer eigenen Leistungen. Die Beurteilungen des Beigeladenen
werden dabei allenfalls verkürzt erwähnt und in ihrer Bedeutung - zum Beispiel für die größeren
Erfahrungen des Beigeladenen im Bereich des Grundbuch-, Nachlass- und Betreuungsrechts -
abgewertet.
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Soweit sich die Beschwerdeführerin zur Untermauerung ihrer besseren Eignung schließlich auf
das Ergebnis der - vor fast 25 Jahren abgelegten - Notarprüfung stützt, weist der
Bundesgerichtshof zu Recht darauf hin, dass dieses Kriterium im Hinblick auf den langen
Zeitraum und den im Laufe der Jahre dokumentierten Leistungen der Bewerber - auch
derjenigen der Beschwerdeführerin selbst - in der Gewichtung zurücktreten darf. Einen
Eignungsvorsprung dergestalt, dass kein anderer Bewerber als die Beschwerdeführerin bestellt
werden dürfe, lässt sich hieraus nicht (mehr) herleiten.
17
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
18
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Gaier
Schluckebier
Paulus