Urteil des BVerfG vom 13.02.2008

BVerfG: private krankenversicherung, höchstbetrag, existenzminimum, sozialversicherung, finanzen, verfügung, familie, sozialhilfe, angemessene frist, entlastung

Entscheidungen
Leitsatz
zum Beschluss des Zweiten Senats vom 13. Februar 2008
- 2 BvL 1/06 -
Das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums schützt nicht nur das sogenannte sächliche Existenzminimum.
Auch Beiträge zu privaten Versicherungen für den Krankheits- und Pflegefall können Teil des
einkommensteuerrechtlich zu verschonenden Existenzminimums sein. Für die Bemessung des existenznotwendigen
Aufwands ist auf das sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau als eine das Existenzminimum
quantifizierende Vergleichsebene abzustellen.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvL 1/06 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
zur verfassungsrechtlichen Prüfung,
ob § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der für das
Streitjahr 1997 geltenden Fassung insofern verfassungsmäßig ist, als
1. diese Vorschrift den Abzug von Beiträgen zu Krankenversicherungen mit der Wirkung begrenzt, dass diese im
Streitfall nicht ausreichen, damit die Kläger für sich selbst Krankenversicherungsschutz in dem von den gesetzlichen
Krankenversicherungen gewährten und somit angemessenen Umfang erlangen können,
2. die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Abziehbarkeit der den gesamten Vorsorgebedarf abdeckenden
Aufwendungen durch den dem Steuerpflichtigen selbst und seinem Ehegatten zustehenden Höchstbetrag unabhängig
davon begrenzt wird, ob unterhaltsberechtigte Kinder vorhanden sind oder nicht. Weder § 10 Abs. 3 des
Einkommensteuergesetzes noch eine sonstige Vorschrift des Einkommensteuergesetzes sieht eine steuerliche
Entlastung oder bei der Bemessung des Kindergeldes eine Transferleistung für den Fall vor, dass der Steuerpflichtige
seine Kinder privat gegen Krankheit versichert, um für diese im Leistungsumfang der gesetzlichen
Krankenversicherung Versicherungsschutz zu erlangen.
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs vom 14. Dezember 2005 - X R 20/04 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsident Hassemer,
Broß,
Osterloh,
Di Fabio,
Mellinghoff,
Lübbe-Wolff,
Gerhardt,
Landau
am 13. Februar 2008 beschlossen:
1. § 10 Absatz 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Absatz 3 Einkommensteuergesetz in der für den
Veranlagungszeitraum 1997 geltenden Fassung und alle nachfolgenden Fassungen einschließlich der zum
1. Januar 2005 durch das Alterseinkünftegesetz vom 5. Juli 2004 (BGBl I S. 1427) in Kraft getretenen
Nachfolgevorschrift des § 10 Absatz 1 Nr. 3 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Absatz 4
Einkommensteuergesetz sind mit Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1, Artikel 3 Absatz 1
und Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit nach Maßgabe der Gründe der
Sonderausgabenabzug die Beiträge zu einer privaten Krankheitskostenversicherung (Vollversicherung) und
einer privaten Pflegepflichtversicherung nicht ausreichend erfasst, die dem Umfang nach erforderlich sind, um
dem Steuerpflichtigen und seiner Familie eine sozialhilfegleiche Kranken- und Pflegeversorgung zu
gewährleisten.
2. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens mit Wirkung zum 1. Januar 2010 eine Neuregelung zu treffen. Bis
zu diesem Zeitpunkt bleiben § 10 Absatz 3 Einkommensteuergesetz sowie die Nachfolgeregelungen,
insbesondere § 10 Absatz 4 Einkommensteuergesetz in der Fassung des Artikel 1 Nr. 7 des
Alterseinkünftegesetzes vom 5. Juli 2004 (BGBl I S. 1427), zuletzt geändert durch Artikel 1 Nr. 5 des
Jahressteuergesetzes 2008 vom 20. Dezember 2007 (BGBl I S. 3150) weiter anwendbar.
3. In Ermangelung einer Neuregelung sind ab dem Veranlagungszeitraum 2010 Beiträge zu einer privaten
Krankheitskostenversicherung (Vollversicherung) und zur privaten Pflegepflichtversicherung bei der
Einkommensteuer in vollem Umfang als Sonderausgaben abzugsfähig.
Gründe:
A.
1
Die Vorlage betrifft die Verfassungsmäßigkeit der einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung von Beiträgen zur
Kranken- und Pflegeversicherung nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG im
Veranlagungszeitraum 1997.
I.
2
Das Einkommensteuerrecht berücksichtigt die Aufwendungen der Steuerpflichtigen für ihre eigene Kranken- und
Pflegeversorgung sowie für die ihrer unterhaltsberechtigten Familie in einer Vielzahl von Vorschriften. So finden sich
etwa in § 3 Nrn. 14, 57 und 62 EStG sowie in § 10 EStG Regelungen, die im Zusammenhang mit den Beiträgen zu
Kranken- und Pflegeversicherungen stehen. Sonstige Aufwendungen im Krankheits- und Pflegefall können unter
bestimmten Voraussetzungen als außergewöhnliche Belastungen (§ 33 bis § 33b EStG) geltend gemacht werden.
3
1. Die für dieses Verfahren maßgeblichen Vorschriften des Einkommensteuergesetzes hatten in der für das
Streitjahr 1997 geltenden Fassung folgenden Wortlaut:
4
§ 3
5
Steuerfrei sind
6
(...)
7
62. Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers, soweit der
Arbeitgeber dazu nach sozialversicherungsrechtlichen oder anderen gesetzlichen Vorschriften
oder nach einer auf gesetzlicher Ermächtigung beruhenden Bestimmung verpflichtet ist. (...)
8
(...)
9
§ 10
10
(1) Sonderausgaben sind die folgenden Aufwendungen, wenn sie weder Betriebsausgaben
noch Werbungskosten sind:
11
(...)
12
2. a) Beiträge zu Kranken-, Pflege-, Unfall- und Haftpflichtversicherungen, zu den gesetzlichen
Rentenversicherungen und an die Bundesanstalt für Arbeit;
13
b) (...)
14
c) Beiträge zu einer zusätzlichen freiwilligen Pflegeversicherung;
15
(...)
16
(2) Voraussetzung für den Abzug der in Absatz 1 Nr. 2 bezeichneten Beträge
(Vorsorgeaufwendungen) ist, (...)
17
(3) Für Vorsorgeaufwendungen gelten je Kalenderjahr folgende Höchstbeträge:
18
1. ein Grundhöchstbetrag von 2610 Deutsche Mark, im Falle der Zusammenveranlagung von
Ehegatten von 5220 Deutsche Mark;
19
2. ein Vorwegabzug von 6000 Deutsche Mark, im Falle der Zusammenveranlagung von
Ehegatten von 12000 Deutsche Mark. Diese Beträge sind zu kürzen um 16 vom Hundert der
Summe der Einnahmen
20
a) aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 ohne Versorgungsbezüge im Sinne des
§ 19 Abs. 2, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen im Sinne des
§ 3 Nr. 62 erbracht werden oder der Steuerpflichtige zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr.
1 oder 2 gehört, und
21
b) aus der Ausübung eines Mandats im Sinne des § 22 Nr. 4;
22
3. für Beiträge nach Absatz 1 Nr. 2 Buchstabe c ein zusätzlicher Höchstbetrag von 360
Deutsche Mark für Steuerpflichtige, die nach dem 31. Dezember 1957 geboren sind;
23
4. Vorsorgeaufwendungen, die die nach den Nummern 1 bis 3 abziehbaren Beträge
übersteigen, können zur Hälfte, höchstens bis zu 50 vom Hundert des Grundhöchstbetrags
abgezogen werden (hälftiger Höchstbetrag).
24
(...)
25
Durch das Alterseinkünftegesetz vom 5. Juli 2004 (BGBl I S. 1427) wurde § 10 EStG zum 1. Januar 2005
grundlegend geändert. Die für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge einschlägigen Regelungen werden nun in
§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 4 EStG getroffen, ergänzt um eine Übergangsvorschrift in
§ 10 Abs. 4a EStG. Die Nachfolgeregelung zu § 10 Abs. 3 EStG befindet sich in § 10 Abs. 4 EStG und lautet in ihrer
zuletzt durch das Jahressteuergesetz 2008 vom 20. Dezember 2007 (BGBl I S. 3150) geänderten Fassung wie folgt:
26
Vorsorgeaufwendungen im Sinne des Absatzes 1 Nr. 3 können je Kalenderjahr bis 2.400 Euro
abgezogen werden. Der Höchstbetrag beträgt 1.500 Euro bei Steuerpflichtigen, die ganz oder
teilweise ohne eigene Aufwendungen einen Anspruch auf vollständige oder teilweise
Erstattung oder Übernahme von Krankheitskosten haben oder für deren Krankenversicherung
Leistungen im Sinne des § 3 Nr. 14, 57 oder 62 erbracht werden. Bei zusammenveranlagten
Ehegatten bestimmt sich der gemeinsame Höchstbetrag aus der Summe der jedem Ehegatten
unter den Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 zustehenden Höchstbeträge.
27
2. § 10 Abs. 3 EStG gehörte zu den am häufigsten geänderten Vorschriften des Einkommensteuerrechts. Seine
Komplexität beruhte im Wesentlichen auf dem Bemühen des Gesetzgebers, in Zusammenschau mit § 3 Nr. 62 EStG
für die Vielzahl von denkbaren Versicherungs- bzw. Versorgungskonstellationen eine differenzierende Lösung zu
finden. Die zentralen Strukturelemente von § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a und c in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG
ließen sich bis zum Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes folgendermaßen charakterisieren:
28
a) § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG definierte eine Reihe sogenannter Vorsorgeaufwendungen, zu denen nach Buchstabe a
und c unter anderem Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherungen gehörten. § 10 Abs. 3 EStG unterwarf die
Abzugsfähigkeit sämtlicher Vorsorgeaufwendungen sodann einem einheitlichen Höchstbetrag, der sich seit
Inkrafttreten des Pflegeversicherungsgesetzes vom 26. Mai 1994 (BGBl I S. 1014) aus vier Teilbeträgen
zusammensetzte, dem Grundhöchstbetrag (Nr. 1), dem Vorwegabzug (Nr. 2), dem Pflegezusatzversicherungsbetrag
(Nr. 3) und dem hälftigen Höchstbetrag (Nr. 4). Diese Teilbeträge wiederum differenzierten - mit Ausnahme des
Pflegezusatzversicherungsbetrags - ihrerseits nicht nach bestimmten Arten von Vorsorgeaufwendungen, sondern
erfassten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge ebenso wie andere Vorsorgeaufwendungen.
29
b) Alle vier Teilbeträge verdoppelten sich bei zusammenveranlagten Ehegatten. Weitere Zusatzbeträge für Kinder,
sogenannte Kinderadditive, waren im Fall des Steuerpflichtigen schon seit Inkrafttreten des Steuersenkungsgesetzes
1986/1988 vom 26. Juni 1985 (BGBl I S. 1153) nicht mehr vorgesehen. Der abzugsfähige Gesamtbetrag belief sich im
Streitjahr 1997 somit unabhängig vom Vorhandensein von Kindern ohne Kürzung des Vorwegabzugs auf maximal
10.275 DM (zusammenveranlagte Ehegatten: 20.550 DM). Dabei war zu berücksichtigen, dass die volle
Ausschöpfung des hälftigen Höchstbetrags (Nr. 4) tatsächliche Aufwendungen in doppelter Höhe voraussetzte.
30
c) Eine besonders komplexe Struktur innerhalb von § 10 Abs. 3 EStG wies der Vorwegabzug (Nr. 2) auf, der im
Streitjahr 6.000 DM (zusammenveranlagte Ehegatten: 12.000 DM) betrug. Innerhalb dieses Betrages wurden
verschiedene Gruppen von Steuerpflichtigen unterschieden, denn der Gesetzgeber des Steueränderungsgesetzes
vom 13. Juli 1961 (BGBl I S. 981) wollte mit dem Vorwegabzug „insbesondere den selbständig Tätigen einen
Ausgleich dafür bieten, dass der gesetzliche Beitragsanteil des Arbeitgebers zur Rentenversicherung der Arbeiter und
Angestellten beim Arbeitnehmer nicht als beschränkt abzugsfähige Sonderausgabe, sondern als steuerfreier
Arbeitslohn behandelt wird (...)“ (BTDrucks 3/2573, S. 21). Gesetzgebungstechnisch wurde der Vorwegabzug allen
Steuerpflichtigen eingeräumt. Bei Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe mit typischerweise niedrigerem
Vorsorgebedarf - etwa den von § 3 Nr. 62 EStG betroffenen Arbeitnehmern - wurde er jedoch wieder gekürzt. Auf
dieser konzeptionellen Grundlage differenzierte die Vorschrift über die Jahrzehnte immer stärker. So wurde
beispielsweise der Anwendungsbereich der Kürzungsregelung von Arbeitnehmern auf andere Gruppen erweitert, etwa
durch das Steueränderungsgesetz vom 16. August 1977 (BGBl I S. 1586) auf Personen, die im Zusammenhang mit
ihrer Berufstätigkeit eine beitragslose Anwartschaft auf Altersvorsorge erwerben (u.a. Beamte). Auch wurde der
Entlastungszweck des Vorwegabzugs auf andere Vorsorgeaufwendungen als die der Altersvorsorge erstreckt, so etwa
durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I S. 1093) auf Vorsorgeaufwendungen für den
Krankheitsfall. Die Einzelheiten der Kürzungsregelung wurden dabei immer differenzierter und gipfelten in der
praktisch kaum mehr handhabbaren Fassung des Zinsabschlaggesetzes vom 9. November 1992 (BGBl I S. 1853).
31
Erst im Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1993 (BGBl I S. 2310) hat der
Gesetzgeber den Vorwegabzug radikal vereinfacht und ihm die auch für das Streitjahr 1997 maßgebliche Struktur
gegeben. Danach knüpfte die Kürzung tatbestandlich unter anderem an § 3 Nr. 62 EStG an und erfolgte pauschal
nach der 16-Prozent-Regel. Diese beruhte auf einer Addition historischer Arbeitgebersozialversicherungsbeiträge (9%
gesetzliche Rentenversicherung, 4% gesetzliche Krankenversicherung, 3% Arbeitslosenversicherung, vgl. hierzu
BTDrucks 12/5630, S. 57 f.). Im Falle einer vollständigen Kürzung des Vorwegabzugs sank somit der abzugsfähige
Gesamtbetrag des § 10 Abs. 3 EStG im Streitjahr 1997 von 10.275 DM auf 4.275 DM (zusammenveranlagte
Ehegatten: von 20.550 DM auf 8.550 DM).
II.
32
1. Die Kläger des Ausgangsverfahrens sind verheiratet und haben sechs zwischen 1977 und 1995 geborene Kinder.
Der Ehemann ist selbständiger Rechtsanwalt, die Ehefrau ist nicht berufstätig. Sämtliche Familienmitglieder waren
1997 privat kranken- und pflegeversichert. Wie sich aus einer im Revisionsverfahren vorgelegten Aufstellung ergibt,
entrichteten die Kläger dafür Beiträge in Höhe von 36.032,47 DM (gegenüber den in der Revisionsbegründung
ursprünglich vorgetragenen 32.833,20 DM korrigierter Betrag). Dieser Betrag gliedert sich wie folgt auf:
33
Versicherungsart
Beiträge
private Krankheitskostenversicherung der Kläger (Vollversicherung) mit einem
vereinbarten Selbstbehalt von insgesamt 1.200 DM
12.357,17 DM
private Krankenhaustagegeldversicherung der Kläger und eines Kindes
481,13 DM
private Krankentagegeldversicherung des Klägers
2.722,28 DM
private Pflegepflichtversicherung der Kläger
1.837,62 DM
private Pflegezusatzversicherung der Kläger
1.978,99 DM
private Krankheitskostenversicherung der sechs Kinder (Vollversicherung)
16.149,39 DM
private Krankheitskostenversicherung eines Kindes (Zusatzversicherung zur
gesetzlichen Krankenversicherung)
505,89 DM
Summe
36.032,47 DM
34
In ihrer Einkommensteuererklärung 1997 machten die Kläger insgesamt Vorsorgeaufwendungen von ca. 66.000 DM
geltend, darunter die genannten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge. Der vom Finanzamt unter Hinweis auf
§ 10 Abs. 3 EStG insgesamt zum Abzug zugelassene Betrag belief sich jedoch nur auf 19.830 DM (Höchstbetrag bei
Zusammenveranlagung mit ungekürztem Vorwegabzug, jedoch ohne Pflegezusatzversicherungsbetrag). Die hiergegen
gerichtete Klage wies das Hessische Finanzgericht mit Urteil vom 6. März 2003 - 9 K 2173/00 - ab. Es schloss sich
dabei der Einschätzung des Bundesfinanzhofs vom 16. Oktober 2002 - XI R 41/99 - (BFH BStBl II 2003, S. 179 =
BFHE 200, 529) an, wonach die Höchstbetragsregelung des § 10 Abs. 3 EStG verfassungsgemäß sei.
35
2. Der Bundesfinanzhof ließ die Revision zu und legte dem Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 14.
Dezember 2005 - X R 20/04 - (BFH BStBl II 2006, S. 312 = BFHE 211, 351) gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG die
Frage zur Entscheidung vor, ob § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG in der für das
Streitjahr 1997 geltenden Fassung insofern mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als
36
1. diese Vorschrift den Abzug von Beiträgen zu Krankenversicherungen mit der Wirkung
begrenzt, dass diese im Streitfall nicht ausreichen, damit die Kläger für sich selbst
Krankenversicherungsschutz in dem von den gesetzlichen Krankenversicherungen gewährten
und somit angemessenen Umfang erlangen können,
37
2. die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Abziehbarkeit der den gesamten
Vorsorgebedarf abdeckenden Aufwendungen durch den dem Steuerpflichtigen selbst und
seinem Ehegatten zustehenden Höchstbetrag unabhängig davon begrenzt wird, ob
unterhaltsberechtigte Kinder vorhanden sind oder nicht. Weder § 10 Abs. 3 des
Einkommensteuergesetzes noch eine sonstige Vorschrift des Einkommensteuergesetzes
sieht eine steuerliche Entlastung oder bei der Bemessung des Kindergeldes eine
Transferleistung für den Fall vor, dass der Steuerpflichtige seine Kinder privat gegen Krankheit
versichert, um für diese im Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung
Versicherungsschutz zu erlangen.
38
Zur Begründung führt der X. Senat des Bundesfinanzhofs im Wesentlichen Folgendes aus:
39
a) Im Einkommensteuerrecht werde nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die finanzielle
Leistungsfähigkeit ausschließlich durch das verfügbare Einkommen eines Steuerpflichtigen bestimmt. Der für den
Lebensunterhalt benötigte Teil des Einkommens sei nicht disponibel und dem Besteuerungszugriff entzogen. Aus
Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG folge, dass dem Steuerpflichtigen sein
Einkommen insoweit steuerfrei zu lassen sei, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein
menschenwürdiges Dasein für sich und seine Familie benötigt werde. Dieser Grundsatz gelte für das
Existenzminimum der gesamten Familie des Steuerpflichtigen. Auch Vorsorgeaufwendungen müssten daher
abzugsfähig sein, soweit sie eine Mindestvorsorge für eine sozialgerechte, persönliche und familiäre Existenz
ermöglichen sollen. In diesem Umfang sei der Abzug von Aufwendungen für eine angemessene Mindestvorsorge
indisponibel.
40
b) Die Grenze für das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum bilde das sozialhilferechtlich definierte
Existenzminimum, das über-, aber nicht unterschritten werden dürfe. Das Leistungsvolumen der Sozialhilfe
(Bundessozialhilfegesetz , jetzt Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch ) liefere daher den vom
Gesetzgeber anerkannten Maßstab des steuerrechtlich realitätsgerechten Grundbedarfs.
41
aa) Vorsorgeaufwendungen seien in die Bemessung des sozialhilferechtlichen Sachbedarfs zwar nicht einbezogen.
Angemessene Beiträge für eine freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung würden jedoch nach §§ 13 ff. BSHG (jetzt
§§ 32 f. SGB XII) als notwendig anerkannt. Nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG (jetzt § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII) seien bei
der Einkommensermittlung auch angemessene Beiträge zu öffentlichen und privaten Versicherungen abzusetzen.
Auch soweit keine Versicherungsleistungen zur Verfügung stünden, sei nach §§ 36 ff., § 68 BSHG (jetzt §§ 47 ff.,
§§ 61 ff. SGB XII) Kranken und Pflegebedürftigen Hilfe zu gewähren.
42
bb) Die sozialstaatlich gebotene Vorsorge müsse in der Weise ausgestaltet werden, dass der Steuerpflichtige bei
Aktualisierung existenzieller Risiken nicht auf staatliche Transferleistungen - insbesondere Sozialhilfe - angewiesen
sei. Dieser Gedanke der Eigenvorsorge sei auch Ziel der Sozialversicherung. Sozialversicherungspflichten seien aber
aus Gründen der Folgerichtigkeit auch im Steuerrecht zu beachten, da eine gesetzliche Versicherungspflicht nur zur
Finanzierung solcher Leistungen gerechtfertigt sei, deren Inanspruchnahme notwendig ist.
43
cc) Soweit es um Beiträge zu einer privaten Krankenversicherung gehe, habe der erkennende Senat auch erwogen,
ob diesen in dem Umfang die Zwangsläufigkeit abzusprechen sei, in dem sie die Beiträge zur gesetzlichen
Krankenversicherung überstiegen. Dies sei jedoch zu verneinen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung zwischen privater
und gesetzlicher Krankenversicherung - sofern überhaupt Wahlfreiheit bestehe - lasse sich nicht eindeutig sagen,
welche Versicherungsform günstiger sei. Dies hänge unter anderem von Alter und Familienstand ab. Vorteile und
Nachteile ergäben sich im Übrigen erst aus nicht planbaren Änderungen der Erwerbs- und Familienbiographie.
44
dd) In Abgrenzung zur Rechtsprechung des XI. Senats des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH BStBl II 2003, S. 179 =
BFHE 200, 529; BFH BStBl II 2003, S. 650 = BFHE 201, 437) betont der vorlegende X. Senat, dass die von
Verfassungs wegen geforderte einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung von Krankenversicherungsbeiträgen
nicht daran scheitere, dass diese „in die Zukunft gerichtet seien“. Zwar gehe die herrschende Meinung zu Recht davon
aus, dass der Gesetzgeber Vorgänge des Sparens bzw. der Vermögensbildung aus der steuerrechtlichen
Berücksichtigung des Vorsorgeaufwandes ausschließen könne. Reine Risikoversicherungen hätten aber von
vornherein keinen in die Zukunft gerichteten Sparcharakter. Ihr Gegenwartsbezug ergebe sich daraus, dass sich das
versicherte Risiko - die Krankheit - jederzeit aktualisieren könne.
45
c) Das Gebot der Folgerichtigkeit verlange, dass der Gesetzgeber die einmal getroffene Entlastungsentscheidung -
hier: Abziehbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen dem Grunde nach - folgerichtig im Sinne einer
Belastungsgleichheit umsetze. Hierbei sei die Wertung des Art. 6 Abs. 1 GG zu beachten. Eine unterschiedliche
steuerliche Belastung bei gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit durchbreche die vom Gesetz selbst statuierte
Sachgesetzlichkeit. Eine solche Durchbrechung bedürfe besonderer Gründe.
46
aa) Beiträge für Versicherungen gegen existenzielle Lebensrisiken seien nach der gesetzgeberischen
Grundentscheidung des § 10 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 EStG indisponible („unvermeidbare“) Aufwendungen, die
gemäß dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit die
steuerliche Bemessungsgrundlage mindern müssten. Diese Grundsatzentscheidung werde in § 10 Abs. 3 EStG näher
spezifiziert. Die steuerliche Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen für Versicherungsschutz insbesondere gegen
Krankheit stelle keine Steuervergünstigung dar, wie sich aus zahlreichen inhaltsgleichen Wertungen des Sozialrechts
ergebe, die ohne Verstoß gegen die Einheit der Rechtsordnung und die Kohärenz des Rechts - letzterer Begriff im
Sinne einer Wertungsgleichheit - nicht außer Acht gelassen werden dürften.
47
bb) Indem das geltende Recht keine Kinderadditive vorsehe, verstoße es gegen die von ihm selbst statuierte
Sachgesetzlichkeit. Aus Gründen der Systemgerechtigkeit sowie der Folgerichtigkeit und Widerspruchsfreiheit der
Rechtsordnung sei es dem Gesetzgeber verwehrt, die Berücksichtigung gerade von Kindern aus dem folgerichtigen
Konzept der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit auszublenden. Eltern hätten kraft ihrer
Unterhaltspflicht jedenfalls für Krankheit, Unfälle und Haftpflichtfälle Vorsorge zu treffen. Die Nichtberücksichtigung
dieser Vorsorgelasten verstoße auch gegen den Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 1 GG.
48
cc) Die derzeitigen steuerlichen Abzugsbeträge seien für kinderlose Steuerpflichtige und für Steuerpflichtige mit
Kindern gleich. Den für Kinder notwendigen Mindestvorsorgeaufwendungen werde auch nicht im Rahmen des
Familienlastenausgleichs Rechnung getragen. Dieses Problem sei zwar für die meisten Steuerpflichtigen nicht
relevant, da fast 90% der Bevölkerung in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert seien. Gleichwohl sprenge
es den Rahmen zulässiger Typisierung, die betroffene Gruppe privat krankenversicherter Kinder unberücksichtigt zu
lassen. Ein verwaltungstechnischer Typisierungsvorteil komme angesichts der leichten Feststellbarkeit von
Krankenversicherungsbeiträgen und ihrer tatsächlichen Höhe nicht in Betracht.
49
d) Bei der Betrachtung der konkreten Zahlen sei von einem für die Kläger insgesamt abzugsfähigen Betrag für
Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 3 EStG von 19.830 DM auszugehen. Dieser sei unter Zugrundelegung der
Beitragssätze für die verschiedenen Zweige der Sozialversicherung (14,2% für die gesetzliche Krankenversicherung,
1,7% für die gesetzliche Pflegeversicherung, 19,5% für die gesetzliche Rentenversicherung und 6,5% für die
Arbeitslosenversicherung) aufzuschlüsseln, womit auf die Krankenversicherungsbeiträge lediglich ein Teilbetrag von
rund 6.700 DM entfalle.
50
aa) In welcher Höhe der existenziell erforderliche Aufwand der Kläger exakt zu beziffern sei, könne dahinstehen. Es
sei jedenfalls ausgeschlossen, dass der anteilige Sonderausgabenbetrag von 6.700 DM ausreiche, damit die Kläger
für sich und ihre Kinder einen Krankenversicherungsschutz mit einem der gesetzlichen Krankenversicherung
vergleichbaren Leistungsniveau erwerben könnten. Erforderlichenfalls werde der Gesetzgeber festlegen müssen, bis
zu welcher Höhe der Sonderausgabenabzug nachzubessern sei. Für die Kinder stehe ohnehin fest, dass eine
Aufstockung des Sonderausgabenabzugs geboten sei.
51
bb) Auf jeden Fall müsse eine gleichheitsgerechte Regelung bei den Sonderausgaben des § 10 EStG ansetzen, weil
nicht alle Steuerpflichtigen im selben Umfang Vorsorgeaufwendungen zu tragen hätten: Alle Menschen müssten sich
kleiden, sich ernähren und wohnen. Im Hinblick auf den Erwerb von Versicherungsschutz divergierten die individuellen
Verhältnisse jedoch derart, dass eine Berücksichtigung rechtssystematisch bei den Sonderausgaben zu erfolgen
habe.
III.
52
Zur Vorlage haben die Bundesregierung durch das Bundesministerium der Finanzen sowie der IV. und VI. Senat des
Bundesfinanzhofs Stellung genommen.
53
1. Der IV. Senat des Bundesfinanzhofs teilt ohne nähere Ausführungen mit, er sei bisher „ohne eigenes
Problembewusstsein“ von der Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Vorschrift ausgegangen.
54
2. Der VI. Senat teilt im Wesentlichen die Auffassung des vorlegenden X. Senats, wonach es sich bei
Krankenversicherungen um indisponible Aufwendungen zur Absicherung des Existenzminimums handele, die von
Verfassungs wegen einkommensteuerrechtlich in dem vom X. Senat ausgeführten Umfang zu berücksichtigen seien,
und zwar auch, soweit es sich um Krankenversicherungsbeiträge für Kinder handele. Allerdings steht es dem
Gesetzgeber nach Auffassung des VI. Senats frei, diese Aufwendungen entweder im Rahmen von § 10 EStG oder
durch Erhöhung der Kinderfreibeträge und des Kindergeldes zu berücksichtigen, solange er die Beträge
realitätsgerecht bemesse.
55
3. Das Bundesministerium der Finanzen hält § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG für
verfassungsgemäß. Es führt in diesem Verfahren und in den weiteren Verfahren 2 BvR 1220/04 und 2 BvR 410/05.
aus:
56
a) Zur ersten Vorlagefrage sei Ausgangspunkt der Überprüfung das verfassungsrechtliche Gebot,
existenznotwendigen Aufwand in angemessener, realitätsgerechter Höhe von der Einkommensteuer freizustellen.
57
aa) Dies bedeute jedoch nicht, dass jeder Steuerpflichtige vorweg in Höhe eines nach sozialhilferechtlichen Kriterien
bemessenen Freibetrags verschont werden müsse. In welcher Weise der Gesetzgeber der verfassungsrechtlichen
Vorgabe Rechnung trage, sei ihm überlassen. Ein möglicher Weg sei es, den existenznotwendigen Bedarf in einem
Grundfreibetrag von der Einkommensteuer freizustellen und daneben den Abzug zwangsläufiger privater
Aufwendungen von der Bemessungsgrundlage zuzulassen.
58
bb) Krankenversicherungsbeiträge seien aber von vornherein kein Element des existenznotwendigen Bedarfs. Ihre
eingeschränkte Abzugsfähigkeit im Rahmen der Ermittlung der einkommensteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage
sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Grundlage der bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sei
nur das sächliche Existenzminimum von Erwachsenen und Kindern. Es komme somit auf den sozialhilferechtlichen
Mindestbedarf an, der sich zusammensetze aus den Regelsätzen für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat und
persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens sowie Miet- und Heizkosten. Krankenversicherungsbeiträge seien im
sozialhilferechtlichen Mindestbedarf hingegen nicht erfasst. Mit § 10 EStG trage der Steuergesetzgeber zwar
besonderen, die Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen beeinträchtigenden Umständen Rechnung. Bei dem weit
überwiegenden Teil der Bevölkerung schmälerten Krankenversicherungsaufwendungen das zur Verfügung stehende
Einkommen, wobei bei den sozialversicherungspflichtigen Personen die Beiträge sogar zwangsweise erhoben würden.
Schon aus diesen Gründen ließen sich Krankenversicherungsaufwendungen als unvermeidbar qualifizieren.
59
Dennoch sei eine Begrenzung der Abzugsbeträge nach § 10 Abs. 3 EStG mit dem Grundgesetz vereinbar. Der im
Jahre 1997 zur Verfügung stehende Betrag von 19.830 DM für Ehegatten sei, wenn keine anderen
Vorsorgeaufwendungen geltend gemacht würden, mit privaten Krankenversicherungsbeiträgen überhaupt nicht
ausschöpfbar. Dass die Regelung verallgemeinere, sei nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber habe bei
steuerrechtlichen Regelungen einen Typisierungsspielraum. Danach müsse nicht stets der im Einzelfall gewillkürte
Aufwand berücksichtigt werden, sondern lediglich der in realitätsgerechter Höhe typisierte Betrag. Die Höhe der
privaten Krankenversicherungskosten divergiere stark nach Leistungsniveau, Alter, Geschlecht, Vorerkrankung und
Selbstbehalt. Der durchschnittliche, über alle Risiken, Altersstufen und Anbieter gemittelte Versicherungsaufwand
lasse sich nur anhand des vom Verband der privaten Krankenversicherung e.V. veröffentlichten jährlichen
Zahlenberichtes ermitteln. Bei Division der Umsatzzahlen für die Krankheitskostenvollversicherung ergebe sich 1997
eine durchschnittliche Beitragshöhe von 3.254 DM pro Person und 6.508 DM für Ehegatten. Der nach § 10 Abs. 3
EStG (1997) ausschöpfbare Höchstbetrag von 19.830 DM (für Ehegatten) liege weit darüber.
60
cc) Unabhängig von der Angemessenheit des gesetzlichen Höchstbetrages sei eine Abzugsbeschränkung auf jeden
Fall dann zulässig, wenn dem betroffenen Steuerpflichtigen mit hohem zu versteuernden Einkommen auch nach
Abzug der Steuerbelastung absolut und im Vergleich zu anderen Einkommensgruppen ein hohes, frei verfügbares
Einkommen verbleibe, das den wirtschaftlichen Erfolg und die Privatnützigkeit des Einkommens sichtbar mache. Dies
sei im vorliegenden Fall gewährleistet.
61
b) Auch zur zweiten Vorlagefrage sei festzustellen, dass Krankenversicherungsbeiträge nicht zum
einkommensteuerrechtlichen Existenzminimum gehörten.
62
aa) Der Gesetzgeber sei darüber hinaus auch nicht gehalten, für Eltern privat versicherter Kinder einen speziellen
Sonderausgabenabzug zu schaffen. Auch hier sei der Typisierungsspielraum des Gesetzgebers zu berücksichtigen.
Im Streitjahr seien 78,7 Mio. Personen in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen. Die
Versicherung von Kindern ohne versicherungspflichtige eigene Einkünfte erfolge dabei im Wege der
Familienversicherung nach § 10 SGB V beitragsfrei. Die Anzahl der Kinder, die wegen der
Krankenversicherungssituation des Ehepartners nicht beitragsfrei familienversichert sind, sei sehr gering (1998:
74.000 Kinder). Angesichts der ganz überwiegenden Anzahl an Kindern, die in der gesetzlichen Krankenversicherung
beitragsfrei familienversichert sind, habe der Gesetzgeber bei typisierender Betrachtung die Kinder, für die ihre Eltern
eigene Versicherungsbeiträge erbrachten, außer Acht lassen dürfen.
63
bb) Dieses Ergebnis widerspreche auch nicht Art. 6 GG, denn die steuerrechtliche Förderung der Familie erfolge
zugleich über den Familienleistungsausgleich, von dessen Wirkung insbesondere Eltern mit sehr hohem Einkommen
profitierten. Das am sächlichen Existenzminimum des Kindes ausgerichtete Kindergeld wirke zwar wie ein fiktiver
Kinderfreibetrag, der umgekehrt proportional zur Einkommenshöhe bzw. zum jeweiligen Grenzsteuersatz wachse. Bei
höheren Einkommen könne aber im Zuge der Veranlagung zur Einkommensteuer im Wege der Günstigerprüfung statt
des Kindergeldes der Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG gewährt werden. Die im Streitjahr 1997 vorgesehenen
Kinderfreibeträge, sowohl der durch das Kindergeld bewirkte fiktive Kinderfreibetrag als auch der Kinderfreibetrag nach
§ 32 Abs. 6 EStG, seien angemessen gewesen. Das ergebe sich aus der folgenden Tabelle für das Jahr 1997:
64
Durch das Kindergeld bewirkter fiktiver Kinderfreibetrag für das
1. und 2. Kind (Kindergeld
jeweils 220 DM) bei einem
Grenzsteuersatz von
3. Kind (Kindergeld 300
DM) bei einem
Grenzsteuersatz von
4. und jedes weitere Kind
(Kindergeld 350 DM) bei einem
Grenzsteuersatz von
18%
53%
18%
53%
18%
53%
14.666,67 DM
4.981,13 DM
20.000 DM 6.792,45 DM 23.333,33 DM
7.924,53 DM
65
Stelle man die durch das Kindergeld bewirkten fiktiven Kinderfreibeträge dem Kinderfreibetrag in Höhe von 6.912 DM
nach § 32 Abs. 6 EStG bzw. dem Kinderexistenzminimum von 6.434 DM (Antwort der Bundesregierung auf eine
parlamentarische Anfrage, BTDrucks 13/9713) gegenüber, so ergebe sich, dass die Freibetragswirkung für niedrige
Einkommen (Grenzsteuersatz von 18%) stets über dem sächlichen Existenzminimum gelegen habe und dies für hohe
Einkommen (Grenzsteuersatz = Spitzensteuersatz von 53%) immerhin in Abhängigkeit von der Kinderzahl auch noch
möglich gewesen sei. Angesichts dieser zusätzlichen Begünstigung sei eine weitere Berücksichtigung von Kindern im
Rahmen von § 10 Abs. 3 EStG nicht geboten.
66
c) Weitergehende Aussagen zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die einkommensteuerrechtliche
Berücksichtigung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen enthält die Stellungnahme des Bundesministeriums
der Finanzen in den Verfahren 2 BvR 1220/04 und 2 BvR 410/05:
67
Es sei verfassungsrechtlich bedenklich, wenn Vorsorgeaufwendungen, die zur Sicherung einer Mindestvorsorge für
existenzielle Risiken und damit gerade der Vermeidung von Bedürftigkeit im sozialrechtlichen Sinne dienten, nicht
zum Abzug zugelassen würden und der Steuerpflichtige für den Notfall auf staatliche Sozialleistungen verwiesen
werde. Zwangsläufig im verfassungsrechtlichen Sinne seien aber nur entsprechende Mindestaufwendungen. Dabei sei
zu berücksichtigen, dass das Steuerrecht nicht die Aufgabe habe, den jeweils an individuellen Bedürfnissen und
Vorlieben ausgerichteten Lebensstandard des Einzelnen zu Lasten der Allgemeinheit der Steuerzahler abzusichern.
Hieraus folge, dass dem verfassungsrechtlichen Begriff der Zwangsläufigkeit nur Aufwendungen für eine
Mindestvorsorge für die Risiken Krankheit und Pflegebedürftigkeit unterfielen, mithin also auch Beiträge zur privaten
Krankenversicherung, allerdings nicht Beiträge zu einer Krankentagegeldversicherung, da diese nicht der Absicherung
für Kosten der medizinischen Versorgung dienten.
68
Für den Umfang der insoweit maßgeblichen Vorsorgeaufwendungen für Krankheit und Pflege sei auf die
medizinischen Mindeststandards abzustellen, die der unmittelbaren Wiederherstellung der Gesundheit oder der
Linderung eines Leidens dienten. Zugrunde zu legen sei zunächst die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts, wonach der Gesetzgeber im Massenverfahren der Besteuerung zu Typisierungen befugt
sei, solange diese realitätsgerecht vorgenommen würden.
69
Problematisch sei, dass weder das gesetzliche noch das private Versicherungssystem bisher einen der
geschilderten Mindestvorsorge vergleichbaren Tarif anbiete. Die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme verfolgten
nämlich neben der Absicherung des Mindestvorsorgebedarfs weitergehende sozialpolitische Ziele. Auch aus den
Kosten für private Versicherungen ließen sich keine Rückschlüsse auf die zur Mindestvorsorge erforderlichen
Aufwendungen ziehen.
70
Die Höhe der verfassungsrechtlich zwangsläufigen privaten Vorsorgeaufwendungen könne aber in zulässiger Weise
typisiert ermittelt werden, indem nicht der jeweilige Bedarf für eine Mindestvorsorge, sondern der (höhere) typische,
durchschnittliche, über alle Risiken, Leistungen etc. gemittelte Versicherungsaufwand bestimmt werde. Diese
Typisierung lasse sich dem Grunde nach vergleichen mit der - allerdings weit differenzierteren - Methode zur
Berechnung eines bundesweiten Durchschnittswertes der Leistungsausgaben je Versichertem in den gesetzlichen
Krankenversicherungen, die für die Ermittlung der Ausgleichsansprüche und -verpflichtungen der gesetzlichen
Krankenversicherungen im Risikostrukturausgleich angewandt werde und die vom Bundesverfassungsgericht nicht
beanstandet worden sei (Verweis auf BVerfGE 113, 167).
71
Schließlich weist das Bundesministerium der Finanzen noch darauf hin, dass Freiberufler gegenüber Arbeitnehmern
durch das Verhältnis des Vorwegabzugs nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG einerseits und der steuerfreien
Arbeitgeberleistungen nach § 3 Nr. 62 EStG andererseits nicht unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG benachteiligt
würden. Der Gesetzgeber habe hier seine Typisierungsbefugnis ordnungsgemäß ausgeübt. Im Übrigen müssten
Selbständige und Arbeitnehmer auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht völlig gleich
behandelt werden. Schon die hier maßgeblichen Sicherungssysteme seien nicht vergleichbar.
B.
72
Die Vorlage ist zulässig.
73
1. Beide Vorlagefragen sind entscheidungserheblich. Der Bundesfinanzhof hat nachvollziehbar und deshalb für das
Bundesverfassungsgericht bindend dargelegt, dass er je nach Gültigkeit oder Ungültigkeit der zur Prüfung gestellten
Norm für beide Vorlagefragen zu jeweils unterschiedlichen Entscheidungen kommen müsse.
74
2. Der Bundesfinanzhof hat auch seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 10 Abs. 1 Nr. 2
Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG in der für das Streitjahr 1997 maßgeblichen Fassung ausreichend
dargelegt.
75
3. Das Bundesverfassungsgericht legt die Vorlage im Übrigen dahingehend aus, dass sie sich nicht nur auf Beiträge
zu privaten Krankenversicherungen, sondern auch zu privaten Pflegeversicherungen bezieht. Zum einen sind in den
vom Bundesfinanzhof herangezogenen Versicherungsbeiträgen der Revisionskläger auch solche zu privaten
Pflegeversicherungen enthalten. Zum anderen nimmt die Begründung der Vorlage trotz des engeren Wortlauts des
Vorlagetenors an vielen Stellen auf Pflegeversicherungen Bezug. Die Einbeziehung von Pflegeversicherungen drängt
sich auch deshalb auf, weil an den Abschluss einer privaten Krankheitskostenversicherung eine
Pflegeversicherungspflicht anknüpft (§ 1 Abs. 2 Satz 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XI, § 110 SGB XI). Wer - wie die
Kläger des Ausgangsverfahrens - eine private Krankenversicherung im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XI
unterhält, hat also zwingend auch Beiträge zu einer privaten Pflegepflichtversicherung zu leisten.
C.
76
§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 1997
geltenden Fassung verletzt nicht im Hinblick darauf Art. 3 Abs. 1 GG, dass der Vorwegabzug, der Selbständigen für
ihre Beiträge zu privaten Kranken- und Pflegepflichtversicherungen gewährt wird, hinter den entsprechenden Beträgen
der Zukunftssicherungsleistungen des Arbeitgebers für Arbeitnehmer nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG zurückbleibt.
I.
77
1. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht darauf beschränkt, die Verfassungsmäßigkeit einer Norm nur unter
demjenigen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen, den das vorlegende Gericht zur Prüfung stellt. Vielmehr
ist die Norm insoweit, als sie zulässigerweise vorgelegt worden ist, unter allen denkbaren verfassungsrechtlichen
Gesichtpunkten Gegenstand des Verfahrens (vgl. BVerfGE 90, 226 <236>; 93, 121 <133>). Die Prüfung erstreckt
sich im vorliegenden Falle daher auch auf die vom Bundesfinanzhof in der Vorlage nicht aufgegriffene, in der Literatur
aber kontrovers behandelte Frage, ob das betragsmäßige Verhältnis von ungekürztem Vorwegabzug (§ 10 Abs. 1 Nr.
2 Buchstabe a i.V.m. § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG) und maximal steuerfreien Zukunftssicherungsleistungen des
Arbeitgebers (§ 3 Nr. 62 Satz 1 EStG) mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist (vgl. Söhn, StuW 1990, S. 356; Stützel, DB
1992, S. 758; von Eichborn, DB 2000, S. 944; Weber-Grellet, DStR 2003, S. 454; Fischer, FR 2003, S. 770).
78
2. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und
Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengeren Bindung
an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG liegt dann vor, wenn eine Gruppe
von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen Gruppe unterschiedlich behandelt wird,
obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die
unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen
Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur
in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (vgl. BVerfGE 105,
73 <110>; 107, 27 <45 f.>; 112, 268 <279>). Bei einem Vergleich der einkommensteuerrechtlichen Situation von
Gruppen, die unterschiedlichen Vorsorgesystemen angehören, sind auch die spezifischen Funktionsbedingungen
dieser Systeme und deren Verhältnis zu den Normen des Einkommensteuergesetzes im Auge zu behalten (vgl. auch
BVerfGE 105, 73 <112 ff.>; 113, 167 <214 ff.>).
II.
79
Nach diesen Maßstäben begegnet das Verhältnis von ungekürztem Vorwegabzug zu maximal steuerfreien
Zukunftssicherungsleistungen des Arbeitgebers, soweit es sich um die Beiträge zu Kranken- und
Pflegeversicherungen handelt, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
80
1. a) Nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG sind Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers in
voller Höhe steuerfrei, soweit der Arbeitgeber zu ihnen gesetzlich verpflichtet ist. Im Gegenzug wird beim
Arbeitnehmer nach Maßgabe von § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchstabe a EStG der Vorwegabzug entsprechend der 16-
Prozent-Regelung gekürzt (vgl. oben unter A.I.2.c>).
81
Eine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers im Sinne von § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG besteht im Bereich der
Kranken- und Pflegeversorgung insbesondere zur Leistung von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung (§ 249
Abs. 1 SGB V, § 58 Abs. 1 SGB XI) sowie zu den an ihre Stelle tretenden Beitragszuschüssen im Falle der
Versicherungsfreiheit des Arbeitnehmers (§ 257 SGB V, § 61 SGB XI). Die Höhe der maximal für den Arbeitnehmer
steuerfreien Beiträge bzw. Zuschüsse lässt sich dabei nach der jeweils einschlägigen Beitragsbemessungsgrenze und
dem Beitragssatz unschwer bestimmen.
82
b) Selbständig Tätigen, die von § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG mangels eines Arbeitsverhältnisses nicht betroffen sind, wird
zur Entlastung ein ungekürzter Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG eingeräumt. Dabei bereitet die
Feststellung, welcher Anteil dieses Vorwegabzugs auf Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherungen entfällt,
Schwierigkeiten. § 10 Abs. 3 EStG bildet einen einheitlichen Höchstbetrag für alle sogenannten
Vorsorgeaufwendungen, ohne dass aus der Gesetzgebungsgeschichte oder der Normstruktur erkennbar wäre, welcher
Anteil des Gesamtbetrags und des Vorwegabzugs auf Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherungen entfällt.
Lediglich der Teilbetrag des § 10 Abs. 3 Nr. 3 EStG bezieht sich auf eine bestimmte Versicherungsart, die freiwillige
Pflegezusatzversicherung.
83
aa) Das Bundesministerium der Finanzen geht ohne weitere Begründung davon aus, dass bei zusammenveranlagten
Ehegatten der Gesamtbetrag des § 10 Abs. 3 EStG nach Abzug des Pflegezusatzversicherungsbetrags (Nr. 3) zur
Deckung des Kranken- und Pflegepflichtversicherungsbedarfs einschlägig sei (ähnlich Hey, DRV 2004, S. 1 <10 ff.>).
Damit stünden 9.915 DM insgesamt und davon 6.000 DM als Vorwegabzug zur Verfügung (zusammenveranlagte
Ehegatten: 19.830 DM, davon 12.000 DM als Vorwegabzug). Demgegenüber spaltet der Bundesfinanzhof diese
Beträge anhand der Beitragsätze für die verschiedenen Zweige der Sozialversicherung anteilig auf. Er kommt dabei -
allerdings unter Zugrundelegung der Beitragssätze des Jahres 2004 - für die Krankenversicherungsbeiträge von
zusammenveranlagten Ehegatten lediglich auf einen Teilbetrag von insgesamt ca. 6.700 DM, wovon demnach ca.
4.050 DM auf den Vorwegabzug entfallen würden.
84
bb) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits darauf hingewiesen, dass eine Aufspaltung anhand der
Gesamtsozialversicherungsbeiträge - wie vom Bundesfinanzhof praktiziert - bei einer Würdigung der
Entlastungswirkungen des Sonderausgabenabzugs die größere Plausibilität für sich beanspruchen kann (vgl. BVerfGE
105, 73 <98 f.>). Daran wird festgehalten. Legt man die Beitragssätze des Jahres 1997 für Gesamtdeutschland
zugrunde (41,88% Gesamtsozialversicherungsbeitrag, davon 13,38% gesetzliche Krankenversicherung und 1,7%
gesetzliche Pflegeversicherung), so ergeben sich aus dem Gesamtbetrag des § 10 Abs. 3 EStG von 9.915 DM
(zusammenveranlagte Ehegatten: 19.830 DM) Teilbeträge von etwa 3.168 DM für die Krankenversicherungsbeiträge
sowie rund 402 DM für die Pflegepflichtversicherungsbeiträge (zusammenveranlagte Ehegatten: rund 6.335 DM und
805 DM). Auf den ungekürzten Vorwegabzug entfallen dabei Teilbeträge von rund 1.917 DM für die
Krankenversicherung und rund 244 DM für die Pflegepflichtversicherung (zusammenveranlagte Ehegatten: rund
3.834 DM und 487 DM).
85
c) Vergleicht man auf dieser Grundlage die ungekürzten Vorwegabzugsbeträge des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG
für Selbständige mit den maximal steuerfreien Leistungen des Arbeitgebers nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG, soweit sie
jeweils auf Kranken- und Pflegeversicherungen entfallen, so ergibt sich folgendes Gesamtbild für die Jahre 1995 bis
2004 bei Betrachtung eines einzelveranlagten Steuerpflichtigen:
86
max.
max.
Jahr
Vorwegabzug
(ungekürzt)
Krankenversicherungsanteil
des Vorwegabzugs
Arbeitgeberbeitrag
zur ges.
Krankenversicherung
(bis 2000 West)
Pflegeversicherungsanteil
des Vorwegabzugs
Arbeitgeberbeitrag
zur ges.
Pflegeversicherung
(bis 2000 West)
1995 6.000 DM
2.006,12 DM
4.633,20 DM
153,02 DM
351,00 DM
1996 6.000 DM
1.970,59 DM
4.824,00 DM
250,00 DM
612,00 DM
1997 6.000 DM
1.916,91 DM
4.907,70 DM
243,55 DM
627,30 DM
1998 6.000 DM
1.942,10 DM
5.125,68 DM
242,05 DM
642,60 DM
1999 6.000 DM
1.938,24 DM
5.171,40 DM
242,28 DM
650,25 DM
2000 6.000 DM
1.982,47 DM
5.228,37 DM
248,36 DM
657,90 DM
2001 6.000 DM
1.989,23 DM
5.300,91 DM
249,76 DM
665,55 DM
2002 3.068 €
1.040,00 €
2.835,00 €
126,29 €
344,25 €
2003 3.068 €
1.045,06 €
2.962,17 €
124,15 €
351,90 €
2004 3.068 €
1.040,72 €
2.975,96 €
124,42 €
355,78 €
87
2. a) Die sich aus dieser Tabelle ergebenden maximalen Entlastungsbeträge des § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG zugunsten
von Arbeitnehmern übersteigen im Streitjahr 1997 ebenso wie in allen anderen Jahren bei weitem die bei
Selbständigen nach dem ungekürzten Vorwegabzug des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG zur Verfügung stehenden
Beträge. Das deckt sich mit den in der Literatur getroffenen Feststellungen (vgl. etwa von Eichborn, DB 2000, S. 944
<948>; Fischer, FR 2003, S. 770 <774>; Weber-Grellet, DStR 2003, S. 454 <455>).
88
b) Allerdings versperrt die bloße Gegenüberstellung der nominalen Entlastungsbeträge den Blick auf einen für die
gleichheitsrechtliche Betrachtung wichtigen Systemzusammenhang. Die für die vergleichsrelevanten Hauptgruppen -
sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer und privatversicherte Selbständige - maßgeblichen Versicherungsbeiträge
weisen eine ganz unterschiedliche einkommensteuerrechtliche Qualität auf. Während die Privatversicherungsbeiträge
der Selbständigen aus ihrem steuerpflichtigen Einkommen erbracht werden und § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in
Verbindung mit Abs. 3 EStG diese Einkommensverwendung mit konstitutiver Wirkung durch einen Abzugsbetrag
entlastet, hat die in § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG bestimmte Steuerfreiheit der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung
rein deklaratorischen Charakter (so die ganz überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur, vgl. BFH BStBl
II 2003, S. 34 = BFHE 199, 524, sowie von Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Kommentar zum EStG, § 3,
Rn. B 62/11 jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen; s. zur sozialversicherungsrechtlichen Perspektive auch
BSGE 86, 262 <285 ff.>). Die Arbeitgeberbeiträge sind damit von vornherein nicht Teil des steuerbaren Einkommens.
Ob diese Sichtweise verfassungsrechtlich zwingend ist, kann offen bleiben (ebenso BVerfGE 105, 73 <130>), denn
sie lässt sich im Hinblick auf die sozialversicherungsrechtlichen Finanzierungszusammenhänge jedenfalls
nachvollziehbar begründen und fällt daher in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der einfachrechtlichen
Konkretisierung des Einkommensbegriffs (vgl. BVerfGE 93, 121 <135>; 107, 27 <47>).
89
Für die gleichheitsrechtliche Würdigung der Krankenversicherungsbeiträge entscheidend sind jedoch die
unterschiedlichen Grundstrukturen der gesetzlichen und der privaten Versicherungssysteme. Während die gesetzliche
Krankenversicherung wesentlich durch das Solidarprinzip geprägt ist, folgt die private Krankenversicherung dem
Äquivalenzprinzip.
90
aa) Die Finanzierungsvorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) erlegen den Mitgliedern der
gesetzlichen Krankenversicherungen Beiträge auf, die nicht allein der Absicherung ihres eigenen Krankheitsrisikos,
sondern zugleich dem sozialen Ausgleich und der Umverteilung dienen. Insbesondere haben Beitragspflichtige mit
hohem Einkommen und niedrigem Krankheitsrisiko auf diese Weise Solidarlasten zu tragen, die den im Übrigen gleich
leistungsfähigen Steuerpflichtigen, die nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherungen sind, nicht abverlangt
werden (vgl. BVerfGE 113, 167 <215 ff.>). Neben der Entkopplung der Beitragshöhe vom versicherten
Krankheitsrisiko ist auch das Leistungsniveau weitgehend unabhängig von der Höhe der gezahlten Beiträge. Allen
Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherungen wird unabhängig von der Höhe ihrer Beiträge ein im Wesentlichen
identisches Versorgungsniveau gewährt. Lediglich das Krankengeld nach §§ 44 ff. SGB V knüpft der Höhe nach an
das der Beitragsberechnung unterliegende Regelentgelt an, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Anteil des
Krankengeldes an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen zwischen 1995 und 2004 von
9,41% auf 6,37% abgesunken ist (vgl. Bundesministerium für Gesundheit, Kennzahlen und Faustformeln zur
gesetzlichen Krankenversicherung, Tabelle KF06 vom 1. März 2007).
91
Es lässt sich daher verallgemeinernd feststellen, dass einer höheren Beitragszahlung in der gesetzlichen
Krankenversicherung kein äquivalenter Zuwachs an Versorgungsleistungen oder Anwartschaften auf eine Versorgung
gegenübersteht. Der Versicherte hat dabei typischerweise auch keinen Einfluss auf Art und Umfang des gewährten
Versorgungsniveaus (vgl. hierzu auch BVerfGE 115, 25 <26, 45 ff.>). Die Beiträge zur gesetzlichen
Krankenversicherung kommen demnach der Gesamtheit der versicherten Arbeitnehmer zugute, wobei das
Leistungsniveau vom Sozialgesetzgeber festgelegt wird. Es ist nicht möglich, die auf einen Arbeitnehmer entfallenden
Beiträge als einen ihn allein begünstigenden Individualvorteil zu begreifen. Ob der jeweilige Arbeitnehmer durch seine
Beiträge über das Solidarprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung individuell begünstigt oder belastet wird, hängt
von Einkommenshöhe, Alter, Gesundheitszustand und Familienstand im Einzelfall ab.
92
Diese Charakterisierung gilt nicht nur für die Arbeitnehmerbeiträge, sondern auch für die Arbeitgeberbeiträge, deren
Steuerfreiheit beim Arbeitnehmer nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG deklaratorisch klargestellt ist und die als fremdnützige
Beiträge auch finanzverfassungsrechtlich differenziert zu beurteilen sind (vgl. hierzu BVerfGE 75, 108 <157 ff.>; 113,
167 <219 f.>). Auch die Arbeitgeberbeiträge gehen ohne Individualisierung in den solidarischen Finanzierungsverbund
der gesetzlichen Krankenversicherungen ein.
93
bb) Ganz anders strukturiert sind hingegen die Beiträge zu einer privaten Krankenversicherung. Deren Bemessung
ist am Äquivalenzprinzip ausgerichtet, bestimmt sich also nach dem versicherten Risiko. Bei privaten
Krankenversicherungsbeiträgen kann daher - anders als bei Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung - davon
ausgegangen werden, dass einem höheren Beitrag ein äquivalent höherer Individualvorteil des Beitragszahlers
entspricht. Aus diesem Grunde lassen nominal gleich hohe Beiträge eines pflichtversicherten Arbeitnehmers
(einschließlich der Arbeitgeberbeiträge) zur gesetzlichen Krankenversicherung einerseits und Beiträge eines
Selbständigen zu seiner privaten Krankenversicherung andererseits selbst bei typisierender Betrachtung keinen
Rückschluss auf ein gleiches Versorgungsniveau zu. Wegen dieses fundamentalen Systemunterschieds kann für die
Frage, ob die Beiträge der beiden Versichertengruppen in einer mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbaren Weise
einkommensteuerrechtlich berücksichtigt werden, nicht lediglich auf einen Vergleich der nominalen
Entlastungsbeträge in § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG einerseits und § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG andererseits abgestellt
werden (vgl. auch BFH BStBl II 2003, S. 179 = BFHE 200, 529 <538 f.>; BFH BStBl II 2003, S. 650 = BFHE 201,
437 <444 f.>; ebenso Weber-Grellet, DStR 2003, S. 454 <456>).
94
cc) Allerdings können diese Ausführungen für das Verhältnis der gesetzlichen Pflegeversicherung (SGB XI) zur
privaten Pflegepflichtversicherung (§ 1 Abs. 2 Satz 2, § 23 SGB XI) nicht ohne weiteres Geltung beanspruchen. Auch
die private Pflegepflichtversicherung kennt wesentliche Elemente des sozialversicherungsrechtlichen Solidarprinzips,
etwa hinsichtlich Versicherungszugang, Leistungsumfang, Familienversicherung, Beitragsbemessung und
Risikoausgleich (vgl. etwa §§ 23, 25, 110 f. SGB XI). Angesichts des deutlich niedrigeren Gesamtvolumens der
Pflegeversicherungsbeiträge und ihrer organisatorischen Ankopplung an die gesetzlichen Krankenversicherungen oder
die privaten Krankenversicherer erscheint es bei typisierender Betrachtung aber jedenfalls im Streitjahr 1997
vertretbar, sie einkommensteuerrechtlich als Annex zu den Krankenversicherungsbeiträgen zu behandeln.
95
3. Vor dem Hintergrund der wesentlichen Systemunterschiede zwischen gesetzlicher und privater
Krankenversicherung verschiebt sich die Betrachtung vom bloßen Vergleich der Nominalbeträge hin zu der Frage, ob
der Gesetzgeber die ausweislich der Gesetzgebungsgeschichte (vgl. oben unter A.I.2.c>) mit dem Vorwegabzug
beabsichtigte Kompensation zugunsten von Steuerpflichtigen, deren Vorsorgeaufwendungen nicht infolge der
Beitragsleistungen eines Arbeitgebers gemindert sind, in einer verfassungsrechtlich vertretbaren Weise realisiert oder
ob er sie verfehlt.
96
a) Nimmt man in den Blick, was der Arbeitnehmer bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise durch die steuerfreie
Leistung des Arbeitgeberbeitrags erhält, nämlich die Anwartschaft auf die Leistungen der gesetzlichen Kranken- und
Pflegeversicherung, und vergleicht sie mit dem vom Arbeitgeber dafür beigetragenen Aufwand, so sind einheitliche
Aussagen über kompensationsbedürftige Vorteile im Vergleich mit Privatversicherten nicht möglich. Die Bewertung
der Entlastungswirkung des Arbeitgeberbeitrags für den Arbeitnehmer lässt sich im Grunde nur innerhalb des Systems
der Sozialversicherung präzise formulieren: Innerhalb des gesetzlichen Zwangsverbandes der Sozialversicherten
bedeutet die Aufteilung der Beitragspflicht auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer, dass (abgesehen von den Zuschüssen
des Bundes) die Kosten der Pflichtversicherung zugunsten der Versicherten hälftig aufgeteilt werden. Was dies im
Verhältnis zu Beitragslasten privat Versicherter bedeutet, lässt sich damit aber noch nicht beantworten.
97
b) Einerseits sind die Unterschiede zwischen den Beitrags- und Leistungssystemen nicht von solcher Art und
solchem Gewicht, dass sie jede einkommensteuerrechtliche Ungleichbehandlung der Versicherungsaufwendungen im
Verhältnis von Arbeitnehmern und Selbständigen rechtfertigen könnten. Eine solche Rechtfertigung lässt sich
insbesondere nicht auf die Annahme stützen, Selbständige seien aufgrund ihrer allgemeinen wirtschaftlichen Situation
generell weniger entlastungsbedürftig als Arbeitnehmer. Zwar befinden sich bei einer Betrachtung der
Gesamtbevölkerung innerhalb der Gruppe der Bezieher hoher Einkommen überproportional viele Selbständige (vgl.
Zweiter Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, BTDrucks 15/5015, S. 51). Das lässt aber keinen
verallgemeinernden Schluss darauf zu, dass die wirtschaftliche Situation von Selbständigen überwiegend günstiger
sei als die der abhängig Beschäftigten. So lag die Armutsquote von Selbständigen etwa im Streitjahr 1997 mit 7,3%
deutlich über derjenigen der Angestellten und Facharbeiter, die je nach Gruppe zwischen 1,8% und 5,9% betrug (vgl.
Statistisches Bundesamt , Datenreport 2006, S. 618).
98
Andererseits kann aber vom Steuergesetzgeber angesichts der zahlreichen unterschiedlichen Variablen in den
beiden Vorsorgesystemen, nach denen Vor- und Nachteile auf die Vielzahl der Versicherten verteilt werden, kein
annähernd exaktes „Nachzeichnen“ solcher unterschiedlichen Wirkungen verlangt werden. Es genügt vielmehr, dass
der Gesetzgeber die unterschiedliche Minderung der subjektiven Leistungsfähigkeit durch Beiträge der Arbeitnehmer
zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung und der Selbständigen zur privaten Kranken- und
Pflegepflichtversicherung nicht willkürlich ignoriert.
99
c) Seinen Gestaltungsspielraum hat der Gesetzgeber in § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG mit der Bestimmung der Höhe des
Vorwegabzugs und der Ausgestaltung der Kürzungsregelung für sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer nicht
überschritten. Der Vorwegabzug gewährt der Höhe nach eine zwar nicht vollständige, aber doch spürbare Entlastung
der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge von Steuerpflichtigen, die nicht der Kürzungsregelung unterfallen.
Damit trägt die gesetzliche Regelung dem durch § 3 Nr. 62 EStG verdeutlichten Kompensationsbedürfnis in einer
offenkundig nicht willkürlichen Weise Rechnung.
100
d) Auch wenn man die Selbständigen den freiwillig sozial- oder den privatversicherten Arbeitnehmern
gegenüberstellt, deren Arbeitgeberzuschüsse (§ 257 SGB V, § 61 SGB XI) ebenfalls § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG
unterfallen, ergibt sich keine andere Beurteilung, auch wenn man bei den unmittelbar an die Arbeitnehmer
ausgezahlten Zuschüssen des Arbeitgebers am deklaratorischen Charakter des § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG wird zweifeln
können.
101
aa) Soweit man die freiwillig in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung versicherten Arbeitnehmer ins
Auge fasst, ergeben sich offensichtlich ebenso wie für sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer hinreichende
sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Selbständigen. Obwohl freiwillig sozialversicherte
Arbeitnehmer die Möglichkeit hatten, ihre Wahl an den zu erwartenden Vorteilen und Nachteilen der unterschiedlichen
Versicherungssysteme in ihrem individuellen Fall auszurichten, unterliegen die von ihnen gezahlten und von den
Arbeitgebern bezuschussten Beiträge doch demselben solidarischen Finanzierungsverbund wie die Beiträge
versicherungspflichtiger Arbeitnehmer.
102
bb) Auch die durch § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG und § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG bewirkte Ungleichbehandlung von
privatversicherten Arbeitnehmern und privatversicherten Selbständigen ist verfassungsrechtlich noch gerechtfertigt.
Obwohl hier die Einbindung der Arbeitnehmer in ein sozialversicherungsrechtliches Solidarsystem entfällt, ist das der
Einbeziehung privatversicherter Arbeitnehmer in § 3 Nr. 62 EStG zugrunde liegende Ziel, alle Arbeitnehmer
steuerrechtlich
gleich
zu
behandeln
(vgl.
die
Gesetzesbegründung
zum
Zweiten
Krankenversicherungsänderungsgesetz vom 21. Dezember 1970 , BTDrucks 6/1130, S. 5), doch ein
hinreichender sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Selbständigen. Typischerweise sind
Arbeitnehmer
betroffen,
die
zunächst
pflichtversichert
waren,
wegen
des
Überschreitens
der
Jahresarbeitsentgeltgrenze aber aus der Versicherungspflicht ausgeschieden sind (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 20 Abs.
1 Satz 1 SGB XI). Das Ziel der Gleichbehandlung mit den (noch) pflichtversicherten anderen Arbeitnehmern hat hier
also einen spezifischen Anknüpfungspunkt in der grundsätzlichen Pflichtmitgliedschaft der Arbeitnehmer in der
Sozialversicherung und dient der Bewältigung eines Folgeproblems einer Begrenzung der Pflichtversicherung, nämlich
der Sicherung der vom Gesetzgeber gewollten Wahlfreiheit der nicht mehr pflichtversicherten Arbeitnehmer zwischen
Sozialversicherung und Privatversicherung. Diese würde beeinträchtigt, wenn der Arbeitnehmer bei Wahl der privaten
Kranken- und Pflegeversicherung den steuerlichen Vorteil des § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG verlieren würde. Der
Fortbestand dieses steuerlichen Vorteils stellt sich so als sachlich begründbare steuerrechtliche Gleichbehandlung im
Dienst eines vom Sozialrechtsgesetzgeber gewollten effektiven Versicherungswahlrechts dar. Die damit zwangsläufig
verbundene Ungleichbehandlung von selbständigen und nichtselbständigen Privatversicherten ist daher
verfassungsrechtlich hinzunehmen.
D.
103
Die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG in der für den
Veranlagungszeitraum 1997 geltenden Fassung ist jedoch mit Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3
Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit die Beiträge zu einer privaten Krankheitskostenversicherung
(Vollversicherung) und einer privaten Pflegepflichtversicherung, die dem Umfang nach erforderlich sind, um dem
Steuerpflichtigen und seiner Familie eine sozialhilfegleiche Kranken- und Pflegeversorgung zu gewährleisten, nicht
ausreichend erfasst werden.
I.
104
1. Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Beurteilung ist das aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1,
Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG abzuleitende Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums. Danach hat der
Staat das Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der
Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt. Einem
Grundgedanken der Subsidiarität, wonach Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher Fürsorge hat, entspricht es, dass
sich die Bemessung des einkommensteuerrechtlich maßgeblichen Existenzminimums nach dem im Sozialhilferecht
niedergelegten Leistungsniveau richtet. Was der Staat dem Einzelnen voraussetzungslos aus allgemeinen
Haushaltsmitteln zur Verfügung zu stellen hat, das darf er ihm nicht durch Besteuerung seines Einkommens
entziehen (vgl. BVerfGE 82, 60 <85 f., 94>; 87, 153 <169 f.>; 99, 246 <259>; 107, 27 <48>; 112, 268 <281>; stRspr).
105
2. Die somit von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden Aufwendungen zur Sicherung des Existenzminimums
sind vom Steuergesetzgeber nach dem tatsächlichen Bedarf realitätsgerecht zu bemessen (vgl. BVerfGE 66, 214
<223>; 68, 143 <153>; 82, 60 <88>; 99, 246 <260>; 112, 268 <280 f.>). In einem verfassungsrechtlichen
Spannungsverhältnis hierzu steht die Befugnis des Gesetzgebers, bei der Ordnung der steuerrechtlichen
Massenverfahren die Vielzahl der Einzelfälle in einem Gesamtbild zu erfassen und auf dieser Grundlage typisierende
Regelungen zu treffen (vgl. BVerfGE 87, 153 <172>; 99, 280 <290>; 105, 73 <127>; 112, 268 <280 f.>). Im Bereich
der Steuerfreiheit des Existenzminimums hat er dabei allerdings Sorge zu tragen, dass typisierende Regelungen in
möglichst allen Fällen den entsprechenden Bedarf abdecken (vgl. BVerfGE 82, 60 <91>; 87, 153 <172>).
106
3. Aus Art. 3 Abs. 1 GG ist der Gesetzgeber außerdem an das Gebot hinreichender Folgerichtigkeit gebunden. Er
hat danach eine einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit
umzusetzen. Ausnahmen hiervon bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (vgl. BVerfGE 99, 280 <290>; 105,
73 <126>; 107, 27 <46 f.>; stRspr).
II.
107
1. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Steuerfreiheit des Existenzminimums hat sich bisher
nur mit dem sogenannten sächlichen Existenzminimum befasst, also im Wesentlichen mit den Aufwendungen für
Nahrung, Kleidung, Hygiene, Hausrat, Wohnung und Heizung sowie den korrespondierenden Leistungstatbeständen
des Sozialhilferechts (vgl. BVerfGE 82, 60; 82, 198; 87, 153; 99, 246; 99, 268; 99, 273). Aufwendungen des
Steuerpflichtigen für die Kranken- und Pflegeversorgung, insbesondere entsprechende Versicherungsbeiträge, können
aber ebenso Teil des einkommensteuerrechtlich zu verschonenden Existenzminimums sein.
108
2. Keine grundsätzlichen Einwendungen lassen sich aus der vermeintlichen „Zukunftsgerichtetheit“ von
Versicherungsbeiträgen herleiten. Der XI. Senat des Bundesfinanzhofs vertritt zwar die Auffassung, beim
Existenzminimum sei zwischen dem gegenwärtigen Grundbedarf und der Vorsorge für künftige Zeiten zu
unterscheiden. Letztere sei ihrer Art nach als Rücklage oder Sparleistung zu qualifizieren und umfasse neben anderen
Vorsorgeaufwendungen auch Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherungen, die der Steuergesetzgeber nicht als
existenznotwendigen Aufwand anerkennen müsse (vgl. BFH BStBl II 2003, S. 179 = BFHE 200, 529 <534>; BFH
BStBl II 2003, S. 650 = BFHE 201, 437 <440 f.>).
109
Dem ist nicht zu folgen. Ob generelle Bedenken dagegen bestehen, Sparvorgänge dem Prinzip der Steuerfreiheit
des Existenzminimums zu unterwerfen, kann offen bleiben. Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge jedenfalls
haben keinen Sparcharakter, der solche Bedenken begründen könnte. Die Aussage, dass die Steuerfreiheit des
Existenzminimums der „Befriedigung des gegenwärtigen Bedarfs“ (BVerfGE 87, 153 <179 f.>) dient, zielt nicht auf
eine Unterscheidung von Sachaufwand und Versicherungsbeiträgen ab. Sie bezieht sich lediglich darauf, dass die
Steuerfreiheit des Existenzminimums auf die Periodizität der Einkommensbesteuerung (vgl. § 2 Abs. 7 EStG)
bezogen ist. „Gegenwärtiger“ Bedarf in diesem Sinne ist der Bedarf, der zur Bestreitung des Existenzminimums im
jeweiligen Kalenderjahr anfällt. Gegen die Einbeziehung einer reinen Risikoversicherung mit kalenderjahrmäßig
abgrenzbaren Beiträgen bestehen insoweit keine grundsätzlichen Bedenken.
110
3. Auch bei Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversorgung ist allerdings streng auf das sozialhilferechtlich
gewährleistete Leistungsniveau als eine das Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene abzustellen (vgl.
BVerfGE 99, 246 <259>).
111
Anknüpfungspunkt ist daher nicht das Leistungsniveau der einschlägigen Zweige der Sozialversicherungen (hier:
SGB V und SGB XI). Dieser Ansatz beansprucht auch dann Geltung, wenn - wie im Bereich der Kranken- und
Pflegeversorgung - das Leistungsniveau der Sozialhilfe dem der Sozialversicherung im Wesentlichen angenähert ist.
Das Recht der Sozialversicherung zielt im Grundsatz darauf ab, einen über dem Sozialhilfeniveau liegenden
Lebensstandard zu sichern. Auch zwischen Sozialversicherung und Sozialhilfe besteht insoweit ein
Subsidiaritätsverhältnis.
112
Dementsprechend lässt sich entgegen der Auffassung des vorlegenden Senats des Bundesfinanzhofs aus dem
Gebot der Folgerichtigkeit nicht allgemein ableiten, dass der Steuerpflichtige unter dem Gesichtspunkt der
„Zwangsläufigkeit“ jedenfalls Ausgaben bis zur Höhe der Pflichtsozialversicherungsbeiträge von der
einkommensteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage muss abziehen können. Das Prinzip der Steuerfreiheit des
Existenzminimums gewährleistet dem Steuerpflichtigen einen Schutz des Lebensstandards nicht auf
Sozialversicherungs-, sondern nur auf Sozialhilfeniveau.
113
4. Die Kranken- und Pflegeversorgung ist integraler Bestandteil des Leistungskatalogs der Sozialhilfe. Das gilt
sowohl nach dem im Streitjahr 1997 geltenden Bundessozialhilfegesetz als auch nach den gegenwärtig geltenden
Regelungen des Zweiten und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch.
114
a) Nach § 13 BSHG war der Sozialhilfeträger regelmäßig zur Übernahme von Kranken- und
Pflegeversicherungsbeiträgen verpflichtet. Alternativ wurde Kranken- und Pflegeversorgung nach §§ 36 ff. oder
§§ 68 ff. BSHG gewährleistet. Entsprechendes gilt nach den derzeit gültigen Regelungen der Sozialhilfe (vgl. § 32
SGB XII bzw. §§ 47 ff., 61 ff. SGB XII) und der Grundsicherung für Arbeitsuchende (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2a, § 251
Abs. 4 SGB V bzw. § 20 Abs. 1 Nr. 2a, § 59 Abs. 1 SGB XI).
115
b) Dabei ist es für die verfassungsrechtliche Beurteilung unerheblich, ob die Kranken- und Pflegeversorgung indirekt
über die Finanzierung einer Versicherungsmitgliedschaft oder direkt über die Bereitstellung von Versorgungsleistungen
sichergestellt wird. Maßgeblich ist allein, dass sie dem leistungsberechtigten Empfänger von Sozialhilfe oder
Arbeitslosengeld II aus allgemeinen Haushaltsmitteln finanziert wird.
III.
116
Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der hinreichenden einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung von
Beiträgen zu privaten Kranken- und Pflegeversicherungen setzt die Bestimmung des einkommensteuerlichen
Entlastungsbetrags einerseits und des sozialhilferechtlich maßgeblichen Vergleichsbetrags andererseits voraus.
117
1. Die Beiträge selbständiger Steuerpflichtiger zu privaten Kranken- und Pflegeversicherungen wurden im Streitjahr
1997 ausschließlich über den Sonderausgabenabzug in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a und c in Verbindung mit § 10
Abs. 3 EStG berücksichtigt. An dieser von ihm selbst getroffenen Grundentscheidung muss sich der Gesetzgeber
festhalten lassen und sie folgerichtig umsetzen. Wieweit dem Gesetzgeber neben diesem Abzug von der
Bemessungsgrundlage noch andere steuersystematische Lösungen zur Freistellung des Existenzminimums zur
Verfügung gestanden hätten oder für künftige Regelungen zur Verfügung stehen, spielt keine Rolle und bedarf hier
keiner Entscheidung.
118
Für die hier anzustellende Vergleichsbetrachtung im Streitjahr 1997 ergeben sich folgende einkommensteuerliche
Entlastungsbeträge (vgl. oben unter C.II.1.): Die aus dem Gesamtbetrag des § 10 Abs. 3 Nr. 1, 2 und 4 EStG von
9.915 DM (zusammenveranlagte Ehegatten: 19.830 DM) auf Kranken- und Pflegepflichtversicherungsbeiträge
entfallenden Teilbeträge beliefen sich entsprechend der Aufspaltung nach dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag auf
rund 3.168 DM für die Krankenversicherung sowie rund 402 DM für die Pflegepflichtversicherung
(zusammenveranlagte Ehegatten: rund 6.335 DM und 805 DM). Daneben stand für nach dem 31. Dezember 1957
geborene Steuerpflichtige ein Betrag von jeweils 360 DM gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 3 EStG für freiwillige
Pflegezusatzversicherungen zur Verfügung.
119
2. Beiträge der Steuerpflichtigen für ihre unterhaltsberechtigten Kinder werden weder in § 10 EStG noch sonst im
Einkommensteuerrecht berücksichtigt. Nicht zu folgen ist insbesondere der vom Bundesministerium der Finanzen
vertretenen Auffassung, wonach der für den Förderanteil des Kindergelds in Abhängigkeit von Kinderzahl und
Grenzsteuersatz anzusetzende fiktive Freibetrag entlastend in die Würdigung der von den Eltern gezahlten privaten
Krankenversicherungsbeiträge für Kinder einzubeziehen ist.
120
Bereits aus dem Wortlaut des § 31 EStG folgt, dass eine allgemeine zweckungebundene Förderung der Familie
beabsichtigt ist. Dass die vom Bundesministerium behauptete spezielle Entlastungswirkung vom Gesetzgeber nicht
bezweckt worden ist, ergibt sich zudem aus den Gesetzgebungsmaterialien des Steuersenkungsgesetzes 1986/1988
vom 26. Juni 1985 (BGBl I S. 1153; hierzu BTDrucks 10/2884, S. 100 ff.) und des Jahressteuergesetzes 1996 vom
11. Oktober 1995 (BGBl I S. 1250; hierzu BTDrucks 13/1558, S. 138 ff.).
121
Die Annahme, der dem Förderanteil des Kindergeldes entsprechende fiktive Freibetrag bezwecke eine Entlastung
der Familie speziell im Hinblick auf kindbedingte Krankenversicherungsbeiträge, stünde auch nicht im Einklang mit
den verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein Mindestmaß zweckgerechter Ausgestaltung steuerrechtlicher
Vergünstigungstatbestände (vgl. BVerfGE 105, 73 <113 ff.>; vgl. auch BVerfGE 116, 164 <187>). Nach den
Berechnungen des Bundesministeriums der Finanzen ergibt sich 1997 für Einkommen im Spitzensteuersatz bei
Vergleich mit dem Kinderexistenzminimum für die ersten beiden Kinder überhaupt keine Entlastungswirkung, für das
dritte Kind ein Betrag von 358,45 DM und ab dem vierten Kind ein Betrag von jeweils 1.490,53 DM. Diese Beträge
kommen den Steuerpflichtigen unabhängig davon zugute, ob sie private Krankenversicherungsbeiträge für ihre Kinder
zu leisten haben oder ob dies wegen der beitragsfreien Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung
(§ 10 SGB V) nicht der Fall ist. Die Entlastungseffekte sind also nicht nur breit gestreut, vor allem fehlt auch eine
Korrelation mit den für die Krankenversicherung des Kindes erforderlichen Aufwendungen; sie hätte, falls sie eintritt,
rein zufälligen Charakter.
122
3. Die Quantifizierung des sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus im Bereich Krankheit und Pflege erweist sich als
schwierig.
123
a) Im Bereich des sächlichen Existenzminimums hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der
Steuergesetzgeber die relevanten Leistungsbestandteile des sozialhilferechtlich anerkannten Mindestbedarfs in einem
statistisch ermittelten einheitlichen Betrag quantifizieren darf. Dabei sind einer Orientierung an einem
bundeseinheitlichen Mittelwert, der in einer größeren Anzahl von Fällen nicht ausreichen würde, Grenzen gesetzt (vgl.
BVerfGE 82, 60 <91>; 87, 153 <172>; 99, 246 <260 ff.>). Die einschlägigen Regelungen hierzu befinden sich derzeit
in § 32 Abs. 6 EStG (Kinderfreibetrag) sowie in § 32a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 EStG (Grundfreibetrag), wo jeweils ein
bundeseinheitlicher Wert für alle Steuerpflichtigen festgelegt wird.
124
b) Eine Übertragung dieser Methodik auf die Kranken- und Pflegeversorgung stößt auf durchgreifende Bedenken.
125
aa) Bei den Gütern des sächlichen Existenzminimums erscheint die Heranziehung von bundeseinheitlichen
Mittelwerten der Ausgaben der Leistungsträger trotz regionaler Preisgefälle in der Regel verfassungsrechtlich noch
vertretbar. Bei der Berücksichtigung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen ist dies hingegen nicht der Fall.
Statistisch mögen die bundesdurchschnittlich von den Sozialhilfeträgern für Kranken- und Pflegeversorgung
aufgewendeten Mittel (vgl. §§ 13, 36 ff., 68 ff. BSHG bzw. §§ 32, 47 ff., 61 ff. SGB XII) oder die vom Bund gezahlten
Versicherungsbeiträge für die Empfänger von Arbeitslosengeld II (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2a, § 251 Abs. 4 SGB V bzw.
§ 20 Abs. 1 Nr. 2a, § 59 Abs. 1 SGB XI) zwar erfassbar sein. Der sich ergebende Betrag lässt aber nicht den
Rückschluss zu, dass die überwiegende Mehrzahl der Steuerpflichtigen sich für ihn eine sozialhilfegleiche Kranken-
und Pflegeversorgung „erkaufen“ könnte. Vielmehr richten sich sowohl der Zugang zu einer öffentlichen oder privaten
Kranken- und Pflegeversicherung als auch die Beitragshöhe nach einer Vielzahl von Faktoren. In der
Sozialversicherung entscheiden darüber vor allem die Sozialversicherungspflichtigkeit bzw. die Möglichkeit einer
freiwilligen Versicherung sowie die Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen. In der Privatversicherung hingegen sind
der Gesundheitszustand bei Vertragsabschluss und das Leistungsniveau des gewählten Tarifs für die Beitragshöhe
von entscheidender Bedeutung. Die Steuerpflichtigen haben also - anders als beim Warenkorb des sächlichen
Existenzminimums - nicht die Möglichkeit, sich für den Erwerb eines „Versicherungsproduktes“ zu entscheiden, das
eine sozialhilfegleiche Kranken- und Pflegeversorgung für alle zu einem allenfalls regional differenzierten Preis
gewährleistet.
126
bb) Bei dieser Sachlage kann nicht auf die im Mittel getätigten Aufwendungen der Leistungsträger abgestellt werden.
Die steuerrechtliche Berücksichtigung des Existenzminimums muss vielmehr auf der Beitragsseite ansetzen. Dazu
bietet es sich an, die Beiträge der Steuerpflichtigen zu privaten Kranken- und Pflegeversicherungen jeweils gesondert
daraufhin zu betrachten, ob die konkreten Versicherungsbeiträge zur Erlangung eines sozialhilfegleichen
Versorgungsniveaus nach Art und Umfang erforderlich sind. Hierzu nicht erforderliche Versicherungsarten und
Tarifgestaltungen sind aus der Betrachtung auszuscheiden. Im Übrigen ist es Aufgabe des Gesetzgebers, bei den als
erforderlich anzusehenden Versicherungen eine sachgerechte Typisierung hinsichtlich des Umfangs der
abzugsfähigen Beträge vorzunehmen, die am Ziel der Steuerfreiheit des Existenzminimums ausgerichtet ist.
IV.
127
Nach diesen Maßstäben ist § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG in der für den
Veranlagungszeitraum 1997 geltenden Fassung mit Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und
Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar.
128
1. a) Das sozialhilferechtliche Leistungsniveau der Kranken- und Pflegeversorgung wird vom Gesetzgeber mit
Ausnahme spezieller Leistungselemente - beispielsweise des Krankengeldes (vgl. § 44 Abs. 1 SGB V) - im
Wesentlichen an das der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung angekoppelt. Das gilt ohnehin im Falle der
Finanzierung einer Sozialversicherungsmitgliedschaft (§ 13 BSHG bzw. § 32 SGB XII, § 5 Abs. 1 Nr. 2a, § 251 Abs. 4
SGB V, § 20 Abs. 1 Nr. 2a, § 59 Abs. 1 SGB XI). Es gilt aber auch bei direkter Bereitstellung von
Versorgungsleistungen (vgl. §§ 37, 68 BSHG bzw. §§ 52, 61 SGB XII; vgl. hierzu etwa die Begründung zu § 264 SGB
V in der Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14. November 2003 , BTDrucks 15/1525,
S. 140 f.).
129
b) Die privaten Kranken- und Pflegeversicherungen bieten eine Vielzahl von Tarifarten mit ganz unterschiedlichen
Funktionen an. In Ermangelung des Zugangs zu einem sozialhilfegleichen Standard- oder Basistarif bedarf es zur
Erlangung eines sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus dabei mindestens des Abschlusses einer
Krankheitskostenversicherung (Vollversicherung) sowie einer privaten Pflegepflichtversicherung. Dabei ist letztere
wegen des auch in der privaten Pflegepflichtversicherung geltenden Familienversicherungsprinzips (§ 23 Abs. 1 Satz
2 SGB XI) für die Kinder entbehrlich.
130
2. a) Es ist zur verfassungsgerichtlichen Überprüfung der Entlastungswirkung von § 10 EStG nicht erforderlich, in
allen Einzelheiten statistische Ermittlungen über den Beitragsumfang einzelner Gruppen von privat krankheitskosten-
und pflegepflichtversicherten Personen anzustellen. Ob die Entlastungswirkung von § 10 EStG den
verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht wird, lässt sich aufgrund einer Evidenzkontrolle (vgl. BVerfGE 82, 60
<91 f.>) beantworten. Danach kann eine dem Umfang nach hinreichende steuerliche Freistellung der zur Sicherung
des Existenzminimums erforderlichen Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung durch § 10 Abs. 1 Nr. 2
Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG nicht festgestellt werden.
131
b) Für die Evidenzkontrolle kann allerdings nicht - wie das Bundesministerium der Finanzen vorträgt - auf den
durchschnittlichen, über alle Risiken, Altersstufen und Anbieter gemittelten Versicherungsaufwand nach dem vom
Verband der privaten Krankenversicherung e.V. veröffentlichten jährlichen Zahlenbericht abgestellt werden, wonach
sich für die Krankheitskostenversicherung (Vollversicherung) jährliche Beiträge für 1997 von 3.254 DM pro Person
bzw. 6.508 DM für Ehegatten ergeben. Dies ergibt sich schon daraus, dass zu den vollversicherten Personen im
Sinne des herangezogenen Zahlenberichts auch die große Gruppe der Beamten gehört, die in speziellen Beihilfetarifen
mit im Durchschnitt deutlich niedrigeren Beiträgen versichert sind und bei denen gerade aus diesem Grunde auch der
Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchstabe a EStG gekürzt wurde.
132
c) Betrachtet man hingegen beispielhaft die von den Klägern des Ausgangsverfahrens aufgewendeten Beiträge, so
zeigt sich, dass eine hinreichende steuerliche Entlastung offensichtlich nicht gewährleistet ist. Eine
Gegenüberstellung ihrer Beiträge mit den anteiligen Entlastungsbeträgen in § 10 Abs. 3 EStG ergibt folgendes Bild,
wobei der Pflegezusatzversicherungsbetrag nach § 10 Abs. 3 Nr. 3 EStG außer Betracht zu bleiben hat, da freiwillige
Pflegezusatzversicherungen ihrer Art nach zur Erlangung eines sozialhilfegleichen Versorgungsniveaus nicht
erforderlich sind:
133
Versicherungsart
aufgewendete
Beiträge
Berücksichtigung in § 10 EStG
(bei Zusammenveranlagung)
private Krankheitskostenversicherung
der Kläger (Vollversicherung)
12.357,17 DM ca. 6.335 DM
private Pflegepflichtversicherung der
Kläger
1.837,62 DM
ca. 805 DM
private Krankheitskostenversicherung
der sechs Kinder (Vollversicherung)
16.149,39 DM 0 DM
134
aa) Den Ausgaben der Kläger für ihre eigene Krankheitskostenversicherung von 12.357,17 DM steht im Streitjahr
1997 ein anteiliger Betrag nach § 10 Abs. 3 EStG von ca. 6.335 DM gegenüber, also eine Entlastung von lediglich ca.
51%. Das genügt offensichtlich nicht. Es gibt bei der Krankheitskostenversicherung der Kläger, bei der zusätzlich ein
Selbstbehalt von insgesamt jährlich 1.200 DM zu berücksichtigen ist, keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es sich um
einen „Luxustarif“ handelt; auch das Bundesministerium der Finanzen hat nichts in dieser Richtung vorgetragen.
135
Der Gesetzgeber hat die in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG angelegte Entlastungsgrundentscheidung in den
Höchstbeträgen des § 10 Abs. 3 EStG für die Krankheitskostenversicherungen bezogen auf das Ziel einer
realitätsgerechten Freistellung des Existenzminimums nicht folgerichtig umgesetzt. Zwar ist der Steuergesetzgeber
nicht gehalten, die Beiträge zu „normalen“ privaten Krankheitskostenversicherungen von Verfassungs wegen stets zu
100% zu berücksichtigen. Wie dargelegt, müssen nur die zur Erlangung eines sozialhilfegleichen Lebensstandards
erforderlichen Aufwendungen berücksichtigt werden, und zwar selbst dann, wenn der Steuerpflichtige faktisch oder
rechtlich zu höheren Aufwendungen verpflichtet ist (so für Unterhaltsleistungen BVerfGE 82, 60 <91>). Das Prinzip
der Steuerfreiheit des Existenzminimums hat nicht den Sinn, die Kosten eines über dem Sozialhilfeniveau liegenden
Lebensstandards über die Einkommensteuer auf die Allgemeinheit zu verteilen. Der Gesetzgeber kann die
Privatversicherten daher darauf verweisen, dass ein Teil ihrer Beiträge bei der Einkommensteuer unberücksichtigt
bleibt, soweit nach seiner Einschätzung das Versorgungsniveau von privaten Krankenversicherungen üblicherweise
über das wiederum an das Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung angekoppelte Sozialhilfeniveau hinausgeht.
Der Gesetzgeber hat eine von derartigen Erwägungen getragene und an entsprechenden Einschätzungen orientierte
Entscheidung jedoch ersichtlich nicht getroffen. Die Höhe des maximalen Abzugsbetrags gemäß § 10 Abs. 3 EStG
beruht vielmehr auf gesetzgebungsgeschichtlichen Zufällen, die allenfalls von fiskalischen Erwägungen mitgesteuert
wurden.
136
136
bb) Derselbe Mangel an folgerichtiger Ausgestaltung ist auch im Hinblick auf die Beiträge zur privaten
Pflegepflichtversicherung festzustellen. Beiträgen der Kläger des Ausgangsverfahrens in Höhe von 1.837,62 DM steht
hier ein anteiliger Entlastungsbetrag nach § 10 Abs. 3 EStG von ca. 805 DM gegenüber. Die Frage eines „Luxustarifs“
bedarf hier schon deshalb keiner vertieften Erörterung, weil das Leistungsniveau der privaten
Pflegepflichtversicherung dem Leistungsniveau der Sozialhilfe im Wesentlichen angenähert ist (vgl. § 23 Abs. 1 Satz
2 SGB XI sowie § 68 BSHG bzw. § 61 SGB XII).
137
cc) Schließlich gilt auch für die Krankheitskostenversicherungen der Kinder nichts anderes, da für diese eine
Entlastung in § 10 EStG überhaupt nicht vorgesehen ist.
138
3. Die in § 10 Abs. 3 Nr. 1, 2 und 4 EStG für Beiträge zu privaten Kranken- und Pflegepflichtversicherungen
niedergelegten Höchstbeträge sind auch nicht aus legitimen Erwägungen einer gesetzgeberischen Typisierung im
Massenverfahren gerechtfertigt.
139
a) Der Gesetzgeber ist auch im Bereich der Beiträge zu privaten Kranken- und Pflegeversicherungen zu
typisierenden Lösungen befugt. Dies gilt insbesondere etwa bei der Frage, ob und in welchem Umfang das
Versorgungsniveau privater Krankenversicherungen über dem Sozialhilfeniveau liegt oder ob Privatversicherte nicht
jedenfalls auf das Beitragsniveau eines ihnen zugänglichen sozialhilfegleichen Standard- oder Basistarifs verwiesen
werden können.
140
Darüber hinaus darf der Gesetzgeber die naheliegenden Schlussfolgerungen aus der Gesetzgebungsgeschichte des
§ 10 Abs. 3 EStG ziehen. Zwar ist dem Bundesfinanzhof darin zu folgen, dass ein einheitlicher Höchstbetrag für alle
Steuerpflichtigen, wie ihn das Einkommensteuerrecht etwa im Grundfreibetrag und im Kinderfreibetrag kennt, im
Hinblick auf die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge ausscheidet - jedenfalls sofern man nicht einen aus
fiskalischer Sicht illusorisch hohen Betrag wählt. Das heißt aber nicht, dass der Gesetzgeber alle möglichen
Versicherungskonstellationen im Einzelnen in § 10 EStG auszudifferenzieren hat. Hier sind vielmehr eine Reihe
unterschiedlicher Typisierungs- und Pauschalierungsmethoden denkbar.
141
b) Es ist dem Gesetzgeber jedoch verwehrt, die von ihm durch das sozialhilferechtlich garantierte
Versorgungsniveau selbst statuierte Sachgesetzlichkeit dadurch zu durchbrechen, dass er bei der Berücksichtigung
entsprechender Versicherungsbeiträge der Steuerpflichtigen Grenzen zieht, die durch vernünftige
Typisierungserwägungen nicht mehr zu begründen sind. Dabei ist zu beachten, dass typisierende Regelungen im
Bereich des Existenzminimums in möglichst allen Fällen den entsprechenden Bedarf abdecken (vgl. BVerfGE 82,
60 <91>; 87, 153 <172>).
142
aa) Diese Grenzen sind im vorliegenden Fall hinsichtlich der Beiträge zur privaten Krankenversicherung der Kinder
offensichtlich überschritten, wenn unter Berufung auf die Beitragsfreiheit von ca. 90% aller Kinder aufgrund der
Familienversicherung nach § 10 SGB V alle privat krankenversicherten Kinder vollständig „hinwegtypisiert“ werden.
143
bb) Sie sind aber auch hinsichtlich der Kranken- und Pflegepflichtversicherungsbeiträge der Steuerpflichtigen selbst
überschritten. Die im Höchstbetrag von § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG enthaltene
Typisierung ist ungeachtet der dabei gegebenen Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers nachvollziehbar
auszurichten an den existenznotwendigen Kranken- und Pflegeversicherungsaufwendungen der Steuerpflichtigen.
Eine derart begründete Typisierungsentscheidung hat der Gesetzgeber bisher nicht getroffen.
E.
I.
144
Die Gründe, die zur Verfassungswidrigkeit von § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG in
der für den Veranlagungszeitraum 1997 geltenden Fassung führen, treffen auch auf die nachfolgenden Fassungen zu.
Das gilt insbesondere auch für die durch das Alterseinkünftegesetz vom 5. Juli 2004 (BGBl I S. 1427) geschaffene
Nachfolgeregelung in § 10 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 4 EStG. Die in § 10 Abs. 4 EStG
genannten Beträge von 2.400 € (ungekürzt) sowie 1.500 € (gekürzt) mit Addition der jeweiligen Beträge bei
Zusammenveranlagung, die sich wiederum auf sehr unterschiedliche Vorsorgeaufwendungen beziehen, wurden vom
Gesetzgeber erkennbar vorwiegend fiskalisch bestimmt und nicht im Hinblick auf das steuerfrei zu stellende
Existenzminimum realitätsgerecht bemessen (vgl. Abschlussbericht der Sachverständigenkommission zur
Neuordnung der steuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen, BMF-
Schriftenreihe, Band 74, 2003, S. 34; BTDrucks 15/2150, S. 35; BTDrucks 15/3004, S. 18). In entsprechender
Anwendung des § 78 Satz 2 BVerfGG sind im Interesse der Rechtsklarheit Rechtsfolgen auch für diese
Nachfolgeregelungen auszusprechen (vgl. BVerfGE 8, 51 <71>; 114, 371 <394>).
II.
145
1. Der Verstoß einer Norm gegen das Grundgesetz kann entweder zur Nichtigerklärung nach § 78 BVerfGG oder
dazu führen, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit oder die Unvereinbarkeit mit dem
Grundgesetz feststellt (vgl. § 31 Abs. 2, § 79 Abs. 1 BVerfGG). Eine bloße Unvereinbarkeitserklärung kommt vor
allem dann in Betracht, wenn der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu
beseitigen (vgl. BVerfGE 99, 280 <298>; 105, 73 <133>; 107, 27 <57>; 117, 1 <69>; stRspr). Das ist hier der Fall, da
der Gesetzgeber nach Maßgabe der vorstehenden Gründe erhebliche Typisierungsspielräume bei der Bestimmung der
genauen Höhe der abzugsfähigen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge hat.
146
2. Wird eine Norm mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärt, folgt daraus in der Regel, dass sie im Umfang der
festgestellten Unvereinbarkeit von Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht mehr angewendet werden darf und der
Gesetzgeber rückwirkend eine verfassungskonforme Regelung für alle noch nicht bestandskräftigen Entscheidungen
zu treffen hat (vgl. BVerfGE 87, 153 <178>; 99, 280 <298>; 107, 27 <58>; 117, 1 <70>). Eine befristete
Fortgeltungsanordnung kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hingegen aus
Gesichtspunkten einer geordneten Finanz- und Haushaltsplanung (vgl. BVerfGE 87, 153 <178 ff.>; 93, 121 <148 f.>;
105, 73 <134>; 117, 1 <70>) sowie dann in Frage, wenn die Verfassungsrechtslage bisher nicht hinreichend geklärt
war und dem Gesetzgeber aus diesem Grund eine angemessene Frist zur Schaffung einer Neuregelung zu gewähren
ist (BVerfGE 84, 239 <284>; vgl. auch BVerfGE 110, 94 <138>). Beides ist hier der Fall. Wie das Bundesministerium
der Finanzen nachvollziehbar dargelegt hat, hätte die Nichtigerklärung von § 10 Abs. 3 EStG im hier
verfahrensgegenständlichen
Umfang
nicht
vertretbare
fiskalische
Auswirkungen.
Zudem
war
die
Verfassungsrechtslage bisher nur hinsichtlich des sächlichen Existenzminimums hinreichend durch die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Aus diesen Gründen war eine Fortgeltung der angegriffenen
Vorschriften bis zum 31. Dezember 2009 anzuordnen.
147
Bei der Neuordnung des Abzugs von Sonderausgaben ist klarzustellen, welcher Anteil eines Höchstbetrags
ausschließlich oder vorrangig für existenznotwendige Kranken- und Pflegversicherungsbeiträge zur Verfügung steht.
Der Gesetzgeber hat auch die Anforderungen an eine folgerichtige steuerrechtliche Verschonung des
Existenzminimums der gesetzlich kranken- und pflegeversicherten Steuerpflichtigen zu beachten und dabei zu
berücksichtigen, wie weit das Leistungsniveau dieser Sozialversicherungszweige dem der Sozialhilfe bzw. der
Grundsicherung für Arbeitsuchende angenähert ist.
Hassemer
Broß
Osterloh
Di Fabio
Mellinghoff
Lübbe-Wolff
Gerhardt
Landau