Urteil des BVerfG vom 17.10.2013

BVerfG: verfassungsbeschwerde, erlass, bestätigung, abstimmung, stiftung, aktiengesellschaft, gewalt, verhinderung, zustand, unternehmen

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1978/13 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der M… AG,
vertreten durch Herrn B… und Herrn M…,
des Herrn B…,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte HammPartner,
Wolfsgangstraße 92, 60322 Frankfurt am Main -
1. unmittelbar gegen
a) den Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 23. August 2013 -
36s IN 2196/13 -,
b) das Schreiben des Amtsgerichts Charlottenburg vom 6. August 2013 - 36s
IN 2196/13 -,
c) den Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 6. August 2013 -
36s IN 2196/13 -,
2. mittelbar gegen
§§ 6, 34 der Insolvenzordnung
hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Gerhardt,
die Richterin Hermanns
und den Richter Müller
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 17. Oktober 2013 einstimmig
beschlossen:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe:
I.
1
1. Die Beschwerdeführerin zu 1., eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts, ist
Kommanditistin mit einem Anteil von 39 % am Kommanditkapital der S… GmbH & Co. KG
(Schuldnerin), an der ferner beteiligt sind eine Stiftung, die die übrigen Kommanditanteile hält,
sowie als Komplementär eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, an der die
Beschwerdeführerin zu 1. zu 45 % und die Stiftung zu 55 % mittelbar beteiligt sind. Der
Beschwerdeführer zu 2. ist alleiniger Aktionär der Beschwerdeführerin zu 1.
2
Am 27. Mai 2013 beantragte die Schuldnerin bei dem Amtsgericht, wegen Überschuldung das
Insolvenzverfahren über ihr Vermögen zu eröffnen, die Eigenverwaltung anzuordnen und eine
Frist für die Vorlage eines Insolvenzplans zu setzen. Das Amtsgericht ernannte am selben Tag
einen vorläufigen Sachwalter, beauftragte diesen mit der Erstellung eines Gutachtens und setzte
eine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans. Am 6. August 2013 gingen das Gutachten und der
Insolvenzplan der Schuldnerin bei dem Amtsgericht ein, der unter anderem die Umwandlung der
Schuldnerin in eine Aktiengesellschaft vorsieht. Am selben Tag eröffnete das Amtsgericht das
Insolvenzverfahren und ordnete die Eigenverwaltung an.
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Mit ihrer dagegen und mittelbar gegen die §§ 6, 34 Insolvenzordnung (InsO) gerichteten
Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer im Wesentlichen, die im
Insolvenzplanverfahren gegebenen Möglichkeiten zum Eingriff in die Gesellschafterstellung
erforderten einen Ausgleich durch Einräumung entsprechender Verfahrensrechte bereits im
Insolvenzeröffnungsverfahren. Vor der Entscheidung über die Eröffnung hätte das Amtsgericht
Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Gutachten einräumen müssen. Der Ausschluss von
Rechtsmitteln gegen den Eröffnungsbeschluss sei unzulässig. Die eingeschränkten
Rechtsschutzmöglichkeiten nach §§ 251 und 253 InsO reichten nicht.
4
2. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 25. September 2013 einen Termin zur Erörterung des
Insolvenzplans und des Stimmrechts der Beteiligten sowie zur Abstimmung über den
Insolvenzplan auf den 22. Oktober 2013 angesetzt. Die Beschwerdeführer haben daraufhin mit
Schriftsatz vom 14. Oktober 2013 beantragt, im Wege einer einstweiligen Anordnung den
Beschluss des Amtsgerichts vom 25. September 2013 insoweit aufzuheben, als damit der
Termin zur Abstimmung über den Insolvenzplan auf den 22. Oktober 2013 festgesetzt wird, und
die Anberaumung eines neuen Termins zu untersagen, bis über die Verfassungsbeschwerde
entschieden ist.
II.
5
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bleibt ohne Erfolg.
6
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand
durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur
Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl
dringend geboten ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
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1. Dabei kann offenbleiben, ob ein Einschreiten des Bundesverfassungsgerichts schon deshalb
nicht dringend geboten ist, weil eine angemessene vorläufige Regelung in der
Fachgerichtsbarkeit erreichbar erscheint (vgl. BVerfGE 37, 150 <151>). Die Beschwerdeführer
tragen nicht vor, dass sie die Aufhebung des Termins zur Abstimmung über den Insolvenzplan
und die Aussetzung der Terminierung bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde
bei dem Amtsgericht beantragt haben.
8
2. Jedenfalls ist ein schwerer Nachteil, der den Beschwerdeführern allein aufgrund der
Durchführung des Abstimmungstermins droht und der im späteren Verlauf auch im Falle der
Begründetheit der Verfassungsbeschwerde nicht mehr verhindert oder rückgängig gemacht
werden kann, weder vorgetragen noch ersichtlich.
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a) Der Vortrag der Beschwerdeführer zur Irreversibilität der Folgen einer Annahme des
Insolvenzplans in dem Abstimmungstermin genügt nicht den auch für einen Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung geltenden Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG
(vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 12. September 2012 - 2 BvR 1824/12 -, juris,
Rn. 13). Sie führen aus, bei der im anstehenden Abstimmungstermin erwarteten
Beschlussfassung würden Fakten geschaffen. Die gesellschaftsrechtliche Zuordnung einer
Vielzahl von Vermögensgegenständen ändere sich, Kapitalerhöhungen oder die Bestellung
eines Vorstands könnten folgen. Erweise sich die Verfassungsbeschwerde als begründet, sei
eine vollständige Rückabwicklung dieser Änderungen aller Voraussicht nach weitgehend
unmöglich, jedenfalls aber mit außerordentlichen Schwierigkeiten verbunden. Damit werden
schwere Nachteile nur behauptet, nicht aber substantiiert vorgetragen. Konkrete Ausführungen
etwa zu den einfachrechtlichen Auswirkungen, die eine Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses
auf die Wirksamkeit des Insolvenzplans hätte, und zur rechtlichen oder faktischen (Un-
)Möglichkeit, die in dem Zeitraum zwischen dem Wirksamwerden des Insolvenzplans und einer
etwaigen Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses zu Ungunsten der Beschwerdeführer
eingetretenen rechtlichen Veränderungen rückgängig zu machen, fehlen. Sie wären aber
erforderlich, um das Gewicht der von den Beschwerdeführern befürchteten Nachteile beurteilen
zu können.
10
b) Überdies ist nicht erkennbar, dass den Beschwerdeführern irreversible Nachteile im Hinblick
auf die mit der Verfassungsbeschwerde als verletzt gerügten Rechte bereits deshalb drohen,
weil der Abstimmungstermin vor der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde
durchgeführt wird.
11
Die von den Beschwerdeführern als Nachteil angeführten, im gestaltenden Teil des
Insolvenzplans festgelegten Wirkungen treten gemäß § 254 Abs. 1 InsO erst mit der Rechtskraft
der Bestätigung des Insolvenzplans ein. Dem Wirksamwerden gehen nach dem
Regelungssystem der §§ 235 ff. InsO mehrere Verfahrensschritte voraus. Nach der Annahme
des Insolvenzplans durch die Beteiligten (§§ 244 bis 246a InsO) und gegebenenfalls der
Zustimmung des Schuldners (§ 247 InsO) bedarf der Plan der Bestätigung durch das
Insolvenzgericht (§ 248 InsO). Gegen den Beschluss, durch den der Insolvenzplan bestätigt wird,
steht den Gläubigern, dem Schuldner, und, wenn dieser keine natürliche Person ist, den am
Schuldner beteiligten Personen die sofortige Beschwerde zu (§ 253 Abs. 1 InsO). Nach § 4 InsO
in Verbindung mit § 574 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist durch das Landgericht die Rechtsbeschwerde
gegen die Beschwerdeentscheidung zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2
ZPO vorliegen (vgl. Braun/Frank, Insolvenzordnung, 5. Aufl. 2012, § 253 Rn. 18; Rattunde,
GmbHR 2012, S. 455 <460>; Fischer, NZI 2013, S. 513 <520> zur Unanfechtbarkeit - nur - der
Entscheidung nach § 253 Abs. 4 InsO).
12
Die nach §§ 251, 253 InsO geltenden Einschränkungen des Rechtsschutzes gegen den
Insolvenzplan führen nicht dazu, dass eine vorläufige Regelung durch das
Bundesverfassungsgericht bereits in dem derzeitigen Stand des Insolvenzverfahrens zur Abwehr
schwerer Nachteile dringend geboten wäre. Die notwendige gerichtliche Bestätigung des
Insolvenzplans bietet den Beschwerdeführern die Möglichkeit, sowohl ihre einfachrechtlichen
Einwände gegen den Insolvenzplan als auch ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die
gesetzliche Regelung des Insolvenzplanverfahrens einschließlich der
Rechtsschutzbeschränkungen vorzutragen und die - auch im Schrifttum (vgl. nur Brinkmann, WM
2011, S. 97 <100 ff.>; Fischer, NZI 2013, S. 513; Fölsing, ZInsO 2013, S. 1325; Landfermann,
WM 2012, S. 821 <829 ff.>; Madaus, ZGR 2011, S. 749 <759 ff.>; Karsten Schmidt, ZIP 2012,
S. 2085; vgl. ferner LG Frankfurt am Main, ZIP 2013, S. 1831, Rn. 67 ff. bei juris, mit zahlreichen
weiteren Nachweisen) - kontroverse Beurteilung der durch das Gesetz zur weiteren
Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7. Dezember 2011 (BGBl I S. 2582)
erfolgten Änderungen der Insolvenzordnung einer fachgerichtlichen Klärung zuzuführen.
13
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Gerhardt
Hermanns
Müller