Urteil des BVerfG vom 25.01.2014

BVerfG: rechtliches gehör, vollziehung, aussetzung, verfassungsbeschwerde, umdeutung, rechtswegerschöpfung, akte, hauptsache, eng, rücknahme

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1126/11 -
Bundesadler
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn O…
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Canenbley und Canenbley,
Jürgensort 10, 49074 Osnabrück -
gegen
a)
den Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 18. März
2011 - 11 V 498/10 -,
b)
den Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 7.
Februar 2011 - 11 V 498/10 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof,
den Richter Eichberger
und die Richterin Britz
am 25. Januar 2014 einstimmig beschlossen:
1. Der Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 7. Februar 2011 - 11 V 498/10 -
verletzt den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Artikel 103
Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache an das
Niedersächsische Finanzgericht zurückverwiesen.
Damit wird der Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 18. März 2011 - 11
V 498/10 - gegenstandslos.
2. Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu
erstatten.
3. Der Gegenstandswert wird auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft zwei Beschlüsse des Niedersächsischen Finanzgerichts.
Der Kostenbeschluss und der Beschluss über die hiergegen erhobene Anhörungsrüge sind in
einem Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung eines Haftungsbescheids ergangen,
nachdem beide Seiten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt hatten.
I.
2
Das Finanzamt H. nahm den Beschwerdeführer als ehemaligen Geschäftsführer einer Limited-
Gesellschaft für Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag in Anspruch. Der Beschwerdeführer
legte fristgemäß Einspruch ein und begründete diesen.
3
Am 16. November 2010 kündigte das Finanzamt gegenüber dem Beschwerdeführer die
Vollstreckung des Haftungsbescheids an. Der Beschwerdeführer beantragte beim Finanzamt mit
Anwaltsschriftsatz vom 22. November 2010 die Aussetzung der Vollziehung. Nach Ablauf der
von ihm gesetzten Frist stellte der Rechtsanwalt und Bevollmächtigte des Beschwerdeführers
am 8. Dezember 2010 einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim Finanzgericht.
4
In einem Schreiben, das dem Bevollmächtigten am 9. Dezember 2010 zuging, verwies das
Finanzamt darauf, dass über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung noch nicht entschieden
worden sei und die mit dem Haftungsbescheid festgesetzten Beträge bis zur Entscheidung fällig
und vollstreckbar blieben.
5
Mit Bescheid vom 10. Dezember 2010 hob das Finanzamt den Haftungsbescheid auf. Vor
diesem Hintergrund erklärten der Beschwerdeführer und das Finanzamt die Hauptsache
schließlich für erledigt. Sie beantragten, die Kosten des Verfahrens dem jeweils anderen
Beteiligten aufzuerlegen.
II.
6
1. In dem angegriffenen Beschluss des Finanzgerichts vom 7. Februar 2011 entschied die
Berichterstatterin, dass der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens zu tragen habe. Dies
entspreche billigem Ermessen, denn der Antragsteller habe, ohne vorher beim Finanzamt die
Aussetzung der Vollziehung zu beantragen, unmittelbar einen Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO
gestellt. Es entspreche allgemeinem Gerechtigkeitsempfinden, bei der Entscheidung über die
Kostenlast insbesondere den Umstand zu berücksichtigen, dass die Gerichtskosten vermeidbar
gewesen wären, wenn der Antragsteller sich rechtzeitig an das Finanzamt gewandt hätte.
7
2. Der Beschwerdeführer erhob durch seinen Bevollmächtigten „Gegenvorstellungen gegen den
Beschluss vom 07.02.2011 mit Rücksicht auf Artikel 103 Absatz 1 GG“. Das Gericht habe Vortrag
des Beschwerdeführers übersehen. Mit Schreiben vom 22. November 2011 sei bereits
gegenüber dem Finanzamt die Aussetzung der Vollziehung beantragt und die Antragstellung bei
Gericht angekündigt worden. Da ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG natürlich nur auf einem
Versehen des Gerichts beruhen könne, rechne man „mit der Abänderung der Entscheidung vom
07.02.2011 allein aufgrund dieser Gegenvorstellungen“.
8
In einem Hinweisschreiben vom 28. Februar 2011 wies die Berichterstatterin unter anderem
darauf hin, ihres Erachtens sei der außerordentliche Rechtsbehelf der „Gegenvorstellung“ gegen
die rechtskräftige Kostenentscheidung des Gerichts mit der Begründung eines Verstoßes gegen
Art. 103 Abs. 1 GG unzulässig. Ein möglicher Verstoß des Gerichts gegen den Anspruch auf
rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) hätte allenfalls in Form der Anhörungsrüge gemäß § 133a
FGO geltend gemacht werden können. Eine Umdeutung scheide nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs aus (Hinweis auf Beschluss des BFH vom 21.
Dezember 2006 - V S 33/06 -, BFH/NV 2007, S. 747).
9
In dem angegriffenen Beschluss vom 18. März 2011 verwarf das Finanzgericht die
Gegenvorstellung als unzulässig. Im Tatbestand des Beschlusses wird erwähnt, der
Beschwerdeführer habe am 22. November 2010 beim Finanzamt und am 9. Dezember 2010
beim Finanzgericht die Aussetzung der Vollziehung beantragt. Die „Gegenvorstellung“ habe
keinen Erfolg. Seit dem 1. Januar 2005 könne, um eine Gehörsverletzung zu rügen, nur noch die
fristgebundene Anhörungsrüge (§ 133a FGO) erhoben werden. Die Statthaftigkeit der
Gegenvorstellung neben der Anhörungsrüge könne der Senat offenlassen. Die
Gegenvorstellung komme allenfalls bei schwerwiegenden Grundrechtsverstößen oder Fehlen
jeglicher gesetzlicher Grundlage in Betracht. Soweit der Beschwerdeführer geltend mache, das
Gericht sei in seiner Kostenentscheidung von einem falschen Sachverhalt ausgegangen, weil er
bereits vor seinem gerichtlichen Antrag auch beim Finanzamt einen Antrag auf Aussetzung der
Vollziehung gestellt habe, könne er damit im Verfahren der Gegenvorstellung nicht gehört
werden. Denn es handle sich um Einwendungen, die das rechtliche Gehör beträfen und damit
nach der gesetzgeberischen Entscheidung nur im Rahmen einer Anhörungsrüge gemäß § 133a
FGO gewürdigt werden könnten.
10
Eine Umdeutung der von fachkundigen Prozessvertretern ausdrücklich als solche erhobenen
Gegenvorstellung in eine Anhörungsrüge scheide aus (Hinweis auf den BFH-Beschluss vom 21.
Dezember 2006 - V S 33/06 - sowie auf die dort zitierten weiteren BFH-Beschlüsse vom 30. Juni
2005 - III B 63/05 -, vom 6. Juli 2005 - VII S 30/05 - und vom 10. August 2005 - XI S 2/05 -). Es sei
ein Gebot der Rechtssicherheit, Rechtskundige mit ihrer Prozesserklärung beim Wort zu nehmen
(Hinweis auf BFH-Beschluss vom 4. November 2008 - V B 114/08 -, BFH/NV 2009, S. 400).
III.
11
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer Verstöße gegen das Willkürverbot
und gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
12
Aufgrund der mit Verstößen gegen Art. 103 GG begründeten Gegenvorstellungen sei der
Rechtsweg erschöpft. Die Gegenvorstellungen hätten als ein Rechtsmittel gemäß § 133a FGO
umgedeutet oder ausgelegt werden müssen.
13
Die Kostenentscheidung verstoße gegen das Willkürverbot, weil sie jeder gesetzlichen
Grundlage entbehre. Entgegen seiner ursprünglichen Position habe das Finanzamt
nachgegeben, indem es die Grundlage für die Vollstreckungsankündigung, den
Haftungsbescheid, aufgehoben habe. Es sei kein Argument denkbar, welches bei der
Kostenentscheidung zu seinen Lasten eingesetzt werden könnte. Das Gericht habe ein solches
Argument auch nicht vorgebracht.
IV.
14
Das Niedersächsische Justizministerium und das Finanzamt H. hatten Gelegenheit zur
Äußerung. Dem Bundesverfassungsgericht liegt die Akte des Ausgangsverfahrens vor.
V.
15
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und gemäß der bereits vorliegenden Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts in einer die Kammerzuständigkeit begründenden Weise
offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
16
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere steht der Grundsatz der
Rechtswegerschöpfung ihrer Zulässigkeit nicht entgegen.
17
a) Wird mit der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
(Art. 103 Abs. 1 GG) geltend gemacht, so gehört eine Anhörungsrüge an das Fachgericht zu dem
Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gemäß
§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG im Regelfall abhängig ist (vgl. BVerfGE 122, 190 <198>; 126, 1
<17>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 16. Juli 2013 - 1 BvR 3057/11 -, NJW 2013,
S. 3506 <3507 Rn. 22>).
18
Die Frage der ordnungsgemäßen Rechtswegerschöpfung betrifft die Zulässigkeit der
Verfassungsbeschwerde, deren Voraussetzungen das Bundesverfassungsgericht in eigener
Zuständigkeit zu prüfen und über die es allein zu entscheiden hat. Aus der fachgerichtlichen
Verwerfung eines Rechtsbehelfs als unzulässig kann daher nicht automatisch geschlossen
werden, der Rechtsweg sei nicht ordnungsgemäß erschöpft worden (vgl. BVerfGE 128, 90
<99 f.>; BVerfGK 11, 203 <205 f.>; Lenz/Hansel, BVerfGG, 1. Auflage 2013, § 90 Rn. 428 ff.).
19
b) Hiervon ausgehend hat der Beschwerdeführer trotz der Bezeichnung seines Rechtsbehelfs
als „Gegenvorstellungen“ dem Erfordernis der Anhörungsrüge genügt und den Rechtsweg
gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG in ordnungsgemäßer Weise erschöpft.
20
aa) Die Anhörungsrüge gemäß § 133a FGO war zur Geltendmachung des gerügten
Gehörsverstoßes notwendig, da es sich bei einer Kostenentscheidung im Anschluss an
übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten um eine Endentscheidung im Sinne
des § 133a Abs. 1 FGO handelt, gegen die ein Rechtsbehelf zum Bundesfinanzhof nicht eröffnet
ist (vgl. § 128 Abs. 4 Satz 1 FGO). Die Anhörungsrüge war, wie sich aus den nachfolgenden
Beschlussgründen ergibt, auch nicht offensichtlich aussichtslos.
21
Der entsprechende Schriftsatz des Bevollmächtigten ging innerhalb der Zweiwochenfrist des
§ 133a Abs. 2 Satz 1 FGO beim Finanzgericht ein.
22
bb) Der in dem Schreiben des Bevollmächtigten vom 23. Februar 2011 als Gegenvorstellung
bezeichnete Rechtsbehelf erweist sich bei der gebotenen wohlwollenden Auslegung als
Anhörungsrüge.
23
Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO, der in allen Verfahren zu beachten ist, darf das Finanzgericht
über das Klage- oder Antragsbegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge
nicht gebunden (vgl. Stapperfend, in: Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 96 Rn. 5). Maßgeblich ist das
aus dem Gesamtvorbringen durch Auslegung zu ermittelnde Rechtsschutzziel (vgl. zu dem § 96
Abs. 1 Satz 2 FGO entsprechenden § 88 VwGO den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts
vom 12. März 2013 - BVerwG 5 B 9/13 -, juris). Geleitet durch Art. 19 Abs. 4 GG ist die Auslegung
grundsätzlich wohlwollend am erkennbaren Rechtsschutzanliegen zu orientieren (vgl. BVerfG,
Beschluss des Ersten Senats vom 16. Juli 2013 - 1 BvR 3057/11 -, NJW 2013, S. 3506 <3507
Rn. 25>).
24
Bei einer Gegenvorstellung, mit der eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG gerügt wird, spricht
schon auf den ersten Blick sehr viel für das Vorliegen einer Anhörungsrüge. Dass der
Beschwerdeführer trotz fehlender Bezeichnung eine Anhörungsrüge erhoben hat, ist bereits
daraus ersichtlich, dass das Finanzgericht die das rechtliche Gehör betreffenden Einwendungen
als solche erkannt und benannt hat. Die Auslegung des Schriftsatzes vom 23. Februar 2011 als
Anhörungsrüge entspricht hier dem klar erkennbaren Willen des Beschwerdeführers. Dessen
„Gegenvorstellungen“ dienten allein der Geltendmachung einer Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör. Die diesbezügliche Rüge kommt in der zweimaligen ausdrücklichen
Bezugnahme auf Art. 103 Abs. 1 GG eindeutig zum Ausdruck.
25
Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung des Finanzgerichts, es liege ein Verfahren der
Gegenvorstellung vor, die das rechtliche Gehör betreffenden Einwendungen des
Beschwerdeführers könnten jedoch nur im Rahmen der nicht erhobenen Anhörungsrüge
gewürdigt werden, zu eng (vgl. Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 133a FGO, Rn. 6; Ruban, in:
Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 133a Rn. 12 a.E.; Lenz/Hansel, BVerfGG, 1. Aufl. 2013, § 90 Rn.
424; vgl. auch BVerfGK 13, 480 <481> und Beschluss des Verfassungsgerichts des Landes
Brandenburg vom 28. September 2006 - VfGBbg 17/06 -, juris); sie wird dem aus Art. 19 Abs. 4
GG folgenden Grundsatz wohlwollender Auslegung prozessualer Anträge im Sinne des
erkennbaren Rechtsschutzanliegens nicht gerecht.
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Da sich das erkennbare Rechtsschutzziel der „Gegenvorstellungen“ als Anhörungsrüge durch
Auslegung eindeutig erschließt, stellt sich hier nicht die - in der Rechtsprechung der
Fachgerichte verneinte - Frage nach der Möglichkeit einer Umdeutung der Prozesserklärung
eines rechtskundigen Beraters. Zwar ist der vor dem Bundesfinanzhof postulationsfähige
Personenkreis (vgl. § 62 Abs. 4 FGO) grundsätzlich beim Wort zu nehmen (vgl. Beschlüsse des
Bundesfinanzhofs vom 21. Dezember 2006 - V S 33/06 -, BFH/NV 2007, S. 747, vom 21. August
2007 - X B 160/07 -, juris, vom 4. November 2008 - V B 114/08 -, BFH/NV 2009, S. 400, vom 11.
März 2009 - VI S 11/08 -, juris, vom 22. März 2011 - X B 198/10 -, BFH/NV 2011, S. 1166 und
vom 14. Februar 2012 - IV S 1/12 -, BFH/NV 2012, S. 967), ungeachtet dessen kann jedoch
dann, wenn ein Rechtsbehelf ausschließlich auf die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör gestützt wird, schon im Wege der Auslegung von einer Anhörungsrüge gemäß § 133a
FGO ausgegangen werden (so zur Auslegung einer „sofortigen Beschwerde“ als Anhörungsrüge
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 2. Oktober 2012 - I S 12/12 -, BFH/NV 2013, S. 733 unter
Bezugnahme auf das Gebot der rechtsschutzgewährenden Auslegung von Prozesserklärungen).
27
2. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, da das Finanzgericht den Anspruch des
Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt hat. Die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG
erfolgte bereits durch den ursprünglichen Kostenbeschluss vom 7. Februar 2011; der Beschluss
des Finanzgerichts vom 18. März 2011 hat sie nicht beseitigt.
28
a) Der Kostenbeschluss der Berichterstatterin vom 7. Februar 2011 verletzt Art. 103 Abs. 1 GG,
weil das Gericht entscheidungserheblichen Vortrag des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis
genommen hat.
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aa) Die Garantie rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der
Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 11, 218
<220>; 72, 119 <121>; 86, 133 <145>; 96, 205 <216>; BVerfGK 10, 41 <45>; stRspr). Hingegen
gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines
Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz
unberücksichtigt lassen (vgl. BVerfGE 21, 191 <194>; 70, 288 <294>; 96, 205 <216>; stRspr).
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene
Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die
Gerichte brauchen nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung
ausdrücklich zu bescheiden. Das Bundesverfassungsgericht kann nur dann feststellen, dass ein
Gericht seine Pflicht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, verletzt
hat, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (vgl. BVerfGE 22, 267
<274>; 96, 205 <216 f.>; stRspr).
30
Derartige besondere Umstände liegen hier vor. Die Berichterstatterin nahm im Kostenbeschluss
vom 7. Februar 2011 irrtümlich an, der Beschwerdeführer habe vor seinem Antrag beim
Finanzgericht keinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim Finanzamt gestellt.
Ausgehend von dieser nach Lage der Akte des Finanzgerichts unzutreffenden Annahme stützte
die Berichterstatterin die Kostentragung des Beschwerdeführers auf die Vermeidbarkeit der
Kostenentstehung.
31
bb) Der angegriffene Kostenbeschluss beruht auf der Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG. Es
kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Beachtung des rechtlichen Gehörs zu einer
anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung geführt hätte (vgl. BVerfGE 7, 239
<241>; 18, 147 <150>; 112, 185 <206>).
32
Gemäß § 138 Abs. 2 FGO sind die Kosten grundsätzlich der Behörde aufzuerlegen, soweit ein
Rechtsstreit dadurch erledigt wird, dass einem Antrag durch Rücknahme oder Änderung des
angefochtenen Verwaltungsakts stattgegeben wird. Es spricht sehr viel dafür, dass das
Finanzgericht, wenn es eine Anhörungsrüge als gegeben und als zulässig erhoben angesehen
hätte, diese auch für begründet erachtet hätte und auf diese Weise zu einer für den
Beschwerdeführer günstigeren Kostenentscheidung gelangt wäre. Insbesondere dürften beide -
jeweils für sich genommen hinreichenden - Varianten des § 69 Abs. 4 Satz 2 FGO (vgl. Koch, in:
Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 69 Rn. 76 ff.) erfüllt gewesen sein.
33
b) Die Gehörsverletzung ist durch den zweiten Beschluss des Finanzgerichts vom 18. März 2011
nicht geheilt worden. Zwar wurde der ursprüngliche Beschluss durch den Beschluss des Senats
auf der Tatbestandsebene dahin korrigiert, dass nunmehr der beim Finanzamt gestellte Antrag
des Beschwerdeführers auf Aussetzung der Vollziehung vom 22. November 2010 ausdrücklich
festgestellt wurde. Eine sachliche Würdigung nahm das Finanzgericht hiervon ausgehend
jedoch nicht vor. In den Gründen des Beschlusses führte es vielmehr aus, der Beschwerdeführer
könne im Verfahren der Gegenvorstellung nicht mit dem Einwand gehört werden, das Gericht sei
im Kostenbeschluss von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Es handle sich bei den
Einwendungen um solche, die das rechtliche Gehör beträfen, und damit nach der
gesetzgeberischen Entscheidung nur im Rahmen einer Anhörungsrüge gemäß § 133a FGO
gewürdigt werden könnten.
34
3. Gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG ist der
angegriffene Kostenbeschluss der Berichterstatterin vom 7. Februar 2011 aufzuheben und das
Verfahren zur erneuten Entscheidung an das Niedersächsische Finanzgericht
zurückzuverweisen. Der die Gehörsverletzung nicht heilende Beschluss vom 18. März 2011 wird
dadurch gegenstandslos, so dass es keiner Entscheidung bedarf, ob das Finanzgericht mit
seinem Festhalten an der Auslegung des ursprünglichen Rechtsbehelfs als Gegenvorstellung
Art. 19 Abs. 4 GG oder Art. 103 Abs. 1 GG verletzt hat. Ebenso kann hier offen bleiben, ob die
angegriffenen Entscheidungen gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.
VI.
35
Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die
Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1
RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).
Kirchhof
Eichberger
Britz