Urteil des BSG vom 13.02.2014

BSG: aufenthalt, kloster, unterbringung, vermieter, feststellungsklage, beiladung, leistungsklage, einfluss, überwachung, öffentlich

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 13.2.2014, B 8 SO 11/12 R
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23.
Februar 2012 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren beträgt 105 107,23 Euro.
Tatbestand
1 Im Streit ist (noch) die Erstattung von Sozialhilfekosten für die Zeit vom 19.10.2009 bis
zum 30.6.2010 in Höhe von 24 940,17 Euro, die der Kläger für den Leistungsempfänger B
P (P) als Eingliederungshilfe erbracht hat, und die zusätzliche Feststellung, dass der
Beklagte verpflichtet ist, die für P nach diesem Zeitpunkt angefallenen und anfallenden
Kosten der fortdauernden Maßnahme im Kloster E/C zu erstatten.
2 Bei dem im Juni 1990 geborenen P bestehen eine Intelligenzminderung leichter
Ausprägung und eine psychische Behinderung mit emotionaler Störung sowie eine
Verhaltensstörung mit Störung der Impulskontrolle und des Sozialverhaltens. Bis zum
7.8.2001 lebte er im Haushalt seiner Eltern (im Landkreis B). Anschließend war er auf
Kosten dieses Landkreises bis zum 30.9.2008 in verschiedenen Heimen untergebracht
(Heimerziehung nach dem Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe -
), zuletzt vom 17.9.2007 bis zum 30.9.2008 in der vollstationären intensiv-
pädagogischen Jugendwohngruppe D, einer Einrichtung des Jugendhilfezentrums Ve, die
im Landkreis V liegt.
3 Das Jugendhilfezentrum Ve traf während dieser Zeit mit dem Vermieter eines Hauses im
ca 15 km entfernten G, gelegen im Landkreis V, eine (formlose) Vereinbarung, wonach
dieser ein Haus für Jugendliche aus der Jugendwohngruppe zur Verfügung stellen sollte.
Auf der Basis eines Hilfeplangesprächs vom 21.8.2008 schloss der mittlerweile unter
Betreuung stehende P zum 1.10.2008 einen Mietvertrag mit dem Vermieter über ein
Zimmer mit Küche ab und zog zu diesem Zeitpunkt in das Haus ein; der Beklagte
bewilligte ab diesem Zeitpunkt Hilfe zur Persönlichkeitsentwicklung und
eigenverantwortlichen Lebensführung nach § 41 SGB VIII iVm § 34 SGB VIII in Form eines
betreuten Wohnens (Bescheid vom 16.10.2008).
4 Nach dem Einzug in G wurde P weiterhin durch eine Mitarbeiterin der Jugendwohngruppe
D betreut, und zwar morgens, wenn P nicht in der (18 km entfernten) Werkstatt für
behinderte Menschen (WfbM) erschien, die er an fünf Tagen in der Woche besuchte, und
nach Rückkehr aus der WfbM ab 17 Uhr bzw 17.30 Uhr bis gegen 21 Uhr bzw 22 Uhr. An
den Wochenenden nahm P regelmäßig am Programm der Jugendwohngruppe teil. Die
Nächte verbrachte P zunächst allein im Haus; zum 28.2.2009 wurde ein weiterer
Jugendlicher der Jugendwohngruppe in das Haus vermittelt. Im Dezember 2008 kehrte P
jedoch kurzfristig in die Jugendwohngruppe zurück und befand sich im Januar und
Februar 2009 jeweils für zwei Wochen sowie in der Folge ein weiteres Mal in stationärer
psychiatrischer Behandlung. Da er nicht in der Lage war, allein in dem Haus zu leben,
wurde er ab Mitte Juni 2009 übergangsweise wieder in der Jugendwohngruppe D
aufgenommen. Zum 19.10.2009 wurde P schließlich im Kloster E (gelegen im Landkreis
C) untergebracht, wo er seither lebt. Zu diesem Zeitpunkt stellte der Beklagte seine
Hilfegewährung ein (Bescheid vom 24.9.2009).
5 Bereits am 24.8.2009 hatte Ps Betreuer bei dem Beklagten die Gewährung von
Eingliederungshilfe im Rahmen der vollstationären Unterbringung im Kloster E beantragt.
Diesen Antrag leitete der Beklagte am selben Tag per E-Mail und am 16.9.2009 schriftlich
an den Kläger weiter, weil dieser wegen des letzten gewöhnlichen Aufenthalts in G für die
Leistungserbringung zuständig sei. Der Kläger gewährte Eingliederungshilfe unter
Bezugnahme auf § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe
behinderter Menschen - (SGB IX) als "zweitangegangener" Rehabilitationsträger und
Leistungen zum Lebensunterhalt (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
, weiterer notwendiger Lebensunterhalt in Form eines Barbetrags ua)
unter dem Vorbehalt des Aufwendungsersatzes (sog unechte Sozialhilfe nach § 19 Abs 5
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ). Eine beim Beklagten geltend
gemachte Erstattungsforderung lehnte dieser ab (Schreiben vom 9.10.2009).
6 Der anschließend erhobenen Klage hat das Sozialgericht (SG) Trier nach Erweiterung der
Klage um die Kosten der bis zum 30.6.2010 erbrachten Leistungen stattgegeben und den
Beklagten verurteilt, an den Kläger "die im Zeitraum vom 19.10.2009 bis 30.6.2010 für P
aufgewandten Kosten in Höhe von 24 940,17 Euro zu zahlen"; darüber hinaus hat es
festgestellt, dass der Beklagte auch zur Erstattung der nach diesem Zeitpunkt
"angefallenen Kosten für die Hilfe an P" verpflichtet sei (Urteil vom 24.8.2010).
7 Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz das
Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.2.2012). Zur
Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, ein Erstattungsanspruch nach § 106
Abs 1 Satz 1 SGB XII und nach § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX scheide aus. Nach § 98 Abs 2
Satz 1 SGB XII sei nämlich der Kläger für die Leistungserbringung zuständig gewesen,
weil P zuletzt vor der erneuten stationären Unterbringung seinen gewöhnlichen Aufenthalt
(§ 30 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - ) in G gehabt habe. Bei
dem Betreuten-Wohnen habe es sich nicht um einen Aufenthalt in einer Einrichtung
gehandelt. Die von P genutzte Unterkunft sei nach den Aussagen der vor dem SG
vernommenen Zeugen nicht in die Rechts- und Organisationssphäre des
Einrichtungsträgers, des Jugendhilfezentrums Ve, eingegliedert gewesen. Etwas anderes
ergebe sich auch nicht aus einem zwischen dem Landkreistag Rheinland-Pfalz und dem
Städtetag Rheinland-Pfalz im Jahre 1997 geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrag
über die Kostenerstattung bei der Finanzierung des Betreuten-Wohnens und einem
weiteren Vertrag aus dem Jahre 2005. Eine von den gesetzlichen Regelungen
abweichende rechtliche Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts sei unzulässig. Für
den hier vorliegenden Fall, dass der nach dem Gesetz zuständige Leistungsträger eine
Leistung erbracht habe, deren Kosten ein anderer Leistungsträger übernehmen solle, treffe
die Vereinbarung keine Regelung.
8 Mit seiner Revision rügt der Kläger, nachdem er die Klage auf Zahlung weiterer im
Revisionsverfahren geltend gemachter 75 167,06 Euro zurückgenommen hat, die
Verletzung des § 106 Abs 2 SGB XII und des § 98 Abs 2 SGB XII. Zu Unrecht sei das LSG
davon ausgegangen, dass P in G einen gewöhnlichen Aufenthalt iS des § 30 SGB I
begründet habe. Bei der Wohnung in G habe es sich vielmehr um eine dezentrale
Außenstelle einer stationären Einrichtung gehandelt, weil die Unterkunft der Rechts- und
Organisationssphäre des Einrichtungsträgers (Jugendhilfezentrum Ve) zugeordnet
gewesen sei. Zuständig sei deshalb der Beklagte, weil P vor seiner Aufnahme in die erste
stationäre Einrichtung am 8.8.2001 im dortigen Kreis seinen gewöhnlichen Aufenthalt
gehabt habe. Selbst wenn man von einer Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in
G ausgehe, sei der Beklagte zur Kostenerstattung aufgrund landesrechtlicher
Vereinbarungen der Sozialhilfeträger verpflichtet.
9 Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG
zurückzuweisen.
10 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
11 Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
12 Die zulässige Revision ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ).
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung der Kosten
anlässlich der Maßnahme im Kloster E, weil er selbst aufgrund einer Heranziehung zur
Leistungserbringung durch den zuständigen überörtlichen Sozialhilfeträger, das Land
Rheinland-Pfalz, die Leistungen in eigenem Namen zu erbringen hatte
(Wahrnehmungszuständigkeit); über Erstattungsansprüche gegen das Land (vgl §§ 5 Abs
2, 6 Landesgesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
vom 22.12.2004, Gesetz- und Verordnungsblatt 571) ist im vorliegenden
Verfahren mangels Beiladung des Landes (vgl § 75 Abs 5 SGG), die im
Revisionsverfahren nicht gerügt war (zu dieser Voraussetzung nur Leitherer in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 75 RdNr 13b mwN), nicht zu befinden.
13 Gegenstand des Verfahrens ist im Rahmen einer objektiven Klagehäufung (§ 56 SGG)
zum einen die Erstattung der für P erbrachten Aufwendungen in der Zeit vom 19.10.2009
bis 30.6.2010, die der Kläger mit der allgemeinen Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG)
geltend macht; an der in der Revisionsbegründungsschrift zunächst erklärten Erweiterung
des Zahlungsantrages um die danach angefallenen Kosten in Höhe von weiteren 75
167,06 Euro hat er nicht festgehalten. Zum anderen ist zulässigerweise Gegenstand die
prozessuale Feststellung der ab dem 1.7.2010 fortbestehenden Erstattungspflicht der
wegen der Maßnahme im Kloster E entstandenen Aufwendungen (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG:
Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses). Jedenfalls nach der
Konkretisierung des Feststellungsantrags, dass (lediglich) die Feststellung der
Erstattungspflicht für die fortdauernde Maßnahme im Kloster E begehrt werde, und der
Teilrücknahme der Klage insoweit (§ 102 Abs 1 SGG) ist die Feststellungsklage zulässig.
Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war dem Kläger für die nachfolgende Zeit nur die
Erhebung einer Klage mit dem Ziel der Feststellung künftiger Rechtsfolgen aus einem
bestehenden Rechtsverhältnis möglich. Er kann - davon ausgehend - nicht gezwungen
werden, die Feststellungsklage jederzeit und ggf immer aufs Neue dem Umstand
anzupassen, dass nach Klageerhebung auch eine Leistungsklage für weitere
zwischenzeitlich verflossene Zeiträume möglich wäre (vgl BSG SozR 4-5910 § 97 Nr 1
RdNr 12). Zulässig wäre auch die gerichtliche Feststellung der Erstattungspflicht erst nach
dem Senatsurteil entstehender (künftiger) Kosten bei Fortführung der Maßnahme (Keller in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 55 RdNr 8a mwN).
14 Auch sonstige von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensfehler liegen nicht vor;
eine Beiladung des P gemäß § 75 Abs 2 1. Alt SGG (echte notwendige Beiladung) war
nicht erforderlich (vgl zuletzt Urteil des Senats vom 25.4.2013 - B 8 SO 6/12 R -, juris RdNr
10 mwN). Eine echte notwendige Beiladung des Landes Rheinland-Pfalz als überörtlichen
Träger war ebenfalls nicht erforderlich, weil es an dem streitigen Rechtsverhältnis nicht
derart beteiligt ist, dass die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen
könnte.
15 Alle denkbaren Anspruchsgrundlagen für die Erstattung von Leistungen der
Eingliederungshilfe in stationären Einrichtungen - § 106 Abs 1 SGB XII iVm § 98 Abs 2
Satz 3 SGB XII (Erstattung für den Fall der vorläufigen Leistungserbringung bei
ungeklärtem gewöhnlichen Aufenthalt), § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX (Erstattungsanspruch für
den zweitangegangenen Träger der Rehabilitation), bzw die allgemeinen Vorschriften der
§§ 102 ff Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und
Sozialdatenschutz - - durch den Beklagten scheiden vorliegend aus, weil der
Kläger über eine Heranziehung durch den überörtlichen Sozialhilfeträger, das Land, bzw
ab 1.1.2013 selbst die Grundsicherungsleistungen zu erbringen hatte.
16 In Rheinland-Pfalz haben für die Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe in
stationären Einrichtungen die Landkreise und kreisfreien Städte aufgrund einer
Heranziehung des Landes als dem überörtlichen Sozialhilfeträger (vgl § 1 Abs 2 AGSGB
XII iVm § 3 Abs 3 SGB XII), der für stationäre Leistungen der Eingliederungshilfe sachlich
zuständig ist (§ 97 Abs 3 SGB XII iVm § 2 Abs 2 Nr 2 AGSGB XII), die
Wahrnehmungszuständigkeit; sie erbringen diese Leistungen insoweit in eigenem Namen
(§ 4 AGSGB XII). Das Land Rheinland-Pfalz hat nämlich die Landkreise und kreisfreien
Städte als örtliche Träger der Sozialhilfe (§ 3 Abs 2 SGB XII iVm § 1 Abs 1 AGSGB XII)
nach § 99 Abs 2 SGB XII iVm § 4 AGSGB XII zur Aufgabenwahrnehmung ua für
Leistungen der Eingliederungshilfe in stationären Einrichtungen herangezogen (vgl § 1
Erste Landesverordnung zur Durchführung des AGSGB XII vom 26.4.1967; zuletzt
geändert durch Art 3 des Gesetzes vom 28.9.2010 - GVBl 298); dies muss bis 31.12.2012
uneingeschränkt auch die Leistungen zum Lebensunterhalt (Grundsicherung, Hilfe zum
Lebensunterhalt) erfassen (vgl § 97 Abs 4 SGB XII iVm § 2 der Landesverordnung vom
26.4.1967). Für die Zuständigkeit bei Grundsicherungsleistungen gilt jedoch seit 1.1.2013
§ 46b SGB XII, der die Anwendung des § 97 Abs 4 SGB XII ausschließt; insoweit ergibt
sich gemäß § 2 Abs 1 und 3 AGSGB XII iVm § 46b Abs 1 SGB XII eine unmittelbare
sachliche Leistungszuständigkeit der örtlichen Sozialhilfeträger, also der Landkreise und
kreisfreien Städte. Das LSG hat die landesrechtlichen Vorschriften unberücksichtigt
gelassen, sodass der Senat nicht daran gehindert ist, die dem Grunde nach nicht
revisiblen (§ 162 SGG) Vorschriften seiner Entscheidung zugrundezulegen.
17 Die streitigen stationären Leistungen im Kloster E, die Hilfe zum Lebensunterhalt sowie
die Grundsicherungsleistungen hatte bzw hat auf der Grundlage dieser Regelungen in
jedem Fall der Kläger selbst zu erbringen. Dabei richtet sich gemäß § 98 Abs 2 Satz 1
SGB XII (in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer
Gesetze vom 2.12.2006 - BGBl I 2670 - und ab 1.1.2013 des Gesetzes zur Änderung des
SGB XII vom 20.12.2012 - BGBl I 2783) die örtliche Zuständigkeit für die stationäre
Leistung nach dem gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in eine
Einrichtung bzw dem gewöhnlichen Aufenthalt, der in den zwei Monaten vor der
Aufnahme zuletzt bestand. § 98 Abs 2 Satz 2 SGB XII bestimmt abweichend davon, dass
bei Einrichtungswechseln der gewöhnliche Aufenthalt, der für die erste Einrichtung
maßgebend war, für unmittelbar daran anschließende Aufenthalte in stationären
Einrichtungen im Rahmen einer sog Einrichtungskette entscheidend bleibt. Zuletzt vor der
(erneuten) Aufnahme in eine stationäre Einrichtung im Juni 2009 (in die
Jugendwohngruppe D) hatte P in G seinen gewöhnlichen Aufenthalt; dieser ist auch für
die Zuständigkeit wegen der am 19.10.2009 unmittelbar anschließenden stationären
Unterbringung im Kloster E der maßgebliche Anknüpfungspunkt. Ein bereits davor seit
dem 8.8.2001 durchgehender Aufenthalt in stationären Einrichtungen (zum fehlenden
gewöhnlichen Aufenthalt bei Unterbringung in einer stationären Einrichtung vgl § 109 SGB
XII), der - wie der Kläger meint - die Zuständigkeit des Beklagten - ausgehend von einem
letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Haushalt der Eltern - nach sich ziehen würde, liegt
nach den vom LSG festgestellten Umständen nicht vor. Trotz einer Betreuung durch die
Jugendwohngruppe D auch in G handelte es sich dort nicht um eine stationäre
Einrichtung.
18 Nach § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich
unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem
Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Dies traf für P in G zu; er hat sich dort unter
Umständen aufgehalten, die erkennen ließen, dass er an diesem Ort oder in diesem
Gebiet nicht nur vorübergehend verweilen wollte. Für die Begründung des gewöhnlichen
Aufenthalts dort ist unschädlich, dass er nur weniger als ein Jahr in dem Haus gelebt hat
und bereits kurze Zeit nach dem Einzug (im Oktober 2008) im Dezember 2008 sowie im
ersten Halbjahr des Jahres 2009 drei weitere Male kurzfristig in eine stationäre Einrichtung
aufgenommen werden musste; denn er hielt sich nach den Feststellungen des LSG im
Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs in dem Haus in G auf, was für die Begründung
eines gewöhnlichen Aufenthalts ausreichend ist (vgl nur BVerwGE 145, 257 ff RdNr 23
mwN; BSG, Urteil vom 20.12.2012 - B 7 AY 5/11 R -, RdNr 16; Urteil vom 25.4.2013 - B 8
SO 6/12 R -, RdNr 13). Auch § 109 SGB XII steht dem nicht entgegen. Danach gilt (Fiktion)
als gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des Zwölften Kapitels und des Dreizehnten Kapitels,
Zweiter Abschnitt, SGB XII (Zuständigkeitsregelungen und Kostenerstattungsregelungen
zwischen den Sozialhilfeträgern) ua nicht der Aufenthalt in einer Einrichtung iS von § 98
Abs 2 SGB XII.
19 Nach den Feststellungen des LSG hat es sich bei der Wohnung in G jedoch nicht um eine
stationäre Einrichtung gehandelt. Eine Einrichtung in diesem Sinne ist ein in einer
besonderen Organisationsform zusammengefasster Bestand von personellen und
sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft, der auf gewisse Dauer angelegt
und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist (BVerwGE 95, 149, 152;
BVerwG, Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 42/91 -, FEVS 45, 52 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C
13/91 -, FEVS 45, 183 ff; Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 17/91 -, ZfSH/SGB 1995, 535 ff; BSGE
106, 264 ff RdNr 13 = SozR 4-3500 § 19 Nr 2) und der Pflege, der Behandlung oder
sonstigen nach dem SGB XII zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dient (vgl § 13
Abs 2 SGB XII; näher dazu BSG SozR 4-5910 § 97 Nr 1 RdNr 15). Zwar können betreute
Personen auch in einer dezentralen Unterkunft stationär untergebracht sein; eine
dezentrale Unterkunft gehört in diesem Sinne allerdings nur dann zu den Räumlichkeiten
"der" Einrichtung, wenn die Unterkunft der Rechts- und Organisationssphäre des
Einrichtungsträgers so zugeordnet ist, dass sie als Teil des Einrichtungsganzen
anzusehen ist (BVerwG, Urteil vom 24.2.1994 - 5 C 42/91 -, FEVS 45, 52 ff). Die
Vorhaltung von Wohnraum durch den Träger der Einrichtung selbst ist also wesentliches
Merkmal einer Zuordnung zur "Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers".
Hierin kommt die räumliche Bindung an die Einrichtung zum Ausdruck, die auch dann
bestehen muss, wenn sich die Einrichtung nicht "unter einem Dach" befindet. Das war hier
nicht der Fall.
20 Insoweit handelt es sich nicht nur um eine Formalie, wie der Kläger meint. Auch wenn der
Abschluss des Mietvertrages zwischen P und dem Vermieter auf Vermittlung des
Jugendhilfezentrums Ve zustande gekommen ist, genügt dies für die vollständige
organisatorische Einordnung im Sinne einer "Außenwohnstelle" nicht. Soweit der Träger
der Einrichtung - und sei es nur, wie der Kläger vorträgt, um "die Finanzierung
abzusichern" - nicht die uneingeschränkte rechtliche Verantwortung für die Unterkunft
übernimmt, sondern der Fortbestand der Wohnmöglichkeit vom Bestand des
Mietverhältnisses zwischen Vermieter und Hilfebedürftigen abhängt, fehlt es an diesem
Merkmal. Es ist dem Träger, der die Betreuungsleistungen erbringt, dann rechtlich nicht
möglich, die Unterkunft uneingeschränkt einem wechselnden Personenkreis zur
Verfügung zu stellen. Die Vergabe der Unterkunft an andere Personen hängt nämlich
sowohl vom Einverständnis des Vermieters im Einzelfall als auch vom Einverständnis des
Hilfebedürftigen mit der Auflösung seines Mietvertrages ab. Schließlich bestand nach den
Feststellungen des LSG nicht schon im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung mit
dem Vermieter die Absicht, andere Jugendliche in dem Haus unterzubringen und also
eine "Außenwohnstelle" für einen wechselnden Personenkreis einzurichten.
21 Daraus, dass die Fähigkeit des P, außerhalb einer stationären Einrichtung zu leben, von
vornherein angezweifelt worden war, ist nicht zu schließen, es habe sich um eine
stationäre Wohnform gehandelt. Auch dass im Einzelfall die Kosten für die geleistete
Betreuung (zusammen mit den gesondert bewilligten Leistungen für den Lebensunterhalt
und die Unterkunft) den Umfang der Kosten einer (teil-)stationären Maßnahme erreichen
oder auch übersteigen, steht der Annahme einer ambulanten Betreuung nicht entgegen
(BSGE 106, 264 ff RdNr 17 = SozR 4-3500 § 19 Nr 2).
22 § 106 Abs 2 1. Alt SGB XII, wonach als Aufenthalt in einer stationären Einrichtung gilt,
wenn jemand (zwar) außerhalb der Einrichtung untergebracht wird, aber in ihrer Betreuung
bleibt, greift nicht ein; deshalb ergibt sich über diese Norm iVm § 109 SGB XII kein
Ausschluss des gewöhnlichen Aufenthalts. § 106 Abs 2 1. Alt SGB XII erweitert den
Aufenthalt in einer stationären Einrichtung - neben den Fällen der Beurlaubung aus dieser
Einrichtung - um die Fälle, in denen der Aufenthalt in der stationären Einrichtung zwar
beendet ist, wegen der Fortdauer der Betreuung durch diese Einrichtung die
anschließende Unterbringung diesem Aufenthalt aber gleichsteht.
23 Von § 106 Abs 2 1. Alt SGB XII werden zwar gerade auch Wohnmöglichkeiten erfasst, die
nicht unmittelbar zur Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers gehören,
etwa eine Unterbringung in einer Pflegefamilie oder einer Ausbildungsstätte. Für die
Anwendung des § 106 Abs 2 1. Alt SGB XII ist aber nicht jede Art der Betreuung durch die
bisherige Einrichtung ausreichend; vielmehr ist nach Sinn und Zweck der Regelung
(Schutz des Ortes, der stationäre Leistungen bzw gleichstehende Leistungen anbietet)
eine ständige Überwachung durch die Einrichtung (ggf unter Einschaltung dritter Stellen)
erforderlich, wobei der Einrichtung ein bestimmender Einfluss bleiben muss.
Gelegentliche Maßnahmen rechtfertigen die Gleichstellung mit der stationären Einrichtung
nicht; die Unterbringung außerhalb der Einrichtung muss im Ergebnis qualitativ einer
stationären Leistungserbringung in der Einrichtung entsprechen (vgl: W. Schellhorn in
Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 106 SGB XII RdNr 21; Wahrendorf
in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 106 SGB XII RdNr 18; Böttiger in jurisPK
SGB XII, 2. Aufl 2014, § 106 SGB XII RdNr 125 f). Nach den Feststellungen des LSG sind
auch diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Der Tagesablauf von P war in wesentlichen
Teilen nicht von der Einrichtung vorgegeben; ein "bestimmender Einfluss" bei seiner
Betreuung fehlte. Die morgendliche Betreuung beschränkte sich darauf, dass eine
Mitarbeiterin des Jugendhilfezentrums Ve, die vor Ort wohnte, sich dann um P kümmerte,
wenn dieser nicht selbständig in der WfbM erschienen war. Allein die abendliche
Betreuung, die das LSG im Wesentlichen mit unterstützenden Hilfeleistungen bei der
Führung des Haushalts (Aufstellen eines Essensplanes, gemeinsames Einkaufen etc)
beschrieben hat, genügt nicht den rechtlichen Anforderungen an eine Betreuung im Sinne
einer ständigen Überwachung.
24 Die tatsächlichen Feststellungen des LSG hat der Kläger nicht mit durchgreifenden
Verfahrensrügen angegriffen. Soweit er vorträgt, aus den Aussagen des Leiters der
Jugendwohngruppe und des Betreuers von P seien andere tatsächliche Schlüsse zu
ziehen, als sie das LSG vorgenommen hat, rügt er die Beweiswürdigung durch das LSG,
die der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen ist.
25 Eine andere örtliche Zuständigkeit für stationäre Leistungen ergibt sich nicht unter
Berücksichtigung des Normzwecks von § 98 Abs 5 SGB XII durch eine analoge
Anwendung des § 98 Abs 2 Satz 2 SGB XII. Nach § 98 Abs 5 SGB XII ist für die
Leistungen nach diesem Buch an Personen, die Leistungen nach dem Sechsten bis
Achten Kapitel in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, der Träger
der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war
oder gewesen wäre. Mit dieser Norm wurde - anders als noch unter Geltung des
Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) - für Ambulant-betreutes-Wohnen eine der Regelung
für stationäre Leistungen in § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII vergleichbare Regelung mit
Wirkung ab 1.1.2005 geschaffen. Wäre über § 98 Abs 2 Satz 1 SGB XII hinaus § 98 Abs 2
Satz 2 SGB XII analog anwendbar, wäre im Rahmen einer sog gemischten Kette zwischen
Einrichtungen und Ambulant-betreutem-Wohnen (vgl dazu BSG, Urteil vom 25.4.2013 - B
8 SO 6/12 R - RdNr 15) vorliegend auf den letzten gewöhnlichen Aufenthalt vor Eintritt in
die erste Einrichtung (bis 7.8.2001) im Landkreis B abzustellen. Ob eine solche Analogie
gerechtfertigt ist, hat der Senat bislang offen gelassen (BSG, aaO, RdNr 16). Einer
Entscheidung hierüber bedarf es auch jetzt nicht; denn mit Rücksicht auf § 98 Abs 5 Satz 2
SGB XII, wonach vor Inkrafttreten des Gesetzes bestimmte Zuständigkeiten unberührt
bleiben, wäre der Kläger ebenfalls zuständig, weil bei einem einheitlichen,
ununterbrochenen Bedarfsfall des Betreuten-Wohnens, der vor dem 1.1.2005 begonnen
hat, die Regelungen des BSHG über die örtliche Zuständigkeit weitergelten würden (vgl
BSGE 109, 56 ff RdNr 18 = SozR 4-3500 § 98 Nr 1). Da das BSHG andererseits eine § 98
Abs 5 SGB XII vergleichbare Norm für das Ambulant-betreute-Wohnen nicht kannte,
verbliebe es auch unter Anwendung des § 97 BSHG dabei, dass auf den gewöhnlichen
Aufenthalt (nur) bei Beginn der (eigentlichen) Einrichtungskette - ohne das Ambulant-
betreute-Wohnen - abzustellen wäre (vgl BSG, aaO, RdNr 16), vorliegend mithin auf die
Zeit in G
26 Die Zuständigkeit für die stationären Leistungen hat andererseits die sachliche
Zuständigkeit für andere Leistungen gemäß § 97 Abs 4 SGB XII zur Folge. Ob mit
Rücksicht auf den Sinn des § 97 Abs 4 SGB XII, wegen des Wegfalls von § 27 Abs 3
BSHG (Hilfe zum Lebensunterhalt als Bestandteil der Hilfe in "besonderen Lebenslagen")
die Zuständigkeit zweier Leistungsträger zu vermeiden (BT-Drucks 15/1514, S 67 zu § 92),
eine analoge Anwendung dieser Vorschrift (oder des § 98 Abs 2 SGB XII) für Leistungen
des Lebensunterhalts während stationärer Maßnahmen bei Auseinanderfallen der
örtlichen Zuständigkeit gerechtfertigt ist, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls müssen
die landesrechtlichen Vorschriften über die Heranziehung der Landkreise und kreisfreien
Städte (dazu siehe oben) im Lichte des § 97 Abs 4 SGB XII so ausgelegt werden, dass
nicht gerade aus der Heranziehung des örtlichen Sozialhilfeträgers eine unterschiedliche
Leistungs-/Wahrnehmungszuständigkeit resultiert. Welche Leistungen im Einzelnen
neben der stationären Leistung erbracht worden sind bzw erbracht werden, ist vom LSG
nicht festgestellt. Allerdings bedürfen die in der Einrichtung selbst erbrachten Leistungen
für den Lebensunterhalt, die lediglich einen Rechenposten im Rahmen der Erbringung der
besonderen Sozialhilfeleistung darstellen (BSG, Urteil vom 23.8.2013 - B 8 SO 17/12 R -
RdNr 18), weder einer gesonderten Bewilligung noch handelt es sich insoweit um
Geldleistungen, die neben der stationären Leistung erbracht werden (vgl dazu: BSG SozR
4-3500 § 35 Nr 3 RdNr 13; Blüggel in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 42 SGB XII RdNr
23, und § 46a SGB XII RdNr 35; Behrend in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 27b SGB XII
RdNr 75 ff; Eicher in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, Anhang zu § 13 SGB XII RdNr 3). Der
weitere notwendige Lebensunterhalt des § 35 Abs 2 SGB XII aF bzw § 27b Abs 2 SGB XII
nF ist demgegenüber keine Grundsicherungsleistung, sondern Hilfe zum Lebensunterhalt
(Blüggel, Behrend und Eicher, aaO; BSG SozR 4-3500 § 35 Nr 3 RdNr 13).
27 Wenn der Kläger P ab 1.1.2013 Grundsicherungsleistungen nach § 42 SGB XII über die
Leistungen in der Einrichtung hinaus erbracht haben sollte, würde sich für die Beurteilung
der Zuständigkeit insoweit eine Änderung ergeben, als der Kläger dann nicht mehr als
vom sachlich zuständigen Land herangezogener örtlicher Sozialhilfeträger, sondern in
eigener Leistungszuständigkeit die Leistungen erbracht hätte. Nach § 46b Abs 1 SGB XII
werden die zuständigen Träger zur Ausführung der Grundsicherung nach Landesrecht
bestimmt. Die Norm ist unvollständig, weil sie keine Aussage darüber enthält, welches
Land anknüpfend an welchen Tatbestand (tatsächlicher Aufenthalt, gewöhnlicher
Aufenthalt oder anderes) die Zuständigkeit regelt. Jedoch dürfte mit der Ergänzung des §
46b SGB XII durch einen Abs 3 mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des SGB XII vom
1.10.2013 (BGBl I 3733) klargestellt sein, dass - anknüpfend an die früheren Regelungen -
das Land gemeint ist, in dem der Leistungsempfänger seinen gewöhnlichen Aufenthalt
hat. § 2 Abs 3 AGSGB XII ordnet die sachliche Zuständigkeit des örtlichen
Sozialhilfeträgers an, und § 46b Abs 3 Satz 2 SGB XII sieht abweichend von Satz 1, in
dem die Anwendung des Zwölften Kapitels des SGB XII ausgeschlossen ist, für
Grundsicherungsleistungen bei Aufenthalt in einer stationären Einrichtung eine
entsprechende Anwendung des § 98 Abs 2 Satz 1 bis 3 SGB XII vor. Auf diese Weise wird
wiederum eine einheitliche örtliche und sachliche Zuständigkeit hergestellt (vgl BT-Drucks
17/13662, S 1 und S 6 zu Nr 2).
28 Ob diese Regelung mit Rücksicht auf § 46b Abs 3 Satz 3 SGB XII auch für gemischte
Einrichtungsketten (Wechsel zwischen stationären Einrichtungen und Ambulant-
betreutem-Wohnen) gilt, kann ebenso wie im Rahmen der unmittelbaren Anwendung des
§ 98 Abs 2 Satz 2 SGB XII offen bleiben (dazu oben). Finden für die stationären
Leistungen selbst, damit auch für die in der Einrichtung erbrachten
Grundsicherungsleistungen, wegen des einheitlichen, ununterbrochenen Bedarfsfalls
eines Betreuten-Wohnens, der bereits vor dem 1.1.2005 begonnen hat, die
Zuständigkeitsregelungen des BSHG weiterhin Anwendung, so kann im Rahmen des §
46b Abs 3 Satz 2 SGB XII nichts anderes gelten. § 46b Abs 3 Satz 2 SGB XII müsste für
diese Fälle normerweiternd dahin ausgelegt werden, dass § 97 Abs 2 Satz 1 bis 3 BSHG
entsprechend anzuwenden ist. Nur dies würde der Intention des Gesetzgebers gerecht,
der bei Leistungen des Ambulant-betreuten-Wohnens eine entsprechende Anwendung
des § 98 Abs 5 SGB XII anordnet (§ 46b Abs 3 Satz 3 SGB XII).
29 Ein Erstattungsanspruch ergibt sich schließlich nicht aus den Vereinbarungen zwischen
Landkreistag Rheinland-Pfalz und Städtetag Rheinland-Pfalz über die Kostenerstattung
bei der Finanzierung des Betreuten-Wohnens aus den Jahren 1997 und 2005. Um eine
Normsetzung durch vertragliche Vereinbarung auch mit Wirkung für am Vertragsschluss
Nichtbeteiligte (sog Normvertrag; vgl BSGE 94, 50 ff RdNr 65 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2
mwN) handelt es sich jedenfalls nicht; denn es fehlt an jeglicher gesetzlichen
Ermächtigung dafür.
30 Ob sich die Beteiligten selbst mit der Vereinbarung aus dem Jahr 1997 vertraglich
gebunden haben und ob diese Vereinbarung fortgalt, nachdem die Beteiligten dem diese
Vereinbarung ersetzenden Vertrag aus dem Jahr 2005 nicht beigetreten sind, ist vom LSG
nicht festgestellt; dies konnte aber letztlich offenbleiben. Die in der Vereinbarung aus dem
Jahr 1997 getroffene Regelung, wonach sich die Vereinbarungspartner darin einig sind,
"dass durch den Aufenthalt in einer solchen Einrichtung (des Betreuten-Wohnens) kein
gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des BSHG/Kinder-und Jugendhilfegesetz begründet
wird" und deshalb wegen der insoweit von § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I abweichenden
Kriterien für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts eine (bundesrechtliche)
Zuständigkeitsregelung nicht zur Anwendung komme, wäre ohnedies nichtig (§ 53 Abs 1,
§ 58 Abs 1 SGB X).
31 Koordinationsrechtliche öffentlich-rechtliche Verträge - wie hier - iS von § 53 Abs 1 Satz 1
SGB X (vgl näher Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 53 RdNr 4)
sind nach § 58 Abs 1 SGB X nichtig, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden
Anwendung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ergibt. Dabei können
qualifizierte Rechtsverstöße gegen eine Norm nach § 134 BGB die Nichtigkeit des
entsprechenden Vertrages zur Folge haben, wenn sich die Norm von ihrer Ausrichtung her
gegen eine bestimmte inhaltliche Ausgestaltung richtet (vgl: Engelmann, aaO, § 58 RdNr
6a; Hissnauer in jurisPK SGB X, § 58 SGB X RdNr 9; jeweils mwN). Durch den Vertrag
aus dem Jahr 1997 konnte - wegen der Sperre des § 53 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB X
("soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen"; zu diesem Gedanken bereits BSGE
86, 78 ff = SozR 3-1300 § 111 Nr 8) - die Vorschrift des § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I weder
ausgeschlossen noch umgangen werden. Bei den in § 30 Abs 3 SGB I enthaltenen
Legaldefinitionen des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthalts handelt es sich um
zwingende Rechtsnormen. Mit ihnen kommt zum Ausdruck, dass "Wohnsitz" und
"gewöhnlicher Aufenthalt" grundsätzlich als einheitliche Anknüpfungspunkte für die
Anwendung aller Rechtsmaterien des SGB dienen sollen und abweichende Regelungen
(vgl § 37 SGB I) dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben (vgl Schlegel in jurisPK SGB I, 2.
Aufl 2011, § 30 SGB I RdNr 25 mwN).
32 Ob und welche vertraglichen Regelungen auf dem Gebiet eines Landes § 112 SGB XII
zulässt, die von den Kostenerstattungsregelungen des Zweiten Abschnitts im Dreizehnten
Kapitel des SGB XII abweichen, kann offen bleiben. Um eine abweichende Vereinbarung
der Kostenerstattung handelt es sich nicht; denn die vertragliche Vereinbarung aus dem
Jahr 1997 trifft inhaltliche Regelungen lediglich über den gewöhnlichen Aufenthalt, an die
eine (abweichende) Kostenerstattungsregelung nur als vertragliche Folge geknüpft ist.
33 Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 und 3 SGG iVm § 154 Abs 1
Verwaltungsgerichtsordnung. Die Streitwertentscheidung beruht auf § 197a Abs 3 und Abs
1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei waren die
Streitwerte der Leistungs- und Feststellungsklage zusammenzurechnen (§ 39 Abs 1 GKG).
Der Streitwert der Leistungsklage entspricht dem Betrag der mit dem
Revisionsbegründungsschriftsatz geltend gemachten Hauptforderung (§§ 40, 47 Abs 1
und 2, § 52 Abs 3 GKG). Für die Feststellungsklage war mangels hinreichender
Anhaltspunkte für deren Wert der Auffangstreitwert von 5000 Euro anzusetzen (§ 52 Abs 2
GKG).