Urteil des BSG vom 28.11.2013

BSG: Künstlersozialversicherung, selbstständiger Künstler, Einkommensprognose, Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze nicht hinreichend wahrscheinlich, Versicherungsfreiheit

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 28.11.2013, B 3 KS 2/12 R
Künstlersozialversicherung - selbstständiger Künstler - Einkommensprognose - Überschreitung
der Geringfügigkeitsgrenze nicht hinreichend wahrscheinlich - Versicherungsfreiheit -
Verfassungsmäßigkeit
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgerichts vom 26. Januar 2012 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die Beklagte die
Versicherungsfreiheit der Klägerin nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG)
ab 1.2.2010 festgestellt hat.
2 Die 1962 geborene Klägerin ist seit dem Abschluss ihres Hochschulstudiums an der
Akademie für Bildende Künste in M. im Juni 1990 auf den Gebieten Videokunst und
Fotografie künstlerisch tätig. Mit Bescheid vom 2.5.1995 stellte die Beklagte
Versicherungspflicht der Klägerin nach § 1 KSVG fest (in der Rentenversicherung der
Angestellten ab 15.11.1994 und in der gesetzlichen Kranken- und sozialen
Pflegeversicherung ab 1.6.1995, weil bis dahin eine private Versicherung bestand). Dabei
galt die Klägerin bis zum 30.9.1995 als Berufsanfängerin iS des § 3 Abs 2 KSVG, für die
Versicherungspflicht unabhängig vom Erreichen eines Mindestarbeitseinkommens
bestand.
3 Für die Zeit ab Oktober 1995 legte die Klägerin Unterlagen vor, aus denen sich jeweils
das Erreichen der Mindestarbeitseinkommensgrenze ergab. Ab 10.3.2000 war sie
aufgrund des Bezugs von Mutterschaftsgeld beitragsfrei in der Künstlersozialversicherung
(KSV) versichert. Auf Nachfrage der Beklagten gab die Klägerin am 28.11.2009 an, in den
Jahren 2004 bis 2007 kein Einkommen aus selbstständiger künstlerischer/publizistischer
Tätigkeit erzielt zu haben. Die beigefügten Einkommensteuerbescheide wiesen jeweils
Verluste aus.
4 Mit Schreiben vom 22.12.2009 hörte die Beklagte die Klägerin dazu an, dass beabsichtigt
sei, den Bescheid über die Versicherungspflicht bzw Zuschussberechtigung nach dem
KSVG aufzuheben und Versicherungsfreiheit festzustellen, da aus den eingereichten
Unterlagen keine Anhaltspunkte zu entnehmen seien, die ein Arbeitseinkommen aus
selbstständiger künstlerischer/publizistischer Tätigkeit über der
sozialversicherungsrechtlichen Geringfügigkeitsgrenze des § 3 Abs 1 S 1 KSVG von 3900
Euro im Kalenderjahr erwarten ließen.
5 Darauf teilte die Klägerin mit, aus der Vergangenheit sei bekannt, dass sie schon durch
den Verkauf nur einer Videoarbeit eine fünfstellige Eurosumme erzielen könne. Nach
Phasen zB des Rückgangs der Ankaufsetats der öffentlichen Hand seien auch wieder
Phasen mit Mehrverkäufen und dadurch eine deutliche Steigerung ihres Einkommens zu
erwarten.
6 Mit Bescheid vom 12.1.2010 stellte die Beklagte Versicherungsfreiheit nach dem KSVG ab
1.2.2010 fest. Aus den eingereichten Unterlagen gehe kein Einkommen über der
sozialversicherungsrechtlichen Geringfügigkeitsgrenze hervor. Das nach § 3 Abs 3 KSVG
unschädliche zweimalige Unterschreiten dieser Grenze innerhalb eines Sechs-Jahres-
Zeitraums sei bereits ausgeschöpft. Die Einschätzung der Klägerin sei nicht plausibel.
Tatsachen, die eine deutliche Steigerung des Einkommens gegenüber den Werten der
Vorjahre erwarten ließen, seien nicht ersichtlich. Ein Arbeitseinkommen oberhalb der
Geringfügigkeitsgrenze müsse erzielt und nachgewiesen werden.
7 Im Widerspruchsverfahren wies die Klägerin darauf hin, dass sie seit etwa 20 Jahren
erfolgreich künstlerisch tätig sei und es durchaus Phasen mit wirtschaftlich guten
Ergebnissen gegeben habe. Bereits 2009 sei ihr von der K.-Stiftung in S. ein
Arbeitsstipendium in Höhe von 5000 Euro zugesagt worden und man habe sie für das Jahr
2011 als Stipendiatin in der Villa M. in R. vorgeschlagen. Die Klägerin übersandte den
Einkommensteuerbescheid für 2008, der zu ihrer selbstständigen Tätigkeit wiederum
negative Einkünfte auswies. Den Einnahmen in Höhe von 1703,12 Euro (bestehend aus
134,84 Euro für ein künstlerisches Werk und 1568,28 Euro Umsatzsteuererstattung aus
den Jahren 2007 und 2008) standen Betriebsausgaben in Höhe von über 5000 Euro
gegenüber. Der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 8.6.2010).
8 Das einstweilige Rechtsschutzverfahren über ihren Antrag auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung blieb ebenfalls ohne Erfolg. Auch die Anfechtungsklage gegen
den Bescheid der Beklagten vom 12.1.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 8.6.2010 scheiterte (Urteile des SG vom 11.11.2010 und des LSG vom 26.1.2012).
Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die vorausschauende Einkommensschätzung
der Beklagten für das Jahr 2010 sei nicht zu beanstanden. Grundlage der Prognose
könnten nur Umstände sein, von denen anzunehmen sei, dass sie das Arbeitseinkommen
bestimmen würden. Dabei seien Rückschlüsse aus der Einnahmesituation der
vergangenen Jahre zulässig. Die Prognose der Klägerin vom 28.11.2009 für das Jahr
2010 sei nicht realistisch gewesen. Sie habe keine Tatsachen vorgetragen, nach denen
eine deutliche Steigerung des Einkommens gegenüber den Vorjahren plausibel
erscheine. Die bloße Möglichkeit des Verkaufs eines Kunstobjektes reiche nicht aus.
Gegenüber den Vorjahren hätten sich keine relevanten Änderungen ergeben. Vielmehr
werde die Prognose der Beklagten durch den im Widerspruchsverfahren vorgelegten
Einkommensteuerbescheid für 2008, die Gewinnermittlung für 2009 und die weitere
Entwicklung bestätigt. Aus dem Grundrecht der Kunstfreiheit nach Art 5 Abs 3 GG lasse
sich kein Anspruch auf ein in bestimmter Weise ausgestaltetes soziales Schutzsystem
ableiten.
9 Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung
materiellen Rechts, insbesondere eine unter Berücksichtigung von Art 5 Abs 3 GG
rechtswidrige Auslegung des § 3 Abs 1 KSVG. Sie ist der Auffassung, die Beklagte habe
sich bei der Einkommensprognose nicht lediglich auf die Einkommenssituation in den
vorausgegangenen Jahren beziehen dürfen. Für eine positive Prognose spreche nicht nur
ihre herausragende künstlerische Tätigkeit, sondern beispielsweise auch ihre
Nominierung als Preisträgerin für die Villa M. in R., auch wenn ihr letztlich dieser Preis
nicht zuteil geworden sei. Die Voraussetzung eines bestimmten
Mindestarbeitseinkommens stehe im Gegensatz zum Schutzzweck des Gesetzes. Im
Hinblick auf Art 5 Abs 3 GG sei eine verfassungskonforme Auslegung des § 3 Abs 1
KSVG geboten. In der mündlichen Verhandlung am 28.11.2013 hat sie zudem erklärt, das
Arbeitsstipendium der K.-Stiftung sei ihr tatsächlich ausgezahlt worden, und zwar
entweder 2010 oder 2011.
10 Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 26.1.2012 und des SG Lübeck vom
11.11.2010 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 21.1.2010 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 8.6.2010 aufzuheben.
11 Die Beklagte verteidigt die Entscheidungen der Vorinstanzen und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
12 Sie ist der Auffassung, der Gesetzgeber habe in § 13 KSVG zum Ausdruck gebracht, dass
vorrangiger Maßstab für die anzustellende Prognose die Einkommensteuerbescheide für
die vergangenen Jahre seien. Sehr vage Möglichkeiten der Verbesserung der
Einkommenssituation reichten jedenfalls nicht aus, wenn in den letzten Jahren nur - zum
Teil hohe - Verluste erzielt worden seien. Die Klägerin habe keine Anhaltspunkte für
entsprechende Einnahmen vorgetragen. In der mündlichen Verhandlung am 26.1.2012
habe die Klägerin eingeräumt, dass auch für die Jahre 2010 und 2011 wieder mit einem
negativen Einkommen zu rechnen sei.
13 Nachdem der Klägerin ein Honorar in Höhe von 30 000 Euro für die Realisierung ihres
Entwurfs für ein Mahnmal am Bahnhofsvorplatz von der Hansestadt L. zugesagt worden
war (Schreiben vom 4.12.2012 und 16.5.2013), hat die Beklagte mit Bescheid vom
13.6.2013 erneut Versicherungspflicht in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung
ab 23.5.2013 festgestellt.
Entscheidungsgründe
14 Die Revision ist im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und
Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).
15 1. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) zulässig. Die Beklagte hat mit der
Feststellung der Versicherungsfreiheit nach dem KSVG ab 1.2.2010 ihren Bescheid vom
2.5.1995 aufgehoben, mit dem sie die Versicherungspflicht der Klägerin nach § 1 KSVG in
der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung festgestellt hatte. Die Klägerin kann daher
ihr Anliegen der Sicherung einer ununterbrochenen Versicherungspflicht in der KSV durch
eine schlichte Aufhebung des angefochtenen Bescheides erreichen. Einer zusätzlichen
Feststellung der Versicherungspflicht über den 31.1.2010 hinaus bedarf es dafür nicht.
16 2. Auf der Grundlage der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für das
Revisionsgericht bindenden Tatsachenfeststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist dem
erkennenden Senat aber eine abschließende Entscheidung über die Anfechtungsklage
nicht möglich. Er kann nicht beurteilen, ob die Beklagte ihre Feststellung der
Versicherungspflicht nach § 1 KSVG in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung
nach § 8 Abs 2 S 2 KSVG (idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung des
Künstlersozialversicherungsgesetzes und anderer Gesetze <2. KSVG-ÄndG> vom
13.6.2001, BGBl I 1027) iVm § 48 Abs 1 S 1 SGB X wegen Änderung der Verhältnisse
rechtmäßig aufgehoben hat.
17 Nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den
tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben,
eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Infolge der
Eigenart der künstlerischen und publizistischen Tätigkeit findet § 48 SGB X nach § 8 Abs
2 KSVG nur eine modifizierte Anwendung; denn nur in den in § 8 Abs 2 S 1 KSVG
aufgeführten Fällen lässt sich genau feststellen, wann eine Änderung der Verhältnisse
eingetreten ist. In den übrigen Fällen (§ 8 Abs 2 S 2 KSVG) ist daher der Bescheid über
die Versicherungspflicht bei Änderung der Verhältnisse nur mit Wirkung vom Ersten des
Monats an aufzuheben, der auf den Monat folgt, in dem die Künstlersozialkasse von der
Änderung Kenntnis erhält, es sei denn, der Versicherte hat vorsätzlich oder grob fahrlässig
falsche Angaben gemacht (vgl dazu Finke/Brachmann/Nordhausen, KSVG, 4. Aufl 2009, §
8 RdNr 8). Soweit mit der Aufhebung in Rechte eines Beteiligten eingegriffen wird, ist
diesem nach § 24 Abs 1 SGB X Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung
erheblichen Tatsachen zu äußern.
18 a) In formeller Hinsicht ist der angefochtene Verwaltungsakt nicht zu beanstanden. Die
Beklagte hat die Klägerin mit Schreiben vom 22.12.2009 zu der beabsichtigten Aufhebung
des Bescheides über die Versicherungspflicht bzw Zuschussberechtigung nach dem
KSVG und der Feststellung der Versicherungsfreiheit nach § 24 Abs 1 SGB X
ordnungsgemäß angehört.
19 b) Der Verwaltungsakt, mit dem die Beklagte die Versicherungspflicht der Klägerin nach §
1 KSVG festgestellt hatte (im Bescheid vom 2.5.1995), entfaltet eine Dauerwirkung, da er
ein zeitlich nicht befristetes Rechtsverhältnis mit Leistungs- und Beitragspflichten
begründet, das sich nicht in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft (vgl
dazu Schütze in: von Wulffen, SGB X, 8. Aufl 2014, § 45 RdNr 63 ff).
20 c) An Hand der bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG kann aber nicht
abschließend entschieden werden, ob in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass
dieses feststellenden Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung
eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt vor, wenn
sich die für den Erlass des Verwaltungsaktes entscheidungserheblichen tatsächlichen
Umstände so erheblich verändert haben, dass sie rechtlich anders zu bewerten sind und
daher der Verwaltungsakt unter Zugrundelegung des geänderten Sachverhalts so, wie er
ergangen ist, nicht mehr erlassen werden dürfte (vgl zB BSGE 59, 111 = BSG SozR 1300
§ 48 Nr 19; BSGE 74, 131 = SozR 3-5870 § 2 Nr 25; BSGE 80, 215 = SozR 3-2940 § 7 Nr
4; BSGE 81, 134 = SozR 3-4100 § 142 Nr 2; BSG SozR 1300 § 48 Nr 22, 44).
21 Bei Erlass des Verwaltungsaktes zur Feststellung der Versicherungspflicht im Mai 1995
galt die Klägerin zunächst noch bis zum 30.9.1995 als Berufsanfängerin, für die nach § 3
Abs 2 KSVG (in der bis zum 30.6.2001 gültigen Fassung durch Art 1 des Gesetzes zur
Änderung des Künstlersozialversicherungsgesetzes vom 20.12.1988, BGBl I 2606)
Versicherungspflicht bis zum Ablauf von fünf Jahren nach erstmaliger Aufnahme der
Tätigkeit unabhängig vom Erreichen eines Mindesteinkommens bestand.
22 Entscheidungserheblich sind nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X nur die bei Erlass des
Ausgangsbescheides vorliegenden Umstände. Lediglich diese bilden die
Vergleichsgrundlage für den Eintritt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die
zum Erlass des Aufhebungsbescheides geführt hat (vgl Waschull in
Diering/Timme/Waschull, SGB X, Lehr- und Praxiskommentar, 3. Aufl 2011, § 48 RdNr 27
ff, mwN). Deshalb kommt es nicht darauf an, dass der Fünf-Jahres-Zeitraum bereits im
Oktober 1995 abgelaufen war und die Beklagte möglicherweise den Aufhebungsbescheid
mit der Feststellung der Versicherungsfreiheit wegen Unterschreitung der
Geringfügigkeitsgrenze bereits früher hätte erlassen können. Abgesehen davon hatte die
Klägerin für die Zeit ab Oktober 1995 Unterlagen vorgelegt, auf deren Grundlage der
Beklagten die Einschätzung, dass die Mindestarbeitseinkommensgrenze voraussichtlich
erreicht werde, nachvollziehbar erschien, und ab 10.3.2000 bezog die Klägerin
Mutterschaftsgeld, sodass die Versicherung beitragsfrei fortgeführt wurde (§§ 15 KSVG,
175 Abs 1 SGB VI idF durch Gesetz vom 18.12.1989 iVm § 8 Abs 1 Nr 2 SGB VI idF durch
Gesetz vom 21.12.2000 für die Rentenversicherung; § 16 KSVG idF durch Gesetz vom
26.5.1994, § 234 Abs 1 S 3 SGB V idF durch Gesetz vom 20.12.1988 für die
Krankenversicherung; § 16a KSVG idF durch Gesetz vom 26.5.1994, § 57 Abs 1 SGB XI
idF durch Gesetz vom 22.12.1999, § 234 Abs 1 S 3 SGB V idF durch Gesetz vom
20.12.1988 für die Pflegeversicherung).
23 Ob dann bis Ende Januar 2010 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten
ist und der die Versicherungspflicht feststellende Verwaltungsakt ab Februar 2010 nicht
mehr hätte erlassen werden dürfen, weil die Klägerin seitdem nach § 3 Abs 1 S 1 KSVG
(idF 2. KSVG-ÄndG vom 13.6.2001, BGBl I 1027) versicherungsfrei war, lässt sich anhand
der bisherigen Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen.
24 aa) Gemäß § 3 Abs 1 S 1 KSVG ist nach diesem Gesetz versicherungsfrei, wer in dem
Kalenderjahr aus selbstständiger künstlerischer und publizistischer Tätigkeit
voraussichtlich ein Arbeitseinkommen erzielt, das 3900 Euro nicht übersteigt. Abweichend
davon bleibt nach § 3 Abs 3 KSVG (idF des 2. KSVG-ÄndG) die Versicherungspflicht
bestehen, solange das Arbeitseinkommen nicht mehr als zweimal innerhalb von sechs
Kalenderjahren die dort genannte Grenze nicht übersteigt.
25 Arbeitseinkommen ist nach der Legaldefinition in § 15 Abs 1 SGB IV (in der Neufassung
durch Bekanntmachung vom 12.11.2009, BGBl I 3710) der nach den allgemeinen
Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer
selbständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als
solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Aufgrund der Anknüpfung des
maßgeblichen Arbeitseinkommens an das Einkommensteuerrecht könnte es für den
Künstler überlegenswert sein, gegenüber dem Finanzamt in Wahrnehmung seiner
steuerrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten Werbungskosten nur in begrenztem Umfang
geltend zu machen, wenn dadurch ein Arbeitseinkommen oberhalb der
Mindestarbeitseinkommensgrenze des § 3 Abs 1 S 1 KSVG verbleibt. Die Abwägung, aus
diesem Grund einen steuerrechtlichen Nachteil in Kauf nehmen zu wollen, ist indes Sache
des Künstlers. Insoweit obliegen weder der Beklagten noch den Sozialgerichten Hinweis-
oder Beratungspflichten, denn es handelt sich um eine ausschließlich steuerrechtliche
Gestaltungsmöglichkeit. Weitergehende sozialversicherungsrechtliche
Gestaltungsmöglichkeiten bestehen insoweit nicht; die anzustellende Prognose hat sich
ausschließlich an den objektiven Gegebenheiten zu orientieren.
26 Versicherte und Zuschussberechtigte haben nach § 12 Abs 1 S 1 KSVG (idF durch Gesetz
zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversichersicherung vom 9.12.2004,
BGBl I 3242) der Künstlersozialkasse bis zum 1. Dezember eines Jahres das
voraussichtliche Arbeitseinkommen, das sie aus der Tätigkeit als selbstständige Künstler
und Publizisten erzielen, bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen
Rentenversicherung für das folgende Kalenderjahr zu melden. Nach Satz 2 dieser
Vorschrift schätzt die Künstlersozialkasse die Höhe des Arbeitseinkommens, wenn der
Versicherte trotz Aufforderung die Meldung nach Satz 1 nicht erstattet oder die Meldung
mit den Verhältnissen unvereinbar ist, die dem Versicherten als Grundlage für seine
Meldung bekannt waren.
27 Ausgangspunkt der nach § 3 Abs 1 S 1 KSVG anzustellenden Prognose für das
voraussichtlich zu erzielende Arbeitseinkommen sind danach zunächst die Angaben des
Versicherten nach § 12 Abs 1 S 1 KSVG. Erst wenn seine Meldung mit den ihr
zugrundeliegenden Verhältnissen unvereinbar ist, nimmt die Künstlersozialkasse selbst
die für die weiteren Entscheidungen maßgebliche Einschätzung des voraussichtlichen
Arbeitseinkommens vor.
28 bb) Sachgerechte Prognosen beruhen in der Regel auf erhobenen Daten und Fakten und
damit auf Erkenntnissen der Vergangenheit, auf deren Basis unter Berücksichtigung zu
erwartender Veränderungen eine Vorausschau für die Zukunft getroffen wird. Daher wird
nach der Rechtsprechung des BSG (vgl nur BSG SozR 4-2600 § 5 Nr 6 mwN) in anderen
Zusammenhängen, in denen prognostische Beurteilungen über Arbeitsentgelt oder
Arbeitseinkommen anzustellen sind, auf die Verhältnisse in der Vergangenheit Bezug
genommen. Insbesondere bei schwankendem Arbeitsentgelt sei der zu erwartende
Verdienst unter Heranziehung der in den Vorjahren erzielten Einkünfte zu schätzen (BSG
SozR Nr 6 zu § 168 RVO; BSGE 23, 129 = SozR Nr 49 zu § 165 RVO). Entsprechendes
gilt bei selbständig Tätigen, deren Arbeitseinkommen fast immer schwankt (BSGE 23, 129
= SozR Nr 49 zu § 165 RVO; BSG SozR 2200 § 205 Nr 41). Dabei wird nach ständiger
Rechtsprechung zur Beurteilung des regelmäßigen monatlichen Gesamteinkommens iS
des § 205 Abs 1 S 1 Halbs 1 RVO sowie iS des § 10 Abs 1 S 1 Nr 5 SGB V für die auf das
Jahr bezogene Prognose von dem bekannten letzten Jahreseinkommen ausgegangen
(vgl BSG SozR 2200 § 205 Nr 41; BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 19; BSG SozR 4-2600 § 5 Nr
6; für Einkünfte aus Kapitalvermögen: BSG SozR 2200 § 205 Nr 52).
29 Der Gesetzgeber ist auch in Bezug auf die Einkommensprognose nach § 3 Abs 1 S 1
KSVG davon ausgegangen, dass Rückschlüsse für das voraussichtliche Einkommen
insbesondere aus dem in der Vergangenheit erzielten Einkommen zu ziehen sind. Dies
ergibt sich aus verschiedenen Bestimmungen des Gesetzes: Nach der Regelung des § 3
Abs 3 KSVG bleibt die Versicherungspflicht bestehen, solange das Arbeitseinkommen
nicht mehr als zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren die Geringfügigkeitsgrenze
nach § 3 Abs 1 KSVG nicht übersteigt. Die Regelung soll einen allzu häufigen und
kurzzeitigen Wechsel zwischen Versicherungspflicht und Versicherungsfreiheit
vermeiden. Sie bietet aber zugleich Anhaltspunkte dafür, dass das in der Vergangenheit
erzielte Einkommen für die Einkommensprognose nicht unberücksichtigt bleiben kann.
Insbesondere wenn sich das Arbeitseinkommen aus der selbstständigen künstlerischen
oder publizistischen Tätigkeit in letzten Jahren dicht an der Mindestgrenze des § 3 Abs 1
KSVG bewegte, kann es für eine sachgerechte Prognose erforderlich sein, das
Einkommen der letzten sechs Kalenderjahre zu ermitteln und bei der Prognose zu
berücksichtigen. Durch die recht langen Zeiträume wird auch dem Umstand Rechnung
getragen, dass Künstler möglicherweise längere Zeiträume für die Fertigstellung und/oder
den Verkauf eines Werkes benötigen, dann aber unter Umständen höhere Gewinne
erzielen können. Für den Nachweis der Angaben zur Höhe des Arbeitseinkommens kann
die Künstlersozialkasse die Vorlage der erforderlichen Unterlagen, insbesondere von
Einkommensteuerbescheiden oder Gewinn- und Verlustrechnungen, verlangen (§ 13 S 3
KSVG). Diese Unterlagen beziehen sich regelmäßig auf bereits vergangene Zeiträume.
Es macht aber nur dann einen Sinn, der Künstlersozialkasse das Recht zur Anforderung
von Unterlagen aus der Vergangenheit einzuräumen, wenn sie diese für die
Einkommensprognose benötigt, die auch zur Ermittlung der Beitragshöhe erforderlich ist.
Schließlich zeigt auch die Regelung des § 12 Abs 1 S 3 KSVG, dass sich die
Einkommensprognose insbesondere am Einkommen der letzten Jahre orientiert. Nach
dieser Vorschrift haben Versicherte, deren voraussichtliches Arbeitseinkommen in dem in
§ 3 Abs 2 KSVG genannten Zeitraum (regelmäßig drei Jahre nach erstmaliger Aufnahme
der Tätigkeit, verlängert um Zeiten nach Satz 2) mindestens einmal die in § 3 Abs 1 KSVG
genannte Grenze nicht überschritten hat, der ersten Meldung nach Ablauf dieses
Zeitraums vorhandene Unterlagen über ihr voraussichtliches Arbeitseinkommen
beizufügen.
30 Insgesamt haben für eine vorausschauende Betrachtung regelmäßig die unmittelbar
zurückliegenden Jahre eine größere Bedeutung als die weiter zurückliegende
Vergangenheit, und Einkommensentwicklungen ist angemessen Rechnung zu tragen.
31 cc) Eine von den Verhältnissen der Vergangenheit abweichende Einschätzung ist aber
geboten, wenn Verhältnisse dargelegt werden, die das Erzielen hiervon abweichender
Einkünfte nahelegen. Dabei sind grundsätzlich alle Verhältnisse heranzuziehen, die mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind und die Einfluss auf das
voraussichtliche Arbeitseinkommen haben. Hierbei wird von der Rechtsprechung in
anderen Zusammenhängen keine alle Eventualitäten berücksichtigende genaue
Vorhersage gefordert, sondern lediglich eine ungefähre Einschätzung, welches
Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen nach der bisherigen Übung mit hinreichender
Sicherheit zu erwarten ist (vgl BSG SozR 4-2600 § 5 Nr 6 mwN). Lediglich vage
Verdienstaussichten ohne jegliche Verbindlichkeit können - wenn sich in den
vergangenen Jahren keine gewinnbringenden Verdienste realisieren ließen - nur dann bei
einer Prognose positiv berücksichtigt werden, wenn objektive Umstände solche
Verdienstaussichten hinreichend wahrscheinlich machen. Dabei ist zu berücksichtigen,
wie häufig und mit welcher Differenz die Mindestgrenze in den letzten Jahren verfehlt
wurde und welche Veränderungen der Verhältnisse bessere Verdienstaussichten
nahelegen. Denn erforderlich ist, dass die Möglichkeit von Verdiensten oberhalb der
Mindestgrenze näher liegt als ein Einkommen unterhalb dieser Grenze.
32 dd) Maßgebend sind die Verhältnisse zur Zeit der Prognoseentscheidung. Nach § 12 Abs
3 S 1 KSVG sind Änderungen in den Verhältnissen, die für die Ermittlung des
voraussichtlichen Jahreseinkommens maßgebend waren, auf Antrag mit Wirkung vom
Ersten des Monats an zu berücksichtigen, der auf den Monat folgt, in dem der Antrag der
Künstlersozialkasse eingeht. Dies gilt entsprechend, wenn das Jahresarbeitseinkommen
geschätzt worden ist (§ 12 Abs 3 S 2 KSVG). Neue Unterlagen, die eine treffsicherere
Prognose erlauben oder zeigen, dass das prognostizierte Einkommen tatsächlich nicht
erzielt wurde, können daher nur zukunftsbezogen berücksichtigt werden.
33 Für - richtige - Prognosen gilt ohnehin grundsätzlich, dass sie für die Vergangenheit auch
dann maßgebend bleiben, wenn sie sich im Nachhinein infolge seinerzeit nicht
vorhersehbarer Umstände als unzutreffend erweisen. Solche neuen Umstände können die
versicherungsrechtliche Stellung dann nicht in die Vergangenheit hinein verändern.
Stimmt die - richtige - Prognose mit dem späteren Verlauf nicht überein, so kann das
jedoch Anlass für eine neue Prüfung und - wiederum vorausschauende - Betrachtung sein
(vgl BSG SozR Nr 6 zu § 168 RVO; BSG SozR 2200 § 1228 Nr 1; BSG SozR 3-2500 § 10
Nr 19; BSG SozR 4-2600 § 5 Nr 6).
34 Grundlage der Prognose können daher nur bis zum Abschluss des
Verwaltungsverfahrens, also spätestens bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides
erkennbare Umstände sein. Maßgebend ist der aufgrund der Angaben des Antragstellers
bzw Versicherten verfahrensfehlerfrei ermittelte Kenntnisstand der Verwaltung (vgl BSG
SozR 4-7833 § 6 Nr 4 RdNr 16).
35 Allerdings ist die Prognoseentscheidung der Sozialverwaltung bezüglich des
voraussichtlichen Arbeitseinkommens gerichtlich voll überprüfbar. Der Sozialverwaltung
steht dabei kein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zu (vgl hierzu zB Wagner in:
jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2011, § 39 SGB I RdNr 34). Die Gerichte haben insbesondere zu
prüfen, ob die Grundlagen für die Prognose richtig festgestellt und alle in Betracht
kommenden Umstände hinreichend und sachgerecht gewürdigt sind (vgl BSGE 112, 90 =
SozR 4-2500 § 95 Nr 26; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012,
§ 162 RdNr 3a).
36 ee) Ob nach diesen Grundsätzen die Einschätzung der Klägerin mit den tatsächlichen und
rechtlichen Verhältnissen unvereinbar war, die ihr als Grundlage für ihre Meldung bekannt
waren, und ob die Beklagte deshalb das voraussichtliche Arbeitseinkommen unterhalb
des Mindesteinkommens von 3900 Euro einschätzen durfte, lässt sich anhand der
bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilen.
37 Zwar hatte die Klägerin in den letzten sechs Jahren vor Erlass des Aufhebungsbescheides
kein Arbeitseinkommen aus selbstständiger künstlerischer/publizistischer Tätigkeit. Die
vorgelegten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2004 bis 2008 weisen sogar
Verluste aus, und die Klägerin hat auch für das Jahr 2009 keine Einnahmen angegeben.
Damit verfehlte das Arbeitseinkommen der Klägerin aus selbstständiger
künstlerischer/publizistischer Tätigkeit der letzten Jahre die Mindesteinkommensgrenze
des § 3 Abs 1 KSVG deutlich, ohne dass eine positive Einkommensentwicklung erkennbar
war.
38 Eine von den Verhältnissen der Vergangenheit abweichende Einschätzung ist vor diesem
Hintergrund weder im Hinblick auf die Möglichkeit gerechtfertigt, zukünftig ein Kunstobjekt
zu verkaufen (dazu 1.), noch aufgrund des Bekanntheitsgrades oder der Anerkennung der
Werke eines Künstlers in Fachkreisen (dazu 2.). Ein Stipendium für die Villa M. in R. für
das Jahr 2011 hätte erst ab diesem Zeitpunkt, nicht aber schon ab Februar 2010 zu einer
günstigeren Einkommensprognose führen können (dazu 3.). Die Prognose eines
Arbeitseinkommens oberhalb der Mindestgrenze könnte aber aufgrund eines zugesagten
Arbeitsstipendiums von der K. Stiftung in Höhe von 5000 Euro für den
streitgegenständlichen Zeitraum ab Februar 2010 geboten gewesen sein (dazu 4.).
39 (1) Vor dem Hintergrund, dass die Klägerin in den vergangenen sechs Jahren (2004 bis
2009) aus dem Verkauf von Kunstobjekten lediglich negatives Einkommen erzielen
konnte, bildet die bloße Möglichkeit des Verkaufs eines Kunstobjektes in der Zukunft keine
hinreichende Basis für eine Einkommensprognose oberhalb der Mindestgrenze. Dabei ist
zwar zu berücksichtigen, dass die Klägerin in mehreren Jahren ab 1995 ein
Arbeitseinkommen (§ 15 SGB IV) oberhalb der Mindestgrenze erzielt hat und gelegentlich
durch den Verkauf eines Kunstobjektes auch fünfstellige Summen erzielen konnte; gerade
die zurückliegenden sechs Jahre zeigen jedoch, dass ein solcher Verkauf zwar
theoretisch immer möglich, tatsächlich aber nicht naheliegend war. Eine
Einkommensprognose auf lediglich vage Verdienstmöglichkeiten zu stützen ist nicht
sachgerecht, wenn sich solche in den letzten sechs Jahren nicht verwirklichen ließen und
keine konkreten Umstände ersichtlich sind, die eine andere Einschätzung rechtfertigen. Es
müssten Veränderungen aufgezeigt werden, die bessere Verdienstaussichten tatsächlich
nahelegen. Jeder künstlerisch Tätige, der seine Produkte oder Dienstleistungen am Markt
anbietet, hat die Möglichkeit, damit einen Verdienst zu erzielen. Eine realistische
Prognose kann jedoch nur auf Daten und Fakten gestützt werden, für deren Eintreten eine
hinreichende Wahrscheinlichkeit spricht. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin
bereits mit dem Verkauf nur eines ihrer Kunstobjekte die Mindesteinkommensgrenze um
ein Vielfaches überschreiten könnte. Diesem Aspekt wird durch die Regelung des § 3 Abs
3 KSVG Rechnung getragen, wonach die Versicherungspflicht auch bei ungünstiger
Einkommensprognose bestehen bleibt, solange das Arbeitseinkommen nicht mehr als
zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren die Mindestgrenze nicht übersteigt. Der
Senat muss nicht entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen darüber
hinausgehend eine Verteilung von Einkommen auf mehrere Jahre erforderlich sein kann
und erlaubt ist, um auf diese Weise über mehrere Jahre zu einer Einkommensprognose
oberhalb der Mindestgrenze zu gelangen, weil es hier schon an der hinreichenden
Wahrscheinlichkeit für das Erzielen jedweden Einkommens fehlt. Nach den obigen
Darlegungen ist es sachgerecht, die Bewertung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit an
dem tatsächlichen Verdienst in den letzten Jahren zu orientieren, solange keine anderen
konkreten Anhaltspunkte vorliegen.
40 (2) Gleiches gilt für den Bekanntheitsgrad eines Künstlers oder die Anerkennung seiner
Werke in Fachkreisen. Auch diese Kriterien sind zu vage, um eine Einkommensprognose
über der Mindestgrenze nahezulegen, wenn in den letzten Jahren trotz des
Bekanntheitsgrades und der fachlichen Anerkennung lediglich Verluste erzielt wurden.
Schließlich sind Bekanntheit und Anerkennung in Fachkreisen regelmäßig nicht als
plötzliche Ereignisse zu werten, sondern gehen meistens mit einer entsprechenden
Entwicklung einher. Das Einkommen der Klägerin in den letzten sechs Jahren lässt aber
auch keine positive Entwicklung in der Weise erkennen, dass bei weiterem stetigem
Verlauf voraussichtlich ein Einkommen oberhalb der Mindestgrenze zu erwarten wäre.
41 (3) Der Einwand der Klägerin, sie sei für das Jahr 2011 als Stipendiatin für die Villa M. in
R. vorgeschlagen worden, verdeutlicht zwar die Wertschätzung ihrer Arbeit in
Fachkreisen, zur Zeit der Prognoseentscheidung stand eine mögliche Zusage aber erst
noch vage im Raum und hätte zudem allenfalls für das Jahr 2011 zu einer günstigeren
Einkommensprognose führen können. An der negativen Einkommensprognose für das
Jahr 2010 hätte selbst eine verbindliche Stipendiumszusage für das Folgejahr nichts
geändert.
42 (4) Eine von den Einkommensverhältnissen der Vergangenheit abweichende Schätzung
könnte aber geboten sein, wenn der Klägerin - wie sie selbst vorträgt - für das
Kalenderjahr 2010 von der K.-Stiftung in S. ein Arbeitsstipendium in Höhe von 5000 Euro
zugesagt worden war. Stipendien können Arbeitseinkommen iS des § 3 Abs 1 S 1 KSVG
sein, auch wenn sie nach § 3 Nr 44 EStG unter bestimmten Voraussetzungen steuerfrei
sind. Denn nach § 15 Abs 1 SGB IV ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen
Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer
selbstständigen Tätigkeit. Gewinn ist danach grundsätzlich der Unterschiedsbetrag
zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem
Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den
Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen (§ 4 Abs 1 S 1 EStG). Die
weiteren allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts zum
Einkommen aus selbstständiger Arbeit (§ 2 Abs 2 S 1 Nr 1 iVm §§ 4 bis 7k und 13a EStG)
enthalten keine Sonderregelungen für Stipendien. Soweit ein Stipendium den Einkünften
"aus einer selbstständigen Tätigkeit" zuzurechnen ist, also als Entgelt für Leistungen
gezahlt wird (vgl Weber-Grellet in: Schmidt, EStG, 29. Aufl 2010, § 2 RdNr 3), gehört es
daher zum grundsätzlich steuerbaren Arbeitseinkommen. Davon abzugrenzen sind
allgemeine Ausbildungsstipendien, die nicht als Entgelt für Leistungen gezahlt werden
und daher nicht steuerbar sind. Diese sind von der Freistellung nach § 3 Nr 44 EStG gar
nicht erst betroffen (vgl Heinicke in: Schmidt, aaO, § 3 ABV unter Stipendien).
43 Zu einer möglichen Zusage eines Stipendiums fehlen jegliche Tatsachenfeststellungen,
die im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (vgl § 163 SGG). Die Klägerin
hatte bereits im Widerspruchsverfahren auf das Stipendium hingewiesen. Die Beklagte
hätte diesem Hinweis nachgehen müssen. Insbesondere kann die von der Klägerin
angegebene Zusage nicht ohne weitere Ermittlungen als zu vage und unverbindlich
ausgelegt werden, wie durch die Erklärung der Klägerin, das Stipendium sei 2010 oder
2011 tatsächlich ausgezahlt worden, deutlich wird. Das LSG wird daher die fehlenden
Ermittlungen nachzuholen haben. Dabei ist aufzuklären, ob und mit welcher
Verbindlichkeit der Klägerin im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung ein
Arbeitsstipendium für das Jahr 2010 zugesagt war und ob dies als Entgelt für Leistungen
dem grundsätzlich steuerbaren Arbeitseinkommen zuzurechnen ist. Eine Zusage erst für
das Kalenderjahr 2011 würde demgegenüber an der Einkommensprognose für das
Kalenderjahr 2010 nichts ändern. Auch eine nur vage Aussicht reicht als Basis für eine
Prognose nicht. Das Erzielen von Arbeitseinkommen muss wenigstens mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen sein. Ergibt sich danach aus der Zusage des
Arbeitsstipendiums von 5000 Euro ein zu erwartendes Arbeitseinkommen für das Jahr
2010, ist weiter zu prüfen, ob dieses zusammen mit dem sonstigen zur Zeit der
Prognoseentscheidung für das Jahr 2010 zu erwartenden positiven oder negativen
Arbeitseinkommen die Geringfügigkeitsgrenze von 3900 Euro voraussichtlich übersteigt.
In diesem Fall wäre der angefochtene Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 21.1.2010
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8.6.2010 rechtswidrig gewesen und
daher aufzuheben.
44 d) Anderenfalls, dh wenn die nachzuholenden Tatsachenfeststellungen eine von den
Einkommensverhältnissen der Vergangenheit abweichende Schätzung nicht rechtfertigen,
war die Aufhebung des Verwaltungsaktes zur Feststellung der Versicherungspflicht mit
Wirkung ab Februar 2010 rechtmäßig. Der Bescheid vom 2.5.1995 war nach § 48 SGB X
iVm § 8 Abs 2 KSVG mit Wirkung vom Ersten des Monats an aufzuheben, der auf den
Monat folgt, in dem die Künstlersozialkasse von der Änderung Kenntnis erhält; denn ein
Fall des § 8 Abs 2 S 1 KSVG liegt nicht vor. Die Beklagte hatte - für den Fall, dass
aufgrund der nachzuholenden Feststellungen keine andere Einkommensprognose
gerechtfertigt ist - nach Anhörung der Klägerin im Januar 2010 Kenntnis von der Änderung
der Verhältnisse erlangt; denn ein Arbeitseinkommen aus künstlerischer Tätigkeit in Höhe
der Mindestgrenze nach § 3 Abs 1 S 1 KSVG war für das Kalenderjahr 2010 nicht zu
prognostizieren.
45 3. Diese Auslegung der §§ 3, 8 und 12 KSVG verletzt die Klägerin nicht in ihren
Grundrechten. Von Verfassungs wegen ist insbesondere eine andere Auslegung der
Vorschriften über die Versicherungsfreiheit bei mehrfacher Unterschreitung der
Geringfügigkeitsgrenze von 3900 Euro nicht geboten. Wie alle Grundrechte begründet
auch die nach Art 5 Abs 3 GG geschützte Kunstfreiheit zunächst und vor allem ein
Abwehrrecht gegen hoheitliche Eingriffe in den jeweiligen Schutzbereich. Konkrete
Pflichten des Staates, Kunst oder Künstler zu fördern, ergeben sich daraus nicht. Zwar
enthält das Grundrecht auch eine wertentscheidende Grundsatznorm, weil sich aus ihm
die Staatzielbestimmung eines Kulturstaates ergibt, mit der Aufgabe, ein freiheitliches
Kunst- und Wissenschaftsleben zu erhalten und zu fördern. Dabei verbleibt dem
Gesetzgeber aber insbesondere im Hinblick auf Förderpflichten bzw
sozialversicherungsrechtliche Schutzpflichten ein weiter Gestaltungsspielraum. Soweit der
Gesetzgeber eine Förderung vornimmt, steht die Gleichbehandlung der Betroffenen nach
Art 3 Abs 1 GG im Vordergrund (vgl hierzu zB BVerfGE 36, 321, 331 ff; Pernice in: Dreier,
Grundgesetz, 3. Aufl 2013, Art 5 III RdNr 41, 62 ff mwN; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, 12.
Aufl 2012, Art 5 RdNr 105 ff, 110a f mwN). Gleiches gilt für die
sozialversicherungsrechtliche Absicherung der Künstler. Die hier in Betracht kommende
Versicherungsfreiheit der Klägerin ist nicht an den Kunstbegriff oder eine bestimmte Form
der Kunst geknüpft. § 3 Abs 1 S 1 KSVG bindet die Sozialversicherung nach dem KSVG
vielmehr an ein mit der selbstständigen künstlerischen Tätigkeit zu erzielendes
Mindesteinkommen. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 9/26, S 18, betreffend das
KSVG in der ursprünglichen Fassung vom 27.7.1981, BGBl I 705) ist die
Versicherungsfreiheit nach § 3 Abs 1 S 1 KSVG an die allgemeinen Bestimmungen des
Sozialversicherungsrechts angelehnt, nach denen geringfügige Beschäftigung prinzipiell
versicherungsfrei ist, und trägt der Besonderheit Rechnung, dass die Einkommen aus
selbstständiger künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit außerordentlichen
Schwankungen unterliegen können. Die Geringfügigkeitsgrenze wird deshalb nicht - wie
sonst üblich - auf einen Monat, sondern auf ein Jahr bezogen. Zudem gelten Ausnahmen
für Berufsanfänger (§ 3 Abs 2 KSVG) und solange das Arbeitseinkommen nicht mehr als
zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren die Mindestarbeitseinkommensgrenze nicht
übersteigt (§ 3 Abs 3 KSVG). Eine darüber hinausgehende sozialversicherungsrechtliche
Absicherung geringfügiger Beschäftigung oder Tätigkeit im künstlerischen/publizistischen
Bereich ist verfassungsrechtlich gerade im Hinblick auf eine Gleichbehandlung mit
anderen geringfügig Tätigen nicht geboten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass
insbesondere der volle Versicherungsschutz in der Kranken- und Pflegeversicherung bei
einem nach geringfügigem Einkommen bemessenen Beitrag eine erhebliche Anforderung
an die Solidargemeinschaft darstellt.
46 4. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.