Urteil des BSG vom 05.06.2013

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BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 5.6.2013, B 6 KA 40/12 R
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 20. Juni 2012 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
1 Die Klägerin, eine aus zwei Fachärzten für Allgemeinmedizin bestehende
Gemeinschaftspraxis, wendet sich gegen die Festsetzung einer Beratung im Rahmen einer
Wirtschaftlichkeitsprüfung aufgrund von Richtgrößen für das Jahr 2006.
2 Die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkasse Sachsen setzte mit Bescheid vom
20.11.2008 gegen die Klägerin wegen Überschreitung der Richtgröße der Fachärzte für
Allgemeinmedizin einen Regress in Höhe von 2789,37 Euro fest. Ihre Verordnungskosten
hätten im Jahr 2006 einschließlich Sprechstundenbedarf brutto 767 142,29 Euro betragen
bei einem Richtgrößenvolumen von 502 227,56 Euro. Eine Summe in Höhe von 126 745,27
Euro brachte die Prüfungsstelle in Abzug, weil sie Verordnungen für Indikationsgebiete
betrafen, die als Praxisbesonderheiten in der Prüfungsvereinbarung festgelegt waren, etwa
die Schmerztherapie mit betäubungsmittelhaltigen Arzneimitteln. Weitere 7900,76 Euro zog
die Prüfungsstelle für Mehraufwendungen für Antidementiva ab, weil ein erhöhter Anteil an
Demenzpatienten festgestellt worden war (6,8 % gegenüber 1,3 % in der
Vergleichsgruppe). Soweit die Klägerin sich darauf berufen habe, dass sie eine Vielzahl
von Pflegeheimpatienten behandele, habe sie weder zu den von ihr namentlich benannten
20 Patienten, die Verordnungskosten von mehr als 2000 Euro verursacht hätten, noch zu
den 200 pauschal angegebenen Pflegeheimpatienten Angaben zu Indikation, Diagnose,
Name der Versicherten, Krankenkassenversichertennummer, verordneten Arzneimitteln
sowie Menge und Quartalskosten der Einzelmedikamente gemacht. Soweit der
durchschnittliche Rentneranteil der Fachgruppe um 25 % überschritten sei, sei dies mit der
höheren Richtgröße für Rentner berücksichtigt worden. Es verbleibe eine Überschreitung
der gewichteten Richtgröße von 25,92 %.
3 Auf den Widerspruch der Klägerin, zu dessen Begründung sie erneut auf die
Praxisbesonderheit "Heimbetreuung" verwies, hob der beklagte Beschwerdeausschuss mit
Bescheid vom 7.8.2009 aus der Sitzung vom 27.5.2009 den Regress auf und setzte eine
Beratung fest. Er führte ua aus, Pflegeheimpatienten könnten wegen einer aufwendigen
Betreuung eine Besonderheit darstellen. Aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen
sei aber nicht ersichtlich, dass tatsächlich 200 Patienten in Pflegeheimen betreut würden.
Die Nennung von 20 namentlich benannten besonders kostenintensiven Patienten - davon
17 Pflegeheimpatienten - könne nicht ohne Weiteres zur Anerkennung von
Praxisbesonderheiten führen. Es wäre vielmehr Pflicht der Klägerin gewesen, die
behaupteten Praxisbesonderheiten sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach schlüssig
darzulegen. Dieser Pflicht sei sie nicht nachgekommen. Nach eingehender Prüfung werde
für insgesamt 11 der 20 namentlich genannten Patienten ein Mehraufwand in Höhe von 25
043,35 Euro zusätzlich anerkannt. Zur Ermittlung möglicher Praxisbesonderheiten sei ein
Vergleich der häufigsten Diagnosen in den allgemeinmedizinischen Praxen in Sachsen mit
der klägerischen Praxis vorgenommen worden, der lediglich bei zwei Positionen - bei den
somatoformen Störungen und der Herzinsuffizienz - eine geringe positive Abweichung
gegenüber der Fachgruppe ergeben habe. Von einem besonderen Klientel könne deshalb
nicht ausgegangen werden. Nach Abzug der bereits von der Prüfungsstelle anerkannten
und der im Widerspruchsverfahren festgestellten Praxisbesonderheiten in Höhe von
insgesamt 159 789,16 Euro verbleibe eine Überschreitung des Richtgrößenvolumens von
20,93 %, sodass eine Beratung festzusetzen sei.
4 Das SG hat mit dem angefochtenen Urteil vom 20.6.2012 die Klage abgewiesen. Der auf
die Richtgrößenwerte der Richtgrößenvereinbarung 2006 gestützte Regress sei
rechtmäßig. Zwar sei diese Richtgrößenvereinbarung nicht rechtzeitig zu Jahresbeginn
vereinbart und bekanntgemacht worden. Ihre Anwendung benachteilige die Klägerin jedoch
nicht, weil für 2006 höhere Richtgrößen vereinbart worden seien als für 2005. In der Sache
sei die Entscheidung des Beklagten rechtmäßig. Weitere Praxisbesonderheiten habe die
Klägerin nicht substantiiert dargelegt. Hierfür reiche es nicht aus, wenn der geprüfte Arzt
lediglich eine Patientenliste mit der Angabe von Diagnosen und Behandlungen vorlege.
Der Beklagte habe dem naheliegenden Gedanken Rechnung getragen, dass bei der
Betreuung von Patienten in Pflegeheimen verstärkt Patienten mit Demenzerkrankung
vorhanden sein könnten und habe die sich hieraus ergebenden Mehrkosten anerkannt.
Bezüglich der namentlich genannten Patienten habe er darüber hinaus Art und Umfang der
verordneten Arzneimittel bewertet und weitere 25 043,35 Euro in Abzug gebracht. Für
weitere in Pflegeheimen betreute Patienten sei dies schon deshalb nicht möglich gewesen,
weil die Klägerin lediglich eine Anzahl angegeben habe, aber keine weiteren Patienten mit
Namen bezeichnet habe. Allein die Unterbringung eines Patienten in einem Pflegeheim
rechtfertige nicht die Anerkennung als Praxisbesonderheit mit Abzug eines pauschalen
Verordnungsvolumens, für dessen Bemessung überdies keine Anhaltspunkte vorlägen.
Eine weitere Substantiierung von Praxisbesonderheiten sei der Klägerin auch nicht
unzumutbar gewesen.
5 Zur Begründung ihrer Sprungrevision trägt die Klägerin vor, der Umfang der ihr auferlegten
Darlegungspflichten sei rechtswidrig. Die erforderliche Behandlungsintensität bei den
betreuten Pflegeheimpatienten stelle per se eine anerkennungswürdige Praxisbesonderheit
dar. Von den Prüfgremien seien ihr nur lückenhafte Informationen zur Verfügung gestellt
worden, nämlich Dokumentationen ohne Klarnamen der Patienten sowie Vermerke von
Pharmazentralnummern für Medikamente. Anhand dieser Daten habe sie ihrer
Darlegungslast nicht nachkommen können. Andererseits seien die Anhaltspunkte für die
Anerkennung einer Praxisbesonderheit evident gewesen. Diese Erkenntnisse hätten die
Prüfgremien aber nicht zum Anlass genommen, ihrer Amtsermittlungspflicht zu genügen.
Sie fügt eine Aufstellung von 211 Patienten bei, die sie im Jahr 2013 in einem
Seniorenheim betreut habe und deren Altersdurchschnitt 85,36 Lebensjahre betragen habe.
Allein durch die im Vergleich zu den Mitgliedern höhere Richtgröße für Rentner seien die
höheren Kosten für Pflegeheimbewohner nicht ausreichend berücksichtigt. Etwa ab dem
75. Lebensjahr sei ein überproportionaler Anstieg der Verordnungskosten zu verzeichnen,
sodass es einer weiteren Differenzierung bedürfe. Bei Heimbewohnern werde auch
ausschließlich der das Heim betreuende Arzt für Verordnungen in Anspruch genommen. Es
wäre sachwidrig, wenn der ein Heim versorgende Arzt für jeden Einzelfall die Besonderheit
begründen müsse. Die systematische Besonderheit ergebe sich bereits aus dieser
speziellen Patientengruppe, für die höhere Kosten anfallen würden. Die Prüfgremien seien
verpflichtet, eine eigene Vergleichsgruppe für die Ärzte zu bilden, die Pflegeheimpatienten
betreuen.
6 Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 20.6.2012 und den Bescheid des Beklagten
vom 7.8.2009 aufzuheben.
7 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8 Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Da den Prüfgremien die Adressen der
Versicherten nicht vorlägen, sei die Unterbringung in einem Heim nicht ohne Weiteres
ersichtlich. Es sei Sache des Vertragsarztes, die entsprechenden Angaben vorzutragen.
Entscheidungsgründe
9 Die zulässige Sprungrevision der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage gegen
den Bescheid des Beklagten zu Recht abgewiesen.
10 1. Die Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die Klägerin ist durch den angefochtenen
Bescheid formell beschwert iS des § 54 Abs 1 Satz 2 SGG und damit klagebefugt. Sie
erstrebt die Beseitigung einer in ihre Rechtssphäre eingreifenden Verwaltungsmaßnahme,
die sie als rechtswidrig beanstandet (vgl BSGE 90, 127, 130; zur Klagebefugnis allgemein
Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 54 RdNr 9 bis 12a mwN).
Ein nachteiliges Einwirken auf die Rechtssphäre der Klägerin fehlt nicht etwa deshalb,
weil der angefochtene Bescheid keine materielle Ausgleichspflicht festsetzt, sondern nur
eine immaterielle Maßnahme der "Beratung". Auch bei der Beratung nach § 106 Abs 1a
iVm Abs 5a Satz 1 und 2 SGB V handelt es sich nach der gesetzlichen Konzeption um
eine Sanktion im Falle der Überschreitung des Richtgrößenvolumens. Das SG hat zu
Recht darauf hingewiesen, dass Richtgrößen nach der Intention des Gesetzgebers eine
Steuerungsfunktion zukommt und dies im Wortlaut des § 84 Abs 6 Satz 3 SGB V zum
Ausdruck kommt. Danach leiten die Richtgrößen den Vertragsarzt bei seinen
Entscheidungen über die Verordnung von Leistungen nach § 31 nach dem
Wirtschaftlichkeitsgebot. Die Steuerungsfunktion wird über die
Wirtschaftlichkeitsprüfungen abgesichert (vgl BT-Drucks 12/3608 S 100 Zu Nummer 56 <§
106> Zu Buchst f). Mit der Übertragung der Verantwortung für die Information und Beratung
der Vertragsärzte über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der von ihnen
verordneten Leistungen auf die Prüfgremien verband der Gesetzgeber die Vorstellung,
erhebliche Wirtschaftlichkeitspotentiale zu aktivieren und die Versorgungsqualität zu
verbessern (vgl BT-Drucks 15/1525 S 113 Zu Nummer 82 <§ 106> Zu den Buchst a und
b). Wie jede Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung zielt auch die Beratung nach § 106
Abs 1a iVm Abs 5a Satz 1 und 2 SGB V letztlich auf eine Verhaltensänderung. Die
konkrete Ausgestaltung der Maßnahme steht im Ermessen der Prüfgremien (vgl BT-
Drucks 14/6309 S 11 Zu Nummer 4 <§ 106> Zu Buchst b), soweit die Partner der
Gesamtverträge keine Bestimmungen in den Prüfungsvereinbarungen treffen. Dem Sinn
und Zweck der Maßnahme dürfte am ehesten ein persönliches Beratungsgespräch
gerecht werden, wie es nach den Angaben der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung
in Sachsen von den Prüfgremien auch regelmäßig durchgeführt wird. Unabhängig von der
Art ihrer Ausgestaltung erfolgt mit der Festsetzung einer Beratung jedenfalls eine
Beurteilung des Verordnungsverhaltens des Vertragsarztes. Die Prüfgremien treffen die
Feststellung, dass eine Überschreitung der Richtgrößen nicht durch Praxisbesonderheiten
begründet, das Verordnungsverhalten des Vertragsarztes mithin unwirtschaftlich war. Der
Vertragsarzt muss sich der Maßnahme der "Beratung" unterziehen, auch wenn diese uU
nur in der Kenntnisnahme des Festsetzungsbescheides besteht. Der damit verbundene
Eingriff in die durch Art 12 Abs 1 GG geschützte Berufsfreiheit begründet eine Beschwer
der Klägerin.
11 Für die Zeit ab dem 1.1.2012 kommt hinzu, dass nach der Einfügung von § 106 Abs 5e
SGB V durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (vom 22.12.2011 - BGBl I 2983) die
Festsetzung einer Beratung für einen vorhergehenden Prüfzeitraum Voraussetzung für die
Festsetzung eines Regresses ist. Schließlich ist auch nicht ausgeschlossen, dass die
Beratung als Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung für die rechtlichen
Voraussetzungen in anderen Verfahren, etwa in einem Disziplinarverfahren oder auch
einem Zulassungsentziehungsverfahren, eine Rolle spielen kann.
12 2. Rechtsgrundlage des Bescheides des Beklagten ist § 106 Abs 2 iVm Abs 5a und Abs
1a SGB V (hier zugrunde zu legen in der Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes
vom 14.11.2003, BGBl I 2190, die im Jahr 2006 galt). Nach § 106 Abs 2 Nr 1 SGB V wird
die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfung ärztlich
verordneter Leistungen bei Überschreitung der Richtgrößenvolumina nach § 84 und/oder
anhand von Stichproben (aaO Nr 2), geprüft. Die Überschreitung der Richtgrößenvolumina
löst gemäß § 84 Abs 6 Satz 4 SGB V eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Abs 5a
SGB V aus.
13 Das SG hat zu Recht entschieden, dass hier Prüfungsmaßstab die auf der Grundlage von
§ 84 Abs 6 SGB V getroffene Richtgrößenvereinbarung für das Jahr 2006 war. Diese war
zwar entgegen § 84 Abs 6 Satz 1 SGB V nicht bis zum 15.11.2005 zustande gekommen,
sondern beruhte auf einem Schiedsspruch vom 16.1.2006. Das steht jedoch der
Wirksamkeit der Richtgrößenvereinbarung hier nicht entgegen, weil die Vereinbarung für
das Jahr 2006 nach den von der Klägerin nicht angegriffenen Feststellungen des SG
jedenfalls für die Fachgruppe der Allgemeinmediziner höhere Werte auswies als die
Vereinbarung für das Vorjahr. Sofern keine Verschlechterung eintritt, stellen die neuen
Richtgrößen keinen "Eingriff" dar, und es fehlt an der Grundlage für die Annahme einer
unzulässigen Rückwirkung (vgl BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 27; BSGE 95, 199 =
SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 55). Dass sich für andere Fachgruppen (Gynäkologen,
Psychiater und Orthopäden) die Richtgrößen zu ihren Lasten veränderten, berührt die
Wirksamkeit der für die hier maßgebliche Fachgruppe vereinbarten Richtgrößen nicht.
14 3. Art und Umfang der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten durch den Beklagten
sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Ebenso wie bei der Prüfung nach
Durchschnittswerten besteht auch bei einer Richtgrößenprüfung ein
Beurteilungsspielraum der Prüfgremien, soweit es um die Feststellung und Bewertung von
Praxisbesonderheiten geht (vgl BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 38; BSGE 95, 199 =
SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 36). Der Begriff der Praxisbesonderheiten ist hier nicht
anders zu verstehen als im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach
Durchschnittswerten (vgl BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 38; BSG SozR 4-2500 § 87 Nr
10 RdNr 35; Clemens in Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl 2010, § 36 RdNr
123 Fn 129). Praxisbesonderheiten sind anzuerkennen, wenn ein spezifischer, vom
Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichender Behandlungsbedarf des
Patientenklientels und die hierdurch hervorgerufenen Mehrkosten nachgewiesen werden
(BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr 35). Regelmäßig nicht zielführend ist der Hinweis auf
schwere und kostenintensive Erkrankungen, weil sich solche Fälle in jeder Praxis finden
(vgl BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 38; Clemens aaO, RdNr 63).
15 Seit dem 1.1.2004 verpflichtet § 106 Abs 5a Satz 5 SGB V (idF des GKV-
Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003 - BGBl I 2190) die Vertragspartner, in der
Prüfungsvereinbarung Maßstäbe für die Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten zu
bestimmen. In der im streitbefangenen Zeitraum geltenden Prüfungsvereinbarung vom
14.4.2005 nannte die Anlage 7.1 "Indikationsgebiete zur Berücksichtigung als
Praxisbesonderheiten bei Richtgrößenprüfungen". Der Beklagte hat entsprechend § 5 Abs
2 Satz 3 der Anlage 7 zur Prüfungsvereinbarung die Kosten der Arzneimittel für die in der
Anlage 7.1 genannten Indikationsgebiete aus dem Verordnungsvolumen der Praxis
herausgerechnet. In Abzug gebracht hat der Beklagte ferner 99,78 Euro für Imiquimod zur
Behandlung des superfiziellen Basalzellkarzinoms, das nach der Anlage 1.1 Nr 29 der
Prüfungsvereinbarung vom 12.12.2007 als Praxisbesonderheit zu berücksichtigen ist.
16 Weitere Praxisbesonderheiten ermittelt nach § 106 Abs 5a Satz 8 SGB V idF des GKV-
Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007 (BGBl I 378) die Prüfungsstelle auf Antrag
des Arztes, auch durch Vergleich mit den Diagnosen und Verordnungen in einzelnen
Anwendungsbereichen der entsprechenden Fachgruppe. Es kann offenbleiben, ob die
Formulierung eine Einschränkung der Amtsermittlungspflicht impliziert (vgl dazu
Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand Juni 2013, K § 106 RdNr 191 f). Die Ermittlungen
des Beklagten genügten unabhängig davon jedenfalls den von der Rechtsprechung hierzu
allgemein entwickelten Grundsätzen. Danach sind die Prüfgremien zu Ermittlungen von
Amts wegen hinsichtlich solcher Umstände verpflichtet, die typischerweise innerhalb der
Fachgruppe unterschiedlich und daher augenfällig sind (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr
35 RdNr 17; aaO Nr 34 RdNr 18 unter Bezugnahme auf BSG vom 8.5.1985 - 6 RKa 24/83
- Juris RdNr 21 = USK 85190 S 1014 f; vgl zB auch BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 51 S 277;
Nr 53 S 295 oben). Den von der Klägerin als Besonderheit geltend gemachten Umständen
ist der Beklagte hinreichend nachgegangen. Er hat mit Hilfe eines Diagnosevergleichs
eine erhöhte Zahl von Patienten mit der Diagnose "Demenz" festgestellt und einen
Mehraufwand für Antidementiva in Höhe von 7900,76 Euro berücksichtigt. Bezüglich der
von der Klägerin namentlich benannten Patienten hat der Beklagte nach eingehender
Überprüfung Kosten für Diätetika, ein opioidhaltiges Schmerzmittel sowie ein Arzneimittel
gegen Morbus Parkinson in Höhe von insgesamt 25 043,35 Euro als
Praxisbesonderheiten anerkannt. Im Übrigen hat er einen Vergleich der 30 häufigsten
Diagnosen in der Fachgruppe angestellt und lediglich bei den Besuchsleistungen
geringfügige Überschreitungen der Klägerin in Relation zur Fachgruppe festgestellt.
Hieraus hat er beurteilungsfehlerfrei geschlossen, dass eine besondere Klientel, die einen
Mehraufwand im Verordnungsbereich erforderlich mache, nicht ersichtlich sei.
17 Rechtsfehlerfrei hat der Beklagte angenommen, dass die Betreuung von
Pflegeheimbewohnern eine Praxisbesonderheit darstellen kann, wenn nachweisbar ein
erhöhter Behandlungsbedarf besteht. Ein solcher ergibt sich aber nicht per se aus dem
Umstand, dass ein Patient in einem Pflegeheim wohnt. Weder die Pflegebedürftigkeit noch
die spezielle Wohnsituation lassen ohne Weiteres auf erhöhte Verordnungskosten
schließen. Der Beklagte hat im Rahmen seiner Amtsermittlung mögliche Besonderheiten
in diesem Zusammenhang - wie etwa den Mehraufwand für die Verordnungen von
Antidementiva - untersucht und berücksichtigt. Er hat erhöhte Kosten für
Wundbehandlungen bei Pflegebedürftigen erwogen, aber nicht feststellen können. Ein
Vergleich der Diagnosehäufigkeiten mit der Fachgruppe zeigte keine signifikanten
Besonderheiten. Weitere Ermittlungen von Amts wegen musste der Beklagte nicht
anstellen. Entgegen der Auffassung der Klägerin war der Beklagte nicht verpflichtet, die
Verordnungskosten für die einzelnen von der Klägerin behandelten Pflegeheimbewohner
zu ermitteln. Dies dürfte ihm schon deshalb nicht möglich gewesen sein, weil ihm nach §§
296 ff SGB V Adressen von Versicherten für die arztbezogenen Prüfungen nach § 106 Abs
2 Nr 1 SGB V regelmäßig nicht übermittelt werden (vgl dazu BSGE 95, 199 = SozR 4-2500
§ 106 Nr 11 RdNr 29).
18 Etwaige Mehraufwendungen für die Betreuung von Pflegeheimpatienten hätte vielmehr
die Klägerin konkret darlegen müssen. Die Darlegungs- und Feststellungslast für
besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände wie
Praxisbesonderheiten und kompensierende Einsparungen obliegt dem Arzt (BSG SozR 3-
2500 § 106 Nr 54 S 298 f mwN; Nr 57 S 325; BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19
RdNr 14; Nr 23 RdNr 13; Nr 35 RdNr 17). Es besteht insofern in der
Wirtschaftlichkeitsprüfung ein gewisses Spannungsfeld zwischen der nach § 20 Abs 1
SGB X bestehenden Verpflichtung der Prüfgremien, den Sachverhalt von Amts wegen
aufzuklären, und der besonderen Mitwirkungspflicht des geprüften Arztes, die über die
allgemeinen Mitwirkungspflichten nach § 21 Abs 2 SGB X hinausgeht (vgl BSG SozR 4-
2500 § 106 Nr 35 RdNr 40 mwN). Grundsätzlich ist es Angelegenheit des Vertragsarztes,
die für ihn günstigen Tatsachen so genau wie möglich anzugeben und zu belegen, vor
allem, wenn sie allein ihm bekannt sind oder nur durch seine Mithilfe aufgeklärt werden
können (vgl BSG aaO mwN). Der Arzt ist gehalten, solche Umstände im
Prüfungsverfahren, also spätestens gegenüber dem Beschwerdeausschuss, geltend zu
machen, die sich aus der Atypik seiner Praxis ergeben, aus seiner Sicht auf der Hand
liegen und den Prüfgremien nicht ohne Weiteres an Hand der Verordnungsdaten und der
Honorarabrechnung bekannt sind oder sein müssen (BSG aaO RdNr 42).
19 Die Klägerin hat hier zwar auf die Betreuung von Versicherten in Pflegeheimen
hingewiesen, aber nicht dargelegt, inwiefern der Verordnungsbedarf bei
Pflegeheimbewohnern wesentlich anders sein soll als bei - typischerweise ebenfalls
älteren - Rentnern, deren erhöhter Bedarf durch die besonderen Richtgrößen für diese
Gruppe bereits berücksichtigt war. Abgesehen von der namentlichen Nennung von 20
Patienten, davon 17 Pflegeheimbewohnern, mit besonderem Verordnungsaufwand
(insgesamt nach Angaben der Klägerin 70 802 Euro) gegenüber dem Prüfungsausschuss
hat sie sich im gesamten Verfahren auf den pauschalen Hinweis auf die Betreuung von
Pflegeheimbewohnern beschränkt, ohne auch nur ein konkretes Beispiel für die
Notwendigkeit besonders aufwendiger Verordnungen zu nennen. Ungeachtet dessen,
dass im Revisionsverfahren neuer Sachvortrag nicht berücksichtigt werden kann, § 163
SGG, bezieht sich die im Revisionsverfahren vorgelegte Liste auf Bewohner eines
Seniorenheims, nicht eines Pflegeheims, und belegt lediglich das hohe Alter der
Patienten. Auch insofern behauptet die Klägerin lediglich einen überdurchschnittlichen
Verordnungsaufwand, ohne diesen näher zu begründen (vgl dazu BSG Beschluss vom
15.8.2012 - B 6 KA 101/11 B - RdNr 9). Anhand ihrer Behandlungsdokumentationen wäre
für sie aber mit vertretbarem Aufwand nachvollziehbar gewesen, welche Verordnungen für
welche Patienten aufgrund welcher Diagnosen ausgestellt wurden. Für 20 Patienten hat
sie entsprechende Aufstellungen vorgelegt, die auch näher geprüft und berücksichtigt
worden sind. Es ist nicht ersichtlich, dass ihr weiterer Vortrag unzumutbar gewesen wäre.
20 4. Der Beklagte hat zu Recht als Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung eine Beratung
festgesetzt. Beratungen der Vertragsärzte nach § 106 Abs 1a SGB V auf der Grundlage
von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren
Zeitraum verordneten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der
Versorgung werden nach § 106 Abs 5a Satz 1 SGB V durchgeführt, wenn das
Verordnungsvolumen eines Arztes in einem Kalenderjahr das Richtgrößenvolumen um
mehr als 15 vom Hundert übersteigt und die Prüfgremien nicht davon ausgehen, dass die
Überschreitung in vollem Umfang durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Bei einer
Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 vom Hundert hat der
Vertragsarzt nach § 106 Abs 5a Satz 3 SGB V nach Feststellung durch die Prüfgremien
den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten. Da nach
Abzug der anerkannten Praxisbesonderheiten hier eine Überschreitung des
Richtgrößenvolumens um 20,93 % verblieb, lagen die Voraussetzungen für die
Festsetzung einer Beratung vor.
21 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer
entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Die Klägerin trägt die Kosten des
Rechtsstreits, weil sie mit ihrem Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs 2 VwGO).
Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, weil
diese im Verfahren keine Anträge gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO, vgl dazu BSGE 96,
257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).