Urteil des BSG vom 11.02.2015

Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung - Ausschüsse der Vertreterversammlung - Frist für Wahlanfechtung - Prinzip der Spiegelbildlichkeit

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 11.2.2015, B 6 KA 4/14 R
Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung - Ausschüsse der Vertreterversammlung -
Frist für Wahlanfechtung - Prinzip der Spiegelbildlichkeit
Leitsätze
1. Die Anfechtung der Wahl der Mitglieder in Ausschüssen der Vertreterversammlung
einer Kassenzahnärztlichen Vereinigung kann nur innerhalb eines Monats nach
Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgen.
2. Zur Geltung des Prinzips der Spiegelbildlichkeit im Bereich der
Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen.
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 9.
Dezember 2013 insoweit aufgehoben, als darin die in der konstituierenden Sitzung der
Beklagten vom 4. Dezember 2010 durchgeführten Wahlen der Mitglieder für den Haupt-
, Finanz- und Satzungsausschuss für ungültig erklärt und die Beklagte verpflichtet
worden ist, bis zum 31. Dezember 2014 nach Maßgabe der im Dezember 2010 gültigen
Regelung in § 24 Abs 6 der Satzung der Beigeladenen zu 2) Neuwahlen zu diesen
Ausschüssen durchzuführen. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt die Feststellung der Ungültigkeit der in der konstituierenden Sitzung der
beklagten Vertreterversammlung (VV) der zu 2) beigeladenen Kassenzahnärztlichen
Vereinigung (KZÄV) vom 4.12.2010 durchgeführten Wahlen der Mitglieder des Haupt-,
Finanz- und Satzungsausschusses.
2
Der Kläger ist mit Praxissitz in B zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. Er ist
Mitglied der Beklagten und Vorsitzender der Fraktion "Unabhängige Freie Zahnärzte"
(UFZ). Für die Wahlperiode 2011 bis 2016 sind in der beklagten VV neben einem
fraktionslosen Vertreter drei Fraktionen mit folgender Stärke vertreten:
1. Freier Verband Deutscher Zahnärzte: 29 Vertreter (FVDZ)
(ca 59 %)
2. Unabhängige Freie Zahnärzte: 11 Vertreter (UFZ)
(ca 22 %)
3. Freie Zahnärzte Westfalen-Lippe: 9 Vertreter (FZ)
(ca 18 %)
3 Nach § 24 Abs 1 der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Satzung waren durch die beklagte
VV die Mitglieder des Haupt-, Satzungs- und Finanzausschusses zu berufen. Die in § 19
Abs 4 der Satzung vorgesehenen Fraktionen waren nach § 24 Abs 6 in den Ausschüssen
"angemessen zu berücksichtigen". Mit Beschluss der Beklagten vom 25.5.2013 wurde § 24
Abs 6 der Satzung wie folgt neu gefasst: "Die Fraktionen gemäß § 19 Absatz 4 sind in den
Ausschüssen nach ihrem prozentualen Anteil zu berücksichtigen. Erhalten die Kandidaten
oder erhält der Kandidat einer Fraktion keine Mehrheit, kann die Fraktion für weitere
Wahlgänge weitere Kandidaten vorschlagen".
4 In den aus insgesamt sieben Mitgliedern bestehenden Hauptausschuss wurden sechs
Mitglieder der Mehrheitsfraktion FVDZ sowie ein Mitglied der Fraktion UFZ gewählt. In den
aus neun Mitgliedern bestehenden Finanzausschuss wurden sieben Mitglieder der FVDZ
und jeweils ein Mitglied der UFZ und der FZ, in den aus acht Mitgliedern bestehenden
Satzungsausschuss wurden sechs Mitglieder der FVDZ und ebenfalls jeweils ein Mitglied
der UFZ und der FZ gewählt.
5 Mit Schreiben vom 7.12.2010 und 13.12.2010 wandte sich der Kläger als Fraktionssprecher
der UFZ an das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes
Nordrhein-Westfalen mit der Bitte, aufsichtsrechtlich tätig zu werden. In einem Schreiben
vom 4.1.2011 erklärte der Kläger gegenüber dem für den Bereich der zu 2) beigeladenen
KZÄV gebildeten Landeswahlausschuss die Anfechtung der Wahl. Der
Landeswahlausschuss, bei dem das Schreiben am 5.1.2011 einging, verwies die
Angelegenheit an den Vorstand der Beigeladenen zu 2), der dem Kläger mit Schreiben vom
17.1.2011 mitteilte, dass aus seiner Sicht die durchgeführten Wahlen nicht zu beanstanden
seien.
6 Der Kläger erhob daraufhin mit Schreiben vom 3.2.2011, eingegangen am 4.2.2011, Klage
vor dem SG Münster. Das SG hat mit Urteil vom 9.12.2013 die in der konstituierenden
Sitzung der Beklagten vom 4.12.2010 durchgeführten Wahlen der Mitglieder für den Haupt-,
Finanz- und Satzungsausschuss für ungültig erklärt und die Beklagte verpflichtet, bis zum
31.12.2014 nach Maßgabe der im Dezember 2010 gültigen Regelung in § 24 Abs 6 der
Satzung der Beigeladenen zu 2) Neuwahlen zu diesen Ausschüssen durchzuführen. Bis zu
diesen Neuwahlen verblieben die bisher gewählten Mitglieder der Ausschüsse in ihren
Ämtern. Im Übrigen, hinsichtlich des Antrages des Klägers, die Wahlen der weiteren
Mitglieder zur VV der zu 1) beigeladenen Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV)
für ungültig zu erklären, hat das SG Münster die Klage abgewiesen, weil sich bei
rechtmäßigem Verfahren kein anderes Wahlergebnis ergeben hätte. § 131 Abs 4 SGG finde
keine Anwendung, weil die Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur die Wahlen zu
den Selbstverwaltungsorganen betreffe. Streitig seien hier jedoch die innerhalb des
Selbstverwaltungsorgans durchgeführten Wahlen. Da das SGG insoweit keine Regelungen
enthalte, seien die von den Verwaltungsgerichten entwickelten Grundsätze der
verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten, insbesondere der
Kommunalverfassungsstreitverfahren, anzuwenden. Dies führe zunächst dazu, dass nicht
die Beigeladene zu 2), sondern die VV der Beigeladenen zu 2) richtige Beklagte sei. Für das
vorliegende Streitverfahren sei sie sowohl beteiligten- als auch prozessfähig. Nach den
Grundsätzen der verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten könne der Kläger als Mitglied
der Beklagten individuelle organschaftliche Rechte geltend machen.
7 Die in der konstituierenden Sitzung durchgeführten Wahlen zu den Ausschüssen verstießen
gegen § 24 Abs 6 der Satzung in der damals geltenden Fassung. Die Wahlen hätten nicht
dazu geführt, dass sämtliche Fraktionen der Beklagten angemessen in den Ausschüssen
berücksichtigt worden seien. Bei der Auslegung des in § 24 Abs 6 der Satzung genannten
Begriffs der Angemessenheit sei zum einen auf die Funktion der Beklagten als
Selbstverwaltungsorgan und zum anderen auf die Bedeutung der Ausschüsse abzustellen.
Der vom BVerfG für die Ausschüsse des Bundestages entwickelte Grundsatz der
Spiegelbildlichkeit, wonach grundsätzlich jeder parlamentarische Ausschuss ein
verkleinertes Abbild des Plenums sein müsse, gelte auch bei der Zusammensetzung der
Ausschüsse der Beklagten als einem demokratisch legitimierten Gremium der in Westfalen-
Lippe zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassenen Vertragszahnärzte. Auch sie
würden Entscheidungen der Beklagten vorbereiten und hätten damit Einflussmöglichkeiten.
Die Bedeutung der Ausschüsse gebiete es, dass sich bei ihrer Besetzung insgesamt die
Mehrheitsverhältnisse der Beklagten widerspiegelten. Nur dann könne von einer
angemessenen Berücksichtigung der Fraktionen ausgegangen werden. Dies sei aber
vorliegend nicht der Fall gewesen. Insgesamt gehörten den Ausschüssen 25 Mitglieder an,
die Fraktionen UFZ und FZ seien jedoch nur mit fünf Mitgliedern in den Ausschüssen
vertreten, also mit lediglich 20 %, obwohl in diesen Fraktionen 40 % der Mitglieder der
Beklagten zusammengeschlossen seien. Die Mitglieder der Mehrheitsfraktion könnten sich
für die Rechtfertigung dieses Wahlergebnisses nicht auf die Grundsätze der Allgemeinheit,
Freiheit oder Gleichheit der Wahl iS des Art 38 GG berufen. Diese Grundsätze würden durch
das Spiegelbildlichkeitsprinzip eingeschränkt.
8 Die hiergegen eingelegte Sprungrevision begründet die Beklagte damit, dass entgegen der
Auffassung des SG Münster der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit auf die Wahl der
Mitglieder der Ausschüsse keine Anwendung finde. Für die Erforderlichkeit einer
proportionalen Berücksichtigung der Fraktionen fehle es an einer § 12 der Geschäftsordnung
des Bundestages vergleichbaren Rechtsgrundlage. § 24 Abs 6 der Satzung in der damals
anzuwendenden Fassung habe eine "angemessene Berücksichtigung" vorgesehen. Das sei
nicht mit einer proportionalen Berücksichtigung gleichzusetzen, sondern lasse der Beklagten
bei der Berücksichtigung der Fraktionen einen Entscheidungsspielraum. Anders als zB in §
22 Abs 2 Heilberufsgesetz NRW sei eine proportionale Berücksichtigung gerade nicht
ausdrücklich vorgesehen gewesen. Die vom SG der Entscheidung zugrunde gelegte
Rechtsprechung des BVerfG basiere auf Art 53a GG. Das dort normierte Prinzip der
Spiegelbildlichkeit gelte nach der Rechtsprechung des BVerwG auch für die Ausschüsse der
Gemeindevertretungen, sei jedoch auf die Beklagte nicht unmittelbar übertragbar. Die
Rechtsprechung des BVerfG sei im Kontext zur Ausschussarbeit des Bundestages zu sehen.
Die Ausschüsse des Bundestages nähmen einen wesentlichen Teil der Informations-,
Kontroll- und Untersuchungsaufgabe des Bundestages wahr. Die Aufgaben der Ausschüsse
der Beklagten hätten vornehmlich vorbereitenden und beratenden Charakter und ersetzten
nicht die verbindlichen Entscheidungen der Beklagten. Diese Auslegung werde auch durch
den Umstand gestützt, dass die Bildung von Ausschüssen auf einer Entscheidung der
Beklagten beruhe und nicht durch Gesetz oder andere Rechtsnormen vorgegeben sei. Das
BVerfG sehe in seiner Rechtsprechung zum Grundsatz der Spiegelbildlichkeit die Fraktionen
im Bundestag als "notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens und maßgebliche
Faktoren der politischen Willensbildung". Eine vergleichbare Rolle spielten die Fraktionen
der VV, deren Bildung auf einer freien Entscheidung der Beklagten beruhe, nicht. Das SG
habe zudem hinsichtlich der Wahl der Mitglieder des Finanzausschusses und des
Satzungsausschusses nicht berücksichtigt, dass dies aufgrund eines "en bloc"-Vorschlages
erfolgt sei und abweichende Vorschläge nicht eingereicht worden seien. In beiden
Ausschüssen sei je ein Mitglied der Minderheitsfraktionen gewählt worden.
9 Es sei auch fraglich, ob die Wahlfreiheit ihrer Mitglieder bei der Besetzung von Ausschüssen
durch einen sich allenfalls aus der Satzung ergebenden Grundsatz der Spiegelbildlichkeit
eingeschränkt werden könne. Nach der Rechtsprechung des BSG seien die
Wahlrechtsgrundsätze des Art 38 Abs 1 Satz 1 GG auch für Wahlen der Mitglieder der VV
verbindlich. Dieses Recht müsse auch für Wahlen gelten, die innerhalb der VV abgehalten
würden. Die angemessene Berücksichtigung der Fraktionen in den Ausschüssen setze bei
einer Wahl der Ausschussmitglieder voraus, dass sich die Fraktionen auf entsprechende
Kandidaten verständigten. Komme eine Verständigung teilweise oder gar nicht zustande, sei
eine von der Satzungsvorgabe abweichende Wahlentscheidung nicht generell zu
verhindern. Das BVerwG gehe im Zusammenhang mit der Besetzung der Ausschüsse des
Gemeinderates nicht davon aus, dass das freie Wahlrecht durch Regelungen der
Gemeindeordnung in Verbindung mit den für Parlamente geltenden verfassungsrechtlichen
Wahlgrundsätzen eingeschränkt werde. Eine entsprechende Abwägung zwischen dem
Recht der Fraktionen auf angemessene Berücksichtigung in den Ausschüssen und dem
Recht ihrer Mitglieder auf eine freie Wahl der Ausschussmitglieder habe das SG nicht
vorgenommen, sondern sei von der Nachrangigkeit des letztgenannten Gesichtspunktes
ausgegangen. Zulässig begrenzt werde die Wahlfreiheit nach Art 38 Abs 1 GG aber nur
durch Regelungen, die den Zugang zur Wahl, also das aktive und passive Wahlrecht an sich
reglementierten. Die Stimmabgabe der VV-Mitglieder dürfe hingegen derartigen
Beschränkungen oder Beeinflussungen nicht unterliegen.
10 Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 9.12.2013 insoweit abzuändern, als der Klage
entsprochen worden ist, und die Klage insgesamt abzuweisen.
11 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
12 Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Rückgriff auf die Regelungen zur
organisatorischen Struktur der Ausschüsse des Bundestages sei angemessen und
zutreffend.
13 Mit Beschluss vom 23.4.2014 hat der Vorsitzende des Senats die Vollstreckung des Urteils
durch einstweilige Anordnung ausgesetzt.
Entscheidungsgründe
14 Die Sprungrevision gegen das Urteil des SG ist begründet. Das SG hätte der Klage auf
Ungültigerklärung der Wahlen zu den Ausschüssen der Beklagten nicht stattgeben und
keine Neuwahlen anordnen dürfen, weil die Klagefrist versäumt worden ist.
15 1. Die Klage ist als Wahlanfechtungsklage zulässig. Zwar liegen, wie das SG zutreffend
entschieden hat, die Voraussetzungen des § 131 Abs 4 SGG hier nicht vor. Danach spricht
das Gericht in den Fällen, in denen es eine Wahl iS des § 57b SGG oder eine Wahl zu den
Selbstverwaltungsorganen der Kassenärztlichen Vereinigungen oder der Kassenärztlichen
Bundesvereinigungen ganz oder teilweise oder eine Ergänzung der
Selbstverwaltungsorgane für ungültig hält, dies im Urteil aus und bestimmt die Folgerungen,
die sich aus der Ungültigkeit ergeben. Nach seinem Wortlaut bezieht sich § 131 Abs 4 SGG
nur auf die Wahlhandlungen bei der Besetzung von Organen der
Selbstverwaltungskörperschaften. Organstellung kommt hier aber nur der Beklagten nach §
79 Abs 1 SGB V zu, nicht den nach § 24 Abs 1 der Satzung zu berufenden Ausschüssen.
Sie sind lediglich Organteile des Selbstverwaltungsorgans, vergleichbar mit den
Ausschüssen der Gemeindevertretungen. § 131 Abs 4 SGG regelt indes lediglich den Inhalt
der Urteilsformel bei begründeten Wahlanfechtungsklagen, nicht aber die Voraussetzungen
der Zulässigkeit und Begründetheit (vgl BSGE 71, 175, 177 = SozR 3-1500 § 55 Nr 14 S 22;
Wolff-Dellen in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 131 RdNr 25). § 131 Abs 4 SGG ist
deshalb nicht als abschließende Aufzählung möglicher Wahlanfechtungsklagen zu
verstehen.
16 Der Rechtsschutz gegen rechtswidrige Wahlhandlungen innerhalb der
vertrags(zahn)ärztlichen Selbstverwaltung ist im Gesetz nur unvollkommen geregelt (vgl zur
Besetzung des Vorstandes der KZBV BSGE 71, 175, 177 = SozR 3-1500 § 55 Nr 14 S 22).
Dies trifft auch auf Wahlhandlungen zu, die, wie hier, die Besetzung von Gremien innerhalb
eines Organs zum Gegenstand haben. Es fehlt insofern an einer ausdrücklichen Regelung
der Rechtschutzmöglichkeiten. Das Demokratieprinzip des Art 20 Abs 1 und 2 GG einerseits,
auf dem die Einrichtung von Selbstverwaltungskörperschaften beruht (vgl BVerfG Beschluss
vom 6.5.2014 - 2 BvR 1139/12, 2 BvR 1140/12, 2 BvR 1141/12 - NVwZ 2014, 1306 mwN)
und das Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art 19 Abs 4 GG andererseits gebieten
aber auch hier eine gerichtliche Kontrolle, soweit eine Beeinträchtigung subjektiver Rechte
in Betracht kommt. Ob Wahlen zu im Recht der Selbstverwaltungskörperschaft
vorgesehenen organisatorischen Untergliederungen unter Verletzung subjektiver Rechte
durchgeführt worden sind, muss das einzelne Mitglied zur Überprüfung stellen können. In
Anlehnung an § 131 Abs 4 SGG und die im Verwaltungsprozessrecht entwickelten
Grundsätze für Organstreitigkeiten (vgl dazu Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl 2014, Vorb § 40
RdNr 6 ff sowie § 42 RdNr 80 ff; Roth, Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten, 2001, S 57
ff) können deshalb auch die Wahlen zur Besetzung des Haupt-, Finanz- und
Satzungsausschusses der beklagten VV mit einer Wahlanfechtungsklage angegriffen
werden.
17 Die Frage, ob es sich dabei um eine Klage besonderer Art (so hinsichtlich der
Wahlanfechtungsklage nach § 131 Abs 4 SGG: BSGE 23, 92, 93; 39, 244, 245) oder um eine
Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 SGG (so Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 24) handelt, kann offenbleiben, weil hinsichtlich der
Klagefrist, der Klagebefugnis und der Notwendigkeit eines Vorverfahrens jedenfalls
besondere Grundsätze greifen (vgl BSGE 71, 175, 177 = SozR 3-1500 § 55 Nr 14 S 23;
Aussprung in: Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 131 RdNr 87). Soweit der Kläger die
Anordnung geeigneter Folgerungen aus der vom Gericht festzustellenden Ungültigkeit der
Wahl beantragt, handelt es sich um eine Leistungsklage (vgl Keller aaO RdNr 29).
18 2. Zutreffend ist die Klage - nach erfolgtem Beteiligtenwechsel gemäß § 99 SGG - gegen die
nunmehr beklagte VV gerichtet worden. Nach der Rechtsprechung des BSG sind
Wahlanfechtungsklagen, die die Wahl zu den Selbstverwaltungsorganen zum Gegenstand
haben (§ 131 Abs 4 SGG) zwar grundsätzlich gegen den betroffenen Versicherungsträger
bzw die betroffene Körperschaft zu richten, nicht gegen das wählende oder zu wählende
Organ (vgl BSGE 71, 175, 177 = SozR 3-1500 § 55 Nr 14 S 23
KZBV>; BSGE 54, 104, 105 = SozR 2100 § 57 Nr 1 S 2
Krankenkasse>). Das SG hat hier jedoch zu Recht unter Rückgriff auf die Grundsätze des
verwaltungsrechtlichen Organstreitverfahrens die VV als richtige Beklagte angesehen.
Maßgeblich ist insofern, ob im Verhältnis der Beteiligten zueinander besondere Rechte und
Pflichten bestehen (vgl BVerwGE 137, 21: Klage von Mitgliedern der
Stadtverordnetenversammlung gegen dieses Gremium in Bezug auf die Wahl der Mitglieder
des Gemeindevorstands; BVerwG, Buchholz 415.1 Allg KommunalR Nr 173: Klage eines
Stadtverordneten und Fraktionsmitglieds gegen die Stadtverordnetenversammlung auf
Feststellung der Ungültigkeit der Wahlen zu verschiedenen Ausschüssen; BVerwGE 119,
305: Klage einer Stadtratsfraktion gegen den Rat auf Feststellung der Rechtswidrigkeit von
Wahlen zu Ausschüssen; Hessischer VGH, NVwZ-RR 2009, 531: Klage eines
Gemeindevertreters gegen die Gemeindevertretung gegen den Ausschluss der
Öffentlichkeit). Bei Streitigkeiten zwischen einem Organ und seinen Organteilen handelt es
sich um einen In-Sich-Prozess, der auch im Sozialgerichtsverfahren als "Ausnahmefall"
zulässig ist (BSG SozR 4-1500 § 70 Nr 1 RdNr 9 zur Klage des Vorstandes einer KZÄV
gegen den Disziplinarausschuss unter Bezugnahme ua auf BVerwGE 45, 207). Beklagter ist
in diesem Fall das Organ oder der Organteil, gegen den im Rahmen des
innerorganschaftlichen Rechtsverhältnisses materiell ein Anspruch bestehen kann. Das
kann hier nicht die Beigeladene zu 2), sondern nur die VV sein, der durch § 18 Abs 2 Nr 12
der Satzung das Recht und die Pflicht eingeräumt worden ist, die Ausschüsse zu errichten
und deren Mitglieder zu wählen. Damit korrespondiert ein mitgliedschaftlicher Anspruch
gegen die VV auf rechtmäßige Besetzung dieser Ausschüsse. Die Klage ist damit hier
gegen das wählende Organ - die beklagte VV - zu richten.
19 Die VV ist insofern auch beteiligtenfähig. Ist ein In-Sich-Prozess zulässig, sind die
Vorschriften über die Beteiligtenfähigkeit notwendig entsprechend anwendbar. Maßgeblich
ist, ob sich aus dem materiellen Recht klagefähige Positionen der Organe oder Organteile
ergeben können (vgl BSG SozR 4-1500 § 70 Nr 1 RdNr 8 f; Arndt in: Breitkreuz/Fichte, SGG,
2. Aufl 2014, § 70 RdNr 4). Das ist hier der Fall.
20 3. Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass der Kläger als Mitglied der Beklagten und
einer Fraktion in der vorliegenden Konstellation eigene Rechte geltend machen kann (vgl
BVerwGE 137, 21 zur Anfechtung von Wahlen zum Gemeindevorstand). Zwar könnte eine
angemessene Berücksichtigung der Minderheitsfraktionen auch von diesen selbst im
Rechtsweg beansprucht werden (vgl BVerwGE 119, 305, wo ebenfalls ohne weitere
Ausführungen von der Klagebefugnis der klagenden Fraktion ausgegangen wird). Das
schließt aber nicht aus, dass daneben auch das einzelne Mitglied befugt ist, in eigenem
Namen eine Überprüfung herbeizuführen. Das Recht der Fraktionen, in den Ausschüssen in
einem dem Demokratieprinzip entsprechenden Umfang vertreten zu sein, betrifft auch die
Rechtsposition der einzelnen Fraktionsmitglieder. Die Verteilung der Sitze in den
Ausschüssen hat Einfluss darauf, wie stark die Auffassungen der Fraktionen und damit die
der Fraktionsmitglieder in die Arbeit der Ausschüsse einfließen und nicht zuletzt auch,
welche Chance für das einzelne Fraktionsmitglied besteht, selbst gewählt zu werden (vgl
BVerfGE 80, 188, 222 f). Der Kläger ist daher prozessführungsbefugt. Als Mitglied im
wahlberechtigten Organ sowie einer betroffenen Minderheitsfraktion ist er auch klagebefugt
(vgl BSGE 71, 175, 178 f = SozR 3-1500 § 55 Nr 14 S 24 f zur Klagebefugnis kraft
Mitgliedschaft).
21 4. Der Zulässigkeit der Klage steht aber entgegen, dass der Kläger sie nicht innerhalb eines
Monats nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses erhoben hat. Für Wahlanfechtungsklagen
iS des § 131 Abs 4 SGG hat das BSG entschieden, dass eine Frist einzuhalten ist, wie dies
durchweg in Fällen gesetzlich näher geregelter Wahlanfechtungsklagen bestimmt ist. So ist
etwa in § 57 Abs 3 SGB IV, der die Klage nach Wahlverfahren zu den
Selbstverwaltungsorgangen der Sozialversicherungsträger regelt, für die Klageerhebung
eine Monatsfrist vorgesehen, ebenso für die Anfechtung der Wahl von
Aufsichtsratsmitgliedern nach § 251 Abs 3 iVm § 246 Abs 1 Aktiengesetz (AktG), die
Anfechtung eines Beschlusses der Generalversammlung nach § 51 Abs 1 Satz 1
Genossenschaftsgesetz und für die Anfechtung von Wahlen und Beschlüssen der
Rechtsanwaltskammern nach § 112f Abs 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Aus
diesen Regelungen ist als allgemeiner Rechtsgrundsatz abzuleiten, dass die Klage
spätestens einen Monat nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses erhoben werden muss
(vgl BSGE 71, 175, 180 = SozR 3-1500 § 55 Nr 14 S 26). Auf die Bekanntmachung einer
Wahlhandlung oder eines Wahlergebnisses wird auch in § 57 Abs 3 SGB IV abgestellt (§
246 Abs 1 AktG: "nach der Beschlussfassung", § 112f Abs 3 BRAO: "innerhalb eines Monats
nach der Wahl oder Beschlussfassung"). Die Klagefrist von einem Monat ab Bekanntgabe
dient der zeitnahen Herstellung von Rechtssicherheit (zu § 57 Abs 3 SGB IV vgl Palsherm in:
jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 57 RdNr 33). Auch hinsichtlich der Wahl der Mitglieder der
Ausschüsse besteht ein berechtigtes Interesse der VV und ihrer Mitglieder, die Gültigkeit der
Wahl möglichst schnell zu klären und die Funktionsfähigkeit der gewählten Ausschüsse
sicherzustellen. Ebenso wenig wie in den Fällen des § 57 SGB IV bedarf es hier einer
Rechtsmittelbelehrung, um die Frist in Gang zu setzen (vgl zu § 57 SGB IV Jung in:
Wannagat/Eichenhofer/Wenner, SGB I/IV/X, 2012, § 57 RdNr 9).
22 Hier wurde das Ergebnis der Wahl der Mitglieder des Haupt-, Satzungs- und
Finanzausschusses in der konstituierenden Sitzung am 4.12.2010 durch den Vorstand der
Beklagten festgestellt und bekanntgegeben. Die Klage ist erst am 4.2.2011 und damit
außerhalb der Klagefrist beim SG eingegangen. Weder die Schreiben des Klägers vom
7.12.2010 und 13.12.2010 an das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und
Alter des Landes Nordrhein-Westfalen noch das anwaltliche Schreiben vom 27.1.2011 an
die Beigeladene zu 2) waren geeignet, die Frist zu wahren. Abgesehen davon, dass der
anwaltliche Schriftsatz bereits außerhalb der Frist verfasst wurde, waren die Schreiben
ausschließlich auf ein Tätigwerden der jeweiligen Adressaten gerichtet und kündigten
lediglich eine Klageerhebung für den Fall der "Nichtabhilfe" an.
23 Die Klagefrist ist auch nicht dadurch gewahrt worden, dass der Kläger mit Schreiben vom
4.1.2011 die Wahl beim Landeswahlausschuss ausdrücklich angefochten hat. Zwar muss
eine Wahlanfechtungsklage nicht innerhalb von einem Monat nach Bekanntgabe des
Wahlergebnisses erhoben werden, wenn ein Wahlanfechtungsverfahren vor einem
Wahlprüfungsausschuss vorgesehen ist, wozu § 80 Abs 1 Satz 4 SGB V die
Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen ermächtigt (vgl Scholz in: Becker/Kingreen, SGB V,
4. Aufl 2014, § 80 RdNr 3; Steinmann-Munzinger in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 80 RdNr
19, 40). Für die Wahl der Mitglieder der Ausschüsse der Beklagten ist jedoch ein
Wahlanfechtungsverfahren vor dem Landeswahlausschuss nicht vorgesehen. Die
Wahlordnung der Beigeladenen zu 2) vom 4.2.2004, idF vom 16.5.2009, die in § 23 Abs 1
die Möglichkeit einer Anfechtung der Wahl vorsieht, bezieht sich ausschließlich auf die Wahl
der Mitglieder der VV. Dies ergibt sich aus § 5 Abs 1 der Satzung der zu 2) beigeladenen
KZÄV, wo es in Satz 3 heißt: "Die Wahlen zur Vertreterversammlung regelt eine
Wahlordnung, die Bestandteil dieser Satzung ist". Entsprechend bezieht sich § 1 der
Wahlordnung auch nur auf die Wahl der Mitglieder der Beklagten.
24 Ungeachtet dessen hätte der Kläger auch mit seinem Schreiben vom 4.1.2011 die
Monatsfrist nicht eingehalten. Ausgehend von einem Fristbeginn am 4.12.2010 endete die
Frist nach § 64 Abs 2 SGG mit dem Ablauf ihres letzten Tages, bezogen auf die Monatsfrist
mit Ablauf des entsprechenden Tages des nächsten Monats, hier des 4.1.2011 (vgl Keller in:
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 64 RdNr 5). Das Schreiben des
Klägers vom 4.1.2011 ist aber ausweislich des Eingangsstempels beim
Landeswahlausschuss erst am Mittwoch, dem 5.1.2011 und damit außerhalb der Frist
eingegangen.
25 5. Im Übrigen hat das SG rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Wahlen nicht den sich aus
Bundesrecht ergebenden Anforderungen an Wahlen innerhalb einer
Selbstverwaltungskörperschaft entsprachen. Nach § 24 Abs 1 der Satzung der
Beigeladenen zu 2) vom 25.6.2004 in der zum Zeitpunkt der Wahl geltenden Fassung vom
24.6.2005 "berief" die VV den Haupt-, Satzungs- und Finanzausschuss. Dabei sah § 24 Abs
6 der Satzung vor, dass die Fraktionen gemäß § 19 Abs 4 der Satzung in den Ausschüssen
"angemessen zu berücksichtigen" waren.
26 Es steht mit Bundesrecht in Einklang, den Begriff der "Angemessenheit" dahingehend
auszulegen, dass die Fraktionen entsprechend der Stärke ihrer Mitgliederzahl in der
beklagten VV zu berücksichtigen sind, wie dies nunmehr in § 24 Abs 6 Satz 1 der Satzung
ausdrücklich vorgesehen ist (so etwa auch in § 22 Abs 2 Heilberufsgesetz NRW). Soweit die
Beklagte den Begriff der angemessenen Berücksichtigung dahingehend versteht, dass die
Minderheitsfraktionen nur mit je einem Mitglied in den Ausschüssen vertreten sein müssen,
entspricht dies nicht den Anforderungen an eine demokratische Binnenorganisation der
Selbstverwaltungsorgane. Da die Mehrheitsfraktion grundsätzlich immer in der Lage wäre,
bei Wahlen zu den Ausschüssen für eine Dominanz der eigenen Fraktion zu sorgen, kann
die Regelung in § 24 Abs 6 der Satzung nur dahingehend verstanden werden, dass sie dem
Schutz der Minderheitsfraktionen dient. Eine statische Berücksichtigung der
Minderheitsfraktionen mit je nur einem Mitglied in den Ausschüssen wird dem nicht gerecht
(vgl BVerwGE 119, 305, 308). Vor dem Hintergrund, dass die Mitgliederzahl der
Minderheitsfraktionen grundsätzlich 15 % (§ 19 Abs 4 der Satzung) bis 49 % der Mitglieder
der VV ausmachen kann, kann nur eine Berücksichtigung der Fraktionen nach ihrer Stärke
"angemessen" sein.
27 a) Das SG hat zu Recht entschieden, dass auch im Bereich der Selbstverwaltung im
Grundsatz das Prinzip der Spiegelbildlichkeit für die Ausschussbesetzung maßgeblich ist.
Das BVerfG hat dieses Prinzip in ständiger Rechtsprechung in Bezug auf die Besetzung der
Ausschüsse des Bundestages entwickelt und entschieden, dass grundsätzlich jeder
Ausschuss ein verkleinertes Abbild des Plenums sein und in seiner Zusammensetzung die
Zusammensetzung des Plenums in seiner politischen Gewichtung widerspiegeln muss (vgl
BVerfGE 135, 317, RdNr 153; 130, 318, 354; 112, 118, 133; 80, 188, 222). Begründet hat das
BVerfG dies mit der besonderen Bedeutung der Ausschüsse, die im Bundestag einen
wesentlichen Teil der anfallenden Arbeit außerhalb des Plenums leisten. Diese würden die
Verhandlungen und Beschlüsse des Plenums vorbereiten, wie sich aus ua § 54 Abs 1 der
Geschäftsordnung des Bundestages ergebe und nähmen damit zugleich einen Teil des
Entscheidungsprozesses vorweg. Durch ihre Aufgabenstellung seien die Ausschüsse des
Bundestages in die Repräsentation des Volkes durch das Parlament einbezogen (vgl ua
BVerfGE 112, 118, 133 ff, 80, 188, 222; vgl. zum Vermittlungsausschuss auch Kluth in:
Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl 2005, Bd 3, § 60 RdNr 19 ff). Es folge
daher aus der Freiheit und Gleichheit des Mandats nach Art 38 Abs 1 GG und der
Repräsentationsfunktion des Bundestages (Art 20 Abs 2 GG), dass die Gremien, in die die
Repräsentation des Volkes verlagert werde, in ihrer politischen Prägung dem Plenum
entsprechen müssten (BVerfGE 130, 318, 353; 112, 118, 133). Der Grundsatz der
Spiegelbildlichkeit schützt mithin den Anspruch jedes Mitglieds und jeder Fraktion auf
gleichberechtigte Mitwirkung an der gesamten Tätigkeit des Bundestages (vgl BVerfGE 112,
118, 133; 80, 188, 222 ff; BVerwG, Buchholz 415.1 Allg KommunalR Nr 173 S 36 RdNr 22
zur Gemeindevertretung).
28 Das BVerwG hat den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit für die Bildung der Ausschüsse in
den Gemeindevertretungen übernommen. Dies folge aus dem Prinzip der demokratischen
Repräsentation und der Einbeziehung der Gemeindevertretungen in dieses Prinzip. Auch
die Ausschüsse von Gemeindevertretungen dürften nicht unabhängig von dem
Stärkeverhältnis der Fraktionen besetzt werden, über das die Gemeindebürger bei der Wahl
der Ratsmitglieder mitentschieden haben. Sie müssten vielmehr die Zusammensetzung des
Plenums in seiner konkreten, durch die Fraktionen geprägten organisatorischen Gestalt
verkleinernd abbilden (vgl BVerwGE 137, 21, RdNr 20; BVerwG, Buchholz 415.1 Allg
KommunalR Nr 173 S 36; BVerwGE 119, 305, 307 f).
29 Bei der beklagten VV handelt es sich ebenso wie beim Bundestag und den
Gemeindevertretungen um ein gewähltes und demokratisch legitimiertes Organ (§ 80 Abs 1
SGB V). Wird nach den Vorgaben der Satzung der Beigeladenen zu 2) ein Teil der Aufgaben
der VV in den Ausschüssen erledigt, so können die durch die Wahl entstandenen
Stärkeverhältnisse der Fraktionen nicht völlig außer Acht gelassen werden. Dass die
Bildung der Ausschüsse gesetzlich nicht vorgegeben ist, steht dem nicht entgegen. Wenn
der parlamentarische Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Beklagte grundsätzlich alle
Aufgaben im Plenum erledigt bzw erledigen kann, legt dies den Schluss nahe, dass
hinsichtlich aller Aufgaben - unabhängig davon, ob die Beklagte für deren Erledigung
Ausschüsse bildet - die durch die Wahl entstandenen Stärkeverhältnisse zugrunde zu legen
sind. Da die Satzung der Beigeladenen zu 2) in § 19 Abs 4 die Möglichkeit der
Fraktionsbildung vorsieht, muss die Beklagte diese in der Konsequenz auch in einer den
Grundsätzen der demokratischen Repräsentanz entsprechenden Weise bei ihrer
Aufgabenerfüllung berücksichtigen. Zutreffend weist das SG in diesem Kontext auf die für die
Arbeit der Beklagten wichtige Funktion der hier betroffenen Ausschüsse hin. Diese wird
insbesondere beim Hauptausschuss deutlich: Dieser hat das Recht, die Einberufung einer
Mitgliederversammlung (§ 3 Abs 3 der Satzung) und der VV (§ 21 Abs 1 der Satzung) zu
verlangen. Ihm stehen zudem besondere Informationsrechte gegenüber dem Vorstand zu.
So ist er nicht nur über Beschlüsse über den Einbehalt von Vergütungen beim Verdacht auf
Fehlabrechnungen oder die Reduzierung von Abschlagszahlungen im Hinblick auf mögliche
Rückforderungen zu informieren (§ 6 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und Satz 2; § 12 Abs 6 der Satzung),
sondern nach § 24 Abs 2 Satz 5 der Satzung generell über wesentliche Geschäftsvorgänge
zu unterrichten. Bei Entscheidungen, die dem Vorstand obliegen und die grundsätzliche
Bedeutung für die KZÄV haben, ist der Hauptausschuss vorher zu informieren. Zwingend ist
dies für den Abschluss von Gesamtverträgen und die Durchführung von Klageverfahren mit
grundsätzlicher Bedeutung vorgesehen (§ 24 Abs 2 Satz 10 und 11). § 24 Abs 2 der Satzung
nennt als Aufgaben des Hauptausschusses die Verpflichtung zur Vertretung der Interessen
der Vertreterversammlung außerhalb der nach der Satzung vorgegebenen Sitzungen (Satz
1). Der Hauptausschuss legt außerdem die Rahmenbedingungen der Dienstverträge des
Vorstandes fest (Satz 6), ist zuständig für die Vorbereitung der Wahl der Mitglieder des
Vorstandes (Satz 7) und berechtigt, eigene Presseveröffentlichungen vorzunehmen (Satz 8).
Dem Satzungsausschuss obliegt die Vorbereitung von Änderungen und Ergänzungen der
Satzung sowie der anderen Ordnungen (§ 24 Abs 3 der Satzung). Dem Finanzausschuss ist
die Aufgabe übertragen, auf der Grundlage des vom Vorstand aufgestellten Haushaltsplanes
die Entscheidung der VV über dessen Festsetzung einschließlich der
Verwaltungskostenbeiträge, die Entscheidung über die Abnahme der Jahresrechnung und
über die Entlastung des Vorstandes vorzubereiten (§ 24 Abs 4 der Satzung).
30 In welcher Weise dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit genügt wird, liegt in der
Entscheidungsbefugnis des jeweiligen Normgebers (vgl BVerfGE 130, 318, 354 f; 96, 264,
283). So ist etwa weder die Wahl des Zählverfahrens noch die Größe der zu besetzenden
Gremien hierdurch vorgegeben, auch wenn die Festlegung einer bestimmten Mitgliederzahl
nicht die Vertretung aller Fraktionen gewährleisten kann (vgl OVG Rheinland-Pfalz,
Beschluss vom 15.5.2013 - 10 A 10229/13 - Juris RdNr 6). Eine exakte Spiegelbildlichkeit
kann ohnehin durch kein Wahlsystem gewährleistet werden, nicht zuletzt, weil nur ganze
Sitze verteilt werden können (vgl BVerfGE 96, 264, 283; BVerwGE 119, 305, 311). Soweit
die Spiegelbildlichkeit mit dem Mehrheitsprinzip kollidiert oder die Funktionsfähigkeit eines
Ausschusses zu gefährden droht, ist ein Ausgleich unter Gewichtung und Berücksichtigung
der widerstreitenden Interessen herbeizuführen (vgl BVerfGE 130, 318, 355; 112, 118, 140;
70, 324, 364; BVerwG, Buchholz 415.1 Allg KommunalR Nr 173 S 37 RdNr 23). Der
Grundsatz der Spiegelbildlichkeit hat auch nicht zur Folge, dass stets alle betroffenen
einzelnen (Unter-)Gruppen notwendigerweise in jedem Ausschuss repräsentiert werden
müssen (vgl BVerfGE 120, 82, 121 für Ausschüsse einer Gemeinde; 70, 324, 364 auch im
Falle parlamentarischer Gremien; BVerwG, Buchholz 415.1 Allg KommunalR Nr 173 S 39
RdNr 29 für Ausschüsse einer Gemeindevertretung; BSG Urteil vom 9.12.2004 - B 6 KA
84/03 R - Juris RdNr 43 zur Wahl der Mitglieder der VV).
31 Hier ist außerdem zu berücksichtigen, dass zum einen an die Legitimationskette von den
Normunterworfenen hin zum Normgeber bzw den Repräsentanten im
Normsetzungsgremium im Bereich der Selbstverwaltung außerhalb der unmittelbaren
Staatsverwaltung geringere Anforderungen zu stellen sind als im Bereich parlamentarischer
Repräsentation (vgl BVerfGE 107, 59, 87, 91 bis 94, 98 f; BSG Urteil vom 9.12.2004 - B 6 KA
84/03 R - Juris RdNr 43). Erforderlich sind insoweit lediglich ausreichende Vorkehrungen
dafür, dass die Interessen der Betroffenen angemessen berücksichtigt werden (BVerfGE aaO
S 93, 100). Zum anderen sind hier Wahlen betroffen zu gesetzlich nicht vorgesehenen
Ausschüssen, die zwar weitreichende Rechte, aber keine eigenständigen
Entscheidungskompetenzen haben. Insofern können weitergehende Modifikationen des
Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit gerechtfertigt sein als im Parlaments- oder
Gemeinderecht (vgl BVerfGE 130, 318, 355: "… nur in besonders gelagerten Fällen
zulässig").
32 Für die "angemessene Berücksichtigung" der Fraktionen in den Ausschüssen nach § 24 Abs
6 der Satzung bedeutet dies, dass zwar die Stärkeverhältnisse der Fraktionen grundsätzlich
entsprechend ihrer Mitgliederzahl zu berücksichtigen sind, im Ergebnis aber keine exakte
Spiegelbildlichkeit der fraktionsbezogenen Zusammensetzung des Plenums gegeben sein
muss. Deutlich wird dies insbesondere bei der Bildung des Hauptausschusses. Nach § 24
Abs 2 Satz 2 der Satzung gehören ihm sieben stimmberechtigte Mitglieder einschließlich
des Vorsitzenden der Beklagten (sog "geborenes Mitglied") an. Zwar ist davon auszugehen,
dass der Vorsitzende der Beklagten von der Mehrheitsfraktion gestellt wird, zwingend ist dies
jedoch nicht. Die Fraktionen sind lediglich bezogen auf die sechs verbleibenden Sitze des
Hauptausschusses angemessen zu berücksichtigen. Durch die Vorgabe, dass der
Vorsitzende - ohne gewählt werden zu müssen - Mitglied des Hauptausschusses ist, hat die
Fraktion, der der Vorsitzende angehört, im Ergebnis regelmäßig prozentual ein größeres
Gewicht in den Ausschüssen, als dies im Plenum der Fall ist.
33 b) Die Wahlfreiheit der Mitglieder der Beklagten steht dem Grundsatz der Spiegelbildlichkeit
nicht entgegen. Der Senat hat in seinem Urteil vom 28.1.1998 dargelegt, dass die
Grundsätze von Allgemeinheit, Freiheit und Gleichheit der Wahl ungeachtet des nur auf die
Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages beschränkten Anwendungsbereichs
des Art 38 Abs 1 Satz 1 GG als ungeschriebenes Verfassungsrecht über den
Anwendungsbereich parlamentarischer Wahlen hinaus gelten (BSGE 81, 268, 272 = SozR
3-2500 § 80 Nr 3 S 23 f). Dazu steht das Prinzip der Spiegelbildlichkeit nicht in Widerspruch.
Es leitet sich nach der Rechtsprechung des BVerfG vielmehr gerade aus der in Art 38 Abs 1
GG festgelegten Freiheit und Gleichheit des Abgeordnetenmandats ab (BVerfGE 130, 318,
353; 112, 118, 133). Das freie Mandat und die Gleichheit der Abgeordneten werden durch
die Anforderungen der in Fraktionen organisierten Arbeit geprägt, ohne dass dadurch der
Grundsatz der Gleichheit und Freiheit des Mandats verdrängt würde (BVerfGE 112, 118,
135). Gerade der Anspruch der Fraktionen auf proportionale Beteiligung an der
Willensbildung gewährleistet auch das Recht des Abgeordneten auf gleiche
Mitwirkungsbefugnisse (BVerfGE 112, 118, 134 f). Für den Bereich der kommunalen
Selbstverwaltung hat das BVerwG entschieden, dass durch die Anwendung des
Grundsatzes der Spiegelbildlichkeit bei der Besetzung der Ausschüsse des Rates eine
Einschränkung des freien Mandats in zulässiger Weise durch die geltenden
bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben erfolge (BVerwGE 119, 305, 311).
34 c) Welche Konsequenzen es hat, wenn eine Fraktion nicht ausreichend Vertreter benennt
oder die Mitglieder der Beklagten Kandidaten anderer Fraktionen wählen, bedarf hier keiner
abschließenden Klärung. Das BVerwG hat klargestellt, dass diese "mit einer Wahl
naturgemäß einhergehende Unwägbarkeiten" nicht davon entbinden, bei der Gestaltung des
Wahlverfahrens die Grundentscheidung der Verfassung für die Prinzipien der
Volkssouveränität und der Demokratie zu respektieren. Insoweit sei es ausreichend, dass
jede Fraktion aufgrund der einzelnen Wahlvorschläge die gleiche Chance hat, entsprechend
ihrer Stärke im Plenum in die Ausschüsse gewählt zu werden (BVerwG, Buchholz 415.1 Allg
KommunalR Nr 173 S 38 RdNr 27; BVerwGE 119, 305, 310). Diese Chance besteht nur
dann, wenn vor der Wahl die den jeweiligen Fraktionen zustehenden Sitze festgestellt
werden.
35 d) Das SG hat auch im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass durch die fehlerhafte Anwendung
des § 24 Abs 6 der Satzung ein "mandatsrelevanter Wahlfehler" bei der Besetzung der
Ausschüsse vorlag. Bezogen auf die Wahl der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane
können nur solche Wahlfehler zur Stattgabe der Klage führen, die das Ergebnis der Wahl
beeinflussen (BSGE 81, 268, 271 = SozR 3-2500 § 80 Nr 3 S 22). Das war hier der Fall. Die
Besetzung der Ausschüsse entsprechend der Stärke der Fraktionen in der VV hat zu einer
anderen Sitzverteilung in allen drei Ausschüssen geführt. Die Mehrheitsfraktion FVDZ ist
sowohl im Haupt-, als auch im Satzungs- und Finanzausschuss überrepräsentiert.
36 Entgegen der Auffassung des SG kann allerdings bei der Prüfung des Vorliegens eines
mandatsrelevanten Fehlers nicht ohne Weiteres eine Zusammenfassung der
Minderheitsfraktionen (= 40 %) und eine Zusammenfassung der Vertretung der
Minderheitsfraktionen in den Ausschüssen insgesamt (= 20 %) vorgenommen werden. Da
das Stärkeverhältnis der berufspolitischen Kräfte abgebildet werden soll, ist grundsätzlich
jede Fraktion für sich genommen in den Ausschüssen "angemessen zu berücksichtigen" (vgl
BVerwG, Bucholz 415.1 Allg KommunalR Nr 173 RdNr 17 ff; BVerwGE 119, 305, 308 f).
Dabei sind die Ausschüsse jeweils gesondert zu betrachten.
37 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer
entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach hat der Kläger die Kosten des
Revisionsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu tragen (§ 154 Abs 2, §
162 Abs 3 VwGO).