Urteil des BSG vom 25.04.2013

BSG: Sozialhilfe, Hilfe zur Pflege, häusliche Pflege, Pflegegeld, Schwerstpflegebedürftigkeit, Einkommenseinsatz, Ehegatteneinkommen, Einkommensbereinigung, Einkommensgrenze

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 25.4.2013, B 8 SO 8/12 R
Sozialhilfe - Hilfe zur Pflege - häusliche Pflege - Pflegegeld - Schwerstpflegebedürftigkeit -
Einkommenseinsatz - Ehegatteneinkommen - Einkommensbereinigung - Einkommensgrenze -
Zumutbarkeit des Einsatzes von Einkommens über der Einkommensgrenze - Freilassung von
60% des bereinigten Einkommens - zusätzliche Berücksichtigung besonderer Belastungen
Tenor
Auf die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision des Beklagten wird das Urteil des
Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Februar 2012 aufgehoben und die Sache zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Im Streit ist die Höhe des der Klägerin zu zahlenden Pflegegelds nach dem
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.1.2010 bis
30.6.2011.
2 Die 1958 geborene, erwerbsunfähige Klägerin leidet seit 1972 an einer
Querschnittslähmung ab der Halswirbelsäule und ist auf den Rollstuhl angewiesen; auch
die oberen Extremitäten sind teilweise gelähmt, und die Greiffunktion der Hände ist stark
eingeschränkt. Sie ist von der Pflegekasse als schwerstpflegebedürftig eingestuft
(Pflegestufe 3) und lebt mit ihrem 1957 geborenen, erwerbsfähigen, infolge einer
spastischen Halbseitenlähmung behinderten Ehemann in einer Eigentumswohnung, in
der bis 30.9.2010 auch die 1989 geborene Tochter und während des gesamten
streitbefangenen Zeitraums der 1987 geborene Sohn wohnten. Die Tochter nahm am
1.10.2010 ein Studium auf und wurde seit diesem Zeitpunkt von den Eltern mit 400 Euro
monatlich unterstützt; dem Sohn zahlten die Klägerin und ihr Ehemann im gesamten
Zeitraum monatlich 300 Euro. Leistungen nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz
sind nicht erbracht worden.
3 Die Klägerin bezog bis 31.12.2010 Renten (gesetzliche Rente und
Zusatzversorgungsrente) in Höhe von insgesamt monatlich 1238,67 Euro (nach Abzug
des Beitrags zur Krankenversicherung der Rentner). Der Ehemann erzielte ein
monatliches Einkommen aus einer Teilzeitbeschäftigung in Höhe von 1608 Euro (nach
Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen - Steuern waren nicht zu zahlen); das
Kindergeld (je 184 Euro) wurde an ihn ausbezahlt. Auf einen staatlich geförderten
Altersvorsorgevertrag zahlte der Ehemann monatlich 35,95 Euro; außerdem entrichtete er
einen Gewerkschaftsbeitrag in Höhe von monatlich 19,09 Euro. Den Weg zur Arbeit (25
Entfernungskilometer) legte er mit einem Pkw zurück; der Beitrag zu dessen
Haftpflichtversicherung belief sich (nach den Ausführungen des Landessozialgerichts
) monatlich auf 16,73 Euro.
4 Die Klägerin erhielt vom Beklagten für den streitbefangenen Zeitraum Hilfe zur Pflege
unter anderem durch Übernahme der von der Pflegeversicherung nicht gedeckten Kosten
einer Sozialstation, für hauswirtschaftliche Hilfe und für Betreuungsleistungen des
Schwagers sowie Pflegegeld; bei dessen Berechnung legte der Beklagte zur Ermittlung
des privilegierten Einkommens als Kosten der Unterkunft monatlich 288,62 Euro
zugrunde, kürzte das Pflegegeld wegen Gewährung anderer Leistungen um 1/6 und
rechnete auf dieses gekürzte Pflegegeld Einkommen der Eheleute an, woraus sich bis
31.12.2010 ein monatlicher Zahlbetrag für das Pflegegeld von 56,07 Euro und ab 1.1.2011
von 64,97 Euro ergab (Bescheid vom 8.9.2010; Widerspruchsbescheid vom 21.3.2011;
Bescheid vom 11.5.2011).
5 Während das Sozialgericht (SG) Karlsruhe - nach Abtrennung des Verfahrens über das
Pflegegeld von den sonstigen Pflegeleistungen - die auf Zahlung des um 1/6 gekürzten
Pflegegelds ohne Einkommensanrechnung (570,81 Euro monatlich) gerichtete Klage
abgewiesen hat (Urteil vom 11.8.2011), hat das LSG Baden-Württemberg das Urteil des
SG und den Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids geändert
und den Beklagten verurteilt, der Klägerin von Januar bis September 2010 weitere 64,71
Euro, von Oktober bis Dezember 2010 weitere 212,71 Euro und von Januar bis Juni 2011
weitere 214,31 Euro monatlich zu zahlen (Urteil vom 23.2.2012). Zur Begründung seiner
Entscheidung hat das LSG unter anderem ausgeführt, es seien bei der Ermittlung der
Einkommensgrenze des privilegierten (nicht einzusetzenden) Einkommens (§ 85 SGB XII)
neben den Zahlbeträgen der Renten die bereinigten Einkünfte des Ehemanns (Abzüge:
Sozialversicherungsbeiträge, berufsbedingte Fahrtkosten, Werbungskosten,
Haftpflichtversicherung für den Pkw, Gewerkschaftsbeitrag, geförderte
Altersvorsorgebeiträge) zu berücksichtigen. Bei der Berechnung des bei Überschreiten der
Einkommensgrenze einzusetzenden Einkommens sei für schwerstpflegebedürftige
Personen wie der Klägerin von einem berücksichtigungsfreien Mindestbetrag von 60 vH
des die Einkommensgrenze überschreitenden Einkommens auszugehen; erst danach
seien als von der Pflegebedürftigkeit unabhängige besondere Aufwendungen nach § 87
Abs 1 Satz 2 SGB XII anteilige Unterhaltszahlungen an die Kinder in Abzug zu bringen.
6 Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 87 Abs 1 SGB XII. Sie ist der
Ansicht, wegen der bestehenden besonderen Belastungen der Familie, insbesondere der
schweren Behinderung ihres Ehemannes, sei überhaupt kein Einkommen einzusetzen.
Zumindest seien nicht alle Belastungen berücksichtigt worden (Kreditverbindlichkeiten für
die Sanierung der Eigentumswohnung; eigene Weiterbildungskosten; Kosten für Besuche
der Tochter).
7 Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011 und den Bescheid vom 11.5.2011 abzuändern
und den Beklagten zu verurteilen, ihr über die vom LSG bereits zugesprochenen Beträge
hinaus für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010 450,03 Euro, für die Zeit vom 1.10. bis
31.12.2010 302,03 Euro und für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 291,53 Euro monatlich zu
zahlen.
8 Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen sowie auf seine Anschlussrevision das Urteil
des LSG aufzuheben, soweit er dazu verurteilt worden ist, der Klägerin vom 1.1. bis
31.12.2010 mehr als 10,02 Euro und vom 1.1. bis 30.6.2011 mehr als 8,72 Euro monatlich
zusätzlich zu zahlen, und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG insoweit
zurückzuweisen.
9 Er rügt ebenfalls eine Verletzung des § 87 Abs 1 SGB XII. Er ist der Ansicht, das LSG
habe die Einkommensgrenze, die für eine Beteiligung an den Kosten überschritten werden
müsse, falsch berechnet. Die Haftpflichtversicherung für den Pkw dürfe entgegen der
Entscheidung des LSG nicht einkommensmindernd neben der zugebilligten
Fahrtkostenpauschale (für Fahrten des Ehemannes zur Arbeit) berücksichtigt werden.
Auch den Einkommensbetrag, der bei Überschreiten der Einkommensgrenze zumutbar
leistungsmindernd zu berücksichtigen sei, habe das LSG falsch berechnet. Zunächst
seien nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII die einzelnen Absetzbeträge zu errechnen. Nur
wenn diese nicht insgesamt wenigstens 60 vH des die Einkommensgrenze des § 85 SGB
XII übersteigenden Einkommens der Eheleute erreichten, sei dieser Prozentsatz bei
schwerstpflegebedürftigen Personen als Mindestabsetzbetrag in die Berechnung
einzustellen (§ 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII). Keinesfalls dürfe, wie es das LSG getan habe,
ohne jegliche Prüfung wegen der Schwerstpflegebedürftigkeit ein Mindestprozentsatz von
60 vH gewährt werden, der zusätzlich um weitere Aufwendungen für besondere
Belastungen erhöht werde. Entgegen der Ansicht der Klägerin komme eine völlige
Privilegierung des die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens nicht in Betracht.
Nicht zuletzt habe das LSG den Bescheid vom 11.5.2011, mit dem höheres Pflegegeld ab
1.1.2011 bewilligt worden sei, bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt.
10 Die Klägerin beantragt außerdem,
die Anschlussrevision des Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
11 1. Die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision (vgl § 202 Sozialgerichtsgesetz
iVm § 554 Zivilprozessordnung) des Beklagten sind zulässig und im Sinne der
Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Ob der Klägerin für
die Zeit vom 1.1.2010 bis 30.6.2011 das mit der Revision verlangte höhere Pflegegeld
(450,03 Euro monatlich für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010, 302,03 Euro monatlich für die
Zeit vom 1.10. bis 31.12.2010 und 291,53 Euro monatlich für die Zeit vom 1.1. bis
30.6.2011) zusteht, kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG (§
163 SGG) ebensowenig entschieden werden wie die Frage, ob - wie vom Beklagten mit
der Anschlussrevision moniert - der Klägerin Pflegegeld in geringerer Höhe als durch das
LSG ausgeurteilt (für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010 monatlich 54,69 Euro, für die Zeit vom
1.10. bis 31.12.2010 monatlich 202,69 Euro und für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011
monatlich 205,39 Euro weniger) zu zahlen ist.
12 2. Gegenstand des Verfahrens ist formal der Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011 (§ 95 SGG), bei dessen Erlass sozial erfahrene
Dritte nicht zu beteiligen waren (§ 116 Abs 2 SGB XII iVm § 9
Gesetz zur Ausführung des SGB XII vom 1.7.2004 - GBl 534); zu Recht hat
der Beklagte geltend gemacht, dass außerdem der Bescheid vom 11.5.2011, der ua die
Höhe des Pflegegelds für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 neu festgesetzt hat, gemäß § 96
SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist.
13 In der Sache geht es jedoch im Rahmen dieser Bescheide nur um höheres Pflegegeld (§
64 SGB XII) für den im jeweiligen Verwaltungsakt erfassten Zeitraum, nicht um die übrigen
in den Bescheiden geregelten Pflegeleistungen. Insoweit handelt es sich um
eigenständige Verfügungen (§ 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch -
Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - ) und um einen
abtrennbaren - erstinstanzlich auch faktisch abgetrennten - Streitgegenstand, wie
insbesondere § 66 Abs 2 Satz 1 SGB XII (in der Normfassung des Gesetzes zur
Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022)
zeigt; danach wird Pflegegeld neben den Leistungen des § 65 SGB XII (Kosten für eine
Pflegeperson) erbracht. Eine andere Frage ist, wie im Falle der streitgegenständlichen
Aufteilung mehrerer Pflegeleistungen Einkommen und Vermögen zu berücksichtigen ist
(vgl dazu § 89 SGB XII und Coseriu in juris PraxisKommentar SGB XII, § 19
SGB XII RdNr 31 ff). Dies wird das LSG bei seiner Entscheidung (wegen der Trennung der
Verfahren) ggf zu beachten haben. Die in den Revisionsanträgen von der Klägerin und
dem Beklagten konkretisierten Zahlbeträge resultieren höhenmäßig zum einen aus den
vom LSG bereits ausgeurteilten Zahlbeträgen, den der Klägerin tatsächlich gezahlten
Leistungen und der bestandskräftigen Kürzung des Pflegegeldes um 1/6 nach § 66 Abs 2
Satz 2 SGB XII.
14 Die Kürzung ist selbst nicht Verfahrensgegenstand, weil sie innerhalb der von der
Beklagten erlassenen Bescheide wiederum jeweils eine eigenständige Verfügung (§ 31
SGB X) darstellt, die sich rechtlich und sachlich von der erst auf der Minderung der
Leistung aufbauenden weiteren Prüfung trennen lässt und die die Klägerin mit ihrer Klage
ausdrücklich weder angegriffen hat noch angreifen wollte. Dass es sich insoweit in den
Bescheiden vom 8.9.2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011) und
vom 11.5.2011 um eigenständige, von der Bewilligung des Pflegegeldes als solcher
abtrennbare Verfügungen handelt, folgt daraus, dass sich die Minderung des Pflegegeldes
nach § 66 Abs 2 Satz 2 SGB XII nicht bereits aus dem Gesetz selbst ergibt, sondern
vielmehr im Rahmen des auszuübenden Ermessens (BVerwGE 98, 248 ff) einer
konstitutiven Entscheidung des Sozialhilfeträgers bedarf (vgl zu einer vergleichbaren
Situation im Rahmen des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch - Arbeitsförderungsrecht - BSG
SozR 4-1500 § 95 Nr 1 RdNr 6 ff). Der Beklagte hat erkennbar den gemäß § 64 Abs 3
SGB XII (in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das
Sozialgesetzbuch) iVm § 37 Abs 1 Satz 3 Nr 3 Buchst b Sozialgesetzbuch Elftes Buch -
Soziale Pflegeversicherung - aufgrund der bindenden Einstufung der Klägerin durch die
Pflegekasse in die Pflegestufe 3 (§ 62 SGB XII) vorgesehenen Betrag von 685 Euro
monatlich auf 570,81 Euro (5/6) gekürzt. Allein dieser Betrag ist mithin auch unter
Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl dazu nur Coseriu in jurisPK-
SGB XII, § 18 SGB XII RdNr 46 mwN) Ausgangspunkt für die Prüfung, ob der Klägerin
höheres oder niedrigeres Pflegegeld als vom LSG zugestanden zu zahlen ist; die Klägerin
hat sich zu keinem Zeitpunkt gegen diese Kürzung gewehrt und dies in der mündlichen
Verhandlung gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt (vgl zu der erforderlichen
Ausdrücklichkeit der Beschränkung BSG, aaO, RdNr 8).
15 3. Gegen die bezeichneten Verwaltungsakte wendet sich die Klägerin mit der
kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG). Der
Beklagte, der wegen des tatsächlichen Aufenthalts der Klägerin der örtlich und auch der
sachlich zuständige Sozialhilfeträger ist (§ 97 Abs 1 und 3 Nr 2, § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII
iVm § 1 Abs 1, § 2 AGSGB XII), ist zwar als derjenige, der den Bescheid erlassen hat, der
richtige Klagegegner. Ob allerdings wegen einer Heranziehung einer kreisangehörigen
Gemeinde oder Verwaltungsgemeinschaft (vgl § 3 Abs 1 AGSGB XII) ggf eine Beiladung
zu erfolgen hat, ist mangels entsprechender Verfahrensrüge vom Senat nicht zu prüfen,
ggf jedoch vom LSG zu berücksichtigen (vgl dazu BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 5 RdNr 11).
16 4. Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch bestimmt sich nach § 19 Abs 3 (hier in
der Fassung, die die Norm durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.4.2007
- BGBl I 554 - und das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des
Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 - BGBl I 453 - erhalten
hat) iVm § 61 (hier in der Fassung, die die Norm durch das Pflege-
Weiterentwicklungsgesetz vom 28.5.2008 - BGBl I 874 - erhalten hat), § 63 Satz 1 (hier in
der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im
Krankenhaus vom 30.7.2009 - BGBl I 2495 - erhalten hat) und § 64 SGB XII. Gemäß § 19
Abs 3 SGB XII wird Volljährigen ua Hilfe zur Pflege (nur) geleistet, soweit den
Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern die
Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des
Elften Kapitel dieses Buches (Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen) nicht
zuzumuten ist. Vorliegend fehlt es bereits an widerspruchsfreien Feststellungen des LSG
zu den Vermögensverhältnissen (dazu unter Nr 5), sodass weder feststeht, ob die Klägerin
höhere Leistungen beanspruchen kann, noch, ob das LSG bereits zu Unrecht zu hohe
Leistungen zugesprochen hat. Es fehlen zudem ausreichende tatsächliche Feststellungen
zu den maßgeblichen Einkommensverhältnissen (dazu unter Nr 6 bis 13).
17 Allerdings dürfte die Klägerin grundsätzlich leistungsberechtigt nach § 61 Abs 1 Satz 1
iVm Abs 3 SGB XII sein; sie leidet nämlich unter einer dauerhaften Querschnittslähmung
und ist wegen der dadurch eingeschränkten bzw aufgehobenen Bewegungsfähigkeit der
unteren und oberen Extremitäten für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden
Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer in erheblichem Maße auf Hilfe
angewiesen. Die Klägerin kann deshalb - einkommens- und vermögensabhängig -
Pflegegeld in der bezeichneten Höhe (dazu unter Nr 3) unter der Voraussetzung
beanspruchen, dass sie - auch ergänzend zu einer professionellen Pflege (BVerwGE 118,
297 ff) - die erforderliche Pflege in geeigneter Weise selbst sicherstellt (§ 64 Abs 5 Satz 1
SGB XII); § 66 Abs 2 SGB XII zeigt, dass das Pflegegeld trotz Übernahme der
angemessenen Aufwendungen der Pflegepersonen bzw der Kosten für besondere
Pflegekräfte (§ 65 SGB XII) gezahlt wird. Für die Bedingung der Sicherstellung der Pflege
kommt es aus diesem Grund nicht darauf an, ob die Klägerin den gesamten pflegerischen
Bedarf mit dem Pflegegeld abdecken kann und faktisch auch abdeckt. Entscheidend ist
vielmehr lediglich, aber auch zumindest, dass (neben den übrigen Pflegeleistungen) noch
die Möglichkeit besteht, den pflegerischen Bedarf selbst sicherstellen zu können und ggf
zu müssen; dies ist schon dann zu bejahen, wenn trotz der Einschaltung von Pflegekräften
nachbar- oder verwandtschaftliche Hilfe in Anspruch genommen werden muss oder ein
unvorhergesehener Pflegebedarf selbst sicherzustellen ist (vgl dazu nur Meßling in
jurisPK-SGB XII, § 64 SGB XII RdNr 33 mwN). Diese Voraussetzungen dürften erfüllt sein;
das LSG, das hierzu in seinem Urteil jedoch keine Feststellung getroffen hat, mag dies
nach der Zurückverweisung verifizieren.
18 5. Bedeutsamer ist, dass genaue und insbesondere widerspruchsfreie Feststellungen des
LSG zu den Vermögensverhältnissen der Klägerin und ihres Ehemannes fehlen. Zwar hat
es in seiner Entscheidung formuliert, die beiden seien vermögenslos; gleichzeitig hat es
jedoch ausgeführt, die Eheleute lebten in einer Eigentumswohnung und seien im Besitz
eines Kfz. Zudem hat die Klägerin im Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für
das Revisionsverfahren gegenüber dem Senat Kosten für zwei Kfz geltend gemacht, die
nach Aktenlage bereits früher vorhanden waren. Das LSG wird deshalb ggf nach der
Zurückverweisung der Sache darüber zu befinden haben, ob bzw inwieweit es sich bei der
Eigentumswohnung um ein angemessenes Hausgrundstück (§ 90 Abs 2 Nr 8 SGB XII)
und bei dem Pkw bzw den Pkws um angemessene Fahrzeuge handelt, die über die
Härteregelung des § 90 Abs 3 SGB XII privilegiert wären (vgl dazu nur BSGE 100, 139 ff
RdNr 15 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 4). Dabei wird es zu beachten haben, dass die Klägerin
und ihr Ehemann eine gemischte Bedarfsgemeinschaft bilden (vgl dazu: BSG aaO; BSG
SozR 4-3500 § 90 Nr 5).
19 6. Auch die tatsächlichen Feststellungen zur Berücksichtigung von Einkommen der
Klägerin und ihres Ehemannes lassen noch keine abschließende Entscheidung zu. Bei
der Hilfe zur Pflege ist nach § 85 Abs 1 SGB XII (hier bis 31.12.2010 in der Normfassung
des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch und ab
1.1.2011 in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Ermittlung von
Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
erhalten hat) der nachfragenden Person und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten die
Aufbringung der Mittel dann nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr
monatliches Einkommen zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich
ergibt aus einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen des Eckregelsatzes (bis
31.12.2010)/der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII (ab 1.1.2011), den
Kosten der Unterkunft, soweit die Aufwendungen hierfür den der Besonderheit des
Einzelfalls angemessenen Umfang nicht übersteigen, und einem Familienzuschlag in
Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrags von 70 vH des Eckregelsatzes/der
Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII für den nicht getrennt lebenden
Ehegatten und für jede Person, die von einem der beiden überwiegend unterhalten
worden ist. Schon dieser Betrag ist, auch wenn das LSG im Ansatz richtig vorgegangen
ist, nicht genau ermittelbar.
20 Vorliegend sind als Einkommenspositionen die Renten der Klägerin, der Verdienst ihres
Ehemannes und das an den Ehemann gezahlte Kindergeld bei der Ermittlung der
Einkommensgrenze zu berücksichtigen. Auch für das Kindergeld gilt die allgemeine
Grundregel, dass Einnahmen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft bei demjenigen als
Einkommen anzurechnen sind, dem sie zufließen (BSGE 99, 137 ff RdNr 22 mwN = SozR
4-1300 § 44 Nr 11). Weder die hier ohnedies nicht einschlägige
Einkommenszuordnungsregelung des § 82 Abs 1 Satz 3 SGB XII noch die des § 11 Abs 1
Satz 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II),
die das Kindergeld in bestimmten Fällen dem Kind als Einkommen zuordnen, auch wenn
es an einen Elternteil gezahlt wird, sind im Rahmen der §§ 85 ff SGB XII anzuwenden.
Diese Zuordnungsregelungen, die sich als Umsetzung der in § 1612b Bürgerliches
Gesetzbuch angeordneten Bedarfsdeckung des Barunterhalts für ein Kind darstellen,
passen systematisch nur zur Hilfe für den Lebensunterhalt, nicht jedoch für die
besonderen Sozialhilfeleistungen. Dort wird den Bedarfen der Kinder durch § 85 Abs 1 Nr
3 SGB XII auf andere Weise Rechnung getragen; denn zur Bestimmung der
Einkommensgrenze wird ein Familienzuschlag zugebilligt, der davon abhängig ist, ob die
nicht getrennt lebenden Ehegatten anderen Personen, mithin auch Kindern, überwiegend
Unterhalt gewähren. Nach der Systematik des § 85 SGB XII ist deshalb eine Zuordnung
des Kindergeldes an das Kind nicht erforderlich. Ob Kindergeld an dieses weitergeleitet
worden ist (vgl dazu BSGE 99, 262 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 3), ist deshalb für die Frage
der Erzielung von Einkommen ohne Belang; bedeutsam ist dies erst für die Frage, ob das
Kind überwiegend unterhalten wird (dazu Nr 10).
21 7. Zu Recht ist das LSG bei seiner Entscheidung auch davon ausgegangen, dass bei der
Ermittlung der Einkommensgrenze nur das Einkommen berücksichtigt werden kann, das
nicht normativ anerkannt für andere Zwecke genutzt werden darf (vgl: BSG, Urteil vom
28.2.2013 - B 8 SO 1/12 R - Juris RdNr 22 mwN), also das bereinigte Einkommen (BSG,
aaO). Diese in § 85 SGB XII nach Sinn und Zweck der Regelung vorausgesetzte, aber
nicht ausdrücklich geregelte Einschränkung folgt für die erwerbsunfähige Klägerin aus den
normativen Wertungen der §§ 82 ff SGB XII in Verbindung mit der dazu ergangenen
Verordnung, für ihren erwerbsfähigen Ehemann unmittelbar aus § 11 SGB II bzw ab
1.1.2011 aus §§ 11 ff SGB II in Verbindung mit der dazu ergangenen Verordnung. Anders
ausgedrückt: Weder die Klägerin noch ihr Ehemann müssen für die besonderen
sozialhilferechtlichen Bedarfe Einkommen einsetzen, das für sie (vgl zu diesem Gedanken
bei einer gemischten Bedarfsgemeinschaft nur: BSGE 99, 131 ff RdNr 12 = SozR 4-3500 §
28 Nr 1) in dem jeweils geltenden Existenzsicherungssystem bereits nicht für die Hilfe zum
Lebensunterhalt zur Verfügung steht bzw für andere Zwecke genutzt werden darf.
22 Reine Einkommensfreibeträge, wie sie in § 82 Abs 3 SGB XII bzw § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 6
SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes vom
9.12.2010, BGBl I 1885 (aF) und § 11b Abs 3 SGB II in der ab 1.4.2011 geltenden
Gesetzesfassung (nF) zugebilligt werden, werden im Rahmen des § 85 SGB XII von der
Bereinigung nicht erfasst. Ihre einkommensmindernde Berücksichtigung bei den Hilfen für
den Lebensunterhalt beruht auf der Überlegung, dass bestimmte Einkommensanteile
eines Erwerbseinkommens erhalten bleiben sollen, um einen Arbeitsanreiz zu schaffen
(BT-Drucks 15/1516, S 59; vgl auch BT-Drucks 15/1514, S 65), sich also um den eigenen
und den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft bzw der Einsatzgemeinschaft selbst zu
bemühen. Sie gilt jedoch nicht für besondere sozialhilferechtliche Bedarfssituationen, die
auch bei Personen auftreten, die erwerbstätig sind und ihren Lebensunterhalt mit diesen
Einkünften bestreiten können. §§ 85 ff SGB XII, insbesondere die Vorschriften der
Einkommensfreigrenze, tragen den diesbezüglichen Interessen in anderer Weise
Rechnung.
23 8. Vor diesem Hintergrund sind die vom LSG anerkannten Absetzbeträge vom Einkommen
der Klägerin und des Ehemannes grundsätzlich nicht zu beanstanden. Zu Recht hat es bei
der Klägerin nur den Zahlbetrag der Renten - unter Abzug der darauf entfallenden
Sozialversicherungsbeiträge - berücksichtigt (§ 82 Abs 2 Nr 2 SGB XII); allerdings fehlen
Feststellungen über die Höhe der Beiträge für die Zeit ab 1.1.2011. Insoweit hat sich
gegenüber der davor liegenden Zeit offenbar eine Änderung (höhere Beiträge) ergeben,
was das LSG wegen der Nichtbeachtung des Bescheids vom 11.5.2011 nicht geprüft hat.
Auch das Erwerbseinkommen des Ehemannes der Klägerin war um die
Sozialversicherungsbeiträge einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung zu
bereinigen. Ob dem Ehemann der Klägerin (nur) der pauschale Absetzbetrag für
Erwerbstätige nach § 11 Abs 2 Satz 1 SGB II aF bzw § 11b Abs 2 SGB II nF (100 Euro)
zuzugestehen ist, mag das LSG allerdings bei der erneuten Entscheidung genauer prüfen.
Bei einem Einkommen von mehr als 400 Euro monatlich - wie beim Ehemann der Klägerin
- ist ein höherer Abzug gerechtfertigt, wenn ein 100 Euro übersteigender Betrag im
Einzelnen nachgewiesen wird.
24 Nach § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 5 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB II nF iVm § 3
Abs 1 Nr 3 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) aF bzw § 6 Abs 1 Nr 3
Buchst a Alg II-V nF sind jedenfalls als mit der Erzielung des Einkommens verbundene
notwendige Ausgaben pauschalierte Beträge zu berücksichtigen, die, soweit sie die
Fahrten mit einem Kfz zur Arbeitsstätte betreffen, neben den Entfernungskilometern (25)
auch abhängig sind von der Anzahl der monatlichen Fahrten. Insbesondere hierzu hat das
LSG keinerlei Feststellungen getroffen. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist daneben
die Absetzbarkeit von Kfz-Haftpflichtversicherungsbeiträgen (§ 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB
II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II nF) als gesetzlich vorgeschriebene Beiträge nicht
ausgeschlossen (vgl nur: BSGE 107, 97 ff RdNr 15 = SozR 4-4200 § 11 Nr 34; BSG SozR
4-4200 § 11 Nr 41 RdNr 23 und 25; SozR 4-4200 § 11 Nr 53 RdNr 15). Da wohl entweder
die Klägerin oder ihr Ehemann Fahrzeughalter sind, und der vom Ehemann der Klägerin
genutzte Pkw, soweit er angemessen ist, privilegiert ist (§ 12 Abs 3 Nr 2 SGB II), ist es
ohne Bedeutung, ob dieser Pkw auf die Klägerin oder auf ihren Ehemann zugelassen ist
und wer die Beiträge letztlich zahlt (vgl: BSGE 100, 139 ff RdNr 21 = SozR 4-3500 § 82 Nr
4; vgl auch BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 9 RdNr 22). Nach den Feststellungen des LSG
waren die Versicherungsbeiträge monatlich zu zahlen; ggf wird dies zu verifizieren und zu
berücksichtigen sein, dass Absetzungen nur in dem Monat möglich sind, in dem der
Beitrag zu zahlen ist (vgl aber nicht eindeutig BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 41 RdNr 23). Ggf
ist dem Ehemann der Klägerin die Versicherungspauschale von 30 Euro zuzugestehen (§
11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II nF iVm § 6 Abs 1 Nr 1
Alg II-V).
25 9. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG für die Ermittlung der
Einkommensgrenze auch die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (§ 85 Abs 1 Nr 2
SGB XII) zu ermitteln haben (siehe unter Nr 6). Hierzu hat das LSG lediglich ausgeführt,
dass der Beklagte 288,62 Euro in seine Berechnung eingestellt habe. Wie sich dieser
Betrag zusammensetzt, steht nicht fest; insbesondere ist nicht erkennbar, ob darin ggf
auch Tilgungsanteile aus dem Kauf der Eigentumswohnung - wofür nach dem eigenen
Vortrag der Klägerin in der Revision vieles spricht - enthalten sind (vgl zur
Berücksichtigung von Tilgungsleistungen: BSGE 97, 203 ff RdNr 24 = SozR 4-4200 § 12
Nr 3; BSG, Urteil vom 22.8.2012 - B 14 AS 1/12 R - Juris RdNr 17). Nicht erkennbar ist
auch, inwieweit in diesem Betrag Heizkosten enthalten sind, die nach Sinn und Zweck der
Vorschrift gleichermaßen als Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen sind. Dem
widerspricht nicht, dass in § 29 SGB XII aF bzw § 35 SGB XII nF formal zwischen
"Leistungen für die Unterkunft" und "Leistungen für Heizung" unterschieden wird. Bereits
vom Wortlaut her ist § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII mit den Formulierungen dieser Vorschriften
nicht identisch, wenn dort die "Kosten der Unterkunft" aufgeführt sind (vgl zur Formulierung
in der Regelsatzverordnung zu § 22 des Bundessozialhilfegesetzes in gleicher
Weise: "Leistungen für die Unterkunft" und "Leistungen für Heizung"; vgl andererseits zu §
79 BSHG: "Kosten der Unterkunft"). Es ist kein Grund ersichtlich, warum Gelder für
angemessene Heizkosten, die normativ und auch tatsächlich notwendigerweise für den
allgemeinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen müssen, von § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII
nicht erfasst sein sollten. Eine Korrektur über § 87 SGB XII (dazu Gutzler in jurisPK-SGB
XII, § 85 SGB XII RdNr 37 und § 87 SGB XII RdNr 31) wäre systemwidrig, weil es sich bei
den Heizkosten gerade nicht um besondere, sondern übliche Belastungen handelt, die bei
jedem unabhängig von den in § 87 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB XII bezeichneten Kriterien
entstehen.
26 10. Ohne Rechtsfehler hat das LSG jedoch nach § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII für den
Ehemann der Klägerin im Rahmen des Familienzuschlags 70 vH des Eckregelsatzes/der
Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII in die Berechnung eingestellt; ob
allerdings auch für die beiden Kinder entsprechende Familienzuschlagsanteile
anzuerkennen sind, wird das LSG noch genau zu prüfen haben. Sie könnten nur dann
berücksichtigt werden, wenn die Kinder im streitbefangenen Zeitraum von der Klägerin
und/oder ihrem Ehemann tatsächlich überwiegend unterhalten worden sind. Dies mag für
den Sohn unter Berücksichtigung der monatlichen Zahlung von 300 Euro und des
Umstandes, dass er bei seinen Eltern gewohnt hat, naheliegend sein; genauere
Feststellungen fehlen indes. Für die Tochter ist dies für die Zeit vor dem 1.10.2010
(Auszug aus dem elterlichen Haus) weniger klar; insbesondere wäre zu ermitteln, ob und
in welcher Höhe sie eigenes Einkommen (mögliches freiwilliges soziales Jahr) hatte. Dass
das dem Ehemann der Klägerin gezahlte Kindergeld normativ ohnedies für den Unterhalt
der Kinder vorgesehen war (siehe unter Nr 6), rechtfertigt nach der Systematik der §§ 85 ff
SGB XII keinen Abzug dieses Betrags vom erbrachten Unterhalt. Wird dem Ehemann
einerseits das Kindergeld als Einkommen zugerechnet, kann es andererseits nicht bei der
Prüfung des Überwiegens unbeachtet bleiben.
27 11. Hat das LSG auf die bezeichnete Weise die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII
ermittelt, wird es neu zu bestimmen haben, inwieweit die Aufbringung der Mittel in
angemessenem Umfang zuzumuten ist (§ 87 Abs 1 Satz 1 SGB XII). Hierbei sind nach §
87 Abs 1 Satz 2 SGB XII insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der
Behinderung oder die Pflegebedürftigkeit, die Dauer und die Höhe der erforderlichen
Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer
unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei schwerstpflegebedürftigen
Menschen nach § 64 Abs 3 SGB XII - wie der Klägerin - ist ein Einsatz des Einkommens
über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vH nicht zuzumuten (§ 87 Abs 1
Satz 3 SGB XII). Zutreffend ist das LSG bei der Anwendung dieser Norm davon
ausgegangen, dass das Tatbestandsmerkmal "angemessener Umfang" einen
unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum darstellt (so bereits BVerwG,
Urteil vom 26.10.1989 - 5 C 30/86 - Juris RdNr 12 zur Vorschrift des § 84 BSHG), für
dessen Auslegung in Satz 2 nur beispielhaft ("insbesondere"), nicht abschließend,
Kriterien genannt sind.
28 12. Entgegen der Ansicht der Klägerin führt vorliegend der Umstand, dass die Familie
insgesamt sowohl durch ihre Schwerstpflegebedürftigkeit als auch die gravierende
Behinderung ihres Ehemannes in besonderer Weise belastet ist, nicht zu einer generellen
Freistellung des über der Einkommensgrenze liegenden Einkommens. Vielmehr hat der
Gesetzgeber mit der in § 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorgesehenen pauschalen
Verschonung des die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens in Höhe von 60
vH derartigen Gesichtspunkten bereits Rechnung getragen. Mit dieser Vorschrift hat er
typisierend einen behinderungs- bzw pflegebedingten Mindestbetrag angesetzt, der nicht
zumutbar zur Finanzierung der Pflege einzusetzen ist. Insoweit ist das LSG zutreffend
davon ausgegangen, dass dieser Betrag (nur) um pflegebedürftigkeitsunabhängige
besondere Belastungen zu erhöhen ist. Anders als der Beklagte meint, ist nämlich
aufgrund der Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Regelung nicht erst dann
ein höherer Betrag als der nach Abs 1 Satz 3 anzusetzen, wenn bei einer Bestimmung
nach Satz 2 der Grenzwert von 60 vH überschritten wird. Vielmehr wollte der Gesetzgeber
mit § 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII einen Ausgleich dafür schaffen, dass mit der Einführung des
SGB XII zum 1.1.2005 die bis dahin abgestuft nach Schwere der Behinderung
maßgeblichen Grundbeträge in § 81 BSHG abgeschafft und durch einen einheitlichen und
deutlich niedrigeren Grundbetrag für alle Leistungsberechtigten ohne Rücksicht auf die
Schwere der Behinderung (vgl § 85 Abs 1 Nr 1 SGB XII) ersetzt worden sind (vgl BT-
Drucks 15/1514, S 65). Ergab sich bis 31.12.2004 trotz des bei Schwerstpflegebedürftigen
hohen Grundbetrags - und weiterer, § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII vergleichbarer Kriterien - ein
über der Einkommensgrenze liegendes Einkommen, wurde der Einkommenseinsatz auch
nach § 84 BSHG - wie im Rahmen des § 87 SGB XII - hinsichtlich des übersteigenden
Anteils nur in angemessenem Umfang verlangt. Es blieb mithin Raum für die
Berücksichtigung weiterer Umstände. Dem trägt die vom LSG gewonnene Auslegung
Rechnung: Schwerstpflegebedürftigkeitsunabhängige besondere Belastungen sind
zusätzlich zu beachten. Ein höherer Anteil wegen der Schwerstpflegebedürftigkeit als 60
vH ist andererseits nur dann gerechtfertigt, wenn die Klägerin damit zusammenhängend
insgesamt höhere Aufwendungen geltend macht und geltend machen kann, was
vorliegend nicht der Fall ist.
29 13. Ob über die 60 vH hinaus nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII weitere, nicht aus der
Schwerstpflegebedürftigkeit resultierende besondere Belastungen zu berücksichtigen
sind, lässt sich indes nicht abschließend beurteilen. Insoweit können zum einen nur
solche Umstände berücksichtigt werden, die nicht bereits Gegenstand anderer
Sozialhilfeleistungen sind (vgl BVerwGE 22, 319 ff RdNr 12). Zum anderen sind
Belastungen nicht abzusetzen, die nach der gesetzgeberischen Wertung bereits mit dem
freizulassenden Einkommen abzudecken sind, weil sie gleichermaßen bei allen
nachfragenden Personen vorkommen (dann keine "besondere" Belastung).
30 Im Hinblick hierauf dürften die von der Klägerin im Revisionsverfahren angeführten Kosten
im Mai 2011 für die Teilnahme an einer Fortbildung (215,58 Euro) kaum
berücksichtigungsfähig sein, weil sie nach ihrem Vortrag Aufwendungen betreffen dürften,
die mit der Schwerstpflegebedürftigkeit zusammenhängen und deshalb bereits mit dem
Mindestbedarf von 60 vH abgegolten wären. Selbst wenn es
schwerstpflegebedürftigkeitsunabhängige Aufwendungen gewesen sein sollten, wäre es
fraglich, inwieweit es sich um besondere handelt, also solche, die nicht bereits
grundsätzlich mit dem von der Einkommensanrechnung freibleibenden Einkommen zu
finanzieren sind. Ob die von der Klägerin - ebenfalls im Revisionsverfahren - geltend
gemachten Kosten für Heizungssanierung (Kreditrate von 66,80 Euro monatlich) als
besondere Belastung berücksichtigt werden können, entzieht sich schon deshalb einer
endgültigen Entscheidung, weil es an Feststellungen des LSG zu den Kosten der
Unterkunft fehlt (siehe unter Nr 9); insbesondere ist nicht nachvollziehbar, ob nicht bereits
in dem Betrag von 288,62 Euro ein Rückstellungsbetrag für Renovierungen enthalten ist.
31 Soweit die Klägerin außerdem mit der Revision als besondere Belastung Fahrten der
Eheleute ab Oktober 2010 zu der Tochter bzw der Tochter zu ihnen (118,44 Euro
monatlich) angibt, handelt es sich jedenfalls nicht um besondere Belastungen; denn
Besuche unter Angehörigen bzw von Angehörigen fallen üblicherweise an und sind
deshalb regelmäßig mit der in § 85 SGB XII vorgesehenen Einkommensfreigrenze
abgedeckt. Ohnedies käme entgegen dem Vortrag der Klägerin eine pauschale
Berücksichtigung iS durchschnittlicher monatlicher Absetzbeträge nicht in Betracht, weil
nur die nachgewiesenen tatsächlich anfallenden Kosten im Bedarfszeitraum abgesetzt
werden könnten; Kosten der Tochter selbst sind überhaupt nicht abzugsfähig.
32 Inwieweit das LSG zu Recht die Unterhaltszahlung der Klägerin und/oder ihres
Ehemannes an die gemeinsamen Kinder als besondere Belastung gewertet hat, soweit
diese Aufwendungen ihrer Höhe nach nicht bereits mit dem Familienzuschlag abgedeckt
sind, kann nicht endgültig beurteilt werden. Zwar werden derartige Zahlungen - wie vom
LSG zu Recht entschieden - erst zu besonderen, wenn sie den in § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII
pauschalierend vorgesehenen Familienzuschlagsanteil übersteigen.
Berücksichtigungsfähig sind jedoch nur Unterhaltszahlungen bis zur Höhe einer
bestehenden Unterhaltszahlungspflicht; durch Zahlung die Unterhaltspflicht
übersteigender Beträge kann nicht eine von der Solidargemeinschaft der Steuerzahler zu
deckende Bedarfssituation geschaffen werden. Auch dies wird ggf näher zu ermitteln sein.
Ggf wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.