Urteil des BSG vom 27.02.2008

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Bundessozialgericht
Urteil vom 27.02.2008
Sozialgericht Speyer S 3 P 121/06
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz L 5 P 7/07
Bundessozialgericht B 12 P 2/07 R
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. Juni 2007 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen Beitragszuschlag für kinderlose Versicherte in der sozialen
Pflegeversicherung zu zahlen hat.
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Der 1968 geborene Kläger ist verheiratet und hat keine Kinder. Er ist in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig
und bei der beklagten Pflegekasse pflichtversichert. Mit Bescheid vom 9.2.2005 wies die Beklagte ihn darauf hin,
dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Berücksichtigung der Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen
Pflegeversicherung (Kinder-Berücksichtigungsgesetz - KiBG) vom 15.12.2004 den Beitragssatz für alle kinderlosen
Versicherten um 0,25 % angehoben habe, und setzte dementsprechend den ab 1.1.2005 zu zahlenden Beitrag zur
Pflegeversicherung unter Berücksichtigung dieses Zuschlags nach einem Beitragssatz von 1,95 % fest. Mit seinem
Widerspruch machte der Kläger geltend, seine Frau könne aus medizinischen Gründen keine Kinder bekommen. Der
erhöhte Beitragssatz für kinderlose Versicherte verstoße gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Das KiBG
bestrafe und diskriminiere Kinderlose. Entgegen der Intention der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG), zu deren Umsetzung das KiBG ergangen sei, entlaste es Familien nicht. Die Beklagte wies den
Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 4.3.2005 zurück.
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Das Sozialgericht (SG) Speyer hat die Klage mit Urteil vom 30.1.2007 abgewiesen und das Landessozialgericht (LSG)
Rheinland-Pfalz die Berufung mit Urteil vom 21.6.2007 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt,
es sei nicht von der Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 55 Abs 3 SGB XI überzeugt. Der Gesetzgeber sei
nicht gehindert gewesen, aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung generalisierende, pauschalierende und
typisierende Regelungen zu treffen und einen Zuschlag für Kinderlose ohne Differenzierung nach dem Grund der
Kinderlosigkeit zu erheben. In Wahrnehmung seines Gestaltungsspielraums habe er die erforderliche Entlastung von
Eltern nicht auf die Zeit der Betreuung und Erziehung der Kinder begrenzen müssen. Auch habe er die vor 1940
geborenen Versicherten von der zusätzlichen Beitragsbelastung ausnehmen dürfen, weil davon ausgegangen werden
könne, dass die Kinderzahlen in einer Zeit zurückgegangen seien, als die nach 1940 geborenen Jahrgänge Mitte 20
oder jünger gewesen seien.
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Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 55 Abs 3 Satz 1 SGB XI und Art 3 Abs
1 GG. Dass nach der gesetzliche Regelung kinderlose Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung nach
Vollendung des 23. Lebensjahrs einen Beitragszuschlag zur sozialen Pflegeversicherung zu zahlen hätten, während
Eltern iS von § 56 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und Abs 3 Nr 2 und 3 SGB I, die vor dem 1.1.1940 geborenen Versicherten,
Wehr- und Zivildienstleistende sowie Bezieher von Arbeitslosengeld II von dieser Zahlungspflicht ausgenommen
seien, führe zu einer unangemessenen Benachteiligung derjenigen Versicherten, die ungewollt keine Kinder hätten.
Die unproblematisch durch ein ärztliches Attest feststellbare ungewollte Kinderlosigkeit sei mit einer Elternschaft
gleich zu behandeln. Der Gesetzgeber habe seinen Gestaltungsspielraum auch deshalb überschritten, weil er die
Gruppe der Eltern auch nach dem Ende ihrer Erwerbsphase begünstige. Mit Versicherten der Geburtsjahrgänge vor
1940 werde er ungerechtfertigt gleich behandelt, weil eine kollektive Verantwortlichkeit einer Generation nicht bestehe.
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Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21.6.2007, das Urteil des
Sozialgerichts Speyer vom 30.1.2007 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 9.2.2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 4.3.2005 aufzuheben, soweit er den Pflegeversicherungsbeitrag unter Berücksichtigung
des Beitragszuschlages für Kinderlose nach einem höheren Beitragssatz als1,7 vH festsetzt.
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Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
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Die Revision ist unbegründet. Zutreffend hat das LSG die Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des SG
zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide setzen für die Zeit ab 1.1.2005 den vom Kläger zu zahlenden
Pflegeversicherungsbeitrag zu Recht unter Berücksichtigung des Beitragszuschlages für kinderlose Mitglieder von
0,25 % nach einem Beitragssatz von insgesamt 1,95 % fest.
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1. Gemäß § 55 Abs 3 Satz 1 SGB XI (eingefügt durch Art 1 KiBG vom 15.12.2004, BGBl I S 3448) erhöht sich ab
1.1.2005 der nach § 55 Abs 1 SGB XI geltende Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung von 1,7 % um einen
Beitragszuschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten (Beitragszuschlag für Kinderlose) mit dem Ablauf des
Monats, in dem das Mitglied das 23. Lebensjahr vollendet hat. Den Beitragszuschlag für Kinderlose tragen
grundsätzlich die Versicherten (§ 58 Abs 1 Satz 3, § 59 Abs 5 SGB XI). Kein Beitragszuschlag ist von versicherten
Eltern iS des § 56 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und Abs 3 Nr 2 und 3 SGB I (§ 55 Abs 3 Satz 2 SGB X) zu entrichten. Hierzu
gehören auch Pflege- und Stiefeltern (vgl hierzu Urteil des Senats vom 18.7.2007, B 12 P 4/06 R, RdNr 16 ff, zur
Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Gemäß § 55 Abs 3 Satz 7 SGB XI zahlen vor dem 1.1.1940
geborene Versicherte den Beitragszuschlag nicht, auch von Wehr- und Zivildienstleistenden und Beziehern von
Arbeitslosengeld II ist er nicht zu erheben.
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Der Gesetzgeber hat mit diesen Regelungen das Urteil des BVerfG vom 3.4.2001 (1 BvR 1629/94, BVerfGE 103, 242
= SozR 3-3300 § 54 Nr 2) umgesetzt. Das BVerfG hatte in dieser Entscheidung die beitragsrechtlichen Vorschriften
der § 54 Abs 1 und 2, § 55 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 sowie § 57 SGB XI für unvereinbar mit Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs
1 GG erklärt, soweit Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung mit Kindern mit einem gleich hohen
Pflegeversicherungsbeitrag belastet werden wie Mitglieder ohne Kinder. Es hat zur Begründung ausgeführt, Art 3 Abs
1 iVm Art 6 Abs 1 GG sei dadurch verletzt, dass die Betreuung und Erziehung von Kindern als konstitutive Leistung
bei der Bemessung von Beiträgen beitragspflichtiger Versicherter keine Berücksichtigung finde. Dadurch werde die
Gruppe der Versicherten mit Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sozialen Pflegeversicherung, die aus
dieser Betreuungs- und Erziehungsleistung im Falle ihrer Pflegebedürftigkeit Nutzen ziehen würden, in
verfassungswidriger Weise benachteiligt. Da auf die Wertschöpfung durch heranwachsende Generationen jede
staatliche Gemeinschaft angewiesen sei und an der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Familien ein Interesse
der Allgemeinheit bestehe, seien Erziehungsleistungen zugunsten der Familie in einem bestimmten sozialen
Leistungssystem zu berücksichtigen. Werde dieser generative Beitrag nicht mehr in der Regel von allen Versicherten
erbracht, führe dies zu einer spezifischen Belastung Kinder erziehender Versicherter im Pflegeversicherungssystem,
deren benachteiligende Wirkung auch innerhalb dieses Systems auszugleichen sei. Das BVerfG hat damit verbindlich
entschieden, dass der Vorteil kinderloser Versicherter in der sozialen Pflegeversicherung systemspezifisch
beitragsrechtlich zu kompensieren ist. Für die vom BVerfG geforderte beitragsrechtliche Kompensation des Vorteils
kinderloser Versicherter in der sozialen Pflegeversicherung hat der Gesetzgeber allerdings nicht die Beiträge der
Versicherten mit Kindern reduziert, sondern die Beiträge für Kinderlose um 0,25 % erhöht.
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2. Der 1968 geborene Kläger hat dementsprechend seit dem 1.1.2005 gemäß § 60 Abs 5 iVm § 59 Abs 5 SGB XI aus
seinen beitragspflichtigen Einnahmen Pflegeversicherungsbeiträge unter Berücksichtigung des zusätzlichen
Beitragszuschlags für Kinderlose nach einem Beitragssatz von insgesamt 1,95 % zu zahlen. Er gehört nicht zu den
Personen, die von dieser Verpflichtung ausgenommen sind. Weder hat er ein Kind noch ein Pflege- bzw Stiefkind. Die
gesetzlichen Vorschriften setzen jedoch bereits nach ihrem Wortlaut für die Elterneigenschaft nur voraus, dass ein
Kind vorhanden ist. Die Regelungen stellen nicht darauf ab, ob die Kinderlosigkeit ungewollt ist. Den
Gesetzesmaterialien ist ebenfalls zu entnehmen, dass die Verpflichtung zur Zahlung des Beitragszuschlages
unabhängig von den Gründen für die Kinderlosigkeit bestehen soll (vgl BT-Drucks 15/3671 S 5). Der Kläger gehört
auch nicht zu einer der genannten Gruppen von kinderlosen Versicherten, die von der Zahlungspflicht ausgenommen
sind.
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3. Der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 Abs 1 GG bedurfte es nicht. Der
Senat ist nicht davon überzeugt, dass § 55 Abs 3 SGB XI verfassungswidrig ist, soweit ungewollt kinderlose
Versicherte zur Zahlung des Beitragszuschlags von 0,25 % verpflichtet sind. Die gesetzliche Regelung verstößt in
ihrer Anwendung auf den Kläger insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG.
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Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 3.4.2001 (1 BvR 1629/94, BVerfGE 103, 242, 258 = SozR 3-3300 § 54 Nr 2 S
12 mwN) ua ausgeführt, Art 3 Abs 1 GG verbiete es dem Gesetzgeber, bei seiner Entscheidung, welche Merkmale er
beim Vergleich von Lebenssachverhalten als maßgebend ansehe, um sie im Recht gleich oder verschieden zu
behandeln, das Ausmaß der tatsächlichen Unterschiede sachwidrig außer Acht zu lassen. Der Gleichheitssatz sei
verletzt, wenn der Gesetzgeber es versäumt habe, Ungleichheiten der zu ordnenden Lebenssachverhalte zu
berücksichtigen, die so bedeutsam seien, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise
beachtet werden müssten. Die beitragsrechtlichen Vorschriften der § 54 Abs 1 und 2, § 55 Abs 1 Satz 1 und Abs 2
sowie § 57 SGB XI hat das BVerfG danach für mit Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG unvereinbar gehalten, weil trotz
ihres sog generativen Beitrags Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung mit Kindern mit einem gleich hohen
Pflegeversicherungsbeitrag belastet werden wie Mitglieder ohne Kinder.
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Danach verstoßen die mit dem KiBG zur Umsetzung dieses Urteils geschaffenen, den Kläger belastenden
Regelungen nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. § 55 Abs 3 SGB XI führt zu unterschiedlichen Beitragsbelastungen von
Versicherten. Während durch die Neuregelung für Versicherte mit Kindern sowie für weitere Gruppen von Versicherten
die Beitragsbelastung bei ansonsten unveränderten Umständen ab 1.1.2005 gleich bleibt, erhöht sich bei den übrigen
Versicherten - wie auch dem Kläger - ab Vollendung des 23. Lebensjahres der Beitragssatz von 1,7 % um 0,25 % auf
1,95 % der beitragspflichtigen Einnahmen. Der Gesetzgeber hat damit allein an das Vorhandensein von Kindern
angeknüpft, nicht dagegen an den jeweils entstehenden Aufwand für Kinder oder die Gründe für die Kinderlosigkeit.
Diese Differenzierung ist nicht zu beanstanden.
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a) Nicht zu beanstanden ist die Entscheidung des Gesetzgebers, zur Umsetzung des Urteils des BVerfG Kinderlose
wie den Kläger mit einem erhöhten Beitrag zu belasten, während Versicherte mit Kindern weiter Beiträge nach dem
bisherigen Beitragssatz zahlen. Entgegen der Auffassung des Klägers wird hierdurch die verfassungsrechtlich
geforderte relative Beitragsentlastung bewirkt. Es ist nicht ersichtlich, dass der Entscheidungsspielraum des
Gesetzgebers dahin eingeschränkt war, dass nur eine Beitragsreduktion verfassungsrechtlich zulässig gewesen wäre.
Eine solche Regelung hätte zu Beitragsausfällen geführt, die mit Beitragssatzerhöhungen hätten kompensiert werden
müssen. Der Ausgleich einer relativen Beitragsentlastung im Beitragssystem der sozialen Pflegeversicherung setzte
bei angestrebter Beibehaltung des Beitragsaufkommens voraus, dass Kinderlose höhere Beiträge als bisher zu zahlen
haben.
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b) Soweit der Kläger die Gleichbehandlung von ungewollt kinderlosen Versicherten mit Versicherten mit Kindern
begehrt, findet eine solche Forderung im Verfassungsrecht keine Stütze. Das BVerfG hat gerade im Vergleich mit
kinderlosen Versicherten eine Entlastung der Gruppe der Versicherten mit Kindern gefordert, mit der der Kläger die
Gleichbehandlung begehrt (dazu s bereits oben), ohne dabei auf die Gründe der Kinderlosigkeit abzustellen. Sollte im
übrigen auch die unfreiwillige Kinderlosigkeit aus medizinischen Gründen zu einem niedrigeren Beitragssatz führen,
wie vom Kläger gefordert, wäre nicht zu erkennen, weshalb nicht auch aus anderen Gründen kinderlose Versicherte,
zB Versicherte ohne Partner, von der Beitragsbelastung ausgenommen werden müssten.
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c) Die Ungleichbehandlung des Klägers ist auch dann gerechtfertigt, wenn Versicherte allein aufgrund der
Elterneigenschaft dauerhaft keinen Beitragszuschlag tragen müssen, selbst wenn sie keine Aufwendungen für Kinder
haben oder von ihnen keine Erziehungs- und Betreuungsleistungen erbracht werden. Der Gesetzgeber durfte in
Ausübung seines ihm eingeräumten Spielraums bei der Ausgestaltung eines Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG
entsprechenden Beitragsrechts in der sozialen Pflegeversicherung vom Regelfall ausgehen und die vom BVerfG
geforderte Entlastung an das (bloße) Vorhandensein eines Kindes knüpfen sowie ab dessen Geburt eine dauerhafte
Beitragsentlastung vorsehen. Das GG verpflichtet den Gesetzgeber entsprechend dem Urteil des BVerfG lediglich
dazu, bei der gebotenen Differenzierung der Beitragshöhe den sog generativen Beitrag zu berücksichtigen und die
beitragspflichtigen Mitglieder mit einem oder mehreren Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sozialen
Pflegeversicherung bei der Bemessung der Beiträge relativ zu entlasten. Dies kann durch die Berücksichtigung allein
der Tatsache, dass ein Kind vorhanden ist, bei der Beitragsbemessung geschehen. Die geforderte Berücksichtigung
des sog generativen Beitrags rechtfertigt es, an die Stellung als Eltern anzuknüpfen, ohne danach zu differenzieren,
ob und inwieweit Eltern in der Erziehungsphase tatsächlich im Einzelfall Nachteile entstehen und inwieweit Kinder
tatsächlich später zur sozialen Pflegeversicherung Beiträge leisten. Die Feststellung tatsächlicher Nachteile durch die
Pflegekassen wäre darüber hinaus mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Schon im Hinblick auf die relativ
geringe Differenz von 0,25 % Beitragssatzpunkten zwischen kinderlosen Versicherten und solchen mit Kindern steht
die Beitragsentlastung letzterer über das Ende der Betreuungsphase und auch der Erwerbsphase der Versicherten
hinaus nicht außer Verhältnis. Nach Umfang oder der Dauer der Kindererziehung und -betreuung musste deshalb nicht
differenziert werden.
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d) Der Senat lässt offen, ob sich der Kläger darauf berufen kann, dass weitere Gruppen von Versicherten den
zusätzlichen Beitragszuschlag ebenfalls nicht zu zahlen haben, obwohl deren Begünstigung gerade nicht auf den
Grund der Kinderlosigkeit abstellt, sondern jeweils an andere Sachverhalte anknüpft. Der Kläger macht insoweit auch
allein geltend, für deren Begünstigung fehle eine Rechtfertigung, ohne auch zu fordern, er müsse gemessen an Art 3
Abs 1 GG mit diesen Gruppen gleich behandelt werden. Eine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG käme insoweit allein in
Betracht, wenn ein Versicherter wie der Kläger geltend machte, die bloße ungerechtfertigte Besserstellung anderer
Versicherter führe wegen des Ausfalls der an sich sachgerechten Zahlungsverpflichtung dieser Versicherten zu
messbaren Auswirkungen auf das Beitragsaufkommen und signifikant höheren Beiträgen für die benachteiligten
Versicherten.
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Soweit der Kläger die fehlende Beitragsbelastung der vor dem 1.1.1940 geborenen kinderlosen Versicherten geltend
macht, könnten wegen der Größe dieser Gruppe solche Auswirkungen auf das Beitragsaufkommen bestehen. Der
Senat konnte sich aber nicht davon überzeugen, dass die Begünstigung dieser Gruppe im Verhältnis zum 1968
geborenen Kläger den allgemeinen Gleichheitssatz verletzt und deshalb verfassungswidrig ist. Das BVerfG hat in
seiner oben genannten Entscheidung die Berücksichtigung von Erziehungsleistungen im Beitragsrecht dann für
verfassungsrechtlich geboten erachtet, wenn nicht mehr die Mehrheit der Versicherten Kinder erzieht. Es ist daher im
Hinblick auf Art 3 Abs 1 GG nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber bei der Regelung des § 55 Abs 3 SGB XI
berücksichtigt hat, dass von den vor dem 1.1.1940 geborenen Versicherten noch überwiegend Kinder geboren (und
erzogen) wurden (vgl BT-Drucks 15/3671 S 6) und deshalb auch die kinderlosen Versicherten dieser Jahrgänge nicht
zu einem finanziellen Beitrag zur Entlastung der Versicherten mit Kindern herangezogen werden.
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Auf die fehlende Zahlungspflicht der Bezieher von Arbeitslosengeld II kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen.
Ob allerdings wie in den Gesetzesmaterialien die Ungleichbehandlung damit begründet werden kann, dass das
Existenzminimum zu schonen ist (vgl BT-Drucks 15/3837 S 7), erscheint fraglich. Auch ist zweifelhaft, ob das
prognostizierte Verhältnis des zusätzlichen Verwaltungsaufwandes zur lediglich geringen Höhe der durch die Erhebung
des Beitragszuschlags zu erwartenden zusätzlichen Beitragseinnahmen (vgl BT-Drucks 15/3837 S 8) diese
Ungleichbehandlung rechtfertigen kann. Es kann offenbleiben, ob es andere, die Begünstigung dieser Gruppe
rechtfertigende Gründe gibt. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz könnte jedoch nur zu einer Belastung auch
dieses Personenkreises mit dem Beitragszuschlag führen. Eine Benachteiligung des Klägers durch die
Beitragsentlastung dieser Gruppe, die zumindest eine deutliche Auswirkung der Beitragsentlastung auf das gesamte
Beitragsaufkommen aus dem Beitragszuschlag zur Voraussetzung hätte, ist jedoch auszuschließen. Dies folgt aus
der relativ geringen Größe der begünstigten Gruppe und dem geringen Beitragsaufkommen je Versicherten aus den
zugrunde liegenden beitragspflichtigen Einnahmen (zB im Jahr 2008 beitragspflichtige Einnahmen in der Regel jeweils
nur 857,33 Euro monatlich, vgl § 57 Abs 1 SGB XI iVm § 232a Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V und § 2 Abs 1
Sozialversicherungs-Rechnungsgrößenverordnung 2008 vom 5.12.2007 (BGBl I 2797)).
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Gleiches gilt für die Gruppe der Wehr- und Zivildienstleistenden. Es handelt sich um eine relativ kleine Gruppe von
Versicherten, da nur diejenigen betroffen sind, die den Dienst nach Vollendung des 23. Lebensjahres abzuleisten
haben und deshalb andernfalls einen Beitragszuschlag zu zahlen hätten. Die Beitragsentlastung ist hier aber
gemessen an Art 3 Abs 1 GG auch sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat in Wahrnehmung des ihm
eingeräumten Gestaltungsspielraums aus sozialen Gründen von der Erhebung des Beitragszuschlags bei dieser
Gruppe abgesehen. Der Charakter dieses Dienstes als verpflichtender, zeitlich nicht frei wählbarer Dienst für die
Allgemeinheit rechtfertigt die fehlende Pflicht zur Zahlung des Beitragszuschlags.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.