Urteil des BSG vom 18.06.2013

BSG: anerkennung, wissenschaft, berufliche tätigkeit, ddr, einwirkung, unfallversicherung, geeignetheit, tschechien, presse, meinung

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 18.6.2013, B 2 U 6/12 R
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom
23. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Halswirbelsäulenerkrankung als Wie-
Berufskrankheit (BK) streitig.
2 Die 1947 geborene Klägerin leidet an Bandscheibenvorfällen im Bereich der
Halswirbelsäule. Sie war im Anschluss an ihr abgeschlossenes Musikstudium von August
1970 bis Juli 1972 als Geigenlehrerin sowie von August 1972 bis Juli 1992, von September
1992 bis Dezember 1993 und von Mai 1994 bis Mai 1998 im Beitrittsgebiet als Geigerin in
verschiedenen Orchestern tätig.
3 Auf ärztliche Anzeige vom 23.3.2001 wegen des Verdachts einer BK holte die Beklagte
ärztliche Gutachten ein. Dr. L., Leiter des Europäischen Instituts für Bewegungsphysiologie,
M. , führte in seinem Gutachten vom 28.9.2002 aus, die Halswirbelsäulenerkrankung sei mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit durch das jahrelange Instrumentalspiel entstanden oder
wesentlich mitverursacht worden. Prof. Dr. D., Institut für Arbeits-, Sozial- und
Umweltmedizin der Johannes Gutenberg-Universität M., gelangte in seinem Gutachten vom
8.1.2003 zu dem Ergebnis, das Geigenspiel gehe zwar mit einer außergewöhnlichen
Zwangshaltung in Form einer "Schulter-Kopf-Zwinge" einher. Allerdings könne die sog
"Gruppentypik" anhand neuer statistisch gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht
festgestellt werden.
4 Die Beklagte lehnte es ab, eine Wie-BK festzustellen (Bescheid vom 25.3.2003;
Widerspruchsbescheid vom 30.11.2005). Hiergegen hat die Klägerin Klage zum SG
Neuruppin erhoben, das weitere Begutachtungen veranlasst hat. Dr. B., Institut für
sozialmedizinische Begutachtung GbR im Krankenhaus W., hat in seinem Gutachten vom
6.6.2007 dargelegt, die Wirbelsäulenbeschwerden seien nicht auf die berufliche Tätigkeit
als Orchestermusikerin zurückzuführen. Prof. Dr. A., Institut für Musikphysiologie und
Musiker-Medizin, H., hat in seinem Gutachten vom 3.5.2010 darauf hingewiesen, für eine
berufsbedingte Wirbelsäulenerkrankung spreche die kumulative Lebensarbeitszeit an der
Geige in Zwangshaltung aufgrund der "Schulter-Kinn-Zange" und die mit dem Schrifttum
übereinstimmende Häufigkeit der Beschwerden bei Geigern. Dabei handele es sich um
Plausibilitätsargumente, da bislang keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse
existierten.
5 Das SG Neuruppin hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 23.9.2010). Das LSG Berlin-
Brandenburg hat die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung seines Urteils vom
23.2.2012 hat es ausgeführt, auf das Recht der ehemaligen DDR komme es nicht an, weil
die Erkrankung der Klägerin erst nach dem 31.12.1993 der Beklagten bekannt geworden
sei. Die Voraussetzungen des § 551 Abs 2 RVO und des § 9 Abs 2 SGB VII für die
Feststellung einer Wie-BK seien nicht erfüllt. Zwar seien Streicher wegen der nur in dieser
Berufsgruppe auftretenden "Schulter-Kinn-Zange" besonderen Einwirkungen in höherem
Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt. Es fehle aber an der generellen Geeignetheit
dieser Einwirkung für die Verursachung von Halswirbelsäulenbeschwerden. Die
erforderliche sog "Gruppentypik" setze in der Regel anhand statistisch relevanter Zahlen
den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine lange
zeitliche Überwachung der Krankheitsbilder voraus, um mit Sicherheit eine andere
Krankheitsursache ausschließen zu können. Entsprechende epidemiologische
Erkenntnisse seien aufgrund der geringen Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland
tätigen Streicher aber nicht vorhanden. Auch sonstige, die generelle Geeignetheit
belegende Erkenntnisse seien nicht ersichtlich. Die von Prof. Dr. A. hervorgehobene
Plausibilität genüge ebenso wenig wie der von mit Musikererkrankungen vertrauten Ärzten
publizierte Ursachenzusammenhang. Gerade vor dem Hintergrund, dass in der
Bundesrepublik Deutschland nur etwa 4100 Streicher betroffen seien und es sich bei der
Halswirbelsäulenerkrankung um eine sog Volkskrankheit handele, könne der Nachweis
des gruppenspezifischen Risikos nicht schon mit der Einschätzung einzelner mit
Musikererkrankungen befasster Fachärzte geführt werden. Die besonderen
Beweisprobleme im Falle kleinerer Berufsgruppen seien der Entscheidung des
Gesetzgebers für das verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Listensystem
geschuldet. Dieser sei dem im Zusammenhang mit dem Unfallversicherungs-
Einordnungsgesetz (UVEG) unterbreiteten Vorschlag, die Feststellung einer Wie-BK unter
erleichterten Voraussetzungen zu ermöglichen, gerade nicht gefolgt.
6 Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 9 Abs 2
SGB VII sowie die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Das Fehlen neuer
medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse stehe der Anerkennung der Wie-BK nicht
entgegen, weil sich der Verordnungsgeber mit den besonderen Einwirkungen von hohen
Streichern noch gar nicht befasst habe und eine Auseinandersetzung damit auch nicht
geplant sei. Abgesehen davon könne nach der Rechtsprechung des BSG zur Vermeidung
unbilliger Ergebnisse ausnahmsweise bei fehlender epidemiologischer Evidenz einerseits
und gegebener biologischer Evidenz andererseits auf eine statistisch nachgewiesene
Gruppentypik verzichtet werden. Das LSG habe zu hohe Anforderungen an die
Beweisführung gestellt und zahlreiche, das Begehren stützende Umstände nicht
berücksichtigt. Sowohl Prof. Dr. A. als auch Dr. L. gingen von einer berufsbedingten
Erkrankung aus. Ein medizinischer Erfahrungssatz, dass eine durch das Violinspiel
hervorgerufene Halswirbelsäulenerkrankung im Falle weiterer Verschleißerscheinungen
der gesamten Wirbelsäule ausscheide, existiere nicht. Selbst der Bundesverband der
Unfallkassen gehe bei Streichern in seiner Broschüre "Musikermedizin,
Musikerarbeitsplätze" von berufsrelevanten Erkrankungen der Hals- und Brustwirbelsäule
aus. Dass sich gleichwohl der Ärztliche Sachverständigenbeirat beim BMAS mit der
streitgegenständlichen Thematik weder bislang beschäftigt habe noch in Zukunft
auseinandersetzen werde, dürfe nicht zu Lasten der Streicher gehen. Ansonsten wäre ein
bestimmter Berufsstand trotz besonderer Einwirkungen von der Anerkennung einer BK auf
Dauer ausgeschlossen. Schließlich sei bei hohen Streichern in der ehemaligen DDR, in
Frankreich und in Tschechien eine BK anerkannt worden.
7 Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Februar 2012 und
des Sozialgerichts Neuruppin vom 23. September 2010 sowie die Ablehnung einer
Wie-Berufskrankheit im Bescheid der Beklagten vom 25. März 2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 30. November 2005 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, die Erkrankung der Halswirbelsäule als Wie-Berufskrankheit
anzuerkennen.
8 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
9 Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Die Revision sei bereits unzulässig,
da die Revisionsbegründung nicht den Anforderungen des § 164 Abs 2 SGG genüge.
Inwieweit das LSG die Vorschrift des § 9 Abs 2 SGB VII fehlerhaft ausgelegt habe, sei nicht
schlüssig dargetan. Soweit die Klägerin die Beweiswürdigung des LSG beanstande, sei
eine Verfahrensrüge nicht erhoben worden. Die Revision sei aber auch unbegründet. Es
fehle an epidemiologischen Erkenntnissen, dass die "Schulter-Kinn-Zange" generell
geeignet wäre, eine Halswirbelsäulenerkrankung hervorzurufen. Die von der Klägerin
vorgelegten ärztlichen Unterlagen spiegelten nicht den aktuellen wissenschaftlichen
Kenntnisstand, sondern nur Einzelmeinungen wider.
Entscheidungsgründe
10 Die zulässige Revision ist nicht begründet.
11 Die Klägerin hat in zulässiger Weise Revision eingelegt. Bei ihrem
Prozessbevollmächtigten handelt es sich um eine selbständige Vereinigung von
Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung für ihre Mitglieder, die
nach § 73 Abs 4 Satz 2 iVm Abs 2 Satz 2 Nr 5 SGG zur Vertretung vor dem BSG
zugelassen ist.
12 Die Revision genügt entgegen der Ansicht der Beklagten den Begründungsanforderungen
des § 164 Abs 2 Satz 1 und 3 SGG. Danach muss die Begründung einen bestimmten
Antrag enthalten und die verletzte Rechtsnorm bezeichnen. Insoweit ist mit rechtlichen
Erwägungen aufzuzeigen, dass und weshalb die Rechtsansicht des Berufungsgerichts
nicht geteilt wird. Es bedarf einer Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des
angefochtenen Urteils und der Darlegung, inwieweit die als verletzt gerügte Vorschrift des
materiellen Bundesrechts nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (zuletzt BSG vom
11.4.2013 - B 2 U 21/11 R - NZS 2013, 639 sowie BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R -
BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 § 8 Nr 29, RdNr 10 mwN). Dem trägt die
Revisionsbegründung Rechnung. Aus ihr geht hervor, weshalb die Klägerin die
angefochtene Entscheidung für unzutreffend hält. Sie hat eine Verletzung des § 9 Abs 2
SGB VII gerügt und ua ausgeführt, das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, die
Feststellung einer Wie-BK scheitere am Fehlen epidemiologischer Studien.
13 Die Revision der Klägerin ist allerdings unbegründet. Das LSG hat ihre Berufung gegen
das die zulässig kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs 1 Satz 1
SGG; zur Klageart vgl BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 30/07 R - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671
Anl 1 Nr 3101 Nr 4 BKV, RdNr 11 mwN; BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108,
274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1, RdNr 12 mwN) abweisende Urteil des SG zu Recht
zurückgewiesen. Die Ablehnung der Anerkennung einer Wie-BK im Bescheid der
Beklagten vom 25.3.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2005 ist
rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
14 Es kann offenbleiben, seit wann die Halswirbelsäulenerkrankung der Klägerin besteht und
ob sich der geltend gemachte Anspruch noch nach den Vorschriften der RVO oder den am
1.1.1997 in Kraft getretenen Bestimmungen des SGB VII richtet (Art 36 UVEG, § 212 SGB
VII). Denn die Regelungen über die Anerkennung einer Wie-BK sind im SGB VII
gegenüber der RVO im Wesentlichen inhaltlich unverändert geblieben.
15 Nach § 9 Abs 2 SGB VII (§ 551 Abs 2 RVO) haben die Unfallversicherungsträger eine
Krankheit, die nicht in der BKV bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten
Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern
im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen
Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII
(§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO) erfüllt sind (sog Öffnungsklausel für Wie-BKen). Die
Feststellung einer Wie-BK nach dieser Vorschrift ist ua vom Vorliegen der allgemeinen
Voraussetzungen für die Bezeichnung der geltend gemachten Krankheit als BK nach
neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig (zuletzt BSG vom 13.2.2013 - B 2 U
33/11 R - mwN, auch zu den weiteren Voraussetzungen einer Wie-BK - SozR 4-2700 § 9
Nr 21 RdNr 17). Diese allgemeinen Voraussetzungen sind erfüllt, wenn bestimmte
Personengruppen infolge einer versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII (§§ 539,
540 und 543 bis 545 RVO) in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung
besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind, die nach den Erkenntnissen der
medizinischen Wissenschaft eine Krankheit hervorrufen. Die insoweit in früheren
Entscheidungen des Senats verwendeten Begriffe der Gruppentypik, generellen
Geeignetheit und gruppentypischen oder -spezifischen Risikoerhöhung dienten allein der
Erläuterung oder Umschreibung der aufgezeigten Voraussetzungen, ohne dass damit
andere Anforderungen an die Anerkennung einer Wie-BK gestellt werden sollten (BSG
vom 27.4.2010 - B 2 U 13/09 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 18 RdNr 15 mwN).
16 Die Klägerin war aufgrund ihrer versicherten Tätigkeit als Beschäftigte nach § 2 Abs 1 Nr 1
SGB VII (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) und ihrer Zugehörigkeit zur Berufsgruppe der Streicher
besonderen Einwirkungen durch die "Schulter-Kinn-Zange" in erheblich höherem Grade
als die übrige Bevölkerung ausgesetzt. Als Einwirkung kommt jedes auf den Menschen
einwirkende Geschehen in Betracht (BSG aaO RdNr 19). Die Klägerin leidet auch an einer
bandscheibenbedingten Erkrankung der Halswirbelsäule, die als BK iS des § 9 Abs 1
SGB VII (§ 551 Abs 1 RVO) zugrunde gelegt werden könnte. Allerdings fehlt es am
generellen Ursachenzusammenhang zwischen dieser Erkrankung und der besonderen
Einwirkung.
17 Ob eine Krankheit innerhalb einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der
versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als bei der übrigen Bevölkerung, erfordert in der
Regel den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine
langfristige zeitliche Überwachung der Krankheitsbilder. Mit wissenschaftlichen Methoden
und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die generelle
Eignung besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Erst dann lässt sich anhand
von gesicherten "Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft" iS des § 9 Abs 2 SGB
VII (§ 551 Abs 2 iVm § 551 Abs 1 Satz 2 RVO) nachvollziehen, dass die Ursache für die
Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt. Solche Erkenntnisse setzen
regelmäßig voraus, dass die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf dem
jeweils in Betracht kommenden Fachgebiet über besondere Erfahrungen und Kenntnisse
verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es ist nicht
erforderlich, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner
widerspiegeln. Andererseits reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger
grundsätzlich nicht aus (BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 20/01 R - Juris RdNr 22; bereits BSG
vom 23.3.1999 - B 2 U 12/98 R - BSGE 84, 30, 35 mwN = SozR 3-2200 § 551 Nr 12).
18 Nach § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII (§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO) sind BKen grundsätzlich nur
solche Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung
des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den
Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII (§§ 539, 540, 543 bis 545 RVO)
begründenden Tätigkeit erleiden. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber das
"Listensystem" als Grundprinzip des Berufskrankheitenrechts der gesetzlichen
Unfallversicherung festgelegt. Mit der Einführung der Wie-BK in § 551 Abs 2 RVO durch
das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30.4.1963 (BGBl I 241) wurde eine
Ausnahme vom Listenprinzip nur für den Fall zugelassen, dass der Verordnungsgeber
wegen der regelmäßig notwendigen mehrjährigen Intervalle zwischen den Anpassungen
der BKV an die neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht rechtzeitig tätig
wird (BSG vom 25.8.1994 - 2 RU 42/93 - BSGE 75, 51, 54 = SozR 3-2200 § 551 Nr 6 S
14). Sinn des § 9 Abs 2 SGB VII (§ 551 Abs 2 RVO) ist es, ausnahmsweise vom
Listensystem abweichen zu können, um solche durch die Arbeit verursachten Krankheiten
wie eine BK zu entschädigen, die nur deshalb nicht in die Liste der BKen aufgenommen
worden sind, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere
Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Liste
noch nicht vorhanden waren oder vom Verordnungsgeber nicht hinreichend berücksichtigt
wurden (vgl BSG vom 4.8.1981 - 5a/5 RKnU 1/80 - SozR 2200 § 551 Nr 18 S 27). Die
Anerkennung einer Wie-BK knüpft damit an dieselben materiellen Voraussetzungen an,
die der Verordnungsgeber auch nach § 9 Abs 1 Satz 2 SGB VII (§ 551 Abs 1 Satz 3 RVO)
für die Aufnahme einer Erkrankung in die Liste zu beachten hat.
19 Die damit zur Anerkennung einer Wie-BK notwendigen gesicherten Erkenntnisse der
medizinischen Wissenschaft liegen nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen, die er
zur Klärung der generellen Tatsache (vgl hierzu BSG vom 2.4.2009 - B 2 U 9/08 R - BSGE
103, 59 = SozR 4-2700 § 9 Nr 14, RdNr 15) des Zusammenhangs zwischen "Schulter-
Kinn-Zange" und bandscheibenbedingter Halswirbelsäulenerkrankung heranziehen und
auswerten durfte, nicht vor. Hinsichtlich eines solchen Zusammenhangs fehlt es an
epidemiologischen Studien und statistisch relevanten Zahlen, die wegen der geringen
Anzahl von Berufsgeigern auch nicht zu erwarten sind. Auch wenn eine besondere
Gefährdung der Streicher durch die mit der "Schulter-Kinn-Zange" einhergehende
Fehlhaltung zu beobachten ist, lässt sich ein Zusammenhang zwischen beruflicher
Belastung und morphologischer Veränderung der Wirbelsäule mangels statistisch
gesicherter Erkenntnisse nicht herstellen. Zwar führt Dr. L. in seinem Gutachten vom
28.9.2002 die Halswirbelsäulenerkrankung der Klägerin mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit auf das jahrelange Instrumentalspiel zurück. Zudem bestätigt Prof. Dr.
D. in seinem Gutachten vom 8.1.2003 eine durch das Geigenspiel bedingte
außergewöhnliche Zwangshaltung. Er führt aber ferner aus, dass die sog Gruppentypik
anhand neuer gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht festgestellt werden
könne. Auch Prof. Dr. A. hält in seinem Gutachten vom 3.5.2010 zwar eine berufsbedingte
Wirbelsäulenerkrankung für gegeben, weist aber ebenfalls darauf hin, dass die hierfür
sprechende Lebensarbeitszeit an der Geige einerseits sowie die Häufigkeit des Auftretens
der Wirbelsäulenbeschwerden bei Geigern andererseits den generellen
Ursachenzusammenhang lediglich plausibel erscheinen ließen und es an die Kausalität
belegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen fehle. Schließlich ist das im Jahr 2001
durchgeführte 3. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und
Musikermedizin zu dem Ergebnis gelangt, dass die publizierten Daten zur Epidemiologie
funktioneller und struktureller Erkrankungen der Wirbelsäule bei Musikern in sowohl
quantitativer als auch qualitativer Hinsicht sehr dürftig seien (Seidel/Lange, Institut für
Musikpädagogik und Musiktheorie, Die Wirbelsäule des Musikers, 2001). Eine Vielzahl
fachkundiger Mediziner, die eine Verursachung von bandscheibenbedingten
Erkrankungen der Halswirbelsäulen durch die "Schulter-Kinn-Zange" für hinreichend
wahrscheinlich halten, existiert damit nicht. Für die Annahme gesicherter Erkenntnisse der
medizinischen Wissenschaft iS des § 9 Abs 2 SGB VII (§ 551 Abs 2 iVm § 551 Abs 1 Satz
2 RVO) genügt es nicht, dass einzelne Mediziner die Verursachung von
Halswirbelsäulenbeschwerden durch eine Fehlbelastung infolge der "Schulter-Kinn-
Zange" für plausibel oder wahrscheinlich halten. Es reicht nicht aus, dass überhaupt
medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem jeweils relevanten Problemfeld
existieren, vielmehr muss sich eine sog herrschende Meinung im einschlägigen
medizinischen Fachgebiet gebildet haben (BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 16/01 R - Juris
RdNr 19).
20 Allerdings hat der Senat zu sog Seltenheitsfällen entschieden, dass die den generellen
Ursachenzusammenhang zwischen besonderer Einwirkung und Erkrankung belegenden
medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ausschließlich anhand von Methoden
der Epidemiologie und statistischer Belege nachgewiesen werden müssen. Fehlt es an
einer im Allgemeinen notwendigen langfristigen zeitlichen Überwachung von
Krankheitsbildern, da aufgrund der Seltenheit einer Erkrankung medizinisch-
wissenschaftliche Erkenntnisse durch statistisch abgesicherte Zahlen nicht erbracht
werden können, kommt nach dieser Rechtsprechung ausnahmsweise auch ein Rückgriff
auf Einzelfallstudien, auf Erkenntnisse aus anderen Staaten und auf frühere
Anerkennungen entsprechender Erkrankungen, auch in der ehemaligen DDR, in Betracht
(BSG vom 4.6.2002 - B 2 U 20/01 R - Juris RdNr 22 mwN; BSG vom 14.11.1996 - 2 RU
9/96 - BSGE 79, 250, 252 = SozR 3-2200 § 551 Nr 9 S 21). Es kann offenbleiben, ob eine
solche Vorgehensweise unter Zugrundelegung eines geringeren wissenschaftlichen
Standards überhaupt mit den gesetzlichen Voraussetzungen des § 9 Abs 2 SGB VII (iVm §
9 Abs 1 Satz 2 SGB VII) für die Anerkennung einer Wie-BK vereinbar ist. Ihre Zulässigkeit
unterstellt, kann ferner dahingestellt bleiben, ob sie auch dann in Betracht kommt, wenn -
wie hier - gar kein Seltenheitsfall gegeben, sondern stattdessen eine Berufsgruppe
betroffen ist, bei der wegen ihrer geringen Größe epidemiologische Studien nicht zu
erwarten bzw unmöglich sind. Denn selbst bei Zugrundlegung eines geringeren
wissenschaftlichen Standards reichen die über die bereits beschriebenen Unterlagen
hinausgehenden aktenkundigen Erkenntnisse nicht aus, einen Zusammenhang zwischen
der "Schulter-Kinn-Zange" von Berufsgeigern und bandscheibenbedingten
Halswirbelsäulenerkrankungen als hinreichend wissenschaftlich belegt zu betrachten.
21 Dr. D. nimmt in seinem Aufsatz "Abnutzungsschäden durch Geigen- und Bratschenspiel"
(Das Orchester 6/96, 13) auf eine eigene Studie über 17 professionelle Streicher Bezug
und weist darauf hin, dass zur Klärung der Frage der Anerkennung von
Wirbelsäulenschäden als BK noch weitere wissenschaftliche Untersuchungen
durchgeführt werden sollten. Die sog Weimarer Studie zu klinisch relevanten
Belastungsfaktoren und Belastungskomplexen bei Musikstudenten und Berufsmusikern
(Seidel/Höpfner/Lange, Musikphysiologie und Musikermedizin 1999, 6. Jg, Nr 4, 115)
beruht lediglich auf der Auswertung eines von 100 Musikstudenten und 88
Orchestermusikern jeweils ausgefüllten standardisierten und validierten Fragebogens. Im
Forschungsantrag "CMD/CCD bei Streichern" der Interdisziplinären Arbeitsgruppe
Musikermedizin des Klinikums der Friedrich-Schiller-Universität Jena, des Klinikums
Weimar und der Hochschule für Musik Weimar vom 20.5.2001 wird ausgeführt, dass es an
Datenmaterial zur Bewertung funktioneller Störungen des Bewegungssystems bei
Streichern als BK fehle. Aus diesen Publikationen lässt sich folglich auch ein ggf
geringeren Anforderungen an wissenschaftliche Erkenntnisse genügender genereller
Zusammenhang zwischen der "Schulter-Kinn-Zange" und einer bandscheibenbedingten
Halswirbelsäulenerkrankung nicht ableiten. Soweit die Revision zudem auf
Anerkennungen einer BK in Frankreich, Tschechien und der ehemaligen DDR hinweist,
ist nicht ersichtlich, dass diese auf hinreichenden medizinischen Erkenntnissen beruhten
und nicht nur das Ergebnis von Einzelfallprüfungen sind, ohne wissenschaftlich fundierte
Aussagen über die generelle Geeignetheit der hier zu beurteilenden Einwirkung zu
berücksichtigen. Zudem existiert in Frankreich entgegen der Revision keine spezifisch auf
Musiker, sondern eine generell auf Zwangshaltungen bezogene BK. Ob weiterhin auch
die jeweilige Ausgestaltung des Berufskrankheitenrechts in Frankreich, Tschechien und
der ehemaligen DDR einer Berücksichtigung der behaupteten Anerkennungen
entgegensteht, kann daher offenbleiben (vgl zur Ausgestaltung des BK-Rechts in anderen
Ländern Kranig, DGUV-Forum 2012, 30; ders, Berufskrankheiten im internationalen
Vergleich, 2002, 337).
22 Auch Billigkeitserwägungen führen zu keinem anderen Ergebnis. Nach der gefestigten
Rechtsprechung des Senats enthält § 9 Abs 2 SGB VII (§ 551 Abs 2 RVO) keine
allgemeine "Härteklausel", nach der jede durch eine versicherte Tätigkeit verursachte
Krankheit als Wie-BK anzuerkennen wäre (vgl zuletzt BSG vom 13.2.2013 - B 2 U 33/11 R
- SozR 4-2700 § 9 Nr 21 RdNr 17).
23 Dass die Anerkennung einer Wie-BK an das Vorliegen wissenschaftlich gesicherter
Kausalbeziehungen anknüpft, ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
24 Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor.
Danach sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Dieses Grundrecht ist verletzt, wenn
eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders
behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und
solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen (stRspr; vgl
BVerfG vom 28.4.1999 - 1 BvR 1926/96, 1 BvR 485/97 - BVerfGE 100, 104 = SozR 3-2600
§ 307b Nr 6). § 9 Abs 2 SGB VII (§ 551 Abs 2 RVO) ist zwar dann mit dem
Gleichbehandlungsgrundsatz nicht mehr vereinbar, wenn einer Personengruppe der
Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung allein deshalb versagt wird, weil der
Verordnungsgeber vorliegende wissenschaftliche Erkenntnisse noch nicht geprüft und
gewürdigt hat (BVerfG vom 22.10.1981 - 1 BvR 1369/79 - BVerfGE 58, 369, 375 f = SozR
2200 § 551 Nr 19 S 32 f). Denn die Vorschrift schließt solche Lücken, die sich daraus
ergeben, dass neue Erkenntnisse über den Zusammenhang von beruflicher Exposition
und Erkrankung vorliegen, bevor die BKV eine entsprechende Anpassung erfährt (BVerfG
vom 9.10.2000 - 1 BvR 791/95 - SozR 3-2200 § 551 Nr 15 S 76). An medizinisch-
wissenschaftlichen Erkenntnissen zu evtl gesundheitsschädigenden Folgen einer
"Schulter-Kinn-Zange" fehlt es vorliegend aber gerade. Dass sich der Verordnungsgeber
mit den besonderen Einwirkungen von hohen Streichern noch gar nicht befasst hat und
eine Auseinandersetzung damit ggf auch nicht geplant ist, befreit daher aus Gründen der
Gleichbehandlung nicht vom Erfordernis der die generelle Geeignetheit einer besonderen
Einwirkung für die Verursachung einer bestimmten Erkrankung belegenden medizinisch-
wissenschaftlichen Erkenntnisse.
25 Eine verfassungswidrige Benachteiligung ergibt sich auch nicht daraus, dass die
Berufsgruppe der Streicher sehr klein ist und sich möglicherweise eine wissenschaftlich
gesicherte Kausalbeziehung zwischen beruflicher Einwirkung und Erkrankung anhand
epidemiologischer Studien schon rein tatsächlich nicht feststellen lässt, weil die für
epidemiologische Studien erforderlichen Fallzahlen nicht erreicht werden können. § 9 Abs
1 Satz 1 SGB VII (§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO) beschränkt BKen begrifflich auf Krankheiten,
die in der Berufskrankheitenliste als Anlage zur BKV aufgeführt sind. Die Ermächtigung
der Bundesregierung zur Aufnahme von BKen in diese Anlage macht § 9 Abs 1 Satz 2
SGB VII (§ 551 Abs 1 Satz 3 RVO) davon abhängig, dass die Krankheiten nach den
Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht
sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit ausgesetzt sind.
In diesen Regelungen kommt das die gesetzliche Unfallversicherung prägende
Listenprinzip zum Ausdruck, das nach § 9 Abs 2 SGB VII nur unter der Voraussetzung
durchbrochen wird, dass neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorliegen.
Diese vom Gesetzgeber gewollte Systementscheidung begegnet keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG vom 8.6.2012 - 1 BvR 2853/10 - NZS 2012,
901; BVerfG vom 14.7.1993 - 1 BvR 1127/90 - SozR 3-2200 § 551 Nr 5 S 10). Mit ihr im
Einzelfall verbundene Härten sind hinzunehmen. Sie halten sich im Rahmen einer
zulässigen Typisierung, weil nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen
ist und dadurch bedingte Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären
(vgl BVerfG vom 28.4.1999 - 1 BvL 22/95, 1 BvL 34/95 - BVerfGE 100, 59, 90 = SozR 3-
8570 § 6 Nr 3 S 28 mwN).
26 In seiner Stellungnahme zum Entwurf des UVEG hat der Bundesrat 1995 zwar
vorgeschlagen, eine neue Regelung in § 9 Abs 2a SGB VII einzufügen, die die
Anerkennung einer Wie-BK zur Vermeidung von Härtefällen auch für den Fall vorsah,
dass 1. vergleichbare Arbeitsplätze mit entsprechenden Arbeitsbedingungen nicht oder
nur in einer geringen Zahl vorhanden sind und deshalb Erkenntnisse der medizinischen
Wissenschaft darüber nicht vorliegen können, dass bestimmte Personengruppen durch
ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung
besonderen Einwirkungen ausgesetzt sind und 2. nach medizinischen Erkenntnissen mit
hinreichender Sicherheit feststeht, dass die Krankheit durch die besonderen Bedingungen
des Arbeitsplatzes verursacht ist (BT-Drucks 13/2333 S 5 zu Nr 9). Dem ist der
Gesetzgeber des UVEG aber mit der Begründung nicht gefolgt, bei einer solchen
Regelung bestehe ua die Gefahr, dass die vorgeschlagene Bestimmung, bei der
epidemiologische Erkenntnisse wegen der Singularität der Arbeitsbedingungen nicht
gewonnen werden könnten, eine Antragsflut auslöse, die von den
Unfallversicherungsträgern nicht bewältigt werden könnte (BT-Drucks 13/2333 S 19 zu Nr
9). Diese Erwägungen des Gesetzgebers sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden,
weil sie sich im Rahmen seines legislatorischen Gestaltungsspielraums bewegen. Der
Gesetzgeber darf sich bei der Einführung typisierender Regelungen an den ansonsten mit
Einzelfallregelungen verbundenen Erfordernissen der Verwaltung orientieren. Die
Entlastung der Unfallversicherungsträger und folglich auch der Sozialgerichtsbarkeit von
umfangreichen und zeitaufwendigen Einzelfallprüfungen ist ein sachlicher, zur
Typisierung berechtigender Grund (vgl BVerfG vom 8.2.1983 - 1 BvL 28/79 - BVerfGE 63,
119, 128 = SozR 2200 § 1255 Nr 17 S 37 und vom 16.12.1958 - 1 BvL 3/57, 1 BvL 4/57
und 1 BvL 8/58 - BVerfGE 9, 20, 31 ff = SozR Nr 42 zu Art 3 GG). Damit sind zugleich einer
richterlichen Rechtsfortbildung verfassungsrechtliche Grenzen aufgezeigt, weil diese
bewusste Entscheidung des Gesetzgebers nicht durch richterliche Wertungen ersetzt
werden darf.
27 Die das hier gefundene Ergebnis tragenden und den Senat bindenden
Tatsachenfeststellungen (§ 163 SGG) sind nicht mit zulässig erhobenen Verfahrensrügen
angegriffen worden.
28 Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die
den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) und aus denen die
Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung
anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich
allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene
Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG vom 29.11.2011 - B 2 U
10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 19 mwN). Daran fehlt es hier.
29 Die Rüge der Klägerin, die Entscheidung des LSG beruhe auf einer fehlerhaften
Beweiswürdigung, ist nicht ordnungsgemäß erhoben. Sie hätte darlegen müssen, dass
das Berufungsgericht die Grenzen seiner ihm durch § 128 Abs 1 Satz 1 SGG
eingeräumten Befugnis verletzt hat, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des
Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Es hätte insoweit aufgezeigt
werden müssen, dass es gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen
oder das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend berücksichtigt hat (BSG vom
31.5.2005 - B 2 U 12/04 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 2 RdNr 9). Diesen
Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht.
30 Mit dem Vorbringen, ein medizinischer Erfahrungssatz, dass die durch ein Violinspiel
hervorgerufene Halswirbelsäulenerkrankung im Falle weiterer Verschleißerscheinungen
der gesamten Wirbelsäule ausscheide, existiere nicht, ist nicht deutlich geworden, dass
das LSG einen Erfahrungssatz fehlerhaft angewandt hat (vgl hierzu BSG vom 2.5.2001 - B
2 U 24/00 R - SozR 3-2200 § 581 Nr 8 S 37 mwN). Die Revision zeigt nicht auf, an
welcher Stelle seines Urteils sich das LSG tragend auf einen solchen Erfahrungssatz
gestützt hätte. Auf Seite 13 der angegriffenen Entscheidung wird vielmehr lediglich
ausgeführt, dass es sich bei dem Halswirbelsäulenleiden um eine "Volkskrankheit"
handele, die eine Beweiserleichterung bei der Feststellung der generellen Geeignetheit
verbiete.
31 Auch ein sog Denkgesetz, gegen das das LSG verstoßen haben könnte, hat die Klägerin
nicht dargetan. Dass es zu einer bestimmten, aus seiner Sicht erheblichen Frage aus den
gesamten rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten nur eine Folgerung hätte ziehen
können, jede andere nicht folgerichtig "denkbar" ist und das Gericht die allein in Betracht
kommende nicht gesehen hat (vgl BSG vom 11.6.2003 - B 5 RJ 52/02 R - Juris RdNr 13
mwN), legt die Revision nicht dar.
32 Aus dem Vortrag der Klägerin geht auch nicht hervor, dass das Gesamtergebnis des
Verfahrens nicht hinreichend berücksichtigt worden wäre. Soweit sie geltend macht, in der
ehemaligen DDR, in Frankreich sowie in Tschechien ausgesprochene Anerkennungen
von BKen seien bei der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt worden, wird übersehen,
dass sich das LSG auf Seite 15 seiner Entscheidung damit auseinandergesetzt hat, dass
die Problematik der Geiger in der ehemaligen DDR "einer anderen Lösung zugeführt
worden sei". Im Übrigen hat die Revision nicht aufgezeigt, ob und wenn ja inwieweit den
behaupteten Anerkennungen generelle medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse
zugrunde liegen. Die Klägerin setzt im Kern nur ihre Beweiswürdigung an die Stelle
derjenigen des LSG. Allein damit ist aber eine Verletzung der Grenzen des Rechts auf
freie Beweiswürdigung nicht formgerecht gerügt (BSG vom 23.8.2007 - B 4 RS 3/06 R -
SozR 4-8570 § 1 Nr 16 RdNr 31).
33 Schließlich scheidet ein Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Wie-BK nach
übergangsrechtlichen Regelungen aus. Für die Übernahme einer vor dem 1.1.1992 im
Beitrittsgebiet eingetretenen Erkrankung als BK nach dem Recht der gesetzlichen
Unfallversicherung ist nach §§ 212 und 215 Abs 1 Satz 1 SGB VII die Vorschrift des §
1150 Abs 2 RVO in der am 31.12.1996 geltenden Fassung des Renten-
Überleitungsgesetzes vom 25.7.1991 (BGBl I 1606, 1688) weiter anzuwenden. Gemäß §
1150 Abs 2 Satz 1 RVO gelten solche Krankheiten, die nach dem im Beitrittsgebiet
geltenden Recht BKen der Sozialversicherung waren, als BKen iS des Dritten Buches der
RVO. Das gilt nach § 1150 Abs 2 Satz 2 Nr 1 RVO allerdings nicht für Krankheiten, die
einem ab 1.1.1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Träger der Unfallversicherung - wie
hier - erst nach dem 31.12.1993 bekannt werden und die nach dem Dritten Buch der RVO
nicht zu entschädigen wären. Dies bedeutet, dass Krankheiten, von denen ein ab 1.1.1991
für das Beitrittsgebiet zuständiger Träger der Unfallversicherung erst nach dem 31.12.1993
Kenntnis erlangt, nur dann BKen darstellen, wenn die Voraussetzungen nach den §§ 548
ff RVO erfüllt sind (BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 26/06 R - BSGE 102, 111 = SozR 4-2700 §
8 Nr 29, RdNr 16). Das ist aus den dargelegten Gründen nicht der Fall.
34 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.