Urteil des BSG vom 20.01.2000

BSG: entlastung, rechtspflege, verfahrensmangel, gesetzesänderung, schriftstück, urteilsbegründung, kündigungsfrist, ruhe, abfindung, verwaltung

Bundessozialgericht
Beschluss vom 20.01.2000
Hessisches Landessozialgericht
Bundessozialgericht B 7 AL 116/99 B
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts
vom 10. Mai 1999 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
Der Kläger begehrt Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 1. Oktober bis 2. Dezember 1991.
Für diesen Zeitraum hat die Beklagte die Bewilligung von Alg abgelehnt, weil der Kläger wegen seines Ausscheidens
aus dem Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 1. Oktober 1991 eine Abfindung in Höhe von 32.307,00 DM erhalten habe,
das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der für den Arbeitgeber geltenden ordentlichen Kündigungsfrist beendet worden
sei und deshalb der Alg-Anspruch gemäß § 117 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ruhe (Bescheid vom 30. Oktober
1991; Widerspruchsbescheid vom 11. August 1992); dabei hat sie im Widerspruchsbescheid die Voraussetzungen
des § 117 Abs 2 und 3 AFG dargelegt. Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts (SG) vom 27.
Juli 1995; Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom 10. Mai 1999). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das
LSG unter anderem zu den Voraussetzungen des § 117 Abs 2 und 3 AFG auf den Inhalt des Widerspruchsbescheids
verwiesen.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger als Verfahrensmangel geltend, das LSG-Urteil enthalte keine
Entscheidungsgründe iS des § 136 Abs 1 Nr 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil es hinsichtlich der Berechnung des
Ruhenszeitraums nach § 117 Abs 2 und 3 AFG auf die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid
verweise. § 136 Abs 3 SGG erlaube dies nur dem erstinstanzlichen Gericht; § 153 Abs 2 SGG enthalte insoweit für
das LSG eine andere Regelung. Danach dürfe das LSG (nur) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe
absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung des SG als unbegründet
zurückweise. Es sei jedoch verfahrensrechtlich nicht vorgesehen, daß auch die Berufungsinstanz ohne eigene
Urteilsbegründung die Entscheidung der Verwaltung übernehme.
II
Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unbegründet. Der vom Kläger behauptete
Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) eines Verstoßes gegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG liegt nicht vor. Das LSG
durfte nämlich zur näheren Begründung seiner Entscheidung auf die Begründung des Widerspruchsbescheids
verweisen (§ 153 Abs 1 SGG iVm § 136 Abs 3 SGG); entgegen der Ansicht des Klägers handelt es sich bei § 153
Abs 2 SGG nicht um eine Vorschrift, die die Anwendung des § 136 Abs 3 SGG ausschließt.
Nach § 136 Abs 3 SGG, der durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl I 50) mit
Wirkung ab 1. März 1993 eingefügt worden ist, kann das Gericht von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsaktes oder des Widerspruchsbescheides
folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt. Diese Regelung entspricht § 117 Abs 5 Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO) und soll unnötige Formulierungs- und Schreibarbeit verhindern (vgl BT-Drucks 12/1217, S 51). Dasselbe Ziel
verfolgt der ebenfalls durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege eingefügte § 153 Abs 2 SGG; danach kann
das LSG in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es
die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist. Auch insoweit wurde
die Gesetzesänderung - unter Hinweis auf die entsprechende Regelung des § 130b VwGO - damit begründet, daß von
unnötigem Begründungszwang freigestellt werden solle (BT-Drucks 12/1217, S 52). Ziel beider Gesetzesänderungen
der §§ 136, 153 SGG war mithin die Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit, nicht nur des SG. Vor diesem Hintergrund
ist kein Grund erkennbar, der die Annahme rechtfertigte, § 153 Abs 2 SGG enthalte gegenüber § 136 Abs 3 SGG eine
einschränkende Regelung; vielmehr bleibt § 136 Abs 3 SGG über § 153 Abs 1 SGG generell auch im
Berufungsverfahren anwendbar. § 153 Abs 2 SGG gesteht dem LSG mithin - zusätzlich zu den
Inbezugnahmemöglichkeiten des SG - auch die Verweisung auf Ausführungen im SG-Urteil zu. Dies gilt um so mehr,
als das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zu Recht betont, daß die Regelungen der §§ 117 Abs 5, 130b VwGO, die
nach der Gesetzesbegründung Vorbild der sozialgerichtlichen Regelungen sind, lediglich klarstellende Funktion
besitzen (vgl BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 2 B 103/97 - mwN, unveröffentlicht; Beschluss vom 2.
Oktober 1998 - 5 B 94/98 - mwN, unveröffentlicht) und die Verweisung auf tatsächliche Feststellungen oder rechtliche
Erwägungen in einem anderen, den Prozeßbeteiligten ohne Schwierigkeiten zugänglichen Schriftstück grundsätzlich
zulässig ist (BVerwG Buchholz 310 § 117 VwGO Nr 31).
Das LSG hat deshalb nicht gegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG verstoßen; es durfte sich zur Begründung seiner
Entscheidung sowohl auf die Entscheidungsgründe des SG-Urteils als auch auf die Begründung des
Widerspruchsbescheids beziehen. Andernfalls würde der mit der Gesetzesänderung beabsichtigte Entlastungseffekt
für die Berufungsinstanz verfehlt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.