Urteil des BSG vom 27.05.2014

BSG: Witwerrente, Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit, Sanierungsgewinn, Erlass aus Billigkeitsgründen, sozialgerichtliches Verfahren

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 27.5.2014, B 5 R 6/13 R
Witwerrente - Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit - Sanierungsgewinn - Erlass aus
Billigkeitsgründen - sozialgerichtliches Verfahren
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom
20. Februar 2013 und das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 24. August 2010 aufgehoben
und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über die Anrechnung von Einkommen aus selbständiger
Erwerbstätigkeit auf die große Witwerrente des Klägers für Zeiten ab dem 1.7.2009.
2 Der im Januar 1955 geborene Kläger betreibt als Selbständiger einen Boot-Service-Handel.
Seit dem 17.4.2004 gewährt ihm die Beklagte große Witwerrente (Bescheid vom
15.7.2004). Mehrere Geschäftspartner erließen ihm 2008 Verbindlichkeiten iHv insgesamt
49 409,36 EUR. Diesen "Sanierungsgewinn" verbuchte er im Jahresabschluss 2008 als
außerordentlichen Ertrag und erzielte darüber hinaus im selben Jahr Einkünfte aus
Gewerbebetrieb iHv 6803,64 EUR, insgesamt also 56 213 EUR. Das Finanzamt S. G.
setzte dafür im Veranlagungsjahr 2008 Steuern iHv insgesamt 9251,42 EUR fest
(Steuerbescheid für 2008 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer
vom 9.6.2009), die es aus Billigkeitsgründen gemäß § 227 AO komplett erließ (Schreiben
des Finanzamtes vom 27.5.2009).
3 Daraufhin hob die Beklagte einen früheren "Rentenbescheid vom 28.05.2008 …
hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01.07.2008 nach § 48 des Zehnten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB X)" auf. Ab dem 1.7.2009 sei die monatliche Rente von
477,24 EUR wegen des anzurechnenden Einkommens von 718,92 EUR nicht zu zahlen
(Bescheid vom 26.6.2009 und Widerspruchsbescheid vom 12.10.2009). Hierbei stützte sie
sich auf die Gewinnermittlung des Klägers und seines Steuerberaters für das Kalenderjahr
2008. Dem Vortrag des Klägers, der ermittelte Gewinn sei sozialrechtlich nicht zu
berücksichtigen, weil dieser im Wesentlichen auf dem Erlass von Verbindlichkeiten durch
Gläubiger beruhe, folgte sie dabei nicht und teilte in der "Anlage 10" zum Bescheid vom
26.6.2009 ("Ergänzende Begründungen und Hinweise") mit, dem Antrag, die
Sanierungsgewinne nicht als Einkommen zu berücksichtigen, könne nicht entsprochen
werden. Eine Rente sei nicht mehr zu zahlen, weil das anzurechnende Einkommen den
monatlichen Rentenanspruch übersteige.
4 Während des Klageverfahrens vor dem SG hat die Beklagte mit Bescheid vom 20.4.2010
verlautbart, dass ab dem 1.1.2010 die Rente des Klägers nicht mehr mit anzurechnendem
Einkommen zusammentreffe. Ohne auf diesen Bescheid einzugehen, hat das SG den
Bescheid vom 26.6.2009 und den Widerspruchsbescheid vom 12.10.2009 "insoweit
aufgehoben, als dass bei der Berechnung der Witwerrente nur ein Erwerbseinkommen in
Höhe von 6.803,64 EUR zu berücksichtigen ist" (Urteil vom 24.8.2010). Während des
Berufungsverfahrens hat die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 12.11.2012 den
monatlichen Zahlbetrag für die Zeit vom 1.7. bis 31.12.2009 auf 275,63 EUR festgesetzt und
ist dabei auf der Grundlage einer Prognose/Schätzung für das Kalenderjahr 2009 von
einem anzurechnenden Einkommen von 219,64 EUR ausgegangen. Das LSG hat die
Berufung der Beklagten zurückgewiesen, ohne sich mit den während des
Gerichtsverfahrens ergangenen Bescheiden auseinanderzusetzen (Urteil vom 20.2.2013).
Für das Sozialversicherungsrecht sei beitragsrechtlich dasjenige Arbeitseinkommen
maßgeblich, wie es im Einkommensteuerrecht bewertet werde. Diese Bewertung ergebe
sich vorliegend zunächst aus dem hier maßgeblichen Steuerbescheid vom 9.6.2009 für das
Jahr 2008 und den dort zugrunde gelegten "Einkünften aus Gewerbebetrieb". Liege aber
wie hier eine bestandskräftige Einzelfallentscheidung der Finanzverwaltung vor, wonach
aus Billigkeitsgründen Einkommensteuer auf den Gewinn nicht erhoben werde, so sei diese
einkommensteuerrechtliche Entscheidung auch im Sozialversicherungsrecht im Hinblick
auf die Anrechnung nach § 97 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI zu berücksichtigen. Um der in § 15
Abs 1 S 2 SGB IV zum Ausdruck kommenden Parallelität von Einkommensteuerrecht und
Sozialversicherungsrecht Rechnung zu tragen, sei der Arbeitseinkommensbegriff nämlich
entsprechend teleologisch zu reduzieren. Hierdurch werde der beklagte
Rentenversicherungsträger auch nicht mit Nachprüfungen im Einzelfall oder gar mit dem
Anstellen von steuerrechtlichen Erwägungen belastet, da eine bestandskräftige
Entscheidung der Finanzverwaltung vorliege, wonach aus Billigkeitsgründen von der
Erhebung von Einkommensteuer abgesehen werde. Schließlich werde auch dem Sinn und
Zweck einer Witwerrente, der darin bestehe, durch den Tod der Versicherten weggefallene
Unterhaltsansprüche des hinterbliebenen Ehegatten zu ersetzen, Rechnung getragen. Der
Sanierungsgewinn stelle einen reinen Buchgewinn dar. Sei auf einen solchen keine
Einkommensteuer zu entrichten, so bringe die Finanzverwaltung damit zum Ausdruck, dass
sie vom Nichtvorliegen steuerpflichtiger Einkünfte aus Gewerbebetrieb ausgehe. Derartige
"Einkünfte" könnten dann nicht dazu herangezogen werden, im Wege der
Einkommensanrechnung den Zahlbetrag einer Witwerrente zu mindern oder sie nicht zur
Auszahlung kommen zu lassen, da hierdurch der Unterhaltsersatzfunktion dieser Rente
nicht mehr Rechnung getragen würde.
5 Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 18a Abs 2a
Nr 2 SGB IV. Der Sanierungsgewinn sei anrechenbares Einkommen iS von § 18a Abs 1
SGB IV. Dabei ergebe sich der Begriff des Arbeitseinkommens iS von § 18a Abs 2 SGB IV
nur noch aus Abs 2a aaO. Entgegen den Ausführungen der Vorinstanzen sei ein Rückgriff
auf § 15 Abs 1 S 1 SGB IV nicht mehr zulässig, nachdem § 18a Abs 2a SGB IV mit Wirkung
vom 1.1.2002 durch das Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG) vom 21.3.2001
(BGBl I 403) eingeführt worden sei. Bei der Ermittlung des Arbeitseinkommens nach § 18a
Abs 2a SGB IV sei allein auf die steuerrechtliche Beurteilung abzustellen, denn die
Vorschrift fordere bei der Beurteilung von Arbeitseinkommen eine strikte Parallelität
zwischen Einkommensteuerrecht und Sozialversicherungsrecht. Maßgeblich sei der
Gewinn aus einem Gewerbebetrieb. Der Sanierungsgewinn bewirke eine Erhöhung des
Betriebsvermögens, die dadurch entstehe, dass Schulden zum Zwecke der Sanierung ganz
oder teilweise erlassen werden. Auch der Sanierungsgewinn sei eine steuerpflichtige
Einnahme iS von § 18a Abs 2a SGB IV, da er auch nicht unter die steuerfreien und damit
nicht zu berücksichtigenden Einnahmen nach § 3 EStG falle. Er fließe daher in die
Gesamtrechnung zur Ermittlung der positiven Summe aus Gewinn und Verlust mit ein und
erhöhe folgerichtig den Gesamtbetrag der Einkünfte. Eine Ausweitung der Regelung des §
18a Abs 1 S 2 SGB IV, wonach steuerfreies Einkommen nach § 3 EStG nicht als Einnahme
Berücksichtigung finde, im Wege einer Analogie auf die Fälle, in denen die
Finanzverwaltung die Steuerschuld erlasse, stunde oder minimiere, komme daher nicht in
Betracht. Kompensationen im Bereich des Steuerrechts, welche die individuelle steuerliche
Leistungsfähigkeit berücksichtigten, seien auf das Sozialrecht nicht übertragbar. Das gelte
insbesondere für die Voraussetzung der Unternehmensrettung als Grundlage für den
Steuererlass. Sachlicher Grund für die Anrechnung eigenen Einkommens auf die
Hinterbliebenenrente sei die Fähigkeit des Hinterbliebenen, sich mittels eigenen
Erwerbseinkommens ganz oder teilweise selbst zu unterhalten, sodass es der Deckung des
Unterhaltsbedarfs mittels der Hinterbliebenenrente nicht bedürfe. Bei der Beurteilung der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sei aber bedeutungslos, ob der Gewinn auf Erlass bzw
Stundung von Schulden oder aber auf erfolgreicher wirtschaftlicher Tätigkeit beruhe. Das
Argument, der Sanierungsgewinn verbessere als reiner Buchgewinn die wirtschaftliche
Situation des Klägers nicht, sei unzutreffend. Da der Kläger die durch seine Gläubiger
erlassenen Verbindlichkeiten nicht mehr zurückzahlen müsse, stünden ihm im Ergebnis
auch höhere Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung.
Dementsprechend habe auch bereits das LSG Berlin-Brandenburg im Urteil vom 29.8.2012
(L 9 KR 279/10) entschieden, dass ein im Einkommensteuerbescheid als Gewinn aus
Gewerbebetrieb verzeichneter und zu versteuernder Sanierungsgewinn eine
beitragspflichtige Einnahme iS von § 240 SGB V darstelle, selbst wenn die auf den
Sanierungsgewinn entfallende Steuer später von der Finanzverwaltung erlassen werde.
6 Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Februar 2013 sowie
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 24. August 2010 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
7 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8 Der Sanierungsgewinn sei kein Zufluss iS bereiter Mittel, aus denen er den Lebensunterhalt
für sich und seine Familie hätte bestreiten können. Abzustellen sei daher nicht auf einen
fiktiven Gewinn, sondern auf die tatsächliche Verwendungsmöglichkeit, also die
jederzeitige Einsatzmöglichkeit für den laufenden Bedarf. Die Witwerrente habe
Unterhaltsersatzfunktion. Sie diene - nicht anders als Leistungen nach dem SGB II - der
Sicherung des Lebensunterhalts. Rein steuerlich relevante Betriebseinnahmen, wie der
Erlass einer Verbindlichkeit (Sanierungsgewinn) oder der (Teil-)Verzicht eines
Selbständigen auf eine Forderung (steuerrechtlich eine Privatentnahme), seien im SGB II
nicht zu berücksichtigen, da ihnen kein realer Geldzu- oder -abfluss zugrunde liege. Ein
sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung zwischen selbständig tätigen
Leistungsbeziehern nach dem SGB II und sonstigen Selbständigen, die zur Sicherung des
Lebensunterhalts wegen Wegfalls des Ehegattenunterhalts eine Witwerrente erhielten, sei
nicht ersichtlich. Da der Anspruch auf Witwerrente vom Leistungsberechtigten durch die
Erfüllung der allgemeinen Wartezeit erst im weiteren Sinne "verdient" werden müsse, sei
kein Grund erkennbar, warum der Berechtigte dann schlechter gestellt sein sollte als ein
Leistungsempfänger nach dem SGB II, dessen Anspruch nicht von einer eigenen
Vorleistung abhänge. Zu Recht führe das SG aus, dass man sich von einem
Sanierungsgewinn nichts kaufen und somit seinen Unterhalt nicht bestreiten könne. Vor
dem teilweisen Schuldenerlass sei seine wirtschaftliche Situation desolat gewesen und er
hätte die Verbindlichkeiten aus eigenen Mitteln nicht bedienen können. Allein die
Verringerung des Schuldenstandes ohne tatsächlichen Zufluss rechtfertige keine
Einkommensanrechnung.
Entscheidungsgründe
9 Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.
10 Die Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben und die im Wege objektiver Klagehäufung
(§ 56 SGG) miteinander verbundenen beiden isolierten (Teil-)Anfechtungsklagen (§ 54
Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG) sind abzuweisen. Der nur vordergründig daneben erhobenen
kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Regelungen 1 und 3
SGG) kommt keine eigenständige Bedeutung zu.
11 Das LSG hat die prozessuale Situation verkannt und zu Unrecht die Sachentscheidung
des SG bestätigt. Der Senat hat dies von Amts wegen und in eigener Zuständigkeit zu
prüfen. Denn bei einer zulässigen Revision ist - bevor in der Sache entschieden werden
kann - stets zu prüfen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, von denen die
Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt. Die Beklagte hat zwar mit ihrer
Revision keinen Verfahrensmangel gerügt, das Revisionsgericht hat jedoch von Amts
wegen insbesondere solche Mängel zu berücksichtigen, die sich aus dem Fehlen der
unverzichtbaren Prozessvoraussetzungen ergeben, einerlei, ob der Mangel nur das
Revisionsverfahren oder schon das Klage- und Berufungsverfahren betrifft (BSG Urteile
vom 26.7.1979 - 8b RKg 11/78 - SozR 1500 § 150 Nr 18 und vom 13.9.2005 - B 2 U 21/04
R - SozR 4-2400 § 57 Nr 2 RdNr 7). Hierzu gehört auch der Wegfall von Klagebefugnis
(BSG Urteile vom 29.11.1995 - 3 RK 36/94 - BSGE 77, 130 = SozR 3-1500 § 54 Nr 24 und
vom 24.11.2004 - B 3 KR 16/03 R - SozR 4-2500 § 36 Nr 1 RdNr 5) und
Rechtschutzbedürfnis (BSG Urteile vom 27.2.1992 - 6 RKa 52/91 - Juris RdNr 16, vom
20.12.2001 - B 4 RA 53/01 R - SozR 3-2600 § 118 Nr 9 und vom 9.4.2002 - B 4 RA 64/01
R - SozR 3-2600 § 118 Nr 10 und vom 13.9.2005 - B 2 U 21/04 R - SozR 4-2400 § 57 Nr 2
RdNr 7). Ihr Fortfall ist in jeder Instanz von Amts wegen zu beachten. Der Senat ist
deshalb auch befugt, den Bescheid vom 20.4.2010, der während des Klageverfahrens
ergangen ist, und den Bescheid vom 12.11.2012, den die Beklagte während des
Berufungsverfahrens erlassen hat, zu berücksichtigen, obwohl das LSG die Existenz
beider Bescheide nicht festgestellt hat.
12 Das Begehren des Klägers (§ 123 SGG) betraf von Anfang an nur Zeiträume ab dem
1.7.2009 und war seit Ergehen des Bescheides vom 20.4.2010, der ab dem 1.1.2010 nicht
mehr von einem Zusammentreffen von Witwerrente und Erwerbseinkommen ausging, der
Sache nach auf die Zeit bis zum 31.12.2009 begrenzt. Das SG hat dies mit gerade noch
hinreichender Deutlichkeit erkannt, obwohl es - ebenso wie das Berufungsgericht - den
Bescheid vom 20.4.2010 nicht ausdrücklich erwähnt. Bezüglich des damit streitigen
Zeitraums enthielt der angefochtene Bescheid vom 26.6.2009 mehrere Verwaltungsakte,
deren Auslegung ebenfalls dem Revisionsgericht obliegt (BSG Urteile vom 28.6.1990 - 4
RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11 mwN, vom 31.5.1989 - 4 RA
19/88 - SozR 1200 § 42 Nr 4 S 14, vom 1.3.1979 - 6 RKa 3/78 - BSGE 48, 56, 58 = SozR
2200 § 368a Nr 5 und vom 11.6.1987 - 7 RAr 105/85 - BSGE 62, 32, 36 = SozR 4100 § 71
Nr 2; BFH Urteil vom 11.7.2006 - VIII R 10/05 - BFHE 214, 18, 23 mwN). Soweit die
Beklagte auf Seite 1 des Bescheides vom 26.6.2009 verlautbarte, sie berechne die
"bisherige große Witwerrente" des Klägers "neu", erhöhte sie ab dem 1.7.2009 zu seinen
Gunsten den Wert des Rechts auf große Witwerrente - und inzident die hieraus
erwachsenden monatlichen Zahlungsansprüche - auf monatlich 477,24 EUR, indem sie
den aktuellen Rentenwert (§ 68 SGB VI) - ein wertbestimmender Faktor - von 26,56 EUR
um 0,64 EUR auf 27,20 EUR heraufsetzte (Verordnung zur Bestimmung der Rentenwerte
in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Alterssicherung der Landwirte zum
1.7.2009 vom 17.6.2009, BGBl I 1335). Die darüber hinaus getroffenen Regelungen
betrafen entgegen dem vordergründigen - und vom BSG mehrfach beanstandeten (vgl
zuletzt Urteil des Senats vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 §
45 Nr 10, RdNr 18) - Wortlaut "lediglich" den Anspruch auf den monatlichen
Auszahlungsbetrag, der wegen der anspruchsvernichtenden "Anrechnung"
anrechnungsfähigen Einkommens auf die monatlichen Zahlungsansprüche ab dem
1.7.2009 durch (Dauer-)Verwaltungsakt (Festsetzung eines monatlichen
Anrechnungsbetrages) auf Null reduziert wurde (zur Unterscheidung zwischen dem
Anspruch auf Rente dem Grunde nach und dem Einzelanspruch auf Zahlung: BSG Urteil
vom 6.3.2003 - B 4 RA 35/02 R - SozR 4-2600 § 313 Nr 1 RdNr 14 mwN; zur
dogmatischen Figur der Anrechnung vgl eingehend BSG Urteile vom 31.3.1998 - B 4 RA
49/96 R - BSGE 82, 83 = SozR 3-2600 § 93 Nr 7 sowie vom 27.1.1999 - B 4 RA 20/98 R -
SozR 3-2400 § 18b Nr 1 und vom 25.1.2001 - B 4 RA 110/00 R - SozR 3-2600 § 97 Nr 3;
zur Verfassungsmäßigkeit des Anrechnungsmodells vgl BSG Urteil vom 16.8.1990 - 4 RA
27/90 - SozR 3-2200 § 1281 Nr 1 und Beschluss des BVerfG vom 18.2.1998 - 1 BvR
1318/86 - BVerfGE 97, 271, 292).
13 Dieser Regelungsgehalt geht aus der Begründung des angefochtenen Bescheids und der
dortigen Berufung auf § 97 SGB VI sowie den Hinweisen auf "anzurechnendes
Einkommen" hinreichend deutlich hervor. Denn § 97 SGB VI lässt das (Stamm-)Recht des
Klägers auf große Witwerrente mit dem nunmehr festgestellten Wert unberührt und mindert
diesen nicht; die Vorschrift nimmt auf die wertbestimmenden Faktoren der Rente keinen
Einfluss. Weder die Zahl der Entgeltpunkte noch der Rentenartfaktor noch der aktuelle
Rentenwert sind von der Regelung des § 97 SGB VI im Sinne einer Einschränkung
(Verminderung) betroffen. Vielmehr setzt § 97 SGB VI gerade voraus, dass der Wert des
Rechts der Witwerrente als solcher unverändert bleibt. Die Regelung beschränkt sich
darauf, dass - bei gleich bleibendem Wert des Rechts auf Witwerrente - derjenige Betrag
reduziert wird, dessen monatliche Auszahlung der Rentner verlangen kann, dh sie
schmälert bzw beseitigt dessen Recht, die Auszahlung des monatlichen Betrags zu
verlangen (§ 194 Abs 1 BGB), mit dem der Wert der Rente festgestellt wurde.
14 Hinsichtlich des Anrechnungsbetrages im streitigen Zeitraum hob die Beklagte im
Bescheid vom 26.6.2009 ("Weitere Hinweise", Seite 3) zunächst einen früheren
"Rentenbescheid vom 28.05.2008 … hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem
01.07.2008 nach § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) auf". Damit
beseitigte sie nach dem hinter dieser Erklärung stehenden "wirklichen Willen" (§ 133
BGB) durch den Erlass eines (neuen) Verwaltungsakts als actus contrarius die
Wirksamkeit (§ 39 Abs 2 SGB X) des bisherigen (alten) Verwaltungsaktes (§ 31 S 1 SGB
X) über den Anrechnungsbetrag im Rentenbescheid vom 28.5.2008 vollständig. Zugleich
setzte sie den Anrechnungsbetrag nunmehr allein auf der Grundlage des im Kalenderjahr
2008 erzielten Einkommens durch einen weiteren Verwaltungsakt ab dem 1.7.2009 auf
718,92 EUR neu und höher fest (Anlage 8, Seite 3 aaO). Zur Ermittlung des neuen
Anrechnungsbetrages, hatte die Beklagte den Kläger unbefugterweise (vgl Senatsurteil
vom 9.10.2012 - B 5 R 8/12 R - BSGE 112, 74 = SozR 4-1300 § 45 Nr 10, RdNr 24)
schätzen lassen, welches Arbeitseinkommen (§ 97 Abs 1 S 1 SGB VI iVm § 18a Abs 1 S 1
Nr 1, Abs 2 S 1, Abs 2a SGB IV) er im Kalenderjahr 2008 als steuerrechtlichen Gewinn
erzielt hatte. Diesen Gewinn-Schätzbetrag, der ua den streitigen "Sanierungsgewinn"
enthielt, legte die Beklagte der Bemessung zu Grunde und teilte ihn durch die zwölf
Kalendermonate, in denen er erzielt worden war. Den Wert dieses Quotienten, der gemäß
§ 18b Abs 2 S 1 SGB IV fiktiv als monatliches Einkommen "gilt", hielt sie sodann - nach
pauschalierender Kürzung um 39,8 vH (§ 18b Abs 5 S 1 Nr 2 Fall 1 SGB IV),
Berücksichtigung von Freibeträgen (§ 97 Abs 2 S 1 Nr 1 und S 2 SGB VI) und
Multiplikation mit dem Faktor 0,4 (§ 97 Abs 2 S 3 SGB VI) - als Anrechnungsbetrag dem
aktuellen Witwerrentenanspruch (477,24 EUR) ab dem 1.7.2009 anspruchsvernichtend
entgegen (Anlage 1 Seite 2 des Bescheids vom 26.6.2009), sodass sich ein neuer
Auszahlungsbetrag von 0 EUR ergab (Seite 2 des Bescheids vom 26.6.2009). Soweit die
Beklagte schließlich in der Anlage 10 des Bescheides vom 26.6.2009 darauf hinweist,
"dem Antrag, die Sanierungsgewinne nicht als Einkommen zu berücksichtigen", könne
nicht entsprochen werden, wird hiermit keine eigenständige Rechtsfolge verlautbart und
handelt es sich damit nicht um einen weiteren Verwaltungsakt (§ 31 S 1 SGB X). Vielmehr
wird lediglich der Umfang der hinsichtlich des Anrechnungsbetrages getroffenen
Regelungen nochmals gesondert begründet.
15 Die Entscheidungen der Beklagten über die Aufhebung des früheren
Anrechnungsbetrages und dessen Neufestsetzung für die Zeit ab dem 1.7.2009 im
Bescheid vom 26.6.2009 und im Widerspruchsbescheid vom 12.10.2009 hat der Kläger
nach dem Inhalt seines Begehrens vor dem SG mit zwei isolierten Anfechtungsklagen (§
54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG) angegriffen, soweit die Beklagte jeweils ein im
Kalenderjahr 2008 erzieltes Einkommen von mehr als 6803,64 EUR als fiktiv maßgeblich
zugrunde gelegt hatte. Derartige Teilanfechtungen sind schon nach dem Wortlaut von § 54
Abs 1 S 1 SGG, der ausdrücklich auch die Abänderung eines Verwaltungsakts als mit der
Gestaltungsklage verfolgbares Begehren benennt, statthaft und erlauben es dem Kläger
als Ausdruck der Dispositionsmaxime, den Prüfungsumfang des Gerichts von sich aus zu
begrenzen. Ob Teilbarkeit im Einzelfall gegeben ist, ist eine Frage des jeweiligen
materiellen Rechts. Teilweise anfechtbar sind in der Regel zahlenmäßig, zeitlich, örtlich,
gegenständlich oder personell abgrenzbare Teile einer Entscheidung (BSG Urteile vom
23.2.2005 - B 6 KA 77/03 R - SozR 4-1500 § 92 Nr 2 und vom 13.11.1985 - 6 RKa 15/84 -
BSGE 59, 137 = SozR 2200 § 368a Nr 13). Dies ist für Fälle der vorliegend zur
Entscheidung stehenden Art jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. Im
genannten Sinne zeitlich und zahlenmäßig abgrenzbar ist auch die Frage, ob der sog
"Sanierungsgewinn" aus dem Kalenderjahr 2008 vom 1.7.2009 bis 30.6.2010 "fiktiv" als
Einkommen zu berücksichtigen oder auszusparen ist. Keine zusätzliche Bedeutung
kommt dem vordergründig als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage formulierten Antrag
zu, die Beklagte unter Aufhebung der angegriffenen Bescheide "zu verurteilen, bei der
Berechnung des Erwerbseinkommens nur 6.803,64 EUR aus Arbeitseinkommen
zugrunde zu legen." Insofern handelt es sich lediglich um einen irrigen äußeren Ausdruck
der in Wahrheit erhobenen Teilanfechtungsklage, die im Erfolgsfalle dazu führen würde,
dass allenfalls noch der vom Kläger benannte Betrag berücksichtigt werden könnte.
16 Für den streitigen Zeitraum vom 1.7. bis 31.12.2009 ist allerdings mit dem Erlass des
Bescheids vom 12.11.2012, der während des Berufungsverfahrens ergangen ist, das
Rechtsschutzbedürfnis entfallen. Darin stellte die Beklagte für das zweite Halbjahr 2009
einen neuen monatlichen Anrechnungsbetrag (219,64 EUR) fest, sodass sich - unter
Einbeziehung des Zuschusses der Beklagten zur Krankenversicherung des Klägers von
18,03 EUR - nunmehr ein Auszahlbetrag von monatlich 275,63 EUR ergab. Zur
Bemessung dieses Betrages wurde ein - im vorliegenden Verfahren allein streitiger -
"Sanierungsgewinn" nicht mehr herangezogen.
17 Nach § 97 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI ist der Rentenversicherungsträger ermächtigt,
Erwerbseinkommen von Berechtigten, das ua mit einer Witwerrente zusammentrifft, hierauf
anspruchsvernichtend "anzurechnen". Dies gilt insoweit, als Einkommen seiner Art nach
als anrechenbar in Betracht kommt (vgl hierzu die abschließende Auflistung in § 18a SGB
IV) und nach Abzug pauschalierter Steuern und Sozialversicherungsbeiträge (vgl § 18b
Abs 5 SGB IV) bestimmte Freibeträge übersteigt (vgl § 97 Abs 2 SGB VI). Das
verbleibende anrechenbare Einkommen wird zu 40 vH angerechnet (Anrechnungsbetrag),
§ 97 Abs 2 S 3 SGB VI. Ein Zusammentreffen von Einkommen und Witwerrente liegt im
Rechtssinne vor, wenn der Rentenberechtigte für denselben Zahlungszeitraum (dh bei
Renten: für einen bestimmten Kalendermonat; vgl § 118 Abs 1 SGB VI) gegen den Träger
der Rentenversicherung aus einem Renten(stamm)recht einen Zahlungsanspruch auf
Rente hat und ihm zeitgleich außerdem ein Recht auf Einkommen aus eigener
Erwerbstätigkeit zusteht. Sachlicher Grund und Grenze der Anrechnung eigenen
Erwerbseinkommens auf die Hinterbliebenenrente ist die Fähigkeit des Hinterbliebenen,
sich mittels eigenen Erwerbseinkommens ganz oder zumindest teilweise selbst zu
unterhalten, sodass es insoweit der Deckung des Unterhaltsbedarfs mittels einer
Hinterbliebenenrente nicht bedarf. Bezieht der Witwer oder die Witwe ein den
(Anrechnungs-)Freibetrag übersteigendes Einkommen, ergibt sich ein geringerer Bedarf
nach am bisherigen Lebensstandard ausgerichteter wirtschaftlicher Sicherung.
Abzustellen ist dabei auf das "verfügbare Einkommen" des Hinterbliebenen (vgl insgesamt
BSG Urteil vom 25.1.2001 - B 4 RA 110/00 R - SozR 3-2600 § 97 Nr 3 S 13 f).
18 Demgemäß ist nach § 18b Abs 1 S 1 SGB IV im Rahmen der sog Anrechnung
grundsätzlich das tatsächlich erzielte "monatliche Einkommen" maßgebend, um es dem
Betrag der Rente für eben diesen Monat gegenüberzustellen (sog Wirklichkeitsmaßstab).
Aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität sieht das Gesetz jedoch von einer
monatlichen Ermittlung des jeweils konkret erzielten Einkommens ab und lässt eine
pauschalierende Berücksichtigung des eigenen Erwerbseinkommens dergestalt genügen,
dass grundsätzlich das durchschnittliche Erwerbseinkommen des letzten Kalenderjahres
als fiktive Größe ("gilt") der aktuellen Anrechnung abschließend und endgültig zugrunde
zu legen ist. Dieser monatliche Durchschnittswert wird unter der Voraussetzung im
wesentlichen konstanter Verhältnisse bei Erwerbseinkommen iS von § 18a Abs 1 S 1 Nr
1, Abs 2 SGB IV grundsätzlich gebildet, indem dasjenige des gesamten letzten
Kalenderjahres durch zwölf geteilt und der sich so ergebende Wert gekürzt um die Beträge
nach § 18b Abs 5 Nr 1 SGB IV als laufendes Erwerbseinkommen zugrunde gelegt wird.
19 Vom Grundsatz der Maßgeblichkeit einer realitätsnahen Fiktion auf der Basis des
Vorjahreseinkommens ist eine Ausnahme zugunsten des Rentenbeziehers dann
vorgesehen, wenn die dargestellte pauschalierende Vorgehensweise die aktuellen
Verhältnisse ausgehend von den gesetzlich normierten Maßstäben nicht mehr im
Wesentlichen zutreffend repräsentiert. So ist nach § 18b Abs 3 S 2 Halbs 1 SGB IV bereits
bei der erstmaligen Feststellung des Werts des Rechts auf Rente für die
Anrechnungsentscheidung vom laufenden Einkommen auszugehen, wenn dieses
voraussichtlich im Durchschnitt um wenigstens 10 vH geringer ist als das nach dem Abs 2
der Vorschrift nach Jahresdurchschnittssätzen ermittelte Einkommen. An die Stelle einer
Fiktion auf der Basis des Vorjahreseinkommens tritt damit insofern eine hypothetische
Einschätzung des aktuellen monatlichen Einkommens auf der Grundlage aller bis zum
Ende des Verwaltungsverfahrens verfügbaren einschlägigen Umstände. Ebenso wie die
regelmäßig maßgebliche Fiktion auf der Grundlage des Vorjahreseinkommens sind dann
entsprechend der Vorgehensweise des Gesetzes ausnahmsweise auch diese Annahmen
die abschließenden und endgültigen (vgl insgesamt BSG Urteil vom 25.1.2001, aaO, S
14).
20 Im Bescheid vom 12.11.2012 änderte die Beklagte die Grundlage für die Bemessung des
Anrechnungsbetrages, indem sie von einer Fiktion (§ 18b Abs 2 S 1 SGB IV) auf der
Grundlage des Vorjahreseinkommens (2008), wie sie für den streitigen Zeitraum dem
angegriffenen Bescheid vom 26.6.2009 und dem Widerspruchsbescheid vom 12.10.2009
zugrunde lag, nunmehr zur Heranziehung des aktuellen Jahreseinkommens (2009) auf der
Basis einer hypothetischen Einschätzung (§ 18d Abs 2 S 1 Halbs 1 SGB IV) überging. Die
nunmehr getroffenen Regelungen behalten damit weder die Methode zur Bestimmung des
maßgeblichen Erwerbseinkommens bei noch stellen sie inhaltlich noch auf - nunmehr im
Rahmen einer Hypothese relevante - Sanierungsgewinne ab. Auf die zwischen den
Beteiligten allein streitige Frage der fiktiven Berücksichtigung des Sanierungsgewinns aus
2008 kommt es damit denkbar nicht mehr an. Der hierauf beschränkte Angriff der Klage
geht ins Leere. Denn alles, was bislang streitig war, kann nach dem endgültigen Wechsel
der Berechnungsmethode nicht mehr geklärt werden. Für die dennoch getroffene
Sachentscheidung war das LSG nicht mehr gesetzlicher Richter (Art 101 Abs 1 S 2 GG; §
202 SGG iVm § 16 S 2 GVG).
21 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.