Urteil des BSG vom 16.11.2000

BSG (Bfa, Altersrente, Eingriff, Behörde, Verwaltungsakt, Anhörung, Post, Neubewertung, Rüge, Feststellungsklage)

Bundessozialgericht
Urteil vom 16.11.2000
Sozialgericht Berlin
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Bundessozialgericht B 4 RA 68/99 R
1. Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 6. Oktober 1999 und das
Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. März 1999 insoweit aufgehoben, als sie den Feststellungsausspruch des
Sozialgerichts betreffen. 2. Im übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen. 3. Die Beklagte hat der
Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe:
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welcher Höhe die Beklagte den Wert des der Klägerin zuerkannten Rechts auf
einen Auffüllbetrag anläßlich der Rentenanpassung zum 1. Juli 1998 mindern ("abschmelzen") durfte.
Die 1928 geborene Klägerin ist Mutter von sieben Kindern. Sie erhielt in der DDR ab Mai 1988 eine Altersrente für
Frauen, die fünf und mehr Kinder geboren hatten, und zwar in Höhe der Mindestrente von 300,00 M monatlich. Die
Rente erhöhte sich zum 1. Dezember 1989 auf 330,00 M. Der Wert des Rechts auf diese Rente wurde zum 1. Juni
1990 aufgewertet. Durch Rentenanpassungen erhöhte er sich bis Dezember 1991 auf 437,00 DM.
Zum 1. Januar 1992 erhielt die Klägerin statt dessen ein Recht auf eine Altersrente nach dem SGB VI mit einem Wert
von 110,83 DM. Ferner bewilligte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ihr ein Recht auf einen
Auffüllbetrag iS von § 315a SGB VI mit einem Wert von 356,06 DM; dabei wies sie darauf hin, daß der Auffüllbetrag
ab 1. Januar 1996 bei Rentenanpassungen abgeschmolzen werde (Bescheid vom 18. April 1994). In der Folgezeit
erhöhte sich der Wert des Rechts auf Altersrente durch gesetzliche Anpassungen (zuletzt zum 1. Juli 1995) auf
190,73 DM; unter Berücksichtigung des statischen Auffüllbetrages belief sich der Wert beider Rechte ab 1. Juli 1995
auf einen Gesamtbetrag von 546,79 DM.
Erstmals zum 1. Januar 1996 zahlte die Beklagte einen gegenüber dem verbindlich zuerkannten Wert des Rechts auf
den Auffüllbetrag um den Betrag der Anhebung des Wertes des Rechts auf Altersrente verminderten Auffüllbetrag
aus. Auch die weiteren Abschmelzungen bei den Rentenanpassungen zum 1. Juli 1996 und 1. Juli 1997 erfolgten so,
daß sich die Summe aus dem Wert des Rechts auf Altersrente, der angehoben wurde, und aus dem Auffüllbetrag, der
entsprechend gemindert wurde, nicht veränderte (gleichbleibender Betrag von 546,79 DM).
Dabei war der Auffüllbetrag bis Ende Juni 1998 von 356,06 DM auf 334,11 DM abgeschmolzen worden. In keinem Fall
hatte die Beklagte die bindend gewordene Festsetzung des Wertes des Auffüllbetrages im Bescheid vom 18. April
1994 aufgehoben und eine neue Wertfestsetzung bekanntgegeben.
Zum 1. Juli 1998 stellte die Beklagte mit "Rentenbescheid" vom 27. Juli 1998 die Werte der Rechte auf Altersrente
und auf den Auffüllbetrag neu fest. Anlaß waren die gesetzliche Erhöhung des aktuellen Rentenwertes und die zu
diesem Zeitpunkt in Kraft getretene Höherbewertung der Kindererziehungszeiten. Dadurch stieg der Wert des Rechts
auf Altersrente von bisher 212,68 DM auf 243,08 DM (Differenz 30,40 DM). Wegen dieses Differenzbetrages minderte
die Beklagte den Auffüllbetrag auf 303,71 DM (Bescheid vom 27. Juli 1998). Der Gesamtbetrag der Werte beider
Rechte der Klägerin gegen die BfA belief sich ab 1. Juli 1998 weiterhin auf monatlich insgesamt 546,79 DM.
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, die sich aus der Anhebung der Bewertung der
Kindererziehungszeiten ergebende Rentenerhöhung müsse ihr uneingeschränkt zugute kommen, dürfe also nicht auf
den Auffüllbetrag angerechnet werden. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 30.
November 1998).
Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtene Minderung insoweit aufgehoben, als der bisherige Auffüllbetrag von
334,11 DM um einen Erhöhungsbetrag von mehr als 1,89 DM gemindert worden ist; ferner hat es festgestellt, die
Beklagte sei nicht berechtigt, die sich aus zukünftigen Neuberechnungen der Kindererziehungszeiten gemäß § 307d
SGB VI ergebenden "Rentenerhöhungen" auf den jeweils vorhandenen Auffüllbetrag anzurechnen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten gegen das SG-Urteil zurückgewiesen. In den
Entscheidungsgründen ist ausgeführt worden, daß § 315a Satz 4 SGB VI ausschließlich zur Abschmelzung des
Auffüllbetrages um den Wert der Rentenanpassung ermächtige; auch § 48 SGB X decke den weitergehenden Eingriff
der Beklagten nicht. Ferner hat das LSG ausgeurteilt, es hebe einen während des Berufungsverfahrens ergangenen
"Bescheid vom 7. Juni 1999" auf; die BfA hat diesen "Bescheid" am 9. November 2000 "zurückgenommen".
Die Beklagte hat die zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 315a Satz 4 SGB VI und trägt
vor, die Rechtsfolgen dieser Norm beschränkten sich auf drei Berechnungsschritte: Prinzipielle Abschmelzung des
Auffüllbetrages um ein Fünftel; dabei grundsätzliche Mindestabschmelzung von 20,00 DM; Abschmelzung maximal
bis zum Erhöhungsbetrag der Rente. An diese Vorgaben habe sie sich gehalten, und zwar auch bei der streitigen
Neufeststellung zum 1. Juli 1998.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 6. Oktober 1999 und das Urteil des
Sozialgerichts Berlin vom 8. März 1999 insoweit aufzuheben, als es die Kürzung des Auffüllbetrages um mehr als
1,89 DM aufgehoben und ein Feststellungsurteil erlassen hat, und die Klagen abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie macht geltend, die zusätzliche Bewertung von Kindererziehungszeiten müsse ihr effektiv zugute kommen; die
Wertsteigerung dürfe daher nicht auf den Auffüllbetrag angerechnet werden. Dies würde ansonsten dazu führen, daß
sie auf Jahre hinaus einen unveränderten Rentenbetrag erhalte. Die Frage der Verfassungswidrigkeit einer solchen
Nichtdynamisierung des Gesamtbetrages aus Rente und Auffüllbetrag stelle sie jedoch nicht - auch nicht im Wege der
Anschlußrevision - zur Prüfung des Revisionsgerichts.
Die Beklagte hat auf Befragen des Senats in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie könne nicht verbindlich sagen,
ob eine weitere Kürzung des Wertes des Rechts auf den Auffüllbetrag zum 1. Juli 1999 während des
Berufungsverfahrens vorgenommen worden sei, ggf, ob eine solche Entscheidung allein von der Deutschen Post AG
getroffen und bekanntgegeben worden sei oder ob sie, die BfA, selbst entschieden und sich der Deutschen Post AG
nur zur Bekanntgabe des Verwaltungsaktes bedient habe. Der Senat hat darauf hingewiesen, daß die BfA dem LSG
keine Mitteilung iS von § 96 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gemacht hat.
II
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des LSG ist unbegründet, soweit sie die Bestätigung der Aufhebung der
Kürzung des Auffüllbetrages zum 1. Juli 1998 auf 303,71 DM betrifft (dazu unter 1.); sie ist begründet, soweit es um
die Bestätigung des Feststellungsausspruches des SG geht (dazu unter 2.).
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren der Beklagten, das Urteil des LSG aufzuheben, soweit dieses
ihre Berufung gegen die beiden Urteilsaussprüche des SG zurückgewiesen hat. Die Revision erstrebt hingegen nicht,
die Aufhebung des "Bescheides vom 7. Juni 1999". Dies ergibt sich aus der Erklärung der Revisionsführerin, sie
nehme diesen "Bescheid" zurück.
Kein Streitgegenstand war vor dem LSG ein - ggf nach §§ 96, 153 Abs 1 SGG fingiertes - Begehren, eine
denkbarerweise zum 1. Juli 1999 erfolgte weitere Kürzung des Wertes des Rechts auf den Auffüllbetrag aufzuheben.
Denn diese würde, wenn sie - was ungewiß ist - erfolgt wäre, nicht als mit der Klage vor dem LSG angefochten gelten.
Schon kein Verwaltungsakt, sondern ein rechtlich für die Klägerin schlechthin unbeachtlicher Nichtakt läge vor, wenn
die Deutsche Post AG die Kürzung anläßlich der Durchführung ihrer Rentenanpassungsaufgaben aus § 119 SGB VI
selbst vorgenommen hätte. Denn dann läge eine Entscheidung eines Privatrechtssubjektes auf dem Gebiet des
öffentlichen Rechts vor, das keine Behörde und mangels gesetzlicher Beleihung mit entsprechender Hoheits- und
Eingriffsgewalt schlechthin kompetenz- und ermächtigungslos und damit von vornherein unfähig ist, einseitige
öffentlich-rechtliche Regelungen (Verwaltungsakte) zu erlassen.
Hätte aber die Beklagte selbst über die Kürzung entschieden und sich der Deutschen Post AG nur als Botin zur
Bekanntmachung bedient, hätte diese weitere Kürzung die bisher angefochtene Kürzung des Wertes des Rechts auf
den Auffüllbetrag nicht abgeändert oder ersetzt, sondern - für einen anderen Zeitraum und aufgrund eines neuen
Sachverhalts (Anpassung der SGB VI-Altersrente ab 1. Juli 1999 und ggf weitere Anhebung der Rangstellenwerte für
Kindererziehungszeiten) - eine andere, bislang noch nicht streitgegenständliche Wertminderung bewirkt. Wird aber ein
- wie hier - teilbarer Verwaltungsakt nur hinsichtlich seines nicht streitbefangenen Teiles durch einen späteren
Verwaltungsakt abgeändert oder ersetzt, ist für eine (zwangsweise) "Einbeziehung" dieses späteren Verwaltungsaktes
nach § 96 Abs 1 SGG (hier iVm § 153 Abs 1 SGG) in das einen anderen Teil des ursprünglichen Verwaltungsaktes
betreffende Klageverfahren kein Raum (BSG SozR 3-1500 § 96 Nr 9 mwN).
Bei dieser Sachlage ist das Grundrecht der Klägerin auf effektiven Rechtsschutz gegen die mögliche weitere Kürzung
durch einen Verwaltungsakt der BfA schon deshalb gewährleistet, weil diese entsprechend § 66 Abs 2 Satz 1
Halbsatz 2 SGG ohnehin noch nicht unanfechtbar geworden wäre. Vor diesem Hintergrund mußte nicht geklärt
werden, ob eine weitere Kürzung ab 1. Juli 1999 und ggf von wem und in welcher Weise tatsächlich vorgenommen
worden ist. Ebensowenig mußte entschieden werden, ob die revisionsführende BfA die angebliche
Nichtberücksichtigung der denkbaren weiteren Kürzung durch das - ggf auf fingierte Klage erstinstanzlich
entscheidende - LSG überhaupt wirksam gerügt hat, ob es einer solchen Rüge bedurft hätte und ob die BfA diese
Rüge hätte erheben dürfen, obwohl sie selbst ggf ihre gesetzliche Mitteilungspflicht aus § 96 Abs 2 SGG gegenüber
dem LSG verletzt hätte.
Streitgegenstand 1) ist das Begehren der Klägerin, die Minderung des Wertes ihres Rechts auf einen Auffüllbetrag mit
Wirkung zum 1. Juli 1998 um mehr als 1,89 DM (Bescheid vom 27. Juli 1998 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 30. November 1998) aufzuheben. Streitgegenstand 2) ist, ihr Begehren festzustellen,
daß die Beklagte nicht berechtigt sei, die sich aus zukünftigen Neubewertungen von Kindererziehungszeiten
ergebenden Erhöhungen des Wertes ihres Rechts auf Altersrente auf den jeweiligen Wert ihres Rechts auf den
Auffüllbetrag anzurechnen.
Das LSG hat das Urteil des SG im Ergebnis zu Recht bestätigt, soweit dieses den Anfechtungsklagen gegen die
Aufhebung der bisherigen Festsetzung des Wertes des Auffüllbetrages und die Neufestsetzung eines geringeren
Wertes dieses Rechts stattgegeben hat (dazu unter 1.). Dagegen verletzt das Urteil des Berufungsgerichts
Bundesrecht, soweit es den Feststellungsausspruch des SG bestätigt hat (dazu unter 2.). Der Senat hatte nicht zu
entscheiden, ob die BfA den Auffüllbetrag jedenfalls um 1,89 DM abändernd mindern durfte, weil das Urteil des SG
insoweit von der Klägerin nicht angefochten und damit rechtskräftig geworden ist.
1. Die zulässigen Anfechtungsklagen der Klägerin hatten im übrigen zu Recht Erfolg. Die angefochtenen
Verwaltungsakte sind, soweit durch sie der Wert des Rechts auf den Auffüllbetrag zum 1. Juli 1998 um mehr als 1,89
DM gemindert wurde, aufzuheben, weil die Klägerin vor dem belastenden Eingriff (Aufhebung der bisherigen bindenden
Festsetzung des Wertes dieses Rechts auf 356,06 DM im Bescheid vom 18. April 1994 und Festsetzung eines neuen
Wertes von 303,71 DM) nicht ordnungsgemäß angehört worden ist (§§ 24, 41, 42 Satz 2 SGB X).
a) Die Beklagte hat der Klägerin vor dem Eingriff in den bisher bindend festgestellten Wert ihres Rechts auf den
Auffüllbetrag (im Bescheid vom 18. April 1994), der durch zwei Verwaltungsakte bewirkt wurde, nämlich durch eine
Aufhebung der bisherigen Wertfestsetzung nach § 48 Abs 1 SGB X und durch eine Neufeststellung des Wertes
dieses Rechts auf 303,71 DM, die für diese Entscheidungen erheblichen Haupttatsachen entgegen § 24 Abs 1 SGB X
nicht vorher unter Gewährung einer angemessenen Frist zur Stellungnahme mitgeteilt. Nach § 24 Abs 1 SGB X muß
die Behörde, bevor sie einen Verwaltungsakt erläßt, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesen Gelegenheit
geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dieser Verpflichtung ist die Beklagte nicht
nachgekommen. Eine Tatsachenmitteilung und Gewährung einer angemessenen Frist zur Stellungnahme hierzu ist
vor Erlaß der angefochtenen Verwaltungsakte nicht ergangen. Die BfA hat der Klägerin also vor Erlaß ihrer
Überraschungsentscheidungen pflichtwidrig die Tatsachen nicht mitgeteilt, die nach ihrer Rechtsansicht für diesen
Eingriff in den bindend festgestellten Wert des Rechts auf den Auffüllbetrag entscheidungserheblich waren.
b) Es lag auch kein Ausnahmefall vor, in dem eine Behörde von der Anhörung hätte absehen dürfen (§ 24 Abs 2 SGB
X). Die BfA kann sich insbesondere nicht auf den Tatbestand des § 24 Abs 2 Nr 4 Regelung 2 SGB X berufen.
Danach kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl erlassen
werden sollen. Dieser Tatbestand ist jedoch nur erfüllt, wenn der Verwaltungsträger gegenüber einer Vielzahl von
Normadressaten zur selben Zeit Verwaltungsakte erlassen muß, welche die Rechtsstellung der Betroffenen nach einer
für sie alle identischen Rechtsänderungsformel schematisch und ohne Berücksichtigung weiterer individueller
Tatsachen (als der jeweiligen Ausgangswerte) verändern (BSG SozR 3-1300 § 24 Nr 4). Die "Abschmelzung" nach §
48 Abs 1 SGB X iVm § 315a Satz 4 und 5 SGB VI ist keine schematische Rechtsänderung, sondern erfordert
mindestens vier individuelle Tatsachenfeststellungen (dazu sogleich).
c) Die BfA hat ihren Rechtsverstoß auch nicht nachträglich bis zum Abschluß des Vorverfahrens geheilt (§ 41 Abs 1
Nr 3 und Abs 2 SGB X). Gemäß § 41 Abs 1 Nr 2 SGB X ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften
unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird. Die Nachholung besteht in der nachträglichen
Mitteilung der nach der Rechtsansicht der Behörde für den beabsichtigten Eingriff entscheidungserheblichen
Tatsachen mit Gewährung einer angemessenen Frist, dazu jedenfalls vor der Entscheidung der Widerspruchsbehörde
Stellung nehmen zu können. Sie ist nur bis zum Abschluß des Vorverfahrens zulässig (§ 41 Abs 2 SGB X), dh sie
muß spätestens vor Erlaß des Widerspruchsbescheides erfolgt sein (BSG SozR 3-1300 § 24 Nr 4 S 8 f).
Einer solchen Nachholungshandlung hätte es zwar nicht bedurft, wenn die BfA im Bescheid selbst pflichtgemäß (§ 35
Abs 1 SGB X) alle für ihre beiden Verwaltungsakte entscheidungserheblichen Haupttatsachen mitgeteilt hätte (BSG
SozR 3-1300 § 24 Nrn 4, 9). Dies ist jedoch - gleichfalls rechtswidrig - nicht geschehen. Die BfA gibt im
"Rentenbescheid" vom 27. Juli 1998 im eigentlichen Bescheidtext (S 1 und 2) nicht einmal ansatzweise zu erkennen,
daß sie überhaupt eine Abänderung des Wertes des Rechts auf den Auffüllbetrag vornimmt. Erst in der Begründung
(Anlage 1) zu der gleichfalls vorgenommenen Neufeststellung des Wertes des Rechts auf Altersrente ergibt sich für
den Adressaten aus der dort vorgenommenen Berechnung, daß auch ein Eingriff in den Wert des Rechts auf den
Auffüllbetrag vorgenommen werden soll; die - praktisch fehlende - Begründung hierzu enthält offensichtlich nicht alle
für die Kürzungsentscheidungen entscheidungserheblichen Haupttatsachen:
Welche Haupttatsachen für eine den Anforderungen des § 24 Abs 1 SGB X (und dessen Nachholung) genügende
Anhörung mitzuteilen sind, beurteilt sich - aufgrund der materiell-rechtlichen Rechtsansicht der Behörde - nach der
Entscheidungserheblichkeit anhand der Ermächtigungsgrundlagen für den jeweiligen Eingriff. Diese ergeben sich hier
aus § 48 Abs 1 SGB X iVm § 315a Satz 4 SGB VI. Die BfA hätte daher die Tatsachen mitteilen müssen, aus denen
sich die wesentliche Änderung der Verhältnisse hinsichtlich des unter dem 18. April 1994 bindend festgestellten
Wertes des Rechts auf den Auffüllbetrag ergab. Hierfür kam es - nach der erklärten Rechtsauffassung der BfA - auf
die Tatsachen an, aus denen sich nach § 315a Satz 4 und 5 SGB VI die Verminderung des Wertes des Rechts auf
den Auffüllbetrag ergab. Nach diesen Bestimmungen ist das "Abschmelzungsprogramm" für zuerkannte Auffüllbeträge
in zwei Phasen untergliedert.
aa) Gemäß § 315a Satz 4 Halbsatz 1 SGB VI ist der Auffüllbetrag bei jeder Rentenanpassung ab 1. Januar 1996 um
ein Fünftel seines Wertes zu mindern. Dadurch wird der ursprünglich festgestellte Wert des Rechtes auf den
Auffüllbetrag in fünf gleichen Schritten auf Null reduziert ("erste Phase"). Jeder Kürzungsbetrag ist danach ein Fünftel
des ursprünglichen, individuell festgesetzten Wertes des Rechts auf den Auffüllbetrag. Hatte das Recht auf den
Auffüllbetrag ursprünglich einen Wert von weniger als 100,- DM, wird dieser bei jeder Rentenanpassung um
wenigstens 20,- DM vermindert; denn der Abschmelzungsbetrag muß in dieser ersten Phase mindestens 20,- DM
betragen (§ 315a Satz 4 Halbsatz 1 SGB VI). In der ersten Phase kann eine Reduzierung des Wertes des Rechts auf
den Auffüllbetrag auf Null jedoch nicht erfolgen, soweit die Abschmelzungsgrenze des bisherigen Gesamtzahlbetrages
aus dem Recht auf Rente und aus dem Recht auf den Auffüllbetrag eingreift; nach § 315a Satz 4 Halbsatz 2 SGB VI
darf der bisherige "Zahlbetrag der Rente" nicht unterschritten werden. Diese "Zahlbetragsgarantie" betrifft den
ursprünglichen, dh vor dem ersten Kürzungsschritt zum 1. Januar 1996, gegebenen Gesamtzahlbetrag aus dem Wert
des Rechts auf Rente und dem Wert des Rechts auf den Auffüllbetrag, allerdings begrenzt auf die Summe der für
Dezember 1995 maßgeblichen Auszahlbeträge.
315a Satz 4 SGB VI bestimmt nicht ausdrücklich, was unter dem "bisherigen Zahlbetrag der Rente" zu verstehen ist.
Der Ausdruck "Rente" bedeutet umgangs- und juristisch-fachsprachlich "Einkünfte", "Vorteile" oder "regelmäßig
wiederkehrende Geldzahlung", ist also rechtlich eine bloße Rechtsfolgenbezeichnung (näher dazu BSG Urteil vom 2.
August 2000, B 4 RA 40/99 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Wird er - wie hier - im Zusammenhang eines
Rechtsnormtatbestandes verwendet, ergibt sich seine jeweilige rechtliche Bedeutung erst aus der konkreten
gesetzlichen Ausgestaltung seines jeweiligen Kontextes. Im Rahmen des § 315a Satz 4 Halbsatz 2 SGB VI betrifft
der Ausdruck "Rente" die Summe der Werte aus dem Recht auf die SGB VI-Rente und aus dem Recht auf den
Auffüllbetrag, jeweils aber nur bis zur Summe der jeweiligen Auszahlungsbeträge. Würde nämlich unter "Zahlbetrag
der Rente" nur der Wert des Rechts auf die SGB VI-Rente verstanden werden, würde die "Zahlbetragsgarantie"
leerlaufen. Der Auffüllbetrag wäre immer um ein Fünftel seines Wertes zu mindern; denn der bisherige Wert des
grundrechtlich geschützten Rechts auf die SGB VI-Rente (bzw der Zahlbetrag hieraus) ist auch dann garantiert, wenn
der Auffüllbetrag völlig abgeschmolzen wird. Daher ist unter dem "bisherigen Zahlbetrag der Rente" (iS von § 315a
Satz 4 Halbsatz 2 SGB VI) der ursprüngliche Gesamtzahlbetrag aus der Summe des Zahlbetrages der SGB VI-Rente
und des (ungekürzten) Auffüllbetrages zu verstehen. Nach § 315a Satz 4 und 5 SGB VI ist hingegen für die
Minderung des Auffüllbetrages nicht erheblich, aus welchen Gründen der Wert des Grundrechts auf SGB VI-Rente
sich erhöht.
Demzufolge kann sich aus dieser Zahlbetragsgarantie - wie auch im Fall der Klägerin - ergeben, daß der konkrete
Abschmelzungsbetrag unter einem Fünftel des ursprünglichen Wertes des Rechts auf den Auffüllbetrag (und sogar
unter 20,- DM) liegt. Dann verbleibt auch nach Ablauf der ersten Phase der ersten fünf Abschmelzungsschritte noch
ein Wert des Rechts auf den Auffüllbetrag, der als Zusatzleistung zu dem Zahlbetrag aus dem Wert des Rechts auf
Rente weiterzuzahlen ist.
bb) Dann greift in der "zweiten Phase" das Abschmelzungsprogramm des § 315a Satz 5 SGB VI ein. Der verbliebene
Auffüllbetrag wird bei den folgenden Rentenanpassungen des Wertes des Rechts auf Rente (nur) im Umfang der
Wertsteigerung des Rechts auf Rente abgeschmolzen, dh, nur um die dadurch bedingten Erhöhungen des Wertes des
Rechts auf Rente. Andere Erhöhungen des Geldwertes des Rechts auf Rente (wie zB eine Änderung der Rangstelle
des Versicherten durch Neubewertung seiner Kindererziehungszeiten) führen in der zweiten Phase nach § 315a Satz 5
SGB VI nicht mehr zur Abschmelzung des Wertes des Rechts auf den Auffüllbetrag.
cc) Die hier streitige Abschmelzung unterliegt den Regeln der ersten Phase (§ 315a Satz 4 SGB VI). Denn sogar
dann, wenn die BfA unter Beachtung der besonderen Rentenanpassungen im Beitrittsgebiet bis Ende Juni 1998 den
am 18. April 1994 bestandskräftig festgesetzten Wert des Rechts auf den Auffüllbetrag bis Juni 1998 dreimal
aufgehoben und geringere Werte dieses Rechts neu festgesetzt hätte (Abschmelzungen waren rechtlich möglich zum
1. Januar 1996, zum 1. Juli 1996 und zum 1. Juli 1997), wäre der hier angefochtene Eingriff zum 1. Juli 1998 allenfalls
der vierte Abschmelzungsschritt.
Zur ordnungsgemäßen Durchführung oder Nachholung der ihr gesetzlich vorgeschriebenen Anhörung der Klägerin
hätte die Beklagte ihr deshalb folgende individuell entscheidungserheblichen Haupttatsachen mitteilen müssen:
- Angabe, um die wievielte Abschmelzung es sich handelt (so wird deutlich, ob die Abschmelzung nach Satz 4 oder 5
des § 315a SGB VI erfolgen soll);
- Höhe des sich nach § 315a Satz 4 Halbsatz 1 SGB VI ergebenden Abschmelzungsbetrages (dieses ist stets der
Höchstbetrag, um den eine Minderung vorgenommen werden darf);
- "bisheriger Zahlbetrag der Rente" (nur dadurch wird erkennbar, ob die Abschmelzung in Höhe eines Fünftels des
ursprünglichen Auffüllbetrages (oder in Höhe von 20,- DM) oder in Höhe der konkreten Erhöhung der SGB VI-Rente zu
erfolgen hat, um die Zahlbetragsgarantie zu wahren);
- konkreter Erhöhungsbetrag der SGB VI-Rente.
Darüber hinaus hätte die BfA der Klägerin auch diejenigen Tatsachen mitteilen müssen, aus denen sich nach § 48
Abs 1 Satz 2 SGB X nach ihrer Ansicht für sie die Befugnis ergab, den Eingriff mit Bescheid vom 27. Juli 1998
rückwirkend zum 1. Juli 1998 vorzunehmen.
Der Bescheid vom 27. Juli 1998 enthält keine diesen Mindestanforderungen genügenden Mitteilungen. Die BfA hätte
daher die pflichtwidrig unterlassene Anhörungsmitteilung bis zum Abschluß des Vorverfahrens nachholen müssen. Da
dies nicht geschehen ist, kann die Klägerin gemäß § 42 Satz 2 SGB X die Aufhebung der rechtswidrig in ihr Recht auf
den Auffüllbetrag eingreifenden Verwaltungsakte vom 27. Juli 1998 verlangen. Deshalb hat das LSG im Ergebnis
richtig entschieden, die Berufung der Beklagten gegen die Aufhebung der Entscheidungen durch das SG
zurückzuweisen.
2. Die vorinstanzlichen Entscheidungen waren jedoch auf die Revision (bzw auf die Berufung) der Beklagten
aufzuheben, soweit sie den Feststellungsausspruch des SG betreffen. Denn eine solche Feststellung hätte nach
Bundesrecht nicht getroffen werden dürfen, weil die Klägerin keinen Anspruch hierauf hatte.
a) Die Klage ist zwar zulässig:
Gemäß § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt
werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Durch das von der Klägerin
zugleich erstrittene Aufhebungsurteil ist ihr Feststellungsinteresse nicht entfallen; denn die Aufhebung der
angefochtenen Verwaltungsakte vom 27. Juli 1998 betrifft ausschließlich die Abschmelzung zum 1. Juli 1998. Sie
hindert die Beklagte nicht, wertmindernde Eingriffe in das Recht der Klägerin auf den Auffüllbetrag anläßlich des hier
in der ersten Phase des Abschmelzungsprogrammes des § 315a Satz 4 SGB VI (jedenfalls noch) ausstehenden
fünften Eingriffs vorzunehmen, bei dem die (stufenweise - § 307d SGB VI) Neubewertung der Rangstelle der Klägerin
wegen ihrer Kindererziehungszeiten zu einer Erhöhung des Geldwertes des Rechts auf Altersrente und damit zu einer
erhöhten Abschmelzung des Wertes des Rechts auf den Auffüllbetrag führen könnte. Es handelt sich hier nicht um
eine bloße "vorbeugende", sondern um eine auf die verbindliche Klärung der Inhalte zweier bestehender
Rechtsverhältnisse und ihrer Beziehungen zueinander gerichtete Feststellungsklage. Es soll damit zwischen den
Beteiligten abschließend entschieden werden, ob und in welchem Umfang Änderungen des Wertes des Rechts auf
Rente wegen Alters zur Minderung des Wertes des Rechts auf den Auffüllbetrag führen dürfen.
Das Interesse an der baldigen Klärung der Rechtsverhältnisse ist auch nicht nachträglich entfallen, weil der (vielleicht
fünfte) Eingriff in das subjektive Recht der Klägerin auf den Auffüllbetrag an sich während des Berufungsverfahrens,
nämlich mit Wirkung zum 1. Juli 1999 hätte vorgenommen sein müssen. Über den Erlaß einer solchen - dem LSG
nicht bekannten und in den Akten der BfA nicht vorhandenen - Kürzung konnte die Beklagte auch im Termin zur
mündlichen Verhandlung dem Senat keine verbindliche Auskunft geben. Eine weitere Sachaufklärung hierzu war
entbehrlich, weil - wie oben ausgeführt - eine solche Kürzung zum 1. Juli 1999 unter keinen Umständen nach den §§
96, 153 Abs 1 SGG Gegenstand eines fingierten Klageverfahrens vor dem LSG geworden sein konnte. Im übrigen
hätten die dagegen eröffneten Anfechtungsklagen zu keiner Klärung der streitigen Rechtsbeziehung in ihrer
Gesamtheit führen können.
b) Die Feststellungsklage ist aber nicht begründet:
In der "ersten Phase" des Abschmelzungsprogrammes nach § 315a Satz 4 SGB VI vermindert sich der Wert des
Rechts auf den Auffüllbetrag bei jedem einzelnen der (fünf) Schritte jeweils um ein Fünftel des ursprünglichen
Auffüllbetrages, mindestens aber um 20,- DM, soweit durch die Anrechnung der "bisherige Zahlbetrag der Rente" nicht
unterschritten wird. Auf die Höhe des Wertes des Rechts auf Rente kommt es also nur bei der Garantie des
bisherigen, dh vor der ersten Kürzung des Auffüllbetrages gegebenen, Gesamtzahlbetrages aus SGB VI-Rente und
Auffüllbetrag, also auf den Gesamtauszahlungsbetrag für den Monat Dezember 1995 an. In der ersten Phase der
Abschmelzung der Zusatzleistung des Auffüllbetrages stehen also - rechtlich und wirtschaftlich - alle seit dem 1.
Januar 1996 wirksam gewordenen Erhöhungen des Geldwerts des Rechts auf SGB VI-Rente zur Verfügung, soweit
sie im jeweiligen Abschmelzungsschritt ein Fünftel des Wertes des Rechts auf den Auffüllbetrag nicht überschreiten.
Dies hat die BfA beachtet. Das Gesetz ordnet keine die Rentenberechtigten ungleich behandelnde Differenzierung
danach an, aus welchen Gründen sich der Geldwert des Rechts auf Rente in diesem Zeitraum erhöht hat. Es ist auch
nicht ersichtlich, daß es verfassungsrechtlich geboten wäre, Rangstellenwerterhöhungen aufgrund einer Neubewertung
von Kindererziehungszeiten für die Betroffenen günstiger zu behandeln als Rangstellenwerterhöhungen infolge von zB
Beitragszahlungen.
In der ersten Abschmelzungsphase des § 315a Satz 4 SGB VI ist - anders als in der zweiten des § 315a Satz 5 SGB
VI - die Abschmelzung des Auffüllbetrages nicht auf den Wert der gerade durch die gesetzlichen Rentenanpassungen
(infolge der Anhebung des aktuellen Rentenwertes) bedingten Geldwerterhöhungen des Rechts auf Rente begrenzt.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen und der Klägerin vermindert sich in der ersten Phase der Auffüllbetrag
gerade nicht nur in dem Umfang, in dem der Wert des Rechts auf SGB VI-Rente sich wegen der gesetzlichen
Rentenanpassungen anhebt. Dies gilt - soweit (was hier nicht zu prüfen war) verfassungsgemäß - nach Satz 5 aaO
erst in der zweiten Phase. Nach § 315a Satz 4 SGB VI wird der Auffüllbetrag vom 1. Januar 1996 "bei jeder
Rentenanpassung" vermindert. Dies ist ein Tatbestandsmerkmal, keine Rechtsfolgenregelung; es bestimmt nicht die
Höhe der Minderung des Auffüllbetrages, sondern nur den Zeitpunkt und Anlaß, zu dem der Auffüllbetrag vermindert
wird. Dieser Zeitpunkt ist aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität sachlich gerechtfertigt. Die von der Klägerin
begehrte, die Abschmelzung des Auffüllbetrages einschränkende Ausdeutung dieses Tatbestandsmerkmals als
Rechtsfolgenbegrenzung ist mit dem Gesetz schon deshalb nicht vereinbar, weil es dann der Regelung der zweiten
Phase des Abschmelzungsprogrammes in § 315a Satz 5 SGB VI nicht bedurft hätte; dort ist diese Begrenzung der
Abschmelzung des Auffüllbetrages auf den Umfang der Rentenanpassung ausdrücklich vorgeschrieben. Dies wäre
augenfällig überflüssig, wenn diese Abschmelzungsgrenze schon von Anfang an gelten sollte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Trotz der irreführenden Ausgestaltung des Bescheides vom 27. Juli 1998 war davon abzusehen, der Beklagten die
außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits in vollem Umfang aufzuerlegen; denn die rechtsstaatlich äußerst
bedenkliche Ausgestaltung des Bescheides hat vorliegend zu keinen unsachgemäßen Prozeßhandlungen der Klägerin
geführt, die ihr (zusätzliche) Kosten verursacht haben könnten.