Urteil des BSG vom 02.04.2014

BSG: änderung der verhältnisse, versicherungspflicht, änderung der tatsächlichen verhältnisse, erlass, verwaltungsakt, einkünfte, meldung, anerkennung, arbeitsentgelt, gleichbehandlung

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 2.4.2014, B 3 KS 4/13 R
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom
19. Juni 2013 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die Beklagte die
Versicherungsfreiheit der Klägerin nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) ab
1.4.2007 festgestellt hat.
2 Die 1959 geborene Klägerin ist seit 1986 als Malerin, Zeichnerin und Graphikerin
selbstständig tätig und nach dem KSVG versichert. Aus ihren Einkommensteuerbescheiden
ergaben sich für das Jahr 2002 Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 1713
Euro und für die Jahre 2003 bis 2005 lediglich negative Einkünfte (für 2003 -5485 Euro, für
2004 -6464 Euro und für 2005 -3635 Euro). Im Dezember 2006 teilte die Beklagte der
Klägerin mit, sie beabsichtige, den Bescheid vom 23.5.1986 über die Versicherungspflicht
bzw Zuschussberechtigung nach dem KSVG aufzuheben und Versicherungsfreiheit nach §
3 KSVG festzustellen, da Tatsachen, die eine Steigerung des Einkommens bis über die
sozialversicherungsrechtliche Geringfügigkeitsgrenze erwarten lassen könnten, nach den
Werten der Vorjahre nicht ersichtlich seien.
3 Darauf teilte die Klägerin mit Schreiben vom 24.12.2006 mit, die geringen Einnahmen in
den Jahren 2004/2005 seien durch die mit einem Atelierumzug verbundenen Kosten und
die Neupositionierung in anderem Umfeld verursacht. 2006 habe sich ihre
Einkommenslage verbessert. Sie sei als qualifizierte und professionelle Künstlerin bekannt
und habe 2005 mit erheblichem Aufwand eine Produzentengalerie aufgebaut, die ihr
gleichzeitig als Schauraum diene. Mit Schreiben vom 30.1.2007 gab die Beklagte der
Klägerin Gelegenheit, ihre aktuelle Einkommenssituation durch die Vorlage aller
Einnahmebelege (Rechnungen und Kontoauszüge) aus dem Jahr 2006 darzustellen.
Nachdem keine weiteren Unterlagen eingegangen waren, stellte die Beklagte
Versicherungsfreiheit nach dem KSVG ab 1.4.2007 fest (Bescheid vom 20.3.2007). Der
Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos, nachdem sie ua eine ebenfalls mit negativen
Einkünften (-2498,74 Euro) abschließende Gewinnermittlung für das Jahr 2006 vorgelegt
hatte (Widerspruchsbescheid vom 18.7.2007).
4 In einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren hat die Klägerin Rechnungen aus dem
ersten Halbjahr 2007 über insgesamt 3600 Euro sowie das Unternehmenskonzept einer
Diplombetriebswirtin vorgelegt, wonach die Einnahmen im ersten Halbjahr 2007 bei 5100
Euro liegen sollten und für das zweite Halbjahr Einnahmen in Höhe 6000 Euro
prognostiziert wurden. Abzüglich der zu erwartenden Ausgaben über 6600 Euro ergebe
sich für 2007 ein Betriebsergebnis in Höhe von 4500 Euro - mit steigender Tendenz für die
Jahre 2008 und 2009. Die späteren Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2007 und
2008 bestätigten jeweils Einkommen oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze (5074 und 8429
Euro). Für das Jahr 2009 weist der Einkommensteuerbescheid allerdings wieder einen
Verlust (-5565 Euro) aus.
5 Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteile des SG vom 22.9.2010 und des LSG
vom 19.6.2013): Es sei nicht zu beanstanden, dass die Beklagte als Grundlage ihrer
Einkommensprognose für die Zeit ab 1.4.2007 ausschließlich die
Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2005 herangezogen habe, da die
Klägerin die Gelegenheit zur Vorlage weiterer Einkommensbelege aus dem Jahr 2006 nicht
wahrgenommen habe. Die im Juli 2007 vorgelegten Rechnungsbelege für das erste
Halbjahr 2007 führten - bezogen auf das gesamte Jahr 2007 - lediglich zu einem
geschätzten Gewinn von 3000 Euro und könnten zudem frühestens ab 1.8.2007
berücksichtigt werden. Die erst im Klageverfahren vorgelegten weiteren Unterlagen ließen
ebenfalls keine positive Prognose zu und könnten zudem nicht Grundlage einer
Einkommensschätzung für das Kalenderjahr 2007 sein. Die Gründe für den
Einkommensrückgang seien nach dem Gesetz unbeachtlich. Die Versicherungsfreiheit
bestehe bis heute fort.
6 Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine fehlerhafte Anwendung der
verfahrensrechtlichen Grundsätze, die bei einer Schätzung des voraussichtlichen
Arbeitseinkommens aus selbstständiger künstlerischer Tätigkeit zu berücksichtigen seien
(§§ 3, 8, 12, 13 KSVG). Insbesondere habe das LSG bei der Überprüfung der
Prognoseentscheidung die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten und
unberücksichtigt gelassen, dass alle bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides
bekannten und ermittelbaren Umstände der Schätzung zugrunde zu legen seien. Die
Einkommensprognose sei in vollem Umfang in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht
nachzuprüfen. Schließlich habe das Berufungsgericht der Feststellung der
Versicherungsfreiheit rechtsfehlerhaft eine Dauerwirkung zugemessen.
7 Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Berlin-Brandenburg vom 19.6.2013 und des SG Berlin vom 22.9.2010
zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 20.3.2007 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 18.7.2007 aufzuheben.
8 Die Beklagte hält die Urteile für zutreffend und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
9 Die zulässige Revision ist unbegründet.
10 1. Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) zulässig. Die Beklagte hat mit der
Feststellung der Versicherungsfreiheit nach dem KSVG ab 1.4.2007 (Bescheid vom
20.3.2007, Widerspruchsbescheid vom 18.7.2007) ihren Bescheid vom 23.5.1986
aufgehoben, mit dem sie die Versicherungspflicht der Klägerin nach § 1 KSVG in der
Renten- und Krankenversicherung festgestellt hatte. Die Klägerin kann daher ihr Anliegen
der Sicherung einer ununterbrochenen Versicherungspflicht in der
Künstlersozialversicherung (KSV) durch eine schlichte Aufhebung des angefochtenen
Bescheides erreichen. Einer zusätzlichen Feststellung der Versicherungspflicht über den
31.3.2007 hinaus bedarf es dafür nicht.
11 2. Der Gegenstand der Anfechtungsklage ist auf die im angefochtenen Bescheid
getroffene Feststellung der Versicherungsfreiheit ab 1.4.2007 sowie die darin gleichzeitig
liegende Aufhebung des Verwaltungsaktes über die Feststellung der Versicherungspflicht
(Bescheid vom 23.5.1986) beschränkt. Entscheidend dafür ist grundsätzlich nur die Frage
der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes zum Zeitpunkt seines Erlasses
(vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 54 RdNr 33 mwN).
Denn ein Verwaltungsakt, der Versicherungsfreiheit feststellt, hat keine Dauerwirkung.
Anders als bei der Feststellung der Versicherungspflicht nach §§ 1 und 8 KSVG wird bei
der Feststellung der Versicherungsfreiheit nach § 3 KSVG gerade kein fortdauerndes
Rechtsverhältnis mit Leistungs- und Beitragspflichten festgestellt. Vergleichbar einer
ablehnenden Entscheidung über einen Leistungsantrag entfaltet eine negative
Feststellung über ein Versicherungsverhältnis über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe
hinaus grundsätzlich keine rechtliche Wirkung (vgl hierzu Schütze in: von
Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 45 RdNr 63 ff mwN). Daher ist die Frage, wie
lange eine rechtmäßig festgestellte Versicherungsfreiheit fortbesteht, entgegen der
Auffassung des LSG, nicht Gegenstand des Verfahrens. Die Klägerin kann jederzeit einen
neuen Antrag auf Feststellung der Versicherungspflicht stellen, über den zunächst durch
Verwaltungsakt und möglicherweise anschließendem Widerspruchs- und Klageverfahren
als eigenständiger Streitgegenstand zu entscheiden ist. Ein solcher Antrag kann unter
Umständen auch konkludent, zB durch die Vorlage neuer Einkommensbelege gestellt
werden. Die Prüfung, ob die Klägerin zwischenzeitlich einen neuen Antrag auf
Pflichtmitgliedschaft in der KSV gestellt hat, gehört daher nicht zum Gegenstand des
vorliegenden Verfahrens, sondern ist Aufgabe der Beklagten. Sollte dies der Fall und der
Antrag auch begründet sein, hätte die Beklagte zugleich zu prüfen, ob die
Versicherungspflicht nach dem KSVG mit dem Umzug der Klägerin ins Ausland wieder
entfallen sein könnte. Gegebenenfalls wäre der Bescheid über die erneute Feststellung
der Versicherungspflicht entsprechend zu befristen.
12 3. Die Klage musste auf der Grundlage der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und
damit für das Revisionsgericht bindenden Tatsachenfeststellungen des LSG (§ 163 SGG)
erfolglos bleiben, weil die Beklagte ihre im Jahre 1986 getroffene Feststellung der
Versicherungspflicht der Klägerin nach § 1 KSVG in der Renten- und
Krankenversicherung nach § 8 Abs 2 S 2 KSVG (idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung
des Künstlersozialversicherungsgesetzes und anderer Gesetze <2. KSVG-ÄndG> vom
13.6.2001, BGBl I 1027) iVm § 48 Abs 1 S 1 SGB X (idF der Bekanntmachung der
Neufassung des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch vom 18.1.2001, BGBl I 130) wegen
Änderung der Verhältnisse rechtmäßig aufgehoben hat.
13 Nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den
tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben,
eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Infolge der
Eigenart der künstlerischen und publizistischen Tätigkeit findet § 48 SGB X nach § 8 Abs
2 KSVG nur eine modifizierte Anwendung, denn nur in den in § 8 Abs 2 S 1 KSVG
aufgeführten Fällen lässt sich genau feststellen, wann eine Änderung der Verhältnisse
eingetreten ist. In den übrigen Fällen (§ 8 Abs 2 S 2 KSVG) ist daher der Bescheid über
die Versicherungspflicht bei Änderung der Verhältnisse nur mit Wirkung vom Ersten des
Monats an aufzuheben, der auf den Monat folgt, in dem die Künstlersozialkasse (KSK) von
der Änderung Kenntnis erhält, es sei denn, der Versicherte hat vorsätzlich oder grob
fahrlässig falsche Angaben gemacht (vgl dazu Finke/Brachmann/Nordhausen, KSVG, 4.
Aufl 2009, § 8 RdNr 8). Soweit mit der Aufhebung in Rechte eines Beteiligten eingegriffen
wird, ist diesem nach § 24 Abs 1 SGB X Gelegenheit zu geben, sich zu den für die
Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
14 a) Der angefochtene Verwaltungsakt ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die
Beklagte hat die Klägerin mit Schreiben vom 12.12.2006 zu der beabsichtigten Aufhebung
des Bescheides über die Versicherungspflicht bzw Zuschussberechtigung nach dem
KSVG und der Feststellung der Versicherungsfreiheit nach § 24 Abs 1 SGB X
ordnungsgemäß angehört.
15 b) Der Verwaltungsakt, mit dem die Beklagte die Versicherungspflicht der Klägerin nach §
1 KSVG festgestellt hatte (im Bescheid vom 23.5.1986), entfaltet eine Dauerwirkung, da er
ein zeitlich nicht befristetes Rechtsverhältnis mit Leistungs- und Beitragspflichten
begründet, das sich nicht in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft (vgl
dazu Schütze, aaO, § 45 RdNr 63 ff).
16 c) In den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass dieses feststellenden
Verwaltungsaktes vorgelegen haben, ist eine wesentliche Änderung eingetreten. Eine
wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt vor, wenn sich die für den
Erlass des Verwaltungsaktes entscheidungserheblichen tatsächlichen Umstände so
erheblich verändert haben, dass sie rechtlich anders zu bewerten sind und daher der
Verwaltungsakt unter Zugrundelegung des geänderten Sachverhalts so, wie er ergangen
ist, nicht mehr erlassen werden dürfte (vgl zB BSGE 59, 111 = SozR 1300 § 48 Nr 19;
BSGE 74, 131 = SozR 3-5870 § 2 Nr 25; BSGE 80, 215 = SozR 3-2940 § 7 Nr 4; BSGE
81, 134 = SozR 3-4100 § 142 Nr 2; BSG SozR 1300 § 48 Nr 22, 44).
17 Bei Erlass des Verwaltungsaktes zur Feststellung der Versicherungspflicht im Mai 1986
galt die Klägerin zunächst noch als Berufsanfängerin, für die nach § 3 Abs 2 KSVG (in der
bis zum 31.12.1988 gültigen Fassung durch Gesetz zur Konsolidierung der
Arbeitsförderung - Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz - AFKG - vom 22.12.1981,
BGBl I 1497) Versicherungspflicht bis zum Ablauf von fünf Jahren nach erstmaliger
Aufnahme der Tätigkeit unabhängig vom Erreichen eines Mindesteinkommens bestand.
18 Entscheidungserheblich sind nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X nur die bei Erlass des
Ausgangsbescheides vorliegenden Umstände. Lediglich diese bilden die
Vergleichsgrundlage für den Eintritt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die
zum Erlass des Aufhebungsbescheides geführt hat (vgl Waschull in:
Diering/Timme/Waschull, SGB X, Lehr- und Praxiskommentar, 3. Aufl 2011, § 48 RdNr 27
ff, mwN). Deshalb kommt es nicht darauf an, dass der Fünf-Jahres-Zeitraum bereits seit
langer Zeit abgelaufen war und die Beklagte möglicherweise schon viel früher einen
Aufhebungsbescheid mit der Feststellung der Versicherungsfreiheit hätte erlassen
können.
19 Der Ausgangsbescheid mit der Feststellung der Versicherungspflicht war nach § 39 Abs 2
SGB X bis zum 31.3.2007 wirksam, da er bis dahin nicht zurückgenommen, widerrufen,
anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt war. Bis zu
diesem Zeitpunkt hatten sich aber die entscheidungserheblichen Umstände wesentlich
geändert; denn ein die Versicherungspflicht feststellender Verwaltungsakt hätte jedenfalls
ab 1.4.2007 nicht mehr erlassen werden dürfen, weil die Klägerin zu dieser Zeit nach § 3
Abs 1 S 1 KSVG (idF 2. KSVG-ÄndG vom 13.6.2001, BGBl I 1027) versicherungsfrei war.
20 aa) Gemäß § 3 Abs 1 S 1 KSVG ist nach diesem Gesetz versicherungsfrei, wer in dem
Kalenderjahr aus selbstständiger künstlerischer und publizistischer Tätigkeit
voraussichtlich ein Arbeitseinkommen erzielt, das 3900 Euro nicht übersteigt. Abweichend
davon bleibt nach § 3 Abs 3 KSVG (idF des 2. KSVG-ÄndG) die Versicherungspflicht
bestehen, solange das Arbeitseinkommen nicht mehr als zweimal innerhalb von sechs
Kalenderjahren die dort genannte Grenze nicht übersteigt.
21 Arbeitseinkommen ist nach der Legaldefinition in § 15 Abs 1 SGB IV (in der insoweit bis
heute unveränderten Neufassung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch durch
Bekanntmachung vom 23.1.2006, BGBl I 86) der nach den allgemeinen
Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer
selbstständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als
solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Aufgrund der Anknüpfung des
maßgeblichen Arbeitseinkommens an das Einkommensteuerrecht könnte es für den
Künstler überlegenswert sein, gegenüber dem Finanzamt in Wahrnehmung seiner
steuerrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten Werbungskosten nur in begrenztem Umfang
geltend zu machen, wenn dadurch ein Arbeitseinkommen oberhalb der
Mindestarbeitseinkommensgrenze des § 3 Abs 1 S 1 KSVG verbleibt. Die Abwägung, aus
diesem Grund einen steuerrechtlichen Nachteil in Kauf nehmen zu wollen, ist Sache des
Künstlers. Insoweit obliegen weder der Beklagten noch den Sozialgerichten Hinweis- oder
Beratungspflichten; denn es handelt sich um eine ausschließlich steuerrechtliche
Gestaltungsmöglichkeit. Weitergehende sozialversicherungsrechtliche
Gestaltungsmöglichkeiten bestehen nicht; die anzustellende Prognose hat sich
ausschließlich an den objektiven Gegebenheiten zu orientieren.
22 Versicherte und Zuschussberechtigte haben nach § 12 Abs 1 S 1 KSVG (idF durch Gesetz
zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 9.12.2004, BGBl I
3242) der KSK bis zum 1. Dezember eines Jahres das voraussichtliche
Arbeitseinkommen, das sie aus der Tätigkeit als selbstständige Künstler und Publizisten
erzielen, bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen
Rentenversicherung für das folgende Kalenderjahr zu melden. Nach Satz 2 dieser
Vorschrift schätzt die KSK die Höhe des Arbeitseinkommens, wenn der Versicherte trotz
Aufforderung die Meldung nach Satz 1 nicht erstattet oder die Meldung mit den
Verhältnissen unvereinbar ist, die dem Versicherten als Grundlage für seine Meldung
bekannt waren.
23 Ausgangspunkt der nach § 3 Abs 1 S 1 KSVG anzustellenden Prognose für das
voraussichtlich zu erzielende Arbeitseinkommen sind danach zunächst die Angaben des
Versicherten nach § 12 Abs 1 S 1 KSVG. Erst wenn seine Meldung mit den ihr
zugrundeliegenden Verhältnissen unvereinbar ist, nimmt die KSK selbst die für die
weiteren Entscheidungen maßgebliche Einschätzung des voraussichtlichen
Arbeitseinkommens vor.
24 bb) Sachgerechte Prognosen beruhen in der Regel auf erhobenen Daten und Fakten und
damit auf Erkenntnissen der Vergangenheit, auf deren Basis unter Berücksichtigung zu
erwartender Veränderungen eine Vorausschau für die Zukunft getroffen wird. Daher wird
nach der Rechtsprechung des BSG (vgl nur BSG SozR 4-2600 § 5 Nr 6 mwN) in anderen
Zusammenhängen, in denen prognostische Beurteilungen über Arbeitsentgelt oder
Arbeitseinkommen anzustellen sind, auf die Verhältnisse in der Vergangenheit Bezug
genommen. Insbesondere bei schwankendem Arbeitsentgelt sei der zu erwartende
Verdienst unter Heranziehung der in den Vorjahren erzielten Einkünfte zu schätzen (BSG
SozR Nr 6 zu § 168 RVO; BSGE 23, 129 = SozR Nr 49 zu § 165 RVO). Entsprechendes
gilt bei selbstständig Tätigen, deren Arbeitseinkommen fast immer schwankt (BSGE 23,
129 = SozR Nr 49 zu § 165 RVO; BSG SozR 2200 § 205 Nr 41). Dabei wird nach
ständiger Rechtsprechung zur Beurteilung des regelmäßigen monatlichen
Gesamteinkommens iS des § 205 Abs 1 S 1 Halbs 1 RVO sowie iS des § 10 Abs 1 S 1 Nr
5 SGB V für die auf das Jahr bezogene Prognose von dem bekannten letzten
Jahreseinkommen ausgegangen (vgl BSG SozR 2200 § 205 Nr 41; SozR 3-2500 § 10 Nr
19; SozR 4-2600 § 5 Nr 6; für Einkünfte aus Kapitalvermögen: BSG SozR 2200 § 205 Nr
52).
25 Der Gesetzgeber ist auch in Bezug auf die Einkommensprognose nach § 3 Abs 1 S 1
KSVG davon ausgegangen, dass Rückschlüsse für das voraussichtliche Einkommen
insbesondere aus dem in der Vergangenheit erzielten Einkommen zu ziehen sind. Dies
ergibt sich aus verschiedenen Bestimmungen des Gesetzes: Nach der Regelung des § 3
Abs 3 KSVG bleibt die Versicherungspflicht bestehen, solange das Arbeitseinkommen
nicht mehr als zweimal innerhalb von sechs Kalenderjahren die
Mindestarbeitseinkommensgrenze nach § 3 Abs 1 KSVG nicht übersteigt. Die Regelung
soll einen allzu häufigen und kurzzeitigen Wechsel zwischen Versicherungspflicht und
Versicherungsfreiheit vermeiden. Sie bietet aber zugleich Anhaltspunkte dafür, dass das in
der Vergangenheit erzielte Einkommen für die Einkommensprognose nicht
unberücksichtigt bleiben kann. Insbesondere wenn sich das Arbeitseinkommen aus der
selbstständigen künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit in den letzten Jahren dicht
an der Mindestgrenze des § 3 Abs 1 KSVG bewegte, kann es für eine sachgerechte
Prognose erforderlich sein, das Einkommen der letzten sechs Kalenderjahre zu ermitteln
und bei der Prognose zu berücksichtigen. Durch die recht langen Zeiträume wird auch
dem Umstand Rechnung getragen, dass Künstler möglicherweise längere Zeiträume für
die Fertigstellung und/oder den Verkauf eines Werkes benötigen, dann aber unter
Umständen höhere Gewinne erzielen können. Für den Nachweis der Angaben zur Höhe
des Arbeitseinkommens kann die KSK die Vorlage der erforderlichen Unterlagen,
insbesondere von Einkommensteuerbescheiden oder Gewinn- und Verlustrechnungen,
verlangen (§ 13 S 3 KSVG). Diese Unterlagen beziehen sich regelmäßig auf bereits
vergangene Zeiträume. Es macht aber nur dann einen Sinn, der KSK das Recht zur
Anforderung von Unterlagen aus der Vergangenheit einzuräumen, wenn sie diese für die
Einkommensprognose benötigt, die auch zur Ermittlung der Beitragshöhe erforderlich ist.
Schließlich zeigt auch die Regelung des § 12 Abs 1 S 3 KSVG, dass sich die
Einkommensprognose insbesondere am Einkommen der letzten Jahre orientiert. Nach
dieser Vorschrift haben Versicherte, deren voraussichtliches Arbeitseinkommen in dem in
§ 3 Abs 2 KSVG genannten Zeitraum (regelmäßig drei Jahre nach erstmaliger Aufnahme
der Tätigkeit, verlängert um Zeiten nach Satz 2) mindestens einmal die in § 3 Abs 1 KSVG
genannte Grenze nicht überschritten hat, der ersten Meldung nach Ablauf dieses
Zeitraums vorhandene Unterlagen über ihr voraussichtliches Arbeitseinkommen
beizufügen.
26 Insgesamt haben für eine vorausschauende Betrachtung regelmäßig die unmittelbar
zurückliegenden Jahre eine größere Bedeutung als die weiter zurückliegende
Vergangenheit, und Einkommensentwicklungen ist angemessen Rechnung zu tragen.
27 cc) Eine von den Verhältnissen der Vergangenheit abweichende Einschätzung ist aber
geboten, wenn Verhältnisse dargelegt werden, die das Erzielen hiervon abweichender
Einkünfte nahelegen. Dabei sind grundsätzlich alle Verhältnisse heranzuziehen, die mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind und die Einfluss auf das
voraussichtliche Arbeitseinkommen haben. Hierbei wird von der Rechtsprechung in
anderen Zusammenhängen keine alle Eventualitäten berücksichtigende genaue
Vorhersage gefordert, sondern lediglich eine ungefähre Einschätzung, welches
Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen nach der bisherigen Übung mit hinreichender
Sicherheit zu erwarten ist (vgl BSG SozR 4-2600 § 5 Nr 6 mwN). Lediglich vage
Verdienstaussichten ohne jegliche Verbindlichkeit können - wenn sich in den
vergangenen Jahren keine gewinnbringenden Verdienste realisieren ließen - nur dann bei
einer Prognose positiv berücksichtigt werden, wenn objektive Umstände solche
Verdienstaussichten hinreichend wahrscheinlich machen. Dabei ist zu berücksichtigen,
wie häufig und mit welcher Differenz die Mindestgrenze in den letzten Jahren verfehlt
wurde und welche Veränderungen der Verhältnisse bessere Verdienstaussichten
nahelegen. Denn erforderlich ist, dass die Möglichkeit von Verdiensten oberhalb der
Mindestgrenze näher liegt als ein Einkommen unterhalb dieser Grenze.
28 dd) Maßgebend sind die Verhältnisse zur Zeit der Prognoseentscheidung. Nach § 12 Abs
3 S 1 KSVG sind Änderungen in den Verhältnissen, die für die Ermittlung des
voraussichtlichen Jahreseinkommens maßgebend waren, auf Antrag mit Wirkung vom
Ersten des Monats an zu berücksichtigen, der auf den Monat folgt, in dem der Antrag bei
der KSK eingeht. Dies gilt entsprechend, wenn das Jahresarbeitseinkommen geschätzt
worden ist (§ 12 Abs 3 S 2 KSVG). Neue Unterlagen, die eine treffsicherere Prognose
erlauben oder zeigen, dass das prognostizierte Einkommen tatsächlich nicht erzielt wurde,
können daher nur zukunftsbezogen berücksichtigt werden.
29 Für - richtige - Prognosen gilt ohnehin grundsätzlich, dass sie für die Vergangenheit auch
dann maßgebend bleiben, wenn sie sich im Nachhinein infolge nicht vorhersehbarer
Umstände als unzutreffend erweisen. Solche Umstände können die
versicherungsrechtliche Stellung dann nicht in die Vergangenheit hinein verändern.
Stimmt die - richtige - Prognose mit dem späteren Verlauf nicht überein, so kann das
jedoch Anlass für eine neue Prüfung und - wiederum vorausschauende - Betrachtung sein
(vgl BSG SozR Nr 6 zu § 168 RVO; SozR 2200 § 1228 Nr 1; SozR 3-2500 § 10 Nr 19;
SozR 4-2600 § 5 Nr 6).
30 Grundlage der Prognose können daher nur bis zum Abschluss des
Verwaltungsverfahrens, also spätestens bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides
erkennbare Umstände sein. Maßgebend ist der aufgrund der Angaben des Antragstellers
bzw Versicherten verfahrensfehlerfrei ermittelte Kenntnisstand der Verwaltung (vgl BSG
SozR 4-7833 § 6 Nr 4 RdNr 16).
31 Allerdings ist die Prognoseentscheidung der Sozialverwaltung bezüglich des
voraussichtlichen Arbeitseinkommens gerichtlich voll überprüfbar. Der Sozialverwaltung
steht dabei kein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zu (vgl hierzu zB Wagner in:
jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2011, § 39 RdNr 34). Die Gerichte haben insbesondere zu prüfen,
ob die Grundlagen für die Prognose richtig festgestellt und alle in Betracht kommenden
Umstände hinreichend und sachgerecht gewürdigt sind (vgl BSGE 112, 90 = SozR 4-2500
§ 95 Nr 26; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 162 RdNr
3a).
32 ee) Nach diesen Grundsätzen war die Einschätzung der Klägerin, sie werde im Jahre
2007 ein Arbeitseinkommen von mehr als 3900 Euro erzielen, mit den Verhältnissen
unvereinbar, die ihr als Grundlage für ihre Meldung bekannt waren, und die Beklagte
durfte deshalb das voraussichtliche Arbeitseinkommen unterhalb des Mindesteinkommens
von 3900 Euro einschätzen.
33 (1) Die Versicherungspflicht konnte nicht nach § 3 Abs 3 KSVG bestehen bleiben, weil das
Arbeitseinkommen der Klägerin schon in den letzten fünf Kalenderjahren (2002 bis 2006)
die Mindesteinkommensgrenze nicht mehr erreicht hatte.
34 (2) Das Arbeitseinkommen der Klägerin aus selbstständiger künstlerischer Tätigkeit
verfehlte in den letzten fünf Jahren vor Feststellung der Versicherungsfreiheit die
Mindesteinkommensgrenze des § 3 Abs 1 KSVG deutlich, ohne dass eine positive
Einkommensentwicklung erkennbar gewesen wäre. Die Klägerin konnte lediglich im Jahr
2002 positive Einkünfte in Höhe von 1713 Euro erzielen; für die Jahre 2003 bis 2005
weisen die Einkommensteuerbescheide durchgängig negatives Arbeitseinkommen aus,
und auch aus der Gewinnermittlung für 2006 ergab sich ein negatives Einkommen. Vor
diesem Hintergrund waren Ermittlungen für weiter zurückliegende Zeiträume nicht mehr
erforderlich. Wegen der deutlichen Verfehlung der Mindestgrenze konnten weiter
zurückliegende Zeiträume für die Prognose außer Betracht bleiben, da den unmittelbar
zurückliegenden fünf Jahren für die vorausschauende Betrachtung eine größere
Bedeutung zukommen als der weiter zurückliegenden Vergangenheit. Umstände, nach
denen bei dieser Sachlage Einkommensmöglichkeiten ab 1.4.2007 oberhalb der
Mindestgrenze näher lagen als ein Einkommen unterhalb dieser Grenze, waren zur Zeit
der Verwaltungsentscheidung nicht ersichtlich.
35 (3) Bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens hat die Klägerin von (nur) einem
Atelierumzug 2004/2005 berichtet und auf die damit verbundenen Kosten sowie die
Neupositionierung auf dem Markt hingewiesen. Besondere Kosten in den Jahren
2004/2005, bei deren Wegfall das Erreichen oder Überschreiten der
Mindesteinkommensgrenze nahe läge, lassen sich den Einkommensteuerbescheiden
nicht entnehmen, denn die Klägerin hat in den Jahren 2003 und 2006 Verluste in ähnlicher
Höhe erzielt wie 2004/2005.
36 (4) Die Klägerin hat auch nicht nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen die mit
dem Atelierumzug verbundene Neupositionierung ab 1.4.2007 ein Arbeitseinkommen
oberhalb der Mindestgrenze nahe legen könnte. Es kann offenbleiben, ob das im Rahmen
des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vorgelegte Unternehmenskonzept einer
Diplombetriebswirtin der Beklagten noch vor Erlass des Widerspruchsbescheides
zugegangen ist, da selbst unter dessen Berücksichtigung eine Einkommensprognose
oberhalb der Mindestgrenze nicht gerechtfertigt war. Das Unternehmenskonzept trägt eine
solche Prognose nicht, da die dort zugrunde gelegten Einnahmen für das erste Halbjahr
2007 in Höhe von 5100 Euro im Widerspruch zu den für diesen Zeitraum zeitgleich
vorgelegten Rechnungen über lediglich 3600 Euro stehen. Denn es ist nicht ersichtlich,
worauf - neben Einnahmen aus Verkäufen - eine Einkommenserwartung noch basieren
könnte. Werden der Prognose für das erste Halbjahr 2007 lediglich Einnahmen in Höhe
der vorgelegten Rechnungen zugrunde gelegt, wird die Mindesteinkommensgrenze im
Jahr 2007 nicht erreicht, auch wenn für das zweite Halbjahr die von der
Diplombetriebswirtin prognostizierten Zahlen übernommen werden. Denn unter
Berücksichtigung der prognostizierten Ausgaben in Höhe von 6600 Euro war im Zeitpunkt
der Vorlage der Unterlagen für 2007 lediglich ein Einkommen von etwa 3000 Euro zu
erwarten (Einnahmen 1. Halbjahr: 3600 Euro plus Einnahmen 2. Halbjahr: 6000 Euro
minus Ausgaben: 6600 Euro). Insoweit sind die Feststellungen des LSG im
Revisionsverfahren unangegriffen geblieben und daher bindend. Eine Änderung der
Vermarktungs- und Verkaufsstrategie durch einen Atelierumzug und ein neues
Vermarktungskonzept führen nicht zu einer Einkommensprognose oberhalb der
Mindestgrenze, wenn unter Berücksichtigung des dazu erstellten Unternehmenskonzeptes
und der nach der Umstellung tatsächlich erzielten Einnahmen Verdienste oberhalb der
Mindestgrenze nicht zu erwarten sind.
37 (5) Der Senat hat bereits entschieden (Urteil vom 28.11.2013 - B 3 KS 2/12 R - zur
Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen), dass eine Einkommensprognose über
der Geringfügigkeitsgrenze nicht allein auf den Bekanntheitsgrad eines Künstlers oder die
Anerkennung seiner Werke in Fachkreisen gestützt werden kann, wenn in den letzten
Jahren trotz des Bekanntheitsgrades und der fachlichen Anerkennung lediglich Verluste
erzielt wurden und eine positive Einkommensentwicklung nicht erkennbar ist. Denn
Bekanntheit und Anerkennung durch Andere stellen regelmäßig keine plötzlichen
Ereignisse dar, sondern gehen regelmäßig mit einer entsprechenden Entwicklung einher.
Das Einkommen der Klägerin aus den letzten Jahren lässt aber keine Entwicklung in der
Weise erkennen, dass bei weiterem stetigem Verlauf voraussichtlich ein Einkommen
oberhalb der Mindestgrenze zu erwarten wäre.
38 (6) Dass sich die Prognose nicht verwirklicht hat, weil im später erstellten
Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 tatsächlich Einkünfte oberhalb der
Geringfügigkeitsgrenze ausgewiesen sind, ändert am Ergebnis nichts, denn die - richtige -
Prognose bleibt für die Vergangenheit maßgebend. Die versicherungsrechtliche Stellung
wird dadurch nicht in die Vergangenheit hinein verändert. Die Beklagte wird jedoch - wie
bereits ausgeführt - zu prüfen haben, ob und ggf ab wann aufgrund des
Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2007 Anlass für eine neue Prüfung und -
wiederum vorausschauende - Betrachtung für eine erneute Feststellung der
Versicherungspflicht in der KSV bestand.
39 d) Die Aufhebung des Verwaltungsaktes zur Feststellung der Versicherungspflicht mit
Wirkung ab 1.4.2007 war rechtmäßig. Der Bescheid vom 23.5.1986 war nach § 48 SGB X
iVm § 8 Abs 2 KSVG mit Wirkung vom Ersten des Monats an aufzuheben, der auf den
Monat folgt, in dem die KSK von der Änderung Kenntnis erhält; denn ein Fall des § 8 Abs
2 S 1 KSVG liegt nicht vor. Nach der Anhörung der Klägerin musste die Beklagte, als ihre
weitere Nachfrage vom 30.1.2007 nach Belegen zur aktuellen Einkommenssituation bis
zum Erlass des Aufhebungsbescheides am 20.3.2007 unbeantwortet blieb, davon
ausgehen, dass Belege, die eine Einkommensprognose oberhalb der Mindestgrenze für
das Kalenderjahr 2007 rechtfertigen könnten, nicht beigebracht werden, und hatte damit
seit diesem Zeitpunkt Kenntnis von der Änderung der Verhältnisse.
40 4. Diese Auslegung der §§ 3, 8 und 12 KSVG verletzt die Klägerin nicht in ihren
Grundrechten. Von Verfassungs wegen ist insbesondere eine andere Auslegung der
Vorschriften über die Versicherungsfreiheit bei mehrfacher Unterschreitung der
Geringfügigkeitsgrenze von 3900 Euro nicht geboten. Wie alle Grundrechte begründet
auch die nach Art 5 Abs 3 GG geschützte Kunstfreiheit zunächst und vor allem ein
Abwehrrecht gegen hoheitliche Eingriffe in den jeweiligen Schutzbereich. Konkrete
Pflichten des Staates, Kunst oder Künstler zu fördern, ergeben sich daraus nicht. Zwar
enthält das Grundrecht auch eine wertentscheidende Grundsatznorm, weil sich aus ihm
die Staatszielbestimmung eines Kulturstaates ergibt, mit der Aufgabe, ein freiheitliches
Kunst- und Wissenschaftsleben zu erhalten und zu fördern. Dabei verbleibt dem
Gesetzgeber aber insbesondere im Hinblick auf Förderpflichten bzw
sozialversicherungsrechtliche Schutzpflichten ein weiter Gestaltungsspielraum. Soweit der
Gesetzgeber eine Förderung vornimmt, steht das Verfahren und die Gleichbehandlung der
Betroffenen nach Art 3 Abs 1 GG im Vordergrund (vgl hierzu zB BVerfGE 36, 321, 331 ff;
Wittreck in: Dreier, Grundgesetz, 3. Aufl 2013, Art 5 III (Kunst) RdNr 4, 33, 69 ff mwN;
Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 5 RdNr 105 ff, 110a f mwN). Gleiches gilt
für die sozialversicherungsrechtliche Absicherung der Künstler. Die Versicherungsfreiheit
der Klägerin ist nicht an den Kunstbegriff oder eine bestimmte Form der Kunst geknüpft. §
3 Abs 1 S 1 KSVG bindet die Sozialversicherung nach dem KSVG vielmehr an ein mit der
selbstständigen künstlerischen Tätigkeit zu erzielendes Mindesteinkommen. Nach der
Gesetzesbegründung (BT-Drucks 9/26, S 18, betreffend das KSVG in der ursprünglichen
Fassung vom 27.7.1981, BGBl I 705) ist die Versicherungsfreiheit nach § 3 Abs 1 S 1
KSVG an die allgemeinen Bestimmungen des Sozialversicherungsrechts angelehnt, nach
denen geringfügige Beschäftigung prinzipiell versicherungsfrei ist, und trägt der
Besonderheit Rechnung, dass Einkommen aus selbstständiger künstlerischer oder
publizistischer Tätigkeit außerordentlichen Schwankungen unterliegen können. Die
Geringfügigkeitsgrenze wird deshalb nicht - wie sonst üblich - auf einen Monat, sondern
auf ein Jahr bezogen. Zudem gelten Ausnahmen für Berufsanfänger (§ 3 Abs 2 KSVG)
und solange das Arbeitseinkommen nicht mehr als zweimal innerhalb von sechs
Kalenderjahren die Mindestarbeitseinkommensgrenze nicht übersteigt (§ 3 Abs 3 KSVG).
Eine darüber hinausgehende sozialversicherungsrechtliche Absicherung geringfügiger
Beschäftigung oder Tätigkeit im künstlerischen/publizistischen Bereich ist
verfassungsrechtlich gerade im Hinblick auf eine Gleichbehandlung mit anderen
geringfügig Tätigen nicht geboten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass insbesondere
der volle Versicherungsschutz in der Kranken- und Pflegeversicherung bei einem nach
geringfügigem Einkommen bemessenen Beitrag eine erhebliche Anforderung an die
Solidargemeinschaft darstellt.
41 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.