Urteil des BSG vom 15.11.2007

BSG: verordnung, krankenkasse, leistungserbringer, versorgung, vertragsarzt, physikalische therapie, behandlungsvertrag, ergänzung, krankengymnastik, vergütung

Bundessozialgericht
Urteil vom 15.11.2007
Sozialgericht Darmstadt S 13 KR 176/03
Hessisches Landessozialgericht L 8 KR 23/06
Bundessozialgericht B 3 KR 4/07 R
Auf die Revisionen der Kläger werden die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 19. Oktober 2006 und
des Sozialgerichts Darmstadt vom 11. März 2005 geändert und die Beklagte verurteilt, an die Kläger 266,38 Euro
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28. Dezember 2001 zu
zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen. Der Streitwert wird auf 266,38 Euro
festgesetzt.
Gründe:
I
1
Streitig ist die Vergütung einer krankengymnastischen Behandlung.
2
Die Kläger betreiben gemeinschaftlich eine physiotherapeutische Praxis und sind gemäß § 124 SGB V zur
Versorgung der Versicherten der beklagten Krankenkasse mit physiotherapeutischen Leistungen zugelassen. Am
23.8.2001 verordnete ein Vertragsarzt einer Versicherten, die ein künstliches Kniegelenk erhalten hatte, "zehnmal
stabilisierende Krankengymnastik einzeln, zweimal wöchentlich - Doppelstunden erforderlich". Als Diagnose wurde
eine "Knie-TEP links" und als Therapieziel "Beseitigen der Gelenkfunktionsstörungen, Schmerzreduktion" angegeben.
Ferner war "2. Folgeverordnung" in der Rubrik "Verordnung nach Maßgabe des Kataloges (Regelfall)" angekreuzt. Die
Rubriken "Verordnung außerhalb des Regelfalls" und "Medizinische Begründung bei Verordnungen außerhalb des
Regelfalls" enthielten keine Eintragungen. Diese Heilmittelverordnung legte die Versicherte auf Rat der Kläger der
Beklagten zur Genehmigung vor, die der Versicherten daraufhin mit Schreiben vom 4.9.2001 mitteilte, die Verordnung
müsse nicht genehmigt werden. Die Kläger führten in der Zeit vom 31.8. bis zum 2.10.2001 die verordneten 10
Doppelbehandlungen Krankengymnastik (= 20 Einheiten) durch und stellten der Beklagten hierfür einen Betrag von
521 DM (jetzt: 266,38 Euro) in Rechnung.
3
Mit Schreiben vom 18.12.2001 lehnte die Beklagte die Begleichung der Rechnung ab, weil die Verordnung keine
Leitsymptomatik angebe und nach dem Indikationenkatalog nur maximal 10, nicht aber 20 Leistungen abrechenbar
seien. Nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt wurde die Verordnung um die Leitsymptomatik
"Bewegungsstörung" ergänzt. Die Beklagte lehnte die Vergütung der Behandlungen dennoch weiterhin ab.
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Im Klageverfahren haben die Kläger geltend gemacht, der Arzt habe ausdrücklich zehn Doppelstunden
Krankengymnastik verordnet, weil dies medizinisch notwendig gewesen sei. Ein Arzt sei nach den Heilmittelrichtlinien
(HMR) auch berechtigt, im Einzelfall aus medizinischen Gründen von den dort vorgesehenen "Regelfällen"
abzuweichen, und müsse sich dabei lediglich im Rahmen der nach den HMR grundsätzlich verordnungsfähigen
Leistungen bewegen, was hier geschehen sei. Einem Physiotherapeuten stehe kein Recht zur Prüfung der
Notwendigkeit einer ärztlich angeordneten Maßnahme zu. Außerdem habe die Beklagte erklärt, dass die ihr zur
Genehmigung vorgelegte Verordnung nicht genehmigt werden müsse.
5
Die Beklagte ist dem entgegengetreten und meint, nach § 2 der ab 1.7.2001 geltenden "Vereinbarung über
Vergütungssätze für physiotherapeutische Leistungen (Krankengymnastik und physikalische Therapie) durch
Krankengymnasten/Physiotherapeuten, Masseure, Masseure und medizinische Bademeister in Hessen" vom
13.8.2001 (im Folgenden: Vergütungsvereinbarung) entstehe der Vergütungsanspruch nur, wenn der Physiotherapeut
die Leistungen aufgrund einer gültigen vertragsärztlichen Verordnung erbringe, woran es hier fehle. Die Überprüfung
einer Verordnung durch den Leistungserbringer greife nicht in die vertragsärztliche Behandlungsfreiheit ein, sondern
habe lediglich zur Folge, dass sich der Leistungserbringer mit dem verordnenden Arzt in Verbindung setzen müsse.
Im Übrigen könne aus ihrer "Kurzmitteilung" vom 4.9.2001 über die nicht bestehende Genehmigungsbedürftigkeit der
Verordnung keine Genehmigung der Behandlung abgeleitet werden.
6
Das Sozialgericht (SG) hat die Klagen abgewiesen (Urteil vom 11.3.2005). Das Landessozialgericht (LSG) hat die
Berufungen der Kläger zurückgewiesen (Urteil vom 19.10.2006). Es hat ausgeführt, nach § 2 Vergütungsvereinbarung
sei der Vergütungsanspruch nicht entstanden, weil die vertragsärztliche Verordnung vom 23.8.2001 nicht gültig
gewesen sei. Die Kläger hätten die Leistungen nur dann ohne Genehmigung der Beklagten erbringen dürfen, wenn
maximal 10 Therapieeinheiten verordnet worden wären, also nach den HMR ein - genehmigungsfreier - "Regelfall"
vorgelegen hätte. Die verordneten 10 Doppelstunden entsprächen aber 20 Therapieeinheiten, sodass die Verordnung
als Ausnahmefall ("Verordnung außerhalb des Regelfalles") hätte gekennzeichnet werden und eine medizinische
Begründung für die Abweichung vom Regelfall hätte enthalten müssen, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Die
Pflicht der Leistungserbringer, ihnen vorgelegte vertragsärztliche Verordnungen auf ihre Gültigkeit zu überprüfen,
ergebe sich aus den Regelungen der Vergütungsvereinbarung; ein Verstoß gegen höherrangiges Recht sei nicht
ersichtlich. Der Vergütungsanspruch sei hier auch nicht dadurch entstanden, dass die Beklagte eine Vergütung im
Einzelfall zugesagt habe. Das Schreiben der Beklagten vom 4.9.2001 habe sich nur an die Versicherte und nicht an
die Leistungserbringer gerichtet.
7
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 125 SGB V, § 69 SGB V iVm § 611 BGB). Als
Leistungserbringer seien sie nur verpflichtet gewesen, die Verordnung auf ihre Genehmigungsfreiheit bzw
Genehmigungsbedürftigkeit hin zu überprüfen, was auch geschehen sei. Im Übrigen habe die Beklagte mit dem
Schreiben vom 4.9.2001 die verordnete krankengymnastische Behandlung selbst als nicht genehmigungsbedürftigen
Regelfall eingestuft. Deshalb sei der Beklagten auch ihnen gegenüber die Berufung auf Einwände gegen die Gültigkeit
der Verordnung verwehrt.
8
Die Kläger beantragen, die Urteile des Hessischen LSG vom 19.10.2006 und des SG Darmstadt vom 11.3.2005 zu
ändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 266,38 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.12.2001 zu zahlen.
9
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.
II
10
Die Revisionen der Kläger sind begründet. Ihnen steht ein Vergütungsanspruch in Höhe von 521 DM bzw 266,38 Euro
(20 x 26,05 DM = 521 DM) nebst Zinsen gegen die Beklagte für die krankengymnastische Behandlung der
Versicherten mit 20 Therapieeinheiten in 10 Doppelstunden in der Zeit vom 31.8. bis zum 2.10.2001 zu. Die
Vorinstanzen haben den Vergütungsanspruch zu Unrecht verneint.
11
1) Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die
Kläger verfolgen ihr Begehren zulässigerweise durch allgemeine Leistungsklagen nach § 54 Abs 5 SGG. Zwischen
den Beteiligten besteht im Rahmen der Versorgung der Versicherten mit Heilmitteln in Form krankengymnastischer
Behandlungen (§ 32 SGB V) ein Gleichordnungsverhältnis, weil § 125 SGB V sowohl in der hier noch maßgeblichen,
bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes vom 23.6.1997 (BGBl I 1520) als auch in
den späteren Fassungen des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) sowie des GKV-
Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG) vom 26.3.2007 (BGBl I 378, gültig ab 1.4.2007) eine vertragliche
Regelung der Beziehungen zwischen Krankenkassen und zugelassenen Heilmittelerbringern (§ 124 SGB V) vorsieht,
zu denen die Kläger bei der Versorgung der Versicherten mit Leistungen der Physiotherapie gehören. Eines
Vorverfahrens bedurfte es nicht.
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2) In der Sache haben die Revisionen der Kläger Erfolg. Die Entscheidungen der Vorinstanzen verstoßen gegen
Bundesrecht (§ 162 SGG). Die Kläger machen zu Recht einen Vergütungsanspruch für die streitige
krankengymnastische Behandlung der Versicherten gegen die Beklagte geltend. Die Vergütungsansprüche beruhen
auf einem öffentlich-rechtlichen, als Dienstvertrag einzustufenden Behandlungsvertrag (BSGE 77, 219 = SozR 3-2500
§ 124 Nr 3) nach § 69 SGB V iVm § 611 BGB. Rechtsgrundlagen des Vergütungsanspruchs sind § 611 BGB iVm §
125 SGB V und § 2 Vergütungsvereinbarung sowie die "Gemeinsamen Rahmenempfehlungen gemäß § 125 Abs 1
SGB V über die einheitliche Versorgung mit Heilmitteln" vom 1.8.2001 (im Folgenden: Rahmenempfehlungen). Die
Anwendung der Bestimmungen des "jeweils gültigen Rahmenvertrages" einschließlich aller etwaigen Nachträge sowie
der jeweils gültigen Vergütungsvereinbarungen haben die Klägerin zu 1) am 13.5.1995 und der Kläger zu 2) am
9.5.1995 in "Verpflichtungsscheinen" erklärt. Die vertragsärztliche Verordnung ist nach § 2 Nr 1 Satz 2
Vergütungsvereinbarung nur gültig gemäß den jeweils geltenden HMR nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V und deren
Anlagen. Die Rahmenempfehlungen regeln nach § 1 Abs 1 die "Sicherstellung einer wirksamen und wirtschaftlichen
ambulanten Versorgung mit Heilmitteln" ebenfalls "unter Berücksichtigung der jeweils geltenden HMR". Damit sind die
- ab 1.7.2001 geltenden - HMR vom 16.10.2000 auch für die Kläger als Leistungserbringer verbindlich. Für die
Versicherten, die Krankenkassen, die Krankenhäuser und die an der ambulanten ärztlichen Versorgung teilnehmenden
Leistungserbringer sind die HMR bereits nach § 91 Abs 9 SGB V verbindlich. Gemäß § 2 Ziffer 4 der
Vergütungsvereinbarung werden Leistungen von der Krankenkasse nur vergütet, wenn sie entsprechend den
Abgabebedingungen dieser Vereinbarung und den jeweils gültigen Gemeinsamen Rahmenempfehlungen gemäß § 125
Abs 1 SGB V über die einheitliche Versorgung mit Heilmitteln einschließlich der zugehörigen Anlagen erbracht
werden.
13
a) Mit der Neufassung des § 69 SGB V durch Art 1 Nr 26 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000) vom 22.12.1999 (BGBl I 2626) hat der Gesetzgeber
klargestellt, dass die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern ab dem 1.1.2000
ausschließlich öffentlichem Recht unterliegen (vgl BSGE 89, 24 = SozR 3-2500 § 69 Nr 1). Jedoch ordnet § 69 Satz 3
SGB V (ab 1.4.2007 inhaltsgleich § 69 Satz 4 SGB V) die entsprechende Anwendung der Vorschriften des Zivilrechts
an, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem 4.
Kapitel des SGB V (§§ 69 bis 140h SGB V) vereinbar sind. Die Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und
den zugelassenen Heilmittelerbringern (§ 124 SGB V) sind daher ab 2000 sowohl bezüglich des allgemeinen
Versorgungsvertrages (§ 125 SGB V) als auch bezüglich der in jedem Einzelfall abzuschließenden
Behandlungsverträge (Dienstverträge) öffentlich-rechtlich geprägt. Die Vergütungsansprüche der Kläger gegen die
Beklagte gründen sich daher nicht unmittelbar auf § 611 Abs 1 BGB, sondern nur auf die entsprechende Anwendung
dieser Vorschrift im Leistungserbringerrecht (§ 69 SGB V).
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b) Der Anspruch eines Versicherten auf Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Heilmitteln (§ 27 Abs 1 Nr
3 SGB V), und zwar nach Maßgabe des § 32 SGB V. Dieser Versorgungsanspruch ist von der Krankenkasse
prinzipiell in Form einer Sachleistung (§ 2 Abs 2 Satz 1 SGB V) zu erbringen, wobei die Versicherten nach § 32 Abs 2
iVm § 61 Satz 3 SGB V in der Regel eine Zuzahlung zu leisten haben. Die Zuzahlung steht der Krankenkasse zu, ist
aber vom Heilmittelerbringer einzuziehen (§ 43b Abs 1, § 61 Satz 4 SGB V). Im vorliegenden Fall war die Versicherte
von Zuzahlungen befreit (§ 62 SGB V); sie hat demgemäß auch keine Zuzahlung entrichtet.
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c) Ein Heilmittel-Behandlungsvertrag zwischen dem Leistungserbringer und der Krankenkasse kommt dadurch
zustande, dass dem Leistungserbringer nach Maßgabe der vertragsärztlichen Verordnung ein Angebot der
Krankenkasse zu einer bestimmten Heilmittelabgabe unterbreitet wird und der Leistungserbringer das Vertragsangebot
durch Entgegennahme der Verordnung zwecks Behandlungsbeginn annimmt (§§ 145 ff BGB). Da die Krankenkasse
dabei in aller Regel nicht selbst mit dem Leistungserbringer in Kontakt tritt, muss sie bei Abgabe des Angebots durch
einen Bevollmächtigten vertreten werden (§ 164 BGB). Wie der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden hat,
wird die Krankenkasse im Heilmittelbereich bei der Konkretisierung des Hilfsmittelanspruchs durch den Vertragsarzt
vertreten, dessen vertragsärztliche Verordnung das Angebot verkörpert (BSG SozR 3-2500 § 19 Nr 2; BSGE 73, 271,
277 = SozR 3-2500 § 13 Nr 4), während der Versicherte als Überbringer der Verordnung als Bote fungiert, selbst aber
Vertreter ist, soweit er den Leistungserbringer auswählt (§ 6 Abs 1 Rahmenempfehlungen; ebenso BSGE 94, 213 =
SozR 4-5570 § 30 Nr 1 für die Versorgung mit Arzneimitteln).
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aa) Der Umfang der Vertretungsmacht des Vertragsarztes hängt dabei davon ab, ob sich die Krankenkasse die
Zustimmung zu der verordneten Heilmittelbehandlung vorbehalten hat oder nicht. Bei vertragsärztlichen Verordnungen,
die einen "Regelfall" iS der HMR darstellen, bedarf es keiner zusätzlichen Genehmigung der Krankenkasse, um die
Leistungen zu Lasten der Krankenkasse an den Versicherten abzugeben (§ 18 Rahmenempfehlungen iVm Teil I
Abschnitt II Nr 11 HMR). Ein Regelfall geht danach von der Vorstellung aus, dass mit dem der Indikation
zugeordneten Heilmittel und den entsprechenden Verordnungsmengen das angestrebte Therapieziel typischerweise
erreicht werden kann. Eine Heilmittelverordnung im Regelfall liegt dann vor, wenn die Auswahl zwischen den im
jeweiligen Abschnitt des Heilmittelkataloges angegebenen Heilmitteln getroffen und die dort für eine bestimmte
Diagnose/Leitsymptomatik festgelegte Verordnungsmenge nicht überschritten wird. Heilmittelverordnungen außerhalb
des Regelfalls sind - bis auf die in den Richtlinien genannten Ausnahmen - nicht zulässig (Teil I Abschnitt II Nr 11.1
Abs 1 HMR). Verordnet ein Vertragsarzt aus medizinischen Gründen eine den Regelfall überschreitende, aber als
Ausnahme nach den HMR zugelassene umfangreichere Behandlung, hat er auf der Verordnung dafür eine besondere
Begründung, ggf mit prognostischer Einschätzung, abzugeben (Teil I Abschnitt II Nr 11.1 und 11.4 HMR). Solche
begründungspflichtigen Verordnungen sind der zuständigen Krankenkasse vor Fortsetzung der Therapie zur
Genehmigung vorzulegen. Verzichtet die Krankenkasse auf die Vorlage für bestimmte Ausnahmefälle, hat sie darüber
die Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) schriftlich zu informieren (Teil I Abschnitt II Nr 11.5 HMR).
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bb) Eine vertragsärztliche Verordnung kann nach § 2 Nr 1 Satz 2 Vergütungsvereinbarung allerdings nur dann die
Zahlungspflicht der Krankenkasse auslösen, wenn sie gültig ist. Danach ist die Verordnung nur gültig "gemäß den
jeweils geltenden HMR und deren Anlagen". Dies bezieht sich insbesondere auf Teil VI der HMR, der den Inhalt und
die Durchführung der Heilmittelverordnung regelt, und wird konkretisiert in § 18 Abs 1 Rahmenempfehlungen:
"Diagnose, Leitsymptomatik, ggf Spezifizierung des Therapieziels, Art, Anzahl und ggf Frequenz der Leistungen
ergeben sich aus der vom Vertragsarzt ausgestellten Verordnung. Die vertragsärztliche Verordnung kann ausgeführt
werden, wenn diese für die Behandlung erforderlichen Informationen enthalten sind. Zur Abgabe dieser Leistungen ist
der zugelassene Heilmittelerbringer dann entsprechend der Leistungsbeschreibung (vgl § 8) berechtigt und
verpflichtet". Die vertragsärztliche Verordnung kann also nicht in jedem Fall, sondern nur bei Erfüllung der in § 18 Abs
1 Rahmenempfehlungen festgelegten formellen Voraussetzungen als wirksame Verkörperung des Vertragsangebots
der Krankenkasse angesehen werden. Dabei müssen diese Angaben grundsätzlich schon bei Beginn der Behandlung
in der Verordnung aufgeführt sein, während die dort nicht gesondert aufgeführten Angaben, die nach Teil I Abschnitt
VI HMR gemacht werden müssen, grundsätzlich nachholbar sind. Ist die Verordnung nicht vollständig oder unklar
ausgefüllt, hat der Leistungserbringer sich unverzüglich mit dem Vertragsarzt in Verbindung zu setzen, um eine die
Anforderungen des § 18 Abs 1 Rahmenempfehlungen erfüllende Verordnung herbeizuführen (vgl Teil VI und VII HMR).
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cc) Weitere Gültigkeitsvoraussetzungen für eine vertragsärztliche Versorgung ergeben sich aus § 2 Nr 2 und 3
Vergütungsvereinbarung.
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Nach § 2 Nr 2 Vergütungsvereinbarung sind die dort im Einzelnen aufgeführten Leistungen nur dann
abrechnungsfähig, wenn auf der ärztlichen Verordnung auch die entsprechende Behandlungstechnik (Bobath-Kinder,
Vojta-Kinder und Bobath, Vojta, PNF) angegeben ist. Ein solcher Behandlungsfall lag hier nicht vor.
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Nach § 2 Nr 3 Vergütungsvereinbarung dürfen Leistungen aufgrund von Langfrist- und Folgeverordnungen
(begründungspflichtige Verordnungen) nur dann abgerechnet werden, wenn diese Verordnungen entsprechende
Kostenübernahmeerklärungen der Krankenkasse enthalten, "falls die einzelne Krankenkasse nicht darauf verzichtet
hat". Dies bezieht sich auf die bereits erwähnte Regelung der HMR (Teil I Abschnitt II Nr 11.5), wonach
begründungspflichtige Verordnungen der zuständigen Krankenkassen vor Fortsetzung der Therapie grundsätzlich zur
Genehmigung vorzulegen sind.
21
d) Mit dem Behandlungsbeginn am 31.8.2001 ist ein schwebend unwirksamer Behandlungsvertrag nach § 69 SGB V
iVm § 611 BGB zwischen den Klägern und der Beklagten zustande gekommen. Die vertragsärztliche Verordnung vom
23.8.2001 verkörperte zu diesem Zeitpunkt noch kein wirksames Angebot der Beklagten, weil sie nicht den
notwendigen Genehmigungsvermerk der Beklagten enthielt und deshalb noch nicht gültig war. Der weitergehende
Einwand der Beklagten, der Vergütungsanspruch sei schon deshalb unbegründet, weil die vertragsärztliche
Verordnung nach § 2 Nr 1 Vergütungsvereinbarung wegen unvollständiger bzw fehlerhafter Ausfüllung durch den Arzt
nicht den HMR und deren Anlagen entspreche, greift indes nicht durch.
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aa) Die in der Verordnung zunächst fehlende Angabe zur "Leitsymptomatik" ist von den Klägern nach Absprache mit
dem Arzt um die Angabe "Bewegungsstörung" ergänzt worden, nachdem die Beklagte das Fehlen dieser Angabe im
Abrechnungsverfahren bemängelt hatte (Schreiben vom 18.12.2001). Nach der Ergänzung durfte die Rechnung erneut
eingereicht werden, wie auch schon im Beanstandungsschreiben vermerkt worden ist. Dieses Verfahren entspricht der
"Protokollnotiz zu den Rahmenempfehlungen" vom 1.8.2001, wonach die Partner der Rahmenempfehlungen sich
darüber einig sind, dass in den ersten sechs Monaten nach Inkrafttreten der HMR für den Fall, dass ein Vertragsarzt
hinsichtlich der Leitsymptomatik eine unvollständige Verordnung ausstellt, der Heilmittelerbringer in "einvernehmlicher
Abstimmung" mit dem Arzt eine Ergänzung dieser Inhalte vornehmen kann (Protokollnotiz zu § 18). Die Angabe zur
Leitsymptomatik durfte in der Übergangszeit bis zum 31.1.2002, um die es hier geht, also zunächst fehlen, ohne dass
die vertragsärztliche Verordnung deswegen ungültig wurde. Die Angabe musste auch nicht vor dem Beginn der
Behandlung ergänzt werden, sondern konnte im Rahmen des Abrechnungsverfahrens noch nachgeholt werden.
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bb) Die nach Teil I Abschnitt VI Nr 22 HMR ebenfalls erforderliche Angabe der "medizinischen Begründung bei
Verordnungen außerhalb des Regelfalls" ist nach § 18 Abs 1 Rahmenempfehlungen kein notwendiger Bestandteil der
Verordnung, der vor Beginn bzw Fortsetzung einer Behandlung vorhanden sein muss. Die Angabe ist lediglich eine
Entscheidungshilfe für die Krankenkasse im Rahmen des Genehmigungsverfahrens bei "Ausnahmefällen". Im
Genehmigungsverfahren hat die Krankenkasse umfassend zu prüfen, ob alle formellen und materiellen
Voraussetzungen für die vom Versicherten beantragte Genehmigung vorliegen. Fehlen dazu notwendige Angaben,
kann sie auf Ergänzung durch den Vertragsarzt bestehen und ggf ablehnen. Wird ohne die Ergänzung einer fehlenden
Angabe die Genehmigung erteilt oder - wie hier - auf die genehmigungsfreie Durchführung der Behandlung als
Sachleistung verwiesen, ist der Leistungserbringer berechtigt, auch ohne diese Angabe die Behandlung weiter als
Sachleistung der Krankenkasse durchzuführen und abzurechnen. Die Krankenkasse ist im Abrechnungsverfahren mit
allen Einwänden gegen die Gültigkeit einer Verordnung ausgeschlossen, die im Genehmigungsverfahren zum
Versagen der Genehmigung hätten führen können, dort aber von der Krankenkasse nicht geltend gemacht worden
sind (§ 242 BGB).
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cc) Die unrichtige Einstufung der Verordnung durch den Vertragsarzt als Regelfall statt als Ausnahmefall, wie es hier
in Form unrichtigen Ankreuzens geschehen ist, berührt die Gültigkeit der Verordnung ebenfalls nicht. Weder die HMR
noch die Rahmenempfehlungen stufen eine derartige Verwechslung als Gültigkeitshindernis ein.
25
Die vertragsärztliche Verordnung vom 23.8.2001 ist somit lediglich deshalb "schwebend unwirksam" gewesen, weil sie
nicht den für Ausnahmefälle nach Teil I Abschnitt II Nr 11.5 HMR und § 2 Nr 3 Vergütungsvereinbarung grundsätzlich
erforderlichen Genehmigungsvermerk der Beklagten enthielt.
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e) Der Behandlungsvertrag ist mit dem Schreiben der Beklagten vom 4.9.2001 rückwirkend rechtswirksam geworden,
weil die vertragsärztliche Verordnung vom 23.8.2001 nunmehr ein wirksames Vertragsangebot der Beklagten
darstellte, das die Kläger durch Entgegennahme der Verordnung und Fortsetzung der Behandlung angenommen
haben. Die Gültigkeit der Verordnung ergibt sich daraus, dass die Beklagte durch ihr Schreiben vom 4.9.2001 auf die
Genehmigung im Einzelfall gegenüber den Klägern als Leistungserbringer verzichtet hatte. Zwar war dieses Schreiben
formell nur an die Versicherte gerichtet; die Beklagte wusste jedoch, musste jedenfalls aber als selbstverständlich
davon ausgehen, dass die Versicherte diese Mitteilung - wie es dann auch geschehen ist - an den von ihr gewählten
Leistungserbringer weiterleiten würde, dem die "Ungültigkeit" der Verordnung wegen der offensichtlichen Abweichung
vom Regelfall aufgefallen war. Damit hat die Beklagte sowohl im Verhältnis zur Versicherten als auch im Verhältnis zu
den Klägern auf den Genehmigungsvermerk als Gültigkeitsvoraussetzung der Verordnung verzichtet. Der Verzicht auf
einen solchen Genehmigungsvermerk bzw die damit verkörperte Kostenübernahmeerklärung ist nach Teil I Abschnitt
II Nr 11.5 HMR in genereller Form und nach § 2 Nr 3 Vergütungsvereinbarung - so hier - auch im Einzelfall zulässig.
Durch den nachträglichen Verzicht auf den Genehmigungsvermerk als Gültigkeitsvoraussetzung ist die
vertragsärztliche Verordnung als von Anfang an gültig zu behandeln, sodass der Behandlungsvertrag mit auf den
Behandlungsbeginn (31.8.2001) rückwirkende Kraft wirksam abgeschlossen werden konnte und die Kläger deshalb
berechtigt waren, die krankengymnastischen Leistungen zu Lasten der Beklagten an die Versicherte abzugeben.
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f) Der Vergütungsanspruch ist auch der Höhe nach begründet. Der geltend gemachte Betrag entspricht den
vereinbarten Sätzen für 20 Therapieeinheiten.
28
3) Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286, 288 BGB. Die Beklagte befand sich mit der Rechnungsbegleichung
spätestens ab 28.12.2001 in Verzug, nachdem die Kläger die fehlende Angabe der Leitsymptomatik auf die
Beanstandung der Beklagten vom 18.12.2001 hin im Einvernehmen mit dem Vertragsarzt ergänzt hatten, die Beklagte
aber die Zahlung dennoch wegen der nicht dem Regelfall entsprechenden Behandlung in Doppelstunden abgelehnt
hatte. Die Berechtigung der nichtärztlichen Leistungserbringer zur Geltendmachung von Verzugszinsen gegenüber den
Krankenkassen entspricht der stRspr des Senats (vgl Urteil vom 3.8.2006 - B 3 KR 7/06 R - SozR 4-2500 § 129 Nr 3).
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4) Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Die
Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs 2, § 47 Abs 1, § 52 Abs 3 Gerichtskostengesetz.