Urteil des BPatG vom 02.06.2014

Stand der Technik, Anhörung, Rückzahlung, Hauptsache

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
9 W (pat) 5/09
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 100 51 354.9-14
hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
2. Juni 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Hilber sowie
der Richter Dipl.-Ing. Bork, Paetzold und Dr.-Ing. Geier
beschlossen:
1. Das Beschwerdeverfahren ist in der Hauptsache erledigt.
2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.
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G r ü n d e
I.
Durch Beschluss vom 16. September 2008 hat das Deutsche Patent- und Mar-
kenamt, Prüfungsstelle für Klasse B 60 K, die am 17. Oktober 2000 eingereichte
Patentanmeldung mit der Begründung zurückgewiesen, der Gegenstand des
Patentanspruchs 1 beruhe nicht auf einer erfinderischer Tätigkeit.
Einen von der Anmelderin wiederholt hilfsweise gestellten Antrag auf Durchfüh-
rung einer Anhörung hat die Prüfungsstelle laut Beschlussbegründung abgewie-
sen, weil bereits in drei Prüfungsbescheiden ausführlich Stellung zu dem Anmel-
dungsgegenstand genommen worden sei und die Ansprüche unverändert geblie-
ben seien. Bei dem vorliegenden überschaubaren technischen Sachverhalt habe
sich somit keine neue Entscheidungsgrundlage ergeben.
Gegen diesen Zurückweisungsbeschluss richtet sich die Anmelderin mit ihrer Be-
schwerde vom 10. Dezember 2008. Damit hat sie auch einen Antrag auf Rückzah-
lung der Beschwerdegebühr gestellt. Hierzu hat sie vorgetragen, dass die Erhe-
bung der Beschwerde bei sachgemäßer Behandlung durch die Prüfungsstelle
vermeidbar gewesen sei. Wäre dem Antrag auf mündliche Anhörung stattgegeben
worden, hätte die Sachlage in einer mündlichen Anhörung besprochen werden
können. Die Durchführung einer Anhörung hätte die Beschwerde unnötig ge-
macht. Die Ablehnung eines Antrags auf mündliche Anhörung käme gem. Schulte,
PatG, 7. Auflage, § 46, Rn. 10 nur ausnahmsweise in Betracht. Aus Sicht der An-
melderin hätten im vorliegenden Fall keine triftigen Gründe für eine Ablehnung
vorgelegen. Grundsätzlich werde eine einmalige Anhörung vor Abschluss des Prü-
fungsverfahrens auch von der Rechtsprechung als sachdienlich angesehen.
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Die Anmelderin sehe den vorliegenden technischen Sachverhalt insbesondere als
nicht so überschaubar an, dass hier kein Raum für weitergehende Erläuterungen
gewesen wäre. Entgegen den Ausführungen der Prüfungsstelle im angegriffenen
Beschluss sei zumindest der unabhängige Anspruch 1 mit den Bescheidserwide-
rungen vom 19. Oktober 2006 und 1. September 2004 geändert worden. Außer-
dem sei der im Zurückweisungsbeschluss als relevant angesehene Stand der
Technik US 5 381 703 A (D 3) erst mit der Bescheidserwiderung vom 19. Okto-
ber 2006 in das Verfahren eingeführt wurde und die DE 195 36 512 A1 (D 4)
erstmalig mit dem Prüfungsbescheid vom 14. Mai 2008 genannt worden.
Mit Schreiben vom 14. Mai 2014, eingegangen beim Bundespatentgericht am
20. Mai 2014 hat die Anmelderin ihre Beschwerde zurückgenommen und bean-
tragt, über die Rückzahlung der Beschwerdegebühr zu entscheiden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde ist in der Hauptsache erledigt, weil die Anmelderin ihre Be-
schwerde zurückgenommen hat. Mit der Rücknahme wird der angefochtene Be-
schluss rechtskräftig (dazu BGH
– in GRUR 2002, 511-515).
2. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist weiterhin zulässig; die
Erledigung der Hauptsache durch Rücknahme der Beschwerde steht ihm nicht
entgegen (§ 80 Abs. 4 PatG, vgl. auch Schulte/Püschel, PatG, 9. Auflage, § 80
Rdn. 114).
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach dem Patentkostengesetz wird
aus Gründen der Billigkeit angeordnet (§ 80 Abs. 3 und 4 PatG).
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Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist veranlasst, wenn es aufgrund beson-
derer Umstände unbillig wäre, die Gebühr einzubehalten. Solche besonderen Um-
stände können u. a. in einem fehlerhaften Verfahren der Prüfungsstelle liegen (vgl.
Schulte/Püschel, PatG, 9. Aufl., § 80 Rdn. 113 ff., § 73 Rdn. 133 ff. m. N. w.), so-
fern der Verfahrensverstoß ursächlich für die Beschwerdeeinlegung war. Diese
Voraussetzungen liegen hier vor.
Die Prüfungsstelle hat verfahrensfehlerhaft gehandelt, indem sie die von der An-
melderin in ihrer Erwiderung vom 19. Oktober 2006 erstmals und in ihrer Erwide-
rung vom 6. August 2008 wiederholt hilfsweise beantragte Anhörung als nicht
sachdienlich abgelehnt und die Patentanmeldung ohne vorherige Anhörung zu-
rückgewiesen hat.
Nach überwiegender Auffassung in der Rechtsprechung ist eine einmalige Anhö-
rung im Prüfungsverfahren vor dem Patentamt grundsätzlich sachdienlich im Sin-
ne der zum Zeitpunkt der Beschlussfassung geltenden, alten Fassung (aF) des
§ 46 Abs. 1 Satz 2 PatG. Denn eine mündliche Erörterung bietet der Anmelderin
und der Prüfungsstelle die Möglichkeit, ihre Auffassungen ausführlich in Rede und
Gegenrede zu erörtern. Das Fachgespräch fördert in der Regel eine Klärung der
Sach- und Rechtslage effektiver als eine schriftliche Auseinandersetzung. Eine
Anhörung kann nur ausnahmsweise als nicht sachdienlich i. S. d. § 46 PatG (aF)
abgelehnt werden, wenn triftige Gründe vorliegen. Beispielsweise kann das der
Fall sein, wenn eine Anmelderin überhaupt keine Bereitschaft zeigt, eine als not-
wendig erachtete Anpassung der Patentansprüche vorzunehmen oder sich mit
den Argumenten der Prüfungsstelle zu befassen. Auch in Fällen, in denen auf-
grund der jeweiligen Umstände des Einzelfalls, keine weitere Aufklärung der Sach-
und Rechtslage durch eine Anhörung zu erwarten ist, liegt ein triftiger Grund vor.
Ein solcher Ausnahmefall war hier jedoch ersichtlich nicht gegeben. Insbesondere
hat die Anmelderin durch ihre konkrete Mitarbeit im Prüfungsverfahren nicht den
Eindruck vermittelt, sich einer inhaltlichen Diskussion entziehen zu wollen. Der
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aktenkundige Verlauf des Prüfungsverfahrens widerspricht eklatant der Ableh-
nungsbegründung, wonach ang
eblich „… die Ansprüche unverändert geblieben
waren.“ (S. 5 des Zurückweisungsbeschlusses, Ziff. 3). Das Gegenteil ist der Fall.
Die Anmelderin hat zu allen Prüfungsbescheiden ausführlich Stellung genommen
und in ihren Erwiderungen vom 1. September 2004 (Bl. 38/39 der DPMA-Akte)
und 19. Oktober 2006 (Bl. 50 bis 55 der DPMA-Akte) geänderte Patentansprüche
eingereicht. Damit hat sie unverkennbar ihre Bereitschaft zum Ausdruck gebracht,
das Patentbegehren auf möglicherweise patentfähige Merkmale auszurichten. Mit
der zuletzt genannten Eingabe hat die Anmelderin zudem selbst einen gattungsbil-
denden Stand der Technik US 5 381 703 A (D 3) eingeführt, den das vorausge-
gangene Prüfungsverfahren nicht aufgedeckt hat. Unter solchen Umständen
drängt sich die Durchführung einer Anhörung geradezu auf.
Da die aus den vorstehenden Gründen fehlerhafte Verfahrensführung der Prü-
fungsstelle somit ursächlich für die Einlegung der Beschwerde war, ist es aus Bil-
ligkeitsgründen veranlasst, die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen.
Hilber
Bork
Paetzold
Dr. Geier
Ko