Urteil des BPatG vom 28.05.2015

Stand der Technik, Patentanspruch, Anhörung, Luftfahrt

BPatG 154
05.11
BUNDESPATENTGERICHT
8 W (pat) 30/12
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
28. Mai 2015
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 10 2008 033 130
- 2 -
hat der 8. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 28. Mai 2015 durch den Vorsitzenden Richter
Dipl.-Phys. Dr. phil. nat. Zehendner
sowie
die
Richter
Dr. agr. Huber,
Dipl.-Ing. Rippel und die Richterin Grote-Bittner
beschlossen:
Die Beschwerde der Einsprechenden wird zurückgewiesen.
G r ü n d e
I.
Auf die am 15. Juli 2008 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereichte
Patentanmeldung ist das Patent 10 2008 033
130 mit der Bezeichnung „Verfahren
zur Herstellung eines Fertigteils aus einem Rohteil mittels eines Fräswerkzeuges“
erteilt und die Erteilung am 11. Februar 2010 veröffentlicht worden.
Gegen das Patent hat die Einsprechende mit Schriftsatz vom 11. Mai 2010, der
am selben Tag beim Deutschen- Patent- und Markenamt eingegangen ist, fristge-
recht Einspruch erhoben und den Widerruf des Streitpatents in vollem Umfang be-
antragt. Als Widerrufsgründe hat die Einsprechende fehlende Patentfähigkeit (§ 21
Abs. 1 Nr. 1 PatG) angegeben und sich dabei auf fehlende Neuheit (§ 3 PatG) und
fehlende erfinderische Tätigkeit (§ 4 PatG) gestützt.
Auf den Einspruch der Einsprechenden hat die Patentabteilung 14 des Deutschen
Patent- und Markenamts mit dem in der Anhörung am 30. März 2011 verkündeten
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Beschluss das Patent aufrechterhalten. Die schriftliche Abfassung des Beschlus-
ses mit Gründen ist am 15. September 2011 erstellt und den Parteien gemäß
Empfangsbestätigungen am 19. September 2011 zugestellt worden. Nach Auffas-
sung der Patentabteilung könne der druckschriftlich entgegengehaltene Stand der
Technik weder für sich noch in Kombination die Merkmale des streitpatentgemä-
ßen Verfahrens nach Patentanspruch 1 vorwegnehmen oder nahelegen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden. Sie
meint, dass das Streitpatent zu widerrufen sei, da es nicht über die Schutzvoraus-
setzungen gemäß §§ 3, 4 PatG verfüge und darüberhinaus das Streitpatent die
vermeintliche Erfindung nicht so deutlich und hinreichend offenbare, dass der
Fachmann sie ausführen könne. Zu dem Widerrufsgrund gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2
PatG führt sie aus, dass die Einsprechende im Verlauf der mündlichen Anhörung
am 30. März 2011 vor der Patentabteilung bereits in Erweiterung ihres Antrags
vom 11. Mai 2010 den weiteren Widerrufsgrund der nicht hinreichend deutlichen
und vollständigen Offenbarung der Erfindung gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG ein-
gebracht habe.
Im Übrigen widerspricht sie der Auffassung der Patentabteilung. Sie hält das an-
gegriffene Patent für nicht rechtsbeständig, weil der Streitpatentgegenstand nach
dem Patentanspruch 1 gegenüber der Entgegenhaltung D2 nicht neu sei, zumin-
dest jedoch nicht in Zusammenschau mit der D1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit
beruhe.
Zur Stützung ihres Einspruchs hat die Einsprechende im Laufe des Verfahrens
folgende Dokumente eingereicht:
D1:
DE 199 03 216A1
D2:
EP 1 034 865 B1
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D3:
Handbuch: CATIA Manufacturing Infrastructure, User´s Guide, Ver-
sion 4, Dassault Systemes 1997, Seiten 70 bis 77
D4:
DE 196 09 239 A1
Die Einsprechende und Beschwerdeführerin beantragt,
den angefochtenen Beschluss der Patentabteilung 14 des Deut-
schen Patent- und Markenamts vom 30. März 2011 aufzuheben
und das Patent 10 2008 033 130 zu widerrufen.
Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Patentinhaberin, die der Einführung des neuen Widerrufsgrundes nach § 21
Abs. 1 Nr. 2 PatG im Beschwerdeverfahren ausdrücklich im Schriftsatz vom
11. Februar 2011 widerspricht, hält die Berücksichtigung dieses Widerrufsgrundes
für unzulässig. Sie bestreitet, dass der neue Widerrufsgrund von der Einsprechen-
den bereits in der Anhörung vor der Patentabteilung am 30. März 2011 vorgetra-
gen worden sei, und verweist hierzu auf das Protokoll der Anhörung sowie die
schriftliche Beschlussbegründung vom 15. September 2011, in denen dieser Wi-
derrufsgrund nicht erwähnt ist. Auch im Übrigen widerspricht sie den Ausführun-
gen der Einsprechenden und führt aus, dass das Verfahren nach dem Patentan-
spruch 1 gegenüber der Entgegenhaltung D2 neu sei und gegenüber den im Ver-
fahren befindlichen Entgegenhaltungen auch auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
Der erteilte Patentanspruch 1 lautet mit einer vom Senat ergänzten Merkmalsglie-
derung:
- 5 -
1.
Verfahren zur Herstellung eines Fertigteils (1) aus einem
Rohteil (2)
2.
mittels eines Fräswerkzeuges (3),
3.
wobei das Fräswerkzeug (3) während des Eintauchens in ein
Material des Rohteils (2) in Bezug auf einen Eintauchweg (4)
abweichend von der Orientierung (5) des Fräswerkzeu-
ges (3) der unmittelbar darauffolgenden Bearbeitung auto-
matisch in Vorschubrichtung und/oder seitlich zur Vorschub-
richtung verschwenkt wird.
Wegen des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 14 wird auf die Akten Bezug ge-
nommen.
Mit Ladungszusatz vom 27. April 2015 sind die Parteien darauf hingewiesen wor-
den, dass das Einspruchsverfahren vor dem Patentamt im Hinblick auf den zwi-
schen Beschlussverkündung und
–abfassung liegenden mehrmonatigen Zeitraum
an einem wesentlichen Verfahrensfehler i. S. d. § 79 Abs. 3 PatG leide, und zum
anderen, dass auf den Einspruchsgrund der unzureichenden Offenbarung als erst-
mals im Beschwerdeverfahren eingeführten Einspruchsgrund nach dem Wider-
spruch der Patentinhaberin nicht einzugehen sein dürfte.
II.
1. Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht
erfolgreich, da der Gegenstand des angegriffenen Patentanspruchs 1 patentfähig
ist.
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2. Eine Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt
war nicht veranlasst.
Das Einspruchsverfahren vor der Patentabteilung des Deutschen Patent- und
Markenamtes leidet zwar an einem wesentlichen Mangel i S. d. § 79 Abs. 3 Nr. 2
PatG, nämlich einem Begründungsmangel, weil zwischen der Verkündung des
angefochtenen Beschlusses am 30. März 2011 und seiner schriftlichen Begrün-
dung am 15. September 2011 mehr als fünf Monate liegen. Nach einer Entschei-
dung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom
27. April 1993 (veröffentlicht in NJW 1993, 2603) ist ein bei Verkündung nicht voll-
ständig abgefasstes Urteil dann nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand
und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung mit allen
Unterschriften schriftlich niedergelegt der Geschäftsstelle übergeben worden ist.
Aufgrund der Rechtsnatur des Einspruchsverfahrens als selbständiges Rechts-
behelfsverfahren, das auch als gerichtsähnliches Verfahren bezeichnet wird (vgl.
Schulte, PatG, 9. Aufl., § 59, Rn. 28, mit weiteren Nachweisen), sind die allgemei-
nen verfahrensrechtlichen Grundsätze
– wie die vorstehend aufgeführten – anzu-
wenden. Jedoch steht die Zurückverweisung nach § 79 Abs. 3 PatG im Ermessen
des Gerichts, das zurückverweisen kann, aber
– selbst bei schweren Verfahrens-
verstößen
– nicht zurückverweisen muss (vgl. BGH BlPMZ 2007, 290 (III2a) – Top
Selection; 1998, 150 (III1a)
– Active Line). Der Senat hat bei seiner Ermessens-
entscheidung Instanzenverlust, Verfahrensverzögerung und ausreichende Prüfung
in der Sache gegeneinander abzuwägen. Bei einer
– wie im vorliegenden Fall –
gegebenen Entscheidungsreife kommt wegen des zu beachtenden Gebots der
Verfahrensökonomie eine Zurückverweisung an das Deutsche Patent- und Mar-
kenamt regelmäßig nicht in Betracht, zumal wenn sogar zudem beide Parteien
ausdrücklich
– wie hier in der mündlichen Verhandlung – bekundet haben, nicht an
einer Zurückverweisung interessiert zu sein.
3. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines Fertigteils aus ei-
nem Rohteil mittels eines Fräswerkzeuges.
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Nach den Ausführungen in Abs. [0002] bis [0005] der Streitpatentschrift ist eine
besondere Bewegungsführung des Fräswerkzeuges in der Regel dann beim Ein-
tauchen des Fräsers in zu bearbeitendes Material von besonderer Bedeutung,
wenn das Fräswerkzeug mit überwiegend stirnseitigem Kontakt axial große Zu-
stelltiefen erreichen muss.
Bei herkömmlichen Verfahren wird das Material am Startpunkt in einer separaten
Operation - beispielsweise mittels Bohren - vorher so entfernt, dass der Startpunkt
der Bearbeitung ohne Materialabtrag axial erreicht werden kann.
Bei anderen beispielsweise aus der DE 199 03 216 A1 bekannten Verfahren
(Fig. 2a bis Fig. 2c) wird ein zusätzlicher rampenförmiger oder helikaler Fräswerk-
zeugweg berechnet, über den sich das Fräswerkzeug unter einem flachen Winkel
der folgenden Bearbeitungsschicht oder der Tangentialebene an den ersten
Bahnpunkt kontinuierlich annähert. Auch bei mehrachsigen Bearbeitungen folgt
die Werkzeugorientierung üblicherweise der Werkzeugorientierung am ersten
Bahnpunkt und bleibt über dem gesamten Eintauchweg unverändert.
Nach den Ausführungen in Absatz [0005] sind insbesondere Hochleistungsfräs-
werkzeuge in ihrer Tauchfähigkeit auf sehr flache Eintauchwinkel begrenzt, was
die Bearbeitungszeit verlängert und selbst dann zu erhöhtem Fräswerkzeugver-
schleiß führt.
Daher besteht gemäß Absatz [0006] der Patentschrift die Aufgabe der Erfindung
darin, ein Verfahren zum Eintauchen eines Fräswerkzeuges in ein zu entfernen-
des Material eines Rohteiles zur Verfügung zu stellen, mit welchem sich die obi-
gen Nachteile verhindern lassen, welches mithin Fräswerkzeuge schonender ein-
zusetzen imstande ist und die Prozesssicherheit steigert bzw. insbesondere eine
prozesssichere Bearbeitung für schwer zerspanbare Materialien ermöglicht sowie
damit einhergehend zu einer erheblichen Reduzierung von Fertigungskosten führt.
Die Lösung dieser Aufgabe erfolgt nach den Angaben in der Patentschrift durch
ein Verfahren entsprechend dem Patentanspruch 1.
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Als Fachmann ist vorliegend ein Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinen-
bau anzusehen, der auf dem Gebiet der Frästechnik tätig ist und über mehrere
Jahre Berufserfahrung verfügt.
Das Merkmal 3 des Patentanspruchs 1 bedarf einer Auslegung.
Unter dem Begriff „Eintauchen in ein Material“ mag im Allgemeinen der Vorgang
zu verstehen sein, bei dem das Fräswerkzeug von einem Startpunkt, an welchem
es mit dem zu zerspanenden Material noch nicht in Berührung steht, bis zu dem
ersten Bahnpunkt der eigentlichen Bearbeitungsfräsbahn verfahren wird. Im vor-
liegenden Fall versteht das Streitpatent jedoch entsprechend den Ausführungen in
Absatz [0002] bis [0005] sowie [0008] den speziellen Eintauchfall, bei dem das
Eintauchen des Fräswerkzeugs von einem unbelasteten Startpunkt in eine Ober-
fläche gemeint ist und dadurch eine bestimmte axiale Zustelltiefe erreicht werden
soll, was herkömmlich mit den stirnseitigen Schneiden am Fräswerkzeug [0005]
oder aber durch die in den Absätzen [0003] und [0004] beschriebenen speziellen
Fräswerkzeugwege gelöst wird.
4. Die erteilten Patentansprüche sind ursprünglich offenbart und somit zulässig.
Die Merkmale 1 bis 3 des geltenden Patentanspruchs 1 sind in dem ursprüngli-
chen Patentanspruch 1 offenbart. Die erteilten Ansprüche 2 bis 13 entsprechen
den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 2 bis 13.
Die Merkmale des Anspruchs 14 sind in der ursprünglichen Beschreibung auf
Seite 4, vorletzter Absatz, offenbart.
5. Die Neuheit des zweifellos gewerblich anwendbaren Verfahrens zur Herstel-
lung eines Fertigteils aus einem Rohteil mittels eines Fräswerkzeuges des Pa-
tentanspruchs 1 ist gegeben.
Die von der Beschwerdeführerin als neuheitsschädlich angesehene D2 betrifft ein
Fräsverfahren zur Herstellung einer Turbinenschaufel (2) aus einem beliebigen
Rohteil. Ziel der D2 ist es mit möglichst wenig „Luftfahrten“ eine Turbinenschaufel
herzustellen. Dazu wird entsprechend der Figur 2b das Fräswerkzeug von der Au-
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ßenkontur des Rohteils (1) zur Kontur (2') der Turbinenschaufel (2) geführt und
zwar entlang mehrerer kontinuierlichen spiralförmiger Führungsbahnen, nämlich
jeweils dreidimensionale (7') und zweidimensionale (7) Führungsbahnen abwech-
selnd. In anderen Ausführungsformen entsprechend den Figuren 2c und 2a kann
das Fräswerkzeug auch mehrmals neu angesetzt werden, wozu einige wenige
„Luftfahrten" erforderlich sind. Dieses neue Ansetzen erfolgt ebenso wie das erst-
malige Ansetzen
– wie in Figur 4 gezeigt – durch ein radiales Einfahren des leicht
schräg gestellten Fräswerkzeugs in eine Seitenfläche des Rohteils. Ein Eintau-
chen in eine Oberfläche des Rohteils im Sinne des Streitpatents ist dieses (radi-
ale) Einfahren in das Rohteil jedoch nicht, weil keine axiale Zustelltiefe bezüglich
einer Oberfläche erreicht wird.
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin erfolgt ein Eintauchen bei der D2 zu-
mindest im Ausführungsbeispiel nach Figur 2b, bei dem sich dreidimensionale und
zweidimensionale Führungsbahnen abwechseln, wozu sie auf die Ausführungen in
Anspruch 7 und Absatz [0012] der D2 verweist, wonach das Fräswerkzeug ent-
lang der zweidimensionalen Führungsbahn zur nächst tieferliegenden dreidimensi-
onalen Führungsbahn bewegt wird.
Dieser Auffassung kann der Senat jedoch nicht beitreten. Denn die zentrale Lehre
der D2 liegt nach seinem Patentanspruch 1, auf den auch der angesprochene
Patentanspruch 7 mittelbar rückbezogen ist, darin, dass das Fräswerkzeug zur
Herstellung des Fertigteils entlang einer (oder auch mehrerer) spiralförmiger Füh-
rungsbahnen unter stetigem Materialabtrag eine kontinuierliche Gestaltänderung
vom Rohteil zum Fertigteil erfährt. Demzufolge lehrt die D2 dem Fachmann an
dieser Stelle mit dem stetigen Materialabtrag und der kontinuierlichen Gestaltän-
derung gerade kein Eintauchen im Sinne des Streitpatents, weil auch dort im
Übergang von dreidimensionaler und zweidimensionaler Führungsbahn der Mate-
rial
abtrag stetig, also mit einem ununterbrochenen Schnitt und somit ohne „Luft-
fahrt“ stattfinden soll. Demgegenüber setzt ein Eintauchen im Sinne des Streitpa-
tents einen unterbrochenen Schnitt, also eine „Luftfahrt“, voraus, bei dem das
Fräswerkzeug nach einer Bearbeitung zunächst wieder unbelastet ist, bevor es
auf die neue Zustelltiefe eintaucht.
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Dieser unterbrochene Schnitt oder die erforderliche „Luftfahrt“ im Übergang von
dreidimensionaler und zweidimensionaler Führungsbahn ist in der D2 weder un-
mittelbar noch eindeutig offenbart.
Doch selbst dann, wenn man unterstellt, der Fachmann fasse die Bewegung in
Form der zweidimensionalen Führungsbahn zur nächst tieferliegenden dreidimen-
sionalen Führungsbahn als Eintauchvorgang auf, zeigt das bekannte Verfahren
nicht alle Merkmale des Gegenstands des Patentanspruchs 1 des Streitpatents.
Denn das sich aus der D2 ergebende Verfahren gibt keinerlei Hinweise darauf,
dass
– entsprechend der Lehre des Merkmals 3 des Streitpatents – diese Bewe-
gung zur nächst tieferliegenden dreidimensionalen Führungsbahn durch eine
Schwenkbewegung des Fräswerkzeugs in Vorschubrichtung und/oder seitlich zur
Vorschubrichtung erfolgen soll, die abweichend von der Orientierung des Fräs-
werkzeuges der unmittelbar darauf folgenden Bearbeitung ist. Denn ein Ver-
schwenken während des Eintauchens lehrt auch das Ausführungsbeispiel gemäß
der Figur
2b nicht. Vielmehr offenbart die D2 lediglich ein allgemeines „Bewegen“
zur nächst tieferliegenden dreidimensionalen Führungsbahn.
Mangels der Offenbarung eines Verschwenkens des Fräswerkzeugs beim Eintau-
chen kann folglich die D2 auch nicht die spezielle Art der Schwenkbewegung ge-
mäß Merkmal 3 offenbaren, wonach diese in Vorschubrichtung und/oder seitlich
zur Vorschubrichtung erfolgen soll, die abweichend von der Orientierung des
Fräswerkzeuges der unmittelbar darauf folgenden Bearbeitung ist.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist dies auch nicht dem Ab-
satz [0012] der D2 zu entnehmen. Denn demnach erfolgt eine Ausrichtung des
Fräswerkzeugs zur Bearbeitung der Fräskurven bei der D2
– entgegen der Lehre
des Merkmals 3 des Patentanspruchs 1 - stets in Abhängigkeit von der ge-
wünschten Fräsbahn, nämlich aus dem Kreuzprodukt vom Tangentenvektor an
der Spiralkurve des jeweiligen Berührungspunktes und dem Normalenvektor der
Bearbeitungsebene, wobei die Ausrichtung des Fräswerkzeugs bezüglich des
Vektors aus diesem Kreuzprodukt in Vorschubrichtung geneigt wird (zweidimensi-
onaler Fall) oder dem Normalenvektor der Äquipotentialfläche des jeweiligen Be-
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rührungspunktes, wobei die Ausrichtung des Fräswerkzeugs bezüglich des Nor-
malenvektors in Vorschubrichtung geneigt wird (dreidimensionaler Fall).
Das Verfahren nach Patentanspruch 1 des Streitpatents ist daher neu gegenüber
der D2.
Die D1 zeigt ein Verfahren zur Herstellung eines Fertigteils aus einem Rohteil
mittels eines Kugelkopf-Fräswerkzeuges. Hierzu werden die Kugelkopf-Fräswerk-
zeuge entsprechend den Figuren 4 und 9 (bzw. 10 und 11 gem. dem Stand der
Technik) jeweils über schräge Eintauchwege an den Startpunkt der eigentlichen
Fräsbahn gefahren und unmittelbar anschließend das Werkstück auf einer Fräs-
bahn zerspant, die der Bewegungsrichtung des Eintauchens entgegengesetzt ist.
Allen diesen aus der D1 bekannten Bearbeitungsverfahren ist gemeinsam, dass
die Orientierung des Fräswerkzeuges, d. h. die Ausrichtung der Fräswerkzeug-
drehachse in Bezug auf das Maschinenkoordinatensystem, über den gesamten
Eintauchweg identisch ist mit der Orientierung des Fräswerkzeugs im Startpunkt
der sich unmittelbar an den Eintauchweg anschließenden Fräsbahn (siehe E1,
Fig. 4, 9, 10 und 11).
Ein Verschwenken des Fräswerkzeugs während des Eintauchens entsprechend
Merkmal 3 ist daher aus der D1 nicht bekannt.
6. Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderi-
schen Tätigkeit, denn für die im Patentanspruch 1 aufgeführten Merkmale vermit-
telt der aufgezeigte Stand der Technik keine Anregungen.
Nächstliegenden Stand der Technik bildet zweifellos die D1, weil sie bereits ein
Verfahren zur Herstellung eines Fertigteils aus einem Rohteil mittels eines Fräs-
werkzeuges zeigt und auch das Problem thematisiert, beim Eintauchvorgang des
Fräswerkzeugs in das Werkstück die Last zu begrenzen, um die Lebensdauer des
Fräswerkzeugs nicht zu verringern.
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Im Bestreben, sein Verfahren stets weiter zu entwickeln, mag sich der Fachmann
veranlasst sehen, die Erkenntnisse der D1 beim Eintauchen des Fräswerkzeugs
nicht nur bei den in der D1 gezeigten Kugelkopffräswerkzeugen, sondern auch bei
gattungsgemäßen Hochleistungsfräsern anzuwenden, wie sie beispielsweise auch
aus der D2 bekannt sind. Es mag daher für ihn naheliegen, die Lehre der D1 auf
Hochleistungsfräser gemäß der D2 übertragen und das Fräswerkzeug über
schräge Eintauchwege an den Startpunkt der eigentlichen Fräsbahn zufahren und
unmittelbar anschließend das Werkstück auf einer Fräsbahn zu zerspanen, die der
Bewegungsrichtung des Eintauchens entgegengesetzt ist. Damit gelangt der
Fachmann jedoch nicht zum Verfahren gemäß Patentanspruch 1, weil damit keine
Schwenkbewegung des Fräswerkzeugs in Vorschubrichtung und/oder seitlich zur
Vorschubrichtung erfolgt, die abweichend von der Orientierung des Fräswerkzeu-
ges der unmittelbar darauf folgenden Bearbeitung ist.
Andererseits mag es sich dem Fachmann noch anbieten, auf ein Eintauchen im
Sinne der D1 völlig zu verzichten und entsprechend der Lehre der D2 zunächst
rein radial in das Rohteil einzufahren und in der Folge das Fräswerkzeug entlang
einer oder mehrerer spiralförmiger Führungsbahnen unter stetigem Materialabtrag
zu führen, bis das Fertigteil hergestellt ist. Auch damit gelangt er jedoch nicht zum
Verfahren gemäß Patentanspruch 1.
Die übrigen im Zuge des Verfahrens in Betracht gezogenen Druckschriften liegen
weiter ab vom streitpatentgemäßen Verfahren und sind von der Einsprechenden
und Beschwerdeführerin zuletzt in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr
aufgegriffen worden. Die D3 ist ein Auszug aus dem Handbuch
„CATIA Manufac-
turing infrastructure", User's Guide, Version 4, 1997 und beschreibt die Erstellung
von Makros für ein NC-Steuerungsprogramm an Fräsmaschinen. Auf Seite 71,
unten, ist u
nter „CATIA Macro Components“ die Möglichkeit beschrieben, eine
Werkzeugachsenrotation bei einem allgemeinen Einlaufweg (
„approach path“) des
Fräswerkzeugs bis zum Startpunkt der eigentlichen Bearbeitungsfräsbahn zu defi-
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nieren. Eine technische Lehre, das Fräswerkzeug beim Eintauchen zu verschwen-
ken ist der D3 jedoch damit nicht zu entnehmen.
Die im Beschwerdeverfahren von der Beschwerdeführerin neu genannte D4 wurde
nur hinsichtlich des Anspruchs 14 genannt.
Insbesondere gibt keine dieser Druckschriften dem Fachmann Hinweise darauf,
wie die Last beim Eintauchvorgang des Fräswerkzeugs in das Werkstück zu be-
grenzen sei, um die Lebensdauer des Fräswerkzeugs nicht zu verringern.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Fachmann ausgehend von der D1
auch unter Berücksichtigung seines Fachwissens und Fachkönnens nicht in nahe-
liegender Weise zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ge-
langt.
Der Patentanspruch 1 hat daher Bestand.
7. Die geltenden Unteransprüche 2 bis 14 betreffen zweckmäßige Ausgestaltun-
gen des streitpatentgemäßen Verfahrens nach dem Patentanspruch 1, die über
Selbstverständlichkeiten hinausreichen.
Sie haben daher ebenfalls Bestand.
8. Der Einspruchsgrund der unzureichenden Offenbarung gemäß § 21 Abs. 1
Nr. 2 PatG ist nicht zu überprüfen, weil dieser Einspruchsgrund ausweislich der
Schriftsätze sowie des Protokolls über die Anhörung vor der Patentabteilung, des-
sen Richtigkeit selbst die Einsprechende nicht bestreitet, und der schriftlichen Be-
gründung des Beschlusses, datiert vom 15. September 2011, im Einspruchsver-
fahren von der Einsprechenden nicht geltend gemacht worden ist. Vielmehr war
die mit der Beschwerde angegriffene Einspruchsentscheidung der Patentabteilung
ausschließlich auf den Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit nach § 21
Abs. 1 Nr. 1 PatG i. V. m. §§ 3 und 4 PatG gestützt. Die Patentinhaberin hat der
Zulassung dieses neuen Widerrufsgrundes auch ausdrücklich widersprochen, so
- 14 -
dass auf diesen sachlich nicht einzugehen ist (vgl. BGH GRUR 1995, 333
– Alu-
minium-Trihydroxid; Schulte, PatG, 9. Aufl., § 59, Rn. 196).
III.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss können die am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel
der
Rechtsbeschwerde
einlegen.
Da
der
Senat
die
Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird,
dass
1. das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2. bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3. einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4. ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten
war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder
stillschweigend zugestimmt hat,
5. der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind, oder
6. der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
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Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45 a, 76133 Karlsruhe, durch
einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten
schriftlich oder in elektronischer Form einzulegen.
Dr. Zehendner
Dr. Huber
Rippel
Grote-Bittner
Pr