Urteil des BPatG vom 11.10.2016

Stand der Technik, Patentanspruch, Fig, Vorbenutzung

BPatG 152
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
8 W (pat) 27/12
_______________________
(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 10 2006 032 328
hat der 8. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
11. Oktober 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dipl.-Phys. Dr. phil. nat.
Zehendner sowie die Richter Dr. agr. Huber, Dipl.-Ing. Rippel und Heimen
- 2 -
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluss der
Patentabteilung aufgehoben und das Patent mit den folgenden
Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:
Patentansprüche 1 bis 15 gemäß Hauptantrag, eingegangen am
15. Juli 2010,
im Übrigen wie erteilt.
G r ü n d e
I.
Auf die am 12. Juli 2006 unter Inanspruchnahme einer französischen Priorität vom
12. Juli 2005 (FR 05 07489) beim Deutschen Patent-und Markenamt eingereichte
Patentanmeldung 10 2006 032 328.9-14 mit der deutschsprachigen Bezeichnung
„Gleitender Fahrzeugsitz und Gleitschiene für einen solchen Sitz“ ist das Patent
erteilt und die Erteilung am 3. Dezember 2009 veröffentlicht worden.
Gegen das Patent hat die B
… GmbH & Co. KG (im Folgenden
Einsprechende) am 1. März 2010 Einspruch erhoben.
Die Einsprechende hat zur Stützung ihres Vorbringens auf den folgenden druck-
schriftlichen Stand der Technik verwiesen.
(E1)
DE 24 34 409 C3
(E2)
DE 10 2004 021 673 A1
(E3)
US 4 469 384 A
(E4)
EP 0 945 301 A1
(E4‘)
DE 699 26 936 T2
- 3 -
Übersetzung der europäischen Patentschrift EP 0 945 301 B1 und
deutschsprachiges Familienmitglied der E4)
(D1)
DE 10 2004 057 106 A1
(D2)
DE 196 41 423 A1
(D3)
DE 697 02 224 T2
(D4)
DE 10 2004 049 404 A1
(D5)
US 5 855 413 A
(D6)
DE 601 01 878 T2
(D7)
DE 10 2004 017 491 A1
(D8)
DE 100 36 123 A1
(D9)
FR 2 618 863 A1
(D10)
FR 2 865 166 A1
(D11)
DE 20 2005 009 373 U1
(D12)
DE 198 12 045 A1
(D13)
DE 199 17 845 A1.
Die Einsprechende hat hierzu ausgeführt, dass der Gegenstand des Streitpatents
gegenüber diesem Stand der Technik nicht patentfähig sei. Außerdem offenbare
das Patent die Erfindung gemäß Anspruch 15 nach Auffassung der Einspre-
chende nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann
(§ 21 (1) Nr. 2 PatG).
Darüber hinaus hat die Einsprechende offenkundige Vorbenutzung geltend ge-
macht und hierzu die folgenden Unterlagen vorgelegt:
Anlage 1:
Auszug aus einem Teilelebenslauf
Anlage 2:
Lieferschein
Anlage 3:
Karosserieversionsüberblick aus „Wikipedia“
Anlage 4:
Zeichnung Sitzverstellung
Anlage 5:
Vergrößerte Darstellung des Beschriftungsfelds der Zeichnung
(vgl. Anlage 4)
- 4 -
Die Einsprechende hat hierzu vorgetragen, dass die
B… GmbH u.
Co. KG eine dem Patentgegenstand sehr ähnliche Sitzverstellung, u.a. mit der Ar-
tikel-Nr. LH 905172-104, bereits ab dem 26. Juli 2
004 an die Fa. J…
GmbH für den Einbau von Fahrzeugsitzen in die Mercedes-Benz-A-Klasse
(Karroserieversion C169) übersandt habe, wodurch eine offenkundige Vorbe-
nutzung entstanden sei, gegenüber der der Gegenstand des Streitpatents nicht
bestandsfähig sein könne.
Die Einsprechende hatte im Einspruchsverfahren beantragt, das Patent in vollem
Umfang zu widerrufen.
Die Patentinhaberin hatte beantragt, das Patent im Umfang der mit dem Schrift-
satz vom 14. Juli 2010 eingereichten Patentansprüche 1 bis 15 als Hauptantrag
der geltende Patentanspruch 1 nach Hauptantrag ist mit dem erteilten Patentan-
spruch 1 wortgleich
– aufrechtzuerhalten sowie das Patent hilfsweise mit den mit
Schriftsatz vom 29. Dezember 2010 eingereichten Hilfsanträgen 1 und 2 bzw. mit
den in der Anhörung am 13. Januar 2011 eingereichten Hilfsanträgen 3 und 4 be-
schränkt aufrechtzuerhalten.
Sie hat dem Vorbringen der Einsprechenden widersprochen und das Streitpatent
für bestandsfähig erachtet.
Die Patentabteilung 14 hat das Streitpatent nach Anhörung der Beteiligten am
13. Januar 2011 mit Beschluss vom gleichen Tage widerrufen.
Zur Begründung hat die Patentabteilung ausgeführt, dass der Gegenstand des Pa-
tentanspruchs 1 nach Hauptantrag gegenüber dem Stand der Technik nach D1
nicht neu sei und im Übrigen ausgehend vom Stand der Technik nach E4 in Zu-
sammenschau mit dem Gegenstand der geltend gemachten offenkundigen Vor-
benutzung
– die Offenkundigkeit vor dem Zeitrang des Streitpatents hat die Pa-
tentabteilung darin gesehen, dass in den Anlagen 1 bis 5 ausreichend dargelegt
sei, dass der ohnehin gezeigte Kraftfahrzeugsitz durch Lieferung an eine dritte
- 5 -
Firma und Einbau in ein Serienfahrzeug der Öffentlichkeit zugänglich wurde
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Auch die Patentansprüche 1 nach
den Hilfsanträgen 1 bis 4 seien nicht bestandsfähig, da sich deren Gegenstände
jeweils für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik
nach E4 und dem Gegenstand der offenkundigen Vorbenutzung ergeben würde.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin. Im Be-
schwerdeverfahren hat die Einsprechende mit Schriftsatz vom 26. April 2011 (ein-
gegangen am gleichen Tage) den Einspruch zurückgenommen.
Der Patentinhaberin wurde daraufhin mit Schreiben des Rechtspflegers vom
1. Juni 2011 mitgeteilt, dass das Beschwerdeverfahren gemäß § 61 Absatz 1
Satz 2 PatG von Amts wegen ohne die Einsprechende fortgesetzt werde.
Mit Schriftsatz vom 15. Juni 2011 (eingegangen am 17. Juni 2011) regt die Pa-
tentinhaberin an, das Verfahren unter Aufhebung des mit der Beschwerde ange-
fochtenen Beschlusses zu beenden.
Die Patentinhaberin trägt hierzu vor, dass sich der angefochtene Beschluss we-
sentlich auf eine von der Einsprechenden geltend gemachte angebliche offenkun-
dige Vorbenutzung stütze. Die Patentinhaberin macht gegenüber dieser behaup-
teten Benutzungshandlung jedoch erhebliche Zweifel geltend. So beziehe sich die
Anlage 1 auf die Teilenummern 905172 und 90
5173 der Fa. B…, ohne jedoch
die Lieferung oder eine öffentliche Zugänglichkeit dieser Teile zu belegen und
ohne die wesentlichen Merkmale dieser Teile zu offenbaren. Zu Anlage 2, dem
Lieferschein von B
… an J…, merkt die Patentinhaberin an, dass
dort eine Ident.-
Nummer mit einem Zusatz „-104“ Verwendung fände, so dass
nicht fest stehe, ob hier das gleiche Teil oder eine reduzierende Version gemeint
sei. Ferner weise die Anlage 2 eine Liefermenge von 12 Stück aus, wobei jedoch
das Mercedes-Benz A-Klasse-Modell des Typs C-169 eine Tagesproduktion von
500 Stück aufgewiesen hätte, so dass die gelieferte Menge nach Anlage 2 nicht im
- 6 -
Zusammenhang mit einer Serienproduktion gesehen werden könne, vielmehr
seien diese lediglich zu Versuchszwecken geliefert worden und demnach nur ei-
nem sehr eingegrenzten Personenkreis bei der Empfängerin bekannt geworden.
Die Konstruktionszeichnungen nach Anlage 4 und 5 schließlich seien ebenfalls mit
Seriennummern mit dem Zusatz „-104“ versehen, von denen nach Anlage 2 ledig-
lich 12 Stück geliefert wurden. Eine tatsächliche Lieferung der Teile nach Anlage 4
und 5 ergebe sich aus den Anlagen 4 und 5 nicht und auch nicht, ob es sich bei
der dargestellten Sitzverstellung um das Bauteil 905172-104 oder 905173-104
handle. Auch seien erfindungswesentliche Merkmale aus diesen Anlagen nicht er-
sichtlich.
Somit bestreitet die Patentinhaberin, dass durch die von der Einsprechenden ein-
gereichten Unterlagen ein der Patentierbarkeit entgegenstehender Stand der
Technik belegt sei, der durch Benutzung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht
wurde. Insbesondere bestünden erhebliche Zweifel an der öffentlichen Zugäng-
lichkeit der Bauteile gemäß Anlage 4. Diese Einwände seien bereits in der Anhö-
rung vor der Patentabteilung vorgebracht worden, ohne dass diese im Beschluss
Berücksichtigung gefunden hätten. Auch ein von der Einsprechenden angebotener
Zeuge sei trotz Bedenken nicht geladen worden. Wesentliche Fragen zur Offen-
kundigkeit und zum Wesen des Benutzungsgegenstandes seien aber nunmehr
nicht mehr zu klären, nachdem die Einsprechende nicht mehr am Verfahren betei-
ligt sei.
Die Patentinhaberin meint, dass keine der im Verfahren zum Stand der Technik
genannten Dokumente eine Rückhalteeinrichtung zeige, welche einen gegenseiti-
gen Kontakt zum Gegenstand habe, der ein Zusammenwirken in einer im Wesent-
lichen horizontalen und zur longitudinalen Richtung senkrecht gerichteten Anlage-
richtung darstelle.
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Mit neuerlicher Eingabe vom 18. Juli 2016 regt die Patentinhaberin weiterhin die
Beendigung des Verfahrens unter Aufhebung des mit der Beschwerde angefoch-
tenen Beschlusses an, nachdem der Einspruch zurückgenommen worden sei.
Zu der von der Patentabteilung als neuheitsschädlicher Stand der Technik gegen-
über Patentanspruch 1 nach Hauptantrag erachteten D1 führt die Patentinhaberin
aus, dass es sich hierbei um eine nachveröffentlichte Druckschrift handele, die am
22. September 2005 veröffentlicht worden sei, während das Streitpatent wegen
Beanspruchung der Priorität der inhaltsgleichen französischen Anmeldung den
Zeitrang vom 12. Juli 2005 habe. Zur Sache weist sie noch darauf hin, dass die D1
vertikal ausgerichtete Mittel zum Halten des nach vorne gefahrenen Sitzes auf-
weise und ein horizontaler Anschlag nicht offenbart sei und auch nicht implizit mit-
gelesen werden könne, so dass der Gegenstand nach Anspruch 1 auch neu sei
gegenüber dem Stand der Technik nach D1.
Mit Eingabe vom 29. September 2016 beantragt die Patentinhaberin,
das Patent in der Fassung entsprechend dem Hauptantrag aus
dem Einspruchsverfahren, eingereicht am 14. Juli 2010, im geän-
derten Umfang aufrecht zu erhalten.
Der geltende, mit der erteilten Fassung identische Patentanspruch 1 nach Haupt-
antrag lautet:
„Fahrzeugsitz, welcher umfasst: eine im Wesentlichen horizontale
Sitzfläche (3), welche auf zumindest einer Gleitschiene (4) in einer
longitudinalen Richtung (L) zwischen einer vorderen und einer
hinteren Position gleitend montiert ist, wobei die Gleitschiene um-
fasst: zumindest eine Verriegelung (7), welche zwischen einer ver-
riegelten Position, in welcher die Verriegelung die Gleitschiene
blockiert, und einer entriegelten Position, in welcher die Verriege-
- 8 -
lung der Gleitschiene ermöglicht, frei zu gleiten, bewegbar ist, wo-
bei der Sitz Einrichtungen (11, 12) aufweist, um die Verriegelung
nach einer Entriegelungs-Operation eines Anwenders in entrie-
gelter Position zu halten,
dadurch gekennzeichnet,
weist, um die Sitzfläche (3) des Sitzes zurückzuhalten, wenn sich
die Sitzfläche in der/einer vorderen Position befindet, solange die
Sitzfläche nicht eine rückwärts gerichtete Kraft erfährt, welche
größer ist als ein vorbestimmter Wert, wobei die Hilfsmittel zum
Zurückhalten der Sitzfläche (3) mittels gegenseitigem Kontakt in
einer im Wesentlichen horizontalen und im Wesentlichen senk-
recht zur longitudinalen Richtung (L) gerichteten Anlage-Rich-
tung
A) zusammenwirken.“
Der geltende nebengeordnete Patentanspruch 15 nach Hauptantrag lautet:
„Gleitschiene für einen Sitz gemäß einem der vorhergehenden
Ansprüche, wobei die Gleitschiene ein erstes und ein zweites Pro-
fil (5, 6) umfasst, welche zueinander in einer longitudinalen Rich-
tung (L) zwischen einer ersten und einer zweiten Anschlag-Posi-
tion gleitend montiert sind, wobei das erste Profil (6) einen Hö-
cker (27) trägt, und das zweite Profil (5) eine Blattfeder (22) trägt,
wobei die Blattfeder und der Höcker derart angeordnet sind, dass
die Blattfeder (22) gegen den Höcker (27) in einer longitudinalen
Richtung (L) in Anlage kommt, um das erste und das zweite Profil
in Position zu halten, wenn die Gleitschiene sich in der ersten An-
schlag-Position befindet, und wobei die Blattfeder dazu geeignet
ist, sich im Wesentlichen in der Anlage-Richtung (A) biegend
und/oder deformierend mit dem Höcker zusammenzuwirken, wenn
die Gleitschiene die erste Anschlag-Position erreicht, oder die
erste Anschlag-Position verlässt, wobei die Anlage-Richtung im
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Wesentlichen horizontal ist und im Wesentlichen zur longitudina-
len Richtung senkrecht ist.“
Wegen der geltenden erteilten Unteransprüche 2 bis 14 gemäß Hauptantrag wird
auf die Akten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Patentinhaberin ist in der Sache auch begründet,
denn der Patentgegenstand gemäß Patentanspruch 1 und 15 nach Hauptantrag
stellt eine patentfähige Erfindung i. S. d. §§ 1 bis 5 PatG dar.
1. Gegenstand des Streitpatents ist ein Fahrzeugsitz (Patentanspruch 1) und
eine Gleitschiene für einen solchen Sitz (Patentanspruch 15, jeweils nach Haupt-
antrag).
Nach den Abs. [0002] und [0004] der Streitpatentschrift sind derartige Sitze und
deren Gleitschienenmechanik insbesondere dazu verwendbar, den Zugang zu den
hinteren Plätzen eines Fahrzeugs mit 3 Türen zu ermöglichen bzw. allgemein den
Zugang zu dem hinter dem Sitz liegenden Raum zu erleichtern. Daher wird im
Streitpatent gemäß Abs. [0003] auch von dem Stand der Technik nach der
EP 0 945 301 A1 (im Verfahren die sog. E4) ausgegangen, die einen derartigen
Fahrzeugsitz offenbart.
Gemäß Abs.[0005] der Streitpatentschrift weisen diese bekannten Sitze allerdings
den Nachteil auf, dass sie die Tendenz haben, bei entriegelter Verriegelung wie-
der selbsttätig nach hinten zu gleiten, z. B. ausgelöst durch eine bestimmte
Parkposition des Fahrzeugs und/oder durch die nach hinten geneigte Anordnung
der Gleitschienen.
- 10 -
Das Streitpatent hat sich daher nach Abs. [0006] zum Ziel gesetzt, diesem Nach-
teil zu begegnen.
Der geltende, mit dem erteilten identische Patentanspruch 1 beschreibt demge-
mäß einen Fahrzeugsitz mit den folgenden Merkmalen:
1. Der Fahrzeugsitz umfasst im Wesentlichen eine horizontale Sitzfläche.
1.1.
Die Sitzfläche ist auf zumindest einer Gleitschiene in einer
longitudinalen Richtung zwischen einer vorderen und einer hinte-
ren Position gleitend montiert.
1.1.1 Die Gleitschiene umfasst zumindest eine Verriegelung, welche
zwischen einer verriegelten Position, in welcher die Verriege-
lung die Gleitschiene blockiert, und einer entriegelten Position,
in welcher die Verriegelung der Gleitschiene ermöglicht frei zu
gleiten, bewegbar ist.
1.1.2 Der Sitz weist Einrichtungen auf, um die Verriegelung nach ei-
ner Entriegelungs-Operation eines Anwenders in entriegelter
Position zu halten.
1.1.3 Der Sitz weist Einrichtungen auf, um die Sitzfläche des Sitzes
zurückzuhalten, wenn sich die Sitzfläche in der einer vorderen
Position befindet, solange die Sitzfläche nicht eine rückwärts
gerichtete Kraft erfährt, welche größer ist als ein vorbestimmter
Wert.
1.1.4 Die Hilfsmittel zum Zurückhalten der Sitzfläche wirken mittels
gegenseitigem Kontakt in einer im Wesentlichen horizontalen
- 11 -
und im Wesentlichen senkrecht zur longitudinalen Richtung ge-
richteten Anlage-Richtung zusammen.
Die Merkmale 1. und 1.1 beschreiben dabei übliche Einrichtungen und Bestand-
teile von Fahrzeugsitzen, während Merkmal 1.1.1 die an sich bekannte Verstell-
barkeit von Fahrzeugsitzen und deren Festlegung mittels Verriegelung in der ge-
wünschten Sitzposition zum Gegenstand hat.
Durch Merkmal 1.1.2, welches Einrichtungen fordert, mit denen die Verriegelung
des Sitzes nach einer Entriegelungs-Operation des Anwenders in entriegelten Po-
sition gehalten werden, wird die Gattung des beanspruchten Fahrzeugsitzes da-
hingehend festgelegt, dass dieser Sitztyp geeignet sein muss, leicht nach vorne
verschoben werden zu können, um den Raum hinter dem Sitz zugänglich zu ma-
chen.
Ein derartiger Fahrzeugsitz wird durch Merkmal 1.1.3 dahingehend weitergebildet,
dass Einrichtungen vorgesehen sind, um die Sitzfläche des Sitzes zurückzuhalten,
wenn sich diese in der einer vorderen Position
– dies ist eine Position, welche die
Zugänglichkeit in den Raum hinter der Sitzfläche bzw. dem Sitz ermöglicht oder
erleichtert
– befindet, solange die Sitzfläche nicht eine rückwärts gerichtete Kraft
erfährt, welche einen vorbestimmten Wert übersteigt. Mit dieser Maßnahme soll
ein unangebrachtes und ungewolltes Zurückkehren der Sitzfläche bzw. des Sitzes,
das den Anwender stören könnte, vermieden werden (vgl. Abs. [0008].
Ein weiteres Merkmal 1.1.4 ist noch auf die Hilfsmittel zum Zurückhalten der Sitz-
fläche gerichtet und zwar auf deren Wirkrichtung. Die Rückhaltemittel sollen dem-
nach mittels gegenseitigem Kontakt in einer im Wesentlichen horizontalen und im
Wesentlichen senkrecht zur longitudinalen Richtung gerichteten Anlage-Richtung
zusammenwirken. D
abei lassen die Ausdrücke „Kontakt“ und „Anlage“ bereits er-
kennen, dass die durch die in Merkmal 1.1.2 beschriebene freie Gleitmöglichkeit
vermittels Erhaltung der entriegelten Position des Sitzes durch die Rückhaltemittel
- 12 -
durch einen reibenden Eingriff dieser Mittel auf (die beweglichen) Sitzteile verhin-
dert werden soll. Zudem wird in Merkmal 1.1.4 die Eingriffsrichtung der Hilfsmittel
zum Zurückhalten der Sitzfläche dahingehend definiert, dass der gegenseitige
Kontakt (der Rückhaltemittel mit dem Sitz bzw. dessen gleitbeweglichen Teilen) in
einer im Wesentlichen horizontalen Wirkrichtung hergestellt werden soll, wobei
diese Wirkrichtung zudem noch senkrecht zur longitudinalen Richtung, also der
Verfahrrichtung des Sitzes, liegen soll. Durch diese Maßnahme soll gemäß
Abs. [0008] die Möglichkeit geschaffen werden, kompakte und in unmittelbarer
Nähe der Sitzfläche befindliche Rückhalte-Hilfsmittel zu verwenden.
Während der geltende erteilte Patentanspruch 1 einen Fahrzeugsitz mit Rückhal-
temitteln, die lediglich in ihrer Wirkung bzw. bezüglich der Wirkrichtung der Rück-
halte-Hilfsmittel und nicht in ihrer konkreten technischen Ausgestaltung charakteri-
siert sind, zum Gegenstand hat, beschreibt der nebengeordnete geltende Pa-
tentanspruch 15 sehr allgemein eine beliebige, auch für Fahrzeugsitze geeignete
Gleitschiene, nämlich eine aus zwei ineinander gleitend gelagerten Profilen beste-
hende Gleitschiene, deren Profile mit technisch konkret beschriebenen Rückhal-
temitteln, nämlich einem Höcker auf dem ersten Profil und einer Blattfeder auf
dem zweiten Profil, die bei Erreichen der Anschlagposition in Anlage kommen, um
eine selbsttätige Rückwärtsbewegung des Sitzes bzw. der Sitzfläche zu verhin-
dern. Die Anlage-Richtung dieser Elemente wird dabei als im Wesentlichen hori-
zontal und im Wesentlichen zur longitudinalen Richtung senkrecht angegeben.
Damit wird die Wirkrichtung dieser Elemente in dem Sinne beschrieben, wie sie
auch in Merkmal 1.1.4 des geltenden Patentanspruchs 1 angegeben ist.
2. Als maßgeblicher Fachmann ist vorliegend ein Maschinenbau-Ingenieur mit
zumindest Fachhochschulausbildung und mehrjähriger Erfahrung in der Entwick-
lung von Inneneinrichtungen von Kraftfahrzeugen anzusehen.
- 13 -
3. Der Gegenstand der geltenden Patentansprüche 1 bis 15 ist in den erteilten
sowie den ursprünglichen Unterlagen als zum Patentgegenstand gehörend offen-
bart.
Die nach Hauptantrag geltenden Patentansprüche 1 bis 15 sind mit den erteilten
Ansprüchen 1 bis 15 wortgleich mit Ausnahme der Änderung in der letzten Zeile
des Anspruchs 15,
wo der Ausdruck „horizontalen“ gestrichen und durch „longitu-
dinalen
“ ersetzt wurde.
Diese Änderung im geltenden Patentanspruch 15 ist zulässig. Bei der ursprüngli-
chen und damit auch erteilten Formulierung handelt es sich um eine wenig sinn-
gebende Beschreibung der Anlage-Richtung, weil diese im Wesentlichen hori-
zontal und (gleichzeitig) zur horizontalen Richtung senkrecht sein soll. Eine Be-
schreibung einer Richtung, die lediglich einen horizontalen Verlauf kennzeichnet,
legt damit lediglich eine Ebene aber keine Richtungsangabe fest. Eine gleichzeitig
zu diesem horizontalen Verlauf senkrecht angestellte Verlaufsrichtung kann damit
ebenfalls nur einen in der horizontalen Ebene liegenden Richtungsverlauf kenn-
zeichnen, der aber aufgrund seiner senkrechten Ausrichtung zu einer in ihrer Ver-
laufsrichtung nicht definierten ersten Richtung ebenso keine Verlaufsrichtung defi-
nieren kann. Nach alledem wird der Fachmann, an den die Patentschrift gerichtet
ist, die Beschreibung zu Rate ziehen, um diesen offensichtlichen Fehler aufzuklä-
ren. Insbesondere der Abs. [0028] der Beschreibung der Streitpatentschrift enthält
den erklärenden Satz: „Diese Rückhalte-Einrichtungen wirken vorteilhafter Weise
mittels gegenseitigen Kontakts in einer im Wesentlichen horizontalen und im We-
sentlichen zur longitudinalen Richtung L senkrechten Andruck/Anlage-Richtung A
zusammen“ (vgl. Abs. [0028], Zeilen 11 bis 16). Die Anlage-Richtung A und die
longitudinale Richtung L, also die Längsrichtung der Schienen sind zudem in der
ursprünglichen und erteilten Fig. 3 als richtungsweisender Pfeil (A) bzw. Doppel-
pfeil (L) dargestellt, wobei bereits diese Darstellung erkennen lässt, dass beide
Richtungen in einer horizontalen Ebene liegen und zueinander senkrecht verlau-
fen, wobei der Verlauf beider Richtungen durch die Ausrichtung der longitudinalen
- 14 -
Richtung L eindeutig definiert wird. Nach alledem handelt es sich bei der ur-
sprünglichen und erteilten Formulierung in Anspruch 15 um einen offensichtlichen
Fehler, der für den Fachmann ohne weiteres als zur Definition der maßgeblichen
Richtungsverläufe ungeeignet erkennbar war und andererseits auch keine Stütze
in der Beschreibung finden konnte. Somit kann die Änderung im nunmehr gelten-
den Anspruch 15, die zudem auch im Einklang mit Merkmal 1.1.4 des Patentan-
spruchs 1 (vgl. II.1.) als zulässige Beseitigung eines offensichtlichen Fehlers be-
trachtet werden. Eine Erweiterung des Schutzbereichs ist mit dieser konkretisie-
renden Berichtigung eines offensichtlichen Fehlers nicht verbunden.
Die Patentansprüche 1 bis 15 nach Hauptantrag sind auch mit den ursprünglichen
Ansprüchen 1 bis 15
– mit Ausnahme der Korrektur in Anspruch 15 – wortgleich.
4. Die patentgemäße Lehre nach Patentanspruch 15 ist in der Streitpatentschrift
so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
Die Lehre des Anspruchs 15 ist jedenfalls dann, wenn die ursprüngliche und er-
teilte Formulierung als offensichtlicher Fehler erkannt wird, für den einschlägigen
Fachmann ausführbar, weil die von der Einsprechenden gerügte Unklarheit an
dem Richtungsverlauf der Anlage-Richtung durch die zulässige Korrektur in An-
spruch 15 beseitigt ist.
Aus der Beschreibung des Streitpatents, Abs. [0028] ist für den Fachmann in Ver-
bindung mit der Darstellung gemäß Fig. 3 eindeutig erkennbar, dass die (in Fig. 3
mit Doppelpfeil gekennzeichnete) longitudinale Richtung in einer horizontalen
Ebene in Längsrichtung der Sitzschienen verläuft. Damit ist die Verlaufsrichtung
einer Anlage-Richtung, die in Patentanspruch 15 als im Wesentlichen horizontal
und im Wesentlichen senkrecht zur longitudinalen Richtung verlaufend gekenn-
zeichnet ist, ebenfalls eindeutig definiert, denn diese ist in der Zeichnung, Fig. 3,
mit Pfeil A als in einer horizontalen Ebene liegend (Fig. 3 zeigt gemäß Abs. [0015]
der Beschreibung des Streitpatents eine Ansicht der Gleitschiene von unten) und
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im rechten Winkel zur longitudinalen Richtung (Doppelpfeil L) verlaufend erkenn-
bar.
5. Der Gegenstand des geltenden erteilten Patentanspruchs 1 sowie der Gegen-
stand des geltenden Patentanspruchs 15 sind jeweils neu.
Die im Beschluss der Patentabteilung zur Neuheit gegenüber Patentanspruch 1
nach
Hauptantrag
herangezogene
ältere
Anmeldung
gemäß
D1
(DE 10 2004 057 106 A1) zeigt und beschreibt einen Fahrzeugsitz mit einer im
Wesentlichen horizontalen Sitzfläche (Merkmal 1. nach Merkmalsgliederung ge-
mäß II.1.), wobei die Sitzfläche auf zumindest einer Gleitschiene (26, 28) in einer
longitudinalen Richtung zwischen einer vorderen (Fig. 2) und einer hinteren Posi-
tion (Fig. 1) gleitend montiert ist (Abs. [0016] und [0017] (Merkmal 1.1). Auch um-
fasst die Gleitschiene (26, 28) zumindest eine Verriegelung (38) (vgl. Abs. [0006],
welche zwischen einer verriegelten Position, in welcher die Verriegelung die Gleit-
schiene blockiert und einer entriegelten Position, in welcher die Verriegelung der
Gleitschiene ermöglicht frei zu gleiten, bewegbar ist (Merkmal 1.1.1), wobei der
Sitz gemäß Merkmal 1.1.2 auch Einrichtungen aufweist, um die Verriegelung nach
einer Entriegelungs-Operation eines Anwenders in entriegelter Position zu halten
(vgl. Abs. [0016] und strichpunktierte Linie in Fig. 1). Außerdem weist der Sitz
nach der D1 auch Einrichtungen auf, um die Sitzfläche des Sitzes zurückzuhalten,
wenn sich die Sitzfläche in der/einer vorderen Position befindet, solange die Sitz-
fläche nicht eine rückwärts gerichtete Kraft erfährt, welche größer ist als ein vorbe-
stimmter Wert (Merkmal 1.1.3). Dieser Sachverhalt wird in Abs. [0007] der D1 all-
gemein und abstrakt beschrieben, wodurch der Wortlaut des Merkmals 1.1.3 be-
reits vollumfänglich abgedeckt ist, während aus Fig. 3 und 4 die entsprechende
Schnappverriegelung konkret dargestellt ist.
Einen Hinweis auf Merkmal 1.1.4 kann die D1 indes nicht geben, denn im Text der
Ansprüche (insbesondere auch Anspruch 1) wird eine Schnappverriegelung be-
schrieben, die mit einer Traverse (48) zusammen wirkt. Bereits dieses Zusammen-
- 16 -
wirken mit einer Traverse, also einem quer zur longitudinalen Verschieberichtung
des Sitzes abgeordneten Bauteil kann nicht zu einer im Wesentlichen horizontalen
Anlage-Richtung führen, denn ein derart quer verlaufendes Bauteil kann nur real in
senkrecht-vertikaler Anlagerichtung mit einer Schnappverriegelung zusammen
wirken. Dem in Anspruch 1 von D1 skizzierten Gegenstand lässt sich daher schon
eine im Wesentlichen horizontale Anlage-Richtung nicht entnehmen und noch
weniger dem beschriebenen und gezeichneten Ausführungsbeispiel. Auch wenn in
einzelnen Ansprüchen (z. B. Ansprüche 2 und 6) und einleitenden Beschrei-
bungsteilen nur eher allgemeine Ausführungen zu einem Zusammenwirken von
Schnappverriegelung und Gegenstück gemacht werden, kann die Gesamtheit der
Offenbarung der D1 unter dem Gesichtspunkt des reinen Neuheitsvergleichs (äl-
tere Anmeldung) keine Anhaltspunkte zum Mitlesen einer anderen als einer verti-
kalen Anlage-Richtung bieten.
Vom Stand der Technik nach D4 (DE 10 2004 049 404 A1) (ältere Anmeldung) un-
terscheidet sich der Gegenstand des Streitpatents nach Anspruch 1 gemäß
Hauptantrag in den Merkmalen 1.1.3 und 1.1.4, denn dieser Stand der Technik
offenbart keinerlei Rückhaltemittel in der vordersten Sitzposition im entriegelten
Zustand der Verriegelungsmechanik. Auch die lediglich zum Neuheitsvergleich zu
betrachtende E2 (DE 10 2004 021 673 A1) lehrt keinen Fahrzeugsitz mit den
Merkmalen 1.1.3 und 1.1.4, denn auch hier sind Rückhaltemittel für die Sitzfläche
bzw. dem Sitz in der vordersten Position nicht vorgesehen, sondern es soll ledig-
lich das Hochklappen der Lehne durch Drehmomenterhöhung so lange erschwert
werden, bis die gewünschte Sitzposition beim Zurückschieben des Sitzes erreicht
ist.
Die lediglich zum Neuheitsvergleich heranzuziehenden Druckschriften D1, D4 und
E2 können die Neuheit des Fahrzeugsitzes nach Patentanspruch 1 gemäß Haupt-
antrag nicht in Frage stellen.
- 17 -
Nachdem der geltende nebengeordnete Patentanspruch 15 nach Hauptantrag im
Hinblick auf die Anlage-Richtung keine andere Lehre als die gemäß Merkmal 1.1.4
des Patentanspruchs 1 beschreibt, kann die dort beschriebene Gleitschiene zur
Frage der Neuheit nicht anders beurteilt werden als der Fahrzeugsitz nach Pa-
tentanspruch 1. Damit gilt auch Patentanspruch 15 gegenüber dem Stand der
Technik nach D1, D4 und E2 als neu.
Die am 29. September 1999 veröffentlichte E4 (EP 0 945 301 A1) bzw. deren
deutsche Übersetzung E4‘ (DE 699 26 936 T2) offenbart einen Fahrzeugsitz, von
dem auch im Streitpatent bereits ausgegangen worden war (vgl. Abs. [0003]. Die-
ser Fahrzeugsitz mit im Wesentlichen horizontaler Sitzfläche (Fig. 1) und ver- und
entriegelbarer Gleitschiene (Abs.
[0002] und [0003] in E4 bzw. E4‘) weist auch
Einrichtungen auf, um die Verriegelung nach einer Entriegelungs-Operation eines
Anwenders in entriegelter Position zu halten (vgl. Abs.
[0037] der E4‘ bzw.
Abs. [0027] der E4) und weist damit die Merkmale 1., 1.1 und 1.2 des geltenden
Anspruchs 1 nach Hauptantrag auf. Einrichtungen zum Zurückhalten der Sitzflä-
che in ihrer vorderen Position gemäß Merkmal 1.3 sind bei diesem entgegenge-
haltenen Stand der Technik nicht vorgesehen und demgemäß vermag diese Ent-
gegenhaltung auch keine Anlage-Richtung von Hilfsmitteln zum Zurückhalten der
Sitzfläche i. S. v., Merkmal 1.1.4 anzugeben. Viel
mehr wird in der E4/E4‘ eine
Rückführung des nach vorne verschobenen Sitzes zu einem Speicherungsreiter
einer mechanischen Memory-Funktion für eine voreingestellte Sitzposition be-
schrieben, deren Sperreinrichtungen zudem noch, anders als in Merkmal 1.1.4
des Patentanspruchs 1 angegeben, von unten in vertikaler Richtung wirken.
In die gleiche Richtung wie die E4/E4‘ geht auch die D2 (DE 196 414 23 A1), die
ebenfalls eine mechanische Memory-Funktion zur Auffindung einer gewünschten
Sitzposition nach Verschiebung des Sitzes nach vorne offenbart und lediglich die
Merkmale 1. bis 1.1.2 des Anspruchs 1 nach Hauptantrag vorweg nimmt, während
ein Halten des Sitzes in der nach vorne geschobenen Position nicht Gegenstand
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der D2 ist, weswegen sie keine Hinweise auf die Merkmale 1.1.3 und 1.1.4 ver-
mitteln kann.
Auch der Stand der Technik nach D8 (DE 100 36 123 A1) kennzeichnet nicht ein
Halten des Sitzes in einer vorderen Position, sondern lediglich das Auffinden einer
mittleren Sitzposition im Wege einer mechanisch wirkenden memory-Funktion.
Hierzu läuft ein Betätigungsfinger (53) elastisch auf einen von unten nach oben
gewölbten Anschlag (vgl. Fig. 7, 8) auf, um ein Sperrorgan zu betätigen, was eine
Rückkehr des Sitzes in eine vorbestimmte mittlere Stellung und seine Verriege-
lung dort ermöglicht. Nach alledem unterscheidet sich der Patentanspruch von
diesem Stand der Technik ebenfalls in den Merkmalen 1.1.3 und 1.1.4.
Die E3 (US 4 469 384 A) offenbart lediglich ineinander laufende Schienenanord-
nungen mit internen Stop-Systemen, jedoch ohne Bezug zu Kraftfahrzeugsitzen.
Auch die verbleibenden vorveröffentlichten Druckschriften kennzeichnen keine
Lehre gemäß den Merkmalen 1.1.3 und 1.1.4 des Anspruchs 1 nach Hauptantrag,
denn auch bei diesem Stand der Technik sind keinerlei Mittel zum Halten des Sit-
zes in einer nach vorne verschobenen Position vorgesehen. Hierbei handelt es
sich um die folgenden Druckschriften
D3 (DE 697 02 224 T2)
D5 (US 5 855 413 A)
D6 (DE 601 02 878 T2)
D7 (DE 10 2004 017 491 A1)
D9 (FR 2 618 863 A1)
D12 (DE 198 12 945 A1)
D13 (DE 199 17 845 A1)
E1 (DE 24 34 409 (C3)
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Die Druckschriften D10 (FR 2 865 166 A1) und D11 (DE 20 2005 009 373 U1)
sind erst nach dem Zeitrang des Streitpatents veröffentlicht worden und gehören
daher nicht zum Stand der Technik.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag weist gegenüber dem
entgegengehaltenen druckschriftlichen Stand der Technik jeweils die erforderliche
Neuheit auf, da er sich von diesem Stand der Technik jeweils zumindest in dem
die Anlage-Richtung kennzeichnenden Merkmal 1.1.4 unterscheidet.
Der geltende Patentanspruch 15 unterscheidet sich von dem entgegen gehaltenen
druckschriftlichen Stand der Technik ebenfalls in seiner auch dort, wie in Merkmal
1.1.4 des Patentanspruchs 1 gekennzeichneten Anlage-Richtung sowie ferner
noch im Zusammenwirken von einem Höcker mit einer Blattfeder in der entspre-
chenden Anlage-Richtung, so dass auch der Gegenstand dieses Anspruchs die
erforderliche Neuheit aufweist.
6. Der Gegenstand der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung gehört
nicht zum Stand der Technik.
Voraussetzung für die offenkundige Vorbenutzung einer technischen Lehre ist,
dass diese der Öffentlichkeit durch die Benutzungshandlung zugänglich gemacht
worden ist. Dies setzt sowohl die Zugänglichkeit der Informationsquelle als auch
die Zugänglichkeit der technischen Informationen voraus, die sich aus dieser
Quelle gewinnen lassen (vgl. BGH GRUR 1997, 892, 894
– Leiterplattennutzen),
d. h. die maßgebliche technische Lehre muss anhand der Benutzung objektiv er-
kennbar sein, ohne dass es für den Fachmann insoweit weiterer Erläuterungen
bedarf (vgl. BGH GRUR 1996, 747, 752
– Lichtbogen-Plasma-Beschichtungssys-
tem; Schulte/ Moufang, PatG, 9. Aufl., § 3 Rdn. 32 und 51). Dabei muss die nicht
entfernte Möglichkeit eröffnet werden, dass beliebige Dritte zuverlässige Kenntnis
von den neuheitsschädlichen Tatsachen erhalten (vgl. Schulte, PatG, § 3 Rn. 24
m. w. N.). Dabei kann bereits eine einzige, ohne Geheimhaltungsvereinbarung
- 20 -
erfolgte Lieferung eines entsprechenden Gegenstandes ausreichen, um den Tat-
bestand der offenkundigen Vorbenutzung zu erfüllen (vgl. BGH GRUR 1999, 976,
977, dort unter 4a)
– Anschraubscharnier). Diese Voraussetzungen sind vorlie-
gend nicht erfüllt, denn die von der Einsprechenden behauptete Auslieferung ei-
nes Sitzschienensystems an die J
… GmbH ist nicht mit der erfor-
derlichen Sicherheit bewiesen worden. Die Beweis- und Darlegungslast hinsicht-
lich der Feststellung einer offenkundigen Vorbenutzung als solche richtet sich
auch unter Geltung des Untersuchungsgrundsatzes nach den allgemeinen, zivil-
prozessualen Verfahrensregeln. Diese obliegt hinsichtlich der Frage, ob und wann
eine offenkundige Vorbenutzung eines bestimmten Standes der Technik erfolgt ist,
stets dem Gegner des Schutzrechtsinhabers, hier also der Einsprechenden.
Dem Senat standen als Beweismittel zu der behaupteten Benutzungshandlung
nach dem Ausscheiden der Einsprechenden lediglich ihre in Kopie eingereichten
Unterlagen, insbesondere Lieferscheine (Anlage 2) und Zeichnungen (Anla-
gen 4, 5) zur Verfügung. Die weiteren Unterlagen (Anlagen 1, 3) sind für die be-
weiserhebliche Frage, welche Tatsachen beliebigen Dritten
, hier der J…
GmbH, zugänglich gemacht wurden, unergiebig. Die beweiserhebliche
Frage, ob die in Anlage 4 zeichnerisch dargestellte Sitzverstellung, von der Pa-
tentinhaberin in Abrede gestellt, tatsächlich zum weiteren Einbau in Fahrzeuge
vom Typ Mercedes A-Klasse an die J
… GmbH ausgeliefert wurde,
konnte allein durch die Kopie des Lieferscheins über 12 Stück (Anlage 2) trotz
gleicher „Identnummer“ nicht zweifelsfrei erwiesen werden. Maßgebliche Zweifel
an der Darstellung der Einsprechenden ergeben sich vor allem daraus, dass die
Serienproduktion der in Rede stehenden Karosserieversion C 169 bereits Monate
(November 2004, vgl. Anlage 3) vor dem Zeitpunkt der durch Lieferschein beleg-
ten Lieferung begonnen hatte und die Auslieferung von lediglich zwölf
– aus-
schließlich linken
– Sitzschienen für ein Sitzschienensystem nicht geeignet ist,
eine Lieferung im Rahmen einer Serienfertigung als hinreichend wahrscheinlich
anzusehen. Demnach kann auch nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit fest-
gestellt werden, dass die in den Anlagen 2 bzw. 4 und 5 aufgeführten Teile iden-
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tisch sind, was die Patentinhaberin stets bestritten hat. Nachdem infolge des Aus-
scheidens der Einsprechenden aus dem Verfahren weitere Feststellungen dazu
nicht mehr möglich sind, geht diese Unaufklärbarkeit zu ihren Lasten.
7. Der Gegenstand nach dem geltenden erteilten Patentanspruch 1 sowie der
Gegenstand nach dem geltenden Patentanspruch 15, deren gewerbliche An-
wendbarkeit jeweils nicht in Zweifel steht, beruhen jeweils auch auf einer erfinderi-
schen Tätigkeit.
Im Streitpatent wird gemäß Abs. [0003] von einem Stand der Technik ausgegan-
gen, wie er durch die EP 0 945 301 A1 bekannt geworden ist. Von diesem Stand
der Technik, der sich als Dokument E4 im Verfahren befindet, war auch im Be-
schluss der Patentabteilung ausgegangen worden. Wie bereits aus dem Neuheits-
vergleich (vgl. II.5.) ersichtlich ist, finden sich bei dem gattungsbildenden Stand
der Technik nach E4 keine Einrichtungen zum Zurückhalten der Sitzfläche in ihrer
vorderen Position gemäß Merkmal 1.3 des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag
(vgl. Merkmalsgliederung gemäß II.1). Daher kann diese Entgegenhaltung auch
keine Anlage-Richtung für Hilfsmittel zum Zurückhalten der Sitzfläche i. S. v.
Merkmal 1.1.4 offenbaren.
Nachdem der Gegenstand der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung nicht als
offenkundig geworden betrachtet werden kann (II. 6.), befindet sich
– wie auch aus
dem Neuheitsvergleich ersichtlich ist
– kein weiterer vorveröffentlichter zur Beur-
teilung der erfinderischen Tätigkeit heranzuziehender Stand der Technik mehr im
Verfahren, der Mittel zum Zurückhalten der Sitzfläche, die in der beanspruchten
Richtung wirken, nahelegen könnte.
Demnach stand dem maßgeblichen Fachmann vor dem Zeitrang des Streitpatents
kein Stand der Technik zur Verfügung, der ihm Hinweise auf ein technisches Han-
deln gemäß den Merkmalen 1.1.3 und 1.1.4 des Patentanspruchs 1 nach Haupt-
antrag, also auf Mittel zum Zurückhalten der Sitzfläche in der/einer vorderen Posi-
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tion, die mittels gegenseitigem Kontakt in einer im Wesentlichen horizontalen und
im Wesentlichen senkrecht zur longitudinalen Richtung gerichteten Anlage-Rich-
tung zusammenwirken, hätte geben können.
So der Fachmann vor dem Zeitrang des Streitpatents in der losen Lage des nach
vorne verschobenen Sitzes ein Problem erkannt hätte, wäre es für ihn nahelie-
gend gewesen, eine weitere Möglichkeit zur Arretierung des Sitzes in der nach
vorne verschobenen Position zu schaffen, zumal in jedem Fahrzeugsitz die Mittel
zur Arretierung des Sitzes in verschiedenen Gebrauchspositionen ohnehin vor-
handen sind, die ihrerseits auch zur Arretierung in der nach vorne verschobenen
Position hätten Verwendung finden können.
Einen Hinweis auf ein technisches Handeln i. S. d. Merkmale 1.1.3 und 1.1.4 des
Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag indes hätte der Fachmann aus seinem all-
gemeinen und speziellen Fachwissen heraus nicht finden können. Somit bedurfte
es eines erfinderischen Zutuns, um ausgehend vom Stand der Technik nach E4
zu einem Kraftfahrzeugsitz wie in Patentanspruch 1 nach Hauptantrag beschrie-
ben zu gelangen.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag beruht nach alledem
auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag ist daher bestandsfähig.
Nachdem die Lehre des nebengeordneten Patentanspruchs 15 nach Hauptantrag
das technische Handeln gemäß Merkmal 1.1.4 des Patentanspruchs 1 bezüglich
der Anlage-Richtung ebenfalls enthält und zudem noch konkrete Mittel wie Blattfe-
der und Höcker zur Herstellung der entsprechenden Anschlag-Position in der an-
gegebenen Anlage-Richtung beschreibt, die weder aus dem entgegen gehaltenen
Stand der Technik herleitbar sind noch das Ergebnis fachüblicher Überlegungen
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und Handlungen kennzeichnen, beruht auch der nebengeordnete Patentan-
spruch 15 nach Hauptantrag auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Patentanspruch 15 nach Hauptantrag hat daher Bestand.
Die auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen nachgeordneten Patentansprüche 2
bis 14 nach Hauptantrag kennzeichnen vorteilhafte Ausgestaltungen der Lehre
des tragenden Hauptanspruchs und haben ebenfalls Bestand.
III.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den am Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu. Da der Senat die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn gerügt wird, dass
1.
das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei dem Beschluss ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war,
sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend
zugestimmt hat,
5.
der Beschluss aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der
die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind,
oder
6.
der Beschluss nicht mit Gründen versehen ist.
- 24 -
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des
Beschlusses beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, durch
einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten
schriftlich einzulegen.
Dr. Zehendner
Dr. Huber
Rippel
Heimen
Pr